Die Nadel im Systemanbieter-Heuhaufen - Detecon

Maastricht University. Detecon Consulting ist eines der weltweit führen- den Beratungsunternehmen für integrierte Management- und Technologieberatung.
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Business Excellence

procure.ch – Beschaffungsmanagement 8/2014

Die Nadel im Systemanbieter-Heuhaufen Aus dem Nähkästchen geplaudert: Auswahl einer integrierten Sourcing Suite

Immer mehr Unternehmen entscheiden sich für integrierte End-to-End-eProcurement-Lösungen aus einer Hand. Der Systemanbietermarkt wächst. Ein Grossprojekt lässt Sie am Erfahrungsschatz aus seiner Ausschreibung einer Full-Service Sourcing Suite (FSSS) teilhaben. Business Excellence durch das Lernen aus den Herausforderungen Ihrer Fachkollegen.

Magdalene Piec ist Procurement Senior Consultant bei der Detecon (Schweiz) AG. In international agierenden Konzernen verschiedenster Branchen sammelte sie ihre Expertise im operativen und strategischen Einkauf. Ihre Leidenschaft gilt dabei eProcurement Tools. Ihren Master of Science in International Business erwarb sie an der Maastricht University.

Detecon Consulting ist eines der weltweit führenden Beratungsunternehmen für integrierte Managementund Technologieberatung. Die Detecon (Schweiz) AG mit Sitz in Zürich bündelt die Kompetenzen Financial Management sowie ICT Management in beinahe allen Branchen. www.detecon.com/ch

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Vor genau einem Jahr erschien im Beschaffungsmanagement 8/2013 ein Artikel über «proaktives systemgestütztes Lieferantenmanagement». Ein börsenkotiertes, international agierendes Unternehmen stand damals vor der Herausforderung, sein Vendor Management (VM) konzernweit prozessual und IT-gestützt aufzubauen, da das interne Audit Intransparenz, Risiken VRZLH(I¿]LHQ]KHEHOLQGHU=XVDPPHQDUEHLW PLW =XOLHIHUHUQ LGHQWL¿ziert hatte. Doch wenn man auf der Suche nach einem VM-Systemanbieter, gleichzeitig mit seinem existenten eSourcing und Vertragsmanagement unzufrieden und eigentlich auch an der Einführung weiterer automatisierter Einkaufsprozesse interessiert ist, liegt es nah, eine integrierte Sourcing Suite aus einer Hand statt eines Best of Breed auszuschreiben. Im Falle des DAX30-Konzerns handelte es sich um eine End-to-End-Lösung für die o.g. Einkaufsaktivitäten sowie Demand und Procurement Risk Management, Spend Visibility, Reporting, eine Negotiation Roadmap und ein Kollaborations-Cockpit für

Einkäufer – kurzum: eine Vielzahl von Funktionalitäten, die via Single Sign-On über ein modulübergreifendes Dashboard zugänglich sind. Schnell stellte das Unternehmen jedoch fest, dass nicht nur seine fachliche Vision das technisch Mögliche auf dem Markt überstieg, sondern auch seine Vorreiterstellung auf der Suche nach einer FSSS den Austausch mit Gleichgesinnten erschwerte. Die Erfahrung aus diesem Fast-Mover-(Dis-)Advantage ist hier zusammengefasst, damit Sie Ihre Auswahl eines FSSS-Systemanbieters strukturiert angehen können. Gewappnet durch den Systemanbieter-Dschungel 1. Durchforsten des Markts Procurement System Provider gibt es wie Sand am Meer. Durchsieben Sie den Markt zunächst mittels einer (Internet-)Recherche. Ziehen Sie z.B. Studien und Berichte von unabhängigen Einkaufsorganisationen sowie von den Anbietern selbst heran. Fördern Sie den Austausch mit gleichgesinnten Branchen- und Fachkollegen auf Thementagen, CPO-Kongressen oder an Round

