Hörspielprojekte in der Grundschule: Anleitung zur ... AWS

Abschließend sollen die Ergeb- nisse zusammengefasst und bewertet sowie ihre Bedeutung für die Pädagogik herausge- arbeitet werden. Anmerkung: Ich weise darauf hin, dass in dieser Arbeit in der Regel die männliche Schreibweise verwendet wird, dabei aber weibliche Personen mit eingeschlossen sind, sofern nicht.
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Prieß, Eva: Hörspielprojekte in der Grundschule: Anleitung zur spielerischen Vermittlung von Medienkompetenz, Hamburg, disserta Verlag, 2015 Buch-ISBN: 978-3-95425-350-0 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95425-351-7 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2015

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Inhalt 1 Einleitung ................................................................................................................. 11 2 Hören und Zuhören ................................................................................................ 13 2.1 Der Hörsinn ........................................................................................................ 13 2.2 Aktives Zuhören ................................................................................................. 14 2.3 Hörerziehung ...................................................................................................... 16 3 Kindheit und kindliche Lebenswelten................................................................... 19 3.1 Kindheit .............................................................................................................. 19 3.2 Entwicklungsstand 6-12jähriger ........................................................................ 22 3.3 Sozialökologische Sichtweise von Kindheit ...................................................... 29 Lebenswelten .......................................................................................................... 32 4 Medien im Alltag von Kindern .............................................................................. 39 4.1 Kinder und Hörspiele ......................................................................................... 43 4.1.1 Merkmale von Hörspielen .......................................................................... 44 4.1.2 Beliebte Themen und Inhalte...................................................................... 45 4.1.3 Stellenwert und Funktionen von Hörspielen im Alltag von Kindern ......... 47 4.1.4 Probleme durch Hörspielkonsum ............................................................... 52 4.1.5 Bewertungskriterien für Hörspiele ............................................................. 57 Inhalt................................................................................................................... 58 Sprache ............................................................................................................... 58 Figuren ............................................................................................................... 59 Musik und Geräusche ......................................................................................... 60 Dramaturgie ....................................................................................................... 61 Gestaltung/Montage ........................................................................................... 61 4.2 Die Wissenskluft-Hypothese.............................................................................. 63

5 Medienkompetenz ................................................................................................... 66 5.1 Kommunikative Kompetenz .............................................................................. 66 5.2 Der Begriff „Medienkompetenz“ ....................................................................... 68 5.3 Medienkompetenz von Grundschulkindern ....................................................... 74 5.4 Medienkompetenz in der Schule ........................................................................ 75 5.5 Förderung von Medienkompetenz ..................................................................... 78 6 Handlungsorientiertes Lernen ............................................................................... 83 6.1 Der Handlungsbegriff ........................................................................................ 83 6.2 Handlungsorientierte Lehr-Lernprozesse ........................................................... 84 6.3 Medien in handlungsorientierten Lehr-Lernprozessen ...................................... 87 7 Anregungen aus der Praxis .................................................................................... 94 7.1 Radioprojekte ..................................................................................................... 94 Kinderradio Kurzwelle ........................................................................................... 94 7.2 Projekte zum aktiven Zuhören ........................................................................... 99 Ohrenbär und mehr .............................................................................................. 100 Hörclubs an Grundschulen und „Ohrenspitzer“ ................................................. 101 7.3 Hörspielprojekte ............................................................................................... 105 Forschungsprojekt zur auditiven Medienerziehung in der Grundschule ............. 105 8 Konzept für ein interdisziplinäres Hörspielprojekt in der Grundschule ........ 111 8.1 Gründe für ein schulisches Projekt .................................................................. 111 8.2 Gründe für ein Hörspielprojekt ........................................................................ 113 8.3 Struktureller Projektrahmen der Grundschule ................................................. 115 8.3.1 Allgemeiner Rahmen ................................................................................ 116 8.3.2 Lehrplan Klasse 3 in NRW....................................................................... 117 Deutsch ............................................................................................................. 119 Musik ................................................................................................................ 122

