Karten!

Die berühmteste Karte der Welt: der Londoner U-Bahn-Plan | 316. 16 Karten für jedermann: .... (Eisland) nur so vor grüner Flora strotzt. Karten sind auch nur.
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Simon Garfield

Karten! Ein Buch über Entdecker, geniale Kartografen und Berge, die es nie gab Aus dem Englischen von Katja Hald und Karin Schuler

Originalausgabe: On the map, First Edition was originally published in English in 2012 by PROFILE BOOKS LTD, London Copyright © Simon Garfield, 2012, 2013

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Konrad Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG. Für die deutsche Ausgabe: © 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Lektorat: Christina Knüllig und Cornelius Hartz Satz: Satzpunkt Ursula Ewert GmbH, Bayreuth Einbandabbildung: www.nathanburtondesign.com Einbandgestaltung: Stefan Schmid Design, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-8062-2847-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-2902-8 eBook (epub): 978-3-8062-2903-5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Dava Sobel: Aus Liebe zu den Karten | 9 Einleitung: Die Karte, die sich selbst erschuf | 14 1 Kluge Köpfe und neues Wissen | 21 Wie die alten Griechen – Eratosthenes und Ptolemäus – als Erste die Größe und Form der Erde und unseren Platz auf ihr bestimmten.

2 Die Männer, die die Welt verkauften | 43 Der Tag, an dem Großbritanniens größter kartografischer Schatz – die mittelalterliche Mappa Mundi – an ein Auktionshaus ging, damit ein undichtes Dach repariert werden konnte. Sie sind im Jahr 1250, aber wissen Sie auch, wo? | 60

3 Die Welt nimmt Gestalt an | 66 Die Welt dreht sich um Jerusalem – und die Pole tauchen auf. Hic sunt dracones | 76

4 Venedig, China und eine Reise zum Mond | 79 Wie die Italiener zu den größten Kartenzeichnern der Welt wurden, dann die Deutschen, dann die Holländer. Und wie ein venezianischer Mönch die Geheimnisse des Ostens entdeckte und schließlich auf dem Mond landete.

Inhaltsverzeichnis

5 Das Geheimnis von Vinland | 92 Erreichten und kartierten die nordischen Seeleute Amerika tatsächlich vor Kolumbus? Oder ist die seltsamste Karte der Welt auch die weltbeste Fälschung?

6 Willkommen in America | 109 Ptolemäus taucht noch einmal in Europa auf und Amerika wird nach dem Falschen benannt. Kalifornien ist eine Insel! | 129

7 Was nützt uns Mercator? | 133 Wie die Welt im Jahr 1569 aussah – und heute, selbst wenn die Vereinten Nationen noch immer die mittabstandstreue Azimutalprojektion nach Postel bevorzugen. Totgeschwiegen: Drakes silberne Reise | 144

8 Die ganze Welt in einem Buch | 149 Der Atlas wird in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts zum Renner, die Times bietet einen eigenen an, und schließlich macht man Agitprop damit. Löwen, Adler und Gerrymander | 171

9 Von Lambeth mersh nach More feyldes: die Kartierung einer Stadt | 179 Auch London wird vom Kartenvirus erfasst, ist bei der Entwicklung von Stadtplänen ganz vorn dabei, und John Ogilby verzeichnet den Verlauf jeder wichtigen Straße in Britannia.

10 Sechs zunehmend koordinierte Geschichten über den Ordnance Survey | 193 Großbritannien, angespornt durch den Jakobitenaufstand, gründet den Ordnance Survey, der sogar in Indien tätig wird. Aber wie sieht das Symbol für einen Picknickplatz aus? Die Karte eines Mordes aus dem 19. Jahrhundert | 214

11 Die sagenhaften Kong-Berge | 218 Wie ein unüberwindlicher Gebirgszug wuchs und wuchs, bis ein französischer Offizier feststellte, dass es ihn gar nicht gab. Die dreisten Lügen des Benjamin Morrell | 235

Inhaltsverzeichnis

12 Cholera und die Karte, die das Sterben beendete | 239 Wie Karten halfen, die Ursache der Krankheit zu identifizieren. Mit Burke und Wills quer durch Australien | 251