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Tables unter Experten. Fordern Sie auch Ihre bestehenden Systemanbieter heraus. Im Falle des o.g. Unternehmens boten Gartner Reports über Einkaufsapplikationen eine sehr gute Orientierung über das Produktportfolio von Nischenanbietern bis hin zum Branchenprimus, um mit einer ersten Marktliste die Kontaktaufnahme und die Ausschreibung zu starten. Man legte Wert darauf, dass die zugewiesenen Ansprechpartner auch in derselben Branche und Region beheimatet waren, um die Wahrscheinlichkeit einer reibungslosen Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu steigern. Wenn bereits eine genaue Vorstellung vom anvisierten Funktionsspektrum sowie eine klare Haltung seitens des Managements gegenüber On-Premise- vs. On-Demand-Lösungen besteht, fällt das Aussieben einiger Market Player deutlich leichter. 'LH4XDOL¿NDWLRQIUGLH$XVVFKUHLbungsteilnahme mittels einer Geheimhaltungsvereinbarung setzte den ersten Filter unter den Prospects: Wundern Sie sich also nicht, wenn einige Unternehmen ein solches NDA nicht unterzeichnen oder gar nach in ihren Heimatländern geltenden Gesetzen adjustieren möchten. Die Alarmglocken sollten läuten. 2. RfI Startschuss 'LH .DQGLGDWHQ DXI GHU YRUJH¿OWHUten Marktliste wurden zum Request for Information (RfI) eingeladen. Insofern Sie bereits ein eSourcing Tool QXW]HQ SUR¿WLHUHQ 6LH YRQ GHU GDdurch vereinfachten Vergleich- und Auswertbarkeit der Bieter. Denn der

zu evaluierende Fragenkatalog kann sehr mannigfaltig sein (Auszug): – Hintergrundinformationen über Ihre Firma, Herausforderungen der Ist-Situation, Anforderungen an die FSSS-Vision – $EIUDJH GHV )LUPHQSUR¿OV GHV Anbieters, Finanzstabilität, Produktportfolio, Supportmodelle, Referenzen – Funktionale Anforderungen an jedes einzelne Modul der anvisierten Suite mit prozessualen Gegeben-/Besonderheiten und Genehmigungsabläufen – Anspruch an Corporate-Design konformes Look-and-Feel, Nutzerfreundlichkeit, intuitive Anwendernavigation, Mehrsprachigkeit, Softwareergonomie und Barrierefreiheit – Voraussetzungen bzgl. Systemarchitektur, Integration in die IT-Landschaft mit bestehenden Schnittstellen, Stammdatenmanagement, Kompatibilität mit Mobile Devices, On-Premise vs. Cloud inkl. Hosting-Modell (public vs. private) – Aspekte bzgl. Datenschutz und -sicherheit, Zugriffsberechtigungen sowie Datenintegrität, -archivierung und -historisierung – Abfrage des Preismodells (z.B. Lizenzen, SaaS) pro Modul, Projektvorgehen mit bipolarer Aufwandschätzung, Releaseplanung 3. Systemdemonstration Das börsenkotierte Unternehmen lud die Anbieter auf der nun halbierten Longlist, die aus den zufriedenstellenden RfI-Antworten resultierte, zu halbtägigen Workshops ein, um ihnen die Gelegenheit zur

Selbst- und Tool-Darstellung auf Basis der RfI-Inhalte zu geben. Es ZLUG HPSIRKOHQ ,7DI¿QH 3RZHU Users aus den von der Suite zukünftig betroffenen Fachbereichen zu involvieren und ihre kritische Begutachtung in einem Evaluationsbogen festzuhalten. Zielführend ist, Stakeholdern frühestmöglich das Gefühl zu vermitteln, dass die Entscheidung für das neue System, das sie schliesslich bei der täglichen Arbeit begleiten wird und bestmöglich entlasten soll, gemeinsam getragen wird. Zudem wird bei einer Live-ToolDemonstration schnell deutlich, was im Standard angeboten wird und wo mit erheblichem Zusatzaufwand auf dem Weg gen Ziel(-bild) zu rechnen ist, ob man dank den Referenzprojekten in der Tat auch dieselbe Sprache spricht oder ob die Antworten im RfI nur auf dem Papier zutreffen. Lassen Sie sich also nicht von Schönschrift blenden. Im hier skizzierten Fall stand das ursprüngliche Ranking nach der Demo kopf; die Karten waren neu gemischt. Für diejenigen, die schon hier an ihre Grenzen stiessen, war die Reise zu Ende. Mit einigen Überraschungskandidaten setzte sich das Abenteuer fort. 4. Scoringmodell Es standen noch immer eine Handvoll Kandidaten auf der Shortlist – alle sehr ähnlich und doch jeder mit individuellen Stärken und SchwäFKHQ1DFKDOOGHU5HL]EHUÀXWXQJ gilt es, sich das Must- vs. Nice-toHave sowie die K.o.-Kriterien bewusst zu machen. Sammeln Sie Ihre Gedanken z.B. in einem ge11

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eProcurement Systemanbieter gibt es wie Sand am Meer. Filtern Sie den für Sie optimalen Geschäftspartner strukturiert anhand des Trichtermodells heraus.

