Die Paepstin von Mailand - Christine Neumeyer-pdf

vor den Inquisitoren der Ketzer Guido von Co- chenato und Raynerio von Pirovano, ... Ich weiß in der Tat, was hier zu tun ist. Gleich morgen werde ich zur ...
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Christine Neumeyer

Die Päpstin von Mailand Die Geschichte der Vilemiten Roman

© 2013 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2013 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag, Berlin Coverbild: iStockphoto: 13454296, Our Lady Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0533-4 AAVAA Verlag www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt .

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PROLOG Stefano Valerio drehte den Hals der Stehlampe näher und blätterte in dem Werk, das er vor kurzem als zehnten Titel einer Serie dem greisen Mediziner in der Via Romano abgekauft hatte. Kunstvoll geschwungene Anfangsbuchstaben zierten den Beginn jeder Seite. Insgeheim fragte er sich, ob über hundert Jahre alte Abbildungen Mailands und Reiseberichte heute noch jemanden interessieren? Der Antiquar runzelte die Stirn. Immerhin hat mir Don Pigiere, der Pater der Basilika Sant’Eustorgio, kürzlich mit glühenden Augen von seiner Sammlung historischer Stadtpläne vorgeschwärmt. Wie sehr wird er sich erst über eine Karte aus der Renaissance freuen! Die Zeichnung einer italienischen Stadt, eingebettet in die Stille und Einsamkeit unberührter Natur, von einer dicken Mauer umschlossen, lässt sein Herz gewiss schneller schlagen, vermutete Stefano. Unverwandt kam ihm die leere Kasse seines Geschäftes in den Sinn. Daraufhin stieß er einen 3

tiefen Seufzer aus. Ihn selbst vermochte abgesehen von seinen Büchern wenig zu begeistern. Menschen aus Fleisch und Blut sicher nicht. Mit den meisten konnte er nichts anfangen, besonders nicht mit der holden Weiblichkeit. Das viele Gerede und das ständige Einkaufen, grässlich! Als er aufblickte, sah er zwei junge Frauen in hübschen Kleidern, die kaum die Knie bedeckten, an seinem Fenster vorbeimarschieren. Unerreichbar schienen sie für ihn und dennoch träumte er davon, eines Tages neben einer von ihnen oben auf der Piazza im strahlenden Sonnenschein zu stolzieren. Zerknirscht senkte er den Blick und blinzelte. Die Buchstaben tanzten vor seinen Augen. Eine neue, stärkere Lampe musste her. Er beugte sich vor, tupfte die Spitze seines Zeigefingers an die Unterlippe und tauchte in den Zauber vergangener Zeiten ein. Erst das schrille Geläut der Türglocke vermochte ihn aus seiner Welt zu reißen. Stefano hob den Kopf. Die Dämmerung lag bereits über den von der Tagessonne erhitzten Steinen der Via Disciplini. Wer wagte es, so spät zu stören? 4

„Ungebetener Gast, tritt ein! Es ist offen!“, rief er in einem Tonfall, der jeden abgeschreckt hätte, außer Andrea, der sich vom alltäglichen Gram seines Freundes längst nicht mehr abhalten ließ. „Buona sera, Stefano“. Der weißhaarige Mann schlurfte näher, bis das Licht der Schreibtischlampe in sein greises Gesicht leuchtete. „Wie geht es dir?“ „Wie soll es mir schon gehen?“, antwortete Stefano mürrisch. „Wenig Geschäft. Steh nicht so rum, Andrea, du machst mich nervös, nimm Platz!“ Der alte Mann griff nach dem Bündel Zeitschriften auf dem Sessel, zögerte, bückte sich schließlich langsam und legte es auf den Boden hinab. Dann setzte er sich. „Möchtest du einen Grappa?“, fragte Stefano, während er unter den Schreibtisch fasste und eine halb gefüllte Flasche mit zwei Gläsern hervorholte. „Sehr gerne“, antwortete Andrea mit einem Lächeln.

