3 Sozio-ökonomisches Umfeld

Wie in Abbildung 3 gezeigt wurde, üben die sozialen Kräfte Einfluss auf die ...... Art gegenüber den USA befasst; den U.S. Court of International Trade, der mit ...
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Sozio-¨ okonomisches Umfeld

In diesem Kapitel sollen zuerst allgemeine Informationen bzgl. Geographie und Geschichte u ur das vorherr¨ber die Vereinigten Staaten wiedergegeben werden, die eine Erkl¨arung f¨ schende Wertesystem und die amerikanische Identit¨at bieten. Im Anschluss daran werden die sozialen und wirtschaftlichen Kr¨afte beschrieben werden, die einerseits stark von den Normen gepr¨agt sind, andererseits f¨ ur Reformen Schubkraft bieten und sie beeinflussen.

3.1

Allgemeines zu den USA

Wenn die relativ jungen Vereinigten Staaten mit einem kleinen Inselstaat wie Japan, das lange Zeit isoliert lebte und von einem Monarchen regiert wurde, verglichen wird, l¨asst sich unschwer erkennen, dass die geographischen Gegebenheiten und die geschichtliche Entwicklung eines Landes ihr Verst¨andnis f¨ ur das Zusammenleben der Gesellschaft und das Funktionieren von Staat und Wirtschaft modellieren. Geographie Die Vereinigten Staaten von Amerika bestehen aus 50 Staaten und dem District of Columbia. Sie sind im Osten und im Westen durch den Atlantik bzw. durch den Pazifik begrenzt. Kanada ist der n¨ordliche Nachbarstaat und gegen S¨ uden hin bildet Mexiko die Grenze.

Abbildung 4: Landkarte der Vereinigten Staaten“ ” Quelle: Central Intelligence Agency, http://www.odci.gov/cia/publications/factbook/geos/us.html Mit einer Fl¨ache von u ¨ber 9 639 000 km2 sind die USA der drittgr¨oßte Staat der Welt (nach Russland und China), etwa halb so groß wie S¨ udamerika oder Russland, etwas gr¨oßer als

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Brasilien oder China und zweieinhalb mal so groß wie Westeuropa. Durch die große Ausdehnung sind die unterschiedlichsten Klimate zu finden – meist gem¨aßigt, aber auch tropisch in Hawaii und Florida, arktisch in Alaska, semi-arid in den Großen Ebenen und trocken in ¨ s¨ udwestlichen Beckenlagen. Ahnlich vielf¨altig ist die Oberfl¨ache mit ausgedehnten Ebenen in den Zentrallagen, Gebirgen im Westen (Rocky Mountains), H¨ ugel und Mittelgebirge im Osten (Appalachen), schroffe Gebirgsz¨ uge und weite Flusst¨aler in Alaska und vulkanische B¨oden in Hawaii. Die USA sind reich an Bodensch¨atzen wie Kohle, Kupfer, Blei, Phosphaten, Uran, Bauxit, Gold, Eisen, Nickel, Quecksilber, Kaliumkarbonat, Silber, Zink, Erd¨ol, Erdgas, Holz usw.50 Eine derartige Faktorausstattung bietet eine gute Grundlage f¨ ur wirtschaftlichen Erfolg. Wichtig ist noch, dass am Festland vier verschiedene Zeitzonen gelten. Diese Vielfalt zieht sich auch in anderen Bereichen wie Geschichte, Bev¨olkerung, Kultur, Wertesystem usw. durch und kann als typisches Merkmal der USA gewertet werden. Heterogenit¨at beeinflusst wiederum Wirtschaft und Politik und ist daher indirekt f¨ ur die Entwicklung des Landes, die Wahrnehmung von Problemen und deren Priorisierung ausschlaggebend. Die geschichtlichen Entwicklung soll im Folgenden Abschnitt thematisiert werden. Geschichte Gerade die relativ isolierte Lage, die reichen nat¨ urlichen Ressourcen sowie die weite Ausdehnung waren f¨ ur die Bildung der Vereinigten Staaten von großer Bedeutung.51 In diesem Abschnitt wird die allgemeine Entwicklungsgeschichte wiedergegeben, die Reformgeschichte der Verwaltung findet sich im Kapitel 5.2.3. Die erste britische Kolonie wurde 1607 in Jamestown, Virginia, gegr¨ undet. Anf¨anglich kamen vor allem Puritaner aus England, die der religi¨osen Verfolgung zu entkommen versuchten. Bereits 1733 hatten die Engl¨ander 13 Kolonien entlang der Atlantikk¨ uste gebildet. Die Franzosen kontrollierten Gebiete im heutigen Kanada und Louisiana. Die Kolonialherren lieferten sich mehrere Kriege. Nach dem Siebenj¨ahrigen Krieg kontrollierten die Engl¨ander 1763 alle Gebiete ¨ostlich des Mississippi. Bald danach jedoch begann der Konflikt zwischen Kolonien und Kolonialherren aufgrund neuer Steuern. Die Amerikaner leisteten erfolgreich Widerstand gegen die neuen Vorschriften. So war beispielsweise die Boston Tea Party“, bei der 1773 ” Patrioten 342 Kisten Tee in das Meer sch¨ utteten, gegen die Teesteuer gerichtet. Die Folge der Unruhen war der Zusammenbruch des britischen Parlaments und sp¨ater Krieg (1775). Nach dem Bruch mit England im Jahr 1776, durch die Deklaration der Unabh¨angigkeit der 13 Gr¨ undungsstaaten, begannen die Revolutionskriege. Das offizielle Ende markierte 1783 50 51

Vgl. Central Intelligence Agency, http://www.odci.gov/cia/publications/factbook/geos/us.html. Vgl. Burns et al., Government by the people15 , S. 241.

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der Vertrag von Paris, der die Anerkennung der amerikanischen Unabh¨angigkeit seitens der Engl¨ander besiegelt. Mit der Schaffung der Verfassung im Jahr 1789 wurden die Vereinigten Staaten von Amerika zur weltweit ersten modernen Demokratie.52 Im 19. Jahrhundert kamen viele neue Staaten zu den urspr¨ unglich 13 Gr¨ undungsstaaten hinzu, wodurch sich die Vereinigten Staaten u ¨ber den ganzen nordamerikanischen Kontinent ¨ ausbreiteten und eine Zahl an Uberseeterritoren erwarben.53 Obwohl die Deklaration die Gleichheit aller Menschen fordert, entbrannte Mitte des 19. Jahrhunderts die Diskussion um die Sklaverei. Daraufhin erkl¨arten sich die S¨ udstaaten als eine unabh¨angige Nation, die Confederate States of America“, was den Beginn des Amerikanischen B¨ urgerkriegs darstellte ” (1861 - 1865). Der B¨ urgerkrieg z¨ahlt zu den traumatischsten Ereignissen der Geschichte der Nation. Er l¨oste aber zwei Grundfragen: Zum einen wurde dadurch die Sklaverei beendet. Zum anderen wurde der Entschluss gefasst, dass die Nation nicht eine Ansammlung von halb-unabh¨angigen Staaten sei, sondern ein unzertrennbares Ganzes. Dies hat die f¨oderale Struktur entstehen lassen, die auch f¨ ur die Verwaltung von Bedeutung ist. Die Vereinigten Staaten wurden zur f¨ uhrenden Industrienation (z. B. Bau der transkontinentalen Eisenbahn, Erd¨olindustrie (John D. Rockefeller), Stahlindustrie (Andrew Carnegie), Textilindustrie vor allem im S¨ uden, Fleischfabriken in Chicago, Elektroindustrie usw.). Dieser Aufstieg war aber auch mit Problemen verbunden, wie die monopolisitsche Kontrolle der Konzerne und soziale Probleme in den Großst¨adten. Um den wirtschaftlichen Schwierigkeiten entgegenzuwirken, wurden die Interstate Commerce Commission (ICC) gebildet, der Antitrust Act von 1890 verabschiedet und Gewerkschaften geschaffen. Die Progressive ” Movement“ 54 nahm sich den sozialen Schwierigkeiten an. Durch staatliche Handlungen sollte die Gesellschaft reformiert werden, was im Gegensatz zum bisher verfolgten Ansatz des laissez faire“ stand. ” Nach dem Sieg im Ersten Weltkrieg waren die 20er Jahre von einem wirtschaftlichen Aufschwung gekennzeichnet. Amerika wurde zu einer Konsumgesellschaft. Allerdings steckte das meiste Geld in Spekulationen an der B¨orse. Der Schwarze Freitag“ von 1929 mit dem ” Zusammenbruch der B¨orse markierte den Beginn einer weltweiten Depression. Die Große ” Depression“ der Dreißiger Jahre brachte unter Franklin D. Roosevelt den New Deal for the ” American People“ hervor. Mit einer Reihe von Programmen verbesserte er die Situation, jedoch entspannte sich die Lage erst mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg. 55 52

Mehr zur Verfassung im Kapitel 4. Siehe hier die Verbindung zu den geographischen Bedingungen. Unterst¨ utzt durch eine geringe Besiedelungsdichte erm¨ oglichten sie eine relativ einfache Ausbreitung. 54 Diese Zeit wird noch im Kapitel 5.2.3 genauer behandelt, denn sie war f¨ ur die Schaffung einer funktionierenden Verwaltung von Bedeutung. 55 Ausl¨oser war die Attacke auf Pearl Harbour, 1941. Der Zweite Weltkrieg endete mit dem Atombomben-

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Außenpolitisch waren nach dem Zeiten Weltkrieg die Bildung der NATO (North Atlantic Treaty Organization), der Korea Krieg, der Vietnam Krieg, sowie der Kalte Krieg gegen die UdSSR (u. a. Kuba Krise) bedeutend. Die Nachkriegsjahre bis 1970 waren von einer langen Periode wirtschaftlichen Wachstums ¨ gekennzeichnet. Es folgten die Olkrisen, die große finanzielle Einbußen und Budgetdefizite mit sich brachten. Obwohl jeder Pr¨asident seiner Zeit mehr oder weniger einen Stempel aufdr¨ uckte, war es Ronald Reagan, der Anfang der 80er Jahre einen neuen Optimismus nach den krisengesch¨ uttelten Zeiten erweckte und scharfe K¨ urzungen bei Verwaltung und ¨ Steuern veranlasste. Ahnlich wie Magaret Thatcher in Großbritannien war er ein Verfechter der Privatisierung und des Staatsr¨ uckbaus. Nach einer Rezession Anfang der 90er Jahre erlebte die Wirtschaft w¨ahrend der Amtszeit von Pr¨asident Clinton einen langanhaltenden Aufschwung, der die Umsetzung der Reformvorhaben beg¨ unstigte. Die USA hat seit seinen Anf¨angen der atlantischen Kolonialstaaten eine bemerkenswerte Transformation durchlebt. Sie ist die erste universelle Nation“ und sie entwickelte sich ” ¨ zur m¨achtigsten Nation der Welt. Uber 280 Millionen Einwohnern aus aller Herren L¨ander (beachtet dazu die Aussagen zur amerikanischen Vielfalt) bilden den Motor f¨ ur Ver¨anderung.Trotz allen Wandels besteht jedoch eine gewisse Tradition gegen¨ uber einigen Werthaltungen, wie der Glaube an die individuelle Freiheit und Demokratie sowie wirtschaftliche M¨oglichkeiten und Fortschritt f¨ ur alle. Sie bilden auch das gemeinsame Fundament f¨ ur das 21. Jahrhundert.56

3.2

Wertesystem und amerikanische Identit¨ at

Strategische Planungen wie allt¨agliche Entscheidungen und Handlungen von F¨ uhrungskr¨aften wie vom einfachen Mann der Straße werden bewusst oder unbewusst von Werthaltungen, die sie im Laufe ihrer Sozialisation aufgenommen haben, geleitet. Wenn sie auch nicht alleiniges Entscheidungskriterium sind, so bilden die Werte und Einstellungen jedoch ein Mosaiksteinchen, das die Entwicklung eines Landes erkl¨aren hilft. F¨ ur eine heterogene Gesellschaft wie es die Vereinigten Staaten darstellen, sind gemeinsame Werte der Stoff, der sie zusammenh¨alt. Wasser best¨atigt dies, wenn er behauptet, dass ... [o]hne allseits akzeptierte Gemeinsamkeiten ... auf Dauer keine Gesellschaft existieren ” abwurf auf Hiroshima und Nagasaki, Japan, im August 1945, was f¨ ur die USA gleichzeitig den Sieg bedeutete. 56 Vgl. Central Intelligence Agency, http://www.odci.gov/cia/publications/factbook/geos/us.html und auch U.S. Information Agency, http://usinfo.state.gov/usa/infousa/facts/factover/ch3.htm oder siehe welt-des-wissens.com, http://members.tripod.de/weltdeswissens/usa.htm und detaillierter in: U.S. Information Agency, http://usinfo.state.gov/usa/infousa/facts/history/ch13.htm#third.

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...“ 57 kann. Werte und Normen vereinen nicht nur, sie geben auch Antwort auf die Frage, welche Rolle der Staat bzw. der einzelne B¨ urger spielen soll. Clinton geht sogar soweit, dass er die gesamte Ausgestaltung des politisch-administrativen Systems letztendlich auf Werte zur¨ uckf¨ uhrt. Fundamentally, this is a question, though, about our values. If you go back and ” read the Declaration of Independence and the Constitution, you understand that the American people from our beginnings meant for the Government to do those things which the Government needs to do because they can’t be done otherwise; meant for the Government to be an instrument of the public interest.“ 58 Welche Werte sind es nun, die Entscheidungen pr¨agen? Welche Eigenschaften werden als erstrebenswert eingestuft? Die Antworten darauf beeinflussen u. a. die Haltung gegen¨ uber der Verwaltung und sind f¨ ur Ver¨anderungsprozesse aufschlussreich. Einzigartigkeit der Nation und American Dream“ ” Von Anfang an haben die Menschen in Nordamerika auf einen einzigartigen nationalen Integrationsfaktor gebaut,59 der das Selbstverst¨andnis n¨ahrt, eine sich von allen anderen Nationen unterscheidene politische Institution zu sein. Das Empfinden, eine gemeinsame Nation zu bilden, dr¨ uckt sich im Patriotismus f¨ ur das Land aus, der als Indikator f¨ ur das Vorhandensein dieses Bewusstseins verwendet werden kann.60 Der amerikanische Exzeptionalismus und der Stolz in die eigene Nation manifestieren sich im American Dream“.61 ” Die Verschiedenartigkeit zu anderen Nationen beruht darauf, dass die Amerikaner als erstes Volk den Zug der menschlichen Entwicklung zu einer besseren, vernunftgem¨aßen Ordnung, zu 57

Wasser , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 39. Realistischerweise muss auf die Diskrepanz von Soll und Ist, also das was als gut und richtig eingestuft wird und das was tats¨ achlich befolgt und gelebt wird, hingewiesen werden. 58 Clinton, in: Weekly Compilation of Presidential Documents: Remarks on the National Performance Review. 59 Etwas r¨ uckl¨ aufige Tendenzen sind in der Zustimmung zu den allgemeinen amerikanischen Werten feststellbar, aber sie sind immer noch f¨ ur die breite Masse anwendbar, denn in der 200j¨ahrigen Geschichte der Vereinigten Staaten gab es nie eine ernstzunehmende Gegenbewegung. 60 Vorl¨ ander , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 306. 61 Dieser Terminus geht auf das Buch von Thomas Morus Utopia“ zur¨ uck, wo eine Abhandlung u ¨ber ein ” politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich gleichermaßen ideal verfasstes Gemeinwesen skizziert wird. Gepr¨agt wurde der Begriff allerdings vom Historiker James T. Adams (1878 - 1949). ... American Dream, den Traum von einem Land, in welchem das Leben f¨ ur jedermann besser, reicher ” und erf¨ ullter ist, mit einer Lebenschance f¨ ur jeden entsprechend seiner F¨ahigkeit oder seiner Leistung ... Es ist nicht nur der Traum von Autos und hohen L¨ohnen, sondern es ist ein Traum von einer sozialen Ordnung, in der jeder Mann und jede Frau in der Lage sein werden, das h¨ochstm¨ogliche Format zu erreichen, zu dem sie von Natur aus f¨ ahig sind.“ Adams, The Epic of America, S. 404 zitiert in: Wasser , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft Politik, S. 41 f.

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gr¨oßerer individueller Freiheit und zu gunds¨atzlicher Gleichberechtigung verwirklicht haben, indem sie Demokratie und Menschenrechte verbrieften. Die Unabh¨angigkeitserkl¨arung wurde somit zum Herzst¨ uck des Amerikanismus, weil dort die Souver¨anit¨at auf die Werte und Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und dem Streben nach Gl¨ uck gestellt wurde.62 Aber auch die Bundesverfassung oder die Federalist Papers haben Bedeutung in Bezug auf die gelebten Werte.63 Der Amerikanismus kann nun als ein B¨ undel wertedominierter Einstellungen, Lebensgewohnheiten und Bewusstseinsdispositionen umschrieben werden.64 Aus einer Studie von 1990 werden nachstehende Werte aufgelistet, die die amerikanische Identit¨at ausmachen: • Versuch voranzukommen und allgemeine Gleichbehandlung (als Operationalisierung der liberalen Tradition) • Glaube an Gott (religi¨ose Identit¨at) • f¨ ur das Land eintreten (patriotisch-republikanische Identit¨at) • Teilnahme an Wahlen (politisch-demokratisches System) • Englisch als gemeinsame Sprache (als ethnokulturelle Identit¨atsbestimmung)65 Z¨oller stimmt mit dieser Einteilung im großen und ganzen u ¨berein und betitelt die einzelnen Kategorien mit liberaler Tradition und Liberalismus, Republikanismus, religi¨ose Tradition und Protestantismus, Populismus und Machbarkeitsphilosophie.66 Einzelne Werthaltungen werden nun detaillierter behandelt. Freiheit, Individuum und Liberalismus Das amerikanische Volk, das sich im Wesentlichen aus Immigranten herausbildete, die der Armut und der Unterdr¨ uckung (teils aus religi¨osen Gr¨ unden) im Alten Kontinent entgehen wollten, legt auf Freiheit von Zwang und Einschr¨ankung großen Wert und fordert Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und die Chance auf Selbstverwirklichung f¨ ur jedes Individuum.67 Diese Einstellung begr¨ undet gleichzeitig tiefes Misstrauen gegen¨ uber Herrschaft, 62

Vgl. U.S. Department U.S. Department of Justice - Immigration and Naturalization Service, U.S. Government Structure, S. 4. 63 Mehr u ¨ber die Inhalte der Verfassung findet sich im Kapitel 4.1. 64 Vgl. Wasser , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 39 und siehe auch Z¨ oller , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 285. 65 Vgl. Citrin/Reingold/Green, in: Journal of Politics: American Identity and the Politics of Ethnic Change, S. 1132 f. in: Vorl¨ ander , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 308 f. 66 Vgl. Z¨ oller , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 288. 67 Die Chancengleichheit des Einzelnen, ungeachtet sozialer Stellung, Hautfarbe, Geschlecht oder religi¨oser ¨ Uberzeugung, ist zentraler Bestandteil des Amerikanischen Traums“. ” Vgl. Wasser , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 47.

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Macht und Autorit¨at, was insbesondere f¨ ur politische Institutionen und gesellschaftliche Organisationen gilt. Gerade Einwanderer sch¨atzen diese freiheitlichen Privilegien und nehmen sie nicht als selbstverst¨andlich hin.68 Indem sie ihre Heimat verlassen haben, beweisen sie Mut und Flexibilit¨at, die Bereitschaft, Risiko auf sich zu nehmen und Neues auszuprobieren sowie Unabh¨angigkeit und Optimismus. Die Konfrontation mit Neuem und eine ver¨anderte Situation sind meist Grundlage f¨ ur Innovation und tragen zu Fortschritt von Gesellschaft und Wirtschaft bei,69 was mit der Vormachtstellung der USA in Einklang steht. Im wirtschaftlichen Umfeld dr¨ uckte sich diese amerikanische Freiheit und Betonung des Individuums im Liberalismus aus, der Tugenden wie Arbeitsamkeit, Gen¨ ugsamkeit, Selbstdisziplin, Spontaneit¨at und anhaltende Bereitschaft zum Wettbewerb um begrenzte Ressourcen f¨ordert.70 Dies erkl¨art auch den Schwerpunkt auf Effizienz, Effektivit¨at und Value for ” money“, der f¨ ur alle anglos¨achsischen L¨ander charakteristisch ist. Im Bezug auf das Thema dieser Arbeit, Verwaltungsmodernisierung und Managementreformen in der ¨offentlichen ¨ Verwaltung, implizieren diese vorherrschende Uberzeugungen eine wahrscheinlichere Verbindung zu Marktmechanismen und Wettbewerb sowie zu der Bereitschaft, B¨ urger als Kunden von Dienstleistungen der Verwaltung zu sehen.71 Da Freiheit und liberale Tradition einen zu m¨achtigen Staat ablehnen,72 kommt der Selbstverantwortung des Einzelnen und der Eigeninitiative eine tragenden Rolle zu.73 Dies erfordert eine aktive Teilnahme an den Dingen des ¨offentlichen Lebens, um die Verwirklichung des Prinzips der Volkssouver¨anit¨at – im Gegensatz zu einem starken Staat – aufrecht zu ¨ erhalten.74 Damit verbunden ist die Uberzeugung von der grunds¨atzlichen Machbarkeit der ¨ Dinge und der Glaube an die Uberlegenheit pragmatischer Probleml¨osungsmuster im Zuge des trial and error“ Prinzips. Der Pragmatismus als Form individueller wie kollektiver ” Lebensbew¨altigung ist wesentliches Merkmal des Amerikanismus“.75 ”

68

Vgl. U.S. Information Agency, http://usinfo.state.gov/usa/infousa/facts/history/ch1.htm. Vgl. Porter , Nationale Wettbewerbsvorteile, S. 198. 70 Vgl. Wasser , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 45. 71 Vgl. OECD, http://www.oecd.org/pdf/M00004000/M00004170.pdf, S. 26 f. 72 Beachte in diesem Zusammenhang das weitverbreitete Misstrauen gegen¨ uber staatlichen Organisationen. Dies ist einer der Reformausl¨ oser, die sp¨ater noch genauer behandelt werden. 73 Daraus l¨asst sich beispielsweise das Recht auf Selbstverteidigung und folgedessen die Vorliebe f¨ ur Waffenbesitz erkl¨ aren. 74 Vgl. Wasser , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 44 f. Dies wird aber meist Interessenorganisationen u ¨berlassen (siehe Kapitel 4.6.2), denn erstaunlich viele Amerikaner bezeichnen sich selbst als apolitisch. 75 Vgl. Wasser , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 50. 69

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Religi¨ ose Wertvorstellungen Liberalismus, Freiheits- und Individualit¨atsstreben k¨onnen mit der geistig-religi¨osen Haltung der Amerikaner in Verbindung gebracht werden. Tats¨achlich, wie die obige Auslistung zur amerikanischen Identit¨at zeigt, spielt Religion eine erstaunlich große Rolle,76 und sie pr¨agt das wirtschaftsspezifische Verhalten und die pragmatisch-demokratische Einstellung gegen¨ uber Staat und Politik. In diesem Zusammenhang ist es bedeutend, dass die protestantische Tradition vorherrschend ist,77 weil sie historisch betrachtet Geld und Wirtschaft weniger moralisierend behandelte als beispielsweise der Katholizismus. Generell unterst¨ utzt Religiosit¨at Werte wie M¨aßigung und Toleranz, Kooperationsbereitschaft und wechselseitige Achtung der Vielfalt in Gesellschaft und Politik, was f¨ ur das Zusammenleben dieser bunt gemischten Bev¨olkerung hilfreich erscheint. Allerdings erkl¨art Wasser, dass die Toleranz im Hinblick auf Glauben dem Atheisten verweigert wird.78 Dies kann als Teil der klischeehaften Doppelb¨odigkeit gewertet werden, die den Amerikanern nachgesagt wird. Die beschriebenen gesellschaftliche Werte, die daraus resultierenden Denkgewohnheiten und Verhaltensweisen, kurzum die vorherrschende Ideologie“ stellen in der Realit¨at ein vielfach ” verwobenes Bezugs- und Einflusssystem dar, dessen Elemente untereinander harmonisieren k¨onnen, sich aber freilich oftmals gegenseitig behindern oder sogar widersprechen. 79 Ob die amerikanische Ideologie“ in der hier dargestellten Form weiterhin bestehen wird, h¨angt da” von ab, ob es der transatlantischen Gesellschaft gelingt, die Dominanz der englischen Sprache zu behaupten, die Akzeptanz der Verfassung weiterhin zu gew¨ahrleisten, Bereitschaft und F¨ahigkeit zur Leistung in einer globalisierten und wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft zu f¨ordern, den Abstand zwischen Armen und Reichen zu verringern und an den Wurzeln der gemeinsamen Geschichte festzuhalten.80 Da aber Werthaltungen ohne die Menschen eines Landes nur leere Worth¨ ulsen blieben, ist das soziale Umfeld Gegenstand der Analyse im folgenden Abschnitt.

76

Obwohl Kirche und Staat in den USA strikt getrennt sich, stellt es jenes westliche Land mit der h¨ochsten religi¨osen Organisationsdichte dar: 1995 bekannten sich 69 % der Amerikaner zur Mitgliedschaft einer Denomination, 23 % leisteten ehrenamtliche Arbeit f¨ ur solche Institutionen und ca. 95 % gaben an, an Gott zu glauben. Wasser , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 58. 77 Max Weber hat seine aufsehenerregende These vom Zusammenhang zwischen Protestantismus und kapitalistischer Entwicklung am Beispiel der USA veranschaulicht. Vgl. Weber/Lichtblau, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ 3 . ” 78 Vgl. Wasser , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 51 f. 79 Vgl. Lipset, American Exceptionalism. A Double-Edged Sword in: Wasser , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 59. 80 Wasser , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 67.

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3.3

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Soziales Umfeld als Einflussfaktor

Wie in Abbildung 3 gezeigt wurde, u ¨ben die sozialen Kr¨afte Einfluss auf die Verwaltungsreformen aus. Im sozialen Umfeld sind die demographische Situation, die hinsichtlich verschiedenster Kriterien analysiert werden kann, und die Sozialpolitik die wichtigsten Faktoren, die hier besprochen werden. 3.3.1

Demographie

Die USA sind ein Land mit einer unermesslichen Vielfalt in Rasse, Religion, Herkunft, Einkommen, Besch¨aftigung, Alter, Bildung usw. Vielfalt und demographische Ver¨anderungen betreffen u. a. Unternehmen, Politik und Verwaltung und sie beeinflussen deren Entscheidungen.81 Gerade letztere stehen in besonderem Wettbewerb mit der Privatwirtschaft beispielsweise in Sachen Rekrutierung. Daraus ergibt sich auch f¨ ur die Manager in der Verwaltung, dass sie die Vielfalt in den Vereinigten Staaten sch¨atzen, anerkennen und davon profitieren m¨ ussen, denn die wichtigste Ressource ist die Arbeitskraft, also der Mensch.82 Wie f¨ ur den privaten Sektor ist es f¨ ur den ¨offentlichen Bereich daher ¨außerst wichtig, Entwicklungstendenzen rechtzeitig zu erkennen, damit Politik und Verwaltung sich vorbereiten und n¨otigenfalls lenkende Maßnahmen ergreifen k¨onnen. Bev¨ olkerungszahlen und ethnische Zusammensetzung Das Wachstum von innen und außen, die Verteilung und Zusammensetzung der Bev¨olkerung beeinflussen verschiedenste politischen Programme, die darauf abgestimmt werden m¨ ussen. Man denke beispielsweise an den Wohnungsbau oder die Unterst¨ utzung von Minderheiten. Die Vereinigten Staaten z¨ahlen etwa 281,4 Millionen Einwohner gem¨aß der Volksz¨ahlung im Jahre 2000, neuere Zahlen sprechen von ca. 285 Millionen. Ver¨anderungen im Bev¨olkerungswachstum sind aus der Abbildung 5 ersichtlich. Gegen¨ uber 1990 wuchs die Bev¨olkerung um 13,2 %, was den gr¨oßten Anstieg zwischen zwei Volksz¨ahlungen in der amerikanischen Geschichte ausmacht. Der starke Anstieg zwischen 1950 und 1960 war die Zeit der Baby” Boomer“ (1946 - 1964). Geographisch gesehen wuchs der Westen am st¨arksten mit 19,7 %. Die Mehrheit der Amerikaner lebt in den 10 meist bev¨olkertsten Staaten, n¨amlich Californien, Texas, New York, Florida, Illinois, Pennsylvania, Ohio, Michigan, New Jersey und Georgia. Nahezu eine Drittel 81 82

Vgl. Burns et al., Government by the people15 , S. 241. Vgl. U.S. Department of Commerce, http://govinfo.library.unt.edu/npr/initiati/benchmk/workforcediversity.pdf.

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31 32,7

28,0 24,0

23,0

22,0

18,4 13,4

1950 - 60

1960 - 70

11,4

1970 - 80

Wachstum in Millionen

13,2 9,8

1980 - 90

1990 - 2000

Veränderung in Prozent

Abbildung 5: Bev¨olkerungswachstum 1950 - 1960 bis 1990 - 2000“ ” Quelle: U.S. Census Bureau, http://www.census.gov/Press-Release/www/2001/demprousmemo.html (29,9 %) lebt in großst¨adtischem Gebiet (St¨adte mit 5 Millionen Einwohnern und mehr), und etwa 14 % leben in St¨adten mit einer Einwohnerzahl zwischen zwei und f¨ unf Millionen.83 Dies ist ein deutliches Zeichen der zunehmenden Verst¨adterung, die besondere Herausforderungen bzgl. Infrastruktur aufwirft. Einfluss hat diese Verteilung u. a. auch bei Wahlen (mehr dazu unter Kapitel 4.3.1). Neben der ¨ortlichen Verteilung ist die Aufteilung nach Ethnizit¨at wichtig, weil die F¨ uhrungselite die Verh¨altnisse im Land idealerweise widerspiegeln sollte. Da die Eliten aber u ¨berwiegend von den WASP (White-Anglo-Saxon-Protestants) gestellt werden, sollten sie zumindest die unterschiedlichen Interessen und Anliegen der verschiedenen Gruppierungen ber¨ ucksichtigen. Amerika ist traditionell ein Land der Immigranten und daher setzt sich seine Bev¨olkerung aus allen Nationalit¨aten und ethnischen Gruppierungen zusammen. Das weithin verbreitete Bild des Melting Pot“ ist allerdings mehr ein Ideal als die soziale Wirklichkeit.84 W¨ahrend ” urspr¨ unglich das Land von etwa einer Million Indianer bev¨olkert war85 , verschoben sich die Verh¨altnisse hinsichtlich Herkunft und Anzahl der Einwohner im Verlauf der Geschichte. Zur Zeit der Deklaration der Unabh¨angigkeit waren zwei F¨ unftel der Siedler nicht-englischer Herkunft. 1790 betrug die Bev¨olkerung weniger als vier Millionen mit einer Zuwanderung von etwa 10 000 Personen pro Jahr. In der ersten H¨alfte des 19. Jahrhunderts kamen die Siedler vorwiegend aus Nordeuropa (v. a. Großbritannien, Irland und Deutschland) w¨ahrend Ost- und S¨ udeurop¨aer (viele Juden fl¨ uchteten for den Pogromen) st¨arker gegen Ende des 83

Vgl. U.S. Census Bureau, http://www.census.gov/Press-Release/www/2001/demprousmemo.html. Vgl. Behrmann, in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 295. 85 Heute z¨ahlen sie etwa zwei Millionen, wovon ein Drittel in Reservaten, die u ¨berwiegend westlich des Mississippis liegen, lebt. U.S. Information Agency, http://usinfo.state.gov/usa/infousa/facts/history/ch1.htm.

