„Gender Pay Gag“? - Arbeit und Arbeitsrecht

ist Leiter der Forschungsstelle für Arbeitsrecht an der Hochschule Ludwigsburg. Vor seiner Berufung war er u. a. Leiter Zentrale Dienste Arbeits- und. Tarifrecht einer privaten Klinikgruppe und Leiter. Personal eines Versicherungsunternehmens. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und. Gründungsmitglied im Beirat ...
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Personalpraxis

Per Glücksspiel zur Geschlechtsdiskriminierung

„Gender Pay Gag“? Prof. Dr. Arnd Diringer ist Leiter der Forschungsstelle für Arbeitsrecht an der Hochschule Ludwigsburg. Vor seiner Berufung war er u. a. Leiter Zentrale Dienste Arbeits- und Tarifrecht ­einer privaten Klinikgruppe und Leiter Personal ­eines Versicherungsunternehmens. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und Gründungsmitglied im Beirat des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen e. V. (BVAU).

2 Erstaunliche Unterschiede Die aktuelle Untersuchung ist nicht die erste, die das WSI zum Thema „Gender Pay Gap“ erstellt hat. Anlässlich des „Equal-Pay-Day“ am 21.3.2014 – also knapp sechs Monate vor der aktuellen Studie – veröffentlichte es e­ ine ähnliche Untersuchung. Der durchschnittliche Brutto­ monatsverdienst von Frauen lag danach zwischen 2009 und 2013 „rund 20 % unter dem der Männer“. Zugleich wurde aber festgestellt, dass in ­einigen Berufen „das Einkommen der Frauen über dem der Männer“ liegt. Beispiel

„Gleicher Beruf, weniger Geld“ – so und so ähnlich lauteten Schlagzeilen in den Medien, nachdem im Oktober 2014 die Ergebnisse ­einer Untersuchung zu Lohnunterschieden zwischen Männern und Frauen veröffentlicht wurden. Und auch bei Verbänden und im Internet hat die Studie große Resonanz hervorgerufen. Erstaunlich – denn die Daten der Untersuchung stammen aus einem Gewinnspiel im Internet. Repräsentativ sind sie nicht.

1 Untersuchung zum „Gender Pay Gap“ Untersuchungen zum „Gender Pay Gap“, also zu den Einkommensunterschieden zwischen Männern und Frauen, gibt es mittlerweile fast so viele wie den berühmten Sand an dem nicht weniger berühmten Meer. Und fast alle kommen zum gleichen Ergebnis: Frauen verdienen in Deutschland weniger als Männer. Verwunderlich ist das (leider!) nicht: Sog. typische Frauenberufe, insbesondere in der Pflege und Kinderbetreuung, erfahren nicht ansatzweise die Wertschätzung, die sie verdienen – auch in finanzieller Hinsicht. Mütter müssen oftmals erhebliche berufliche, Familien auch dadurch deutliche finanzielle Nachteile in Kauf nehmen. Und spätestens ab dem dritten Kind ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zumindest für ­einen Elternteil zumeist bloße Theorie. Die Ergebnisse ­einer im Oktober vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) veröffentlichten Untersuchung lassen aber trotz dieser bekannten Tatsachen aufhorchen. Danach verdienen auch vollzeitbeschäftigte Frauen im gleichen Beruf deutlich ­weniger als ihre männlichen Kollegen. Die Lohnunterschiede liegen ­zwischen 158 und 1.148 Euro brutto monatlich. Prozentual betrage der Abstand zwischen 6 und 28 %. Beispiel Am größten sei die Differenz in der Versicherungsbranche: Ein Versicherungskaufmann erhalte durchschnittlich 4.160 Euro, seine Kolleginnen müssten sich dagegen mit 3.012 Euro begnügen. Nicht viel besser sehe es bei Chemikerinnen aus: Sie erhielten im Schnitt 4.291 Euro und damit­ 946 Euro weniger als Chemiker.