Sachunterricht .................................................................................................. 124 Kunst ................................................................................................................. 125 Evangelische und katholische Religionslehre .................................................. 126 Mathematik ....................................................................................................... 127 Englisch ............................................................................................................ 129 Sport ................................................................................................................. 131 8.3.3 Vorgehensweisen bei Hörspielproduktionen mit Grundschulkindern...... 132 8.4 Ziele ................................................................................................................. 138 8.5 Technische Voraussetzungen und benötigtes Material .................................... 139 8.6 Ablaufplan ........................................................................................................ 140 Der erste Tag ........................................................................................................ 142 Der zweite Tag ...................................................................................................... 143 Der dritte Tag ....................................................................................................... 145 Der vierte Tag ....................................................................................................... 146 9 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ....................................................... 148

1 Einleitung Untersuchungen zum Medienumgang von Kindern beschäftigen sich sehr häufig mit dem Fernsehen, aber auch zu Computern und dem Internet gibt es weitreichende Forschungen. Auditive Medien werden dagegen bei solchen Untersuchungen oft vernachlässigt (vgl. Groebel 1994, S.22). In dieser Arbeit soll herausgearbeitet werden, welche Bedeutung auditive Medien in der heutigen Lebens- und Medienwelt noch für Kinder haben und wie diese sie nutzen. Dabei soll der Schwerpunkt auf die Bedeutung und Nutzung von Hörspielen gelegt werden. Insbesondere wird sich diese Arbeit außerdem mit den Möglichkeiten der Vermittlung und Erlangung von Medienkompetenz durch handlungsorientierte Hörspielarbeit auseinandersetzen. Es soll weiterhin aufgezeigt werden, welche Förderungsmöglichkeiten auditive Medien Kindern darüber hinaus bieten und welche Bedeutung die auditive Wahrnehmung für sie hat. Dabei soll erarbeitet werden, inwieweit die Institution Schule zur Vermittlung von Medienkompetenz beitragen kann und wie durch die Arbeit an einem Hörspielprojekt außer der Medienkompetenz unter anderem die Sprachkompetenz und die Auditive Wahrnehmung der Schüler gefördert werden sowie Wissensklüfte verringert werden können. In diesem Zusammenhang sollen auch einige Praxisbeispiele von Projekten mit auditiven Medien vorgestellt werden. In einem weiteren Teil der Arbeit soll ein auf der Grundlage der zuvor erarbeiteten Ergebnisse erstelltes Konzept für ein interdisziplinäres Hörspielprojekt mit einer 3. Grundschulklasse erstellt werden. Abschließend sollen die Ergebnisse zusammengefasst und bewertet sowie ihre Bedeutung für die Pädagogik herausgearbeitet werden.

Anmerkung:

Ich weise darauf hin, dass in dieser Arbeit in der Regel die männliche Schreibweise verwendet wird, dabei aber weibliche Personen mit eingeschlossen sind, sofern nicht anders angegeben. Außerdem wird die Arbeit nach den Regeln der neuen Rechtschreibung verfasst. Die Ausnahme bilden hierbei Zitate aus Schriften aus Zeiten vor der Rechtschreibreform, die selbstverständlich nicht verfälscht werden. Kursive Hervorhebungen in Zitaten werden jeweils vom Original übernommen. In der genutzten Literatur ist in vielen Fällen nicht allgemein von Hörspielen, sondern speziell von Hörkassetten die Rede. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass besonders vor ein paar Jahren, als CDs und das MP3-Format noch weniger verbreitet waren, hauptsächlich Kassetten 11

zum Hörspielkonsum genutzt wurden, was aufgrund einer sich ändernden Medienwelt mittlerweile weniger vorauszusetzen ist. Da ich inhaltlich zwischen Hörspielen und Hörkassetten (verstanden als Hörspielkassetten, unterschieden von Musikkassetten oder der beides umfassenden Bezeichnung Tonkassetten) keinen Unterschied feststellen kann, werden diese Begriffe in weiten Teilen synonym verwendet, wobei darauf geachtet wird, Untersuchungsergebnisse nicht durch die Wortwahl verfälscht darzustellen.

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2 Hören und Zuhören Da auditive Wahrnehmung, also das Hören, für das Thema dieser Arbeit eine hohe Relevanz aufweist, soll zunächst darauf eingegangen werden, was genau darunter zu verstehen ist und welche Bedeutung der auditiven Wahrnehmung zukommt.