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Jahrhunderts zuwanderten. Heutzutage kommt die Mehrheit der Einwanderer aus Lateinamerika und Asien.86 Unfreiwillig wurden etwa eine halbe Million Afrikaner als Sklaven in die USA gebracht. Trotz Abschaffung der Sklaverei waren sie lange durch Segregation und mindere Bildung in ihrem Fortkommen eingeschr¨ankt.87 Insgesamt kamen von 1820 bis 1987 53,7 Millionen Menschen in die USA.88 Die ethnischen Gruppen verteilen sich heute wie folgt: Die gr¨oßte Bev¨olkerungsgruppe stellen Weiße mit 83,5 % dar, gefolgt von Afro-Amerikanern (12,4 %), Asiaten (3,3 %) und amerikanischen Indianern (0,8 %).89 Die wichtigsten Religionsgruppen stellen mit rund 32 % Protestanten, 22 % Katholiken und 2,4 % Juden.90 Diese Vielfalt hat einen positiven Einfluss auf die Kultur, denn Immigranten tragen h¨aufig den Wunsch eines besseren Lebens in sich,91 sie bleiben oft ihren Traditionen (Restaurants, Feste usw.) verbunden und ihre Kinder sind meist zweisprachig.92 Bez¨ uglich Sprache dominiert Englisch93 als meist gesprochene Sprache, allerdings wird von einer wachsenden Zahl Spanisch gesprochen.94 Die Debatte u ¨ber die Sprache – als Spiegelbild der gemischten Bev¨olkerung – besch¨aftigt sich mit der Frage wie mit den verschiedenen Kulturen und Sprachen umgegangen werden sollte.95 Dies stellt die Verwaltung, beispielsweise im Kundenservice vor neue Herausforderungen. Lebensstatistiken Entwicklungen der Bev¨olkerungszusammensetzung hinsichtlich Alter, Geschlecht, Familien, Geburten- und Sterberaten sowie Lebenserwartung haben Auswirkungen auf die Sozialpolitik (n¨ahere Ausf¨ uhrungen siehe unter 3.3.2), insbesondere f¨ ur Gesundheitsf¨ ursorge, Pensionen und Wohlfahrt. Die Entwicklungen im letzten Jahrzehnt sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Typisch f¨ ur westliche Industrienationen ist die Geburtenrate auch in den Staaten leicht r¨ uckg¨angig, wird aber v. a. durch Zuwanderer weitgehend ausgeglichen. So war z. B. die Geburtenrate im Jahre 1995 von inl¨andischen Frauen im Alter zwischen 15 und 44 bei 1,2 86

U.S. Information Agency, http://usinfo.state.gov/usa/infousa/facts/history/ch13.htm#third. Anti-Diskriminierungsgesetze und Affirmative Action“ trugen zur Gleichberechtigung bei, was sich auch ” in einem wachsenden Anteil an Afro-Amerikanern in der Mittelklasse widerspiegelt. Vgl. U.S. Information Agency, http://usinfo.state.gov/usa/infousa/facts/history/ch1.htm. 88 Vgl. welt-des-wissens.com, http://members.tripod.de/weltdeswissens/usa.htm. 89 Das U.S. Census Bureau listet Hispanics nicht extra, denn als Personen lateinamerikanischer Abstammung k¨onnen sie jeder Rasse oder ethnischen Gruppe angeh¨oren. Central Intelligence Agency, http://www.odci.gov/cia/publications/factbook/geos/us.html. 90 Vgl. welt-des-wissens.com, http://members.tripod.de/weltdeswissens/usa.htm. 91 Siehe Kapitel 3.2 und den Zusammenhang zwischen Immigration und Innovation. 92 Vgl. U.S. Information Agency, http://usinfo.state.gov/usa/infousa/facts/history/ch1.htm. 93 Sie ist allerdings nicht per Gesetz als Landessprache definiert.Vgl. U.S. Information Agency, http://usinfo.state.gov/usa/infousa/facts/history/ch1.htm. 94 Vgl. Central Intelligence Agency, http://www.odci.gov/cia/publications/factbook/geos/us.html. 95 Vgl. Burns et al., Government by the people15 , S. 215. 87

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33

1990

1995

1998

1999

2000

16,7 2081 8,6 2,9 2,0

14,8 2019 8,8 2,8 2,0

14,6 2059 8,6 2,7 2,0

14,5 2075 8,8 n.v. n.v.

14,2 2060 8,7 n.v. n.v.

9,2

7,6

7,0

7,1

6,82

25,7

26,1

25,9

25,7

25,7

12,5

12,8

12,7

12,7

n.v.

LEBENSSTATISTIKEN Geburtenrate/1000 Einwohner Fruchtbarkeitsrate/1000 Frauen Sterberate/1000 Einwohner Herzkrankheiten Krebs Kindersterblichkeitsrate/1000 Lebendgeburten

ALTERSSTRUKTUR Unter 18 Jahre (in % der Gesamtbev¨olkerung) 65 Jahre und ¨ alter

Tabelle 1: Statistische Daten zum Lebenszyklus“ ” Quelle: U.S. Census Bureau, http://www.census.gov/statab/www/part1.html und die Angaben f¨ ur das Jahr 2000 sind Sch¨atzungen aus: Central Intelligence Agency, http://www.odci.gov/cia/publications/factbook/geos/us.html Kindern in ihrer Lebenszeit, w¨ahrend ausl¨andische Frauen 1,6 Kindern geb¨aren. Bereits ein Drittel davon sind mexikanische M¨ utter, mit einer Fruchtbarkeitsrate von 2 Kindern.96 Erw¨ahnenswert in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass die amerikanische Staatsb¨ urgerschaft automatisch durch Geburt auf amerikanischem Boden erworben wird. Auff¨allig ist ein generelles Altern der Bev¨olkerung, wenn auch nicht mit Alterspyramiden aus Westeuropa vergleichbar. Obwohl die Bev¨olkerungsanteile der verschiedenen Altersgruppen kurzfristig nur wenig variieren, unterstreicht ein Vergleich mit Daten aus dem Jahr 1960 diese Tendenz.97 Gerade der Anteil der u ¨ber 65j¨ahrigen w¨achst, und dieser Trend wird mit der Baby-Boomer Generation einen weiteren H¨ohepunkt erleben. Bereits 2025 soll sich ihr Anteil verdoppelt haben.98 Frauen, die die Mehrheit der Bev¨olkerung darstellen, haben eine h¨ohere Lebenserwartung.99 F¨ ur ¨altere Menschen ist die Gesundheitsversorgung im Verh¨altnis teurer. Herzkrankheiten und Krebs geh¨oren zu den h¨aufigsten Todesursachen. 96

U.S. Census Bureau, http://www.census.gov. 1960 lag der Anteil der unter 15j¨ ahrigen bei 31,0 % im Vergleich zu 21,4 % 1999. Der Anteil der u ¨ber 65j¨ahrigen stieg von 9,2 % auf 12,7 % an. Diese Entwicklungen sind tendenziell konform mit den u ¨brigen Industriel¨ andern. Vgl. OECD, http://www.oecd.org/publications/figures/ 2001/anglais/006-007.Demog.pdf. 98 Vgl. U.S. Census Bureau, http://www.census.gov. 99 Amerikanische M¨ anner leben im Durchschnitt 74,24 Jahre, Frauen hingegen 79,9. Central Intelligence Agency, http://www.odci.gov/cia/publications/factbook/geos/us.html.

97

¨ 3 SOZIO-OKONOMISCHES UMFELD

34

Festzustellen ist ebenfalls eine deutliche Zunahme von Familien mit nur einem Elternteil. 100 Sie sind eher gef¨ahrdet in die soziale Bed¨ urftigkeit abzugleiten und staatliche Wohlfahrtsprogramme in Anspruch nehmen zu m¨ ussen.101 Bildung, Einkommen und Armut Bildung beeinflusst die Lebenschancen des Einzelnen. Die Zug¨anglichkeit und Qualit¨at ist allerdings nur schwer mit westeurop¨aischen Gegebenheiten zu vergleichen. In der Regel besteht Schulpflicht vom siebten bis zum sechzehnten Lebensjahr. Die Finanzierung der ¨offentlichen Schulen ist von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden.102 H¨ohere Bildung ist nicht frei zug¨anglich. Um die oft hohen Geb¨ uhren und Schulgelder zu bezahlen, werden Kredite aufgenommen.103 Es bestehen trotz ¨offentlicher Unterst¨ utzung, Unterschiede im Bildungsniveau abh¨angig von der Rasse, was besonders nachteilig f¨ ur Hispanics und Afro-Amerikaner ist. In engem Zusammenhang mit dem Bildungsniveau stehen Einkommen, Arbeitslosigkeit und in weiterer Folge Armut.

Abbildung 6: Armutsgrenze und Anzahl der Armen“ ” Quelle: U.S. Census Bureau, http://www.census.gov/hhes/poverty/poverty01/pov01cht.gif 1999 lag das amerikanische Haushaltseinkommen im Mittel bei $ 40 800. Die h¨ochsten durchschnittlichen Haushaltseinkommen weisen Asiaten und Weiße104 auf, w¨ahrend Hispanics 100

24 % der Familien waren 1990 Haushalte von Alleinerziehenden, im Jahre 1999 z¨ahlten bereits 27,6 % dazu. U.S. Census Bureau, http://www.census.gov/statab/www/part1.html. 101 Vgl. U.S. Census Bureau, http://www.census.gov. 102 Behrmann, in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 282. 103 Gerade im Postgraduate Bereich kommt der Finanzierung durch den Arbeitgeber eine große Bedeutung zu. Studenten aus Familien mit geringem Einkommen nehmen h¨aufig Pell Grants in Anspruch. Vgl. U.S. Census Bureau, http://www.census.gov. 104 Weiße mit hispanischen Wurzeln werden extra gez¨ahlt, weil sie jeder Rasse zugeordnet werden k¨onnen.

¨ 3 SOZIO-OKONOMISCHES UMFELD

35

und Afro-Amerikaner die Schlusslichter bilden.105 Obwohl es bedeutende Verbesserungen w¨ahrend der Amtszeit Clintons gab (siehe Abbildung 6), z¨ahlen Afro-Amerikaner und Hispanics zu den ¨armsten Amerikanern, wie aus der Abbildung 7 hervor geht. Altersm¨aßig bilden die unter 18j¨ahrigen jene Kategorie, die von Armut am h¨aufigsten betroffen ist.106

Abbildung 7: Armut nach Rasse und hispanischer Abstammung“ ” Quelle: U.S. Census Bureau, http://www.census.gov/hhes/poverty/poverty01/povrac01cht.gif Arbeitslosigkeit h¨angt nicht nur mit der Bildung zusammen, sondern ist ein volkswirtschaftlicher Indikator, der auf den Konjunkturzyklus sensibel reagiert. Jedoch sind besonders jene vom Verlust des Arbeitsplatzes bedroht, die nur eine schlechte Ausbildung vorweisen k¨onnen, was oftmals mit der Einkommenssituation der Eltern in Verbindung steht. Daher trifft Arbeitslosigkeit h¨aufig Hispanics und Afro-Amerikaner. Die genauen Daten sind in den Tabellen 3 und 23 zu finden. Nach dem Anstieg auf 7,5 % im Jahre 1992 erholte sich die Lage am Besch¨aftigungsmarkt wieder. Nach dieser Darstellung der demographischen Verh¨altnisse, die nat¨ urlich nur die wichtigsten Faktoren f¨ ur Reformeinfl¨ usse umfassen kann, folgt eine kurze Beschreibung der amerikanischen Sozialpolitik, die mit der Diskussion um ihre Finanzierung, ebenfalls Druck f¨ ur Reformen erzeugte.

105 106

Vgl. U.S. Census Bureau, http://www.census.gov/hhes/income/income99/incxrace.html. Vgl. U.S. Census Bureau, http://www.census.gov/hhes/poverty/poverty01/povage01cht.gif.

¨ 3 SOZIO-OKONOMISCHES UMFELD 3.3.2

36

Sozialpolitik

Obwohl die Vereinigten Staaten bezogen auf das Pro-Kopf-Einkommen eine sehr reiche Nation sind, gibt die Regierung im Verh¨altnis zu europ¨aischen Staaten wenig Geld f¨ ur Soziales aus, denn Amerika ist ein wenig ausgepr¨agter Wohlfahrtsstaat.107 Die tats¨achlichen Ausgaben in den 90er Jahren gehen aus Tabelle 2 hervor, wobei sie sich in den letzten zehn Jahren mit Ausnahme der Arbeitslosenunterst¨ utzung nahezu verdoppelten. Zur¨ uckzuf¨ uhren ist dies auch auf das Wirtschaftssystem und die vorherrschende Idee der Selbstverantwortung und Eigeninitiative. Privatwirtschaftliche L¨osungen sozialpolitischer Probleme wird der Vorrang gegeben, obwohl Armut in der Bev¨olkerung relativ weit verbreitet ist. Dieser Umstand erkl¨art sich aus der Tatsache, dass es in den USA kein national einheitliches System f¨ ur alle Bereiche der sozialen Sicherung gibt.108

Ausgaben im Sozialbereich in Milliarden Dollar

Bundesausgaben f¨ ur Gesundheitsf¨ ursorge Medicare Sozialversicherung Arbeitslosenunterst¨ utzung (bundesstaatlich)

1990

1995

1999

2000

696 110 248 18,1

990 183 333 21,3

1216 213 386 20,6

1299 224 408 20,6

Tabelle 2: Ausgaben im Sozialbereich“ ” Quelle: Zusammengefasst aus: U.S. Census Bureau, http://www.census.gov/statab/www/part3.html Die Sozialversicherung109 auf nationaler Ebene geht auf die Zeit der Großen Depression“ ” zur¨ uck und entstand mit dem Social Security Act“ von 1935. Zuvor war die Sozialversiche” rungsgesetzgebung Angelegenheit der Einzelstaaten.110 Pr¨asident Roosevelt f¨ uhrte sie neben einigen tempor¨aren Programmen zur Verbesserung der Situation (v. a. Arbeitslosigkeit) in der Phase des New Deal“ ein. Sie umfasst eine Renten-, Arbeitslosen-, und Unfallversiche” rung (erst seit 1948), wobei nur erstere in die Verwaltungszust¨andigkeit des Bundes f¨allt. In den 60er Jahren f¨ uhrte Pr¨asident Johnson Unterst¨ utzungsprogramme wie Lebensmittelmarken (Food Stamps, 1964) und ¨offentlichen Wohnbau ein . F¨ ur jene, die sich die Geb¨ uhren einer 107

Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 278. Vgl. Murswieck , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 217. 109 Zur chronologischen Entwicklung der Sozialversicherung vgl. Social Security http://www.ssa.gov/history/reports/briefhistory.html. 110 Vgl. Murswieck , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 220. 108

Administration,

¨ 3 SOZIO-OKONOMISCHES UMFELD

37

Health Maintenance Organization (HMO)111 nicht leisten k¨onnen, wurden 1965 die staatlichen Sozialprogramme Medicaid und Medicare geschaffen. Medicaid ist ein gemeinsames Programm von Bund und Staaten, das die medizinische Versorgung f¨ ur Arme sicherstellt, wobei die Voraussetzungen der Bed¨ urftigkeit von Staat zu Staat variieren. Medicare ist eine f¨oderale Krankenversicherung, die einen großen Anteil der Arztrechnungen u ¨bernimmt. Anspruchsberechtigt sind Amerikaner, die 65 Jahre und ¨alter sind oder unabh¨angig vom Alter eine Behinderung aufweisen. Neben privaten und staatlichen Leistungen wird Hilfe auch von privaten Wohlt¨atigkeitsorganisationen und Freiwilligen angeboten.112 Da in den USA die private Krankenversicherung113 vorherrschend ist, leben viele Personen ohne diese Vorsorge. Eine leichte Verschlechterung der Situation ist im letzten Jahrzehnt feststellbar.114 Neben einer allgemeinen Abnahme des Versicherungsschutzes u ¨ber alle Altersgruppen hinweg, sind besonders junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren davon betroffen, w¨ahrend ¨altere Personen (65 +) nahezu vollst¨andig eine Form von Krankenversicherung aufweisen.115 Interessant gerade im Zeitalter der McJobs ist die geringere Versicherung von Teilzeitarbeitnehmern gegen¨ uber Vollzeitbesch¨aftigten.116 Die Sorge u ¨ber die Finanzierbarkeit der Programme bei gleichzeitig wachsenden Budgetdefiziten, wozu auch die Regierung Reagans117 wesentlich beitrug, schaffte gute Rahmenbedingungen f¨ ur Reformen, nicht nur hinsichtlich der Verteilung, sondern der Verwaltung selbst. F¨ ur Pr¨asident Clinton war die Sozialhilfe- und Gesundheitsreform innenpolitischer Schwerpunkt. Er scheiterte aber im Kongress mit seinen Vorschl¨agen zur National Health Care ” Reform“, w¨ahrend erstere 1996 durchgesetzt werden konnte.118

3.4

¨ Okonomisches Umfeld als Einflussfaktor

Die USA sind eine milit¨arische, wirtschaftliche und politische Supermacht und daher in der besonderen Position, in der sie die globalen Trends stark mitgestalten und beeinflussen 111

Gegen fixe Geb¨ uhren wird eine medizinische Grundversorgung geboten. Spezielle Behandlungen und Ope¨ rationen m¨ ussen die Patienten selbst bezahlen. Dar¨ uber hinaus ist die freie Arztewahl eingeschr¨ankt. 112 Vgl. United States Information Agency, http://usinfo.state.gov/usa/facts/factover/ch9.htm. 113 Teilweise wird diese auch als zus¨ atzliche Leistung vom Arbeitsgeber bezahlt. 114 1990 waren 13,9 % ohne Krankenversicherung, 1995 15,4 % und im Jahr 2000 14,0 %. Vgl. U.S. Census Bureau, http://www.census.gov/statab/www/part3.html. 115 Vgl. U.S. Census Bureau, http://www.census.gov/population/www/pop-profile/profile1999.ppt. 116 Vgl. U.S. Census Bureau, http://www.census.gov. 117 Geplante K¨ urzungen der Sozialprogramme fielen weniger hoch aus als urspr¨ unglich geplant aufgrund der ablehnenden Haltung sozialtechnischer Armutsbek¨ampfung. Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 278 oder siehe auch Murswieck , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 240. 118 Vgl. Murswieck , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 241 f. Siehe dazu auch die Ausf¨ uhrungen im Kapitel 5.1.1 u ¨ber den politischen Wertegang Clintons.

¨ 3 SOZIO-OKONOMISCHES UMFELD

38

k¨onnen.119 Die wirtschaftliche Situation und die neben anderen Faktoren wichtigen Managementgrundeinstellungen werden nun n¨aher beleuchtet. 3.4.1

Volkswirtschaftliche Situationsanalyse

Die Tabelle 3 listet alle wichtigen volkswirtschaftlichen Kennzahlen, die u ¨ber die wirtschaftliche Situation eines Landes Auskunft geben. Hier wird der Zeitraum vor dem Amtsantritt von Pr¨asident Clinton angef¨ uhrt. Als M¨oglichkeit zur Beurteilung seiner Amtszeit werden diese Indikatoren in Tabelle 23 f¨ ur den Zeitraum 1993 bis 2001 wiedergegeben. Anfang der 90er Jahre machte eine Rezession der amerikanischen Wirtschaft zu schaffen. BIP, Konsumausgaben und Nachfrage sanken. Die Gesamtbesch¨aftigung war ebenfalls im Sinken begriffen und die Arbeitslosenrate nahm zu. Der Verbraucherpreisindex stieg in den Jahren 1990 und 1991 st¨arker als in den Folgejahren, was als Hinweis auf eine allm¨ahliche Entspannung der Situation gewertet werden kann. Die USA sind bedeutender Welthandelspartner (etwa 11 % der Exporte und rund 14 % der Importe weltweit), aber ihre Handelsund Leistungsbilanz waren negativ. Besonders interessant ist die Entwicklung der Bundesausgaben und des Bundesbudgets. Die Ausgaben nahmen leicht zu w¨ahrend die Einnahmen sogar eine r¨ uckl¨aufige Tendenz verzeichneten. Hervorzuheben ist, dass das Budget seit Jahren ein Defizit aufwies.120 . Bereits in den 80er Jahre wuchs diesbez¨ uglich das politische und ¨offentliche Bewusstsein. Budgetdefizite schr¨anken die Handlungsf¨ahigkeit einer amtierenden Regierung enorm ein, nicht zuletzt, weil sie Fragen der Nachhaltigkeit und Finanzierbarkeit aufwerfen. Außerdem h¨angt die Situation im ¨offentlichen Haushalt eng mit der nationalen Wirtschaft zusammen. Clinton best¨atigte, dass es Defizite aller Art in den USA gibt, die Maßnahmen erfordern. ... we have all kinds of deficits in our country. We’ve got a budget deficit; we’ve ” got an investment deficit; we have a performance deficit and that has led to a trust deficit. ... if we can reestablish that trust, we can regenerate opportunity, we can restore a sense of community in this country, we can make other people willing to take responsibility for their won actions because we are doing it and we are setting an example. ...“ 121 119

Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 278. Gr¨ unde daf¨ ur liegen nach Ansicht Stockmans insbesondere in den hohen Ausgaben f¨ ur die Verteidigung und die geringen K¨ urzungen der Sozialprogramme w¨ahrend der Amtszeit Reagans. Vgl. Stockman, The Triumph of Politics in: Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 278. 121 Clinton, in: Weekly Compilation of Presidential Documents: Remarks on the National Performance Review, S. 5, in: Kamensky, in: Public Administration Review : The Role of the Reinventing Government“ ” Movement in Federal Management Reform, S. 249 f. 120

¨ 3 SOZIO-OKONOMISCHES UMFELD

39

Wirtschaftsindikatoren der USA Indikator

1985

1990

1991

1992

1993

3,8 7,1 5,0 5,0 4,2 2,7 6,5 -0,7

1,8 5,7 1,8 2,6 1,4 8,7 3,8 0,5

-0,5 3,2 -0,2 1,4 -1,1 6,5 -0,5 -2,5

3,1 5,6 2,9 0,4 3,1 6,2 6,6 -1,8

2,7 5,1 3,4 -0,3 3,2 3,3 9,1 -1,8

3,2 3,5 1,7 2,0 7,2 9,2

3,9 5,4 1,6 1,3 5,6 7,8

3,6 4,2 0,4 -0,9 6,8 8,3

2,4 3,0 1,4 0,7 7,5 8,7

2,4 3,0 0,8 1,5 6,9 7,1

17,2

15,9

16,1

15,1

15,0

Staatsausgaben (in % zum nominalen BIP) Staatseinnahmen (Steuern und sonstige Einnahmen

33,8 28,7

33,6 29,3

34,2 29,2

34,8 28,8

34,1 29,2

in % zum nominalen BIP) ¨ Budgetsaldo (Uberschuss (+) oder Defizit (-) in % zum nominalen BIP)

-5.0

-4,3

-5,0

-5,9

-5,0

Kurzfristiger Zinssatz Langfristiger Zinssatz Relative Lohnkosten (Indizes, 1995 = 100) Anteil am Export der Welt (% Wert der gesamten

8,3 10,6 169,6 11,4

8,2 8,6 114,3 11,2

5,9 7,9 111,7 11,7

3,8 7,0 107,7 11,6

3,2 5,9 106,7 11,9

18,1

14,9

14,3

14,6

16,3

-122,2 25,7 -118,2 -2,8

-111,0 28,5 -79,0 -1,4

-76,9 24,1 3,7 0,1

-96,9 23,0 -48,5 -0,8

-132,5 23,9 -82,5 -1,2

(in % zum Vorjahr, wenn nicht anders angegeben)

Reales BIP Nominales BIP Reale private Konsumausgaben Reale ¨offentliche Konsumausgaben Reale Inlandsnachfrage gesamt Reale Exporte Reale Importe Output Gap (Abweichung tats¨achliches BIP vom Potenzialoutput als % vom Potenzialoutput)

BIP Deflator Verbraucherpreisindex Arbeitskr¨aftepotenzial Besch¨aftigung Arbeitslosenrate Sparquote der Haushalte (in % des frei verf¨ugbaren Haushaltseinkommens)

Nationale Sparquote (brutto) (in % zum nominalen BIP)

G¨ uter, Zollbasis)

Anteil am Import der Welt (% Wert der gesamten G¨ uter, Zollbasis)

Handelsbilanz (in Millarden $) Nettoinvestitionseink¨ unfte (in Millarden $) Leistungsbilanz (in Millarden $) Leistungsbilanz (in % des BIP)

Tabelle 3: Wirtschaftsindikatoren der USA vor und bei Amtsantritt Pr¨asident Clintons“ ” Quelle: Zusammengefasst aus: OECD, Economic Outlook 2001 Diese Defizite belasten die wirtschaftliche Situation einer Nation und somit die Wettbewerbsf¨ahigkeit in einer globalisierten Umwelt. Regierung und Verwaltung sind daher gefor¨ dert, Maßnahmen zur Wiederherstellung des Vertrauens in ¨offentliche Amter sowie zur Budgetsanierung zu ergreifen. Die finanziellen Engp¨asse haben aber auch einen positiven Effekt

¨ 3 SOZIO-OKONOMISCHES UMFELD

40

f¨ ur Reformen. Unter ihrem Druck sind Regierungen gezwungen, tiefgreifende Modernisierungsmaßnahmen voranzutreiben und nicht nur Oberfl¨achenkosmetik durch Zahlenspiele zu betreiben. Als Vorgriff auf Kommendes, soll hier bereits festgehalten werden, dass unter Clinton effektivere Maßnahmen ergriffen wurden, um das Defizit unter Kontrolle zu bringen. Die USA erlebten einen lang anhaltenden konjunkturellen Aufschwung. 1997 beschlossen Pr¨asident Clinton und der republikanisch dominierte Kongress einen 5-Jahres-Plan, um das Budget auszugleichen. 1999 wurde im State of the Union erstmals dar¨ uber diskutiert, was mit dem erwirtschafteten Budget¨ uberschuss geschehen sollte.122 3.4.2

Managementideen

Die wirtschaftliche Situation h¨angt von vielen Faktoren ab, ist aber u. a. Ausfluss der zugrunde liegenden Einstellung zum Management. W¨ahrend in den napoleonischen oder germanischen L¨andern die legale Tradition mit einem stark regulierenden Zentrum dominiert, ist in den anglos¨achsischen L¨andern die Management-Kultur vorherrschend, wo die Suche nach Effizienz das wichtigste Ziel darstellt.123 Die Vereinigten Staaten gelten als das Geburtsland“ der Unternehmensf¨ uhrung und ist da” her charakteristisch f¨ ur die nordamerikanische Kultur insgesamt. Im Land des freien Marktes, sind Unternehmungen groß und erfolgreich geworden, aufgrund von Effektivit¨at und Effizienz – die Ergebnisse guten Managements.124 Es war wesentlich f¨ ur die rasante wirtschaftliche Entwicklung und den Aufstieg zur dominierenden Wirtschaftskraft. Die vorherrschende Pr¨aferenz privatwirtschaftlicher Managementmethoden und das offene, fragmentierte amerikanische Regierungssystem (siehe Kapitel 4) ließen die Ideen bis in den ¨offentlichen Sektor durchdringen. Zu verschiedenen Zeiten war die Bundesverwaltung u ¨ber die jeweiligen Managementtechniken und -ans¨atze, wie z. B. Management by Objectives (MbO), Downsizing/Rationalisierungen, Total Quality Management (TQM), Benchmarking und Reengineering, begeistert. Historisch betrachtet, ist diese Offenheit gegen¨ uber Managementtechniken nichts Neues. In den 60er Jahren hat die Bundesregierung das PPBS (Program 122

Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 278. Vgl. OECD, http://www.oecd.org/pdf/M00004000/M00004170.pdf, S. 26. Dies steht im Zusammenhang mit den vertretenen Werten, siehe unter Kapitel 3.2. 124 Vgl. Kickert, in: Kickert: Public Management and Administrative Reform in Western Europe, S. 19. Unter Management sind Konzepte zu verstehen, ...die organisatorische Voraussetzungen f¨ ur zielbezogene ” Leistung schaffen, eine Orientierung am Leistungsempf¨anger erm¨oglichen, eine Umweltdiagnose sicherstellen, ein entsprechendes kurz- und langfristiges Leistungsangebot festlegen und der fachlichen F¨orderung sowie der pers¨ onlichen Entwicklung der Organisationsmitglieder dienen.“ Strehl , in: Strehl: Managementkonzepte f¨ ur die ¨offentliche Verwaltung, S. 161.

123

¨ 3 SOZIO-OKONOMISCHES UMFELD

41

Planning and Budgeting System) eingef¨ uhrt und in den 70er Jahren das ZBB (Zero Based Budgeting) oder das Konzept der Organisationentwicklung.125 Von Interesse ist in diesem Zusammenhang die Verbindung zum New Public Management, dessen theoretische Grundlagen in zwei Ideenstr¨angen verankert sind, die volkswirtschaftliche Theorien und die betriebswirtschaftliche Managementans¨atze (siehe Kapitel 2.3).

125

Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 279. Ausf¨ uhrlicher zu den Reformans¨ atzen im Kapitel 5.2.3.