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Da bemerkte Stefano das Paket unter dem Arm seines Gegenübers. „Was hast du mir denn da mitgebracht, mein Guter?“ „Das ist der Grund meines späten Besuches“, sagte Andrea und nahm einen tiefen Atemzug. „Weil der Pater wollte, dass ich den Keller aufräume, was eine Zumutung ist, das sage ich dir. Fängst du da unten an zu kramen, musst du achtgeben, dass du nicht in einer Staubwolke erstickst.“ „Bitte komm endlich zum Punkt, Andrea!“ Stefano wurde ungeduldig. „Sieh her, was ich gefunden habe.“ Der Alte legte das Bündel auf den Tisch. „In einer Nische, mit losen Steinen abgedeckt, wie eingemauert, als ob es jemand dort verborgen hätte. Gar mit Absicht? Jedenfalls kann ich es nicht lesen. Latein ist nicht meines. Aber als der Pater es durchgeblättert hat, ist er blass und rot zugleich geworden. Er hat gemeint, damit wolle er nichts zu tun haben. Ich solle es fortbringen. Wohl habe ich dumm geglotzt, denn plötzlich ist ihm dein Name eingefallen. Auf der Stelle solle ich es zu dir

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tragen, du wüsstest schon, was damit anzufangen wäre.“ Stefano hatte inzwischen die Gläser mit Grappa gefüllt. Er schob eines seinem Freund zu. Dann griff er mit einem lauten Räuspern nach dem Paket und nahm das oberste Blatt. Es fühlte sich weich an, feinstes Pergament. „Sieht in der Tat sehr alt aus“, murmelte er, zog die Lampe näher heran und schnüffelte. Das Pergament roch anders, als alles was er bisher in Händen gehalten hatte. Die Oberfläche wirkte ein wenig verschwommen. Der Text lag zum Teil vom Untergrund gelöst obenauf. Stefano betastete es vorsichtig mit den Fingerkuppen und las die ersten Zeilen vor. “Quaternus Imbriviaturarum Beltrami Salvagni civitatis Mediolani porte nove notari, factarum coram fratribus Guidone de Cochenato et Raynerio de pirovano ordinis predicatorum Inquisitoribus hereticorum. In nomine domini amen. anno a nativitate eiusdem millesimo trecentesimo, indictione tertiadecima…” Im Stillen übersetzte er Wort für Wort: Imbreviaturbuch des Beltramus Salvagnius, Notar in 7

der Stadt Mailand, Porta Nuova, aufgenommen vor den Inquisitoren der Ketzer Guido von Cochenato und Raynerio von Pirovano, Brüdern des Dominikanerordens. Im Namen des Herrn Amen. Im Jahre 1300 nach dessen Geburt, in der dreizehnten Indiktion… Das Pergament entglitt seinen zitternden Fingern. „Alles in Ordnung?“ Andrea riss die Augen auf. „Du guckst genauso erschrocken wie der Pater in der Basilika! So sag mir doch, was ist das für ein Zeug?“ Der Antiquar nahm das Glas und schüttete den Inhalt mit einem Zug hinunter. „Alles in Ordnung?“, wiederholte der alte Mann. „Gewiss, gewiss. Erst einmal will ich mich beruhigen.“ Stefano atmete tief durch. „Das hier, Andrea, ist das Bemerkenswerteste, das ich als erfahrender Antiquar - und das soll etwas heißen jemals zu Gesicht bekommen habe.“ Stefano knallte das Glas auf den Tisch. „Leider können wir es nicht verkaufen, obwohl es uns wohl mit

