Über das Lernen lernen - DG-Sucht

19.04.2013 - Dr. Falk Kiefer, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim. Dr. Stefan ... PD Dr. Johannes Lindenmeyer, salus klinik Lindow, Lindow.
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14. Wissenschaftliches Gespräch

„Über das Lernen lernen: Neue Impulse für die Behandlung von Abhängigkeiten?!“

Tagungsband

17.4. bis 19.4.2013 Evangelische Akademie Tutzing

© EAT-Archiv

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

zum 14. Wissenschaftlichen Gespräch der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht) e.V. begrüße ich Sie sehr herzlich. Ich freue mich, diese traditionsreiche Klausurtagung im Schloss der Evangelischen Akademie Tutzing ausrichten zu dürfen. Besonderen Dank möchte ich dem Bundesministerium für Gesundheit für die finanzielle Förderung der Veranstaltung aussprechen. Das Wissenschaftliche Gespräch widmet sich in diesem Jahr der Bedeutung von Lernprozessen bei der Entstehung und Behandlung von stoffgebundenen und nichtstoffgebunden Abhängigkeiten. Renommierte Wissenschaftler aus Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz sind nach Tutzing gekommen, um über die aktuellsten Erkenntnisse aus dem Bereich der Lernforschung zu berichten. Vorträge aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen (z.B. der Lernpsychologie, den Neurowissenschaften, der Pharmakologie, den Sozialwissenschaften und der Philosophie) sollen dazu beitragen, Prozesse und Bedingungen des Lernens besser zu verstehen. Es wird ein Bogen von der Grundlagenforschung hin zur zielgerichteten Anwendung von Lernprozessen in der Suchttherapie gespannt werden. Durch den vertieften und ergebnisoffenen Austausch von eingeladenen Experten und Teilnehmern - einem besonderen Anliegen dieser Klausurtagung - erwarte ich neue Impulse für die Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen. Ich wünschen Ihnen und uns allen wissenschaftlich spannende Beiträge, lebhafte Diskussionen und einen offenen Gedankenaustausch. Genießen Sie die Tage am Ufer des Starnberger Sees und die Nähe zu den Bergen!

Ihre

Dr. Eva Hoch Tagungsleiterin

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Mittwoch, den 17.4.2013

Teil 1: Sind Abhängigkeitserkrankungen erlernt? Begrüßung und Einführung 14.00 Uhr

Dr. Sandra Dybowski, Bundesministerium für Gesundheit (Bonn) Prof. Dr. Anil Batra, Präsident der DG-Sucht (Tübingen) Dr. Eva Hoch, Tagungsleiterin (Mannheim)

14.30 – 16.00 Uhr Vorsitz: Dipl.-Päd., Dipl.-Soz. Päd. Doris Sarrazin (Münster) Lernpsychologisches Impulsreferat: „Grundlagen und neue Entwicklungen im Bereich des Lernens“ (Prof. Dr. Mike Rinck, NL Nijmegen) Sozialwissenschaftliches Impulsreferat: Die Rolle von Eltern, Peers, Medien und anderen Verhaltensmodellen (Dr. Emmanuel Kuntsche, CH - Lausanne) Kaffeepause

16.30 – 18.00 Uhr Vorsitz: Prof. Dr. Falk Kiefer (Mannheim) Neurobiologisches Impulsreferat: Am Tiermodell über das Lernen lernen (PD Dr. Wolfgang Sommer, Mannheim) Neurobiologisches Impulsreferat: Neuronale Plastizität des Gehirns und Lernen (Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin)

18.30 – 19.30 Uhr:

Gemeinsames Abendessen in der Evangelischen Akademie Tutzing

20.00 – 21.00 Uhr After-Dinner-Talk:

„Die Glücksformel – Lässt sich Glück lernen?“ (Dr. Stefan Klein, Berlin)

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Donnerstag, den 18.4.2013

Teil 2: Anwendung von Lernmechanismen in der Suchttherapie 9.00 – 10.30 Uhr Vorsitz: PD Dr. Johannes Lindenmeyer (Lindow) Verhaltenstherapeutisches Impulsreferat: Anwendung von Lernmechanismen in der Suchttherapie (Dipl. Psych. Ralf Schneider, Friedrichsdorf) Extinktion konditionierter Verstärkungsprozesse bei Alkoholabhängigkeit (PD Dr. Sabine Löber, Heidelberg)

Kaffeepause

11.00 – 12.30 Uhr Vorsitz: Prof. Dr. Anil Batra (Tübingen) Kontingenzmanagement und Token Economy auf einer Drogenentzugsstation (Dr. Jutta Settelmayer, Münster) Aversionstherapie bei Rauchern (Dr. Christoph Kröger, München)

Gemeinsames Mittagessen in der Evangelischen Akademie Tutzing

13.30 – 15.00 Uhr Vorsitz: PD Dr. Hans-Jürgen Rumpf (Lübeck) CRAFT Community Reinforcement Approach und Familientraining (Dr. Gallus Bischof, Lübeck) Hausaufgaben in der Suchttherapie: Noch unentdecktes Potential? (PD Dr. Lydia Fehm, Berlin)

Teil 3: Anwendung von Lernmechanismen in der Rückfallprophylaxe 15.30 – 16.15 Uhr Vorsitz: Prof. Dr. Rainer Thomasius (Hamburg) Lässt sich das Suchtgedächtnis löschen? Neue Wege in der Pharmakotherapie (Prof. Dr. Falk Kiefer, Mannheim) Kulturelles Rahmenprogramm: Besuch des „Buchheim Museum der Phantasie“ und gemeinsames Abendessen im Restaurant Phönix (Bernried am Starnberger See) 4

Freitag, den 19.4.2013

Teil 3: Anwendung von Lernmechanismen in der Rückfallprophylaxe 9.00 – 10.30 Uhr Vorsitz: Prof. Dr. Karl Mann (Mannheim) Pump up the volume! Can transcranial Direct Current Stimulation (tDCS) enhance Cognitive Bias Modification in Addiction? Results from initial studies (Prof. Dr. Reinout Wiers, NL - Amsterdam) Biased neurocognitive processing in cannabis users: An overview of recent studies and treatment implications (Dr. Janna Cousijn, NL Amsterdam)

Kaffeepause

Open Space: Was haben wir über das Lernen gelernt? Gibt es neue Impulse für die Behandlung von Abhängigkeiten? 11.00 – 11.45 Uhr Vorsitz: Prof. Dr. Gerhard Bühringer (Dresden)