4 POLITISCHES SYSTEM

4

42

Politisches System

Ein weiterer großer Einflussbereich f¨ ur Verwaltungsreformen, wie in Abbildung 3 gezeigt wurde, stellt das politische System dar. Die Vereinigten Staaten folgen einem ¨außerst dezentralisierten, f¨oderalen und demokratischen Herrschaftssystem, das im Vergleich zu Europa einzigartig ist.126 Historisch betrachtet, versuchte das amerikanische Regierungssystem die M¨angel der europ¨aischen Regierungen (parlamentarische Systeme oder Monarchien mit ihren u ¨berm¨achtigen Regierungen oder diktatorischen Herrschern) zu u ¨berwinden. Ihr daraus resultierendes pr¨asidentielles Regierungssystem ist laut Verfassung dualistisch aufgebaut, d. h., dass sowohl Legislative als auch Exekutive durch die W¨ahler legitimiert werden. Dennoch beschr¨ankt eine systematische und funktionale Verflechtung der Institutionen ihre Macht. 127 Die USA sind ein f¨oderaler Staat, eingeteilt in Bund, Bundesstaaten und Gemeinden. Die 50 politisch-administrativ getrennten Staaten besitzen eine große Autonomie in Bezug auf Organisation und Verfahren der drei Gewalten sowie Freiheit u ¨ber jene Aufgaben und Verantwortungen, die sie an die lokaken Verwaltungen (¨ uber 80 000 Gemeinden) weitergeben.128 Der Sitz der Bundesregierung ist im District of Columbia, das nicht in einen Staat eingegliedert ist und dessen Regierung dem Kongress unterliegt. Weiters geh¨oren einige Territorien, die in der Karibik und im Pazifik liegen zu den USA.129 Grundlage des politischen Systems ist die Verfassung, welche im Folgenden n¨aher beleuchtet werden soll.

4.1

Amerikanische Verfassung und ihre Prinzipien

Die noch heute g¨ ultige Verfassung der Vereinigten Staaten wurde am 17. September 1787 unter Vorsitz von George Washington unterzeichnet und ersetzte die Articles of Confedera” tions“. Es folgten 27 Verfassungserg¨anzungen ( Amendments“), wovon die ersten zehn - die ” Bill of Rights“ aus dem Jahre 1791 - als die bedeutendsten Zus¨atze gelten.130 Gemeinsam ” bilden sie die Grundlage f¨ ur die politischen Institutionen und regeln ihre Aufgaben, ihre Strukturen und Beziehungen zueinander. Die drei Hauptprinzipiender Verfassung sind: 126

Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 279. Vgl. Lehner/Widmaier , Vergleichende Regierungslehre3 , S. 98. 128 Durch diese f¨ oderale Gliederung leistet die Bundesverwaltung selbst nur wenige direkte Dienstleistungen, sie werden in der Regel von den Bundesstaaten und den lokalen Einrichtungen u ¨bernommen. Nichtsdestotrotz ist sie aber mit u ¨ber 40 000 Field Offices im ganzen Land pr¨asent. Vgl. Kamensky, http://govinfo.library.unt.edu/npr/library/papers/bkgrd/kamensky.html. 129 Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 327. 130 Vgl. Kremp, in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 111 ff. Der Text der Verfassung und der Amendments in englischer bzw. deutscher Sprache findet sich bei Sautter , Die Vereinigten Staaten: Daten, Fakten, Dokumente, S. 166 ff. oder in U.S. Department U.S. Department of Justice - Immigration and Naturalization Service, U.S. Government Structure, S. 67 ff. wieder. 127

4 POLITISCHES SYSTEM

43

• Wahrung der Grundrechte: Sie gelten f¨ ur jede in Amerika lebende Person, unabh¨angig davon, ob sie Staatsb¨ urger der USA ist oder nicht. Diese Rechte wurden erstmals in der Declaration of Independence“ niedergeschrieben und beinhalten die ” Rechte auf life, liberty and the pursuit of happiness“ 131 . ” • Herrschaft durch das Volk: Es kann w¨ahlen und u ¨bertr¨agt somit seine Autorit¨at auf die Repr¨asentanten in den Regierungs¨amtern. Falls n¨otig kann das Volk Gesetzesund Verfassungs¨anderungen einfordern. • Systeme von Gewaltentrennung und Gewaltenverschr¨ ankung: Diese Ideen gehen auf John Locke und Baron de Montesquieu zur¨ uckgehen. Ziel ist es, einen staatlichen Machtmißbrauch zu verhindern und die individuelle Freiheit zu sch¨ utzen.132 Daf¨ ur grundlegend, sind personell und legitimatorisch unabh¨angige Instanzen der Machtaus¨ ubung, die aber gleichzeitig wechselseitig voneinander abh¨angig sind, um bestimmte politische Ziele zu erreichen und gegenseitige Kontrolle auszu¨ uben.133 Die Amerikanische Verfassung zieht also klare Grenzen zwischen den drei getrennten aber dennoch ” gleichwertigen“ Bereichen der Bundesregierung: die Exekutive schl¨agt vor und implementiert, die Legislative erl¨asst Gesetze und die Judikatur interpretiert diese. Diese Teilung dr¨ uckt sich in der Inkompatibilit¨at von Regierungsamt und Kongresssitz aus ¨ und soll eine Ubermacht eines Bereichs verhindern.134 Die Funktion des Vizepr¨asidenten als Vorsitzender des Senats bildet die einzige Ausnahme dazu.135 Diese horizontale Gewaltenteilung wird um die vertikale erg¨anzt, d. h., dass eine ¨ahnliche Trennung der Gewalten innerhalb der bundesstaatlichen Regierungen existiert. Auf lokaler Ebene ist diese Gewaltentrennung oft nicht klar getrennt, und sie haben meist nur eingeschr¨ankte richterliche Macht.136 Dar¨ uber hinaus kann dieses tragende Prinzip auch innerhalb der verschiedenen Machttr¨ager gefunden werden. Menschen- und B¨ urgerrechte, Medien und sonstige Interessengruppierungen sowie die zeitlichen Abst¨ande zwischen Wahlen dienen ebenfalls der Beschr¨ankung der Macht und sollen die Konfliktaustragung und Konsensbildung erm¨oglichen.137

131

U.S. Department U.S. Department of Justice - Immigration and Naturalization Service, U.S. Government Structure, S. 4. 132 Vgl Lehner/Widmaier , Vergleichende Regierungslehre3 , S. 100 f. 133 Vgl. Kremp, in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 114 f. 134 Vgl. Maidment/McGrew, 1986, The American political process, London, Sage, in: Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 278. 135 Vgl. J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 136. 136 Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 327. 137 Vgl. Kremp, in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 116 ff.

4 POLITISCHES SYSTEM

44

Gerade das dritte Grundprinzip zieht sich wie ein roter Faden durch das Regierungssystem der USA auf allen Ebenen. Seit der Gr¨ undung waren die amerikanischen Eliten sehr stark mit der Aufrechterhaltung des Systems von Checks and Balances“ besch¨aftigt, um sicher” zusstellen, dass keiner der drei Bereiche zu dominant wird.138 Legislative, Exekutive und Judikatur sowie ihre Verschr¨ankung werden anschließend n¨aher erl¨autert.

4.2

Legislative

Auf die Gesetzgebung haben der Kongress bestehend aus zwei H¨ausern, verschiedene Aussch¨ usse und quasi unabh¨angige Beh¨orden mit Kontroll- und Pr¨ ufungsfunktionen Einfluss. Im Zusammenhang mit Reformen der Managementaktivit¨aten der Bundesverwaltung muss die Art und Weise ber¨ ucksichtigt werden, wie die Gesetzgebung Kontrolle aus¨ ubt und wie sie Autorit¨at an Regierungsbeh¨orden weitergibt. Beide Fragen sind in der institutionellen Dynamik des Kongesses verankert, d. h. formelle und informelle Mechanismen, die zur kollektiven Entscheidungsfindung eingesetzt werden.139 Aufbau, Aufgaben und Gesetzgebungsverfahren werden daher n¨aher ausgef¨ uhrt. 4.2.1

Gesetzgebende Gewalt durch den Kongress

Jede gesetzgebende Gewalt der Bundesregierung geht auf die Verfassung (Artikel I) zur¨ uck und ist dem unabsetzbaren Kongress auferlegt, der sich in zwei K¨orperschaften gliedert: der Senat und das Repr¨asentantenhaus. Der amerikanische Kongress z¨ahlt zu den m¨achtigsten Parlamenten der Erde und tritt alle zwei Jahre neu zusammen. Die Zusammensetzung des Kongresses w¨ahrend der Amtszeit Clintons wird in Tabelle 4 dargestellt. Diese hat Einfluss auf die Durchsetzbarkeit der pr¨asidialen Vorstellungen, wie beispielsweise zum Bereich Verwaltungsreformen, ist aber nicht allein entscheidend. Besonders einschneidend f¨ ur die Amtszeit Clinton war der Wechsel zu einer republikanischen Mehrheit des 104. Kongresses. Obwohl Personalabbau und Rationalisierungen schon zuvor von Clinton (Demokrat) und seiner National Performance Review (dazu mehr unter 6.3) forciert wurden und es sich dabei um traditionell republikanische Themen handelte, entschieden die W¨ahler 1994 trotzdem zugunsten einer republikanische Mehrheit in beiden H¨ausern.140 138

Vgl. Maidment/McGrew , The American Political Process, in: Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 278. 139 Vgl. Khademian, in: Journal of Public Administration Research & Theory: The New Dynamics of Legislating and the Implications for Delegation: What’s to be Expected on the Receiving End?. 140 Wattenberg sieht darin einerseits eine Schw¨ache von Parteien. Andererseits bot die relativ“ geringe Zu” stimmung der Bev¨ olkerung f¨ ur Clinton (nur 43 % der W¨ahlerstimmen brachten ihn ins Amt - siehe dazu Tabelle 7) eine zus¨ atzliche Angriffsfl¨ache f¨ ur die Demokraten. Ausschlaggebend waren insbesondere unabh¨ angige W¨ ahlerschichten wie z. B. rund um Ross Perot. Die Republikaner gewannen aufgrund

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Sitzverteilung im Kongress nach Parteien von 1991 bis 2002 Senat Kongress

102. 103. 104. 105. 106. 107.

Sitzungsperiode

1991 1993 1995 1997 1999 2001

-

93 95 97 99 01 03

Mehrheit

D D R R R D

56 57 52 55 55 50

Minderheit

R R D D D R

44 43 48 45 45 49

Repr¨ asentantenhaus Sonstige

1

Mehrheit

D D R R R R

267 258 230 227 222 221

Minderheit

R R D D D D

167 176 204 207 211 212

Sonstige

1 1 1 1 2 2

Tabelle 4: Sitzverteilung im Kongress nach Parteien von 1991 - 2001“ ” Quellen: Zusammengefasst aus FirstGov , http://www.senate.gov/learning/stat 13.html und FirstGov , http://clerkweb.house.gov/histrecs/househis/lists/divisionsh.htm Clinton war daher mit strengen Budget- und Programmk¨ urzungen konfrontiert.141 Die Republikaner unter der Federf¨ uhrung von Newt Gingrich waren entschlossen, Teile der Errungenschaften der Bundesverwaltung r¨ uckg¨angig zu machen: Abschaffung von drei Ministerien, K¨ urzung der Fonds f¨ ur die EPA um die H¨alfte, massive K¨ urzungen bei Medicare und Medicaid, Bildungsfonds und anderen sozialen Programmen. Da Clinton zu dieser Zeit politisch verletzbar war, meinten die Republikaner, sie k¨onnten Clinton zwingen, die Budgetgesetze im Herbst 1995 zu unterzeichnen. Clinton verweigerte seine Zustimmung und legte sein Veto ein, obwohl er f¨ ur eine Politik mit einem ausgeglichenen Budgets pl¨adierte. Damit nahm er sogar in Kauf, dass aufgrund fehlender Gelder manche Einrichtungen vor¨ ubergehend geschlossen werden mussten. Unabh¨angig wie man zu dieser Entscheidung steht, zeigt es Clintons Mut, F¨ahigkeiten und Beharrlichkeit.142 Neben den getrennten Aufgaben der beiden H¨auser, auf welche sp¨ater genauer eingegangen wird, weisen sie auch einige gemeinsame Verantwortungen auf. Die wichtigste Aufgabe ist von zwei Faktoren. Erstens zeigte Perot nach der Wahl Clintons permanent jene Problemfelder auf, die der Pr¨asident nicht anging, wodurch eine unzufriedene Haltung gegen¨ uber der Leistung des Pr¨asidenten gesch¨ urt wurde. Zweitens pl¨ adierte Perot in einem CNN Interview daf¨ ur, den Republikanern, nach 60 Jahren Herrschaft der Demokraten im Kongress, eine Chance zu geben. Die Demokraten hatten im Repr¨asentantenhaus von 1954 bis 1992 durchg¨angig die Mehrheit. Vgl. Wattenberg, The Decline of American Political Parties, 1952 - 1996 erweiterte , S. 200 f. Kamarck sah keinen direkten Zusammenhang zwischen den Kongresswahlen und den Bem¨ uhungen um Reinventing Government“. ” Kettl et al., http://www.ksg.harvard.edu/innovations/occasional/kettl.pdf, S. 5. 141 Dies hatte Auswirkungen auf die Schwerpunkte der Reformbem¨ uhungen, mehr dazu im Kapitel 6.3 unter der zweiten Phase der NPR. 142 Pfiffner , in: Rozell/Wilcox: The Clinton Scandal, S. 250.

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die Gesetzgebung und innerhalb dieser die Haushaltsbefugnis.143 Allgemein gilt, dass der Kongress innerhalb seiner verfassungsm¨aßig festgelegten Kompetenzen legislative Maßnahmen treffen muss, die Geld und Handel regulieren und die die allgemeine Verteidigung und den Wohlstand der amerikanischen Bev¨olkerung sichern. Um dieser Aufgabe nachzukommen, kann der Kongress eine neue Gesetzgebung initiieren, vom Pr¨asidenten vorgeschlagene Gesetze u ur die Exekutive bewilligen. ¨berarbeiten und ab¨andern und er muss die Gelder f¨ Der Kongress kann daher auch Steuern und Z¨olle einheben, Geld leihen und Schulden tilgen, obwohl die tats¨achliche Abwicklung solcher Funktionen von der Exekutive durchgef¨ uhrt werden. Der Kongress kann den Pr¨asidenten, den Vizepr¨asidenten oder andere Beamte aufgrund von bestimmten kriminellen Handlungen absetzen. Dazu muss auf eine Amtsanklage durch das Repr¨asentantenhaus ein Prozess im Senat folgen, welcher mit einer Verurteilung durch eine Zweidrittelmehrheit endet.144 Um dem Prinzip der Gewaltentrennung gerecht zu werden, d¨ urfen Kongressmitglieder nicht gleichzeitig in der Exekutive und in der Judikatur t¨atig sein, aber sie k¨onnen Ehrenfunktionen ¨ u u ¨bernehmen.145 Die nachstehende Tabelle 5 gibt einen Uberblick ¨ber die Unterschiede der beiden H¨auser des Kongresses bevor sie genauer ausgef¨ uhrt werden.

Senat Generell kann gesagt werden, dass der Senat der wichtigere“ Teil des Kongesses ist.146 Er ” besteht aus jeweils zwei Mitgliedern pro Staat, die f¨ ur eine sechsj¨ahrige Amtszeit direkt vom Volk durch Stimmenmehrheit gew¨ahlt werden. Jedes zweite Jahr wird ein Drittel der Senatoren neu gew¨ahlt, was die politische Kontinuit¨at f¨ordert. Wird eine Stelle innerhalb des Wahlzyklus frei, so bestellt der Gouverneur einen vorl¨aufigen Senator. F¨ ur das Amt eines Senators kann nur eine Person kandidieren, die mindestens 30 Jahre alt ist, amerikanischer Staatsb¨ urger seit mindestens neun Jahren ist und ihren Wohnsitz in dem Staat hat, f¨ ur den sie sich zur Wahl stellt. Zu den Aufgaben des Senats z¨ahlen neben der Gesetzgebung, der Rat und die Zustimmung durch einfache Mehrheit zu den pr¨asidentiellen Ernennungen von Bundesrichtern, Botschaftern und Spitzenbeamten der Exekutive. Zu Vertr¨agen mit anderen 143

Vgl. Kremp, in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 121. Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 333 oder vgl. U.S. Department U.S. Department of Justice - Immigration and Naturalization Service, U.S. Government Structure, S. 29 f. 145 Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 333 oder siehe auch Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 279. 146 Vgl. Kremp, in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 120 f. oder siehe auch Brunner , Vergleichende Regierungslehre, S. 230. 144

47

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LEGISLATIVE

KONGRESS Senat

Repr¨ asentantenhaus

Anzahl:

100 Senatoren (2 pro Staat)

435 Abgeordnete (Verh¨altnis zur Bev¨olkerung mind. jedoch 1 pro Staat)

Wahl:

direkt gew¨ahlt f¨ ur 6 Jahre Wahl alle 2 Jahre eines Drittels

direkt gew¨ahlt auf 2 Jahre

Vorsitz:

Vizepr¨asident

Speaker (Mehrheitspartei)

Ausschu ¨ sse:

Mitarbeit in 3 – 4 Aussch¨ ussen

Mitarbeit in 2 – 3 Aussch¨ ussen

Mitarbeiter:

25 – 60 pro Senator

10 – 15 pro Abgeordneten

Aufgaben:

Gesetzgebung 2/3 Mehrheitszustimmung f¨ ur ausw¨artige Vertr¨age einfache Mehrheit zur Ernennung oberster Beamter, Richter

Gesetzgebung Gesetze bzgl. Haushaltsvorlagen

¨ Tabelle 5: Uberblick u ¨ber das gesetzgebende Organ“ ” Quelle: Autor L¨andern muss der Senat mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmen.147 Den Vorsitz h¨alt der Vizepr¨asident inne, der nur bei unentschiedenen Abstimmungen w¨ahlt. Repr¨ asentantenhaus Das Repr¨asentantenhaus besteht aus 435 Abgeordneten148 , die proportional u ¨ber die Staaten gem¨aß ihrer Einwohnerzahl verteilt sind. Jeder Staat muss mindestens einen Abgeordneten entsenden. Sie werden f¨ ur einen Zeitraum von zwei Jahren durch direkte Wahl der Wahlberechtigten in den kongressionalen Distrikten149 gew¨ahlt. Der kurze Wahlzyklus - vorteilhaft f¨ ur eine intensive B¨ urgern¨ahe - kann sich auf die politische Kontinuit¨at problematisch aus147

Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 333 f. In dieser Zahl sind die Repr¨ asentanten f¨ ur den District of Columbia und die Territorien nicht inkludiert. Sie haben kein Wahlrecht. 149 Die derzeitige Gr¨ oße liegt zwischen 500 000 und 600 000 Einwohner und ihre Grenzen werden von den Bundesstaaten festgelegt und unterliegen Bundesregulierungen.

148

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48

wirken, die Praxis zeigt aber, dass die Amtsinhaber u ¨blicherweise wiedergew¨ahlt werden.150 Stellen die innerhalb der wahlfreien Zeiten frei werden, werden im Repr¨asentantenhaus durch eine Spezialwahl ersetzt.151 Kanditieren kann ein Amerikaner (Staatsb¨ urgerschaft seit mindestens sieben Jahren) ab dem Alter von 25 Jahren f¨ ur seinen Wohnsitzstaat. Den Vorsitz f¨ uhrt der Speaker“, welcher u ¨blicherweise Mitglied der Mehrheitspartei ist. Das Repr¨asentanten” haus ist mit allen gesetzlichen Angelegenheiten bez¨ uglich Einnahmenerh¨ohungen befasst, d. h. Haushaltsvorlagen k¨onnen nur von diesem Haus ausgehen.152 Gesetzgebungsverfahren Der Gesetzgebungsprozeß vollzieht sich im Wesentlichen in drei Phasen: Vorbereitung (Vorlage), Beratung in den Aussch¨ ussen und Beschlussfassung im Plenum (eventuell Vermittlung) und schließlich der Abschluss durch die Zustimmung des Pr¨asidenten. Diese Phasen werden in der Abbildung 8 zusammengefasst.

Abbildung 8: Der Gesetzgebungsprozess in den Vereinigten Staaten“ ” Quelle: In Anlehnung an Kleinsteuber, Die USA. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, 1984, S. 96, in: Kremp, in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 122

150

Vgl. Kremp, in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 120. Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 334. 152 Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 333 f. und siehe auch Kremp, in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 123 oder U.S. Department U.S. Department of Justice - Immigration and Naturalization Service, U.S. Government Structure, S. 33. 151

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Obwohl die Regierung formal keine Gesetzesvorschl¨age einbringen darf, wird dennoch eine legislative Initiative vom Pr¨asidenten erwartet. Dies geschieht schon allein durch den j¨ahrlichen Bericht u ¨ber die Lage der Nation ( State of the Union“) vor dem Kongress, der auch ” Maßnahmen und Empfehlungen beinhaltet. Dabei ist auf den Einfluss von Bundesverwaltung, Interessensverb¨anden, Gewerkschaften und Unternehmen hinzuweisen.153 Abgesehen von diesen einflussreichen Gruppierungen, hat der Kongress die prim¨are Lenkungsfunktion in der Gesetzgebung.154 Eine Gesetzesvorlage (Bill) muss demnach in beiden H¨ausern von einem seiner Mitglieder eingebracht werden155 , wobei diese inhaltlich nicht v¨ollig ident sein m¨ ussen. In den Aussch¨ ussen (Committees) werden die Vorlagen bearbeitet und anschließend in den Plenen der beiden H¨auser zur Diskussion vorgelegt. Danach wird erneut dar¨ uber abgestimmt. Wichtig ist, dass nahezu alle Sachentscheidungen durch eine informelle Koalitionsbildung, dem sog. logrolling“ zustandekommen. Dabei tauschen die Vertreter ihre ” Stimmen f¨ ur unterschiedliche Interessen gegenseitig aus, um zu einer Mehrheit f¨ ur ihre eigenen Anliegen zu kommen.156 Aufgrund dieses Stimmentausches und der Vorbereitung in den Kommittees, die selbst von den verschiedensten Interessengruppen beeinflusst sind, k¨onnen sich der Pr¨asident und die Exekutive nicht darauf verlassen, sich durchzusetzen, auch wenn ihre Partei157 die Mehrheit im Kongress innehat.158 Die Gesetzesentw¨ urfe der beiden H¨auser m¨ ussen unter Hilfestellung von Vermittlungsaussch¨ ussen (Conference Committee) schließlich zu einem verabschiedungsreifen Kongressgesetz (Act) zusammengefasst werden, u ¨ber den beide Kammern nochmals abstimmen. Danach wird das Gesetz dem Pr¨asidenten zur Unterschrift vorgelegt.159 Wenn er es durch ein Veto“ ablehnt, kann der Kongress dieses durch eine ” 153

Vgl. Kaufman, in: Public Administration Review : Major Players: Bureaucracies In American Government, S. 18 ff. 154 Vgl. Lißke, in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 184 ff. 155 Der Pr¨asident muss dies durch einen ihm nahestehenden Abgeordneten oder Senator tun. 156 Vgl. Lehner/Widmaier , Vergleichende Regierungslehre3 , S. 103. Kremp betont, dass amerikanische Abgeordnete Einzelk¨ampfer sind, die ihre Wahlkreise vertreten, eigene politische Philosophien und Interessen verfolgen und nicht zuletzt auf ihre Wiederwahl abzielen. Vgl. Kremp, in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 123 oder siehe auch Hesse/Benz , Die Modernisierung der Staatsorganisation, S. 90. 157 Der Einfluss von politschen Parteien (siehe auch Kapitel 4.6.1) auf die Gesetzgebung wird bei Keefe/Ogul , The American Legislative Process: Congress and the States8 , S. 265 ff. analysiert. 158 Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 279. 159 Acts, also verabschiedete Gesetze, sind das Endziel der Bem¨ uhungen in der Gesetzgebung. Unterschieden werden aber in Anlehnung an Lißke, in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 185 weitere Zwischenstufen: • Acts = Bundesgesetze, die von beiden H¨ausern verabschiedet und vom Pr¨asidenten unterzeichnet werden. • Bills = Gesetzesentw¨ urfe; betreffen sie eine bestimmte Personengruppe werden sie Private Bills genannt, ansonsten Public Bills. • Joint Resolutions = Beschl¨ usse beider H¨auser mit einer pr¨asidentiellen Gegenzeichnung. • Constitutional Amendments = Verfassungserg¨anzungen; als Sonderfall der Joint Resolutions brauchen eine Zweidrittelmehrheit in beiden H¨ausern, aber keine Unterschrift des Pr¨asidenten.

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Zweidrittelmehrheit in beiden H¨ausern u ¨berstimmen.160 Clinton hat in seiner achtj¨ahrigen Amtszeit 36 Gesetze abgelehnt, eines davon als Pocket Veto“.161 F¨ unf seiner Vetos wurden ” vom Kongress u uhsam der Prozess ¨berstimmt.162 Folgende Zahlen sollen verdeutlichen, wie m¨ der Entscheidungsfindung tats¨achlich ist: der 103. Kongress (1993-94) hat insgesamt 8540 Gesetzesvorschl¨age in beiden H¨ausern eingebracht. Tats¨achlich wurden allerdings nur 865 in Kraft gesetzt, was einer Rate von 5,4 % entspricht. Auch f¨ ur die nachfolgenden Kongresse ist eine Rate um 5 % kennzeichnend.163 Diese Ausf¨ uhrungen lassen deutlich werden, dass gute Absichten alleine (beispielsweise Verwaltungsreformen), noch lange kein Garant f¨ ur die Umsetzung in einen gesetzlichen Rahmen sind. 4.2.2

Weitere legislative Insititutionen

Aussch¨ usse Neben dem Kongress geh¨oren Aussch¨ usse,164 sog. Committee“ zur Legislative. Zus¨atz” lich gibt es zahlreiche Unteraussch¨ usse und fallweise werden Spezial- oder Untersuchungsaussch¨ usse eingerichtet. Zusammengesetzt sind sie aus Senatoren (Mitarbeit in drei bis vier Kommittees) oder Abgeordneten zum Repr¨asentantenhaus (sind in zwei bis drei Aussch¨ ussen vertreten), sowie deren Mitarbeiter.165 In einigen Aussch¨ ussen arbeiten sowohl Senat als auch Repr¨asentantenhaus zusammen. Aufgabe der Aussch¨ usse ist es, Programme in ihrem Bereich vorzubereiten, zu untersuchen und zu u ur ¨berarbeiten. Neben der Vorbereitung f¨ Gesetze u ¨ben sie eine Aufsichtsfunktion u ¨ber die Aktivit¨aten und Handlungen der exekutiven Abteilungen und Beh¨orden aus.166 Mit diesen Aufgaben kommt ihnen auch eine gewisse • Concurrent Resolutions = Absichtserkl¨arungen beider H¨auser, wie z. B. f¨ ur das Haushaltsverfahren, haben keine gesetzliche Macht. • Simple Resolutions = Beschl¨ usse eines Hauses ohne Wirkung nach außen. 160

Vgl. Kremp, in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 121 oder siehe auch U.S. Department U.S. Department of Justice - Immigration and Naturalization Service, U.S. Government Structure, S. 31 f. 161 Das ist eine M¨ oglichkeit des Pr¨ asidenten, ein Gesetz zu Fall zu bringen, wenn er es nicht unterzeichnet und innerhalb von zehn Tagen die Sitzungsperiode des Kongresses endet. 162 Vgl. Library of Congress, http://thomas.loc.gov und f¨ ur Daten bis zum Jahr 1998 Sautter , Die Vereinigten Staaten: Daten, Fakten, Dokumente, S. 89. 163 Vgl. Center on Congress, http://congress.indiana.edu/learn about/legislative.htm. 164 Derzeit gibt es 16 st¨ andige Kommittees im Senat und 20 im Repr¨asentantenhaus. Vgl. FirstGov , http://www.senate.gov/committee/index.cfm und siehe auch FirstGov , http://www.house.gov/house/CommitteeWWW.html. 165 Jedes Kongressmitglied wird von professionellem, administrativem und Sekretariatspersonal unterst¨ utzt, die es selbst direkt anstellen kann. Senatoren haben typischerweise zwischen 25 und 60 Mitarbeitern, je nach Bev¨ olkerungszahl des Staates. Mitglieder des Repr¨asentantenhauses haben meist zwischen 10 und 15 Mitarbeiter. Diese unterst¨ utzen bei drafting legislation“ (Gesetzesentw¨ urfen) und antworten auf Fragen ” der B¨ urger. Das Personal ist meist proportional gem¨aß dem Parteienverh¨altnis aufgeteilt. Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 334. 166 Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 333.

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Gatekeeping Funktion “ zu, d. h. sie k¨onnen entscheiden, in welcher Form welche Maß” nahmen die Plenen der beiden H¨auser erreichen. Sie k¨onnen die Politik formen und haben einen Informationsvorsprung, daher wird den Vorschl¨agen der Aussch¨ ussen tendenziell entsprochen. Dies unterstreicht ihre strategisch wichtige Position in der Gesetzgebung, und macht den großen politischen Einfluss, den die Vorsitzenden der Aussch¨ usse deutlich. F¨ ur jene Aussch¨ ussen, die sich hoher Unabh¨angigkeit erfreuen, gilt dies ganz besonders.167 Sonstige Beh¨ orden der Legislative ¨ Zus¨atzlich zur Uberwachung der Hearings und Untersuchungen durch die Kommittees, u ¨berwacht und evaluiert der Kongress die Regierungsprogramme durch die quasi unabh¨angigen Finanz- und Managementpr¨ ufungsagentur General Accounting Office (GAO). Vergleichbar mit einem Bundesrechnungshof, der vom Comptroller General geleitet wird, gibt das GAO auch Empfehlungen ab, wie Regierungsaktivit¨aten effektiver und effizienter durchgef¨ uhrt werden k¨onnen. Das Congressional Budget Office (CBO) hat die Aufgabe, den Kongress mit Informationen zur wirtschaftlichen Auswirkung des Bundesbudgets zu versorgen. Dieses B¨ uro entwickelt Analysen von alternativen fiskalen, budget¨aren und programmatischen Programmfeldern und bereitet f¨ unfj¨ahrige Kostensch¨atzungen u ¨ber vorgeschlagene Gesetze vor. Das Congressional Research Service (CRS) in der Library of Congress bietet Untersuchungen, Analysen und unterst¨ utzende Informationen f¨ ur den Kongress, wobei sieben Hauptuntersuchungsbereiche168 , die von Wissenschaftern und Experten besetzt sind, unterschieden wird. Der Kongress wird weiters vom Office of Technology Assessment (OTA) informiert. Dieses B¨ uro bereitet Studien u ¨ber die physischen, biologischen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Effekte von technologischen Anwendungen vor. Das Govern¨ ment Printing Office (GPO) publiziert die Reden, Gesetze, Ubersichten etc. Daneben gibt es noch weitere Beh¨orden, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll.169

4.3

Exekutive

Die Verfassung beschreibt und beschr¨ankt in Artikel II die Macht der vollziehenden Gewalt. Im Wesentlichen ist sie auf Bundesebene dem Pr¨asidenten zugeordnet. Vizepr¨asident, 167

Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 278 und siehe auch Keefe/Ogul , The American Legislative Process: Congress and the States 8 , S. 173. 168 Amerikanisches Gesetz, Volkswirtschaft, Bildung und ¨offentlicher Wohlstand, Umwelt und nat¨ urliche Ressourcenpolitik, Ausw¨ artige Angelegenheiten und Nationale Verteidigung, Verwaltung und schließlich Wissenschaftspolitik. 169 Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 334. F¨ ur detailliertere Informationen u ¨ber die Bundesbeh¨orden, die der Legislative angeschlossen sind, empfiehlt der Autor die Website FirstGov , http://www.firstgov.gov/us gov/legislative branch.html.