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einem Schlag reich machen würde. Ja, das würde es wohl.“ Die Augen des Mesners weiteten sich. “Warum können wir es nicht verkaufen?“ Stefano beugte sich vor, zog mit beiden Händen das Paket zu sich herüber und steckte es in eine Schublade. Dann schloss er ab und schob den kleinen silbernen Schlüssel in die Seitentasche seines Kittels. „Der Pater hat es schon richtig erkannt, Andrea. Ich weiß in der Tat, was hier zu tun ist. Gleich morgen werde ich zur katholischen Universität gehen und dem Professor für Renaissance-Geschichte, den ich flüchtig kenne, dieses Bündel übergeben. Am besten, ich rufe ihn unverzüglich an.“ Stefano kramte in der Lade nach der Visitenkarte der Universität, fand sie, griff zum Telefon und wählte die Nummer. Er hatte Glück. Signore Magnani hob ab. „Pronto Professore. Stefano Valerio am Apparat, der Antiquar. Entschuldigen sie bitte die späte Störung. Wir trafen uns vor einer Woche bei einer Vernissage in der Galleria. Sie erinnern sich? Ich langweilte Sie mit meinen Erzählungen über meine Arbeit… wie, nicht gelangweilt?“ 9

Stefano grinste breit. „Nun ja, mir sind gerade sehr alte Papiere angeboten worden, genauer gesagt, exakt datiert mit 1300. Ich dachte, das könnte Sie vielleicht interessieren. Die Schrift ist schwer leserlich, aber ich vermute, es handelt sich um Prozessakten eines Mailänder Inquisitionsgerichts. Wie? Sie wollen es sehen, schon morgen? Um elf Uhr bei Ihnen im Büro? Sehr gerne, ich freue mich, Professore. Buona notte!“ Stefano legte den Hörer auf die Gabel und wandte sich seinem Freund zu. „Der Fund scheint tatsächlich wertvoll zu sein, denn man bittet mich, den kleinen Antiquar, zur Audienz in die ehrenwerte Universität Cattolica.“ Als Andrea nach einem weiteren Schnaps das Antiquariat verlassen hatte, warf Stefano die leere Flasche in den Mülleimer und schmiss sich zwischen die Kleidungsstücke, die nach der Reinigung noch nicht den Weg in den Schrank gefunden hatten, auf das Bett. Ruhe konnte er in seinem erregten Zustand jedoch keine finden. Nach wenigen Minuten stand er auf, setzte sich an den Schreibtisch, knipste die Lampe an, holte das Aktenbündel hervor, begann zu lesen und 10

hörte nicht mehr auf, bis das einbrechende Sonnenlicht den Staub in seiner Kammer zum Glitzern brachte. Während er nach seinem besten und saubersten Hemd kramte, beschloss er, das Schicksal des Protokolls bis zu seiner Entschlüsselung weiter zu verfolgen. Nachdem er sich notdürftig gewaschen und die Ringe unter seinen Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen hatte, packte er das Aktenbündel in eine lederne Mappe und klemmte diese in seine Armbeuge. Dann machte er sich auf den Weg. Der Morgenverkehr hatte eingesetzt. Das laute Quietschen und Hupen störte ihn. Die Hände auf die Ohren gedrückt, ging er zu Fuß. Zum Glück lag die Universität nur wenige Gassen von seinem Antiquariat entfernt. Als er den Arkadenhof durchquert hatte, fand er den Namen des Professors für Renaissance-Geschichte auf einer goldenen Tafel in der Eingangshalle. Das Büro lag im dritten Stock. Er nahm die Treppe. Signore Magnani begrüßte ihn freundlich, fragte beiläufig, ob ihm die Präsentation der mittelalterlichen Schriften in der Galleria letzte Woche ge11

fallen habe. Während der Professor redete, glitt dessen Blick zu Stefanos Armbeuge hinab und blieb dort haften. Der Antiquar verstand, öffnete die Mappe und zog das verschnürte Bündel vorsichtig heraus. Den Professor interessierte nicht der Bote, nur die Botschaft. Signore Magnani nahm die Pergamente in seine Hände, lächelte, blätterte langsam und andächtig durch und schließlich dankte er Stefano, dass er unverzüglich zu ihm gekommen sei und nicht etwa an einen privaten Käufer gedacht habe. „Hätte man diese Akten damals ordnungsgemäß im Archiv des Gerichtsgebäudes verwahrt, wären sie zerstört. Durchaus ist uns bekannt, wo die Mailänder Inquisition die Niederschriften einst abgelegt hat. Ende des 18. Jahrhunderts ist dort bedauerlicherweise ein Brand ausgebrochen, sämtliches Inventar wurde vernichtet“, erklärte der Professor. „Signore Valerio, ich bin sicher, es war Gottes Wille, dass dieses Konvolut just in Ihre Hände gelangt ist. Sie sind ein Mann, der den Wert und die Bedeutung solcher Kostbarkeiten einzuschätzen weiß. Nicht wahr? Diese Schriften sind, wenn sie sich als Originale he12

