Das Komplott der Senatoren

nen Block weiter um die Ecke in die North State. Street. An dieser Ecke stand er nun, .... dürfen. Womit können wir Ihnen dienen?«, meldete sich eine sinnliche ...
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Hansjörg Anderegg   

Das Komplott der Senatoren     

Thriller    © 2010   AAVAA  Verlag UG (haftungsbeschränkt)   Quickborner Str. 78 – 80,13439  Berlin   Telefon.: +49 (0)30 565 849 410  Email:  [email protected]  Alle Rechte vorbehalten  1. Auflage 2010  Lektorat: Hans Lebek, Berlin    Covergestaltung   Tatjana Meletzky    Printed in Germany   ISBN 978‐3‐86254‐164‐5         

                Alle Personen und Namen sind frei erfunden.   Ähnlichkeiten mit lebenden Personen   sind zufällig und nicht beabsichtigt.                     

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KAPITEL 1  

THE LOOP, CHICAGO       Wie man sich den Tod vorstellt, so sah er gewiss  nicht  aus,  der  freundlich  lächelnde  junge  Mann  an  der Straßenecke, aber der Anblick täuschte. Seit ein  paar  Sekunden,  seit  der  braune  Umschlag  im  Schlitz  des  Briefkastens  verschwunden  war,  hatte  er  keine  andere  Wahl  mehr.  Er  war  der  Tod,  auch  das  gehörte  zu  seinem  Job.  Nicht  dass  er  die  Ent‐ wicklung  sonderlich  bedauerte.  Er  würde  diesen  Auftrag  so  sorgfältig  erledigen  wie  alle  bisherigen  auch. Es ärgerte ihn höchstens ein wenig, dass Dra‐ ke ihm die Arbeit unnötig erschwerte, als legte er es  darauf an, Katz‐und‐Maus mit ihm zu spielen.  Anstatt  wie  jeden  Abend  um  sechs  zur  Garfield‐ Green  Station  hinaufzusteigen,  hatte  Drake  es  vor‐ gezogen, im Regen durch den Washington Park zu  joggen.  Der  junge  Mann  sah  ihn  schon  zwischen  den  Bäumen  jenseits  der  Park  Avenue  verschwin‐ den, als er realisierte, was Drake im Schilde führte.   Statt  ihm  zu  folgen,  ging  er  auf  dem  schnellsten  Weg  zur  51st,  stieg  die  Treppe  zur  Hochbahnstati‐ 7

on hinauf und wartete. Keine zehn Minuten später  erschien  der  triefend  nasse  Drake  auf  dem  Bahn‐ steig. Er folgte ihm unauffällig in den nächsten Zug  der  Green  Line  nach  Norden.  Er  interessierte  sich  nicht  für  den  schmächtigen,  blassen  Akademiker,  der  bei  jedem Schritt aus  seinen Kleidern  zu  fallen  schien. Sein Auftrag lautete, die Dokumente sicher‐ zustellen, doch das war nicht so einfach, wie es sich  anhörte. Drake hatte den Plastiksack mit den Papie‐ ren  unter  die  Windjacke  gepackt.  Unmöglich,  ihm  die Ware kurzerhand zu entreißen. Also beschattete  er ihn weiter, wartete auf seinen Augenblick.   Der Zug näherte sich dem Loop. Es wurde eng im  Wagen, und er konnte näher an den Verfolgten rü‐ cken  ohne  aufzufallen.  Zu  seiner  Verblüffung  sprang  Drake  unvermittelt  auf,  als  sich  die  Türen  an  der  Madison  schon  wieder  zu  schließen  began‐ nen  und  stürmte  hinaus.  Mit  einem  kräftigen  Stoß  sorgte  er  dafür,  dass  die  Tür  wieder  aufflog  und  setzte ihm nach. Drake rannte die Treppe hinunter,  eilte  die  Washington  entlang  und  verschwand  ei‐ nen  Block  weiter  um  die  Ecke  in  die  North  State  Street. An dieser Ecke stand er nun, musste untätig  zusehen,  wie  Drake  den  Umschlag  aus  dem  Plas‐ tiksack in die blaue Mailbox fallen ließ. Bedauerlich  nur deshalb, weil er nun den zweiten Teil des Auf‐ trags  erledigen  musste,  und  das  roch  nach  spätem  Feierabend.   8 