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So erhalten Informatikerinnen nach dieser Untersuchung mit 4.191 Euro 3 % mehr als Informatiker, die sich im Schnitt mit 4.062 Euro begnügen müssten. Dieser Beruf ist – wie viele andere – in der aktuellen Untersuchung nicht aufgeführt. Einige finden sich dagegen sowohl in der Studie vom März 2014 als auch in der vom Oktober 2014. Beispiel Nach der ersten Untersuchung verdienen männliche Maschinenbautechniker im Schnitt 4.004 Euro monatlich, weibliche dagegen nur 3.324 Euro. Der Gehaltsunterschied liegt damit bei 17 %. Nach der sechs Monate später veröffentlichten Studie sind die Gehälter der ­Maschinenbautechniker leicht gesunken, die der Maschinenbautechnikerinnen stark angestiegen. Männer erhalten nun nur noch 3.987 Euro, Frauen 3.573 Euro – ­ein Plus von durchschnittlich 249 Euro pro Monat. Dementsprechend verringerte sich der „Gender Pay Gap“ auf 10 %.

3 Datenbasis Die aufgeführten Lohnunterschiede basieren auf Daten aus e­ inem als „LohnSpiegel“ bezeichneten Projekt des WSI. Info Quellen Die Datenerhebung erfolgt durch ­eine Umfrage auf der Internetseite lohnspiegel.de. Sie wird in Form ­eines Online-Gewinnspiels durchgeführt. „Sie können durch Ihre Teilnahme an unserer jährlichen Preisverlosung ­teilnehmen“, heißt es dazu auf der Seite. Und „wenn Sie auch den Teil 2 ausfüllen, verdoppeln Sie auch Ihre Gewinnchance“ (http://www.lohnspiegel.de/main/lohn-gehalt/Umfrage). Als erster Preis winken 1.500 Euro, als zweiter 750 Euro und als dritter immerhin noch 375 Euro.

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Personalpraxis Zu den rechtlichen Grundlagen wird ausgeführt, dass „der Preis“ (nicht die Preise?) von der holländischen WageIndicator-Stiftung ausgelobt wird: „Auf ihrer Website www.wageindicator.org erklärt sie in englischer Sprache­, dass sie sich an die vom holländischen Justizministerium im ­Januar 2006 erlassenen Verhaltensregeln für Lotterien hält. Daher ist holländisches Recht ­einschließlich der Regelungen über die Lotteriesteuer anwendbar“ – so die Erläuterungen der Seitenbetreiber (http://www. lohnspiegel.de/main/lohn-gehalt/Umfrage/gewinnen).

4 Mangelnde Repräsentativität Dass diese Datenerhebung keine repräsentativen Ergebnisse liefern kann, ist offensichtlich. In der Mitteilung des WSI zur aktuellen Untersuchung wird insofern zwar ausgeführt, dass die ermittelten Zahlen „belegen, dass der Einkommensrückstand der Frauen in vielen Bereichen nach wie vor sehr hoch ist“. Auch das WSI gesteht aber ­ein, dass die Befragung „nicht repräsentativ“ ist. Sie lässt also keinen Rückschluss auf die Gesamtheit zu – was in vielen Berichten über die Studie verschwiegen wird. Dabei ist das Problem fehlender Repräsentativität und Validität von per Zufallsbefragung im Internet erhobenen Daten seit Jahren ausreichend erforscht. Auch Mitarbeiter des WSI haben in e­ inem Beitrag über das „Projekt Lohnspiegel“ auf methodische Probleme der Datenerhebung via Internet hingewiesen (WSI Mitteilungen I/2010, S. 1 ff.). Dazu gehört u. a., dass für Online-Befragungen kein statistisches Modell existiert, um Messfehler theoretisch berechnen zu können: „Wenn sich die Teilnehmer

und Nichtteilnehmer in Bezug auf zu untersuchenden (sic!) Merkmale stark unterscheiden, könnte dies zur (sic!) starken Verzerrungen und zu größeren Messfehlern führen“ – so die Verfasser (a. a. O., S. 4). Trotz dieser und anderer methodischer Probleme stehe es aber „nach den bisherigen Erfahrungen außer Zweifel“, dass die „so gewonnen Daten nicht nur für e­ inen nutzerorientierten Lohn- und Gehalts-Check, sondern auch für ertragreiche wissenschaftliche Analysen nutzbar sind“ (a. a. O., S. 7). In der Mitteilung des WSI zur aktuellen „Gender Pay Gap“-Untersuchung wird insofern ausgeführt, dass die Befragung zwar nicht repräsentativ ist, sie liefere „durch die hohe Fallzahl aber verlässliche Orientierungsdaten“.

