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Wir mussten Architekten als Freiberufler in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken Ein Gespräch mit Präsident Ralf Niebergall und Geschäftsführerin Petra Heise von der Architektenkammer SachsenAnhalt über 25 Jahre Kammer, die Rolle Niedersachsens und den Wechsel der DDR-Architekten in einen „freien“ Beruf

Foto: Architektenkammer Sachsen-Anhalt

Präsident Ralf Niebergall und Geschäftsführerin Petra Heise bei der Landespressekonferenz im Herbst 1995. Der Kammergründungsakt, fand am 21.Mai 1991 im Bauhaus Dessau statt.

Herr Niebergall, Sie sind seit Gründung der Architektenkammer Sachsen-Anhalt ihr Präsident. Viele der ehemaligen Mitarbeiter der großen Baukombinate gingen damals in die Selbstständigkeit und wurden Kammermitglieder. Wie haben Sie die Kolleginnen und Kollegen auf dem Weg in die neue berufliche Realität unterstützt? Niebergall: Unsere wichtigste und zugleich schwierigste Aufgabe war es, Architekten als Freiberufler in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken und mit dem Vorurteil aufzuräumen, in der DDR habe es nur Ingenieure, bestenfalls Projektanten gegeben. Niemand war es gewohnt, dass man zu einer Architektin und einem Architekten gehen könne, um sich individuell sein Haus planen zu lassen. Da waren viele Berührungsängste abzubauen. Ich musste sehr darum kämpfen, dass auf Architekturforen, die sich mit der künftigen städtebaulichen Entwicklung befassten, Ost-Architekten überhaupt zu Wort kommen konnten. Wichtige Unterstützung waren aber auch die intensiven Fortbildungsprogramme. Das Bau- und Planungsrecht der Bundesrepublik, HOAI und

wirtschaftliche Büroführung, erfolgreiche Akquise, der deutlich breitere Markt an Materialien und Bautechniken waren neue Gebiete, in die sich die Kollegen in kürzester Zeit einarbeiten mussten. Frau Heise, vor allem die Fortbildung der Kolleginnen und Kollegen startete umgehend nach Kammergründung. Herr Niebergall hat die Themen genannt. Welche Rolle spielte dabei die Architektenkammer Niedersachsen? Heise: Die Architektenkammer Niedersachsen unterstützte uns nicht nur, sie übernahm die komplette Organisation, brachte kopierte Seminarunterlagen mit. Wir betreuten die Veranstaltung vor Ort. In Niedersachsen wusste man auch, was wichtig war, denn das Bau- und Architektenrecht, das Städtebaurecht, die Regelungen zur Vergütung der Architektenleistungen wurden in den neuen Ländern ja übernommen, von jetzt auf gleich galten neue Vorschriften. Durch Herrn Neumann von der Kammer Niedersachsen sehr gut angeleitet und unterstützt, haben wir „Laufen“ gelernt und un-

ser halbjährliches Fortbildungsprogramm findet heute eine gute Resonanz. Die Gründungsausschüsse der Kammer tagten damals im Bauhaus und wollten sicherlich diesen historischen Geist beschwören. Inwieweit aber haben sich die ehemaligen DDR-Architekten, die zum Teil das System der DDR gestützt haben, durch den Eintritt in die neue Kammer rehabilitiert – Konrad Höhne aus dem Gründungsausschuss sprach damals von einer „Architekten-Waschanlage“. Ist die Vergangenheit des Berufsstandes in der DDR aufgearbeitet worden? Niebergall: Es ist ein sehr pauschales Urteil, wenn man unterstellt, der ganze Berufsstand habe sich rehabilitieren müssen. Viele haben versucht, trotz der extremen Mangelwirtschaft, eines Verwendungsverbots für Stahl und Holz, der einseitigen Ausrichtung auf industrielles Bauen, das bestmögliche an Architektur herauszuholen. Andere engagierten sich ehrenamtlich und subversiv für die Rettung von Baudenkmalen, auch wenn dies von der Staatsführung äußerst argwöh-