Als hätte er einen lästigen Verfolger abgeschüttelt,  schlenderte  Drake  gemütlich  weiter  und  betrat  ein  paar Schritte weiter das imposante Atrium von Ma‐ cy’s.  Der  größte  verdammte  Laden,  den  er  sich  aussu‐ chen konnte, ärgerte sich der junge Mann. Er musste  sich  dicht  an  Drakes  Fersen  heften,  um  ihn  im        abendlichen Menschengewühl nicht aus den Augen  zu verlieren. Allmählich begann ihn dieser Auftrag  zu  langweilen.  Mit  Freunden  im  Bull’s  Head  das  Spiel  anzusehen  wäre  entschieden  sinnvoller  als  sich  hier  durch  penetrante  Parfümwolken  zu  quä‐ len. Aber er hatte keine Wahl. Er war der Tod.  Drake  schaute  weder  links  noch  rechts,  steuerte  zielstrebig  auf  die  Treppe  zum  Untergeschoss  zu  und ging am Pub vorbei zu den Toiletten. Vielleicht  war der Abend doch noch nicht verloren. Er warte‐ te,  bis Drake die  Tür  zu  seinem Abteil  geschlossen  hatte  und  betrat  das  Pissoir.  Sie  waren  beinahe  al‐ lein,  nur  ein  älterer  Mann  wusch  sich  noch  die  Hände,  bevor  er  den  Raum  verließ.  Er  stellte  sich  vor Drakes Abteil auf, zog seine zuverlässige Glock  19  mit  aufgeschraubtem  Schalldämpfer  aus  dem  Schulterhalfter  und  entsicherte  sie.  Die  Spülung  rauschte,  der  Riegel  wurde  zurückgeschoben,  die  Tür  öffnete  sich,  doch  der  junge  Mann  ließ  die  Hand  mit  der  Pistole  blitzschnell  wieder  sinken,  denn  in  diesem  Augenblick  wankten  zwei  Bur‐ schen  herein,  die  offenbar  schon  längere  Zeit  im  9

Pub  gesessen  hatten.  Er  drehte  sich  zur  Seite,  um  die Waffe zu verbergen und verzog sich ins nächste  Abteil. Die Jagd war noch nicht zu Ende.  Drake hatte es plötzlich eilig. Er hetzte die Treppe  hinauf,  aus  dem  Warenhaus  und  war  schon  nicht  mehr  zu  sehen,  als  sein  Verfolger  auf  die  Strasse  hinaus  trat.  Nicht  schon  wieder,  dachte  der  junge  Mann  gereizt.  Er  hatte  keine  Lust  zu  spielen  bei  diesem  Wetter.  Er  schlug  die  Kapuze  über  den  Kopf  und  spurtete zur  Ecke  Randolph.  Randolph  /  Wabash war die nächste Station der Hochbahn, das  musste das nächste Ziel des Verrückten sein, wenn  er nach Hause wollte. Er lächelte wieder, als er ihn  auf der anderen Straßenseite rennen sah und setzte  ihm  nach.  Mit  gesenktem  Kopf  schlängelte  er  sich  zwischen hupenden Autos hindurch über die Stras‐ se. Den Touristenbus sah er nicht kommen, aber er  spürte ihn, als er unmittelbar neben ihm kreischend  zum Stillstand kam. Die herzhaften Flüche des Fah‐ rers hörte er kaum noch. Er war längst weiter, hatte  seine  Beute  beinahe  eingeholt.  Er  musste  jetzt  in  Drakes Nähe bleiben, falls dem noch weitere Eska‐ paden  einfielen.  Dem  Hühnervogel  sei  Dank,  der  Mann stieg tatsächlich die Treppe hoch zur Station.   Sie  erreichten  die  Plattform  zur  gleichen  Zeit,  als  der  Zug  der  Brown  Line  nach  Kimball,  wo  Drake  wohnte,  eben  abfuhr.  Einige  Minuten  Verschnauf‐ pause,  auch  gut.  Er  stellte  sich  unmittelbar  hinter  10 