Abschlussbetrachtung 11.45 Uhr bis 12.30 Uhr PD Dr. Johannes Lindenmeyer (Lindow) Zurück in den Behaviorismus? Kritische Reflektion der Anwendung von Lernmechanismen in der Therapie von Abhängigkeiten

12.30 Uhr: Verabschiedung und Ende der Tagung

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TAGUNGSLEITUNG und -ORGANISATION Dr. Eva Hoch, Tagungsleitung, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim Dipl.-Soz. Barbara Spiegel, Tagungsorganisation, Murnau am Staffelsee Doris Kaldewei, Tagungsadministration, Geschäftsstelle der DG-Sucht, Hamm

REFENTEN Dr. Gallus Bischof, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck Dr. Janna Cousijn, University of Amsterdam, NL - Amsterdam PD Dr. Lydia Fehm, Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin Prof. Dr. Andreas Heinz, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité, Berlin Prof. Dr. Falk Kiefer, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim Dr. Stefan Klein, freier Journalist, Berlin Dr. Christoph Kröger, IFT Institut für Therapieforschung, München Dr. Emmanuel Kuntsche, Schweizer Fachstelle für Alkohol und Drogenprobleme, CH Lausanne PD Dr. Johannes Lindenmeyer, salus klinik Lindow, Lindow PD Dr. Sabine Löber, Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg PD Dr. Mike Rinck, Radboud University Nijmegen, NL – Nijmegen Dipl.-Psych. Ralf Schneider, salus klinik Friedrichsdorf, Friedrichsdorf Dr. Jutta Settelmayer, LWL-Klinik Münster, Münster PD Dr. Wolfgang Sommer, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim Prof. Dr. Reinout W. Wiers, University of Amsterdam, NL – Amsterdam

MODERATOREN Prof. Dr. Anil Batra, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Tübingen Prof. Dr. Gerhard Bühringer, Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie, TU Dresden; IFT Institut für Therapieforschung, München Dr. Sandra Dybowski, Bundesministerium für Gesundheit, Bonn Prof. Dr. Falk Kiefer, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim PD Dr. Johannes Lindenmeyer, Salus-Klinik, Lindow Prof. Dr. Karl Mann, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim PD Dr. Hans-Jürgen Rumpf, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck Dipl.-Päd. Dipl.-Soz. Päd. Doris Sarrazin, Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Münster Prof. Dr. Rainer Thomasius, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg

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Grundlagen und neue Entwicklungen im Bereich des Lernens

Prof. Dr. Mike Rinck Radboud University Nijmegen NL – Nijmegen

Abstract Was ist Lernen, und was hat es mit Sucht zu tun? Welche Rolle spielt es bei der Entstehung und Aufrechterhaltung, aber auch bei der Therapie von Suchterkrankungen? Diese Fragen werden beim "14. Wissenschaftlichen Gespräch" aus unterschiedlichsten Blickrichtungen diskutiert, und mein Vortrag soll dafür einen einleitenden Rahmen geben. Dies wird an Hand einer kurzen Zeitreise geschehen: Zunächst werde ich die - teils seit vielen Jahrzehnten bekannten Formen des Lernens Revue passieren lassen, darunter Klassisches, Evaluatives und Operantes Konditionieren, Modelllernen und Einsichtslernen. Dabei werde ich auch auf einige Beispiele für bekannte Bezüge zur Sucht eingehen. Dann werde ich mich der therapeutischen Gegenwart zuwenden und die lerntheoretischen Grundlagen von Anwendungen wie z.B. Token Economies, Kontingenzverträgen, Stimuluskontrollen, Gruppentherapien und Aversionstherapien aufzeigen. Schließlich werde ich kurz auf zukünftige Aspekte der Lernen-Sucht-Beziehung eingehen: Zum einen mögliche "neural enhancers of learning" wie tDCS, TMS, und Pharmaka, zum anderen neue Verfahren der sogenannten "Cognitive Bias Modification". Mit letzteren wird versucht, automatische Aufmerksamkeitsprozesse und Alkohol-Annäherungs-Tendenzen mittels Computeraufgaben "umlernen" zu lassen, um den Suchtmittelkonsum zu verringern und Rückfälle zu vermeiden. Kurzer akademischer Lebenslauf Mike Rinck studierte Psychologie an der Philipps-Universität Marburg, wo er 1990 auch promovierte. Im Jahr 1998 habilitierte er sich an der Technischen Universität Dresden. Seit 2005 arbeitet er an der Radboud Universiteit Nijmegen in den Niederlanden, und seit 2012 ist er zusätzlich als außerplanmäßiger Professor mit der Ruhr-Universität Bochum verbunden. Mike Rinck erhielt seine Ausbildung zunächst im Bereich der Kognitiven Psychologie; er arbeitete mit den Forschungsschwerpunkten Sprache, Emotion und Lernen; mit besonderem Interesse an angewandten Fragestellungen. Er beschäftigte sich zunehmend mit der Experimentellen Psychopathologie; seine Forschung wandte sich verzerrten kognitiven Prozessen bei emotionalen Störungen zu. Er publizierte zahlreiche Studien zur Rolle von Aufmerksamkeit, Lernen, Gedächtnis, und Interpretation bei Angststörungen und Depressionen. Seit einigen Jahren untersucht er die sog. Cognitive Bias Modification, d.h. computerbasierte Trainingsverfahren, mit denen kognitive Verzerrungen zum Wohle von Patienten umtrainiert werden können. Sein Spezialgebiet sind automatische Annäherungs-Vermeidungs-Tendenzen; er ist ein Experte bezüglich der Messung und der Veränderung dieser Tendenzen. Zusätzlich unterrichtet er angehende Verhaltenstherapeuten; seine Kurse beschäftigen sich mit den lerntheoretischen Grundlagen der Verhaltenstherapie. 7

Die Rolle von Eltern, Peers, Medien und anderen Verhaltensmodellen beim Zustandekommen von Substanzkonsum

Dr. Emmanuel Kuntsche Schweizer Fachstelle für Alkohol und Drogenprobleme CH - Lausanne

