Dialogische Logik - Buch.de

Edgar Morscher ... Als Lorenz 1966 – die Dialogische Logik war jung, und wir waren es auch – auf dem 8. .... Zu unserem Kreis gehörten Gerhard. Leibold ...
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Mittelstraß | von Bülow (Hrsg.) ·

Die Dialogische Logik ist ein Ansatz zur Logikbegründung jenseits der Alternative eines semantischen Aufbaus über wertdefinite Aussagen und eines syntaktischen Aufbaus mit Hilfe von Logikkalkülen. Ziel ist eine nähere Orientierung am faktischen Argumentieren. Der Ansatz der Dialogischen Logik ist nicht nur vom logikinternen Standpunkt interessant, sondern hat auch Anwendungen in den Einzelwissenschaften, besonders in den Wirtschaftswissenschaften und in der Informatik. Die Beiträge dieses Bandes suchen die bisher auf dem Gebiet der Dialogischen Logik gewonnenen Ergebnisse näher zu beleuchten. Dabei wurden auch Konzeptionen der Freien Logik und der Dynamischen Logik berücksichtigt. Die Beiträger gehören nicht nur zu den profiliertesten Forschern auf dem Gebiet der nichtklassischen Logik, sie sind auch ausgewiesene Experten in Fragen der Dialogischen Logik.

DIALOGISCHE LOGIK

Schwarz HKS 52K

ISBN 978-3-89785-638-7

Jürgen Mittelstraß | Christopher von Bülow (Hrsg.)

DIALOGISCHE LOGIK

Mittelstraß/von Bülow (Hrsg.) · Dialogische Logik

Jürgen Mittelstraß, Christopher von Bülow (Hrsg.)

Dialogische Logik

mentis MÜNSTER

Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem ∞ ISO 9706 und alterungsbeständigem Papier

© 2015 mentis Verlag GmbH Eisenbahnstraße 11, 48143 Münster, Germany www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-89785-638-7 (Print) ISBN 978-3-89785-639-4 (E-Book)

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

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Jürgen Mittelstraß Dialogische Logik – Eine Einführung 9 Carl Friedrich Gethmann Wahrheit und Beweisbarkeit – Die philosophische Bedeutung von Intuitionismus und Konstruktivismus in der Logik 13 Gerhard Heinzmann Ein dialogisches Kompetenzmodell der epistemischen Intuition 29 Reinhard Kahle Dialoge als Semantik

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Kuno Lorenz Zur Herkunft der Dialogbedingung im Dialogischen Aufbau der Logik 55 Edgar Morscher Dialogische Logik der Normen und Normen der dialogischen Logik

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Thomas Piecha and Peter Schroeder-Heister Dialogical Logic for Definitional Reasoning and Implications as Rules 91

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Inhaltsverzeichnis

Shahid Rahman and Nicolas Clerbout Constructive Type Theory and the Dialogical Turn – A New Start for Erlangen Constructivism 127 Pirmin Stekeler-Weithofer Schematische Regeln vs. Begründungen in der formalen Logik 185 Zu Herausgebern und Autoren

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VORWORT

Der vorliegende Band gibt Beiträge eines internationalen Kolloquiums wieder, das am 27. und 28. September 2012 anlässlich des 80. Geburtstages von Kuno Lorenz an der Universität Konstanz stattfand, ergänzt um zwei weitere, ebenfalls diesem Anlass gewidmete Texte. Alle Texte wurden für den Druck überarbeitet; der persönliche Stil der Einleitung, der dem Anlass und dem Charakter des Kolloquiums geschuldet war, blieb beibehalten. Dank für großzügige finanzielle Unterstützung gebührt der Paul-Lorenzen-Stiftung, die für die Redaktion dieses Bandes und das Korrekturlesen aufgekommen ist, sowie der Fritz Thyssen Stiftung, die die Durchführung des Kolloquiums und die Drucklegung dieses Bandes gefördert hat. Konstanz, im Februar 2014