Drake,  obwohl  er  nicht  annahm,  dass  dieser  ande‐ res vorhatte, als auf seinen nächsten Zug zu warten.  Auf  dem  Geleise  gegenüber  fuhr  ein  Zug  der  Pur‐ ple  Line  ein,  kurz  danach  eine  Komposition  der  Green. Drake hatte sich nicht von der Stelle gerührt,  wartete  stoisch  auf  seinen  Anschluss.  Orange  fuhr  mit hohem Tempo in die Station ein, wie die ande‐ ren Züge vor ihr. Es schien den Lokführern Spaß zu  machen,  erst  im  letzten  Augenblick  abrupt  zu  bremsen. Die Szenen, die sich vor seinen Augen ab‐ spielten,  kannte  er  von  frühester  Jugend  an,  hatte  sie  schon  tausend  Mal  gesehen,  aber  heute  lösten  sie  einen  völlig  neuen  Gedankengang  in  seinem  brillanten Hirn aus. Der Tod war kreativ. Drake tat  einen Schritt nach vorn. Sein Zug näherte sich. Per‐ fekt, dachte der junge Mann und stieß ihn mit einem  unauffälligen,  aber  umso  kräftigeren  Stoß  vor  die  einfahrende  Lok.  Die  Räder  blockierten  sofort,  Ei‐ sen  kreischte  auf  Eisen,  Funken  stoben  durch  die  Luft,  auf  die  Plattform.  Leute  schrien,  sprangen  entsetzt zur Seite, traten sich auf die Füße, schimpf‐ ten. Das Durcheinander war vollkommen. Alle Au‐ gen richteten sich auf das  Geleise,  auf  die  blutigen  Überreste  des  schmächtigen  Mannes,  der  hier  vor  ein  paar  Sekunden  noch  auf  seinen  Zug  gewartet  hatte,  wie  sie  alle.  Niemand  bemerkte  den  Kapu‐ zenmann,  der  ruhig  die  Treppe  hinunter  ging  und  die  Station  unauffällig  verließ.  Bevor  er  auf  die  11

Strasse  trat,  zog  er  seine  Jacke  aus,  drehte  sie  mit  geübtem Handgriff um, klappte die Kapuze hinein  und  zog  sie  wieder  an.  Er  glaubte  nicht,  dass  ihn  jemand  beobachtet  hatte,  aber  Vorsicht  gehörte  zu  seinem  Handwerk.  Aus  dem  schwarzen  Kapuzen‐ mann war jetzt ein Geschäftsmann im hellen Jackett  geworden.  Die  Nässe  auf  dem  Körper  störte  ihn  nicht. Wichtig war jetzt nur, das Spiel nicht zu ver‐ passen. Er schaute auf die Uhr und lächelte zufrie‐ den. Wenn er sich beeilte, konnte er es noch schaf‐ fen ins Bull’s Head.   

POTOMAC, MARYLAND    Finn  O’Sullivan  war  ein  stattlicher  Mann,  der  je‐ den  beeindruckte,  der  ihm  gegenüber  stand,  auch  wenn  er  seine  konservative  Wertordnung  keines‐ wegs  billigte.  Seit  vielen  Jahren  war  er  als  Senator  des  Staates  Arizona  auf  dem  Capitol  Hill  genauso  zu  Hause  wie  in  Phoenix.  Die  herrschaftliche  Villa  im vornehmsten Viertel von Potomac bei Washing‐ ton war ihm nach dem frühen Tod seiner Frau zum  festen Wohnsitz geworden. Das kühlere Klima hier  sagte  ihm  ohnehin  besser  zu.  Daheim  in  Arizona  brauchte  er  sich  nur  noch  auf  wenigen,  wirklich  wichtigen  Empfängen  und  während  des  Wahl‐ 12 