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Kabinett und mehr oder weniger unabh¨angige B¨ uros z¨ahlen ebenfalls zur Exekutive. Die operative Ausf¨ uhrung kommt der Verwaltung zu. Staaten werden von Gouverneuren geleitet, ihre Macht und Kompetenz ist von Staat zu Staat verschieden. Einige lokale Regierungen haben einen starken B¨ urgermeister, andere werden von einer Kommission oder einem Rat mit mehreren Mitgliedern gef¨ uhrt.170 Auf Bundesebene z¨ahlte die Exekutive im Jahr 1993 14 Ministerien, 135 Agencies und hunderte von Boards und Commissions. Ohne die Post waren dies 2,1 Millionen Angestellte und 1,9 Millionen im Milit¨ar Besch¨aftigte, mit einer Ausgabensummen von $ 1,5 Billionen pro Jahr, was umgerechnet etwa ein Drittel der nationalen Wirtschaft ausmacht.171 Im Folgenden werden die wichtigsten Einrichtungen auf Bundesebene, n¨amlich Pr¨asident, Vizepr¨asident und Verwaltung, n¨aher beschrieben. 4.3.1

Pr¨ asident

¨ Das amerikanische Pr¨asidentenamt ist eines der m¨achtigsten politischen Amter auf der ” Erde...“ 172 . Die Macht und Verantwortungen des Pr¨asidenten werden in Artikel II der Verfassung definiert:173 Er ist Staatschef, Oberbefehlshaber der Streitkr¨afte und Oberhaupt der Exekutive. In letzterer Funktion hat er die Aufgabe, die Gesetze des Bundes gewissenhaft zu vollziehen. Dazu bedient er sich ... eines umfangreichen Verwaltungsapparates, der nicht nur ” die Gesetze effizient ausf¨ uhrt, sondern ihm auch meldet, wo und wann neuer Regelungsbedarf entsteht und ihn ber¨at, wie Probleml¨osungen aussehen k¨onnten; denn als mit einem Mandat versehener Regierungschef will er auch seine eigenen Priorit¨aten mit Hilfe der Verwaltung verwirklichen. Der Pr¨asident ist hier vor allem als Manager gefordert.“ 174 Er kann nach Anraten und einer Zweidrittelzustimmung des Senats Vertr¨age mit anderen Nationen schließen und Botschafter, Bundesrichter und gewisse andere Beamte bestellen. Wie bereits im Kapitel Legislative er¨ortert, fehlt dem amerikanischen Pr¨asidenten das formale Recht Gesetzesinitiativen zu starten. Er muss vom Kongress beschlossene Gesetze unterzeichnen, damit sie rechtskr¨aftig werden oder er kann ein Veto einlegen. Allerdings kann der Kongress mittels einer Zweidrittelmehrheit in beiden H¨ausern das Veto des Pr¨asidenten u ¨berstimmen.175 Dies ist wiederum Ausdruck des Verfassungsprinzips der Gewaltenteilung, die zwar die institutio170

Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 327. Vgl. Budget of the U.S. Government FY 1994 in: Gore, Creating a Government that Works Better and Costs Less, S. 65. 172 Kremp, in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 126. 173 Die Verfassung umschreibt die Zust¨ andigkeit des Pr¨asidenten in recht allgemeinenen Worten. Die Grenze zwischen den Kompetenzen des Kongresses und des Pr¨asidenten ist ungenau definiert und fließend. Vgl. J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 138. 174 J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 145 f. Vor diesem Hintergrund verwundern auch Diskussionen bez¨ uglich F¨ uhrungsqualit¨at und Charakter eines Pr¨asidenten nicht. 175 Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 332. 171

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nelle Trennung von Kongress und Pr¨asidentenamt fordert, ihr funktionales Verh¨altnis aber durch Gewaltenverschr¨ankung (checks and balances) bestimmt ist. Oder anders ausgedr¨ uckt: separated institutions sharing powers“.176 ” Zus¨atzlich zu den verfassungsm¨aßigen Kompetenzen, ist er auch F¨ uhrer seiner Partei, wenn auch nicht formell als Vorsitzender wohl aber als Aush¨angeschild und Machtzentrum.177 Es besteht ein Zusammenhang zwischen Zustimmung zum Pr¨asidenten an der W¨ahlerbasis seiner Partei und inwieweit er von den Kongressmitgliedern seiner Partei als F¨ uhrer akzeptiert wird. Dennoch bleiben strukturelle und kulturelle H¨ urden bestehen, denn das Selbst¨andigkeitsstreben des Kongresses unabh¨angig von seiner Parteizusammensetzung und die Schwierigkeiten der Mehrheitsfindung sind sehr hoch.178 In das Amt des Pr¨asidenten kann nur ein eingeb¨ urtiger Amerikaner gew¨ahlt werden, der das Alter von 35 Jahren erreicht und seit 14 Jahren seinen Wohnsitz im Gebiete der Vereinigten Staaten hat (Art. II Abschn.1).179 Die Kandidaten f¨ ur die Pr¨asidentschaftswahl werden von den wichtigsten politischen Parteien in einem f¨ unfmonatigen Prozess von staatlichen Vorwahlen180 oder Fraktionssitzungen ermittelt.181 Am ersten Dienstag nach dem ersten Montag im November ist Wahltag.182 Der Pr¨asident wird gemeinsam mit dem Vizepr¨asidenten f¨ ur eine Amtszeit von vier Jahren (mit einer einmaligen M¨oglichkeit der Wiederwahl) von den B¨ urgern Amerikas indirekt durch ein Wahlm¨annersystem, dessen Zusammensetzung auch der f¨oderalen Struktur des Regierungssystems Rechnung tragen sollte,183 gew¨ahlt. Jeder Staat hat aufgrund der Vertreter im Kongress184 eine bestimmte Anzahl an Wahlstimmen. Die Wahlm¨anner kandidieren u ur ihren bestimmten Pr¨asidentschafts- bzw. Vize¨blicherweise f¨ 176

J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 138. Vgl. J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 144. 178 Vgl. J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 145. 179 Vgl. U.S. Departement U.S. Department of Justice - Immigration and Naturalization Service, U.S. Government Structure, S.16. 180 Das besondere am amerikanischen Wahlsystem liegt insbesondere darin, dass nicht die Partei selbst die Kandidtaten f¨ ur Pr¨ asidentschaft oder Kongress aufstellt, sondern Vorwahlen diese Aufgabe u ¨bernehmen. Gerade die Vorwahlen in den Staaten Iowa und New Hampshire gelten als Gradmesser f¨ ur die Popularit¨at eines potenziellen Kandidaten. F¨ ur ausf¨ uhrlichere Abhandlungen siehe z. B. in Janda/Berry/Goldman, The Challenge of Democracy - Government in America gek¨urzte , S. 179 f. 181 Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 331 oder ausf¨ uhrlicher in U.S. Department U.S. Department of Justice - Immigration and Naturalization Service, U.S. Government Structure, S. 17. 182 Vgl. U.S. Department U.S. Department of Justice - Immigration and Naturalization Service, U.S. Government Structure, S. 17 f. 183 J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 138. 184 Jeder Senator und jedes Mitglied im Repr¨asentantenhaus haben je eine Stimme. Ebenso hat der District of Columbia drei Wahlstimmen. Daher gibt es insgesamt 538 Wahlm¨anner. Jeder Staat hat somit mindestens drei Wahlm¨ anner, was wenig bev¨ olkerte Staaten u ¨berrepr¨asentiert (1992: Alaska - eine Wahlm¨annerstimme stand f¨ ur 84 592 W¨ ahler; New York - eine Wahlm¨annerstimme stand f¨ ur 208 540 W¨ahler). Allerdings beeinflusst ein W¨ ahler in Alaska nur 3 Wahlm¨annerstimmen, w¨ahrend ein New Yorker 33 beeinflusst. Ergo, aufgrund des Prinzips the winner takes it all“ bei Wahlm¨annerstimmen, werden bei der Pr¨asi” dentschaftskampagne mehr Anstrengung in bev¨olkerungsreiche Staaten investiert. 177

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pr¨asidentschaftskandidaten. Das Volk w¨ahlt seine Wahlm¨anner, die dann gem¨aß der Stimmen der W¨ahler den Pr¨asidenten w¨ahlen. Allerdings sind die Wahlm¨anner nicht verpflichtet f¨ ur ihren Kandidaten zu stimmen. Pr¨asident wird, wer mehr als 270 Wahlm¨annerstimmen auf sich vereinen kann. Aufgrund des proportionalen Verh¨altnisses des Wahlm¨annersystems kann daher jemand Pr¨asident werden, ohne die Mehrheit der Stimmen im Lande zu erhalten. Sollte kein Kandidat eine Stimmenmehrheit erreichen, so bestimmt die Verfassung, dass das Repr¨asentantenhaus den Pr¨asidenten und der Senat den Vizepr¨asidenten w¨ahlt.185 4.3.2

Vizepr¨ asident

Der Vizepr¨asident wird gemeinsam mit dem Pr¨asidenten gew¨ahlt und es gelten die selben Voraussetzungen. Er vertritt den Pr¨asidenten, wenn dieser verhindert ist, aus dem Amt ausscheidet oder stirbt. Der Vizepr¨asident ist verfassungsm¨aßig auch Pr¨asident des Senats. Diese Rolle wird jedoch kaum ausge¨ ubt, außer, wenn eine Wahl unentschieden ausgeht und der Vizepr¨asident w¨ahlen muss. Er stellt eine Verbindungsposition zwischen Pr¨asident und Senat dar. Er nimmt an den Kabinettsitzungen teil und ist Mitglied im National Security Council (NSC). Weitere Verantwortungen werden ihm durch den Pr¨asidenten zugeteilt.186 Seit dem Zweiten Weltkrieg teilten die Pr¨asidenten ihren Vizepr¨asidenten zus¨atzliche Aufgaben von zeremoniellen Auftritten u ¨ber diplomatische Missionen bis hin zur Teilnahme am politischen Beratungs- und Entscheidungsprozess zu.187 Aktuell dazu, der Auftrag Clintons an Vizepr¨asident Gore, die Verwaltung einer Leistungs¨ uberpr¨ ufung zu unterziehen, die sp¨ater noch zentraler Inhalt sein wird. Der Vizepr¨asident wird heute allgemein als Mitglied der Administration akzeptiert (institutional Vice Presidency), er verf¨ ugt derzeit u ¨ber etwa 70 Mitarbeiter. Voraussetzungen seines Einflusses, der nach wie vor im Ermessen des Pr¨asidenten liegt, sind Loyalit¨at und der Verzicht auf jegliches Wetteifern mit dem Pr¨asidenten um die ¨offentliche Gunst. Unter diesen Bedingungen haben sich die Vizepr¨asidenten als wertvolle St¨ utzen der Pr¨asidenten erwiesen.188 185

Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 331 oder auch Polsby/Wildavsky, Presidential Elections: Strategies and Structures of American Politics 9 , S. 65 ff. F¨ ur n¨ahere Ausf¨ uhrungen bez¨ uglich des komplexen Verfahrens der Auswahl der Kandidaten im allgemeinen und die Analyse f¨ ur die Wahljahre 1992 und 1996 kann der Autor die Ausf¨ uhrungen bei Polsby und Wildavsky empfehlen. Polsby/Wildavsky, Presidential Elections: Strategies and Structures of American Politics 9 , S. 119 - 180 186 Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 332 oder siehe auch U.S. Department U.S. Department of Justice - Immigration and Naturalization Service, U.S. Government Structure, S. 19 f. 187 J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 161. 188 J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 162.

4 POLITISCHES SYSTEM 4.3.3

55

Verwaltung

Der Pr¨asident ist das Oberhaupt der Verwaltung, die mit dem Vollzug der Gesetze betraut ist. Was unter dem Begriff Verwaltung zusammengefasst wird, ist in der Tat, eine Ansammlung von vielen verschiedenen Verwaltungsbeh¨orden auf den einzelnen f¨oderalen Ebenen von ¨ Bund, Bundesstaaten, St¨adten und Gemeinden. Uber 80 000 Verwaltungen sorgen f¨ ur das Funktionieren des Staates, angefangen von den o¨rtlichen Schulen, der Wasserversorgung bis hin zur nationalen Verteidigung oder den Botschaften im Ausland.189 Das Verwaltungshandeln baut auf pr¨asidentielle Verordnungen (= Executive Order) und beh¨ordeninternen Rules auf. Executive Orders werden f¨ ur Koordinierung der Beh¨orden und zur Umsetzung der Gesetze verwendet. Sie m¨ ussen aufgrund des Administrative Procedures Acts aus dem Jahr 1948 im Federal Register of Executive Order eingetragen werden. 190 Die Kontrolle des Verwaltungshandeln geschieht intern entweder durch den Vorgesetzten oder sie ist einer gesonderten Dienstaufsicht zugewiesen, wie dem Inspector General (IG). Extern vollzieht sich die Kontrolle durch die Aussch¨ usse der Legislative.191 Auf Bundesebene werden im Wesentlichen zwei große Bereiche von Verwaltung unterschieden, die nachstehend genauer beschrieben werden, n¨amlich die Departments oder Ministerien, die das Kabinett formen und das Executive Office of the Pr¨asident (EOP), als eine Art Assistenzorganisation des Pr¨asidenten. Kabinett Das Kabinett ist zwar nicht gesetzlich verankert, stellt jedoch die Gesamtheit der Executive ” Departments“ (= Ministerien), die von den sog. Secretaries“ (= Ministern), mit Ausnahme ” des Attorney General of the United States“ (Justizminister) geleitet werden, dar. W¨ahrend ” der Amtszeit Clintons gab es 14 Ministerien: Department of Agriculture (USDA), Department of Commerce (DOC), Department of Defense (DOD), Department of Education, Department of Energy (DOE), Department of Health and Human Services (HHS), Department of Housing and Urban Development (HUD), Department of the Interior (DOI), Department of Justice (DOJ), Department of Labor (DOL), Department of State (DOS), Department of Transportation (DOT), Department of the Treasury und Department of Veterans Affairs. Das Kabinett hat nur eine beratende Funktion und hilft bei der Umsetzung der Politik. Der Pr¨asident ist nicht verpflichtet auf seinen Rat zu h¨oren.192 Die Praxis best¨atigt, dass Pr¨asi189

Vgl. Gore, Creating a Government that Works Better and Costs Less, S. 35. Vgl. Becker/Welz , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 235. 191 Vgl. Becker/Welz , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 239. 192 Vgl. U.S. Department U.S. Department of Justice - Immigration and Naturalization Service, U.S. Government Structure, S. 20.

190

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denten in der Politikformulierung eher auf ihren Beraterstab pr¨asidialen Apparat z¨ahlen und diesem vertrauen. Begr¨ undet liegt dies im fehlenden Verfassungsrang. Außerdem werden die Minister nur ... bedingt als Repr¨asentanten der Exekutivspitze angesehen ... . Sie sind eben” so Vertreter der Programme ihrer Ministerien, der gesetzlichen Vorgaben des Kongreßes und der auf die jeweiligen Ministerien gerichteten Interessengruppen. Im amerikanischen Regierungssystem schuldet ein Minister nicht nur dem Pr¨asidenten Loyalit¨at, sondern auch dem Kongreß, ... sowie seinen Beamten und den Interessengruppen.“ 193 Dies erzeugt Spannungen, bis hin zu Konkurrenz und Misstrauen zwischen Pr¨asidenten samt seinen Mitarbeitern und den Ministerien und unterstreicht gleichzeitig das Vertrauen in das EOP und White House Office. Die Ernennung der Minister erfolgt nicht unbedingt nach Loyalit¨at, sondern sie sind zunehmend als Vertreter bestimmter gesellschaftlichen Gruppen zu verstehen. Diese Tendenz hat Clinton in seinem Kabinett fortgesetzt, indem er vermehrt Frauen und ethnische Minderheiten ernannt hat.194 ¨ Uberhaupt muss ein Pr¨asident bei Regierungs¨ ubernahme die politische F¨ uhrungsebene auch bei den Beh¨orden neu besetzen. Darunter fallen auch jene Personen f¨ ur den Senior Executive ” Service“.195 Die Besetzung der Positionen ist ein aufwendiges Unterfangen, soll aber die politische Kontrolle und die Loyalit¨at der Verwaltung sichern. Diese politischen Beamten sind weniger einer Partei verpflichtet als ihrem gesellschaftlichen Umfeld und/oder einer Interessengruppierungen. Zu den Vorteilen eines derartigen Systems sind bedingt durch den Wechsel eine Belebung der b¨ urokratischen Strukturen zu nennen wie auch die politische Kontrolle der Verwaltung, was ihre Reaktionsf¨ahigkeit positiv beeinflusst. Das hohe Engagement und das Verhandlungsgeschick der politischen Beamten, aufgrund der relativ kurzen Zeitspanne und das Einbringen einer verst¨arkten Außensichtweise in die Verwaltung z¨ahlen ebenfalls zu den St¨arken. Allerdings bewirken die Fluktuation und kurze Amtszeit administrative Instabilit¨aten bezogen auf Priorit¨aten und F¨ uhrungsstil. H¨aufig werden nur kurzfristig erreichbare Ziele verfolgt, denen meist pers¨onliche Entscheidungskriterien oder der Einfluss von Interessengruppierungen zugrunde liegen. Um die F¨ ugsamkeit der B¨ urokratie zu gew¨ahrleisten, kommt es zu einer 193

Shell , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 402. Betreffend die Ernennungen von Pr¨asident Clinton in Kabinett und EOP vgl. FirstGov , http://www.firstgov.gov/us gov/eop.html oder siehe auch King/Riddlesperger Jr., in: Presidential Studies Quarterly: Presidential Managment and Staffing: An Early Assessment of the Clinton Presidency. Interessant dazu die vergleichende Untersuchung der Personalpolitik im Zeitraum 1979 bis 1996 bei Naff/Crum, in: Public Administration Review : The President and Representative Bureaucracy: Rhetoric and Reality. 195 Durch den Civil Service Reform Act von 1978 wurde diese administrative F¨ uhrungseinheit als eine Art Verwaltungselite geschaffen. 194

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schleichende Ausweitung des politischen Beamtentums.196 Executive Office of the President Im Laufe der Geschichte wurde die Diskrepanz zwischen Zentrum (Pr¨asident) und Peripherie (Beh¨orden), hervorgerufen durch die starke interesssensm¨aßige Zergliederung von Regierung und B¨ urokratie (siehe dazu 4.6.1 und 4.6.2) sowie der Organisationsbefugnis in der Hand der Legislative immer deutlicher und verlangte nach einem koordinierenden Instrument f¨ ur den Pr¨asidenten.197 Seit dem Reorganization Act von 1939 kann dieser nun seinen eigenen Unterst¨ utzungsstab gem¨aß seinen F¨ uhrungsvorstellungen zusammenstellen. Das Executive Office of the President ist eine institutionalisierte Ansammlung unterschiedlicher Beh¨orden, die f¨ ur Koordinierung und Beratung des Pr¨asidenten zust¨andig sind. Allerdings k¨onnen die Leiter der Einheiten nur mit der Zustimmung durch den Senat ernannt werden.198 Zum EOP geh¨oren nun folgende Einrichtungen:199 Council of Economic Advisers (CEA)200 , Council on Environmental Quality (CEQ)201 , Domestic Policy Council, National Economic Council (NEC)202 , National Security Council (NSC)203 , Office of Administration204 , Office of Management und Budget (OMB)205 , Office of National AIDS Policy (ONAP)206 , Office of National Drug Control Policy, Office of Science and Technology Policy207 , Office for Women’s Initiatives and Outreach208 , President’s Foreign Intelligence Advisory Board (PFIAB)209 und United States Trade Representative (USTR)210 . 196

Vgl. Shell , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 404 ff. ¨ Ahnliche Probleme gibt es im EOP, das dem Pr¨asidenten sehr nahe steht. 197 Vgl. J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 146 f. 198 Vgl. Shell , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 399. 199 FirstGov , http://www.firstgov.gov/us gov/eop.html. 200 Wirtschaftlicher Sachverst¨ andigenrat - ein dreik¨opfiger Rat, der die wirtschaftliche Entwicklung analysiert und Programmevaluationen der Regierung durchf¨ uhrt, sowie den Pr¨asidenten bez¨ uglich nationaler Wirtschaftspolitik ber¨ at. 201 Koordiniert die nationalen Anstrengungen in der Umweltpolitik und arbeitet eng mit anderen Abteilungen bei der Entwicklung von Umweltschutzinitiativen und -politik zusammen. 202 Koordiniert den Entscheidungsprozess der Wirtschaftpolitk im Hinblick auf nationale und internationale Problemfelder und stellt sicher, dass die wirtschaftlichen Entscheidungen im Einklang mit den Zielen des Pr¨asidenten sind. Weiters u uhrung der Wirtschaftspolitik. ¨berwacht NEC die Einf¨ 203 Nationaler Sicherheitsrat. 204 Dieses B¨ uro stellt die Unterst¨ utzungszentrale f¨ ur alle anderen Offices im EOP dar, wie zum Beispiel in Informations-, Personal- und Finanzmanagement, Datenverarbeitung, Bibliotheksarbeiten etc. 205 Hat eine Schl¨ usselstellung bei der Vorbereitung von Gesetzesvorlagen der Exekutive, insbesondere in der Haushaltserstellung und -kontrolle. 206 Dient als zentrale Kommunikationsstelle f¨ ur Politik und alle Bem¨ uhungen betreffend AIDS. 207 Beratung in der Technologiepolitik. 208 Im Juni 1995 von Clinton ins Leben gerufen, fungiert es als Schnittstelle zwischen Frauenorganisationen und Weißem Haus. 209 Sie dient dem Pr¨ asidenten als unabh¨ angige Quelle f¨ ur Information u ¨ber die Effektivit¨at u ¨ber die Geheimund Nachrichtendienste des Landes. 210 ¨ Ubernimmt die Beratung der Handelspolitik.

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Das White House Office, ebenfalls auf pr¨asidialer Ebene, stellt den pers¨onlichen Stab des Pr¨asidenten dar. Das White House Staff hat sich u ¨ber die Jahre zu einem zentralisierten und spezialisierten Mitarbeiterstab entwickelt, der keiner Zustimmung des Senats bedarf und keiner gesetzlichen Norm unterliegt.211 Die Besetzung dieser Stellen ist Ausdruck des Managementstils des Pr¨asidenten, da er diese nach eigenem Gutd¨ unken besetzen kann. Clinton hatte u ¨ber 400 Personen in seinem Stab.212 Nicht enthalten sind in dieser Zahl das Personal von OMB, NSC oder CEA. Gegen¨ uber seinem Vorg¨anger George Bush erweiterte sich unter Clinton dieser Stab um 40 %, insbesondere bei h¨oheren Posten, die speziell f¨ ur die politische Kontrolle der Programmentwicklung verantwortlich waren. Das White House Office bildet das Zentrum der administrativen Politikentwicklung und der breiten Kontrolle der ministeriellen Politikentwicklung. Unter Clinton ¨anderte sich die Vorgehensweise: Politische Programme wurden st¨andig von Personal des Weißen Hauses verfeinert, um zu garantieren, ¨ dass sie die breitest m¨ogliche Unterst¨ utzung in der Offentlichkeit erhielten. Das bedeutete, dass Programmpolitik von innenpolitischem und wirtschaftlichem Politikpersonal entwickelt und dann den Ministerien vorgelegt wurde, wo sie von einer weiteren Ebene von politischem Personal aus dem Weißen Haus u uft wurde. Diese Strategie Clintons (Arbeit ¨berpr¨ im Personalstab statt in den Ministerien) implizierte aber, dass weniger Programme zum tats¨achlichen Vollzug kommen.213 Die Stellung des EOP ist zwiesp¨altig, einerseits st¨arkt sie das Pr¨asidentenamt, indem es die verschiedenen Interessen widerspiegelt, der Pr¨asident sich nicht uneingeschr¨ankt auf die klassischen Beh¨orden verlassen muss und es hilft die weitl¨aufige Exekutive besser zu koordinieren. Andererseits aber ist das EOP selbst schwer zu kontrollieren und gewann im Laufe der Zeit immer mehr an Einfluss, nicht zuletzt durch das partei- und proporz¨ahnliche Spoils Sy” stem“,214 das hochrangige Verwaltungsposten mit politischen Sympathisanten besetzt. Dies wiederum macht die Regierungsf¨ahigkeit des Pr¨asidenten stark von den einzelnen St¨arken und Schw¨achen der Personen in den Schl¨ usselpositionen abh¨angig wird.215 Spannungen er211

Vgl. Shell , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 401. Verbunden ist das mit hohen Kosten. Im Budget 2000 waren f¨ ur das EOP $ 284 Millionen veranschlagt. Vgl. of the Treasury Financial Management Service, United States Government Annual Report: Fiscal Year 2000, S. 25. 213 Vgl. Warshaw , in: Shull: Presidential Policymaking, S. 144 ff. 214 Das heißt, dass hochrangige Verwaltungsposten sowohl im Kabinett als auch in den Agencies mit politischen Sympathisanten (teilweise Wahlkampfspezialisten) besetzt werden. Vgl. dazu Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 279. Urspr¨ unglich war dieses System als eine demokratische Garantie gedacht, damit nicht nur die Politik sondern auch die B¨ urokratie f¨ ur, mit und durch die Menschen zu handeln habe. Allerdings verkam es gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu politischen Postenschacher, Nepotismus und Korruption innerhalb der Verwaltung, wogegen die Progressive Era“ mildernde Maßnahmen traf, es aber nicht v¨ollig beseitigte. ” Mehr dazu unter 5.2.3 und siehe auch Kickert, in: Kickert: Public Management and Administrative Reform in Western Europe, S. 19 f. 215 Vgl. J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 146 f. 212

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geben sich auch daraus, dass die oft kurzfristig politischen Ernannten mit Karrierebeamten zusammenarbeiten. Dar¨ uber hinaus fehlt es durch den h¨aufigen Wechsel (sp¨atestens jedoch mit neuem Pr¨asidenten) an institutioneller Stetigkeit und es geht inherentes, nicht explizietes Know-How verloren. J¨ager resultiert, dass sich daraus nicht die vom Pr¨asidenten mit der Einrichtung seines Apparates beabsichtigte bessere Koordinierung der Exekutive ergibt, sondern ein zus¨atzliches Kontrollproblem.216 Kritik an der Verwaltung Obwohl dieVerwaltung unerl¨asslich ist, ist sie einer Reihe von Kritikpunkten ausgesetzt. Die Organisation der Bundesverwaltung ist durch eine starke Zersplitterung gekennzeichnet. 217 Das teilweise ungeplante und unkontrollierte Wachstum von Beh¨orden, ohne Einbindung in die Ministerien kann auf die Organisationsgewalt des Kongresses und den Einfluss von Interessengruppen (siehe 4.6.2) zur¨ uckgef¨ uhrt werden. Daraus resultieren weitreichende Strukturprobleme, die immer wieder Anlass zu Reform- und Reorganisationsversuchen gaben. 218 ¨ Ahnlich ist die Situation im Personalbereich, denn die Arbeit in der Bundesverwaltung ist relativ unattraktiv: geringe Aufstiegschancen, niedrigere Entlohnung als in der Privatwirtschaft219 , h¨aufig wechselnde politische Leitung der Beh¨orden, Ausschluss des Streikrechts220 usw. sind f¨ ur den ¨offentlichen Dienst charakteristisch. Der Civil Service Reform Act von 1978 richtete das Office of Personal Management (OPM), den Merit System Protection Board (MSPB) und die Federal Labor Relations Authority sowie den Senior Executive Service (SES) und war somit eine der einschneidendsten Reformen, konnte aber das sog. Spoils ” System“, eines jener Faktoren, die zu Problemen im Personalbereich f¨ uhren, nicht u ¨ber216

Vgl. J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 151 oder siehe auch Shell , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 401 f. 217 Shell unterscheidet Ministerien, unabh¨angige monokratisch geleitete Beh¨orden, kollegial geleitete Beh¨orden, unabh¨ angige Regulierungskommissionen und staatliche Institutionen, Gesellschaften, Banken und andere Institutionen, die zur Bundesverwaltung geh¨oren. Vgl. Shell , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 407. Unabh¨angige Abteilungen werden zur Erf¨ ullung eines bestimmten Zweckes geschaffen und haben tempor¨aren Charakter. Da ihre Zahl sehr groß ist und sich h¨aufig ¨andert, werden nur einige exemplarisch genannt: Federal Reserve Board, Environmental Protection Agency (EPA), Federal Trade Commission (FTC), United States Postal Service, United States Information Agency (USIA), Small Business Administration (SBA), Merit Systems Protection Board (MSPB) usw. Vgl. U.S. Department of Justice - Immigration and Naturalization Service, U.S. Government Structure, S. 26 ff. 218 Vgl. Shell , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 407 ff. 219 Allerdings sind seit den 60er Jahren Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und ¨offentlichem Arbeitgeber m¨ oglich, jedoch nicht kollektiv. Vgl. Becker/Welz , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 237. 220 Mittlerweile d¨ urfen o¨ffentlich Bedienstete an politischen Demonstrationen teilnehmen und z. B. bei Wahlkampagnen mitarbeiten. Dies wurde 1993 durch die Novelle des Hatch Acts von 1939 m¨oglich. Vgl. Light, The Tides of Reform, S. 30.

