Die Laeusekoenigin

Er ist schüchtern, die Bank aus Holz, und sie kommt später. Wenn die Königin liebt, liebt sie erbarmungslos. Wen die Königin liebt, der ist rettungslos verloren.
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Hans-Dieter Heun

Die Läusekönigin Roman © 2013 AAVAA editions Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2013 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Alex Lehder, Ritter von Rainding Printed in Germany Taschenbuch: ISBN 978-3-944223-09-4 2

eBook epub: ISBN 978-3-944223-10-0 eBook PDF: ISBN 978-3-944223-11-7 AAVAA Verlag, Hohen Neuendorf, bei Berlin www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses eBooks sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Für alle Paare, einschließlich Hunde, weiße Tauben, stinkende Kamele, Filzläuse und andere Schnabelkerfen, die sich je geliebt haben, jetzt lieben und auch in Zukunft herzlich lieben werden ...

... Letzteres zumindest glauben.

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Das Ende beginnt Er ist schüchtern, die Bank aus Holz, und sie kommt später. Wenn die Königin liebt, liebt sie erbarmungslos. Wen die Königin liebt, der ist rettungslos verloren. Einzig blinde weiße Krebse sind stumme Zeugen, als die Königin den reglosen Knaben umschlungen hält. Sie will und wird ihn wieder wecken. Doch der Junge muss unweigerlich sterben, schenkt sie ihm nach seinem Erwachen noch einen weiteren Kuss. Sie hat ihn bereits zu viel geküsst, zweimal sehr innig, und bereits ihr zweiter Kuss brachte ihm die Ohnmacht. Er wird ohnehin hinübergehen, verreisen in ein Land ewigen Eises. Er wird vereisen, unumgänglich, doch auf andere, noch grausamere Art als durch einen dritten Kuss — so lüstern die Königin auch nach Küssen ist, kaum zu widerstehen vermag, wieder und wieder ihre vollen Lippen auf sein Fleisch zu pressen. Doch ihre Leidenschaft scheint übermenschlich, 5

sprengt alle Fesseln, und sie kämpft nicht länger dagegen an. Gerade noch schlankes, hochgewachsenes Weib mit heller, heißer Haut und willens, dass der Knabe diesen, ihren Frauenkörper auch berührt — während sie ihn mit all ihren Künsten verführt —, verwandelt sie sich in das Tier, das stets in ihr wacht: Sie ist nun von kurzer gedrungener Gestalt, ähnelt einer grauen Riesenkrabbe mit sechs haarigen Beinen, die in furchtbaren Klauen enden. Nicht länger das Locken ihres blutroten Mundes, stattdessen droht ein Rüssel, an dessen Ende drei tödliche Stilette auf Einsatz warten. Vier ihrer sechs Halteklauen drücken das schlafende Opfer in den Kies am Ufer des dunklen Sees, der unter der schwarzen Lava eines Vulkans in einer Höhle verborgen ruht. Blinde, stumme, weiße Krebse leben in dem See. Der Knabe wird sie nicht mehr schauen dürfen. Die zwei freien Klauen der Läusekönigin wetzen bereits den Stechrüssel für den entscheidenden Stich: durch des Knaben Brust direkt ins kaum noch schlagende 6

Herz. Sie wird es füllen, sein Herz, mit dem konservierenden Eis des ewigen Lebens. Doch zuvor wird sie ihn jucken, so sehr, dass er wieder erwacht und ein letztes Mal nach ihrer Liebe fleht. Aus diesem einzigen Grund sticht sie schnell und kurz … in seine linke Leiste. Ihr Jucken wirkt, er kommt zu sich, und die graue Krabbe sieht in seinen großen braunen Jungenaugen, wie er selbst sie sieht, ihr Spiegelbild: eine schöne nackte Frau voller Lust. Und seine Lust steigt ebenfalls. Also spielt sie mit ihm die ersehnte Liebe — nicht sanft streichelnd, ihn umschmeichelnd, sondern wild, gierig und entschlossen. Sein Fleisch und Blut einfordernd, und er hält dagegen, solange er mitzuhalten vermag. Ihre Klimax ist nun nahe, die Treppe, die Leiter zum Gipfel höchster Brunft. Die Königin will sich nicht länger dämmen: An der richtigen Stelle angesetzt, durchdringt ihr Stechrüssel mühelos Epidermis, Corium und Subcutis des erschlaffenden Jungen, sticht durch den Brustraum 7