5 Zahlen, Daten – Fakten? Nach der Pressemitteilung des WSI basieren die Zahlen der aktuellen Untersuchung „auf Daten von rund 20.000 Beschäftigten, die an der OnlineUmfrage teilgenommen haben“. Wie sich aus der vom WSI auf Anfrage zur Verfügung gestellten Erhebung ergibt, waren es genau 18.649 Datensätze für 20 Berufe. 12.525, also mehr als zwei Drittel stammen von Männern, 6.124 von Frauen. Die Verteilung auf die e­ inzelnen Berufe ist dabei naturgemäß nicht gleichmäßig. So entfallen von den 6.124 Angaben weiblicher Befragter allein 1.003 auf den Beruf Krankenschwester und 860 auf den der Verkäuferin. Bei anderen Berufen finden sich entsprechend weniger Teilnehmerinnen.

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Wenn nur ­ein paar Teilnehmer mehr Angaben zur Gehaltshöhe von Chemikerinnen gemacht hätten, wäre der Lohnunterschied schnell noch höher oder deutlich geringer ausgefallen. Die Angaben von wenigen zusätzlichen Teilnehmern hätten auch dazu führen können, dass die Untersuchung zu dem Ergebnis kommt, dass Frauen in diesem Beruf höhere Entgelte erhalten als Männer.

In meinem Betrieb arbeiten keine Arbeitnehmer („Selbständige/r, ohne Personal“), wir haben aber e­ inen Betriebs- bzw. Personalrat. Ich habe e­ inen „Mini-Job (bis 450 Euro)“, gehe e­ iner „gemeinnützige(n) Arbeit / 1 oder 2 Euro Job“ nach und verdiene 6.543 Euro, wobei das Gehalt auf e­ iner Wochenstunde bei e­ iner Arbeitszeit von 80 Stunden pro Woche basiert. Ich arbeite damit etwas mehr als die anderen Vollzeitbeschäftigten auf meinem Arbeitsplatz. Deren Wochenarbeitszeit beträgt „0 Stunden“. Ich arbeite in meiner 7-Tage-Woche im Allgemeinen dagegen mehr als 80 Stunden, bin aber „mit der Anzahl meiner gegenwärtigen Arbeitsstunden zufrieden“. Geboren wurde ich übrigens 2002. Erstmals berufstätig war ich dafür bereits 2001, in meinem jetzigen Betrieb bin ich seit dem Jahr 2000 und damit „40 oder mehr Jahre“ beschäftigt. Meine Promotion wollte ich eigentlich als Einjähriger abschließen. Das ließ das System aber nicht zu. Ich wurde bei der Eingabe darauf aufmerksam gemacht, dass ich bei Abschluss meiner Ausbildung noch keine sieben Jahre alt war. Zu meinem Bedauern konnte ich daher die Doktorwürde erst als Achtjähriger erlangen. Zum Ausgleich habe ich aber gleich nach meiner Schulausbildung noch e­ ine „berufliche Lehre/Ausbildung absolviert“. Trotzdem fühle ich mich für meine Tätigkeit unterqualifiziert. Und als „Barmixer/in“ bin ich natürlich auch Mitglied der Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Aus dieser methodischen Schwäche lässt sich wohl auch erklären, warum die Gehälter von Maschinenbautechnikerinnen in der Untersuchung vom Oktober 2014 so viel höher sind als nach der vom März 2014.

Das System bedankte sich nach Eingabe für meine Mühe und meine Zeit. Baron Münchhausens „Daten sind nun erfasst und werden in den künftigen Lohn- und Gehalt Spiegel (sic!) e­ inbezogen“ – so die automatische Anzeige am Ende der Umfrage.