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winden.221 Es arbeiten haupts¨achlich Spezialisten in der amerikanischen Verwaltung, jedoch keine Verwaltungsjuristen. Anders als beispielsweise in Westeuropa weist die amerikanische B¨ urokratie eine viel st¨arkere Managementorientierung auf.222 Kaufman betrachtet die Verwaltung als einen wichtigen Machtfaktor, der die Demokratie in gewissen Sinne bedrohen kann. Problematisch ist, neben den oben angef¨ uhrten Problemfeldern, dass das Handeln der Beamten sowie das System selbst mit Zwang verbunden sind, hohe Kosten und Unannehmlichkeiten entstehen k¨onnen und dar¨ uber hinaus Tr¨agheit, Ineffizienz, schlechte Koordination, Missbrauch von Autorit¨at usw. beklagt werden.223 Aus diesen Gr¨ unden ergibt sich konkreter Handlungsbedarf f¨ ur Reformen im Sinne des NPM. So muss beispielsweise der Verwaltung und ihren Managern mehr Handlungsspielraum von seiten des Kongresses einger¨aumt werden, wie Khademian mit folgender Aussage best¨atigt. Before public managers can be more enterprising and entrepreneurial, before ” they can give employees greater discretion in carrying out their responsibilities, Congress must give agencies more elbow and leg room to innovate in the implementation of federal programs.“ 224

4.4

Judikatur

Der dritte Bereich des politischen Systems ist die Judikatur. Das Rechtssystem der Vereinigten Staaten ist in der Verfassung (Artikel III) verankert und geht auf die Prinzipien des Englischen B¨ urgerlichen Rechts zur¨ uck.225 Der Oberste Gerichtshof ( Supreme Court“) ist verfassungsm¨aßig mit juristischer Macht ” ausgestattet und ist die letzte Autorit¨at in Kontroversen, die die amerikanische Verfassungsund Gesetzeslage betreffen. Dies umfasst auch die Verfassungsm¨aßigkeit der exekutiven und legislativen Handlungen und T¨atigkeiten. Der Oberste Gerichtshof besteht aus neun Richtern, die durch den Pr¨asidenten, mit Rat und Zustimmung des Senats, bestellt werden, sobald eine Stelle frei wird. Die meisten Bundesrichter sind lebensl¨anglich im Amt. Es gibt zwei weitere Gerichtsebenen im Bundessystem, n¨amlich die Federal Appellate Courts 221

Vgl. Becker/Welz , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 237. Vgl. Shell , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 406 f. Dies steht in Zusammenhang mit dem Wertesystem der Vereinigten Staaten (siehe Kapitel 3.2). 223 Er nennt aber auch eine Reihe von potenziellen Heilmitteln“ gegen diese Schw¨achen. Dazu sp¨ater mehr ” im Kapitel 7 Vgl. Kaufman, in: Public Administration Review : Major Players: Bureaucracies In American Government, S. 32 ff. 224 Khademian, in: Journal of Public Administration Research & Theory: The New Dynamics of Legislating and the Implications for Delegation: What’s to be Expected on the Receiving End?. 225 Vgl. OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 332. 222

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(Berufungsgerichte)226 als zweith¨ochste Ebene und die Federal District Courts oder Trial Courts.227 State courts sind hierarchisch organisiert. Je nach Staat werden die Richter ¨ durch den Gouverneur entweder bestellt oder gew¨ahlt. Ortliche Richter haben beschr¨ankte Befugnisse und sind u ¨blicherweise nicht hierarchisch gegliedert. Daneben gibt es noch einige spezialisierte Gerichte228 wie z. B. den U.S. Claims Court, der sich mit Klagen finanzieller Art gegen¨ uber den USA befasst; den U.S. Court of International Trade, der mit Klagen im Zusammenhang mit Importen befasst ist; den U.S. Court of Military Apppeals, der Verurteilungen des Kriegsgerichts u uft; den U.S. Tax Court, der Unregelm¨aßigkeiten mit ¨berpr¨ steuerlichen Angelegenheiten kl¨art und den U.S. Bankruptcy Court, der eine Spezialeinheit der District Courts darstellt und mit Konkursverfahren betraut ist. Seine Richter werden f¨ ur 14 Jahre vom Court of Appeal ernannt.229 Diese drei Bereiche des politischen Systems stehen nicht v¨ollig unabh¨angig f¨ ur sich, son¨ dern sind wechselseitig verschr¨ankt, was die Kontrolle erm¨oglichen und die Ubermacht einer einzigen Gewalt verhindern sollte.

4.5

Verschr¨ ankung der Gewalten

Die Verschr¨ankung dieser drei Gewalten wird in der Abbildung 9 zusammengefasst und im Anschluss daran n¨aher erl¨autert. Die Einschr¨ankungen der Legislative betreffen im Wesentlichen zwei Formen: Der Oberste Gerichtshof kann die Gesetze als verfassungswidrig aufheben und der Pr¨asident kann sein Veto auf Gesetze der Legislative einlegen.230 Das formale Vetorecht ist ein wirksames Instrument des Pr¨asidenten. Allein seine Androhung kann teilweise den Kongress z¨ahmen. Allerdings kann der Pr¨asident eine Gesetzesvorlage nur als ganze billigen oder zur¨ uckweisen, denn er hat nur bei Haushaltsvorlagen ein item veto“. Der Kongress kann daher ein ” pr¨asidiales Veto dadurch vermeiden, indem er eine Gesetzesvorlage mit einer einzelnen Bestimmung befrachtet (rider), die es dem Pr¨asidenten erschwert, das Gesetz abzulehnen.231 Das Verh¨altnis von Legislative und Exekutive ist von ... Konflikt, Tauziehen, oppositionel” ” ler Partnerschaft“ gepr¨agt. ... Mit der Zeit hat sich eine Art Spezialisierung herausgebildet: Der Pr¨asident k¨ ummerte sich als Hauptgesetzgeber um das Ganze, der Kongreß um die 226

Es gibt insgesamt dreizehn. Es gibt insgesamt 89, in jedem Staat jedoch mindestens einen. Sie k¨onnen k¨onnen Zivil- und Strafrechtsprozesse f¨ uhren. 228 F¨ ur n¨ahere Informationen siehe auch FirstGov , http://www.firstgov.gov/us gov/judicial branch.html. 229 OECD, http://www.oecd.org/puma/country/Profiles/USAGB.pdf, S. 332. 230 Vgl. U.S. Department of Justice - Immigration and Naturalization Service, U.S. Government Structure, S. 35. 231 Vgl. J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 154 f. 227

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Abbildung 9: Die Verschr¨ankung der Staatsgewalten“ ” Quelle: Autor Teile. Der Pr¨asident dr¨ uckte das nationale Interesse aus, der Kongreß die Interessen der Einzelstaaten, Kommunen oder Gruppeninteressen. ... W¨ahrend der Pr¨asident den Kongreß bearbeitete, sein Programm in Kraft zu setzen, bearbeiteten die einzelnen Kongreßabgeordenten den Pr¨asidenten, ihre besonderen Anliegen in sein Programm mitaufzunehmen - als sicherster Weg, um dessen Annahme im Kongreß zu beschleunigen.“ 232 Die Exekutive kann seitens des Kongresses kontrolliert und eingeschr¨ankt werden, wenn er die Bewilligung von Geldern (Budget)233 f¨ ur die Exekutive verweigert oder wenn er zu 232 233

Sundquist in: J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 156. Gore beschrieb in seinem Report von 1993 das Budget als das politischste Dokument, das die Frage wer was wann und wie bekommt, beantwortet. Vgl. Gore, Creating a Government that Works Better and Costs Less, S. 14 f. Dies ist ein Hinweis auf die komplexe Entscheidungsfindung und die zahlreichen Einfl¨ usse auf den Budgetprozess, der bereits in Kapitel 4.2.1 beschrieben wurde.

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Personalentscheidungen des Pr¨asidenten nicht zustimmt. Das kann auch auf die Bildung bzw. Aufl¨osung von Ministerien oder Abteilungen zutreffen. Der Senat kann seine Zustimmung zu Vertr¨agen mit dem Ausland versagen. Die Judikatur beschr¨ankt schließlich die pr¨asidialen Handlungen, wenn diese als verfassungswidrig erkl¨art werden.234 Da die Legislative gegen¨ uber der Exekutive eine ungew¨ohnliche St¨arke aufweist, die Exekutive nicht u ¨ber die gleiche Kontrolle u ugt und die dezentralisierte Staatenstruktur ¨ber Parteimitglieder verf¨ f¨ ur Ver¨anderungen von oben meist skeptisch gesinnt sind, m¨ ussen ihre Reformkapazit¨aten vorsichtiger beurteilt werden. Lautstarke Reformbekundigungen verschiedener Pr¨asidenten waren daher meist more mouth than muscle“, was u. a. aus der Spannung zwischen Exe” kutive und f¨oderalen Bundesstaaten herr¨ uhrt.235 Die Kontrolle der Judikative durch Exekutive und Legislative ist verh¨altnism¨aßig gering.236 Begnadigungen durch den Pr¨asidenten sowie die Ernennung der Richter zum Obersten Gerichtshof stellen den Einflussbereich der Exekutive dar. Der Kongress entscheidet u ¨ber die Anzahl der Richter und deren Geh¨alter sowie welche F¨alle sofort dem Obersten Gerichtshof vorgelegt werden.237 Neben der gegenseitigen Verschr¨ankung unterliegen die drei Gewalten verschiedenen Einfl¨ ussen, wie Parteien, Interessengruppen, Medien und auch dem direkten Druck seitens der B¨ urger.

4.6 4.6.1

Weitere wichtige Player im politischen Gef¨ uge Die politischen Parteien

Auf nationaler Ebene gibt es seit Ende des 18. Jahrhunderts politische Parteien. Es bildete sich ein Zweiparteiensystem,238 das seit etwa 1850 von Republikanern und Demokraten dominiert ist. Von Zeit zu Zeit kommt es zu einer Neuausrichtung parteipolitischer Machtstrukturen, das entspricht einem Wechsel der Mehrheitspartei im Kongress bzw. im Pr¨asidentenamt. Dies geschieht insbesondere dann, wenn neue Streitfragen die Politik besch¨aftigen.239 Dennoch konnten gelegentlich auch sog. Dritte Parteien“ beachtliche Erfolge erzielen. Man ” denke hier nur an die nahezu 20 % der W¨ahlerstimmen f¨ ur die Reform Party“ von Ross ” 234

Vgl. U.S. Department U.S. Department of Justice - Immigration and Naturalization Service, U.S. Government Structure, S. 28 f. 235 Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 50. 236 Vgl. Lehner/Widmaier , Vergleichende Regierungslehre3 , S. 101. 237 Vgl. U.S. Department of Justice - Immigration and Naturalization Service, U.S. Government Structure, S. 39. 238 Erkl¨art werden kann dies aufgrund des Wahlsystems und der langen politischen Sozialisierung, was einen Vorsprung gegen¨ uber neuen Parteien darstellt. Vgl. Janda/Berry/Goldman, The Challenge of Democracy - Government in America gek¨urzte , S. 169 f. 239 Vgl. Wasser , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 142.

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Perot im Jahre 1992.240 Als weitere amerikanische Besonderheit kann die Tatsache gewertet werden, dass keine sozialistische oder sozialdemokratische Partei Fuß fassen konnte. 241 Parteien im amerikanischen Verst¨ andnis Eine Partei im amerikanischen Sinne unterscheidet sich wesentlich von politischen Organisationen in Westeuropa in ihrem Aufbau, ihren Inhalten und Funktionen. Ihre Struktur ist stark dezentralisiert, von hierarchischer Durchsetzung kann nicht gesprochen werden, denn die vielen lokalen und regionalen Einheiten legen Wert auf eine große Unabh¨angigkeit. Es gibt auch keine formelle Mitgliedschaft, ausschlaggebend f¨ ur das Wahlverhalten der B¨ urger sind vor allem wahlkreisspezifische Interessen. Daraus ergibt sich, dass die Parteiprogramme fragmentiert sind, das heißt, dass sich innerhalb der einzelnen Parteien verschiedene Richtungen herausgebildet haben, die Spiegelbild f¨ ur die heterogene Gesellschaft sind. Inhalte haben oft kurzfristigen Charakter und sind auf die n¨achste Wahl ausgerichtet. Selbst bei den Parteitr¨agern herrscht wenig Parteidisziplin, so sind z. B. Kongressmitglieder frei, nach ihren eigenen Vorstellungen zu w¨ahlen, was den Einfluss der Parteien vermindert.242 L¨osche beschreibt treffend die Hauptfunktion von Parteien, n¨amlich dass sie ... die Wahl ” von Bewerbern f¨ ur ein ¨offentliches Amt unter einem bestimmten Parteietikett durchzusetzen versucht“.243 Es muss aber festgehalten werden, dass durch Vorwahlen244 f¨ ur die meisten ¨ bundes- und einzelstaatlichen Amter diese Funktion an Bedeutung verloren hat. Wichtigkeit haben die National Conventions“ (Nominierungsparteitage) f¨ ur die Auswahl des parteiin” ternen Pr¨asidentschaftskandidaten. Zuvor bleibt es dem Bewerber selbst u ¨berlassen einen Wahlkampf zu organisieren und zu finanzieren.245 Dies macht die einzelnen Kandidaten zuweilen abh¨angig von der Finanzierung von Interessensverb¨anden und schw¨acht die Position von Parteien insgesamt.246 Die Macht der Parteif¨ uhrung wird zus¨atzlich durch die gesetzliche 240

F¨ ur eine umfassende Analyse dieser Kandidatur siehe Wattenberg, The Decline of American Political Parties, 1952 - 1996erweiterte , S. 168 - 198. 241 Vgl. Brunner , Vergleichende Regierungslehre, S. 339 und siehe auch Z¨ oller , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 288 oder Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 142. 242 Vgl. L¨ osche, in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 268 und siehe auch Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 278 f. oder Wasser , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 153. 243 L¨ osche, in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 268. 244 Allgemein kann gesagt werden, dass sie als Bestandteil des Wahlverfahrens unter ¨offentlicher Aufsicht stehen, auf ¨ offentliche Kosten gehen und der gerichtlichen Kontrolle unterliegen. W¨ahrend bei Kongresswahlen in den Vorwahlen direkt der Kandidat f¨ ur die Hauptwahl ermittelt wird, werden bei Pr¨asidentschaftswahlen nur die Delegierten f¨ ur die nationalen Parteikonvente gew¨ahlt, wo dann die offizielle Nominierung des Kandidaten stattfindet. Vgl. Schreyer , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 247. 245 Vgl. Sautter , Die Vereinigten Staaten: Daten, Fakten, Dokumente, S. 90. 246 Vgl. Lehner/Widmaier , Vergleichende Regierungslehre3 , S. 105.

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Pflicht zur Offenlegung der Wahlkampffinanzierung weiter beschr¨ankt.247 Zur beschriebenen Rekrutierungsfunktion, die die Parteien u ¨bernehmen, kommt noch die Sozialisations- und Artikulationsfunktion, d. h. sie b¨ undeln die Interessen der verschiedensten Gruppierungen, sei es kulturell, sozial oder wirtschaftlich und machen sie zum Thema. Sie leisten damit auch eine Legitimationsfunktion der politischen Institutionen. Demokraten Sowohl Demokraten als auch Republikaner unterst¨ utzen den Kapitalismus und lehnen Staatseigentum von Produktionsfaktoren ab. Die Demokraten gelten aber als liberaler. Sie treten eher f¨ ur den politischen Eingriff in Wirtschaft und Gesellschaft ein und haben ein st¨arkeres Engagement gegen¨ uber weniger Privilegierten oder Angeh¨origen der Unterschicht.248 Im Gegensatz zu Republikaner fokussieren sie in vermehrtem Ausmaß die innenpolitischen Probleme. Im Allgemeinen stehen Demokraten eher f¨ ur Zentralisierung und mehr Verwaltung. Zur W¨ahlerschaft z¨ahlen tendenziell eher Personen mit niedrigeren Einkommen, niedrigerer Bildung, die in weniger angesehenen Berufen arbeiten und in Mehrfamilienhaushalten leben. Bezogen auf Religion und Rassen sind Juden249 und Minderheiten, insbesondere AfroAmerikaner, Demokraten. Und schließlich w¨ahlen Frauen vermehrt diese Partei.250 Republikaner Die Republikaner bezeichnen sich selbst gerne als die Grand Old Party“ (GOP) und berufen ” sich dabei auf Abraham Lincoln. Sie behaupten von sich, die uramerikanischen Werte, wie Individualismus, Pioniergeist, freies Unternehmertum, Anti-Zentralismus, Anti-B¨ urokratismus, Familiensinn, Nachbarschaftsgeist usw. zu vertreten.251 Sie betonen die freien Kr¨afte des Marktes, sind eher gegen eine h¨ohere Besteuerung und gelten als konservativ.252 Sozialprogramme und Unterst¨ utzung der ¨armeren Schichten haben wenig Priorit¨at, hingegen sind die Ausgaben f¨ ur Verteidigung und Milit¨ar wichtige Themen.253 Seit den sp¨aten 70er Jahren haben rechtsgerichtete Republikaner (Pr¨asident Reagan) einen radikaleren Standpunkt 247

Vgl. Wasser , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 141. Vgl. L¨ osche, in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 279. 249 Domhoff listet eine ganze Reihe Gr¨ unde auf, warum Juden in der Regel zu den demokratischen Stammw¨ ahlern geh¨ oren. Vgl. Domhoff , The Power Elite and the State: How Policy is Made in America, S. 245 ff. 250 Vgl. Janda/Berry/Goldman, The Challenge of Democracy - Government in America gek¨urzte , S. 172. Diese Einsch¨ atzung best¨ atigt auch eine W¨ahleranalyse von Pr¨asident Clinton (siehe die Ausf¨ uhrungen im Kapitel 5.1.1). 251 Vgl. Wasser , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 451. Siehe dazu die Ausf¨ uhrungen im Kapitel 3.2. 252 Vgl. L¨ osche, in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 279. 253 Vgl. Keefe/Ogul , The American Legislative Process: Congress and the States 8 , S. 286. 248

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eingenommen, n¨amlich K¨ urzung des ¨offentlichen Dienstes und eine allgemeine Reduktion der regierungbezogenen Einmischung. Mitte der 90er Jahre haben sie wieder die Kontrolle im Kongress gewonnen (siehe dazu auch Tabelle 4 in Abschnitt 5.1.1) und das Thema Anti-Bundesverwaltung wurde heftiger als je zuvor aufgeworfen.254 4.6.2

Interessenorganisationen

Die Vereinigten Staaten sind bekannt als ein Land mit einer ausgepr¨agten Verbandskultur. Unter sogenannten Interest Groups“ (im Folgenden als Interessenorganisation, -verband ” oder -gruppierung bzw. Lobby255 benannt), sind Organisationen zu verstehen, die zwar getrennt vom Regierungssystem sind aber enge Beziehungen zu ihnen pflegen. Auch umgekehrt, unterhalten viele Mitglieder des EOP Kontakte zu Interessengruppierungen.256 Sie haben bedeutenden Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung in Kongress und Verwaltung, neuerdings sogar bis hin zum Pr¨asidenten, wie dies auch Pika best¨atigt. Interest groups have long been viewed as an integral part of the congressional ” and bureaucratic policymaking processes but have only recently been recognized as significant actors in presidential stages of the policy process as well.“ 257 Interessengruppen repr¨asentieren eine institutionelle Verbindung zwischen Regierung oder Staat und gr¨oßeren Gruppen der Gesellschaften.258 W¨ahrend Wasser259 vier große Kategorien unterscheidet, erg¨anzt L¨osche260 diese um vier weitere: • Wirtschafts- und Unternehmensverb¨ ande: Es fehlt ein umfassender, zentralistischer Unternehmensverband, weil sich Konzerne beispielsweise bei speziellen Anliegen direkt an die Aussch¨ usse wenden. Es gibt aber etwa 7000 Industrieverb¨ande, die im 254

Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 279. Die Ausdr¨ ucke Lobby“ oder Lobbyist“ sind amerikanischen Ursprungs und gehen auf das 19. Jahrhun” ” ” dert zur¨ uck, als das Hauptt¨ atigkeitsfeld der berufsm¨aßigen Interessenvertreter die Wandelhalle (= lobby) des Repr¨asentantehauses war, wo sie auf Abgeordnete warteten, um sie abzufangen (= to buttonho” le“), ihnen die W¨ unsche von Firmen vorzutragen und ihnen nach M¨oglichkeit Versprechungen f¨ ur ein bestimmtes Abstimmungsverhalten abzuringen. Folglich ist mit diesen Ausdr¨ ucken eine sehr spezifische Form der Durchsetzung von Gruppeninteressen assoziiert, die mittlerweile stark an Bedetutung verloren hat. Eine allgemeinere Bet¨ atigungsform deutet der im englischen Sprachgebrauch verbreitete Ausdruck pressure group“ an, dessen Eindeutschung nicht gelungen ist.“ ” Brunner , Vergleichende Regierungslehre, S. 378. W¨ahrend Lobbying haupts¨ achlich auf die Legislative abzielt, sind die Bem¨ uhungen der Interessensvertretungen weiter gestreut. 256 Vgl. Pika, in: Shull: Presidential Policymaking, S. 74. 257 Pika, in: Shull: Presidential Policymaking, S. 59. 258 Vgl. Wilson, Interest Groupsnachgedruckte , S. 1. 259 Vgl. Wasser , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 299. 260 Vgl. L¨ osche, in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 486 - 496. 255

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Vergleich zu europ¨aischen viel spezialisierter sind. Das American Iron and Steel Institute und die American Bankers Associations z¨ahlen zu den gr¨oßten. Die amerikanische Handelskammer (U.S. Chamber of Commerce) und die National Association of Manufacturers (NAM) sind die gr¨oßten Unternehmensorganisationen. Der Industrieverband (Trade Association) als Organisationsform ist bei Tarifverhandlungen bedeutend und dient der Koordination und des Informationsaustausches untereinander. • Gewerkschaften: Im Gegensatz zu den sozialistischen L¨andern Westeuropas hatten Gewerkschaften weniger Bedeutung in den Vereinigten Staaten, was sich auch am geringen Organisationsgrad, der eher locker und dezentralisiert ist, sowie an der vergleichsweise niedrigen Mitgliedschaft ausdr¨ uckt. Amerikanische Gewerkschaften sind auf das wirtschaftliche Wohlbefinden ihrer Mitglieder bedacht, f¨ uhren aber keine Programme.261 Die AFL/CIO262 ist eine der gr¨oßten und bedeutendsten Gewerkschaften. • Agrarorganisationen: L¨osche z¨ahlt sie zu den Standesverb¨anden. Die politisch erfolgreichste Organisation ist die American Farm Bureau Federation. • Standes- und Berufsverb¨ ande: Zum Unterschied zu Unternehmensorganisationen schließen sich hier nur Angeh¨orige aus einer Berufsgruppe zusammen. Sie sind nicht so zersplittert und bundesweit organisiert, was ihren Einfluss bei Wahlen erh¨oht. Zu einem der erfolgreichsten und prestigetr¨achtigsten Verb¨ande z¨ahlt die American Medical Association (AMA). • Ein-Punkt-Organisationen: Sie sind jene Verb¨ande, die ein eng abgegrenztes, partikul¨ares Anliegen verfolgen. Die National Rifle Association (NRA), als Zusammenschluss f¨ ur Schieß- und Jagdorganisationen, der sich f¨ ur das Recht, Waffen zu tragen einsetzt, ist ein typisches Beispiel daf¨ ur. NRA hat eine gute Lobby und geh¨ort zu den wichtigsten Geldgebern in Wahlk¨ampfen. • Public Interest Groups: Sie vertreten keine wirtschaftlichen Interessen, sondern setzen sich f¨ ur das ¨offentliche Gemeinwohl ein. Beispiele daf¨ ur sind der Common Cause, eine Interessengruppierung des Volkes oder der Sierra Club, fr¨ uher vergleichbar mit dem Alpenverein, der heute als ein Umweltschutzverband auftritt. • Ideologische Gruppen: Sie k¨onnen mit bestimmten politischen Str¨omungen in Verbindung gebracht werden, wie beispielsweise Americans for Democratic Action“. So” 261 262

Vgl. L¨ osche, in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 512. Die AFL wurde 1886 als Dachverband von Berufsgewerkschaften gegr¨ undet, wobei sie anf¨anglich nur die privilegierten Teile der Arbeitenden vertrat. Vgl. Erd , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 245.

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ziokulturelle Fragen sind Thema von Gruppen wie Moral Majority, Christian Voice usw., wobei teilweise Vorurteile gesch¨ urt werden. • Intergovernmental Lobbying Organiszations: Dies ist die Bezeichnung f¨ ur politische K¨orperschaften ¨offentlichen Rechts, die Lobbying betreiben. Vorbild daf¨ ur, ist der Pr¨asident selbst mit seinem Auftreten in Kongress und Weißem Haus. Gerade im Kampf um finanzielle Zuwendungen und Bundesbeihilfen bedienen sich insbesondere Einzelstaaten und Gemeinden gezielt dieser Beziehungen.263 Trotz der unterschiedlichen Ausrichtung, der unterschiedlichen Gewichtung und Einflusssph¨aren sowie der finanziellen und personellen Schlagkraft der zahlreichen Verb¨ande gibt es einige Gemeinsamkeiten. So wird das Lobbying u ¨berwiegend von Berufslobbyisten, Rechtsanw¨alten und Public Relations Unternehmen durchgef¨ uhrt. Die meisten Verb¨ande sind ¨ahnlich wie Parteien stark dezentralisiert. Gemeinsames Ziel aller Interessenverb¨anden ist die Einflussnahme auf den politischen Entscheidungsprozeß. Daher sind die wichtigsten Adressaten die Exekutive und vor allem die Mitglieder des Kongresses, wobei der gute pers¨onliche Kontakt auch zu jenen Personen intensiviert wird, die in den Parteien und Massenmedien eine einflussreiche Rolle einnehmen. Auf Parlamentsebene wird versucht, Abgeordnete f¨ ur die eigenen Ideen und W¨ unsche zu gewinnen, damit sie einen entsprechenden Gesetzesentwurf einreichen. Besser f¨ ur Interessensverb¨ande ist es jedoch, wenn sie Interessenvertreter oder Nahestehende direkt ins Parlament und in die Aussch¨ usse entsenden k¨onnen. Auf Ebene der Aussch¨ usse geh¨oren die Anh¨orung von Sachverst¨andigen ( Hearings“) vor den Parlamentsaussch¨ ussen bzw. im Vermittlungs” ¨ ausschuss zu den Instrumenten des Lobbying. Besonders die Meinung in der Offentlichkeit kann die Forderungen der Interessenorganisationen unterst¨ utzen. Zus¨atzlich z¨ahlen Massenpetitionen,264 Dinnerparties oder sonstige social events“ und die Finanzierung von Wahl” kampagnen zu effektiven Lobbym¨oglichkeiten. Letzteres wird seit den 70er Jahren von den Political Action Committees“ (PAC) organisiert, die die Interessen von wirtschaftlichen ” Gruppierungen, Unternehmen oder Einzelinteressen verk¨orpern und weniger die typischen Parteizusammensetzung widerspiegeln. F¨ ur die unterst¨ utzten Kandidaten wird es daher zunehmend schwieriger, Zugest¨andnisse an breite Teile der Partei zu machen, weil ihre Gelder interessengebunden sind.265 263

Vgl. Hesse/Benz , Die Modernisierung der Staatsorganisation, S. 90 f. Dies ist auch unter dem Begriff grass root lobbying“ bekannt und bedeutet, dass die W¨ahler im Wahlkreis ” mobilisiert werden, um auf ihre Repr¨asentanten Druck z. B. durch Briefe, Telefonate, E-Mails usw. auszu¨ uben. Vgl. L¨ osche, in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 500. 265 Vgl. Wattenberg, The Decline of American Political Parties, 1952 - 1996 erweiterte , S. 109 und siehe auch Brunner , Vergleichende Regierungslehre, S. 395 ff. oder

264

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Die Macht der Interessenorganistionen h¨angt im Wesentlichen von der St¨arke oder Schw¨ache der politischen Kr¨afte, denen sie gegen¨ uberstehen. Auch die zugrunde liegenden Ressourcen spielen eine bedeutende Rolle.266 Zwei Faktoren erkl¨aren die Tatsache, dass Interessensverb¨ande einen wachsenden Einfluss auf das amerikanische politische System haben. Einerseits ist dies die geringe Verbindung zu Ideologien und andererseits das Fehlen eines geeinten und verantwortlichen Parteiensystem.267 Dem organisierten Druck k¨onnen die schwachen und undisziplinierten Parteien wenig entgegenhalten. Zudem sanktionieren Parteien ihre Mitglieder nicht, wenn diese von der Parteilinie“ abweichen. Kongressmitglieder beispielsweise ” versuchen den Bed¨ urfnissen der M¨achtigen in ihrem Wahlkreis so gut als m¨oglich zu entsprechen, um ihre Wiederwahl zu sichern.268 Die bisherige Darstellung hinterl¨asst einen negativen Beigeschmack von Interessensgruppen, weil sie eigenn¨ utzig handeln, was nicht unbedingt dem Gesamtwohl Amerikas entsprechen muss. Allerdings muss erw¨ahnt werden, dass sie Sprachrohr f¨ ur Teile der Bev¨olkerung sind und die Teilnahme der Bev¨olkerung am politischen Prozess f¨ordern. Sie u ¨bernehmen auch eine (wenn auch teilweise einseitige) Bildungsfunktion ihrer Mitglieder. Dies tr¨agt allerdings zur ¨offentlichen Diskussion gewisser Probleme bei und bringt Themen auf die politische ¨ Tagesordnung. Eine weitere positive Aufgabe nehmen Interessengruppen in der Uberwachung von Programmen wahr.269 4.6.3

Medien

Rede- und Pressefreiheit geh¨ort zu den Bill of Rights und sind verfassungsrechtlich gesch¨ utzt. Daher kann jeder seine Meinung ¨offentlich kund tun. Die ¨offentliche Meinung und das politische Geschehen werden mehr oder weniger von den Massenmedien beeinflusst. Anders als in weiten Teilen Westeuropas, sind die Massenmedien in den Vereinigten Staaten in Privatbesitz. Sie stehen im Wettbewerb zueinander, sind gewinnorientiert, finanzieren sich u ¨berwiegend u ¨ber Werbeeinnahmen und konzentrieren sich daher vor allem auf zugkr¨aftige (Sensations-)Beitr¨age, um ein Maximum an Sehern, H¨orern, Lesern zu erreichen. Verst¨andlich also, dass die Grenzen zwischen Information und Manipulation fließend sind. Dennoch genießt gerade das Fernsehen einen hohen Stellenwert f¨ ur aktuelle Informationen und ein hohes Vertrauen f¨ ur seine Glaubw¨ urdigkeit.270 Die Printmedien im Gegensatz dazu verlieren Keefe/Ogul , The American Legislative Process: Congress and the States 8 , S. 318 ff. Vgl. Wilson, Interest Groupsnachgedruckte , S. 40. 267 Vgl. Pika, in: Shull: Presidential Policymaking, S. 74. 268 Vgl. Keefe/Ogul , The American Legislative Process: Congress and the States 8 , S. 314 und siehe auch L¨ osche, in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 497. 269 Vgl. Janda/Berry/Goldman, The Challenge of Democracy - Government in America gek¨urzte , S. 198 f. 270 Vgl. Kleinsteuber , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika 2 , S. 554. 266

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an Bedeutung, und in politischen Zusammenh¨angen sind sie meist nur f¨ ur gebildetere Zielgruppen f¨ ur tiefgreifendere Abhandlungen relevant. Relativ jung, seit den 90er Jahren, ist die Entwicklung des Internets. Seine Verbreitung und daraus resultierend seine Bedeutung nimmt rasant zu. Obwohl die Medien u ¨berwiegend der Unterhaltung dienen (man denke an das Fernsehen, was f¨ ur den Durchschnittsamerikaner das beliebteste Hobby ist), u ¨bernehmen sie auch politische Funktionen, indem sie Nachrichten senden und interpretieren, die B¨ urger daher politisch sozialisieren, deren Einstellungen und Haltungen mitformen und die politische Tagesordnung mitbestimmen.271 Politische Entscheidungstr¨ager, Vertreter von Parteien und Interessensvereinigungen wissen um den Einfluss der Massenmedien und machen sich diese Instrumente daher zu Nutze, um ihre Politik zu transportieren. Gerade in Wahlzeiten wird sehr viel Zeit, Energie und Geld investiert, um ausgekl¨ ugelte Strategien von Medienspezialisten zu kreieren. Massenmedien wie Fernsehen (mit einem 50 % Anteil am Budget eines Wahlkampfes),272 Radio, Talkshows, Reden vor Unternehmen oder in St¨adten, Debatten etc. sind wichtige Kommunikationsformen, um die W¨ahler zu erreichen.273 Seit Mitte der 90er Jahre u ¨bernimmt das Internet eine bedeutende Rolle. Da nicht nur die vermittelten Inhalte, sondern auch die Wirkung vor der Kamera z. B. eines Pr¨asidentschaftskandidaten,274 das Image beim W¨ahler pr¨agen und auf die Wahlentscheidung miteinwirken, sind Kandidaten bestrebt, ihre Darstellung in den Medien zu ihren Gunsten zu beeinflussen und den Gegner mit einem negativen Image zu besetzen. Eine weitere effiziente Maßnahme zur Beeinflussung der W¨ahler, und mehr noch als Anpassungshilfe der Medienstrategien, sind die Ver¨offentlichung von Meinungsumfragen. Es wird die Frage gestellt, wie man w¨ahlen w¨ urde, woraus eine Hochrechnung das m¨ogliche Ergebnis prognostiziert.275 Je nach Ergebnis k¨onnen sich entweder der Band Wagon Effekt (sich dem Sieger anschließen) oder der Under Dog Effekt (aus Mitleid den Unterlegenen unterst¨ utzen) n¨ utzlich erweisen. Neben der medialen Bedeutung in Wahlk¨ampfen, sind Meinungsumfragen auch Teil der poli271

Einschr¨ankend muss festgehalten werden, dass trotz großer Reichweite, d. h. wieviele Personen werden z. B. mit einem TV-Spot erreicht, die Erinnerungsquote relativ gering. Das bedeutet, dass die Bev¨olkerung weniger u ¨ber Politik weiss, als Politiker und Journalisten meist annehmen. Vgl. Janda/Berry/Goldman, The Challenge of Democracy - Government in America gek¨urzte , S. 121. 272 Vgl. Kleinsteuber , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 331. 273 Vgl. Wayne, The Road to the White House 1996, S. 253. 274 Pr¨asident Clinton, jung und dynamisch, punktete durch seine Auftritte in Unterhaltungsshows, wo er mit dem Saxophon spielte. Vgl. Kleinsteuber , in: Wasser: USA: Wirtschaft - Gesellschaft - Politik, S. 332 f. 275 Im Wahlkampf von 1992 war Ross Perot der große Unsicherheitsfaktor. Vgl. Wayne, The Road to the White House 1996, S. 264.