rausstellen sollten, von großer historischer Bedeutsamkeit.“ Signore Magnani klopfte Stefano anerkennend auf die Schulter. „Arrivederci, verehrter Signore Valerio. Ich kann es kaum erwarten, die Zeilen zu entziffern. Seien Sie versichert, wir werden Sie über das Ergebnis informieren. Ich weiß ja, wo ich Sie finde.“ Stefano rührte sich nicht. „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“, fragte der Professor mit einem Anflug von Ungeduld in seiner Miene. „Möchten Sie vielleicht einen Cappuccino?“ „Ich würde gerne dabei sein.“ „Wie bitte?“ „Bei der Entzifferung. Ich würde gerne zusehen dürfen.“ Professor Magnani lächelte. „Ich verstehe. Einen Antiquar juckt es in den Fingern, nicht wahr? Selten hat man Gelegenheit, derartige Kostbarkeiten zu analysieren.“ Stefano lächelte zurück. Er fühlte sich durchschaut.

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„Warum nicht? Vielleicht kann uns Ihre Erfahrung von Nutzen sein. Außerdem kennen Sie den genauen Fundort.“ Der Professor führte den Antiquar in ein Zimmer und stellte ihn dort einem jungen Mann mit dem Namen Luigi Guerini vor. Signore Guerini war Papierrestaurator. „Setzen Sie sich, Signori, wir warten noch auf Dottoressa Signorina Monica Ponto, meine Assistentin“, erklärte der Professor dem Antiquar zugewandt. „Jeden Morgen halten wir hier eine kurze Besprechung ab.“ Die Männer setzten sich an einen großen runden Tisch. Wenig später öffnete sich die Tür und eine junge Frau betrat den Raum. Sie bewegte beim Gehen ihre Hüften in einer Art, die Stefano für einen Moment den Atem nahm. Die Signorina grüßte und ließ sich schließlich neben dem Professor nieder. Dieser fing augenblicklich an, das Projekt vorzustellen. Alle hörten aufmerksam zu. Signorina Ponto solle mit Signore Valerio erst mal den Fundort in der Basilika aufsuchen und einen Bericht darüber verfassen. Er selbst und Signore Guerini würden sich dem Pergament widmen und dessen Alter überprüfen. 14

Nach der Besprechung machten sich Stefano und die junge Assistentin unverzüglich auf den Weg über die Via Edmondo de Amicis. Der Verkehr hatte seinen täglichen Höhepunkt erreicht. Sie überquerten eiligen Schrittes die Via Concadel Naviglio, schon waren sie bei der Basilika Sant’Eustorgio angelangt. Don Pigiere, der gerade die Messe beendet hatte, begrüßte Stefano und seine Begleitung herzlich. Sie durchquerten die Portinari-Kapelle, gingen vorbei am Sarkophag des heiligen Petrus. Stille lag über den Skulpturen und Fresken, wie es sich für eine Grabstätte gehörte, zumindest, bis die Touristen hereingelassen wurden. „Was für ein Pech!“, rief der Priester und schaltete eine große Taschenlampe an. „Ich ahnte es, nachdem ich die ersten Zeilen entziffert hatte. Die Sünden der Vergangenheit holen uns ein. Als wenn die Heilige Kirche keine anderen Sorgen plagt, als die Inquisition des Mittelalters.“ Die Signorina und Stefano folgten dem Geistlichen über eine schmale Treppe abwärts. Die Lampe leuchtete den Weg aus. Eisenringe an der Wand dienten wohl einst zur Befestigung von 15