vor bis ans Herz, um … So oder ähnlich könnte das Liebesspiel der Läusekönigin in rauer Wirklichkeit stattgefunden haben. Doch nicht in einem Märchen. Schon gar nicht in dem Märchen von der Schneekönigin des großen dänischen Dichters Hans-Christian Andersen, denn ein Märchen berichtet ausschließlich von wundersamen Begebenheiten. Was aber ist daran wundersam, wenn eine alte verlauste Königin einen unschuldigen Knaben aus lauter Lust tötet und anschließend in den Tiefkühlschrank hängt unter der geheimnisvollen Nummer 264? Das wahre Leben spielt anders als Andersen … auf einer Parkbank zum Beispiel. Penner erfroren. Liebe

mit

ist

seinem

eine

Hund

auf

verzaubernde 8

Parkbank

Erfahrung,

schriftstellerischer Ruhm eine andere beglückende, aber eine Jauchegrube ist eine einzige dampfende Kacke: der Orkus, die Unterwelt in einer von der lieben Sonne beschienenen Wiese. In der stinkenden Jauche saß der Hans, der beste aller unveröffentlichten Autoren, wie er meinte, und noch dazu völlig schuldlos, wie er ebenfalls glaubte. Was tun, um aus dieser Scheiße, die zäh zog, klebrig hielt, was sie einmal gefangen, wieder rauszukommen? Einzig und allein seine Fantasie konnte ihn noch retten. Der Hans beschloss den ultimativen Liebesroman zu schreiben — braune Tinte auf braunem Papier —, die Quintessenz aller jemals verfassten Romantik. Doch dafür brauchte er ein ganz besonderes Paar und einen Erzähler, denn wer glaubt schon ihm, einem unbekannten versoffenen Schreiberling, wenn auch mit großartig versoffenen Ideen, dass er diesen einen Roman zustande brachte? Wohl niemand. Sein Blick fiel auf eine Überschrift auf einem 9

Stück Zeitungspapier, das in der widerlichen Brühe schwamm: Penner mit seinem Hund auf Parkbank erfroren. Der Hans war überglücklich, genau diesem Landstreicher würde er eine Geschichte auf die Zunge legen, wie sie die Welt noch nicht gelesen hatte. Auch würde er Ludwig — ein schöner Name für einen Penner – ein literarisches Leben schenken, das den Frauen dieser Erde Tränen der mitfühlenden Freude und der mitleidenden Trauer in ihre Augen trieb. Er schrieb gerne für Frauen, eigentlich immer nur für Frauen, obwohl er selbst … Aber das ist eine andere Geschichte, eine wärmere. Der Hans begann:

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Parkbank Nummer 7 Er ist schüchtern, die Bank aus Holz, und sie kommt später. Das ist richtig, dachte Ludwig, der Vorhimmlische, eine vielleicht sogar von Gott so gewollte Ordnung: zuerst er, der jugendlich sympathische, wenn auch schüchterne Mann, dann in der Mitte die Bank als Treffpunkt, als ein Verbindungsglied sozusagen, und am Ende sie, die wunderschöne selbstbewusste Vertreterin des an sich schwächeren Geschlechts. Das männliche Geschlecht hingegen … Ludwig unterbrach diesen möglicherweise die Frauen abwertenden Gedanken, ein anderer, neuer flog ihm zu: Ist nicht auch das männliche Geschlechtsteil in gewisser Art zu gewissen Stunden und an gewissen Orten ein Verbindungsglied? Und sehr oft sogar auf einer Bank? Der Vorhimmlische lächelte zufrieden, gute erste Sätze, fast philosophisch. „Zumpel“, sprach er mit erhobenem Zeigefinger zu seinem Astralhund, der mit ihm auf der 11