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¨ tischen Offentlichkeitsarbeit. Da sich der Pr¨asident nicht auf seine Fraktion im Kongress uneingeschr¨ankt verlassen kann, kann er die Medien als Plattform n¨ utzen, wenn er Widerst¨ande bef¨ urchtet. Public Relations Spezialisten im Weißen Haus u ¨berlassen nichts mehr dem Zufall.276 Trotz des Einflusses der Medien muss gesagt werden, dass sie nicht immer und bei jedem die gleiche und noch weniger die gew¨ unschte Wirkung erzielen. W¨ahrend sie bei manchen nur wenig Spuren hinterlassen, k¨onnen sie f¨ ur den einen informativ sein oder ¨ leisten f¨ ur den anderen wahre Uberzeugungsarbeit. Insgesamt k¨onnen sie mithelfen, dass sich B¨ urger Geh¨or verschaffen und dadurch Druck auf das politische System aus¨ uben k¨onnen. 4.6.4

Druck durch die B¨ urger

Die Herrschaft geht vom Volk aus, das ist eines der grundlegenden Prinzipien der Konstitution und heißt, dass sich das Volk am politischen Prozess aktiv beteiligen kann und soll. Wer sich beteiligt h¨angt stark mit der soziodemographischen Zusammensetzung und ihren Ver¨anderungen zusammen. Man denke hier beispielsweise an die Frauenbewegungen. Welche Themen Aktualit¨at erlangen, steht in Zusammenhang mit den technischen, wirtschaftlichen, soziokulturellen, politischen Entwicklungen. Nat¨ urlich spielen auch Einzelinteressen immer eine große Rolle, denn kulturell bedingt, ist utilit¨arer Individualismus277 in den USA besonders wichtig. Die B¨ urger sehen sich selbst als individuelle Konsumenten von G¨ utern und Dienstleistungen, egal ob diese nun von privaten oder o¨ffentlichen Organisationen bereitgestellt werden.278 F¨ ur die Themenfindung, f¨ ur die es sich dennoch lohnt, sich zu engagieren, ist dar¨ uber hinaus die eigene Wahrnehmung bzw. die ganzer Gruppen entscheidend. Bezogen auf die Bundesverwaltung glauben viele Amerikaner, dass sie großen Summen verschwendet. Seit den 70er Jahren wurde die Einstellung der B¨ urger gegen¨ uber Absichten und Kompetenzen der Bundesregierung immer kritischer.279 Kickert best¨atigt dies, wenn er anf¨ uhrt, dass in Meinungsumfragen Politiker mit der Mafia gleich gesetzt und B¨ urokraten zum S¨ undenbock werden.280 Wie groß das Misstrauen tats¨achlich ist, geht aus einer Studie von Orren hervor, die besagt, dass 36 % der Amerikaner 1964 glaubten, dass die ¨offentlich Bediensteten sich nicht darum k¨ ummern, was die B¨ urger denken. 1996 vertraten bereits 66 % diese Meinung und die Zahl ist im Steigen begriffen. Im selben Zeitraum ist die Zahl jener 276

Vgl. Kleinsteuber , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika 2 , S. 555. Das bedeutet, dass der einzelne B¨ urger von Nutzen geleitet wird. Dazu wiegt er Kosten und Nutzen sowie Vor- und Nachteile ab und w¨ ahlt schließlich die brauchbarste Alternative. Deutsch-Preussischer Zivilgehorsam gegen¨ uber Staat und Verwaltung oder die Ansicht, dass der Staat immer das allgemeine Interesse verteidigt, sind dem Durchschnittsamerikaner fremd. Sich Einsetzen f¨ ur eine ¨offentliche Sache ist f¨ ur Amerikaner selten. 278 Vgl. Kickert, in: Kickert: Public Management and Administrative Reform in Western Europe, S. 19. 279 Vgl. Bok , in: Nye: Presidential Policymaking und Kaufman, in: Public Administration Review : Fear of Bureaucracy: A Raging Pandemic in: Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 279 f. 280 Vgl. Kickert, in: Kickert: Public Management and Administrative Reform in Western Europe, S. 29. 277

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Personen, die Betrug in der ¨offentlichen Verwaltung vermuten von 29 % auf 51 % gestiegen.281 In einer Analyse von zehn L¨andern stellt Pollitt fest, dass die USA wahrscheinlich das Land ¨ mit der st¨arksten Anti-Regierungsrhetorik und dem geringsten Vertrauen der Offentlichkeit in die Regierung ist, wobei nicht klar ist, was Ursache und was Wirkung ist. 282 Politiker, denen es ein Anliegen ist, diesem weitverbreiteten Misstrauen entgegenzuwirken, k¨onnen dieses Thema aufgreifen, entweder aufgrund von Eigeninitiative oder aber auf Hinweise der Bev¨olkerung mittels der verschiedensten Kommunikationswege.283 Als kleiner Vorgriff auf Kommendes ist hier anzumerken, dass in der Amtszeit von Pr¨asident Clinton die Verbesserung des Vertrauens einen wichtigen Punkt in den Reformen darstellte. Diese Kommunikationswege von unten oder die M¨oglichkeiten der B¨ urgerbeteiligung am politischen Prozess gehen, wie die Ausf¨ uhrungen bisher deutlich gemacht haben, u ¨ber die Wahlen hinaus. Beg¨ unstigt durch die dezentralen Strukturen, k¨onnen sie durch pers¨onliches Engagement die Priorit¨aten der Parteit¨atigkeiten aktiv mitgestalten. Ebenso sind die Lobbyingaktivit¨aten Ausdruck der B¨ urgeranliegen und -interessen, wenn auch oft nur f¨ ur beg¨ utetere Gruppierungen. Gerade die finanzielle Unterst¨ utzung in Wahlk¨ampfen oder Massenpetititonen u ¨ben Einfluss auf die politisch Verantwortlichen aus. Sie wirken damit auf die Wahrnehmung der Eliten u ¨ber anstehende Probleme und deren L¨osungsm¨oglichkeiten ein. Trotz aller M¨oglichkeiten der Partizipation sollen die Ausf¨ uhrungen keine u ¨berzogenen Erwartungen einer konstanten und aktiven B¨ urgerbeteiligung hervorrufen.284 Letztendlich zielen alle T¨atigkeiten, sei es von Medien, Interessenorganisation, B¨ urgern usw. mehr oder weniger darauf ab, Einfluss auf das politische Geschehen auszu¨ uben: Beeinflussung der politischen Tagesordnung und der politischen Entscheidungstr¨ager oder anders ausgedr¨ uckt, die der Wahrnehmung der Eliten. Dies wird im n¨achsten Kapitel umfassend behandelt.

281

Vgl. Orren, 1997, in: Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 280. Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 281. 283 Allerdings fand es jeder der letzten vier Pr¨asidenten (Carter – 1976, Reagan – 1980, Bush und Clinton – 1992) politisch vorteilhaft, w¨ ahrend ihrer Wahlkampagnen die Kritik an der Bundesverwaltung zu einem wichtigen Element zu machen. In der Praxis variierten ihre Handlungen jedoch von Versuchen einer verst¨andnisvollen Modernisierung der Bundesministerien und -abteilungen (Carter und Clinton) bis hin zu verstreuten Attacken auf die B¨ urokratieverschwendung, kombiniert mit der Einf¨ uhrung von immer mehr politischen Beamten (Reagan). nweline Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 281 f. 284 Vgl. H´eritier , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 315. 282

5 ELITEN

5

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Eliten

In diesem Kapitel stehen nun die Eliten im Mittelpunkt. Wer sind diese Eliten? Nach allgemeiner Einf¨ uhrung, werden Clinton und Gore als Personen und politische Entscheidungstr¨ager vorgestellt, da ihre Amtszeit zentraler Schwerpunkt dieser Arbeit ist. Wovon ist die Perzeption der Eliten bez¨ uglich Reformm¨oglichkeiten abh¨angig? Was beurteilen sie als w¨ unschenswert und was als tats¨achlich machbar? Wiederum wird nach generellen Aussagen die spezifische Anwendung erl¨autert. Daher werden die bisherigen Verwaltungsreformen vor ¨ Clinton und Gore kurz beleuchtet. der Ara

5.1

Wer sind die Eliten?

Gem¨aß dem Schaubild 3 steht der Entscheidungsprozess der Eliten im Zentrum, aufgrund der Annahme, dass Entscheidungen, oder wie schwerpunktm¨aßig in dieser Arbeit Reformen, von oben ausgel¨ost und durchgef¨ uhrt werden. Hinter jeder Reform stehen also Verantwortliche, die die F¨aden ziehen, die Ver¨anderungen aktiv vorbereiten, die die Umsetzung begleiten und wenn n¨otig auch korrigieren. Freilich sind von jeder Verwaltungsreform die ¨offentlich Bediensteten unmittelbar betroffen und auch die Bev¨olkerung kann bis zu einem gewissen Ausmaß involviert sein oder Ver¨anderungen aktiv gestalten oder miterleben, wenn beispielsweise ¨offentliche Leistungen hink¨ unftig in One-Stop-Agencies angeboten werden oder von privaten Unternehmen erstellt werden. Trotzdem sind die Schl¨ usselpersonen von Reformen, jene Individuen oder Gruppen, die Macht, Ideen und/oder F¨ahigkeiten zur Verf¨ ugung stellen, um einen Ver¨anderungsprozess zu erm¨oglichen.285 Eliten k¨onnen aus verschiedenen gesellschaftlich relevanten Bereichen kommen, je nachdem unterscheidet man unterschiedliche Machtzentren. Zentren der Macht Domhoff unterscheidet vier miteinander verbundene Machtzentren oder Netzwerke, die gleichzeitig Mittel darstellen, um ihre jeweiligen Ziele zu erreichen. Das ideologische Netzwerk spiegelt sich in den Werten und Normen einer Gesellschaft wider und bewirkt einen starken sozialen Zusammenhalt. Oft sind Kirchen der organisatorische Ausdruck daf¨ ur. Die Wirtschaft mit der Zielsetzung der optimalen Bed¨ urfnisbefriedigung unter Einsatz knapper Ressourcen, findet ihre Machtzentren dort ausgepr¨agt, wo es einer wirtschaftlichen Klasse“ ” gelingt, Monopolmacht u ber andere auszu¨ u ben. Milit a rischer Einfluss umfasst die or¨ ¨ ganisierte physische Gewalt. Und schließlich die politische Macht, die die territorialen 285

Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 19.

5 ELITEN

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Regelungen und Institutionen umfasst.286 Eine Besonderheit in den USA ist, dass die Kapitalisten eine m¨achtigere Elite bilden als in Europa. Begr¨ undet liegt dies in mehreren historischen Entwicklungen. Zum einen bildete sich bis vor etwa 70 Jahren durch das Fehlen von rivalisierenden Nachbarstaaten kein starkes milit¨arisches Netzwerk aus. Zum anderen gab und gibt es keine Staatskirche, womit die ideologischen Netzwerke (z. B. Kirchen) den politischen und wirtschaftlichen unterlagen und schließlich gab es keinen starken, unabh¨angigen Zentralstaat, aufgrund der verankerten Prinzipien von F¨oderalismus und Gewaltenverschr¨ankung. Insgesamt f¨ uhrte dies zu einem st¨arkeren Einfluss der ¨okonomischen Kr¨afte und Interessengruppen.287 In Anlehnung an H´eritier soll hier unter Elite eine Gruppe verstanden werden, die sich ...von ” der Mehrheit durch das Kriterium der formalen und/oder der faktischen politischen Entscheidungsmacht unterscheide[t]. Diese Gruppen sind [heute] in einem netzartigen Verh¨altnis mit Eliten anderer gesellschaftlicher Bereiche...verbunden...“ 288 Auf Amerika bezogen ist die Entscheidungsmacht einerseits offen f¨ ur alle B¨ urger, andererseits aber durch gewisse systemimmanente Zw¨ange beschr¨ankt. Das bedeutet, dass in diesem komplexen System der Entscheidungsprozesse jedem, aufgrund der tief verwurzelten Werte wie Kapitalismus und Chancengleichheit, der Zugang zu den Entscheidungs- und Statuspositionen erm¨oglicht wird. Allerdings wird dieser Zugang – und somit die Macht – durch die kapitalistische Wirtschaftsordnung und deren Bedingungen, z. B. indem Besitzer von Ressourcen einen leichteren Zugang zu den Entscheidungstr¨agern haben, letztendlich ungleichgewichtig u ¨ber die Bev¨olkerung verteilt.289 Im Folgenden liegt der Fokus auf den politischen Eliten, das sind Regierungsmitglieder und h¨ohere Verwaltungsbeamte,290 die als zentrale Akteure im politischen System gelten. Vom Eisernen Dreieck zum Issue-Networking Im Laufe der Zeit haben sich die politischen Eliten immer mehr verschoben, daher wird ein kurzer historischer Abriss die Entwicklungstendenzen verdeutlichen. In den 50er und 60er Jahren sprach man vom Eisernen Dreieck“,291 das aus h¨oheren ” Beamten der Verwaltung, Kongressmitgliedern und Vertretern von Interessenorganisationen 286

Vgl. Domhoff , The Power Elite and the State: How Policy is Made in America, S. 2 f. Vgl. Domhoff , The Power Elite and the State: How Policy is Made in America, S. 12 f. Dies unterstreicht die Aussagen u ¨ber die verschiedenen einflussnehmenden Gruppierungen im Kapitel 4.6. 288 H´eritier , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 316. 289 Vgl. Shell , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 564. 290 Beachte dazu die Ausf¨ uhrungen u ¨ber das EOP und die h¨oheren Beamten im Kabinett im Kapitel 4.3.3. 291 Vgl. Shell , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 566 und siehe auch Hesse/Benz , Die Modernisierung der Staatsorganisation, S. 93 oder H´eritier , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 317.

287

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bestand. Typisch f¨ ur diese Zeit waren das stabile parteipolitische Kr¨afteverh¨altnis, der breite Konsens und die hohe soziale Homogenit¨at der politischen Eliten, die von den WASP (WhiteAnglo-Saxon-Protestants) gepr¨agt waren.292 Der Civil Rights Act (1964), der Voting Rights Act (1965), die zunehmende Verbreitung von Vorwahlen (ab 1968), die Reformen der Wahlkampffinanzierungsgesetze sowie die Kongressreformen (beide in den 70er Jahren) f¨ uhrten zu einer neuen Offenheit im politischen System. Das Eiserne Dreieck schien diesen ver¨anderten Bedingungen nicht mehr gerecht zu werden. Und so kam es zur Herausbildung von Problemnetzwerken oder sog.

Issue” Networks“. Dabei m¨ ussen die einzelnen Eliten sich zu Themen zusammenfinden, wobei der Zusammenhalt relativ instabil ist und starken Fluktuationen unterliegt. In vermehrtem Ausmaß sind auch Wissenschafter (think tanks), Experten, Journalisten etc. Teil des politischen Entscheidungsprozesses.293 Als Kehrseite dieser Demokratisierung wurde aber die Koordinierung der politischen Aktivit¨aten und der Kongressmitglieder immer schwieriger.294 Die neue Elite gleicht einem

Political Entrepreneur“, der weniger von seiner Partei ” abh¨angig ist, sondern von der (lokalen) W¨ahlerbasis und den Interessenorganisationen, f¨ ur die er Ansprechpartner und Dienstleister in vielfacher Weise ist. Das impliziert, dass er sich f¨ ur bestimmte Probleme295 gezielt einsetzt, unabh¨angig davon, ob das der Parteilinie entspricht. Dies Entwicklung brachte eine Schw¨achung von Parteien und Kongress zugunsten des Pr¨asidenten mit sich, denn der Kongress ist stark zersplittert und muss h¨aufig ad-hoc Koalitionen bilden, um gewisse Entscheidungen durchzusetzen. Somit beschr¨ankt sich seine Arbeit h¨aufig nur auf die Verz¨ogerung oder die geringf¨ ugige Modifizierung der pr¨asidentiellen Inititativen. Der Pr¨asident kann hingegen unabh¨angig von den anderen Eliten seine Agenda definieren.296 Gleichzeitig bedeutet dies nicht, dass der Pr¨asident sich in jedem Fall durchsetzt. Bowles charakterisiert die idealen Voraussetzungen f¨ ur die Durchsetzung der Programme des Pr¨asidenten folgendermaßen: Einerseits braucht es ein klares Programm, das die ¨ parteiliche und ideologische Unterst¨ utzung im Kongress, in der Offentlichkeit und von Interessenorganisationen hat, und andererseits ein gut organisierter legislativer Stab im Weißen Haus, der dem Pr¨asidenten hilft, seine Basis im Kongress und in der Nation zu mobilisieren und zu konsolidieren.297 292

Vgl. H´eritier , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 317. Vgl. Shell , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 566. 294 Vgl. H´eritier , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 318 f. 295 Man nennt dies auch themenbezogene Politik, die von Programmspezialisten betrieben wird. 296 Vgl. H´eritier , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 321 ff. Siehe hierzu auch die Ausf¨ uhrungen in den Kapiteln 4.2.1 und 4.3.1. 297 Vgl. Bowles, The White House and Capitol Hill: The Politics of Presidential Persuasion, S. 241 f. in: Shell , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 565 oder siehe J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 153, der verst¨arkt auf die M¨oglichkeiten von ¨ Bargaining (Aushandeln) und Persuasion (Uberzeugung) des Pr¨asidenten hinweist. 293

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Wie zu Beginn dieses Kapitels angek¨ undigt, wird nun auf die Hauptakteure der Verwaltungsreforminitiativen der 90er Jahre eingegangen. Da in den USA aufgrund des politischen Systems (siehe auch Kapitel 4.3.1) dem Pr¨asidenten gerade auf Bundesebene eine einflussreiche und wichtige Rolle bzgl. Modernisierung im Verwaltungsbereich zukommt, werden in dieser Arbeit Pr¨asident Bill Clinton und Vizepr¨asident Al Gore stellvertretend f¨ ur weite¨ re Schl¨ usselfiguren, die weniger pr¨asent in der Offentlichkeit agierten, als zentrale Akteure vorgestellt. Hintergrund, politische Entwicklung und Ziele werden im Folgenden n¨aher beleuchtet, was dem Leser ein besseres Verst¨andnis f¨ ur die Schwerpunktsetzung der gew¨ahlten Reformen geben soll. 5.1.1

William Jefferson Clinton - The Man from Hope“ ”

Bill Clinton wurde am 19. August 1946 in Hope, Arkansas als William Jefferson Blythe IV geboren. Sein Vater starb drei Monate vor seiner Geburt bei einem Autounfall. Da seine Mutter eine Ausbildung als An¨asthesie-Krankenschwester machte, wuchs Clinton bei seinen Großeltern auf. Er verbrachte viel Zeit im Gemischtwarenladen seines Großvaters, der sich in einer ethnisch gemischten Gegend befand. Sp¨ater betonte Clinton, dass gerade diese Zeit ¨ f¨ ur seine ideologischen Uberzeugungen wichtig gewesen w¨are. 1950 heiratete seine Mutter Virginia, den Autoh¨andler Roger Clinton aus Hot Springs, wohin sie auch zogen. Bill wurde offiziell von seinem Stiefvater adoptiert und erhielt seinen Namen. Leider war sein Stiefvater ein Alkoholiker, der zur Gewalt neigte. Sein zehn Jahre j¨ ungerer Halbbruder Roger k¨ampfte mit Drogenproblemen. Seit 1975 ist Bill Clinton mit Hillary Rodham, geboren 1947 in College Park, Illinois, verheiratet. Sie ist ausgebildete Juristin und war in diesem Beruf sehr erfolgreich. Ihre Tochter Chelsea wurde 1981 geboren.298 Clinton war ein u uler, der sich bei vielen Aktivit¨aten außer¨berdurchschnittlich guter Sch¨ halb des Unterrichts engagierte. So vertrat er z. B. 1963 den Staat Arkansas bei Boy’s ” Nation“, einem F¨ uhrungskr¨aftetraining, in Washington. Bei einem Besuch im Weißen Haus sch¨ uttelte ihm Pr¨asident Kennedy die Hand und von diesem Moment an, soll er von einer politischen Karriere u ¨berzeugt gewesen sein.299 1968 graduierte Bill Clinton an der Georgetown University, in Washington D.C., in International Relations. W¨ahrend seines Studiums arbeitete er stundenweise f¨ ur Senator Fulbright aus Arkansas. Anschließend studierte er als Rhodes-Stipendiat zwei Jahre an der Universit¨at in Oxford, Großbritannien. An der juridischen Fakult¨at der University of Yale erhielt Clinton 1973 seinen Master. Danach kehrte 298 299

Vgl. Clinton/Gore, Weil es um die Menschen geht2 , S. 226 f. Vgl. MultiEducator Inc., http://www.multied.com/bio/presidents/clinton.html oder vgl. auch Allen/Portis, Bill Clinton: Eine Bibliographie2 , S. 16.

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Clinton nach Arkansas zur¨ uck, wo er auch kurzfristig an der Law School der University of ” Arkansas“ in Fayetteville Recht lehrte.300 Politische Laufbahn Politisch begann Clintons Laufbahn im Jahre 1974 mit einer Kandidatur f¨ ur den Kongress. Allerdings blieb diese mit 48,5 % der Stimmen erfolglos. Zwei Jahre sp¨ater wurde er aber bereits zum Justizminister (= state attorney general) von Arkansas ernannt. 1978 konnte sich Clinton gegen vier weitere Mitstreiter durchsetzen und wurde als demokratischen Kandidaten f¨ ur die Wahl des Gouverneurs aufgestellt, die er gewann. Somit wurde er 1979 zum j¨ ungsten Gouverneur Amerikas seit 1938. Nach zweij¨ahriger Amtszeit verlor er 1980 sein Amt, wurde allerdings bereits 1982 wiedergew¨ahlt und war dann bis zu seiner Pr¨asidentschaft der Vereinigten Staaten im Amt.301 Insgesamt wurde er also f¨ unfmal gew¨ahlt, was ihn bis dahin zum Gouverneur mit der l¨angsten Amtszeit Amerikas machte.302 Dies zeigt sein politisches Talent und Ausdauer und Z¨ahigkeit trotz anf¨anglicher R¨ uckschl¨age. Obwohl Arkansas zu den ¨armsten Bundesstaaten der USA z¨ahlte und noch immer z¨ahlt, schaffte es Clinton als Gouverneur von Arkansas den Staat zu einem Modellstaat umzubauen. Die Tabelle 6 macht die vergleichsweise schlechte Position dieses Bundesstaates im historischen Ablauf anhand der Arbeitslosenzahlen deutlich. Zur¨ uckzuf¨ uhren ist dies insbesondere auf innerstaatliche Strukturprobleme. Mit Ausnahme von 1980 war die Arbeitslosigkeit immer h¨oher als im landesweiten Durchschnitt und erst in den 90er Jahren besserte sich die Situation zunehmend. W¨ahrend der Amtszeit Clintons als Gouverneur kletterte Arkansas von Platz 49 auf Platz 47 in der Einkommensstatistik hoch.303 Es gelang innerhalb seiner Amtszeit, neue Arbeitspl¨atze zu schaffen, das Schulwesen zu verbessern und mehr Unterst¨ utzung f¨ ur Familien anzubieten, womit eine bessere Basis f¨ ur die Zukunft Arkansas geschaffen wurde. Clintons vordringlichste Anliegen und Erfolge waren eine umfassende Bildungsreform (1983)304 und zwei Jahre sp¨ater die Offenlegung von Spendengeldern durch professionelle Lobbyisten, die er mit Hilfe einer B¨ urgerinitiative durchsetzte. 1989 und 1991 stimmte er als Bef¨ urworter des Brady-Gesetzesantrag (gesetzliche Wartefrist f¨ ur den Kauf von Handfeuerwaffen) gegen ein von der Waffenlobby (NRA) unterst¨ utztes Gesetz.305 Sich mit der NRA anzulegen, beweist Mut und Durchsetzungsf¨ahigkeit 300

Vgl. Clinton/Gore, Weil es um die Menschen geht2 , S. 226. Vgl. Clinton/Gore, Weil es um die Menschen geht2 , S. 226 f. oder siehe auch Felken, in: Heideking: Die amerikanischen Pr¨asidenten, S. 412 f. 302 Vgl. Clinton/Gore, Weil es um die Menschen geht2 , S. 219. 303 Vgl. Felken, in: Heideking: Die amerikanischen Pr¨asidenten, S. 413. 304 N¨aheres zu den Ver¨ anderungen im Bildungswesen, wie zum Beispiel die Einf¨ uhrung der National Teacher ” Examination“, finden sich bei Allen/Portis, Bill Clinton: Eine Bibliographie 2 , S. 82 ff. und S. 119 ff. 305 2 Vgl. Clinton/Gore, Weil es um die Menschen geht , S. 219 ff. 301

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Besch¨ aftigungsentwicklung in Arkansas im Vergleich zur USA 1960 bis 1995 Arbeitslosigkeit in Prozent Arkansas Vereinigte Staaten gesamt Arbeitskr¨ afte in Tausend Arkansas Vereinigte Staaten gesamt

1960

1970

1980

1990

1995

6,0 5,5

5,7 4,9

6,9 7,1

7,0 5,6

4,9 5,6

565 67 990

689 79 802

941 104 120

1 114 125 839

1 204 132 214

Tabelle 6: Besch¨aftigungsentwicklung in Arkansas“ ” Quelle: Zusammengefasst aus Sautter , Die Vereinigten Staaten: Daten, Fakten, Dokumente, S. 131 ff. auch unpopul¨are oder unangenehme Themen aktiv zu behandeln, denn NRA ist einerseits ein wichtiger Geldgeber f¨ ur Wahlk¨ampfe und andererseits ist Waffenbesitz ein Ausdruck f¨ ur individuelle Freiheit und wird daher als unanfechtbares Grundrecht gesehen. Der 3. Oktober 1991 war ein weiterer Meilenstein in Clintons politischer Karriere, denn er gab seine Kandidatur zur Pr¨asidentschaft in Little Rock bekannt.306 Er positionierte sich als New Democrat“, einer der einen effizienten Pragmatismus propagierte. Im Gegensatz ” zu seinem republikanischen Herausforderer George Bush Sen., bezogen sich Clintons Wahlkampfthemen auf die Innenpolitik. Sein Schlagwort war Change“, Wandel verkn¨ upft mit ” einem Neubeginn.307 Dabei fungierte die Wirtschaft als Hauptthema Clintons, wovon er auch schließlich kr¨aftig profitierte,308 denn Anfang der 90er Jahre war die Wirtschaft in einer Rezession, die Budget- und Handelsdefizite stiegen kr¨aftig an und viele Angestellte und Arbeiter verloren ihre Jobs,309 wof¨ ur der amtierende Pr¨asident Bush verantwortlich gemacht wurde. Die vorherrschende Angst der Bev¨olkerung um ihre wirschaftliche Zukunft, lieferte einen fruchtbaren Boden f¨ ur die Versprechungen Clintons. Er stellte Steuererleichterungen in Aussicht, wollte die Wirtschaft ankurbeln und vertrat soziale Themen, wie Reformen im Gesundheits- und Bildungswesen.310 Dar¨ uber hinaus lieferte Clinton bereits in seinem Wahlkampfprogramm eine klare Zusage f¨ ur 306

Clintons Rede zur Ank¨ undigung seiner Pr¨asidentschaftskandidatur ist in Clinton/Gore, Weil es um die Menschen geht2 , S. 233 - 246 zu finden. Die Rede zur Ank¨ undigung der Vizepr¨asidentschaftskandidatur Al Gores befindet sich im Anschluss daran. 307 Vgl. Sch¨ afer , Die Pr¨ asidenten der USA: Von George Washington bis Bill Clinton, S. 414. 308 Vgl. Wayne, The Road to the White House 1996, S. 281. 309 Siehe dazu die Tabelle 3 im Kapitel 3.4. 310 Vgl. Felken, in: Heideking: Die amerikanischen Pr¨asidenten, S. 414. Die wesentlichen programmatischen Unterschiede zwischen Demokraten und Republikanern im Wahlkampf von 1992 finden sich bei Polsby/Wildavsky, Presidential Elections: Strategies and Structures of American Politics9 , S. 301 - 304 wieder.

