Kein Weg von Menschenhand

sich diese scharfen Abgrenzungen allerdings, Farben ähnlicher Nuance schienen ineinander zu verlaufen und so neue Farbflächen zu erzeugen. Über eines ...
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Kein Weg von Menschenhand Stefan Jarnik

Kurzgeschichte



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         In einem talseitigen Dorf längst vergangener Tage, viele Jahrhunderte vom Hier und Heute entfernt. Fernab des vom ländlichen Alltagsleben pulsierenden Ortskerns gelegen stand ein grundsolide auf Fels gebautes Haus am Fuße eines Gebirges, zu dem vom Dorf aus kein von Menschenhand gefertigter Weg führte. Es war einzig über die naturbelassene Flur zu erreichen. Äußerlich wirkte die Behausung fremdländisch und glich in ihrer Bauweise keinem der im Dorf stehenden Bauten. Rings ums Haus ragten Baumstümpfe wie gestreut aus dem Boden, und gemeinsam mit dem bergseitig herannahenden Jungwald betrachtet, ließ sich eines sofort erkennen: Das Leben hier war Generationen übergreifend tief von zyklischen Abläufen durchdrungen. Auf der anderen Seite durchzog ein Fließgewässer das von ihm bereits vor langer Zeit dem festen Boden unter Mühen abgetrotzte Bett stetig in gleicher Manier. Detailreich setzten sich die Farben dieser einerseits natürlich vorkommenden und andererseits zivilisatorisch errichteten Objekte und Gegenstände aus der Nähe voneinander ab. Mit zunehmender Entfernung verloren sich diese scharfen Abgrenzungen allerdings, Farben ähnlicher Nuance schienen ineinander zu verlaufen und so neue Farbflächen zu erzeugen. Über eines sollte das malerisch Anmutende jedoch nicht hinwegtäuschen. Bei aller von der Natur geoffenbarten Schönheit war das Leben hier für die Menschen entbehrungsreich und nicht selten gefährlich. Wiederholt hatte der Berg unverhohlen seine Macht gezeigt und auch die eiskalte Flut des kristallklaren Wassers riss nach niederschlagsstarken Wintern so manches Opfer grausam an sich. Daneben kannte die Natur noch weitere listenreiche Varianten, um einem Leben, jung oder alt, ein jähes Ende zu bereiten. Die Gründung des Dorfes war zum Zeitpunkt des kommenden Geschehens schon lange Zeit vorher erfolgt. Beizeiten schöpft der Mensch seine Daseinskraft auch aus der Erinnerung, und so wurde Etliches, was seit der Ortsgründung geschehen war und der Dorfgemeinschaft erinnerungswürdig erschien, bewahrt und mündlich weitergegeben. Zudem schien jedes Haus des Orts seine eigene kleine Hausgeschichte zu besitzen, die von dessen Bewohnern nicht ohne Stolz in Ehren gehalten und von Spross zu Spross die Lebensleiter entlang weitergegeben wurde. Wenig verwunderlich also, dass das kleine, abseits vom Dorf am Rande des Berges 

gelegene Haus ebenfalls seinen Platz in der Erinnerung und den Gedanken der Dorfgemeinschaft hatte. Es war in etwa zeitgleich mit den anderen Gründungshäusern der Siedlung entstanden. Wie man sich im Dorf erinnerte, tauchte eines Tages plötzlich eine fremde Familie in der Gegend auf und hatte in Bergesnähe, ohne irgendjemanden um Erlaubnis zu bitten, zu bauen begonnen. Ein bereits in die Jahre gekommener Mann, seine Frau und deren drei erwachsene Söhne mussten von weit her gekommen sein, denn ihr Äußeres ließ nichts erkennen, was den Menschen dieser Gegend vertraut gewesen wäre. Sie unterschieden sich in Gesicht und Hautfarbe deutlich von den Hiesigen und sprachen eine Sprache, die niemand hier verstand noch jemals zuvor gehört hatte. Sie kleideten sich auch anders, und obwohl das Gewand, das sie trugen, alt und abgetragen war, musste es von sehr guter Qualität gewesen sein. Im Ort traf man die fremdländischen Ankömmlinge nur selten. Da sie jedoch sehr höflich und korrekt auftraten, duldete man sie und ihren Hausbau abseits, zumal das Land, auf dem sie sich einrichteten, frei bebaut werden durfte. Mit der Zeit entstand zwischen den Parteien, also den Einheimischen und den Fremden, so etwas wie eine gegenseitige – wenngleich distanzierte – Sympathie, gelegentlich tauschte man Naturalien oder Erzeugnisse miteinander. Dabei verhielt sich die Frau im Kontakt zu den Eingesessenen aufgeschlossener als ihre vier Männer. Woher diese Fremdländer auch gekommen waren, allesamt schienen sie ihr Handwerk mit Bravour zu beherrschen. Nur selten suchten der Mann oder seine Söhne die Handwerker im Ort auf, um ihre Werkzeuge reparieren zu lassen. All das bewerkstelligten sie mit augenscheinlicher Leichtigkeit selbst. Auch vom Bauhandwerk verstanden die Männer einiges. Geschickt und für die verwendeten schweren Baumaterialien ungewöhnlich schnell bewältigten sie den Bau ihres Hauses in verhältnismäßig kurzer Zeit. Dabei halfen ihnen Hilfskonstruktionen, die man hier nicht kannte. Die Normalität des ländlichen Alltags kehrte erst wieder in das Dorf ein, nachdem die Häuser der Gründungssiedler fertiggestellt worden waren. Nach einer weiteren guten Weile gehörten auch die fünf bergseitigen Menschen zum vertrauten Umgebungsbild des Tals und seiner Menschen. Für die Einheimischen hatte das Fremde der Familie seinen Stachel verloren. Nur selten stand sie noch im