2.1 Der Hörsinn Das Ohr nimmt Eindrücke aus der Umwelt auf, indem Töne durch Schallwellen, also regelmäßig wiederkehrende Luftdruckschwankungen verschiedener Frequenz, zustande kommen. So können Töne und Geräusche wahrgenommen und unterschieden werden, wobei mit steigender Frequenz die Tonhöhe steigt. Die Schallwellen passieren drei verschiedene Abschnitte des Ohrs, bevor sie ins Hörzentrum des Hirns gelangen: das Außenohr, das Mittelohr und das Innenohr. Durch das Gehör können die Entfernung und die Richtung von Schallwellen wahrgenommen werden, dies wird als auditive Lokalisation bezeichnet. Durch die akustische Raumerkennung kann man Entfernungen abschätzen. Für die akustische Richtungswahrnehmung braucht man beide Ohren, denn wichtig ist hierbei der Zeitunterschied des ankommenden Schalls und der Schallschatten auf der abgewendeten Kopfseite. Unter auditiver Aufmerksamkeit versteht man, sich auf Gehörtes konzentrieren zu können. Die auditive Figur-Grund-Wahrnehmung ist die Fähigkeit, Reize aus ihrem Hintergrund, den Nebengeräuschen, herauszulösen. So kann man ein im Straßenverkehr hupendes Auto wahrnehmen oder trotz Lärm im Gruppenraum die Stimme der Erzieherin hören. Es ist also selektives Hören möglich (vgl. Singerhoff 2001, S.31f.). Auditive Diskrimination besagt, dass Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Lauten erkannt und richtig zugeordnet werden können, in Bezug auf den Spracherwerb ist es wichtig, ähnlich klingende Buchstaben wie d, t und g, k unterscheiden zu können. „Das Funktionieren des Hörsinns ermöglicht uns, in Kommunikation zu anderen Menschen zu treten, und er ist die Grundvoraussetzung für das Erlernen der Sprache“ (Singerhoff 2001, S.32).

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Gehörtes muss man außerdem speichern, damit es wieder erkannt und abgerufen werden kann, beispielsweise ist das Merken können der Reihenfolge von Buchstaben eine Grundlage des Lesenlernens. Dies nennt sich auditive Merkfähigkeit. Auditive Wahrnehmung heißt in diesem Zusammenhang auch, Gehörtes verstehen und inhaltlich zuordnen können. Man sollte also die Bedeutung einer Hupe und den Sinnzusammenhang von Wörtern und Buchstaben verstehen. Die Ohren können nicht (wie die Augen) geschlossen werden, um sich vor Reizüberflutungen wie Lärm, Stimmengewirr und Musik zu schützen. Ein Kind lernt die Sprache zuerst über das Gehör. Fördert man den Hörsinn, wird also auch der Sprachsinn gefördert (vgl. ebenda). Auch mit geschlossenen Augen bekommt man einen Eindruck von dem Ort, an dem man sich gerade befindet, denn man kann die Schallwellen, die sich an den Wänden brechen und wieder zurückkommen, interpretieren. Je kahler die Wände, desto direkter kommt der Schall zurück. So kann der Hörer auch bei Tonaufnahmen anhand des Rückhalls der Töne auf den Raum schließen, in dem sich der Sprecher befindet, ob draußen, in der Kirche, im Bad oder im Tonstudio mit schaumgummigepolsterten Wänden, die Rückhall vermindern. Menschliche Stimmen enthalten viele Informationen. Jeder hat eine charakteristische Tonlage, zum Beispiel fest oder unsicher, rau oder warm. Man meint an ihr das Alter zu erkennen, die Figur und ob jemand energisch oder sanft ist. Egal was gesagt wird, die Stimme wird vom Hörer interpretiert, wobei das auditive Erscheinungsbild eines Sprechers nicht immer mit der Realität übereinstimmt. Zudem ist wichtig, wie jemand etwas sagt. Ironie verkehrt ein und denselben Satz ins Gegenteil, Frage und Befehl haben oft den gleichen Wortlaut. Man hört nicht nur über die Ohren, der ganze Körper nimmt Schallwellen auf, durch seinen Flüssigkeitsgehalt eignet er sich besonders gut als Resonanzkörper, da Schallwellen sich in Flüssigkeiten leichter verbreiten als in der Luft (vgl. Pöttinger 2005, S.22f.). Damit ist das Hören ein wichtiger Bestandteil des menschlichen Lebens.

