Die brennenden Flüsse Ethernas

Dass es ein Feuervogel war, der ihn geholt hatte, ließ sich sicher nicht bestreiten. Doch Sen hatte bewiesen, wie stark sein Wille war und so konnte Erriel nicht ...
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Jennifer Jager

Die brennenden Flüsse Ethernas Fantasy

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© 2014 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2014 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Jennifer Jager Printed in Germany

AAVAA print+design Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck:

ISBN 978-3-8459-1383-4 ISBN 978-3-8459-1384-1 ISBN 978-3-8459-1385-8 ISBN 978-3-8459-1386-5 Mini-Buch ohne ISBN

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Ich widme dieses Buch dem Wort. Ich widme es dem Schwelgen in seiner Vielfalt, der Liebe für die Kunst unserer Sprache. Ich widme es jedem, dessen Herz höher schlägt bei dem Klang der Poesie, die in uns widerhallt wie klare Glockenschläge, als Spiegel unserer Gefühle, unserer Seele, unseres Ichs.

In Gedenken an Frédéric Back

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Reise nach Enshir "Die Lüge mag die Wahrheit ändern, Wie Feuer totes Holz verbrennt. Doch wie bei Kohle, Asche, Staub, Man ihren Ursprung wohl erkennt."

Unmöglich, wahre Freiheit zu erleben, gefesselt von den Zwängen des menschlichen Körpers, gebunden an das sterbende Fleisch einer so zerbrechlichen Hülle. Jeder Flügelschlag trug ihn weiter fort von dem, was er einst war, ließ verblassen, was ihn einst ausmachte. Und dennoch konnte er sich nicht vollends der unbändigen Macht hingeben, die ihm innewohnte, konnte sich nicht im Ganzen dem ergeben, was aus ihm geworden war. Denn ein Teil von ihm klam5

merte sich noch immer an das längst Vergangene - tief verborgen hinter einer Wand aus Feuer.

Erriel betrachtete schweigend den kläglichen Rest des Lagerfeuers und lauschte dem Knistern der Flammen, die sich verzweifelt reckend und kämpfend gegen den sicheren Tod wehrten, der ihnen so gewiss war wie das Morgengrauen. Obgleich der Aufbruch von Etherna schon mehrere Tage zurücklag, hatte er sich längst nicht mit dem abfinden können, was jeder seiner Mitreisenden ihm Tag um Tag klarmachen wollte. Er konnte nicht akzeptieren, dass Sen verloren war. Wenn auch die Spuren des Kampfes eine deutliche Sprache gesprochen hatten, so waren Ruß und zerborstener Stein 6

noch längst kein Beweis für den Tod seines Bruders. Dass es ein Feuervogel war, der ihn geholt hatte, ließ sich sicher nicht bestreiten. Doch Sen hatte bewiesen, wie stark sein Wille war und so konnte Erriel nicht akzeptieren, dass er den Kampf gegen das Feuer wohl verloren hatte. Er seufzte, warf einen Dreckklumpen in die Glut und rieb sich die müden Augenlider, die schwer geworden waren von den langen Nächten ohne Schlaf. Ja, sie waren schwer, doch gleichsam schwer wie seine Gedanken waren sie noch lange nicht und so wollte der Schlaf nicht über ihn kommen - weder in dieser Nacht noch in den Nächten zuvor. Die Stille des heranbrechenden Morgens hielt nicht lange an. Schon bald erklangen die ersten Stimmen in den gut ein Dutzend Zelten, die das Lagerfeuer umringten. "Schon morgen werden wir Enshir erreichen", sprach jemand hinter ihm. Erriel drehte sich um und sah sich Isleya gegenüber, die ihn ansah mit ihren gütigen Augen, die Mitgefühl 7