13 Beim »X« müsst ihr graben: die Schatzinsel | 259 Schatzkarten in der Literatur und im wahren Leben.

14 Die schlimmste Reise der Welt zum letzten noch nicht kartierten Ort | 275 Wie Entdecker den Südpol ohne jede Karte fanden und die Region nach ihren Familien, Freunden oder Feinden benannten. Charles Booth hält Sie für ein übles Subjekt | 296

15 London von A bis Z | 302 Die Frau, die angeblich 23.000 Londoner Straßen zu Fuß ablief, hat vielleicht viel weniger in Augenschein genommen. Die berühmteste Karte der Welt: der Londoner U-Bahn-Plan | 316

16 Karten für jedermann: eine kurze Geschichte des Reiseführers | 323 Die majestätischen ausklappbaren Stiche von Murray und Baedeker weichen einem neuen dunklen Zeitalter der Kartografie J. M. Barrie kann keine Karten falten! | 340

17 Casablanca, Harry Potter und die Adresse von Jennifer Aniston | 343 Die Muppets reisen hier wunderbar auf der Landkarte, und wir sind den Stars auf den Fersen. Auf der Suche nach dem goldenen Hasen | 356

18 Bauanleitung für einen außergewöhnlich großen Globus | 360 Für Anfänger … etwa wenn Sie vorher eine Bowlingbahn betrieben haben. Churchills Kartenraum | 382

Inhaltsverzeichnis

19 Der weltgrößte Kartenhändler, der weltgrößte Kartendieb | 388 Wie verlockend sind Karten – und welche Art von Händlern und Dieben locken sie an? Frauen können keine Karten lesen. Ach, wirklich? | 404

20 Wenn möglich, bitte wenden | 412 Wie wir lernten, den langweiligsten Flugfilm aller Zeiten zu genießen – und wie die Holländer mithilfe von GPS wieder einmal die Kartierung der Welt übernahmen. Die Marskanäle | 427

21 Nimm eine Ereigniskarte oder rücke vor bis auf Skyrim | 437 Karten als Spiele, von Puzzles bis Risiko, und warum Computerspiele womöglich die Zukunft der Kartografie sind.

22 Die Kartierung des Gehirns | 454 Was Taxifahrer der Welt des Neurowissenschaftlers zu bieten haben.

Epilog: Die unmittelbare immer und überall verfügbare Selbstkartierung | 470 Wie das Internet alles änderte.

Danksagung | 493 Bibliografie | 495 Bildnachweis | 498 Register | 500

Vorwort von Dava Sobel Aus Liebe zu den Karten

Simon Garfield hätte für seine wunderbare Lobeshymne auf Landkarten keinen passenderen Titel finden können als den doppeldeutigen Originaltitel On the Map. Ein Buch »on the map« zu schreiben bedeutet, sich mit der Entwicklung der Kartografie im Laufe der Geschichte und innerhalb unterschiedlicher Kulturen zu beschäftigen. »On the map« zu sein, heißt aber auch, bekannt und etabliert zu sein. Garfields Einladung an seine Leser, sich in den Weiten der Landkarten zu verlieren, nehme ich sehr gerne an. Ich liebe Karten, würde mich selbst aber nicht als Kartensammlerin bezeichnen, obwohl ich in einer Schachtel unter meinem Schreibtisch etliche davon habe. Ich bewahre sie als Erinnerungen an all die Städte und Landschaften auf, durch die sie mich einmal geführt haben. Die wirklich begehrenswerten Exemplare – frühe Zeugnisse der Alten Welt, entstanden, bevor die Neue Welt in Erscheinung trat, oder Portolankarten mit Windrosen und Seeungeheuern – solche Raritäten sind für mich ohnehin unerschwinglich. Sie sollten dort zu finden sein, wo sie hingehören, in Museen und Bibliotheken und nicht hinter den (zu feuchten) Mauern meines Hauses. Ich beschäftige mich oft mit Karten. Während der Arbeit an einem Buchprojekt muss ich stets eine Karte der entsprechenden 9

Karten!