2.2 Aktives Zuhören Heutzutage wird häufig darüber geklagt, dass Kinder nicht mehr zuhören könnten und daher in der Schule Sinnzusammenhänge und Erklärungen nicht verstünden. Es wird angenommen, dass sie Anordnungen oft nicht absichtlich missachten, sondern einfach 14

nicht dazu fähig sind, aus einem hohen Lärmpegel eine Stimme heraus zu filtern (vgl. Pöttinger 2005, S.20). Immerhin ist Hören laut Jutta Wermke „eine eher unspezifische, nicht gerichtete Art der Wahrnehmung. Die diffuse Aufmerksamkeit ist in Alltagssituationen angebracht und überschreitet im Allgemeinen erst bei ungewohnten, fremden, überraschenden Geräuschen die Schwelle der bewussten Wahrnehmung“ (Wermke 1995, S.203). Das bedeutet, dass man mehr hört als man versteht, und sich Hören nur über den Kontext erschließt. Wahrgenommen wird Schall. Ob Geräusch, Lärm oder Musik entscheidet man über Interpretation, das ist also eine gemeinsame Leistung des physischen Ohrs und des Gehirns. Teilweise ist kulturell konstruiert, als was der Schall gedeutet wird. Musik anderer Kulturen muss nicht als solche empfunden werden und verschiedene Generationen nehmen Musik unterschiedlich wahr in Bezug auf Melodie, Stil, Lautstärke und Tonhöhe (vgl. Pöttinger 2005, S.20). Lernende hören laut Ida Pöttinger oft dann nicht zu, wenn kein persönlicher Bezug zum Thema hergestellt werden kann. Daher beginne das Zuhören mit dem Anknüpfen an den eigenen Interessen. Hörclubs versuchen, diesen Mangel auszugleichen und Kinder zum Zuhören zu bewegen (siehe Abschnitt 7.2). Ursprünglich stammt der Begriff „aktives Zuhören“ aus der Gesprächstherapie. Carl Rogers fiel zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf, dass Menschen sehr selbstbezogen miteinander kommunizieren. Um dagegen anzugehen entwickelte er eine Methode, bei der besonders auf das empathische Verstehen wert gelegt wird. Dieses bedeutet vorurteilslose Akzeptanz verbunden mit verbaler Bestätigung des Gesagten (vgl. Rogers 1998, S.277). Andere entwickelten diese gesprächstherapeutische Methode weiter. Unterschieden wird dabei immer zwischen Zuhören und Hinhören. Wer hört, aber nicht hinhört, ist demnach nur mit sich selbst beschäftigt, merkt nur sporadisch auf und folgt dem Gespräch nur, bis er selbst reden kann. Wer hinhört, aber nicht zuhört hingegen nimmt demzufolge auf, was der andere sagt, bemüht sich dabei aber nicht, herauszufinden, was er eigentlich meint. Richtiges Zuhören zeichnet sich nach dieser Definition dadurch aus, dass dem anderen auch eine Rückmeldung gegeben wird, damit er merkt, dass er richtig verstanden wurde. Das wird dann als „aktives Zuhören“ bezeichnet. Dabei reicht es wiederum nicht, den Wortlaut des anderen in eigenen Worten zu wiederholen, das wäre umschreibendes Zuhören. Beim aktiven Zuhören soll auf das eingegangen werden, was der andere zwischen den Zeilen sagt. Dabei sind ebenfalls wichtig: der Tonfall, die Stimme und der Gesichtsausdruck.

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Aktives Zuhören findet man außer in der Gesprächstherapie beim Personaltraining und Coaching. Dazu gehören eine vorurteilslose Haltung, Einfühlungsvermögen, kein Unterbrechen, Achtung auf Blickkontakt und Körperhaltung des Gegenübers sowie urteilsfreie Rückmeldung auf das Gesagte.