Abstract Menschen sind geprägt durch ein starkes Zugehörigkeitsgefühl. Die Theorie des geplanten Verhaltens, eine der am häufigsten angewandten Theorien zu Erklärung des Substanzkonsums, nimmt an, dass Menschen besonders dann bestrebt sind, ein Verhalten auszuführen, wenn es sozial akzeptabel oder erwünscht erscheint. Dabei kann je nach wahrgenommener sozialer Norm der Substanzkonsum entweder gehemmt oder stimuliert werden, was sowohl von der Werbung als auch zur Intervention genutzt wird. Da Substanzkonsum oftmals viel weniger verbreitet ist, als dies allgemein wahrgenommen wird, soll diese Einsicht Personen zur Reduzierung ihres Substanzkonsums bewegen. Darüber hinaus stellt die Missbilligung von Substanzkonsum einen wichtigen Präventionsansatz da. Beispielsweise sollten Eltern klare restriktive Regeln in Bezug auf den Substanzkonsum ihrer Kinder aufstellen und einhalten, so dass ein solches Verhalten unerwünscht und inakzeptabel erscheint. Dies ist insofern wichtig, da sich Jugendliche, allen Ablöseprozessen zum Trotz und über das Jugendalter hinaus, stark an ihren Eltern orientieren. Hier setzt beispielsweise das Präventionskonzept von Rob Turrisi an. Jedoch bringen Ablöseprozesse von den Eltern notwendigerweise die Hinwendung zu Gleichaltrigen mit sich, welche in Überblicksarbeiten als wichtigster Faktor für den Substanzkonsum im Jugendalter identifiziert wurden. Auch hierbei spielt das Zugehörigkeitsgefühl eine wichtige Rolle. Fragt man Jugendliche jedoch direkt, ob sie trinken, um dazu zu gehören, verneinen dies viele. Stattdessen stehen Spassmotive im Vordergrund, etwa um Feiern besser zu geniessen. Doch sind sich Jugendliche – sind wir alle uns – wirklich im Klaren, was uns zum Substanzkonsum motiviert? Kurzer akademischer Lebenslauf Emmanuel Kuntsche studierte Psychologie und Soziologie an der Universität Jena (Deutschland) und Statistik an der Universität Essex (Grossbritannien) und erhielt 2007 den Doktortitel in Gesundheitswissenschaften von der Universität Maastricht (Niederlande). Gegenwärtig arbeitet er in der Forschungsabteilung von Sucht Schweiz in Lausanne (Schweiz) sowie als Gastdozent an den Universitäten von Nimwegen (Niederlande) und Budapest (Ungarn) und scheibt seine Habilitation am Lehrstuhl für Psychopathologie der Universität Bamberg (Deutschland). Er ist assoziierter Herausgeber der Zeitschrift Addiction und war Gastherausgeber der Journal of Early Adolescence Sondernummer "Early Adolescent Health in Cross-National Perspective". Sein Forschungsinteresse gilt besonders den situationellen, sozialen und motivationalen Faktoren des Alkoholkonsums und anderer gesundheitsrelevanter Verhaltensweisen im Jugendalter. Für seine Arbeit zu Trinkmotiven wurde er 2006 mit dem Jungforscherpreis der International Kettil Bruun Society for Social and Epidemiological Research on Alcohol ausgezeichnet. 8

Am Tiermodell über das Lernen lernen

Priv. Doz. Dr. Wolfgang Sommer Institut für Psychopharmakologie Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim

Abstract Die Einnahme psychoaktiver Substanzen geschieht in der Regel bewusst, mit dem Ziel bestimmte motivationale und emotionale Zustände zu erzeugen oder zu verändern. Der Gebrauch dieser Substanzen ist ein typisches Beispiel für erlerntes Verhalten. Die Aufklärung der neurobiologischen Mechanismen des drogeninduzierten Lernens im Tierversuch hat entscheidende Beiträge zu unserem Verständnis von Lern- und Gedächtnisfunktionen geleistet. Als zentraler Angriffspunkt wurde das aus dem Mittelhirn zum Kortex aufsteigende Belohnungssystem mit seinem Hauptbotenstoff Dopamin erkannt. Inwieweit das Belohnungssystem auch eine zentrale Rolle bei der Sucht spielt ist allerdings unklar. Süchtiges Verhalten ist das Resultat pathologischen Lernens. Im Unterschied zum kontrollierten Drogenkonsum ist die Hinwendung auf das Suchtmittel zwanghaft verstärkt, und es kommt zu schier unstillbarem Substanzverlangen. Dieses Craving wird als Ursache für den chronisch rückfälligen Verlauf der Erkrankung angesehen. Obwohl Craving im Tier nicht direkt messbar ist, gibt es verschiedene Verfahren, die den Kontrollverlust über das Drogenverhalten abbilden können. Eines der spannendsten Resultate dieser Forschung zeigt, dass Sucht nicht durch spezifische, suchtassoziierte Adaptation determiniert zu sein scheint, sondern durch die fehlende Aktivierung („Anaplasticity“) von Mechanismen, die eine kontrollierte Drogeneinnahme erlauben. Diese Befunde könnten einen Erklärungsansatz dafür liefern, warum nur eine Minderheit der Drogenkonsumenten süchtig wird. Unsere eigenen Untersuchungen an alkoholabhängigen Ratten zeigen, dass Störungen in der Glutamatübertragung vom präfrontalen Kortex zu subkortikalen Kernen entscheidend an der Ausprägung von suchtassoziiertem Verhalten beteiligt sind. Die fortschreitende Schädigung des exekutiven Zentrums durch toxische Alkoholwirkungen könnte letztendlich die Erklärung liefern, wie aus einer Substanz mit per se schwach belohnenden Eigenschaften ein extrem potentes Suchtmittel werden kann. Kurzer akademischer Lebenslauf Studium der Humanmedizin an der Universität Greifswald. Seit 2001: Facharzt für Psychiatrie. 1993: Promotion in molekularer Virologie bei Prof. Strauss, Max-Delbrück Center, Berlin-Buch. 1993-1995: Postdoc bei Prof. Fuxe am Karolinska Institut, Stockholm. 1996-2008: Zusammenarbeit mit Dr. M. Heilig auf dem Gebiet der Neurobiologie des Alkoholismus am Karolinska Institut, dort 2002 Ernennung zum Dozent in experimenteller Psychiatrie, seit 2004 am National Institute on Alcoholism and Alcohol Abuse in Bethesda, USA. Seit 2008: Leitung der AG Molekulare Pharmakologie am ZI Mannheim. Habilitation an der Universität Heidelberg 2011. Zahlreiche Originalaufsätze, Herausgeberschaft des Buches „Behavioral Neurobiology of Alcohol Addiction“ mit Prof. R. Spanagel, Mitglied der Editorial Boards Addiction Biology and Alcoholism und Clinical and Experimental Research. 9