Jürgen Mittelstraß Christopher von Bülow

Jürgen Mittelstraß DIALOGISCHE LOGIK Eine Einführung 2009 wurde die Paul Lorenzen-Stiftung an der Universität Konstanz gegründet. Ihr Zweck: die Förderung des methodischen Denkens im konstruktiven Geiste. Zu diesem Denken gehört auch die Dialogische Logik. Sie führt, wie schon das methodische Denken, nach Erlangen und in einen größeren philosophischen Zusammenhang zurück. Hier ein paar Erinnerungen aus den Urzeiten der Dialogischen Logik. Kuno Lorenz brachte sie aus Kiel mit, Paul Lorenzen, der sie als Programm (in »Logik und Agon«, 1960) mit entwarf, ergänzte sie um das methodische Denken, Wilhelm Kamlah um anthropologische Einsichten – und fertig war der Konstruktivismus, oder besser: fertig war eine philosophische Idee, die das Argumentative, das Genaue, das Strenge mit dem Menschlichen, dem dialogischen Wesen des Menschen verband und diese Verbindung in alle Bereiche der Philosophie und in deren Anschlussstücke in den Wissenschaften trug. Von nun an reichte das Spektrum eines neuen Denkens von der Logik über die Mathematik, die Physik, die Wissenschafts- und Philosophiegeschichte bis zur Ethik. Wo abseits des Weges die Hermeneutik blühte und ihre postmoderne Liebe entdeckte, der Kritische Rationalismus sich von der Begründungsidee verabschiedete, die Wissenschaftstheorie und die Linguistik sich in den Strukturalismus verbissen und die Kritische Theorie das Programm einer Soziologisierung der Philosophie vertrat, ging die Erlanger Schule, wie sie nun von ihren Beobachtern und den Gegnern unter ihnen bezeichnet wurde, beharrlich ihren Weg im besten Kantischen Sinne – allein der kritische Weg, konstruktiv und praktisch wie theoretisch gedacht, ist noch offen –, zugleich Wissenschaft und Lebenswelt philosophisch miteinander versöhnend. Was macht die Dialogische Logik auf einen Blick, und bevor sich der Logikexperte mit ihr befasst, so attraktiv und überzeugend? Die Antwort ist wohl: Die der Dialogischen Logik eingebaute Überzeugungskraft – aus einer philosophischen wie aus einer lebensweltlichen Perspektive – liegt im Dialogbegriff selbst. Dieser Begriff weist weniger eine theoretische als eine praktische Dimension aus und markiert darüber hinaus eine anthropologi-

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Jürgen Mittelstraß

sche Konstante. Es ist die Ich-Du-Beziehung, die ›Ich-Du-Dyade‹, wie es Kuno Lorenz in seiner Einführung in die Anthropologie ausdrückt, auf der anthropologische Konzeptionen im engeren wie im weiteren Sinne aufbauen: Subjekte sind [. . .] nicht jenseits der Rede- und Handlungszusammenhänge, in denen sie stehen, in die sie eintreten und die sie verlassen, bereits ›fertig‹; vielmehr werden sie im dialogischen Zusammenhang erst nach und nach gebildet. [. . . ] Das Selbst ist ein Prozeß fortgesetzter Entwicklung von Ich-DuDyaden. Der tätige oder aktive Anteil an einer Handlung, ihr Vollzug, den ich in traditioneller Überschätzung allein der Vernunft oder dem Geist ›in mir‹ zuschreibe, darf um den zu ihm gehörigen, nur in der Betrachtung zugänglichen, nämlich vom Partner verkörperten hinnehmenden oder passiven Anteil nicht betrogen werden [. . .]. Das jeweilige Gegenüber, an dem ein Ich schrittweise sich erst verwirklicht, ist sonst verschwunden, in ›rationalistischer‹ Selbstüberschätzung oder in ›irrationalistischer‹ Selbstaufgabe. (Lorenz 1990, 110 f.)