Pöttinger weist jedoch auch auf eine andere Interpretation aktiven Zuhörens hin. Diese sieht Zuhören als eine aktive Tätigkeit, bei der man ständig auswählen und sich auf bestimmte Reize im akustischen Zentrum konzentrieren muss und fordert, dies zu trainieren (vgl. Pöttinger 2005, S.27). Daher fragt Pöttinger kritisch: „Während im therapeutischen Spektrum mehr auf Offenheit gesetzt wird, wird hier gerade das sich Verschließen gegenüber dem Überflüssigen propagiert. Welche Art von Zuhören ist nun wichtiger für die Kinder unserer Zeit?“ (ebenda). Jutta Wermke unterscheidet zwischen Horchen und Lauschen. Horchen „ist ein kurzfristig aktualisiertes und forciertes Hören. Die gespannte Aufmerksamkeit ist auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, die Wahrnehmung analytisch und selektiv“ (Wermke 1995, S.205), Lauschen „ist ein hochkonzentriertes (das mag die gelegentlich synonyme Verwendung mit Horchen erklären), aber zugleich selbstvergessenes Hören, das sich entspannt den Eindrücken hingibt. Lauschen setzt Muße voraus, Ruhe und Gelassenheit, um sich einzuhören in geheimnisvolle ästhetische Botschaften, um sie zu verstehen“ (ebenda). Pöttinger spricht sich dafür aus, auch das Lauschen, welches sie als passives Zuhören bezeichnet, zuzulassen, „denn was den Kindern fehlt, ist das sich Einlassen auf Zufälliges, Unbekanntes, Unberechenbares, das Erfassen einer Gesamtsituation und nicht eines Satzes oder isolierten Geräuschs“ (Pöttinger 2005, S.28). Dabei werde vielleicht nicht gleich der Sinn des Gehörten erfasst, doch er erschließe sich dann oft über innere Bilder, eigene Erfahrungen und Analogiebildungen. Ihrer Meinung nach können Kinder sich beim entspannten Zuhören ihrer selbst bewusst werden, auf ihre innere Stimme hören und an ihre eigenen Gefühle herankommen (vgl. ebenda).

2.3 Hörerziehung Hörerziehung spielt im Unterricht der Primarstufe eine wichtige Rolle: „Das Hören ist für viele Lern- und Lehrinhalte maßgebend, so zum Beispiel beim Erstlesen, für die Rechtschreibung, für die Musikerziehung und nicht zuletzt für den mündlichen Sprachgebrauch. Aber nicht nur in der Schule, sondern insbesondere auch im außerschulischen 16

Leben sind akustische Informationen und Eindrücke überall präsent. In diesem Zusammenhang wirkt die These Spinners (1988) beunruhigend, die besagt, daß die Fähigkeit der Kinder abnimmt, wirklich zuhören zu können“ (Treumann/Schnatmeyer/Volkmer 1995, S.66). Nach Wolfgang Neubauer besteht die Hörerziehung aus folgenden Punkten, die sich alle im Rahmen eines Hörspielprojektes erfüllen lassen: •

„Aufnahmefähigkeit: Schulung der auditiven Wahrnehmung durch Aufgaben, die bewußtes, intensives, konzentriertes Hören fordern;



Strukturfähigkeit:

Schulung

des

Differenzierungsvermögens

durch

auditive

Diskrimination; •

Interpretationsfähigkeit: Schulung der Sinnentnahme aus akustisch übermittelter verbaler und non-verbaler Information;



Handlungsfähigkeit: Individuelles und kooperatives Entdecken der Manipulationsmöglichkeiten von Klangphänomenen durch Experimentieren und Produzieren“ (zitiert nach Treumann/Schnatmeyer/Volkmer 1995, S.67).