und Freude zugleich in sich trugen. "Man wird dich feiern und dich ehren, wie es einem Helden würdig ist. Denn dank dir wurde Atamis besiegt und das Volk erhält seinen rechtmäßigen König zurück. Und du hast keinen Sinn für all das, findest keinen Schlaf, keine Ruhe. Willst du denn nicht wenigstens versuchen, ein wenig zu schlafen?" "Was sollte ich mich feiern lassen?", fragte er mit abfälligem Ton in der Stimme. "Es ist nicht mein Verdienst, dass Atamis besiegt wurde. Alleine Sen ist es zu verdanken, dass wir alle noch am Leben sind." Isleya nickte. "Glaube mir, auch seine Taten werden in Ehren gehalten werden." Erriel schüttelte den Kopf und raufte sich die Haare. Es machte ihn so unbändig wütend, dass er der einzige war, der noch die Hoffnung hegte, Sen retten zu können. "Genau deswegen!", warf er ihr mit unterdrücktem Zorn in der Stimme entgegen und zeigte dabei in ihre Richtung, als wolle er auf 8

die Worte deuten, die über ihre Lippen gekommen waren. Dann aber ließ er seine Hand wieder sinken und wandte sich von ihr ab. Es hatte keinen Zweck, darüber zu streiten. Das hatte er schon hinter sich gebracht. Schon an dem Abend, da Sen verschwunden war, hatte er sich mit König Cassiem angelegt. Wäre es nach ihm gegangen, so wären sie jetzt nicht auf dem Weg nach Enshir, sondern auf der Suche nach seinem Bruder. Sen hatte es nicht verdient, dass man ihn so widerstandslos aufgab. "Falls mich jemand sucht, ich bin am Fluss ", erklärte er Isleya mit monotoner Stimme und ließ sie ohne ein weiteres Wort zurück. Mit gesenktem Blick und schnellen Schrittes suchte er sich den Weg durch das Lager. Vorbei an Menschen, die ihn freundlich grüßten, ihm auf die Schulter klopften und überflüssige Worte zuriefen. Er ging und wusch sich den Zorn aus Gesicht und Gedanken, tauchte seine Hände tief in das kühle Nass und ließ das plätschernde 9

Wasser des Flusses alles von ihm waschen, was seinen Geist schwer und träge machte. Das verschwommene Bild einer jungen Frau, die ihn von der Wasseroberfläche aus anblickte, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Es war Marin, die sich nun neben ihm niederließ und einen Wasserschlauch in den Fluss tauchte. Sie hob an zu sprechen und fand doch die richtigen Worte nicht. "Wir… Wir brechen bald auf ", sagte sie schließlich und erhob sich wieder. Er sah ihr nach, wie sie zurück in Richtung Lager ging und sich dann doch wieder zu ihm umdrehte. Ihre Füße tänzelten dabei unsicher und ihre Hände vollführten abgebrochene Gesten zu Worten, die sie nicht finden konnte. "Wir werden ihn suchen ", sagte sie, teils fragend, teils feststellend. Erriel richtete sich auf. "Sobald wir in Enshir sind, wird König Cassiem einen Suchtrupp zusammenstellen." Marin nickte und gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg. 10

Während ihrer Reise nach Enshir hatten Marin und Erriel kaum ein Wort miteinander gesprochen. Eigentlich hatte Erriel generell versucht, jedes Gespräch zu vermeiden. Weder aufmunternde Worte noch Mitleidsbekundungen waren ihm lieb in diesen Tagen. Gerne hätte er sie gefragt, warum sie sich entschlossen hatte, mit nach Enshir zu reisen. Als König Cassiem ihr und ihren Leuten das Angebot unterbreitet hatte, war sie gerne und bereitwillig darauf eingegangen. Zuerst hatte er geglaubt, dass es Abenteuerlust und die Verlockung von Ruhm und Ehre gewesen sein müssten. So wie er das ruppige und lebensfrohe Gauklervolk kennengelernt hatte, das Marins Reisegesellschaft war, war es nur naheliegend, dass Reichtümer und Ruhm sie in die Hauptstadt der Herrschaftslande lockten. Marin selbst war ihm aber eher durch ihre zurückhaltende und verschlossene Art aufgefallen. So, wie er sie sicher nicht kennengelernt hatte, am Tag ihrer ersten Begegnung. 11