NDA & RfI

Longlist Live System Demo mo

Shortlist Scoring Modell

Pilotkandidaten Pilot

Top X RfP

Longlist Filter gemäss ¾ Qualifikation per Geheimhaltungsvertrag ¾ RfI Zulieferung: Allgemeiner, funktionaler, technischer & kommerzieller Fragenkatalog Shortlist Trichter anhand ¾ Selbst- und System-Darstellung des Anbieters ¾ Power User Evaluierung: Usability, Look-&-Feel, funktionale SWOT Analyse, Modulintegrität Schnitt für Pilotkandidatur gesetzt nach Ranking von ¾ Scoring von Hard Facts (Must- vs. Nice-to-Haves, K.O.) ¾ Soft Facts aus Interviews mit Referenzkunden Cut nach Pilotprojekt basierend auf ¾ Power User Feedback nach intensivem Selbst-Testing ¾ Footprint des Anbieters über gesamte Pilotlaufzeit Finaler Zuschlag anhand eines ¾ Attraktiven Preismodells ¾ Å0DQDJHPHQWE\%DXFKJHIKO´

NDA: Non-Disclosure Agreement; RfI/ RfP: Request for Information/ Proposal; SWOT: Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats

wichteten Scoring-Modell auf Basis der bedeutsamsten Pfeiler für eine IXQGLHUWH (QWVFKHLGXQJV¿QGXQJ (Auszug): – Funktionalität, Abdeckungsgrad der Anforderungen, Strategic Fit – Nutzerfreundlichkeit und Intuitivität des Systems – Selbstauskunft zu Datenschutz und -sicherheit – Preismodell mit ggf. Wechselkosten – Eindruck aus Interviews mit benannten Referenzkunden – Angebot bzgl. PartnerschaftsproJUDPP ]XU (LQÀXVVQDKPH DXI Softwareentwicklungen – ¿QDQ]LHOOHU©+HDOWK&KHFNª Letzteres kann für Überraschungen sorgen: Im besagten Fall deckte die Compliance-Abteilung schwere 12

Korruptionsvorwürfe gegen einen der Anbieter auf. Durchleuchten Sie Ihre potenziellen Geschäftspartner im Vorfeld lieber mehr als nötig, bevor Sie selbst einen Imageschaden erleiden. 5. Pilotprojekt Kick-off Die verbliebenen vier Anbieter TXDOL¿]LHUWHQ VLFK IU GDV 3LORWSURjekt. Im Laufe eines Quartals wurde mit ihnen in zahlreichen Iterationsschleifen die Umsetzung der mit dem Fachbereich geschärften Testfälle im System durchgespielt. Parallel fanden technische Deep Dives zwischen den Anbietern und dem Fachbereich IT statt, um all jene Anforderungen aus einem ITKriterienkatalog zu bewer ten, die man den Power Users im Testing

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Marktliste

Durchsieben des Marktes dank ¾ Studien, Artikel, Reports, etc. ¾ Expertenaustausch, Thementage

nicht zumuten wollte bzw. konnte. Das Ende des Pilotprojekts bildete ein Tagesworkshop je Anbieter, in dem sich entsandte Fachbereichsvertreter und Entscheidungsträger der FSSS entlang beschriebener Anwendungsfälle durch das Sandboxsystem klickten. Es folgte eine freie Testwoche, in der sich jeder nochmals in Ruhe im System austoben konnte. Das Projektteam beäugte die Anbieter wie auch die Nutzer bei jedem Spektakel kritisch. Es kristallisierte sich heraus, welches Tool intuitiv bedienbar und welches zukünftig eher einen erhöhten Ansturm auf die Support-Hotline zu prophezeien schien. Prüfen Sie an dieser Stelle im Auswahlprozess besonders den Integrationsaspekt der Suite – ihren

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eigentlichen, doch nicht selten ungenügend ausgekosteten Mehrwert. Bspw. dürfte ein im Rahmen des VM ausgephaster Lieferant nicht die Möglichkeit haben, sich durch die Hintertür einer neuen Ausschreibung wieder in das Unternehmen zu schleichen. Läuft ein Vertrag aus, so möchte ein Einkäufer auch im VMModul darauf hingewiesen werden. In jedwedem Geschäftsprozess LGHQWL¿]LHUWH 5LVLNHQ PVVHQ VLFK wie ein roter Faden durch die Suite hindurchziehen. In einer solch intensiven Pilotphase kommt deutlich zum Vorschein, für welchen Anbieter der Kunde König ist, wer gewillt ist, über die Standardapplikation hinaus die Extrameile zu gehen und bei wem sich im Hinblick auf ein solches Grossprojekt Ressourcenengpässe abzeichnen. Wer bereits in dieser Etappe der Zusammenarbeit Zieltermine reisst, der erleichtert dankenswerterweise auch die Entscheidung zur weiteren Zäsur – oder schmeisst ehrlicherweise von sich aus das Handtuch, wie hier erlebt. Natürliche Selektion würde der Evolutionsforscher sagen.