Neurobiologisches Impulsreferat: Neuronale Plastizität des Gehirns und Lernen

Professor Dr. Andreas Heinz Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Charité Berlin

Abstract Drogen mit Abhängigkeitspotenzial wie bspw. Alkohol oder Nikotin wirken auf das dopaminerge Verstärkungssystem ein und beeinflussen so basale Lernvorgänge wie das Pawlow’sche und das operante Konditionieren. Das bedeutet, dass drogen-assozierte Reize zu belohnungs-vorhersagenden Stimuli werden, deren Präsentation eine motivale Reaktion im Sinne des Drogenverlangens und Drogensuchtverhaltens auslösen kann, die dann wiederum durch den Drogenkonsum verstärkt wird. Drogen mit Abhängigkeitspotenzial setzen - anders als primäre Verstärker – erstens deutlich mehr Dopamin frei als es die natürlichen Belohnungssituationen und –Stoffe tun und zweitens habituiert diese Dopaminfreisetzung nicht, das heißt, dass sie bei wiederholter Drogeneinnahme immer wieder stattfindet. Deshalb sind die Wirkungen der Drogen in aller Regel unphysiologisch stark. Dem entgegengesetzt sind neuroadaptive Veränderungen bspw. im Bereich der Dopamin-D2-Rezeptoren, die der Drogenwirkung entgegen wirken. Diese führen nicht nur zu einem relativen Wirkungsverlust der Drogen, der dann von den Betroffenen meist durch Dosissteigerungen kompensiert wird, sie beeinträchtigen auch die Fähigkeit, neue, belohnungsanzeigende Reize als verhaltensrelevant zu erlernen sowie zu verlernen bzw. zu löschen, dass früher einmal belohnte, drogen-assoziierte Bildreize immer noch eine erstrebenswerte Belohnung vorhersagen. Indem so das Erlernen neuer bzw. alternativer, nicht drogen-assoziierter Verhaltensweisen beeinträchtigt wird, können gewohnheitsmäßig verfestigte, das heißt habituelle Verhaltensweisen wie das durch Pawlow’sche Reize konditionierte Drogenverlangen und Drogensuchtverhalten die Fähigkeiten zur flexiblen Handlungsgestaltung der Betroffenen beeinträchtigen. Die Frage der genauen neurobiologischen Korrelate der veränderten Lernmechanismen und ihre Erholung in der Abstinenz bzw. Trainierbarkeit stehen im Zentrum einer DFG-geförderten Forschergruppe (FOR1617), die ihre Arbeit vor einem Jahr aufgenommen hat. Kurzer akademischer Lebenslauf Prof. Dr. Andreas Heinz ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. 1988: Dissertation an der Ruhr-Universität Bochum; 1994: Magister artium, Philosophie, FU Berlin; 1995-1997: Habilitationsstipendium der DFG am National Institute of Mental Health; 1998: Habilitation im Fach Psychiatrie FU Berlin, 1997-1998: Oberarzt der Neurologischen Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum; 1998-1999: Chefarzt der Neurologischen Fachklinik Feldberg; 1999-2002: Leitender Oberarzt; Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin; 2000: C3-Professur für Suchtforschung an der Universität Heidelberg; 2001: C4-Professur für Psychiatrie an der Humboldt-Universität zu Berlin; seit 2002: Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité. 10

Die Glücksformel - Wie die guten Gefühle entstehen

Dr. Stefan Klein Freier Autor Berlin

Abstract Die Wissenschaft enträtselt das große Geheimnis „Glück”. Einsichten, die sich wesentlich der Suchtforschung verdanken, offenbaren, wie in unseren Köpfen die guten Gefühle entstehen– und eröffnen zugleich neue Möglichkeiten, das Glücklichsein zu lernen. Denn Glück ist trainierbar, nur machen die meisten Menschen bisher die falschen Übungen. Stefan Klein nimmt seine Zuhörer mit auf eine Entdeckungsreise. Er fügt die neuesten Erkenntnisse der Philosophen und Sozialpsychologen, der Mediziner, Neurophysiologen und Verhaltensforscher zu einer wissenschaftlich unterfütterten Vorstellung vom glücklichen Dasein zusammen. Der Vortrag erklärt, warum wir alle uns so sehr nach dem Glück sehnen, wieso Glück keineswegs das Gegenteil von Unglück ist und wie jeder Mensch die Anatomie seines Gehirns für ein besseres Leben in der Zukunft nutzen kann. Kurzer akademischer Lebenslauf Stefan Klein, geboren 1965 in München, gilt als einer der erfolgreichsten Wissenschaftsautoren deutscher Sprache. Er studierte Physik und analytische Philosophie in München, Grenoble und Freiburg, promovierte und forschte auf dem Gebiet der theoretischen Biophysik. Sein Buch „Die Glücksformel“ (2002) stand über ein Jahr auf allen deutschen Bestsellerlisten und machte den Autor auch international bekannt. In den folgenden Jahren erschienen die hoch gelobten Bestseller „Alles Zufall“, „Zeit", "Da Vincis Vermächtnis oder Wie Leonardo die Welt neu erfand" und zuletzt "Der Sinn des Gebens". Kleins Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und in 25 Sprachen übersetzt.

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Anwendung von Lernmechanismen in der Suchttherapie