Eben dieser anthropologischen Dyas folgt die Dialogische Logik, bzw. sie ist deren logischer Ausdruck. Als Lorenz 1966 – die Dialogische Logik war jung, und wir waren es auch – auf dem 8. Deutschen Kongress für Philosophie über die Ethik der Logik sprach (Lorenz 1967), wurde dies eher als der Ausflug eines Philosophen ins Exotische, als Spiel mit einem irrelevanten Gegensatz verstanden denn als ein Beitrag zu den Grundlagen der Logik, zu einer praktischen Begründung der (formalen) Logik, der es tatsächlich war. Der argumentative Hintergrund der Logik, der von Anfang an, in systematischer Form in der Aristotelischen Topik, den Begründungskontext der Logik ausmachte, wird hier um seine normativen Aspekte nicht nur ergänzt, sondern auch auf diese zurückgeführt. Anspruchsvoll formuliert: Wenn die Vernunft, von der Philosophen so gerne sprechen, eine dialogische Natur besitzt, dann ist die Dialogische Logik ihr unmittelbarer theoretischer – man kann natürlich auch wieder sagen: philosophischer – Ausdruck. In diesem Sinne wäre die Dialogische Logik nicht nur ein theoretischer Einfall unter anderen Logikeinfällen, sondern ein Konzept, das der Logik ihre praktische und darüber hinaus ihre anthropologische Bedeutung zurückgewinnt. Den allgemeinen Rahmen dafür bildet heute die so genannte Philosophische Logik – weniger im Sinne einer Logik nichtklassischer formaler Systeme als einer Logik, die sich primär philosophischen, nicht mathematischen oder mathematisch orientierten Fragestellungen verdankt. Tatsächlich könnte (oder sollte – es ist jedenfalls ihr Anspruch) die Dialogische Logik, die Lorenz und Lorenzen noch 1978 bescheiden als dialogische Begründung der klassischen Logik, also der Logik der wertdefiniten Aussagen, und der intuitionistischen Logik bezeichnet hatten (Lorenzen und Lorenz 1978, VII), Inbegriff einer philosophischen Logik sein. Warum? Aus dem genannten Grund, der zu-

Dialogische Logik

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gleich ihre Wiege beschreibt: weil sie das Dialogische selbst – das, worin der Mensch seine eigentliche Natur, sein besonderes Wesen erkennt – beschreibt bzw. konstruktiv darstellt. Welche andere Disziplin kann auf eine derartige Herkunft und eine derartige anthropologische Relevanz verweisen? Für die Logik im engeren Sinne heißt das, dass mit der Dialogischen Logik die intuitionistische (oder Effektive) Logik die Logik aller dialogdefiniten Aussagen ist – und dass sie auch Grundlage anderer nichtklassischer Logiksysteme, z. B. der Linearen und der Konnexen Logik, desgleichen mancher Modallogiken, ist (vgl. Lorenz 1984).

Literaturverzeichnis Lorenz, Kuno. 1967. »Die Ethik der Logik«. In Das Problem der Sprache: VIII. Deutscher Kongreß für Philosophie, Heidelberg 1966, herausgegeben von H.-G. Gadamer, 81–86. München: Fink. –. 1984. »Logik, dialogische«. In Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, herausgegeben von Jürgen Mittelstraß, Bd. 2, 643–646. Mannheim, Wien, Zürich: Bibliographisches Institut (Nachdruck Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler 1995). 2. Aufl. (Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler 2013), Bd. 5, 22–25. –. 1990. Einführung in die philosophische Anthropologie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Lorenzen, Paul. 1960. »Logik und Agon«. In Atti del XII Congresso Internazionale di Filosofia (Venezia, 12–18 Settembre 1958), Bd. 4, 187–194. Florenz: Sansoni Editore. Wieder abgedruckt in Lorenzen und Lorenz 1978, 1–8. Lorenzen, Paul, und Kuno Lorenz. 1978. Dialogische Logik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Carl Friedrich Gethmann WAHRHEIT UND BEWEISBARKEIT Die philosophische Bedeutung von Intuitionismus und Konstruktivismus in der Logik Die von Paul Lorenzen entworfene und von Kuno Lorenz entwickelte Dialogische ›Logik‹ ist aus der Sicht vieler Philosophen eine Variante der modernen Logik nach Frege und somit ein interner Vorgang in einer ›EinzelWissenschaft‹, dessen philosophische Bedeutung allenfalls die Grundlagenprobleme der Mathematik berührt. In der Tat konnte es in den Schriften von Paul Lorenzen zur Operativen und Dialogischen Logik noch so scheinen. In der Logischen Propädeutik (Kamlah und Lorenzen 1967) sind zwar in dem Kamlah zuzuschreibenden Teil grundlegende sprachphilosophische, anthropologische und ethische Implikationen dieser Logikkonzeption angesprochen, ihr Zusammenhang mit dem wie ein Anhang wirkenden von Lorenzen geschriebenen Logik-Teil ist jedoch unklar. Es war vor allem Kuno Lorenz, der in seiner Habilitationsschrift Elemente der Sprachkritik (Lorenz 1970) die allgemeinen sprachphilosophischen und darüber hinaus allgemein philosophischen Implikationen der Dialogischen Logik herausgestellt und in seinem immensen Schrifttum immer weiter ausgearbeitet hat. Es soll die Aufgabe dieses einleitenden Beitrags sein, die philosophische Bedeutung der Konstruktiven Logik jedenfalls für den Fragenkreis der Theoretischen Philosophie zu skizzieren. In Weiterführung früherer Bemerkungen dieser Art (Gethmann 2008b und 2010) soll in einer persönlich-biographischen Vorbemerkung kurz auf das Bekanntwerden des Autors mit den Erlanger Logikarbeiten eingegangen werden. Nachdem ich drei Semester in Bonn u. a. bei Hans Wagner und Gottfried Martin Philosophie studiert hatte, empfahl mir Letzterer, meine Studien bei den Jesuiten in Innsbruck fortzusetzen, was ich mit meiner damaligen Freundin Annemarie Siefert und zwei weiteren Kommilitonen zum Wintersemester 1965/66 auch tat. In Innsbruck lehrte unter anderem Vladimir Richter SJ, der wenige Semester vorher in Kiel bei Lorenzen studiert und sich über die Operative Logik habilitiert hatte (Richter 1965). Ferner trafen wir auf Otto Muck SJ, einen scholastischen Philosophen der neuthomistischen, sich stark auf Kant und Fichte beziehenden Maréchal-Schule (Muck 1964;