kampfs  sehen  zu  lassen,  denn  sein  Sitz  im  Senat  war so sicher wie das Amen in der Kirche. Als Vor‐ sitzender  des  mächtigen  Energy  and  Natural  Re‐ sources Committee übte er großen Einfluss auf das  politische  Geschehen  aus.  Kein  Abgeordneter,  der  bei Verstand war, legte sich freiwillig mit dem stu‐ ren Iren aus Phoenix an.  »Danke,  Ted,  ich  brauche  Sie  heute  nicht  mehr«,  verabschiedete  er  den  Fahrer  vor  dem  pompösen  Portal, dessen elegante Säulen ihn jedes Mal an den  Triumphbogen  auf  dem  ehrwürdigen  Forum  Ro‐ manum  erinnerten.  Er  war  froh,  die  Sitzung  mit  den  Vertretern  der  Wasserwerke  ohne  konkrete  Zusagen hinter sich gebracht zu haben. Seiner Mei‐ nung nach gab es entschieden zu viele unter ihnen,  die der Privatwirtschaft das Wasser abgraben woll‐ ten. Einmal mehr hatte er seine kostbare Energie für  die  ewiggleiche  Diskussion  verschwendet,  anders  ließ  sich  das  gute  alte  Gesetz  der  ›biggest  pump‹,  der  größten  Pumpe,  wohl  nicht  durchsetzen.  Es  wollte  ihm  nicht  in  den  Kopf,  warum  diese  Leute  nicht  begriffen,  dass  das  Grundwasser  einzig  und  allein  dem  Landbesitzer  gehörte,  genauso  wie  das  Gras, das auf seiner Farm wuchs, und dass er damit  machen  konnte,  was  ihm  passte.  Der  konnte  das  Wasser den Stadtwerken verkaufen oder den Was‐ serkonzernen wie Mamot, die es in Flaschen abfüll‐ ten,  verteilten  und  teurer  weiterverkauften.  In  die‐ 13

sem Land herrschte freie Marktwirtschaft.   Ärgerlich  hängte  er  das  Sakko  an  den  Bügel  und  schlüpfte  in  die  Hausschuhe.  Wie  immer,  wenn  er  sich  über  Gebühr  aufregte,  bekam  er  Appetit.  Wo  blieb nur Maria? Das schöne Kind besorgte ihm den  Haushalt  und  empfing  ihn  sonst  mit  einem  strah‐ lenden Lächeln auf ihren rosigen Lippen, sobald er  sich der Haustür näherte. Vielleicht war sie tatsäch‐ lich  ein  wenig  verliebt  in  ihn,  vielleicht  spielte  sie  auch nur ihre Rolle zu seiner vollen Zufriedenheit.  Was  kümmerte  es  ihn,  in  seinem  Alter  konnte  er  sich den Luxus nicht mehr leisten, auf echte Gefüh‐ le zu warten.   »Maria?«, rief er beunruhigt.  »Senator?«  Die  rauchige  Stimme  kannte  er  nicht.  Eine ältere Frau mit zerfurchtem Gesicht, traurigen  Augen und einem Mund, dem man kein Lachen zu‐ traute, schlurfte aus der Küche.   »Wer sind Sie?«, fragte der Senator unsicher.  »Esmeralda  Mendoza.  Ich  vertrete  Maria.  Famili‐ enangelegenheit. Was wünschen Sie?«  »Ist etwas passiert, geht es ihr gut?«  »Weiß  nicht.«  Aus  der  Frau  war  offensichtlich  nichts herauszuholen. Sie musterten sich eine Weile  schweigend,  dann  erinnerte  er  sich  an  seinen  Ma‐ gen.  »Es wäre nett, wenn Sie mir ein Sandwich machen  könnten.  Ich  bin  in  der  Bibliothek.«  Sie  trottete  14 

wortlos  davon,  während  er  kopfschüttelnd  die  Treppe hinaufstieg.   Ein  Blick  auf  den  Schreibtisch  bestätigte  seine  Be‐ fürchtung:  der  Tag  war  noch  nicht  zu  Ende.  Den  Stapel Post musste er mindestens noch sichten, be‐ vor  er  sich  entspannt  in  seinem  Ohrensessel  zu‐ rücklehnen konnte. Kaum hatte er sich an den Tisch  gesetzt, erschien Esmeralda und stellte ein silbernes  Tablett  mit  einem  üppigen  Clubsandwich  und  ei‐ nem  Krug  Eiswasser  auf  die  Anrichte  neben  der  Tür. In der Küche konnte die Frau Maria noch eini‐ ges  beibringen.  Der  Senator  bedankte  sich  über‐ schwänglich  und  entließ  sie.  Er  wollte  keine  neu‐ gierigen  Angestellten  im  Haus  an  diesem  Abend.  Zu früh hatte er sich nach all dem Frust im Büro auf  die  Stunden  mit  Maria  gefreut,  doch  ihre  Abwe‐ senheit  gab  ihm  Gelegenheit,  eine  andere  alte  Be‐ kanntschaft  aufzufrischen.  Er  griff  zum  Telefon,  öffnete  das  Adressbuch  und  wählte  die  Nummer  unter der Bezeichnung ›VIP Secretaries‹.  »Senator,  schön,  Sie  wieder  einmal  begrüßen  zu  dürfen. Womit können wir Ihnen dienen?«, meldete  sich eine sinnliche, weibliche Stimme.  »Ist Jade frei?«  »Für  Sie  immer,  Senator«,  antwortete  die  Frau  nach  kurzem  Zögern.  »Es  dauert  allerdings  etwa  anderthalb Stunden.«  »Kein  Problem,  ich  wollte  sie  sowieso  für  zehn  15