Dipl. Psych. Ralf Schneider salus klinik Friedrichsdorf Friedrichsdorf

Abstract Viele Formen der Psychotherapie weisen Erfolge auf bei der Behandlung von Personen mit Störungen durch psychotrope Substanzen, auch solche, die sich nicht explizit auf Lerntheorien und Lernmechanismen beziehen. Wir Menschen lernen nicht nur, was wir sollen und wollen, sondern fortwährend auch das, was wir nicht wollen und was uns gar nicht bewusst wird. Auf Lernprozesse schließen wir aufgrund von Wahrnehmungs- und Verhaltensänderungen, in den letzten Jahren auch aufgrund veränderter neuronaler Reaktivität, dargestellt z.B. in der fRMT, die nicht auf Reifungsprozesse, Drogeneinwirkung oder biologische Vorgänge zurückzuführen sind. Lernprozesse sind nur dann von Bedeutung, wenn sie im Gedächtnis Spuren hinterlassen, die abrufbar sind und sich im kognitiven, emotionalen oder motorischen Verhalten zeigen. In der Therapie geht es also um Veränderungen im Gedächtnis, um die Löschung oder Modifikation von Gedächtnisinhalten und um die Schaffung neuer Gedächtnisinhalte. In den meisten gängigen Therapieformen wird vorwiegend mit dem deklarativen bzw. expliziten Gedächtnis gearbeitet, z.B. in Form von psychoedukativen Maßnahmen. Beispiele dafür werden exemplarisch dargestellt. Das implizite Gedächtnis, also das prozedurale Gedächtnis und insbesondere das “Priming“ werden in der Praxis noch zu wenig beachtet bzw. systematisch bearbeitet. Dafür gibt es verschiedene Ursachen, auf die in diesem Beitrag eingegangen wird. An anderer Stelle auf dieser Tagung werden neuere Entwicklungen aus diesem Bereich vorgestellt. Eine konsequentere und im System der Suchtkrankenhilfe vernetzte Anwendung der Lernmechanismen, wie sie beispielsweise bereits 1973 von Hunt & Azrin (deutsch: 1978) unter dem Begriff „Gemeindenahe Kontingenzen zur Alkoholismusbehandlung“ vorgestellt und erprobt wurde, könnte ein Fortschritt sein. Kurzer akademischer Lebenslauf Ralf Schneider ist Diplompsychologe und hat von 1968-73 in Münster Psychologie studiert. Von 1974-77 Forschungsassistent am MPI München (Projektgruppe Rauschmittelabhängigkeit); 1977-1992 Leitender Psychologe Fachklinik Furth im Wald; daneben von 1985 bis 1992 als Psychotherapeut in eigener Praxis für tätig. Supervisor und Dozent an verschiedenen Ausbildungsinstituten für Psychotherapie mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie. Seit 1993 in der salus klinik Friedrichsdorf als Leitender Psychologe und Direktor; Geschäftsführer der salus kliniken. Autor der „Suchtfibel“.

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Extinktion konditionierter Verstärkungsprozesse bei Alkoholabhängigkeit

Priv. Doz. Dr. Sabine Löber Klinik für Allgemeine Psychiatrie Universitätsklinikum Heidelberg

Abstract In diesem Beitrag soll die Frage aufgegriffen werden, wie reizabhängige Reaktionen bei alkoholabhängigen Patienten im Rahmen von psychotherapeutischen Interventionen bearbeitet werden können. Es wird zunächst ein Überblick über die Bedeutung konditionierter Reaktionen bei der Entstehung von Rückfällen bei Alkoholabhängigkeit gegeben werden. So dann werden frühe Ansätze zur Berücksichtigung dieser Reaktionen im Rahmen von psychotherapeutischen Interventionen vorgestellt sowie der aktuelle Ansatz des Reizexpositionstrainings dargestellt. Anhand von empirischen Ergebnissen zur Effektivität des Reizexpositionstrainings werden Schwierigkeiten des Ansatzes, aber auch Stärken und Chancen verdeutlicht werden. Abschließend werden ausgewählte Ergebnisse experimenteller Untersuchungen zur appetitiven Konditionierung vorgestellt, um zu verdeutlichen, in wie fern grundlagenorientierte Ansätze unser Wissen um effektive präventive und therapeutische Interventionen verbessern können. Kurzer akademischer Lebenslauf Geboren 1973. Studium der Psychologie Universität Mannheim. Von 2000 bis 2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin Lehrstuhl für Suchtforschung der Universität Heidelberg, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit; ab 2005 leitende Psychologin der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut. Seit 2011 Leitende Psychologin in der Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Universitätsklinikum Heidelberg. 2003 Approbation als Psychologische Psychotherapeutin, 2004 Promotion, 2010 Habilitation. Forschungsschwerpunkte: Beeinträchtigung kognitiver Steuerungs- und Regulationsfunktionen und reizabhängige Reaktionen bei Abhängigkeitserkrankungen und Essstörungen; klinische und experimentelle Studien zur Effektivität psychotherapeutischer Interventionen bei Abhängigkeitserkrankungen und Adipositas.

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Mehr Erfolg durch mehr Eigenverantwortung im Tokensystem in der qualifizierten Entzugsbehandlung Drogenabhängiger

Dr. med. Jutta Settelmayer LWL-Klinik Münster Münster

Abstract Seit fast 15 Jahren bietet die LWL-Klinik Münster den qualifizierten Entzug von illegalisierten Drogen auf zwei Stationen an. Die Stationen 15.2 und 15.3 sind bezüglich baulicher Voraussetzungen, personeller Ausstattung und Zusammensetzung der behandelten Patient/innen im Wesentlichen identisch. Probleme stellen, wie in anderen Suchteinrichtungen auch, u. a. die verhältnismäßig hohe Abbrecherquote und eine passive Einstellung der Patienten gegenüber dem therapeutischen Programm dar. Mit dem Ziel der Motivationssteigerung und Ressourcenaktivierung sowohl bei Patienten/innen als auch bei Mitarbeitern wurde ein sog. Bonussystem geschaffen, das zunächst auf einer der Stationen eingeführt wurde; die Station 15.3 behielt das bisherige System bei und diente als ‚interne Vergleichsgruppe’. Für einen Teil des Programms wurde dem/der Patient/in die Teilnahme freigestellt. Nach dem Prinzip Belohnung statt Bestrafung erhalten die Patienten/innen sowohl für die Teilnahme an freiwilligen Programmpunkten als auch für die pünktliche Teilnahme an verpflichtenden Programmteilen nach einem festgelegten System Punkte, die in wünschenswerte „Güter“ umgetauscht werden können: Zusätzliche Ausgänge, erweiterte Möglichkeiten, Besuch zu erhalten etc. Zum Gelingen verlangt das Bonussystem eine hohe Akzeptanz und Geschlossenheit unter den Mitarbeitern. Nach unserer Ansicht hat sich die Anstrengung gelohnt: Seit über 3 Jahren vermerken wir eine durchgehend hohe Akzeptanz bei Mitarbeitern und Klienten, verbunden mit gesteigerter Zufriedenheit und höherem Autonomieempfinden. Der interne Vergleich mit der „Schwesterstation“ hat gezeigt, das befürchtete Folgen wie vermehrte Abbrüche, Drogenkonsum auf der Station etc. nicht aufgetreten sind, die Haltequote hat sich leicht verbessert. Ermutigt durch die anhaltend hohe Akzeptanz von allen Seiten arbeiten wir z.Zt. an einer Übertragung des Bonussystems auf andere Stationen der Suchtabteilung. Kurzer akademischer Lebenslauf Frau Dr. med. Jutta Settelmayer, geboren in Mannheim. Nach dem Abitur Studium der Geologie und Biologie in Heidelberg und Würzburg, sodann Wechsel zur Medizin. 3. Staatsexamen in Würzburg 1989. 1989-1994 Weiterbildung Neurologie in der Universitätsklinik Münster. Seit 1995 LWL-Klinik Münster, seit 1998 Fachärztin Für Psychiatrie, Zusatzbezeichnung Psychotherapie. 2001: Zusatzbezeichnung Suchtmedizinische Grundversorgung. Seit 2002: Chefärztin der Abteilung Sucht einschl. des Medizinischen Rehabilitationszentrums Münsterland. Seit 2006: Stellvertretende Ärztliche Direktorin. 2007: Erwerb der Zusatzbezeichnung Forensik, Fachärztin f. Psychiatrie und Psychotherapie