Gegend zur Hand haben, die mir dann dabei hilft, die Figuren zu verwurzeln. Aber auch in eher außergewöhnlichen Momenten denke ich über Karten nach. Beim Löschen von herausgefilterten Spammails fiel mir beispielsweise auf, dass »spam« von hinten gelesen »maps« (Karten) ergibt und Karten im Grunde genommen das genaue Gegenteil von Spam sind. Sie drängen sich einem niemals ungebeten auf, sondern ziehen einen in ihren Bann. Eine Karte kann ihren Betrachter bis an den Rand der Terra incognita führen und ihn dort verunsichert stehen lassen. Nur mit dem schlichten Vermerk »Standort« kann sie einem aber auch dieses beruhigende Gefühl vermitteln, das sich einstellt, wenn man weiß, wo man ist. Wenn ich beim Gehen auf meine Schritte achte, schaue ich nach unten. Genau dasselbe tun auch Karten. Ihre Vogelperspektive ist so selbstverständlich, so vertraut, dass man leicht vergisst, wie wichtig beim Kartieren auch der Blick nach oben ist. Ptolemäus’ Regeln der Kartografie aus dem 2. Jahrhundert basieren auf seinen vorangegangenen astronomischen Studien. Er holte sich die Sterne und den Mond vom Himmel, um mit ihrer Hilfe die 8000 bekannten Plätze der Welt auf einer Karte anzuordnen: Wendekreise und Äquator zeichnete er durch die Orte, über die die Planeten direkt hinwegzogen, und versuchte dabei, die Distanzen von Ost nach West so gut wie möglich mithilfe einer Mondfinsternis abzuschätzen. Ptolemäus war es auch, der den Norden am oberen Ende der Karte verortete, in Richtung eines einzelnen Sterns, der sich die ganze Nacht hindurch nicht bewegte. Auch ich verlasse mich, wenn ich eine Wegbeschreibung brauche, wie fast jeder heutzutage auf schnell verfügbare, computergenerierte Straßenkarten. Und bin ich zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, finde ich mich am besten mit der Karten-App meines Smartphones zurecht. Bereite ich mich jedoch ernsthaft auf eine Reise vor, brauche ich eine bessere Übersicht. Nur mithilfe einer Landkarte bekomme ich ein Gefühl dafür, wohin die Reise geht. Ohne vor meiner Abreise gesehen zu haben, ob mein Ziel die Form eines Stiefels, eines Fischschwanzes oder 10

Aus Liebe zu den Karten

eines Tierfells hat, kann ich, wenn ich einmal dort bin, kein richtiges Gespür für die Gegend entwickeln. Wenn ich jedoch schon vorab weiß, ob die Straßen in einem Gitter angeordnet sind oder im Kreis um ein Zentrum führen oder überhaupt keinem erkennbaren Plan folgen, dann sagt mir das sehr viel darüber, wie es sein wird, diese Straßen später entlangzuschlendern. Kann oder will man nicht tatsächlich wegfahren, dann bleiben als einzig mögliche Reiserouten natürlich nur die Wege auf einer Karte. Eine Karte kann uns überallhin führen: einfach ins Blaue, in die Tiefen des menschlichen Erbguts, auf den Gipfel des Mount Everest. Sie kann uns sogar die Bahnen der Venustransite der kommenden 3000 Jahre vorzeichnen, und selbst vergrabene Schätze, verlorene Kontinente und Geisterinseln sind auf einer Karte erreichbar. Was heiß es schon, ob wir unsere Karten-Traumziele jemals tatsächlich besuchen? Früher blieben selbst die berühmtesten Kartografen zu Hause. Fra Mauro beispielsweise fügte in seinem venezianischen Kloster die mageren Berichte unzuverlässiger Reisender zu einem eigenen tollen Weltbild zusammen. Ich liebe es, im visuellen Luxus von Karten zu schwelgen. Der sogenannte Vier-Farben-Satz, der besagt, dass vier Farben ausreichen, um eine Weltkarte zu erstellen, setzt der künstlerischen Freiheit keinerlei Grenzen. Und auch die Sprache der Karten klingt in meinen Ohren bunt und schillernd. Wörter wie »Meridian« und »Koordinaten« purzeln einem aus dem Mund und umspannen die ganze Welt mit einem Netz. Das Wort »Kartusche« (die dekorative Umrahmung des Titels oder der Legende einer Karte) fegt aus dem Mund wie ein Windstoß. Manche Ortsbezeichnungen klingen wie Jodler, andere wie ein Klicken oder wie Gesang. Mit Freuden würde ich die Elfenbeinküste von Grand-Bassam bis Tabou entlang wandern, nur um den Klang dieser Namen zu genießen. Karten sind verantwortlich für Verzerrungen, das ist schon richtig, aber es sei ihnen verziehen. Eine runde Welt auf ein flaches Blatt Papier zu zwingen, ohne dafür ein paar Proportionen zu op11