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die Notwendigkeit der Reformen des ¨offentlichen Sektors, indem er eine ...nach unterneh” merischen Gesichtspuntken organisierte Regierung, die die B¨ urger und die Kommunen in die Lage versetzt, unser Land von Grund auf zu erneuern“ 311 forderte. Um dies auch tats¨achlich durchzusetzen, schlug er im Wahlkampf folgende Maßnahmen vor: Personalabbau im Weißen Haus und in der B¨ urokratie, Eind¨ammung der staatlichen Verschwendung, insbesondere von verschwenderischen Subventionsprogrammen, ein Vetorecht gegen jeden einzelnen Punkt, der in einer Gesetzesvorlage enthalten ist, das sog. Line Item Veto312 und vieles mehr.313 All diese Maßnahmen, subsumiert unter dem Terminus Reinventing Government“ 314 unterstrichen ” die Identifikation Clintons als neuer Demokrat, der weder die Verwaltung eliminieren wollte, wie dies von konservativen Republikanern gefordert wurde, noch am u ¨berlieferten Vertrauen in b¨ urokratische Verwaltungseinrichtungen festhielt, wie traditionelle Demokraten. 315 1992 wurde er zum 42. Pr¨asidenten der Vereinigten Staaten gew¨ahlt und setzte sich gegen seine Herausforderer Bush und Perot durch. Wie Tabelle 7 zeigt, gewann 1992 kein Kandidat die absolute Mehrheit. Clinton konnte jedoch mit 43,3 % der W¨ahlerstimmen und mehr als zwei Drittel der Wahlm¨annerstimmen die Wahl f¨ ur sich entscheiden.316 Zu Clintons Unterst¨ utzern z¨ahlten neben den traditionell demokratischen W¨ahlern vor allem Frauen, Juden, Afro-Amerikaner und Hispanics, sowie Personen mit geringeren Einkommen und niedrigerer Bildung.317 Er gewann die Wahl gegen George Bush, weil er den Schwerpunkt auf innerstaatliche Politik legte.318 Positiv auf die Pr¨asidentschaft mag auch das junge Alter und die dynamische Energie des Ehepaars Clinton gewirkt haben, im Vergleich zu George Bush und dessen Frau Barbara.319 Als Besonderheit k¨onnen im Wahlgang von 1992 die nahezu 20 % der Stimmen f¨ ur den unabh¨angigen Kandidaten Perot gewertet werden. Seine Anh¨anger – vorwiegend parteiun311

Clinton/Gore, Weil es um die Menschen geht2 , S. 39. Per Entscheid des Obersten Gerichtshofes bekam Clinton 1998 gegen New York City Recht, indem dieser den Line Item Veto Act von 1996 f¨ ur verfassungswidrig erkl¨arte. Vgl. Sautter , Die Vereinigten Staaten: Daten, Fakten, Dokumente, S. 98. 313 Vgl. Clinton/Gore, Weil es um die Menschen geht2 , S. 40 ff. 314 F¨ ur diese Wortsch¨ opfung stand der Titel des Bestsellers von David Osborne und Ted Gaebler Pate, wobei hier auf den Begriff Reinventing Corporations“, der in den sp¨aten 80er Jahren im Managementconsulting ” mond¨an wurde, zur¨ uckgegriffen wurde. 315 Kelman, http://www.ksg.harvard.edu/innovations/occasional/kelman.pdf, S. 3. 316 Vgl. Smithonian National Museum of American History, http://americanhistory.si.edu/presidency/ timeline/pres era/3 702.html. Bei der Wahl im Jahre 1996 konnte Clinton seine Best¨atigung durch das Volk sogar ausbauen, obwohl eine niedrigere Wahlbeteiligung zu verzeichnen war. Vgl. Wattenberg, The Decline of American Political Parties, 1952 - 1996 erweiterte , S. 217 - 242. 317 Vgl. Wayne, The Road to the White House 1996, S. 281. Siehe dazu die Ausf¨ uhrungen u ¨ber die ethnische Zugeh¨origkeit und Wahlverhalten im Kapitel 4.6.1. 318 Vgl. MultiEducator Inc., http://www.multied.com/bio/presidents/clinton.html oder auch Richter , Clinton: Was Amerika und Europa erwartet, S. 17 ff. 319 Vgl. Mehnert, in: Gassert/Mauch: Mrs. Pr¨asident, S. 276. 312

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Wahlergebnisse der Pr¨ asidentschaftswahlen 1992 und 1996 Kandidaten

Partei

Anzahl der Wahlm¨ annerstimmen

Wahlm¨annerstimmen in Prozent

Anzahl der W¨ahlerstimmen

W¨ahlerstimmen in Prozent

Wahlbeteiligung in Prozent

370 168 Keine

68,8 % 31,2 % Keine

44 908 889 39 104 545 19 742 267

43,3 % 37,7 % 19,0 %

55,0 %

379 159 Keine

70,5 % 29,5 % Keine

47 402 357 39 198 755 8 085 402

50,1 % 41,4 % 8,5 %

49,0 %

1992 Bill Clinton George Bush Ross Perot

Dem. Rep. Unabh.

1996 Bill Clinton Robert Dole Ross Perot

Dem. Rep. Unabh.

Tabelle 7: Wahlergebnisse der Pr¨asidentschaftswahlen 1992 und 1996“ ” Quelle: Auszugsweise aus Sautter , Die Vereinigten Staaten: Daten, Fakten, Dokumente, S.14 abh¨angige und j¨ ungere M¨anner – k¨onnen als Protestw¨ahler eingestuft werden, die mit der Politik an sich und den Politikern unzufrieden waren, ohne sich einer ideologischen oder programmatischen Richtung zuzuordnen. Bushw¨ahler sprach Perot durch seine Wirtschaftspolitik (insbesondere durch die Sorge um das Budgetdefizit) an, w¨ahrend er bei W¨ahlerschichten, die typischerweise demokratisch w¨ahlen w¨ urden, durch seine sozialen und kulturellen Themen punktete. Obwohl Kandidaten einer dritten Partei in den USA historisch betrachtet immer Schwierigkeiten hatten, sprach f¨ ur Perot seine gute finanzielle Lage und die geringe Kritik seitens seiner Mitbewerber.320 Pr¨asident Clintons Regierungsorganisation und F¨ uhrungsstil w¨ahrend der ersten Phase erinnerten in manchem an Jimmy Carter, obwohl er sich selbst gerne mit J. F. Kennedy zu vergleichen pflegte. Als ein im Gesetzgebungsprozess detailversessener Pr¨asident, unterst¨ utzt von einem schwachen Stabschef, seinem Jugendfreund Thomas McLarty, tat sich Clinton mit der Koordinierung und Steuerung politischen Handelns schwer. Mit der Ernennung des durchsetzungsf¨ahigen Budgetdirektors Leon Panetta – ein ehemaliger f¨ uhrender Kongressabgeordneter – zum Stabschef, ¨anderte sich dies zum Besseren.321 Innerhalb der ersten zwei Jahre im Amt fiel Clinton durch einen außergew¨ohnlichen Tatendrang auf, allerdings mit nicht immer eindeutigen Erfolgen. Die Beurteilungen seiner Amtszeit sind vielf¨altig und in der Literatur finden sich beide Extreme: heiße Verehrung und u ¨berschwengliche Lobeshymnen, ebenso wie eine Schwarzmalerei, die kein gutes Haar an seiner Pr¨asidentschaft l¨asst. 320 321

Vgl. Mayer , in: Jones: The New American Politics, S.32 f. Seine Schwierigkeiten der ersten 100 Tage im Amt, der Wechsel von Wahlkampf zum Regieren, werden bei Follath, in: Follath: Bill Clinton: Vom Vorbild zum Verlierer? untersucht.

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Wie so oft, wird auch hier die Wahrheit zwischen diesen Polen liegen.322 Ebenso wie Clintons F¨ uhrungsstil stand auch sein Charakter immer wieder zur Debatte. So stellte Richter, in Anspielung auf die ihm nachgesagten Entscheidungslosigkeit, die provokante Frage, ob seine Herkunft aus einem zerr¨ utteten Elternhaus ein Hinweis darauf sein k¨onnte, es allen recht machen zu wollen und schließlich doch nichts zu erreichen?323 W¨ahrend der Pr¨asidentschaftswahl von 1992 wurde eine fr¨ uhere Beziehung zu Gennifer Flowers Diskussionspunkt, die ihm beinahe die Kandidatur gekostet h¨atte. Sp¨ater sorgten die undurchsichtigen Immobiliengesch¨afte der Clintons – bekannt geworden unter dem Schlagwort White” water“ – sowie die weiteren außerehelichen Affairen des Pr¨asidenten324 f¨ ur innerpolitischen Sprengstoff und wirkten sich negativ auf die moralische Autorit¨at325 des Pr¨asidenten aus. Trotz aller Kritik, haben Clintons wichtigste Werte – Gemeinschaftsf¨oderung, M¨oglichkeiten schaffen und Verantwortung einfordern – zu einem nie zuvor da gewesenen Fortschritt Amerikas gef¨ uhrt. Zu seinen Verdiensten als Pr¨asident z¨ahlen ein Budget¨ uberschuss, die Schaffung von mehr als 22 Millionen Arbeitspl¨atzen, niedrige Quoten bei Arbeitslosigkeit, Armut und Kriminalit¨at und die h¨ochste Eigenhausbesitzerrate der Geschichte.326 Als wichtigste St¨ utzen des Pr¨asidenten galten der Vizepr¨asident Al Gore und die First Lady Hillary Rodham Clinton.327 Clinton setzte seine Frau an die Spitze einer interministeriellen Arbeitsgruppe, die ein umfassendes Gesetzgebungsprogramm zur Gesundheitsreform konzipieren sollte.328 Sie war in der Rolle als Chair of the Task Force on National Health Care ” Reform“, die sie w¨ahrend der ersten Amtszeit einnahm, sehr umstritten. Zudem wurden die ehrgeizigen Reformen abgelehnt, f¨ ur dessen Scheitern sie verantwortlich gemacht wurde.329 322

Dem interessierten Leser sollten einige Literaturquellen zur weiteren Vertiefung und f¨ ur die Beurteilung dienen. Vgl. Burns/Sorenson, Dead center: Clinton-Gore leadership and the perils of moderation, S. 122 oder Wayne, in: Rozell/Wilcox: The Clinton Scandal oder Edwards III , in: Shull: Presidential Policymaking, S. 128, mit einer Beurteilung beider Amtszeiten. Sehr scharfe Kritik findet sich im republikanischen Magazin o.V., in: New Republic: The Gerund Gap aber auch Pfiffner , in: Rozell/Wilcox: The Clinton Scandal, spart nicht mit Kritik. 323 Vgl. Richter , Clinton: Was Amerika und Europa erwartet, S. 27 f. 324 Eine ausf¨ uhrliche Abhandlung der Lewinsky-Aff¨are und ihrer Auswirkungen sowie die Anklage zur Amtsenthebung beschreibt Posner , An affair of state: the investigation, impeachment and trial of President Clinton1 oder siehe auch Pelinka, in: Pelinka: Jagd auf Clinton, S.7 ff. In Rozell/Wilcox , in: Rozell/Wilcox: The Clinton Scandal, wird die skandalgesch¨ uttelte zweite Amtszeit des Pr¨asidenten analysiert und Clintons Charakter genau unter die Lupe genommen. 325 Gerade in den Vereinigten Staaten spielen Moral und Religion immer noch eine bedeutende Rolle im uhrungen im Kapitel 3.2. ¨offentlichen Leben. Siehe dazu die Ausf¨ 326 Vgl. Talar Forum, http://www.talarforum.se/clinton/cv.html. 327 Eine umfangreiche und kritische Darstellung der Rolle(n) und Wandlungsf¨ahigkeit bis hin zu grenzenlosem ” Opportunismus“ dieser Pr¨ asidentengattin wird von Mehnert, in: Gassert/Mauch: Mrs. Pr¨asident geboten. 328 J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 150. 329 MultiEducator Inc., http://www.multied.com/bio/ladies/Clinton.html.

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Danach zog sich Hillary weitgehend aus der Regierungspolitik zur¨ uck. Erst durch die Affairen ihres Mannes erschien sie wieder im Rampenlicht. 1999 machte sie durch ihre Kandidatur f¨ ur die Senatswahlen in New York auf sich aufmerksam.330 Seine zweite wichtige St¨ utze war Vizepr¨asident Gore, der mit ihm Seite an Seite die Geschicke der Vereinigten Staaten lenkte. Sein Werdegang wird im Folgenden nachgezeichnet. 5.1.2

Albert Gore

Al Gore wurde am 31. M¨arz 1948 als Sohn des ehemaligen US-Senator Albert Gore sen. und seiner Frau Pauline Gore geboren. Er wuchs in Carthage, Tennessee und Washington, D.C. auf. Er ist mit Mary Elizabeth Aitcheson Tipper“ verheiratet. Gemeinsam haben sie drei ” T¨ochter - Karenna, Kristin und Sarah - und einen Sohn, Albert III. Die Familie wohnt auf einer Farm in der N¨ahe von Carthage.331 Gore graduiert 1969 an der Harvard University in Politologie. Anschließend leistete er freiwillig Milit¨ardienst im Vietnam. Danach begann er in Nashville f¨ ur die Zeitung The Tennessean als Reporter zu arbeiten. Er studierte an der juridischen und theologischen Fakult¨at der Vanderbilt University. Nach seinem Abschluss leitete er ein mittelst¨andisches Bauunternehmen. Politische Laufbahn Als Al Gore von Bill Clinton als sein running mate“ zur Vizepr¨asidentschaft f¨ ur die De” mokraten vorgeschlagen wurde, war er bereits seit 16 Jahren in Repr¨asentantenhaus (1977 1985) und Senat (1985 - 1993) als Vertreter der B¨ urger von Tennessee im Einsatz.332 Als Senator in Washington hat er sich den Ruf eines kompetenten Verteidigungs-, Umwelt¨ und Technologieexperten erworben.333 So hat er sich in dieser Zeit besonders f¨ ur eine Okologisierung der Wirtschaft eingesetzt. Eines seiner Konzepte f¨ ur die R¨ ustungskontrolle wurde zum zentralen Bestandteil der START-Verhandlungen. Und bez¨ uglich Technologie galt sein Bem¨ uhen dem Aufbau eines neuen nationalen Netzes von Informations- Superhighways“. ” Der daraus resultierende Gesetzesentwurf High Performance Computing Act“ aus 1991 ” wurde zu einem wichtigen Schritt f¨ ur die Sicherung der Wettbewerbsf¨ahigkeit Amerikas auf den zuk¨ unftigen internationalen M¨arkten. Seine F¨ uhrungsqualit¨aten stellte er besonders in Gesundheitsfragen unter Beweis, wo er sich auch erfolgreich f¨ ur kritische Bereiche engagierte. Ein weiteres Anliegen Gores sind Familien und Verbraucher. Familien mit mittlerem Einkommen erfuhren echte Steuererleichertungen und zum Schutz der Verbraucher f¨ uhrte 330

Vgl. Vgl. 332 Vgl. 333 Vgl. 331

Mehnert, in: Gassert/Mauch: Mrs. Pr¨asident, S. 282. Clinton/Gore, Weil es um die Menschen geht2 , S. 231 f. Clinton/Gore, Weil es um die Menschen geht2 , S. 227. J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 161 f.

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er Untersuchungen in verschiedenen Branchen durch. Außenpolitisch hat sich Gore f¨ ur den Staat Israel stark gemacht. Er war ein Bef¨ urworter des Krieges gegen den Irak und machte auf die Leiden der Kurden aufmerksam. Dar¨ uber hinaus forderte er effektivere Maßnahmen, um die K¨ampfe im ehemaligen Jugoslawien zu beenden.334 Nach seiner erfolgreichen Laufbahn im Senat, nahm er am 16. Juli 1992 seine Kandidatur als Vizepr¨asident auf der Democratic National Convention (DNC) in New York an. Sein deklariertes Motiv war: I’m here because the country I love has a government that is failing our people ” ... I’m here to renew a journey our founders began more than 200 years ago. In my lifetime I have seen America’s ideals and dreams change the world. And I believe that now is the time to bring those ideals and dreams home, here, to change America.“ 335 Als 45. Vizepr¨asident trat er am 20. J¨anner 1993 sein Amt an. W¨ahrend der zwei folgenden Amtsperioden erlebte Amerika den l¨angsten Konjunkturaufschwung.336 Gores Einfluss auf die Personal- und Sachentscheidungen des Pr¨asidenten sollen weitreichend gewesen sein. Dar¨ uber hinaus war er federf¨ uhrend rund um die Verwaltungsmodernisierung mit der Erstellung eines National Performance Review“ zur Frage, wie die Regierung besser und billi” ger funktionieren k¨onnte.337 Der daraus resultierende Bericht Creating a Government that ” works better and costs less“ wird in weiteren Kapiteln dieser Arbeit eine zentrale Rolle spielen. Clinton lobt die außergew¨ohnliche Energie und Disziplin, die Hingabe und Qualit¨at der Bem¨ uhungen Gores in Bezug auf NPR. There’s nothing quite like it in the history of modern ” American Government, and it would not have happened had it not been for his leadership.“ 338

Nach dieser Darstellung, wer die Eliten sind und wie ihre Entscheidungsprozesse stattfinden, insbesondere u ¨ber Pr¨asident Clinton und Vizepr¨asident Gore, folgt nun die Wahrnehmung von Eliten u ¨ber Priorisierung und Machbarkeit von Reformen, denn dies ist ein weiterer wichtiger Faktor, in Bezug auf Reformen.

334

Vgl. Clinton/Gore, Weil es um die Menschen geht2 , S. 227 ff. Gore, in: Vital Speeches of the Day: Facing the Crisis of Spirit. 336 MultiEducator Inc., http://www.multied.com/elections/algore.html. 337 Vgl. J¨ ager , in: J¨ ager/Welz: Regierungssystem der USA, S. 161 f. 338 Clinton, in: Weekly Compilation of Presidential Documents: Remarks on the National Performance Review. 335

5 ELITEN

5.2

84

Wahrnehmung der Eliten

Menschliche Wahrnehmung und Kommunikation sind von vielen Faktoren und Fehlerquellen begleitet. Motivation, Interesse, Werthaltungen, physische und psychische Zust¨ande, Haloeffekte, Dissonanz und Attribution339 sind nur einige der Einfl¨ usse mit denen auch die politisch Verantwortlichen konfrontiert sind. Der Vollst¨andigkeit halber erw¨ahnt, sollen sie aber nicht Teil einer n¨aheren Erl¨auterung sein. Hier werden die Einflussfaktoren anhand von Abbildung 3 eine zentrale Rolle u ¨bernehmen. So u ¨ben sozio-¨okonomische Kr¨afte, insbesondere die nationale sozio-¨okonomische Politik, und das politische System mit all seinen Rollentr¨agern Einfluss auf die Wahrnehmung der politischen Eliten aus. Nat¨ urlich d¨ urfen bei einer derartigen Analyse eigenn¨ utzige Interessen der Verantwortungstr¨ager (z. B. Wiederwahl), ihre soziale Pr¨agung und ihre Werthaltungen nicht außer Acht gelassen werden. Gerade f¨ ur Reformen ist noch als weiterer Bereich, die R¨ uckkoppelung aus dem Implementierungsprozess bzw. die Evaluation von laufenden und abgeschlossenen Ver¨anderungen, zu nennen. Die Lerneffekte aus dem Feedback sind nicht zu untersch¨atzen, wobei auch aus Misserfolgen wertvolle Erkenntnisse gesch¨opft werden k¨onnen. Die Wahrnehmung der Eliten bezogen auf Verwaltungsreformen unterscheidet zwischen jenen, die w¨ unschenswert sind und jenen, die machbar sind. 5.2.1

Wahrnehmung der Eliten, was w¨ unschenswert sei

Wahrnehmung und daraus resultierende Reformw¨ unsche in der ¨offentlichen Verwaltung passieren nicht losgel¨ost von den historischen, politischen, kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen Gegebenheiten eines Landes. Und diese Bedingungen unterliegen selbst einem mehr oder weniger stetigen Wandel. Die allgemeinen Reformausl¨oser wurden im Kapitel 2.2 aufgelistet. Besonders hervorgehoben sei nochmals der Vertrauensverlust der Bev¨olkerung gegen¨ uber Wirtschaft, Gewerkschaften und Regierung, der seit Mitte der 60er Jahre zu beobachten ist. Er korreliert mit der schlechten ¨okonomischen Entwicklung, besonders mit Arbeitslosigkeit und Inflation. Die Kritik ist nicht gegen die Institutionen oder das System selbst gerichtet, sondern gegen die gegenw¨artigen Amtstr¨ager bzw. gegen deren als schlecht perzipierte Erf¨ ullung ihrer Aufgaben.340 339

F¨ ur allgemeine Ausf¨ uhrungen zur Kommunikation vgl. Gehm, Kommunikation im Beruf: Hintergr¨ unde, Hilfen, Strategien, S. 180 ff. oder siehe Watzlawick/Beavin/Jackson, Menschliche Kommunikation: Formen, St¨orungen, Paradoxien10 , insbesondere f¨ ur die m¨ oglichen Fehlerquellen. 340 Vgl. Lipset/Schneider , The Confidence Gap. Business, Labor, and Government in the Public Mind, S. 17, in: Miller/Miller/Schneider , American Election Studies Data Sourcebook, 1952 - 78, S. 257 - 259 in: Z¨ oller , in: Adams et al.: Die Vereinigten Staaten von Amerika2 , S. 321 f.

5 ELITEN

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Die ge¨anderten Bedingungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik schaffen die Vorausset¨ zungen f¨ ur das Offnen von Reformfenstern.341 Nicht in jedem Land ist jeder Aspekt gleich wichtig. Dies erkl¨art die verschiedenen Priorit¨aten und erlaubt unterschiedliche Wege und M¨oglichkeiten bzw. Reformziele.342 Traditionellerweise h¨angt die Wahrnehmung der Exekutive in den USA mit der Wahrnehmung der f¨ uhrenden Gruppen der Legislative zusammen. W¨ahrend es relativ einfach zu sein scheint, eine breite Zustimmung f¨ ur eine flexiblere, effizientere, kundenfreundlichere und koordiniertere Bundesregierung zu finden, ist es viel schwieriger, eine breite Koalition zur Unterst¨ utzung eines spezifischen und konkreten Maßnahmenpakets zu bilden. So sah beispielsweise Volcker Ende der 80er Jahre Anzeichen f¨ ur einen regelrechten Kollaps der Moral in der Bundesverwaltung, was f¨ ur die neue Clinton Administration eine gute Basis bildete, f¨ ur einen neuen Reformversuch Unterst¨ utzung zu finden.343 Allerdings muss vor u ¨berzogenen Erwartungen gewarnt werden, denn was zwar kulturell w¨ unschenswert und auch technisch m¨oglich w¨are, kann an ¨okonomischen Restriktionen oder konservativen Kr¨aften scheitern, die Reformen verhindern. Das f¨ uhrt dazu, dass Reformvorschl¨age meist moderater ausfallen als die tats¨achlichen W¨ unsche, um ihre Akzeptanz zu gew¨ahrleisten.344 5.2.2

Wahrnehmung der Eliten, was machbar ist

Obwohl die Machbarkeit hier f¨ ur Reformen im ¨offentlichen Management kurz beleuchtet wird, haben die zentrale Faktoren auch allgemeine G¨ ultigkeit. Im Vorfeld von Reformen m¨ ussen ¨ gewisse Rahmenbedingungen abgekl¨art werden. Wenn gesetzliche Anderungen notwendig sind, dann sind, wie bereits im Kapitel 4 eingehend ausgef¨ uhrt, Legislative und Exekutive gefordert, trotz Spannungen und Konkurrenz den notwendigen gesetzgebenden Rahmen zu schaffen. Es m¨ ussen Fragen • der Finanzierung (Anschaffungskosten, Folgekosten, Sponsoring, Zustimmung durch Kongress, externe Geldgeber, interne Finanzierungsm¨oglichkeiten etc.), • des Personals (Qualifizierung, Schulung, Anzahl, Fluktuation, Motivation, etc.), • der zeitlichen Dauer (langfristig vs. kursfristige Reformen), 341

Neisser/Meyer/Hammerschmid , in: Neisser/Hammerschmid: Die innovative Verwaltung 18 , S.21 ff. Wie bereits an anderer Stelle hingewiesen, ist gerade diese Flexibilit¨at eines der wesentlichen Merkmale des New Public Management. 343 Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 280. 344 Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 25.

342

5 ELITEN

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• der Organisation (Pilotversuche, von oben nach unten, von unten nach oben, Gesamteinf¨ uhrung etc.), • der Ergebniskontrolle (Evaluationen, Abbruch oder Fortsetzung etc.), • der Verantwortlichkeiten (wer, wann, wie, was etc.), und vieles mehr diskutiert werden. Da in vielen F¨allen finanzielle Zuwendungen notwendig sind, vergr¨oßert sich die Abh¨angigkeit vom Repr¨asentantenhaus, dem die Kompetenz der finanziellen Ausstattung der Exekutive zuf¨allt (siehe Kapitel 4.2). Unter dem großen Budgetdefizit Anfang der 90er Jahre waren Einsparungen also von h¨oherer Priorit¨at als Reformen, die zu Ausgaben f¨ uhrten. Allerdings bringen bereits Planung, Schulung von Personal, Einsatz von IT usw., die Teil der Ver¨anderungen sein sollten, erhebliche Kosten mit sich. Ebenfalls obliegt auch die Organisationsgewalt dem Kongress, was Strukturreformen potenziell erschwert. Vielfach sind rasch vorzeigbare Ergebnisse Bedingung, um bei den W¨ahlern und den Financiers der Wahlk¨ampfe entsprechend zu punkten und damit die Wiederwahl zu sichern, damit u ¨ber einen l¨angeren Zeitraum die selben Priorit¨aten verfolgt werden k¨onnen. Auf die Schwierigkeiten in der Entscheidungsfindung und Politikgestaltung wurde bereits mehrfach hingewiesen, denn im amerikanischen System ist dies sehr komplex, oft m¨ uhsam und langwierig. Aber nicht immer h¨angt die Durchf¨ uhrbarkeit von der Laune“ des Kon” gresses und des amtierenden Pr¨asidenten ab. Zus¨atzlich k¨onnen kognitive Einschr¨ankungen, kontr¨are Handlungen, politisch-adminstrative Hindernisse und unvorhersehbare Entwicklungen die Reformpl¨ane beeinflussen, was die Entscheidungsf¨ahigkeit der Eliten limitiert.345 Zu letzterem werden kurz einige Beispiele f¨ ur die Vereinigten Staaten genannt. Ver¨ anderung durch besondere Anl¨ asse In den USA gab es in den letzten zwei Jahrzehnten einige Beispiele daf¨ ur, wo außerordentliche Ereignisse, zumeist Katastrophen, zu Ver¨anderungen in der f¨oderalen Verwaltung f¨ uhrten. Dazu z¨ahlt die Challenger Space Shuttle Explosion von 1986, die enorme Auswirkungen auf die National Aeronautics and Space Administration (NASA) hatte oder das Bombenattentat von 1994 in Oklahoma City, das Ausdruck f¨ ur den tiefen Hass von politisch rechtsgerichteten Gruppierungen gegen¨ uber Bundesbeh¨orden war.346 Der 11. September 2001 muss ebenso in diese Serie gereiht werden. Es folgte ein straffer Kurswechsel seitens der Regierung hin zu enormen Ausgaben f¨ ur Verteidigung und Terrorbek¨ampfung, der bis dahin zwar geplant aber mit diesem Ereignis auch durch weite Teile der Bev¨olkerung legitimiert wurde. 345 346

Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 27. Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 280 f.