Parkbank saß, „das Wichtigste an einer Erzählung ist ein guter Eingangssatz.“ Und Zumpel nickte mit dem grauen Kopf, als stimme er seinem Meister aus ganzem Hundeherzen zu. Ludwig war im Alter von achtundfünfzig Jahren auf eben dieser Parkbank erfroren. Ein gütiges, besser, ein engelhaftes Schicksal fügte es, dass sein Kumpel Zumpel mit ihm starb und damit von einem ziemlich gewöhnlichen Straßenköter zu einem Astralhund mutierte. So war Ludwig wenigstens nicht allein gestellt bei der Aufgabe, die er noch zu erfüllen hatte. Beide, Ludwig und Zumpel, waren unsichtbar. Nein, nicht für sich selbst, sie sahen sich in voller Todesgröße. Für menschliche Augen jedoch — und von denen gab es in dem Park mit der Parkbank Nummer 7 zumindest tagsüber sehr viele — waren Herr und Hund nicht zu sehen, obwohl sie zu jeder Zeit, vierundzwanzig lange Stunden am Tag, auf der Bank gegenwärtig waren. Und das schon seit dem letzten Winter. Es war ein Teil ihrer 12

Aufgabe, der andere waren er und sie. Denn er sollte — obwohl kaum vorstellbar, doch vom Himmel selbst wahrhaftig so gewollt — sie geradezu himmlisch blasen.

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Es ist Montag Ludwig erzählte weiter: „Es ist Wochenanfang, Zumpel, und heute werden die beiden zu unserer Parkbank kommen. Ich bin mir da ziemlich sicher. Warum das so ist, guter Hund? Ein Gefühl, ein geradezu überirdisches Gefühl. Aber zuerst ein paar Worte über unsere Bank. Natürlich besteht die Bank nicht nur aus Holz. Natürlich oder selbstverständlich? Wenn er, Elmar, unser jugendlicher Held, sie beschreiben müsste, dann würde er wohl erklären: Selbstverständlich ist die Bank auch aus natürlichem Holz. Elmar liebt es nämlich, Ordnung in seinen Gedanken zu haben. Unklarheiten, ungenaue Definitionen wie dieses oft falsch benutzte Wort natürlich sind ihm ein Graus. Elmar wünscht exakte Beschreibung. Also tun wir ihm den Gefallen, Zumpel: Zwei industriell in Form gegossene Betonpfosten halten zwei glatt gehobelte breite Bretter — Lackierung: Buche rustikal — als Rückenstütze und drei etwas schmälere Bretter als Sitzfläche für jeden beliebigen Po bereit. 14

Eines musst du wissen, Zumpel: Das Hauptwort Arsch käme niemals auch nur ansatzweise in Elmars christlich geprägten Gehirnwindungen vor. Er wurde von seiner Mama zur Keuschheit der Sprache erzogen, und ein Arsch hat in christlich gelebter Keuschheit wahrhaft nichts verloren. Die Bank, unsere Bank, steht am Nordufer eines Entenweihers, ist die siebte in einer Reihe gleicher Bänke, bekommt aber den meisten Schatten ab. Das führt dazu, dass sie, die siebente, über alle Jahreszeiten, außer an den heißesten Tagen im Sommer, am wenigsten frequentiert ist. Doch genau aus diesem Grund hatten wir uns ja in unseren letzten Tagen diese Bank als Wohnsitz ausgesucht. Und gerade weil sie so einsam ist, hat man uns auch nicht rechtzeitig gefunden, bevor wir — wie soll ich es wohl richtig ausdrücken? — na ja, in den Himmel aufgefahren sind. Wohnsitz ist übrigens gut, Zumpel, schön doppeldeutig. Aber zurück zu Bank Nummer 7: Elmar erlaubte 15