Karten!

fern, ist einfach nicht möglich. Alle Methoden der Kartenprojektion, von der nach ihrem Erfinder benannten Mercator-Projektion bis hin zur orthografischen Projektion, gnomonisch oder azimutal, verzerren den einen oder anderen Kontinent. Nur weil wir mit einem Weltbild aufgewachsen sind, in dem Grönland dieselbe Landmasse wie Afrika zu haben scheint, heißt das noch lange nicht, dass ich dies auch glaubte, genauso wenig wie ich mich über den ganz missverständlichen Namen von Grönland (Grünland) grämte, wo die Insel doch voll Eis ist, während das benachbarte Island (Eisland) nur so vor grüner Flora strotzt. Karten sind auch nur menschlich. Jede Karte erzählt eine Geschichte. Die pittoresken antiken Exemplare erzählen von Erkundungen und Eroberungen, von Entdeckungen, Besitzansprüchen und Ruhm, ganz zu schweigen von der grausamen Ausbeutung einheimischer Völker. Auf modernen Karten kann die Geschichte, die hinter ihrer Entstehung steckt, neben einer Unmenge von naturgegebenen und von Menschen hinzugefügten Informationen leicht verblassen. Dennoch bieten aktuelle Karten eine tolle Vorlage für neue Geschichten: Befreit von topografischen Details und überschrieben mit den unterschiedlichsten neuen Daten, können sie beispielsweise Aussagen über das Wählerverhalten bei der letzten Wahl oder über die Verbreitung einer Krankheit bei drohenden Epidemien machen. Noch besser als eine Karte ist nur ein Atlas. Der Titan, der einst den Himmel und die Erde auf seinen Schultern trug, gab seinen Namen sowohl einem Gebirgszug als auch einer Kartensammlung im Buchformat. Einige dieser würdigen Namensvettern des Titans stehen auch in meinem Regal, und man braucht starke Arme, um sie auf den Tisch zu hieven. Ich könnte auch noch von Globen schwärmen. Ganz besonders haben es mir da die alten Modelle angetan, die paarweise gebaut und verkauft wurden: Erdkugel und Himmelskugel (der Himmel ebenfalls von oben dargestellt, mit umgekehrt angeordneten Konstellationen). Aber auch ein Globus ist nur eine aufgebla12

Aus Liebe zu den Karten

sene Karte in neuer Form. Zu Beginn ist auch er flach, besteht aus einer Reihe bedruckter oder bemalter Dreiecke, die der Kugel erst angepasst werden müssen, um die Erde zu einem Ganzen zusammenzufügen. Wenn auch Ihre Reiselust durch Karten beflügelt wird, dann sollten Sie weiter lesen.

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Einleitung Die Karte, die sich selbst erschuf

Im Dezember 2010 veröffentlichte Facebook eine neue Weltkarte, die ebenso erstaunlich wie schön war. Einerseits konnte man sie sofort als Weltkarte erkennen – eine Varianten der Standardprojektion von Gerardus Mercator aus dem 16. Jahrhundert – andererseits mutete sie aber merkwürdig fremd an. Sie bestand aus einer leuchtend blauen Fläche, die mit hauchdünnen, einem Seidengeflecht ähnlichen Linien überzogen war. Weshalb die Karte seltsam wirkte? China und Asien waren kaum zu erkennen, und Ostafrika schien abgetaucht zu sein. Andere Länder wiederum befanden sich offensichtlich nicht an ihrem richtigen Platz. Dieser Eindruck entstand, weil es sich hier nicht um eine Weltkarte handelte, auf der alle Facebook-Mitglieder weltweit verzeichnet waren, sondern um eine Karte, die aus Facebook-Kontakten generiert worden war. 500 Millionen Kartografen auf der ganzen Welt hatten die Karte zeitgleich gezeichnet. Ein Praktikant namens Paul Butler hatte mithilfe der Datenbank der Firma die Standortkoordinaten aller Mitglieder festgestellt und diese mit den Koordinaten der Orte verbunden, zu denen die Nutzer Kontakte pflegten. In seinem Blog erklärte But14