täten, die keine Eigenentwicklung darstellen. Beachten Sie des Weiteren (einmalige) Kosten für solche Aufwände wie die Implementierung, Migration und Integration in Ihre bestehende IT-Architektur, sowie für Beratungsleistungen. 9HUSÀLFKWHQ6LHGHQ*HVFKlIWVSDUWner zu einem Implementierungsvorgehen sowie zu einer ProduktRoadmap für den Fall, dass die technischen Gegebenheiten noch nicht Ihrem gewünschten Reifegrad entsprechen, und halten Sie diese in der Leistungsbeschreibung fest. Integrieren Sie darin auch die MögOLFKNHLWHQ ]XU (LQÀXVVQDKPH DXI die Toolentwicklung, und geben Sie Acht bei Vertragsbestandsanpassungen seitens Ihres Gegenübers. Achten Sie im letzten Atemzug auf den Strategic und Cultural Fit in Bezug auf Ihr Unternehmen. Haben Sie Mut zur Entscheidung, und beglückwünschen Sie sich beide zum Survival of the Fittest!

Augen auf beim Suite-Einkauf Während des gesamten Auswahlprozesses könnte Ihnen die «David vs. Goliath»-Frage immer wieder Kopfzerbrechen bereiten: Fällt die Entscheidung auf einen renom6. Preisverhandlung auf der mierten Big Player oder eher auf den Zielgeraden Bei den verbleibenden Top 3 wer- agilen Kleinanbieter? Mit Letzterem den die schauspielerischen Leis- darf man einerseits Flexibilität und tungen als Good Cop/Bad Cop un- Kundennähe, ein unschlagbares ter Beweis gestellt. Die strategische Preisangebot sowie die MöglichEntscheidung für On-Premise vs. NHLW ]XU (LQÀXVVQDKPH DXI 6RIW2Q'HPDQG LVW KlX¿J EHUHLWV DQ wareentwicklungen verbinden; anfrüherer Stelle gefallen. Im Gegen- dererseits birgt diese Entscheidung satz zu «Flat Rate»-Lizensierungen die Risiken des Unbekannten, gesind versteckte (jährliche) Kosten ringeren Erfahrungsschatzes und pro Nutzer zu beachten wie z.B. bei karger Ressourcen. Die GrossanRisiko- oder Reportingfunktionali- bieter hingegen glänzen zwar nicht

mit vergleichbar beeindruckender Hingabe, Sie als Kunden zu gewinnen, sondern eher mit längeren Implementierungszeiten und mühsamen Machtspielchen – gerade wenn mit Ihrer Firma zwei «Tanker» aufeinandertreffen. Jedoch bieten sie ein in vielseitigen Industrien und mit namhaften Kunden bewährtes Produktportfolio an, geben Sicherheit durch Professionalität und ein Expertengrossaufgebot. Durch die Vielzahl an Akquisitionen, die in den letzten Jahren auf dem Anbietermarkt stattfanden, spürt der Nutzer im System einiger grosser IT-Unternehmen leider QRFK YLHO ]X KlX¿J GDVV HV VLFK um einen Flickenteppich aus aufgekauften Applikationen handelt: Weder Design noch Prozessabläufe sind modulübergreifend harmonisch. Ein grosses Manko einer vermeintlich integrierten Suite. Auch wenn in diesem Artikel das System den Mittelpunkt bildet, vergessen Sie nicht, dass Ihre VRUJIlOWLJ GH¿QLHUWHQ 3UR]HVVH LP Vordergrund stehen sollten. Seien Sie jedoch gleichzeitig offen für Optimierungen, die sich aus automatisierten Abläufen ergeben. Binden Sie die zukünftigen Hauptnutzer ein, denn die Einführung eines eProcurement-Systems ist gleichzeitig ein Change-ManagementProjekt. Und sollten Sie sich nach den skizzierten Schritten noch immer nicht für einen Systemanbieter entscheiden können, verlassen Sie sich auf Ihr «Management by Bauchgefühl». Eine Zusammenarbeit ist schliesslich immer auch People Business und hat mit Sympathie zu tun. 13