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Aversionstherapie bei Rauchern

Dr. Christoph B. Kröger IFT-Gesundheitsförderung München

Abstract Die Lerngesetze der klassischen und operanten Konditionierung boten eine gute theoretische Grundlage für die Methode der Aversionstherapie. Aversionsbehandlungen wurden in den Anfängen der Verhaltenstherapie und verhaltenstherapeutischen Suchtbehandlung häufig erprobt. In der Tabakentwöhnung wurde sie mit Elektroschocks und insbesondere mit der Methode des Schnellrauchens (Rapid Smoking) durchgeführt. Insbesondere in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden wissenschaftliche Studien zur Behandlung der Tabakabhängigkeit mit aversiven Verfahren durchgeführt, unter anderen von J.C. Brengelmann am MPI für Psychiatrie in München. Aufgrund der Vielzahl der Studien und deren für damalige Verhältnisse guten methodischen Qualität galt Aversionstherapie lange Zeit als eine der wenigen effektiven Bestandteile der Tabakentwöhnung. Trotzdem fand diese Methode in der klassischen Durchführung im deutschsprachigen Raum kaum Verwendung. Abgewandelte Formen wie das Rauchhalten, die verdeckte Sensibilisierung und der Einsatz in der Hypnotherapie konnten sich ebenfalls nicht durchsetzen. Die aktuellste Cochrane Analyse (Hajek & Stead, 2010) stellt die Qualität dieser Untersuchungen infrage und schlussfolgert, dass die Datenlage unzureichende Evidenz für die Effektivität der Methode des Schnellrauchens zeigen. Aktuelle Untersuchungen oder neuere Studien zur Wirksamkeit einzelner psychotherapeutisch basierter Bestandteile der Tabakentwöhnung gibt es kaum. In dem Vortrag werden Methoden und Studien zur Aversionstherapie bei Rauchern dargestellt. Überlegungen zur Bedeutung aversiver Reize bei der Entwicklung und der Beendigung des Tabakkonsums werden angestellt. Als Monotherapie hat Aversionstherapie in der Tabakentwöhnung sicherlich keine Zukunft, als ein Bestandteil des multimodalen Vorgehens sind moderne Methoden der Aversionsbehandlung vorstellbar. Kurzer akademischer Lebenslauf Dr. rer. soc. Christoph Kröger (geb. 1954) ist Diplom-Psychologe und approbierter Psychotherapeut. 1973-1979: Studium der Psychologie in Münster. 1979: Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Münster. 1980-1981: Research Assistant am National Institut on Aging (Prof. Whitehead) und an der Johns Hopkins Universität, Baltimore. 1981-1986: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Psychiatrie (Prof. Brengelmann). 1986: Promotion an der Universität Tübingen (Prof. Birbaumer). Seit 1996: Wissenschaftler am IFT Institut für Therapieforschung in München (Leitung vom Studien zur Prävention und Therapie des Rauchens). Seit 2007: Leiter der IFT-Gesundheitsförderung und der Psychotherapeutischen Ambulanz. Er ist Autor der Programme „Rauchfrei“ und „Rauchfrei nach Hause!?", die von der IFT-Gesundheitsförderung geschult und betreut werden. 15

CRAFT: Community Reinforcement Approach and Family Training

Dr. Gallus Bischof Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universität zu Lübeck Lübeck

Abstract Bislang existiert insbesondere im deutschsprachigen Raum erst wenig Literatur zu der Nutzbarkeit familiärer Prozesse für die Initiierung und Aufrechterhaltung von Ausstiegsprozessen aus der Abhängigkeit, während verschiedene Studien klare Hinweise auf den potentiell unterstützenden Einfluss familiärer Faktoren bereitstellen. Die Inanspruchnahme suchtbezogener Hilfeangebote durch Angehörige von Abhängigen ist demgegenüber sehr gering. Bekannt ist, dass sozialer Netzwerke und Umgebungsfaktoren Verläufe von Suchterkrankungen beeinflussen können. In dem auf operanten Lernprinzipien basierenden Community Reinforcement And Family Training (CRAFT) werden Angehörigen Suchtkranker (Indexpatienten; IP) Fertigkeiten vermittelt, die u.a. darauf abzielen, durch Verhaltensänderungen den IP zur Aufnahme einer Behandlung zu motivieren. Das Verfahren basiert auf dem Community Reinforcement Approach und zielt wie dieser darauf ab, den Verstärkerwert von nicht-konsumierendem Verhalten gegenüber Konsumverhalten zu erhöhen, um mittel- und langfristig eine zufriedene Abstinenz zu erreichen. In dem Beitrag werden die verschiedenen Module des Ansatzes und deren lerntheoretischer Hintergrund skizziert und die Ergebnisse randomisiert kontrollierter Studien zur Wirksamkeit des Ansatzes referiert. Studienergebnisse sprechen konsistent für die Wirksamkeit des CRAFTAnsatzes in der Angehörigenarbeit. Behandlungsunwillige alkoholkranke Angehörige konnten häufiger zur Inanspruchnahme suchtspezifischer Hilfen motiviert werden, die konsumierte Alkoholmenge nahm gleichzeitig ab. Zudem zeigt sich ein positiver Einfluss auf die psychische Gesundheit der teilnehmenden Angehörigen. Inwiefern die postulierten operanten Mechanismen als Erklärung für die Wirksamkeit des Ansatzes dienen können, soll kritisch diskutiert werden. Kurzer akademischer Lebenslauf Dr. phil. Gallus Bischof (geb. 1969), Diplom-Psychologe und approbierter Psychotherapeut. Psychologiestudium an den Universitäten Mannheim und Heidelberg, Diplom 1997. 2004: Promotion an der Universität Greifswald. Nach Tätigkeit in der Rehabilitation Drogenabhängiger seit 1998 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität zu Lübeck. Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Suchtpsychologie. Mitglied der DG-Sucht, des International Network on Brief Interventions for Alcohol Problems und des Motivational Interviewing Network of Trainers MINT. Mitherausgeber der Suchttherapie, des Journal of Psychology and Psychotherapy, des Journal of Addiction und des Motivational Interviewing Bulletin. Arbeitsschwerpunkte: (Früh-) interventionen und Angehörigenarbeit bei Suchterkrankungen sowie unbehandelte Ausstiegsprozesse aus Suchterkrankungen.