Die Karte, die sich selbst erschuf

ler dazu: »Jede Linie könnte für eine Reisebekanntschaft stehen, für ein Familienmitglied im Ausland oder für einen alten Schulfreund, den das Leben woandershin verschlagen hat.« Damals hatte Facebook ungefähr 500 Millionen Mitglieder, weshalb Butler ein ziemliches Chaos erwartet hatte, ein enges Gewirr aus Linien, das sich zu einem Klumpen zusammenballen würde (ähnlich den Kabeln auf der Rückseite eines dieser frühen Computer). »Stattdessen«, erinnert er sich, »zeichnete sich nach ein paar Minuten der Datenübertragung ein erkennbarer Umriss ab, und ich war ziemlich überrascht. Der Klumpen hatte sich in eine detaillierte Weltkarte verwandelt. Nicht nur die Kontinente waren zu erkennen, sogar einzelne Landesgrenzen wurden sichtbar. Was mich aber am meisten verblüffte, war die Erkenntnis, dass die einzelnen Linien nicht für Küsten, Flüsse oder politische Grenzen standen, sondern für reale menschliche Beziehungen.« Die Karte war das ideale Sinnbild für etwas, das mir der Facebockgründer Mark Zuckerberg ein Jahr, bevor Butler diese Karte kreierte, in einem Interview erzählt hatte. »Bei Facebook handelt es sich nicht um eine neu erschaffene Gemeinschaft«, sagte er, »sondern lediglich um eine Zusammenführung der vielen unterschiedlichen Gemeinschaften, die weltweit schon längst existieren.« Die digitale Revolution – so wie sie sich auf der FacebookKarte fein säuberlich eingesponnen darstellt – hat das Kartieren stärker verändert, als alle Neuerungen der Kartografie der letzten Jahrhunderte zusammen. Wir haben Karten-Apps auf unseren Handys, Google Earth auf den Computern und können uns kaum noch daran erinnern, wie wir uns früher ohne das alles zurechtfanden. Ich erinnere mich vage daran, dass wir Karten kauften, die man zusammenfalten konnte, oder besser gesagt, die man zusammenfalten konnte, solange sie neu waren, und danach nie wieder. Oder dass wir uns immer beinahe die Schulter ausgekugelt haben, wenn wir schwere Atlanten aus den Regalen zogen und uns dann beim Durchblättern des Index wunderten, wie viele Springfields es in den USA gibt. 15

Karten!

Die Karte, die sich selbst erschuf

Dass all diese kleinen Freuden zu verschwommenen Erinne­

Karte ausmachen, die vor ungefahr 14.000 Jahren von Höhlenbe­

rungen werden, ist keine unwesentliche Veränderung. Seit wir als

wohnern in den Stein gekratzt wurde. Dawkins geht mit seinen

Jäger und Sammler Nahrung und Schutz in den afrikanischen

Spekulationen sogar noch weiter, indem er behauptet, das Erstellen

Ebenen suchten, sind physikalische Karten ein lebensnotwendiger

von Karten könnte mit seinem zugrunde liegenden Konzept von

Teil unserer Welt. Richard Dawkins geht davon aus, dass die aller­

Maßstab und Raum ein Auslöser für die Ausdehnung und Ent­

erste Karte entstand, als ein Spurensucher, der es gewohnt war,

wicklung des menschlichen Gehirns gewesen sein.

Pfaden zu folgen, eine Karte in den Staub zeichnete. Und tatsäch­

Karten sind mit anderen Worten Zeugen unserer Menschlich­

lich konnten spanische Archäologen erst vor Kurzem eine Art

keit. Sie stehen in engem Zusammenhang mit unserer Geschichte

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