5 ELITEN 5.2.3

87

Bisherige Verwaltungsreformen

Reformwille und das was tats¨achlich an Reformen machbar ist, dr¨ uckte sich in der kontinuierliche Suche nach Verbesserung und den vielen Reformsch¨ uben im Laufe der Zeit aus. Carroll fasste dies treffend zusammen. If there is a constant in American public administration, it is the search for ” change. Every president in this century has sought in some way to reorganize or reform federal administration or the civil service.“ 347 ¨ Hier soll nun ein Uberblick u ¨ber die Reformen im Regierungs- und Verwaltungssystem der Vereinigten Staaten gegeben werden, denn schließlich sind sie Vorreiter - wenn auch nicht immer erfolgreich - f¨ ur die Reformen unter Clinton und Gore. Dar¨ uber hinaus kann ein historisches Verst¨andnis helfen, die aktuellen Ver¨anderungen besser zu verstehen im Hinblick auf Ausl¨oser, Umfang, Widerst¨ande und Widerspr¨ uchlichkeiten, Geschwindigkeit, Erfolgsund Misserfolgsfaktoren sowie Nachwirkungen. Wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln ausgef¨ uhrt, sind dabei politisches Klima, budget¨are Situation, Verh¨altnis von Kongress und Pr¨asident usw. im Hinterkopf zu behalten (siehe Abbildung 2.6. Zuvor aber allgemeine Ausf¨ uhrungen u ¨ber Reformwellen, die die Grundphilosophie einer Zeit (vgl. dazu Kapitel 3.4.2 ) skizzieren. Reformwellen allgemein Die Einteilung der Reformwellen orientiert sich an Lights Tides of Reform“, um den un” terschiedlichen Fokus in verschiedenen Zeiten deutlich macht. Reine Formen kommen selten vor und meist sind auch Elemente der anderen Reformphilosophien zu finden. Obwohl Light seine Gliederung erst ab 1945 anwendet, kann diese Einteilung auch in eingeschr¨anktem Aus¨ maß auf fr¨ uhere Epochen angewandt werden. Tabelle 8 zeigt zun¨achst einen Uberblick u ¨ber die Reformwellen und ihrer Charakteristika. Als erste Reformwelle fasst Light Reformen zusammen, die besonders durch das wissenschaftliche Management (Scientific Management)348 gepr¨agt wurden. Der Hauptinitiator ist der Pr¨asident selbst und ihr H¨ohepunkt war in den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Ihr wichtigstes Anliegen ist die Verbesserung der Effizienz. Erreicht wird dies 347

Carroll , in: Public Administration Review : Introduction - Forum Reinventing“ Public Administration, S. ” 245. 348 ¨ erst mit den wissenschaftlichen Arbeiten von Frederick Taylor, der Streng genommen, beginnt diese Ara Managementprinzipien formuliert. Vgl. dazu Light, The Tides of Reform, S. 22. Allerdings k¨ onnen Ansatzpunkte und Ideen auch schon fr¨ uher identifiziert werden.

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5 ELITEN

Reformwellen mit unterschiedlichen Schwerpunkten Wissenschaftl. Management

Kampf der Verschwendung

¨ Uberwachung

Befreiung von Zw¨ angen

Vertrauen

Misstrauen

Misstrauen

Vertrauen

Ziele

Effizienz

Wirtschaftlichkeit

Fairness

Performance

Initiator

Pr¨asident

Kongress

Kongress Gerichte

Pr¨asident

Beteiligte

Experten

Inspektoren Medien

Lobbyisten ¨ Offentlichkeit

Beamte Teams

Spezialisierung Koordination

Buchhaltung Revision

Transparenz

Wettbewerb Deregulierung

Regeln Struktur

Ergebnisse der Untersuchungen

Information

Evaluationsergebnisse

Zeitgeist

Input

Output

Tabelle 8: Reformwellen“ ” Quelle: Zusammengefasst aus Light, The Tides of Reform, S. 17 - 43 durch Spezialisierung und Koordination die klare Strukturen und Regeln schaffen. Arbeitsteilung ist nach diesem Ansatz schon alleine durch die Beschr¨ankungen von menschlicher Natur, Zeit und Raum bedingt. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Koordination, die durch kurze Kontrollspannen und die Einheit der Befehlsketten erreicht werden soll. Dies f¨ uhrt allerdings zu einem Ausbau der Hierarchie.349 Der Kampf der Verschwendung (War on Waste) ist eine der ¨altesten Philosophien. Wirtschaftlichkeit ist das oberste Gebot, das Betrug, Verschwendung und Missbrauch einschr¨anken soll. Budgetk¨ urzungen und Kostenreduktion wurden daher zum wichtigsten Verkaufsargument“ von Reformen, was die Rolle ” des Kongresse st¨arker betont. Meist geht dieses Streben nach Wirtschaftlichkeit auch mit verbesserter Effizienz einher. Zur Verwirklichung der Ziele werden alle Praktiken rund um die Buchf¨ uhrung verwendet, insbesondere Revision, Monitoring und gezielte Untersuchun¨ gen. Dies l¨asst zus¨atzliche Hierarchieebenen entstehen. Uberwachung (Watchful Eye) m¨ochte mit mehr Offenheit und Transparenz die Gerechtigkeit und Fairness in der Verwal¨ tung f¨ordern. Die Offentlichkeit hat Zugang zu Informationen u ¨ber die Regierungst¨atigkeit, wodurch Kontrolle von außen erm¨oglicht wird. Kongress und Gerichte sind haupts¨achlich f¨ ur die Umsetzung zust¨andig. Als vierte Welle definiert Light die Befreiung von Zw¨ angen 349

Vgl. Light, The Tides of Reform, S. 21 f.

5 ELITEN

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(Liberation Management), das gunds¨atzlich Vertrauen in das Verwaltungspersonal hat, sie aber in schlechten System gefangen sieht. Der Pr¨asident ist wiederum Ausgangspunkt unter Mitwirkung der Angestellten an der Basis mit direktem Kundenkontakt. Zus¨atzlich spielen Evaluatoren eine wichtige Rolle, um gesteigerte Leistungen - das Ziel dieser Philosophie - zu erreichen. Wettbewerb, Dezentralisierung, weniger Vorschriften und Evaluation sollen gr¨oßere Flexibilit¨at, Harmonie unter den Angestellten und gr¨oßere Kundenfreundlichkeit bringen. Nach dieser allgemeinen Einteilung von Reformschwerpunkten wird die Geschichte der amerikanischen Verwaltung chronologisch beschrieben. Vorweg sollte noch jedem Leser ins Bewusstsein gerufen werden, dass Managementreformen (insbesondere jene, die die Bundesebene betreffen) keine einfache Aufgabe darstellen und bedeutende Investitionen an Zeit und Ressourcen erfordern.350 Erfolg oder Misserfolg l¨asst sich daher auch nicht immer sofort feststellen. Von den Anf¨ angen bis zum Pendleton Civil Service Act Seit Beginn der amerikanischen Republik gab es Reformbestrebungen der Regierung. Thomas Jefferson (3. Pr¨asident von 1801 bis 1809) trat als erster Reformer auf und vertrat eine Regierung, die besser arbeitet und weniger kostet, nur wenige Steuern einhebt und alle Schulden fristgerecht tilgt und wirtschaftlich mit den ¨offentlichen Geldern haush¨alt.351 Seine Reformrichtung k¨onnte in War on Waste und Liberation Management eingeordnet werden. Dennoch hielt die Praxis seiner Rhetorik nicht stand, was f¨ ur Andrew Jackson (7. Pr¨asident von 1829 bis 1837) den Weg bahnte. Er zeichnete f¨ ur weitreichende, jedoch unzusammenh¨angende und schlecht geplante Reorganisationen verantwortlich, worin er die L¨osung ¨ zu Effizienz und Effektivit¨at sah. Seine Ansichten zu Uberwachung und moralischer Reinheit k¨onnen als eine Gegenreaktion zu Jefferson verstanden werden und vergr¨oßerten die B¨ urokratie.352 Bekannt wurde Jackson f¨ ur die Einf¨ uhrung des Spoils System“. Damit ” beabsichtigte Jackson eine breitere Repr¨asentation der soziodemographischen Verteilung, indem der einfache Mann von der Straße“ f¨ ur den ¨offentlichen Dienst angeworben wurde. Ein ” Rotationsverfahren der Posten sollte zudem die Demokratie und die Responsivit¨at steigern. Trotz guter Absichten f¨orderte dieses Patronagesystem die Korruption.353 350

Vgl. General Accounting Office, Reinventing Government: Status of NPR Recommendations at 10 Federal Agencies; GAO/GGD-00-145, S. 5. 351 Vgl. Sch¨ afer , Die Pr¨ asidenten der USA: Von George Washington bis Bill Clinton, S. 43. 352 Vgl. Light, The Tides of Reform, S. 16 f. 353 Vgl. Sch¨ afer , Die Pr¨ asidenten der USA: Von George Washington bis Bill Clinton, S. 80 oder auch Farazmand , in: Farazmand: Modern Systems of Government, S. 54.

5 ELITEN

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Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wandte sich eine gesellschaftliche und politische Bewegung auf lokaler Ebene gegen den Missbrauch des Spoils Systems. W¨ahrend auf Lokalebene Pl¨ane f¨ ur die Bestellung und Schulung von professionellen City Managern erarbeitet wurden, folgte auf Bundesebene als Antwort auf die Schw¨achen des bisherigen Systems der Pendleton Civil Service Act von 1883. Damit f¨ uhrte Chester Alan Arthur (21. Pr¨asident von 1881 bis 1885) schriftliche Eignungspr¨ ufungen f¨ ur bestimmte Posten im ¨offentlichen Dienst ¨ und ein positionsabh¨angiges Verdienstsystem (Merit System) ein, was die Amterpatronage einschr¨ankte.354 Kickert vertritt die Meinung, dass in dieser Zeit die Wurzeln der amerikanischen ¨offentlichen Verwaltung gefunden werden355 oder wie Farazmand es ausdr¨ uckt, die Professionalisierung der B¨ urokratie begonnen hat.356 Progressive Era bis New Deal Es folgte die Progressive Era“. Diese Zeit setzte um die Jahrhundertwende ein und dauer” te bis etwa 1925 an. Sie war gepr¨agt vom Glauben an die F¨ahigkeit der B¨ urger, politische Entscheidungen zu treffen und die Regierung durch die Wahlen kontrollieren zu k¨onnen. W¨ahrend den B¨ urgern Vertrauen entgegengebracht wurde, misstraute der Progressivismus den Interessenorganisationen und politischen Institutionen.357 Sie setzte sich f¨ ur eine neue Offenheit, eine weitgehende Professionalisierung und K¨ urzung der Verwaltung ein. Insbesondere Theodore Roosevelt (26. Pr¨asident von 1901 bis 1909), der bereits 1889 Mitglied der Civil Service Commission“ unter Pr¨asident Harrison war,358 trieb die Einf¨ uhrung des Merit ” ” ¨ Systems“ weiter voran.359 Management wurde zum Allheilmittel f¨ ur viele Ubel gerade auf lokaler Ebene.360 Die wirtschaftliche Depression der 30er Jahre war ein weiterer Wendepunkt f¨ ur Politik und Verwaltung in den USA. Roosevelts

New Deal“ war die amerikanische Variante eines ” Wohlfahrtstaats und versuchte die Wirtschaft anzukurbeln und der Arbeitslosigkeit durch verschiedene Notprogramme Herr zu werden.361 Die Depression verhalf dem Managementgedanken schließlich auch auf Bundesebene mit der Brownlow Committee for Admi” nistrative Reform“ von 1937 zum Durchbruch.362 Pr¨asident Franklin D. Roosevelt (32. Pr¨asident von 1933 bis 1945) sagte bei der Ank¨ undigung des Committee on Administrative Management: 354

Vgl. Sch¨ afer , Die Pr¨ asidenten der USA: Von George Washington bis Bill Clinton, S. 206. Vgl. Kickert, in: Kickert: Public Management and Administrative Reform in Western Europe, S. 19 f. 356 Vgl. Farazmand , in: Farazmand: Modern Systems of Government, S. 54. 357 Vgl. dazu Janda/Berry/Goldman, The Challenge of Democracy - Government in America gek¨urzte , S. 146. 358 Vgl. Sch¨ afer , Die Pr¨ asidenten der USA: Von George Washington bis Bill Clinton, S. 236. 359 Vgl. Light, The Tides of Reform, S. 19. 360 Vgl. Kickert, in: Kickert: Public Management and Administrative Reform in Western Europe, S. 19 f. 361 Vgl. Janda/Berry/Goldman, The Challenge of Democracy - Government in America gek¨urzte , S. 79. 362 F¨ ur Light war sie die Initialz¨ undung f¨ ur Reformen des wissenschaflichen Managements. 355

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The time has come to set our house in order. The administrative management ” of the government needs overhauling. The executive structure of the government is sadly out of date .... If we have faith in our republican form of government ... we must devote ourselves energetically and courageously to the task of making that government efficient.“ 363 Und das Kommittee verk¨ undete: There is but one grand purpose, namely, to make democracy work today in our ” National Government; that is, to make our Government an up-to-date, efficient, and effective instrument for carrying out the will of the Nation. It is for this purpose that the Government needs thoroughly modern tools of management.“ 364 Diese Kommission brachte den Reorganization Act von 1939 hervor, welcher dem Pr¨asidenten gr¨oßere Freiheit einr¨aumte, die Exekutive zu formen, Strukturreformen durchzuf¨ uhren und auch die Kontolle u ¨ber die Einzelstaaten auszuweiten.365 Roosevelt gelang es, einen modernen b¨ urokratischen Staat einzuf¨ uhren, der den Anspr¨ uchen der neuen industrialisierten Gesellschaft entsprach. Es folgte eine Zeit, die von Vertrauen in den ¨offentlichen Sektor und Interesse in ¨offentliche Angelegenheiten gepr¨agt war.366 Die Zeit von 1945 bis 1960 wurde auch Glory Days“ ” benannt, weil sie von Wachstum und Wohlstand (u. a. durch den Wohlfahrtsstaat) gekennzeichnet war. 1950 zog sich der Kongress aus der operativen Kontrolle der Exekutive aufgrund ¨ des Budget and Accounting Procedures Acts zur¨ uck. Uberlastung durch (zu) viele Detailinformationen und Kontrolle des Kongresses wurden damit nicht beseitigt, denn bald darauf wurden neue Inspektoren innerhalb der Agencies eingef¨ uhrt und der Administrative Procedure Act (APA)367 von 1946 wurde novelliert, um den ¨offentlichen Zugang zu Informationen ¨ aus der Exekutive sicherzustellen.368 Uberhaupt kamen in den 50er Jahren die meisten Reformvorschl¨age von den Hoover Commissions, welche noch bis in die 60er Jahre Einfluss 363

Gore, Creating a Government that Works Better and Costs Less, S. 8. Kamensky, in: Public Administration Review : The Role of the Reinventing Government“ Movement in ” Federal Management Reform, S. 247. 365 Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 280 oder auch Light, The Tides of Reform, S. 23. Thayer sieht im Reorganization Act (neben den anderen Ver¨anderungen) die Institutionalisierung der modernen Pr¨ asidentschaft. Vgl. Thayer , in: Farazmand: Modern Systems of Government, S. 96. 366 Vgl. Kickert, in: Kickert: Public Management and Administrative Reform in Western Europe, S. 20. 367 ¨ APA legte den Grundstein f¨ ur mehr Transparenz und forderte, dass die Abteilungen die Offentlichkeit u ¨ber ¨ ihre Organisation, Prozesse und Regeln st¨andig auf dem Laufenden zu halten haben. Die Offentlichkeit musste in den Prozess der Richtlinienerstellung einbezogen werden, und deren Ablauf hatte nach formellen Regeln stattzufinden. 368 Vgl. Light, The Tides of Reform, S. 27 f.

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hatten. Sie forderten eine verbesserte Effizienz und eine kleinere Regierung. Hervorzuheben aus dieser Zeit ist der Classification Act von 1950, der flachere Strukturen in Anstellung und Bezahlung der ¨offentlich Bediensteten erm¨oglichte und bereits Vorzeichen f¨ ur den Kampf der Verschwendung war.369 Great Society bis Civil Service Act Die 60er Jahre waren unter Federf¨ uhrung von Pr¨asident Johnson (36. Pr¨asident von 1963 bis 1969) von der Great Society“ gepr¨agt. Die Vision dahinter, war eine Gesellschaft ohne ” Armut und rassische Ungleichheit. Dies verlangte mehr ¨offentliche Intervention in verschiede¨ nen Bereichen, was den Verwaltungsapparat anwachsen ließ und schließlich zur Uberzeugung f¨ uhrte, dass eine rationale Regierungsplanung wie beispielsweise das Program Planning and Budgeting System (PPBS) von Verteidigungsminister McNamara notwendig sei. Obwohl es nicht allzu erfolgreich in der Anwendung in den einzelnen Abteilungen war, bildete das System Grundlage f¨ ur kommende Budgetreformen wie MbO, ZBB oder GPRA. Weiters erlebten die sp¨aten 60er und fr¨ uhen 70er Jahre eine Demokratisierungswelle, die zu einer Politisierung von sozialen Angelegenheiten f¨ uhrte und Aufmerksamkeit auf Normen und Werte lenkte.370 Mit zunehmender Dauer des Vietnamkriegs wurde die Unzufriedenheit mit der Regierung immer lauter, und die Reformprogramme wurden weitgehend beendet.371 Als Gegenreaktion bildete sich Common Cause“ eine Interessenorganisation, die sich f¨ ur eine ” gute Regierung“, eine Reform der Wahlkampffinanzierung, Ethikstandards in der Regierung ” und transparente Prozesse in Kongress und Verwaltung einsetzte. John Gardener und Ralph Nader wurden zu den bekanntesten Leitfiguren dieser Bewegung.372 ¨ Die Olkrise der 70er Jahre endete mit einer ernsten wirtschaftlichen Rezession und die meisten westlichen L¨ander hatten mit großen Budgetdefiziten zu k¨ampfen.373 Damit schwand auch der Glaube an die staatliche Planung und verdeutlichte, dass Politikpl¨ane noch nicht die Garantie f¨ ur spektakul¨are Ergebnisse sind.374 Seit dieser Zeit fand es nahezu jeder Pr¨asident bzw. jeder sich einer Wahl Stellende vorteilhaft, die B¨ urokratie im Wahlkampf zu kritisieren.375 369

Vgl. Light, The Tides of Reform, S. 94 f. Vgl. Kickert, in: Kickert: Public Management and Administrative Reform in Western Europe, S. 20. 371 Vgl. Sch¨ afer , Die Pr¨ asidenten der USA: Von George Washington bis Bill Clinton, S. 340 ff. 372 Vgl. Janda/Berry/Goldman, The Challenge of Democracy - Government in America gek¨urzte , S. 213. 373 Vgl. Kickert, in: Kickert: Public Management and Administrative Reform in Western Europe, S. 20. 374 Vgl. Kickert, in: Kickert: Public Management and Administrative Reform in Western Europe, S. 25. 375 Siehe dazu die Ausf¨ uhrungen in Kapitel 283 und auch Rosenbloom in: Farazmand , in: Farazmand: Modern Systems of Government, S. 57 oder Thayer , in: Farazmand: Modern Systems of Government, S. 97, der gar von der zeitgem¨aßen zusammenfassenden Klammer der Politik spricht. 370

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Nixon (37. Pr¨asident von 1969 bis 1974) k¨ undigte ein Jahrzehnt von Regierungsreformen“ ” an, mit der Absicht, Wohlfahrt, B¨ urgerrechte, Wirtschaftswachstum, Wirtschaftpolitik, Umweltschutz und Reorganisation der Bundesb¨ urokratie weiterzuentwickeln.376 Mit dem Watergate Skandal (Nixons Grund zur Abdankung) und den miesen wirtschaftlichen Bedingungen377 breitete sich das Misstrauen gegen¨ uber der Regierung noch weiter aus. War on Waste und Watchful Eye dominierten ab dieser Zeit die Reformvorhaben.378 In diesem Klima brachte Ford (38. Pr¨asident von 1974 bis 1977) das Management by Objective (MbO) in die Bundesverwaltung. Und zwei Jahre sp¨ater wurde es durch Pr¨asident Carters (39. Pr¨asident von 1977 bis 1981) Zero Based Budgeting (ZBB) ersetzt. Carter f¨ uhrte 1978 den Civil Service Reform Act (CSRA) (siehe dazu auch 4.3.3) ein. Farazmand wertet ihn als zweitwichtigsten Einschnitt in den o¨ffentlichen Dienst nach dem Pendleton Act, weil er sowohl die Professionalisierung als auch die Markt- und Managementorientierung in der Verwaltung forcierte und sie f¨ ur eine Politisierung o¨ffnete.379 Der CSRA gr¨ undete einen Senior Executive Service (SES), der etwa 8 000 Personen umfasste und eine Leistungsbeurteilung samt leistungsbezogener Bezahlung beinhaltete. Die Vorkehrungen des SES wurden mit der Absicht geschaffen, den wachsenden Gehaltsunterschied zwischen ¨offentlichem und privatem Sektor (zugunsten des letzteren) teilweise auszugleichen. Der Kongress k¨ urzte aber bald den Anteil der SES Positionen, die f¨ ur Boni berechtigt waren von 50 % auf 20 %. Ein reuiger Kommentar u uhrung des CSRA war, dass die ¨ber die Einf¨ Unterst¨ utzung des Kongresses daf¨ ur, eine Meile lang aber nur einen Inch tief“ war,380 was ” Ausdruck der Differenzen zwischen Legislative und Exekutive ist. New Federalism“ unter Reagan und Bush ” Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre l¨osten Verschiebungen der parteipolitischen Kr¨afteverh¨altnisse, ge¨anderte Anforderungen an die Staatst¨atigkeit, rezessive Wirtschaftsentwicklung und strukturelle Schw¨achen der Pr¨asidentschaft (als Nachwirkung von Watergate) Reformimpulse,381 in Richtung War on Waste und Watchful Eye aus. Die 80er Jahre waren folgedessen Jahre der Einschr¨ ankung und Ku ¨ rzung. Die Amtszeit Reagans, geleitet durch eine ausdr¨ uckliche Anti-Verwaltungshaltung, bildete ein extremes Beispiel f¨ ur die eine allgemeine 376

Vgl. Sch¨ afer , Die Pr¨ asidenten der USA: Von George Washington bis Bill Clinton, S. 354. Rezession mit einer Inflation um etwa 11 %, f¨ unf Millionen Amerikaner ohne Arbeit und wachsendes Zahlungsbilanzdefizit sowie Staatsverschuldung dominierten. Vgl. Sch¨ afer , Die Pr¨ asidenten der USA: Von George Washington bis Bill Clinton, S. 366. 378 Vgl. Light, The Tides of Reform, S. 100. Light sieht im Watergate Skandal eine wahre Wende f¨ ur das Klima von Reformen. Er widmet diesem Ereignis ausf¨ uhrliche Analysen und fasst sie auf den Seiten 102 - 105 u ¨bersichtlich zusammen. 379 Vgl. Farazmand , in: Farazmand: Modern Systems of Government, S. 57 f. 380 Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 280. 381 Vgl. Hesse/Benz , Die Modernisierung der Staatsorganisation, S. 123.

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K¨ urzung des ¨offentlichen Sektors und Einschnitte von Programmen quer u ¨ber alle Bereiche. Pr¨asident Reagan (40. Pr¨asident von 1981 bis 1989) formulierte unter der Bezeichnung New ” Federalism“ eine Reihe von Initiativen, die Dezentralisierung und den Abbau der Staatst¨atigkeit forcierten, r¨ uckwirkend betrachtet allerdings nur begrenzt erfolgreich waren.382 Er konnte aufgrund des Gesetzes von 1978 die Personalverwaltung in gr¨oßerem Ausmaß dominieren, als dies seine Vorg¨anger tun konnten. Insgesamt f¨ uhrte die Reagan Regierung eine Unzahl an Reformen ein, viele davon waren darauf ausgerichtet, wirtschaftliche Disziplin in den Bundesdienst zu bringen. Bez¨ uglich der systematischen Besetzung von Schl¨ usselpositionen mit Konservativen quer u utzte der Pr¨asident seine Macht zur Patronage. ¨ber ganz Washington n¨ Grunds¨atzlich hielt Reagan den Staat f¨ ur unf¨ahig, die wirtschaftlichen Probleme zu l¨osen und setzte daher auf die Marktwirtschaft, private Selbsthilfe und Eigeninitiative sowie auf nicht-staatliche Organisationen.383 Einige der wichtigsten Initiativen waren384 : • Die Ernennung von Donald Devine, einem Erz-Konservativem und scharfem Kritiker der Bundesb¨ urokratie, zum Vorsitzenden des Office of Personnel Management (OPM). Karrierebeamte waren schockiert und demoralisiert von der Feindsinnigkeit Devines ihnen gegen¨ uber. • Council on Integrity and Efficiency (gegr¨ undet 1981). Er hinterfragte viele Praktiken, ¨ identifizierte Milliarden von Einsparungen als Ergebnis von Uberpr¨ ufungen (Audit) und f¨ uhrte viele Sanktionen gegen Regierungsabteilungen oder Angestellte ein. • Reform 88 (gestartet 1982). Das war ein breit angelegtes Programm, dem der Fokus etwas gefehlt hat. Darunter fielen Aktionen wie die Verbesserung der Computersysteme, des Finanzmanagements und der Verantwortlichkeiten. • Council on Management and Administration (1982). • President’s Private Sector Survey on Cost Control (PPSSCC, besser bekannt als Grace Commission385 , 1982) • Council on Management Improvement (1984). Dies war ein Rat bestehend aus den stellvertretenden Ministern (Vizeminister; Staatssekret¨are) mit den Aufgaben einen 382

Vgl. Hesse/Benz , Die Modernisierung der Staatsorganisation, S. 71 und S. 144. Vgl. Hesse/Benz , Die Modernisierung der Staatsorganisation, S. 71. 384 Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 282. 385 Sie sollte M¨ oglichkeiten aufzeigen, um Effizienz zu erh¨ohen und die Kosten der Bundesverwaltung zu senken. Einer der Schwerpunkte lang dabei beim Personal, f¨ ur welches 90,9 Mrd. $ Einsparungspotentional in drei Jahren gefunden wurde. Vgl. dazu die Diskussionen bei Levine, The Unfinished Agenda for Civil Service Reform: Implications of the Grace Commission Report, S. 1 ff. 383

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langfristigen Plan zur Verbesserung des Managements auszuarbeiten und die Implementierung der Reform 88 voranzutreiben. • President’s Productivity Program (ab 1985). Dies zielte auf eine Produktivit¨atssteigerung der Regierungsabteilungen um 20 % bis 1992 ab. Maßnahmen beinhalteten eine umfassende Annahme des TQM. • Obwohl nicht ann¨ahernd so erfolgreich wie er gew¨ unscht h¨atte, bef¨ urwortete Reagan Privatisierung, Contracting Out (Fremdvergabe) und Ben¨ utzergeb¨ uhren f¨ ur jede Gelegenheit. Von all den genannten Initiativen war die Grace Commission386 eine der meist publizierten Initiativen und sie kategorisiert auch den Verwaltungsansatz von Reagan. Sie brachte eine große Anzahl von Gesch¨aftsleuten (2 000, unterst¨ utzt von 859 Firmen) ein, die den Auftrag hatten, b¨ urokratische Verschwendung aufzusp¨ uren. Innerhalb von zwei Jahren entstanden 47 Berichte mit 2 478 Empfehlungen. Ein Einsparungspotential von 298 Milliarden $ wurde angegeben, doch die Analyse des GAO meinte, der wahre Betrag w¨are eher 98 Milliarden $. Einige der Empfehlungen wurden ganz oder teilweise implementiert, aber viele wurden nie umgesetzt. Im Verh¨altnis zum Umfang der Anstrengungen (und der Rhetorik rund um ¨ Grace) hinterließen sie nur wenig Spuren. Der weniger in der Offentlichkeit bekannte Council on Integrity and Efficiency hatte wahrscheinlich eine viel gr¨oßere Auswirkung. Pr¨asident Bush (41. Pr¨asident 1988 bis 1992) war im Vergleich zu Reagan weniger gegen die B¨ urokratie – m¨oglicherweise, weil er eine Karriere im ¨offentlichen Dienst hinter sich hatte. Die moralische Krise innerhalb des ¨offentlichen Verwaltung weitete sich aus, und es scheint als w¨are Bush unf¨ahig gewesen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. 1989 identifizierte eine Arbeitsgruppe schwerwiegende Schw¨achen im ¨offentlichen Dienst (inklusive Bezahlung, Leistungsbeurteilung, Karriereentwicklungssysteme und Moral). 1990 kam eine Studie des GAO zu ¨ahnlichen Ergebnissen. Dennoch wurden keine gr¨oßeren Reformen unternommen. Ein Beobachter schrieb zu dieser Zeit: Amerikas Flamme f¨ ur Managementreformen scheint ” zu einem erl¨oschendem Gluth¨aufchen verkommen zu sein“. Pr¨asident Bushs Hauptinteresse lag scheinbar in den hochpolitischen Themen als bei Managementreformen.387 Jene Reformen die durchgef¨ uhrt wurden, kamen in dieser Zeit aufgrund der Initiative im Kongress: ¨ 1990 - Chief Financial Officers Act (Uberpr¨ ufung der Finanzmanagmentsysteme), 1993 386

Eine umfangreiche Diskussion u unde, Restriktionen und Auswirkungen dieser Commission ¨ber Hintergr¨ findet sich im Sammelband von Levine, The Unfinished Agenda for Civil Service Reform: Implications of the Grace Commission Report wieder. 387 Vgl. Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform, S. 282.

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Government Performance and Results Act (Einf¨ uhrung der Leistungsmessung in der Bundesverwaltung).388 Obwohl die USA NPM-orientierte Reformversuche durchf¨ uhrte, waren sie nur selten erfolgreich (man denke an gescheiterte Experimente wie PPBS, ZBB, MBO, Grace-Commission usw.), denn es bestand ein Gef¨alle zwischen Reformpl¨anen und deren nachhaltiger Umsetzung. Naschold bezeichnete den Reformstand als b¨ urokratischen Managerialismus mit Dy” namik ohne Wandel“. Diese insgesamt kritische Wertung schließt beachtliche Reformans¨atze ¨ auf kommunaler Ebene nicht aus. Ahnlich zu Großbritannien gibt es reiche Erfahrungen mit Aufgabenauslagerung und obligatorischen Leistungsausschreibungen. Einige innovative Großst¨adte zeichnen sich vor allem durch unternehmensnahe Strukturen und Instrumente, starke B¨ urgerorientierung und deutliches Qualit¨atsmanagement aus.389 Gemeinsam mit den zuvor beschriebenen Gegebenheiten, war es daher wenig verwunderlich, dass Anfang der 90er Jahre der Ruf f¨ ur ein unternehmerisches Management in der Verwaltung laut wurde. Reinventing Government“ und National Performance Review“ sowie der ” ” Government Performance and Results Act (GPRA) (der zwar bereits in der Amtszeit Bushs vorbereitet wurde, aber erst unter Clinton in Kraft trat) waren also Ausdruck eines erneut aufkeimenden Interesse f¨ ur Management in der amerikanischen ¨offentlichen Verwaltung.390 Damit wurde die Vorbedingungen f¨ ur die vierte Reformwelle, mit dem Schwerpunkt auf die Befreiung von Zw¨angen, geschaffen.Dies wird den Schwerpunkt im kommenden Kapitel bilden.

388

Vgl. Gore, Creating a Government that Works Better and Costs Less, S. 6. Reichard , in: Reichard/Wollmann: Kommunalverwaltung im Modernisierungsschub?, S. 257. 390 Vgl. Kickert, in: Kickert: Public Management and Administrative Reform in Western Europe, S. 20. 389