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Carl Friedrich Gethmann

vgl. Gethmann 2013), 1 der ebenfalls ein guter Kenner der Analytischen Philosophie und speziell der Erlanger Schule war, die er besonders schätzte. Beide machten uns auf die in Erlangen in diesen Jahren zu beobachtende Bewegung der Erlanger Schule aufmerksam. Zu unserem Kreis gehörten Gerhard Leibold, Gereon Wolters und Edgar Morscher, die später allesamt renommierte Philosophieprofessoren wurden. Man halte sich die zeitliche Dichte der Ereignisse vor Augen: Der Aufsatz von Paul Lorenzen »Ein dialogisches Konstruktivitätskriterium« erschien gedruckt in Oxford 1961. Kuno Lorenz wurde in Kiel mit der Dissertation Arithmetik und Logik als Spiele 1961 promoviert (teilweise veröffentlicht in Lorenz 1978). Die Logische Propädeutik erschien in erster Auflage 1967. Meine Rezension »Logische Propädeutik als Fundamentalphilosophie« (Gethmann 1969b) erschien in den Kant-Studien 1969. Die Rezeptionsgeschwindigkeit von Erlangen nach Innsbruck war nahe unendlich; im Nachhinein habe ich den Eindruck, dass wir in Innsbruck teilweise näher an den Entwicklungen waren als viele Erlanger Eleven. Allerdings gab es drei besondere Perspektiven, die Richter und Muck mit anderer Akzentsetzung betrachtet haben, als dies möglicherweise in Erlangen der Fall war: (i) In Innsbruck sahen wir die Entwicklung der Operativen und Dialogischen Logik in engem Konnex mit anderen Entwicklungen der intuitionistischen Logik, beispielsweise bei Brouwer, Heyting, Beth, Markov, Kolmogorov und später bei M. Dummett. (ii) In Innsbruck wurde die Kontinuität und große Affinität zwischen Operativer und Dialogischer Logik herausgestellt, die auch noch meine Konstanzer Habilitationsschrift (Gethmann 1979) geprägt hat. (iii) Semantische und sprachphilosophische Fragen wie das Universalienproblem (etwa bei Ockham) oder die gebrauchstheoretische Bedeutungstheorie des späten Wittgenstein wurden von Richter und Muck in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Konstruktiven Logik diskutiert. Die überblicksartige Zusammenfassung der Bedeutung der Entwicklung der Konstruktiven Logik für die Grundfragen der Theoretischen Philosophie, die im Folgenden versucht wird, ist auf diesem Hintergrund zu verstehen. 2 1

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Zwischen dem Primat des Vollzuges in der Maréchal-Schule und dem semantischen Operationalismus der Konstruktiven Logik gibt es durchaus Affinitäten; vgl. beispielsweise die Hinweise in Gethmann 1969a und Muck 1989. Die folgenden Überlegungen wurden zuerst in dem Beitrag Gethmann 2000, 58–70 (Nachdruck Gethmann 2007b, 149–156), veröffentlicht. Der Text wurde hier auf den Anlass bezogen überarbeitet und erweitert, es wurde jedoch nicht versucht, textliche Übereinstimmungen zu vermeiden.