Uhr  bestellen,  in  mein  Haus,  wie  üblich.  Ist  das  in  Ordnung?«  Selbstverständlich  war  es  in  Ordnung.  Er  war  ein  geschätzter VIP Kunde beim VIP Service.   Mit  der  Aussicht  auf  Jade  ging  das  Sichten  der  Post  zügig  vonstatten.  Meist  waren  es  Bettelbriefe,  die  sowieso  an  sein  Büro  im  Kongress  adressiert  sein  sollten.  Sein  Sekretär  würde  sich  darum  küm‐ mern.  Zwei  anonyme  Briefe  ohne  Absender  waren  auch  dabei.  Die  wanderten  ungeöffnet  in  den  Pa‐ pierkorb. Den großen, braunen Umschlag hob er bis  zuletzt  auf.  Der  sah  ganz  nach  Arbeit  aus.  Es  war  stickig  in  der  Bibliothek,  er  brauchte  frische  Luft.  Kauend öffnete er die Glastür und trat auf die Ter‐ rasse. Die kühle Frühlingsluft tat gut. Er sog sie gie‐ rig  ein,  atmete  tief  durch  und  fühlte  sich  wieder  frisch, als  er  ins Zimmer  zurückkehrte. Die  Terras‐ sentür  blieb  einen  Spalt  offen.  Er  trank  einen  Schluck  Wasser,  bevor  er  die  Bar  mit  den  härteren  Sachen öffnete. Zeit für seinen Drink. Whiskey, iri‐ scher Whiskey mit ›ey‹, Jameson, pur, nichts ande‐ res durfte es sein seit er hier wohnte. Mit dem Glas  und einer Zigarre zog er sich in den Sessel zurück.  Misstrauisch betrachtete er den braunen Umschlag.  Beim  ersten  Blick  auf  den  Poststempel  hatte  er  an  Neill Douglas gedacht, den Senator des Staates Illi‐ nois  aus  Chicago,  der  als  sein  Vize  dem  gleichen  Komitee vorstand. Der Absender lautete allerdings  16 

auf  einen  anderen  Namen:  Dragon,  seltsam.  Als  fürchtete er, sich zu vergiften, öffnete er das Kuvert  umständlich.  Es  enthielt  einen  handschriftlichen  Brief  und  einige  Blätter  Beilagen,  Originaldoku‐ mente  und  Kopien.  Als  er  die  erste  Beilage  sah,  erbleichte er.     Im Haus des Senators brannte kein Licht.   Geräuschlos und unsichtbar huschte die schwarze  Gestalt durch den Park, schlich dem Haus entlang,  prüfte  Türen  und  Fenster  und  kletterte  schließlich  behände wie eine Katze am Grünzeug hoch auf die  Terrasse. Vorsichtig spähte der Eindringling durchs  Fenster, hinter dem die Bibliothek des Senators lie‐ gen  musste.  Nichts  rührte  sich,  das  ganze  Haus  schien  zu  schlafen.  Die  Dunkelheit  der  mondlosen  Nacht war nahezu vollkommen. Vom Streulicht des  Quartiers  drang  kaum  etwas  durch  den  dichten  Baumbestand, der den Park umgab. Er tastete nach  der  Klinke  der  Terrassentür  und  erschrak.  Seine  Hand  zuckte  blitzschnell  zurück,  als  hätte  ihn  ein  Stromschlag getroffen. Die Tür hatte sich mit leisem  Knarren bewegt, sie war offen. Er kauerte für kurze  Zeit  an  der  Mauer,  atmete  tief  durch  und  horchte  angestrengt. Alles blieb still. Geduckt drückte er die  Tür mit einer schnellen Bewegung etwas weiter auf.  Wieder  spitzte  er  die  Ohren.  Keine  Reaktion.  Er  schlüpfte  rasch  hinein,  knipste  die  Taschenlampe  17