Zur Schulung der Aufnahmefähigkeit und Strukturfähigkeit sollen gezielte Höraufgaben gestellt werden, wie das Identifizieren von Geräuschen. Das erfordert eine hohe Konzentration. Genau das, was in Bezug auf die Interpretationsfähigkeit verlangt wird, ist beim Rezipieren von Hörspielen gefordert. Auch zur Handlungsfähigkeit passt das Produzieren eines eigenen Hörspiels, denn dies bedeutet handelndes und experimentierendes Entdecken von Klängen, zudem müssen die Kinder dabei Geräusche identifizieren und manipulieren, indem sie beispielsweise mithilfe von Reis Regen nachahmen (vgl. Treumann/Schnatmeyer, Volkmer 1995, S.67f.). Maier formuliert diese vier Ziele der Hörerziehung in ähnlicher Form. Zur Schulung der Aufnahmefähigkeit und der Strukturfähigkeit in der Primarstufe schlägt er vor, mit den Kindern ein „Tonrätsel“ zu machen, bei dem sie Alltagsgeräusche wie einen Fön oder Mixer oder die verschiedenen Geräusche eines Klangportraits eines Alltagsortes wie einem Bauernhof erkennen müssen. Zur Schulung der Strukturfähigkeit empfiehlt Maier außerdem die Gestaltung von Klanggeschichten zu einem bestimmten Thema, zum Beispiel „wilder Westen“, oder die Vertonung von Trickfilmen, möglichst mit natürlich klingenden, obgleich künstlich erzeugten Geräuschen. Bei der eigenen Gestaltung der Vertonung von Texten oder Gedichten werde das auditive Gedächtnis der Schüler aktiviert, außerdem fördere dies deren Interpretations17

fähigkeit, da sie sich bei der Gestaltung von Tönen ihrer Wirkungen auf die Befindlichkeit bewusst würden. Zusätzlich fördere dies ihre Handlungsfähigkeit. Insgesamt führe das schließlich zu mehr Reflexion des eigenen Medienhandelns: warum hört man etwas Bestimmtes, wenn man traurig oder wütend ist? Maier weist darauf hin, dass sich die Handlungsfähigkeit auch durch die Übertragung von Stimmungen, Gefühlen oder Jahreszeiten in Klang- oder Geräuschbilder fördern ließe. Dabei werde zudem der emotionale Gehalt von Tonfolgen erschlossen und im Literaturunterricht der Zugang und die Analyse von lyrischen oder erzählenden Texten erleichtert. Insgesamt sieht Maier im kreativen und bewussten Umgang mit Tönen ein Potential für aktive Medienanwendung (vgl. Maier 1998, S.140f.). Dies zeigt, wie weitreichend Hörerziehung sein kann.

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3 Kindheit und kindliche Lebenswelten Um feststellen zu können, welche Rolle Medien in der Lebenswelt von Kindern einnehmen und um bei der Medienarbeit mit Kindern auf ihre Lebenswelt zurückgreifen zu können, muss zunächst geklärt werden, was kindliche Lebenswelten ausmacht. Dies soll im Folgenden geschehen.

3.1 Kindheit Kindheit als die Phase zwischen der Geburt und dem Eintritt der Geschlechtsreife zu definieren ist zu kurz gegriffen. In dieser Definition wird übersehen, dass Kindheit gesellschaftlich produziert wird und nicht einfach gegeben ist, es wird dabei nicht erläutert, was sie inhaltlich ausmacht. Da Gesellschaften kulturellen Wandlungen unterliegen, ist die Kindheit historisch entstanden und bedeutete zu verschiedenen Zeiten Unterschiedliches (vgl. Baacke 1999, S.65). Nach Ariès sah man Kindheit im Mittelalter noch nicht als besonderen Lebensabschnitt, Kinder lebten daher wie Erwachsene. Die Familie war hauptsächlich eine Produktionsgemeinschaft, in der emotionale Beziehungen kaum eine Rolle spielten. Erst allmählich wurde die Kindheit als eigener Lebensabschnitt entdeckt. Damit ist Kindheit nicht nur von der biologischen Entwicklung bestimmt, sondern auch sozial anerkannt (vgl. Baacke S.67). Schließlich verlängerte sie sich durch den organisierten Schulbesuch. Das Kind wurde nun als schutzbedürftig erkannt, aber auch als zu bändigen, weil voller wilder Triebe und Neugier. Es entstanden Erziehungsleitbilder wie das des Gentlemans; diese führten so zur zunehmenden Zivilisierung der Kindheit. Die Kindlichkeit wurde im Folgenden betont und strenge Erziehungsmaßnahmen kamen zum Einsatz, da man zwar die Welt der Kinder immer mehr entdeckte und berücksichtigte, sich das Ziel der Erziehung nun aber nicht mehr aus dem natürlichen Umgang ergab (vgl. Baacke 1999, S.69ff.). Heute werden Kinder zunehmend als kompetente Wesen betrachtet, so dass Zivilisierung keineswegs über Dressurakte zu erfolgen hat. Dabei wird Kindheit weitgehend als geschützter Raum gesehen, abgetrennt von den Pflichten und Ernsthaftigkeiten der Erwachsenen und der Jugendphase, welche wiederum als Raum der Unsicherheit, Neuorientierung und schwindender Unschuld gilt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts

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wurde Kindheit aufgefasst als Phase der Erwerbsfreiheit und Raum des Lernens. Sie wurde als eigener Erziehungsstatus institutionalisiert in Kindergärten, Vorschulen und Grundschulen. Kinderschutzbewegungen kämpften gegen die physische und sittliche Gefährdung von Kindern durch Lohnarbeit und städtische Lebensbedingungen. Mittlerweile ist das hierarchische Gefälle zwischen Eltern und Kindern stark abgebaut worden, es ist selbstverständlich geworden, dass Kinder in ihrer Persönlichkeitsentfaltung unterstützt werden (vgl. Baacke 1999, S.83). Nach dem Konzept der Selbstsozialisation sind Kinder beim Lernen und Wahrnehmen immer weniger auf Eltern oder sonstige Erziehungspersonen angewiesen. Sie arbeiten eigenständig mit ihrer Kompetenz und erweitern sie durch Übung und im Umgang mit Freunden, stimuliert durch Neugier bis an den Rand von Risikoverhalten. Beispielsweise mit Medien hantieren Kinder viel unbefangener als Eltern. So werden Kindheit und Kinder heute als zu respektierende, früh eigenständige Persönlichkeiten gesehen, die nicht in die Logik festliegender Entwicklungsphasen eingegliedert sind, sondern sich selbst behaupten (vgl. Baacke 1999, S.87f.). Dennoch dürfen die Grenzen der Vorstellung des kompetenten Kindes nicht überschritten werden, nicht immer können Kinder sich ihre Umwelt optimal gestalten, zum Beispiel werden sie in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt, können die Lerninhalte in der Schule kaum mitbestimmen. Man erwartet heute, dass die Gesellschaft und die Welt vom Kind aus gerettet werden, was Kinder überfordert, da sie selbst unter der unvollkommenen Welt leiden (vgl. Baacke 1999, S.90). Es gibt in jeder Gesellschaft bestimmte normative Vorstellungen einer Altersgruppe, die durch Erziehung und Bildung eingehalten werden sollen, heute für Kinder zum Beispiel Niedlichkeit, Anhänglichkeit, Abhängigkeit, Unselbständigkeit, Schutzbedürftigkeit und Unschuld. Kindheit ist längst nicht mehr der pädagogische Schutzraum, in dem sich kindliches Wachstum angemessen entfalten kann. Weder die Privatheit der Familie, noch der erzieherisch-bildende Auftrag der Schule kann die Kindheit absichern, sie ist stattdessen ausgeliefert an viele gemeingesellschaftlich vorhandene Institutionen und Einrichtungen mit ihren jeweiligen Absichten. So wurde Kindheit vergesellschaftet und wird wesentlich von gesellschaftlichen Mächten bestimmt (vgl. Baacke 1999, S.92f.). „Während Kinder also einerseits aus der Lebenswelt der Erwachsenen ausgegrenzt wurden, wird ihre Kindheit durch gesamtgesellschaftliche Tendenzen andererseits oft wirksam strukturiert und beeinflußt“ (Baacke 1999, S.93). Indirekt zeigt sich das in gesetzlichen Regelungen, die sich auf den Alltag auswirken, so wie die Höhe des Familiengeldes, der Jugendschutz, der Arbeitsmarkt und die Lehrpläne, Ansprüche sowie Leistungskriterien der Schule und deren

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