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Hausaufgaben in der Suchttherapie: Noch unentdecktes Potential?“

Priv. Doz. Dr. Lydia Fehm ZPHU - Zentrum für Psychotherapie Institut für Psychologie Humboldt-Universität Berlin Abstract Psychotherapie, die auf Lernprinzipien aufbaut, muss notwendiger Weise die Themen Übung und Transfer des Gelernten beinhalten. In der therapeutischen Praxis haben sich zu diesem Zweck sog. „therapeutische Hausaufgaben“ etabliert. Damit werden alle Aktivitäten auf kognitiver oder Verhaltensebene bezeichnet, die durch die Therapie initiiert, aber vom Patienten eigenständig zwischen den Sitzungen durchgeführt werden. Hausaufgaben zählen bereits seit den 70er Jahren zum Standardrepertoire der Verhaltenstherapie, wurden aber erst in den letzten beiden Jahrzehnten verstärkt Gegenstand der Psychotherapieforschung. Dabei konnte zum einen die Bedeutung von Hausaufgaben für eine gute Therapiewirksamkeit gezeigt werden, andererseits wurde deutlich, dass im therapeutischen Alltag bei der Umsetzung der Aufgaben sehr häufig Probleme auftreten. Der Vortrag stellt ein Modell vor, das den Prozess der Vergabe und Besprechung von Hausaufgaben in mehrere Schritte unterteilt. Dies erlaubt die Analyse typischer Fehler und stellt Lösungsmöglichkeiten für häufig auftretende Probleme dar: So wird beispielsweise die Schwierigkeit von Aufgaben durch die Therapeuten systematisch fehleingeschätzt. Durch die Aufteilung des Vergabeprozesses der Aufgabe in 1) Aufgabenentwicklung, 2) Formulierung der konkreten Aufgabe und 3) Rückkopplung über das Verständnis der Aufgabe können viele der typischen Probleme im Vorfeld entschärft werden. Die Nutzung von schriftlichen Protokollen zur Dokumentation von Aufgaben kann die Compliance weiter steigern: Auch hierzu werden im Vortrag einige Beispiele präsentiert. Zuletzt werden Besonderheiten beim Einsatz von Hausaufgaben in der Behandlung von Suchtproblemen dargestellt. Kurzer akademischer Lebenslauf Priv. Doz. Dr. Lydia Fehm; geb. 1966; verheiratet, zwei Kinder. 1987-1993: Studium der Psychologie in Marburg. 1994-1997: Promotionsstipendium an der Technischen Universität Dresden (Betreuer: Prof. Dr. Jürgen Margraf) und therapeutische Tätigkeit an der ChristophDornier-Stiftung .1999: Approbation zur Psychologischen Psychotherapeutin. 1997-2005 wissenschaftliche Hilfskraft und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Dresden, Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie (Prof. Dr. HansUlrich Wittchen). 2000: Promotion. 2005-2008: Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl Psychotherapie und Somatopsychologie (Prof. Dr. Thomas Fydrich). 2008: Habilitation. Seit 2008: Ambulanzleitung am Zentrum für Psychotherapie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Tätigkeit als Dozentin an der Humboldt-Universität und verschiedenen Ausbildungsinstituten, Tätigkeit als Supervisorin.

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Lässt sich das Suchtgedächtnis löschen? Neue Wege in der Pharmakotherapie

Professor Dr. Falk Kiefer Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Universität Heidelberg Mannheim Abstract Die Dauerhaftigkeit suchtassoziierter Kognitions- und Verhaltensmuster deutet auf stabil verankerter Gedächtnisinhalte hin. Durch Hinweisreize getriggerte Rückfälle tragen wesentlich zur Aufrechterhaltung von Suchterkrankungen bei und stellen auch nach Jahren der Abstinenz Herausforderungen in der Behandlung von Suchterkrankungen dar. Ein wichtiger Fortschritt im Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen sind jüngere Forschungsergebnisse, die auf eine Ähnlichkeit neuronaler Veränderungen bei Suchtentwicklung und Neuroplastizität im Rahmen von Lernen und Gedächtnisbildung hinweisen. Klinische Untersuchungen liefern zunehmend Hinweise dafür, dass suchtgedächtnisspezifische Behandlungsmethoden, wie z. B. die Reizexpositionstherapie wirksam sind. Neue pharmakotherapeutische Ansätze könnten nun einerseits den Effekt lernbasierter Therapien unterstützen oder eigenständig zu einer Entkopplung von suchtassoziierten Hinweisreizen und impliziten Reaktionsmustern beitragen. Grundlagen hierfür und Konsequenzen für die Therapie werden dargestellt und diskutiert. Kurzer akademischer Lebenslauf Falk Kiefer studierte von 1990-1996 Medizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und absolvierte seine psychiatrisch-psychotherapeutische Facharztweiterbildung in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Ernennung zum Oberarzt 2003, Habilitation für das Fach Psychiatrie 2004. Er ist seit 2005 Universitäts-Professor für Psychiatrie und Psychotherapie mit dem Schwerpunkt Suchtforschung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und Stv. Ärztlicher Direktor der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt in der Forschung zu den neurobiologischen Grundlagen von Suchterkrankungen sowie in Therapie und Therapieforschung.