an  und  ließ  den  Lichtkegel  langsam  durch  den  Raum  schweifen.  Bis  auf  die  paar  hundert  Bücher,  die wohl noch niemand gelesen hatte, die schweren  Ledersessel  und  den  Schreibtisch  war  die  Biblio‐ thek leer, und doch hatte er das ungute Gefühl, be‐ obachtet zu werden. Vielleicht lag es am sauren Ge‐ ruch erkalteter Zigarren und abgestandener Drinks,  der  im  Raum  hing.  Vielleicht  zerrte  auch  einfach  die Tatsache an seinen Nerven, dass er noch nie in  das Haus einer so prominenten und wichtigen Per‐ sönlichkeit  eingestiegen  war.  Wie  auch  immer,  je‐ denfalls befand er sich im richtigen Zimmer. Wenn  die  Ware  im  Haus  war,  dann  mit  Sicherheit  in  der  Bibliothek,  hatte  sein  Auftraggeber  behauptet.       Alarmanlage und Safe fehlten im Haus. Der Senator  brauchte  keine  technischen  Spielereien,  er  stand  zum Glück über diesen Dingen.  Es  rührte  sich  noch  immer  nichts  im  Haus,  als  er  mit  seiner  systematischen  Suche  begann.  Auf  den  ersten  Blick  sah  er  nichts  Verdächtiges  herumlie‐ gen, also arbeitete er sich wie gewohnt zuerst Meter  für Meter im Gegenuhrzeigersinn den Wänden des  Raums entlang. Kein Türchen, keine Schublade ließ  er aus, auch die Hausbar durchsuchte er mit geüb‐ tem Blick und flinken Fingern. Ein einziges riesiges  Büchergestell bildete die Rückwand der Bibliothek.  Da  er  dem  Senator  alles  zutraute,  suchte  er  nach  Geheimfächern  oder  gar  einer  Geheimtür  hinter  18 

den  Büchern.  Das  nahm  einige  Zeit  in  Anspruch,  mehr  als  ihm  lieb  war,    aber  er  musste  in  diesem  Fall  besonders  gründlich  vorgehen.  In  den  Gestel‐ len steckten tatsächlich nur Bücher, keine losen Pa‐ piere, Dossiers oder Briefe.  Er war beim Schreibtisch angelangt, eher ein kost‐ bar  mit  Intarsien  verzierter  Sekretär.  Bevor  er  die  vielen  Fächer  des  Möbels  öffnete,  durchstöberte  er  den  Papierkorb,  der  daneben  stand.  Briefumschlä‐ ge,  ungeöffnete  Briefe,  nichts,  was  seinen  Auftrag‐ geber  interessieren  konnte.  Auf  dem  Schreibtisch  lag  lediglich  ein  Stapel  aus  drei  Büchern,  eines  di‐ cker  als  das  andere,  nichts  unter  der  Schreibunter‐ lage und nichts in den Schubladen. Er war nahezu  fertig  mit  der  Durchsuchung  und  hatte  keine  Spur  des  Dokuments  gefunden,  für  dessen  Beschaffung  er  glatt  den  coolen,  silbernen  Porsche  911  kaufen  könnte. Nun sah es ganz danach aus, dass sich sein  Traum  in  nichts  auflöste,  wenn  er  nicht  auch  noch  die  übrigen  Räume  der  riesigen  Villa  durchsuchte.  Eine  Herkulesaufgabe,  die  selbst  er  sich  allein  kaum  zutraute.  Was  ihn  am  meisten  ärgerte  aber  war dieses unheimliche Gefühl, jemand schaue ihm  dauernd über die Schulter.   Es  blieb  nur  noch  die  kleine  Polstergruppe  in  der  Mitte der Bibliothek. Er drehte sich um, richtete den  Strahl  der  Lampe  auf  die  Sessel  und  machte  einen  Satz  rückwärts,  als  wäre  er  in  Mike  Tysons  linken  19