Wie nahe sie Sen gestanden haben mochte, wie viel sie gemeinsam erlebt hatten, in der Zeit, da Sen auf der Suche nach ihm war, konnte Erriel sich kaum ausmalen. Wegen Sen war sie König Cassiem gefolgt und ihretwegen hatten sich zwei Männer des Gauklervolkes angeschlossen. Vielleicht täte es ihm gut, mit ihr zu sprechen, sein Leid und seine Befürchtungen mit ihr zu teilen. Mochte sein, dass es so war. Erriel wollte es nicht auf einen Versuch ankommen lassen. Wohl möglich, dass er gar nicht hören wollte, wie nahe sie seinem Bruder tatsächlich stand. Auch möglich, dass er nicht hören wollte, welche Gründe sie in Wirklichkeit zu der langen Reise nach Enshir veranlasst hatten. So schwieg er, als sie Seite an Seite zurückliefen, wo man das Lager bereits abbaute und die Pferde sattelte. Wie müde er tatsächlich war, merkte Erriel erst, als sie wieder zu Pferde unterwegs waren. Der lange Ritt über schier endlose Straßen 12

war so anstrengend wie ereignislos. Mehrmals nickte er ein und wäre das ein oder andere Mal beinahe vom Pferd gefallen, hätte ihn das Geräusch der Hufe, ein Wiehern oder das Gelächter der Mitreisenden nicht wieder zur Besinnung gebracht. Er ließ seinen Blick über die Reisegesellschaft schweifen. Bis zum Horizont reichten die Reihen der Pferde, die gemächlich den breiten Pfad entlang trotteten. Einige schwer beladene Wagen unterbrachen das Bild, polterten zwischen jenen, die zu Fuß unterwegs waren und Rittern in glänzender Rüstung auf prunken Rössern. Vereinzelt reckten sich die Fahnen Enshirs gen Himmel, die vor wenigen Tagen noch neben des Prinzen Wappen geweht hatten. Kaum zu glauben, dass hier die Ritter des Königs gemeinsam mit einfachen Bauersleuten marschierten. Menschen, die sich eben noch in der Schlacht gegenübergestanden hatten und nun unter gemeinsamer Flagge gen Enshir zogen. 13

Ganz reibungslos war die bisherige Reise allerdings nicht verlaufen. Immer wieder gab es kleinere Auseinandersetzungen. Hatten die Menschen hier doch vor wenigen Tagen noch ihre Klingen gekreuzt. Dennoch hatte es sich König Cassiem nicht nehmen lassen, all jenen, die ihm helfend zur Seite standen, anzubieten, ihn nach Enshir zu begleiten. Nicht zuletzt eine stattliche Entlohnung für ihre Treue und Tapferkeit hatte viele davon überzeugt, den langen Weg auf sich zu nehmen. Die Ritter Enshirs, selbst der Lüge Atamis zum Opfer gefallen, gaben sich redlich Mühe, die einfachen Leute mit Respekt zu behandeln. Nur wenige von ihnen hatten von des Königs Semanten keine Absolution erhalten. Sie waren in Atamis Pläne eingeweiht gewesen und konnten dem prüfenden Blick eines Semanten nicht standhalten, so sehr sie auch versuchten, sich mit Lügen herauszureden. Auf sie würde in Enshir sicher eine gebührende Strafe warten. Wie viele dieser Verräter

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noch in der Hauptstadt auf sie warteten, war eine andere Frage. Erriel hatte seine Zweifel, ob tatsächlich jeder Verräter am Ende gefunden werden würde. Dass die Semanten nicht unfehlbar waren, wusste er nur zu gut. Schließlich hatte auch er viele bohrende Fragen über sich ergehen lassen müssen und irgendwie war es ihm gelungen, sich aus allem herauszuwinden. Nachdem, was zwischen ihm, Atamis und Sen vorgefallen war, hatte es an ihm gelegen, König Cassiem alles zu berichten. Doch er hatte keine Erklärung gehabt. Er wusste nicht, was vorgefallen war, wie er getan hatte, was er getan hatte. Aus Angst, die Befürchtungen der Semanten, er sei eine große Gefahr, mit dem, was geschehen war, zu bestätigen, hatte er nicht versucht zu erklären, was in ihm vorgegangen war, als Atamis starb. Er hatte sich dumm gestellt und sie hatten es ihm abgenommen. Wieso, wusste er nicht. Doch es ließ ihn daran zweifeln, dass Semanten grundsätzlich die Wahrheit erkennen konnten. Entwe15