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Pump up the volume! Can transcranial Direct Current Stimulation (tDCS) enhance Cognitive Bias Modification in Addiction? Results from initial studies

Professor Dr. Reinout Wiers Addiction Development and Psychopathology (ADAPT)-lab University of Amsterdam NL - Amsterdam

Abstract The past years we developed and tested several varieties of Cognitive Bias Modification (CBM) aimed at changing the balance between relatively automatic appetitive processes and control processes in addiction (Schoenmakers et al., 2007, Wiers et al., 2010), with promising first applications to alcohol dependent patients (Schoenmakers et al., 2010; Wiers et al., 2011; Eberl et al 2012). We also found across several studies that working memory and other executive control processes moderate the impact of these relatively automatic appetitive processes on behavior (review: Wiers et al. 2013) and that working memory can be successfully trained in problem drinkers (Houben et al 2011). All of these studies have relied on psychological mechanisms only. Recently, it was reported that applying a low Voltage electrical current over the scalp (transcranial Direct Current Stimulation, tDCS), has the effect that it (temporarily) increases working memory (Fregni et al 2005) and decreases craving (Boggio et al 2008; Fregni et al 2008). We want to investigate whether we can increase the effects of our cognitive training methods by applying tDCS at the same time. I will present results from our first studies. Kurzer akademischer Lebenslauf Reinout Wiers (1966) is a full professor of developmental psychopathology at the University of Amsterdam since 2008. Wiers main research interest concerns the assessment and modification of cognitive processes in addiction. He developed novel tasks to assess relatively automatic (implicit) cognitive processes in addiction, and novel ways to directly manipulate these processes, which received a lot of attention (e.g. Economist March, 3 2011). This research was supported in 2002 by the prestigious VIDI and VICI grants from the National Science Foundation in the Netherlands. In addition, he received many national and international grants. Wiers studied psychology (psychonomics) at the University of Amsterdam and did his Ph.D. at the same university on the study of cognitive and neuropsychological risk factors in children of alcoholics (both cum laude). From 1998-2008 he worked at Maastricht University, first as Assistant and later as associated professor specializing in experimental psychological research on addiction. From 2006-2008 he was also affiliated with the Radboud University Nijmegen as endowed professor of experimental psychological research on addiction in the young. Wiers has published well over 100 international peer reviewed articles and many book chapters, primarily in the field of experimental research into addiction. Together with Alan Stacy, he was editor of the Handbook of Implicit Cognition and Addiction. More information: www.adaptlab.eu

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Can we use brain function to predict the course of cannabis use towards dependence? Results and treatment implications from a prospective neuroimaging study Dr. Janna Cousijn Department of Psychology University of Amsterdam NL - Amsterdam

Abstract One in ten heavy cannabis users meets the DSM-criteria for cannabis dependence. Still, relatively little is known about the neural mechanisms involved in the transition from recreational toward compulsive cannabis use. Models of addiction suggest that strong automatically triggered motivations to use combined with sub-optimal regulatory functions play an important role in the development of addictive behaviors. With neuropsychological tasks and Functional Magnetic Resonance Imaging (fMRI) we investigated if we could use brain function to predict the course of cannabis use. Different motivational (craving, approach action tendencies) and regulatory processes (decision-making, working-memory) were compared between heavy cannabis users (n = 33) and matched controls (n = 42) and we investigated if these processes could predict cannabis use and related problems after six months. The results showed that a behavioural approach-bias towards cannabis, selfreported craving, and brain functionality during a monetary decision-making (Iowa Gambling Task) task and a working-memory task (N-Back) predicted escalation of cannabis use six months later. Together with a measure of baseline cannabis use, these measures together explained 87 percent of the variance in cannabis use six months later. In addition, functionality of the dorsolateral prefrontal cortex (DLPFC) and anterior frontal cortex (ACC) during approach and avoidance of cannabis stimuli was associated with a decrease in cannabis-related problems after six months. These results suggest that both motivational and regulatory processes play an important role in progression of cannabis use towards dependence. By studying neurocognitive predictors of the course of cannabis use towards dependence, one of the primary aims of this study was to identify new targets for prevention and treatment. This talk will therefore conclude with a discussion on the treatment implications for cannabis dependence and other substance use disorders (i.e., cognitive bias modification, working-memory training, neuro-modulation, pharmacological interventions).

Kurzer akademischer Lebenslauf Janna Cousijn is a researcher with an interdisciplinary background in neurobiology, medicine and psychology. Her work focuses on the role of motivational and control processes in the transition from recreational towards chronic substance use. From 2008 to 2012 she carried out her PhD research at the Amsterdam Institute for Addiction Research (Department of Psychiatry), in collaboration with the ADAPT-lab (Department of Developmental Psychology, University of Amsterdam). She investigated the extent to which brain structure and function predicted cannabis use prospectively in heavy cannabis users, for which she received her PhD cum laude. To investigate brain structure and function, she used different neuroimaging techniques (VBM, DTI, functional-MRI, connectivity analyses) and neuropsychological tasks. 20

Zurück in den Behaviorismus? Kritische Reflektion der Anwendung von Lernmechanismen in der Therapie von Abhängigen

Priv. Doz. Dr. Johannes Lindenmeyer salus klinik Lindow D - Lindow

Abstract Der Beitrag konkretisiert die Möglichkeiten und Grenzen einer lerntheoretisch orientierten Suchtforschung und Suchtbehandlung anhand von drei Fragestellungen: - Inwieweit fußen die lerntheoretisch abgeleiteten Behandlungsansätze der Cue-exposure und des Community Reinforcements tatsächlich auf den angenommenen Lernmechanismen? - Inwieweit entsprechen bzw. unterscheiden sich lerntheoretische Paradigmen von neurobiologischen Konzepten der Belohnung und des Gedächtnisses? - Worin besteht das Potential einer lerntheoretisch fundierten Suchtbehandlung am Beispiel von Motivational Interviewing und achtsamkeitsbasierter Rückfallprävention? Kurzer akademischer Lebenslauf Priv. Doz., Dr. rer. nat., Dipl.-Psych. Johannes Lindenmeyer (geb. 1954). Studium der Psychologie an der Universität Heidelberg. 1996 Promotion am Fachbereich Psychologie der Universität Marburg. 2012 Habilitation an der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften der Technischen Universität Chemnitz. Psychologischer Psychotherapeut. Seit 1981 in der stationären Behandlung von Suchtmittelabhängigkeit und psychosomatischen Störungen tätig. Seit 1996 Direktor der salus klinik Lindow. Autor von über 85 Fachartikeln und 10 Büchern. Trainer und Supervisor für Verhaltenstherapie an Ausbildungsinstituten im In- und Ausland. Vorstandsvorsitzender der Suchtakademie Berlin-Brandenburg und des Deutschen Netzwerks rauchfreier Krankenhäuser. Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht). Redakteur der Zeitschrift SUCHT und des Journal of Groups in Addiction and Recovery.

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