7 Offen für jeden Unsinn

8 Fazit

Dazu kommt e­ in weiteres Problem: Die Datenerhebung ist extrem manipulationsanfällig.

Es gibt wenige Debatten, die so ideologisch aufgeheizt sind und so emo­ tional geführt werden, wie die um die Vergütung von Männern und Frauen. Umso wichtiger ist es, dass die Tatsachen auf deren Grundlage solche Auseinandersetzungen stattfinden, zutreffend erschlossen werden.

Beispiel So basiert die Behauptung, dass Chemikerinnen 18 % weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, auf den Angaben von gerade ­einmal 54 Frauen, die an der Online-Befragung teilnahmen. Beim Beruf „Berufskraftfahrer/in“ gab es nur 33, im Bereich „Bauleiter/in“ sogar nur 32 Teilnehmerinnen.

6 Wenige Teilnehmer – starke Schwankungen Aufgrund der geringen Teilnehmerzahlen können die ermittelten Durchschnittsgehälter durch ­ein paar mehr oder wenige Angaben stark schwanken. Beispiel

Wichtig Eine Überprüfung der Richtigkeit der Angaben findet bei der Datenerhebung nicht statt. Ob die Teilnehmer ihr wahres Gehalt oder e­ ine „Fantasiezahl“ angeben, kann nicht festgestellt werden. Und das ist nicht der ­einzige Mangel der Online-Befragung. Das System verfügt nur über sehr schlechte Plausibilitätskontrollen. Daher bleiben widersprüchliche und selbst offensichtlich falsche Angaben bei der Eingabe z. T. unerkannt. Das ist umso bedeutsamer, als die durch das Gewinnspiel erhobenen Daten auch für andere Untersuchungen genutzt werden. Beispiel Belegt wird diese Schwäche durch e­ inen Versuch, bei dem der Verfasser unter der E-Mail-Adresse Baron_Mü[email protected] an der ­Umfrage teilgenommen hat (liebes WSI: bitte unbedingt diese Daten löschen­!).

Die dargelegte Untersuchung des WSI wird e­ inem solchen Anspruch nicht gerecht. Die Verfasser machen daraus aber auch keinen Hehl – man muss nur die Mitteilung vollständig lesen, die darin enthaltenen Hinweise wahrnehmen (wollen) und sich etwas „durch das Internet k­ licken“. Das WSI weist ausdrücklich darauf hin, dass die Ergebnisse der Studie nicht repräsentativ sind, Auskünfte zur Datenbasis werden bereitwillig erteilt. Damit hebt sich die WSI-Untersuchung geradezu wohltuend von anderen „Gender-Studies“ ab. Bei aller Kritik an der Methodik, bleibt daher fest­ zuhalten, dass man dem WSI keine Unredlichkeit vorwerfen kann – auch wenn es wünschenswert wäre, dass die methodischen Probleme in den Mitteilungen des Instituts deutlicher zum Ausdruck gebracht werden. Nicht nur, aber auch deshalb ist zu hoffen, dass es den Verantwortlichen gelingt, die aufgezeigten Schwächen der Datenerhebung soweit wie möglich auszumerzen. Repräsentative Ergebnisse werden sich durch e­ ine offene und anonymisierte Online-Befragung aber wohl trotzdem nicht e­ rzielen lassen.

Nach meinen in den elektronischen Fragebogen ­eingegebenen Angaben arbeite ich derzeit als „Beamtin/er“ „für e­ ine Leih- bzw. Zeitarbeits­ firma“ und bin als „Barmixer/in“ in ­einem gemeinnützigen Betrieb­ tätig. „Mein Arbeitsplatz und meine Wohnung sind im gleichen Ge­ bäude“, leider hat mein Arbeitsvertrag nur ­eine Dauer von 1–2 Tagen. Ich bin „Hauptabteilungsleiter/in“, habe aber keine unterstellten Mitarbeiter. Meine Tätigkeit gehört zur Branche „Erziehung und Unterricht, Forschung und Entwicklung“, genauer gesagt „Fahr- und Flugschulen“.

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