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nisch beäugt wurde. Manche meinten, als Parteimitglieder und damit in höherer Position mehr Einfluss auf die Baupolitik nehmen zu können. Auch die Restaurierung des Bauhauses 1976 war ein ebenso technischer, wie politischer Kraftakt, denn die BauhausModerne galt als bürgerlich dekadent. Umso erstaunlicher ist es, dass in den 1960erJahren die Ostmoderne genauso elegante und gültige Architekturen hervorgebracht hat, wie die parallele Entwicklung im Westen – freilich auch genauso viele Scheußlichkeiten. Ich selbst war vor der Wende bei der Katholischen Kirche angestellt und damit eher unverdächtig, das System gestützt zu haben. Aber wie viele hatten schon die Chance, sich in eine solche Nische zu flüchten? In dieser Zeit plante ich eine neue Kirche für eine in der Friedensbewegung engagierte Gemeinde. Wie sich später herausstellte, war der Vorsitzende des Gemeinde-Kirchenrates über Jahre StasiSpitzel gewesen. Der scheinbar staatsferne Mann hat damit viel mehr Menschen geschadet, als manch einfaches SED-Mitglied. All die individuellen Biografien aufzuarbeiten, hätte die Kammer überfordert und den Berufsstand zerrissen. Wem hätte man aus moralischen Gründen Berufsverbot erteilen sollen und damit vielleicht altes Unrecht durch neues ersetzt? Wie haben die ehemaligen DDR-Architekten auf die neue Kammer reagiert? Heise: Auf keinen Fall voreingenommen. Sie waren aufgeschlossen, wollten mitwirken und mitgestalten, haben Ehrenamt als Selbstverständlichkeit gesehen und vor allem bei der berufspolitischen Arbeit immer die Gesamtheit des Berufsstandes im Auge gehabt. Die „Pflicht“-Eintragung wurde nicht als Last gesehen, denn für die Architekten aller Fachgruppen war die Kammer als Selbstverwaltung ein Zeichen der in mehrfachem Sinne gewonnenen Freiheit. Auch heute noch sind 10 Prozent unserer Mitglieder ehrenamtlich tätig. Inwieweit unterschied sich die Berufspolitik am Anfang der Kammer von der heute? Niebergall: Das politische System und die Verwaltungsstrukturen waren damals eben-

so wenig etabliert wie die Kammer. Die Einflussnahme, die politischen Gespräche, auch das gemeinsame Suchen nach politischen Zielen und den Wegen, diese zu erreichen, waren viel unmittelbarer als heute. Dass es bei der Vergabe öffentlicher Aufträge per Verordnung eine Präferenz für Landeskinder gab, wäre unter den heutigen Bedingungen des Vergaberechts undenkbar. Die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sind in den letzten 25 Jahren viel komplexer geworden und damit für das einzelne Kammermitglied häufig kaum noch nachvollziehbar. Andererseits sind wir natürlich viel professioneller als damals und haben dadurch die Chance, trotz einer kleinen Geschäftsstelle auf die vielfältigen Anforderungen in kürzester Zeit zu reagieren und wir sind als kompetenter Gesprächspartner hoch anerkannt. Wie lief die Gründung der Geschäftsstelle damals ab? Heise: Als ich im Dezember 1990 – damals noch vom Gründungsausschuss des Bezirkes Magdeburg – eingestellt wurde, ging es natürlich vordergründig um die Bearbeitung der Anträge auf Eintragung in die Architektenliste. Es gab anfangs eine weitere Geschäftsstelle in Halle. 1990 waren Frau Sommer, die Mitarbeiterin aus der Saalestadt, und ich in Hannover. Wir lernten in der niedersächsischen Kammer all das, was zur Führung der Listen, zur Vorbereitung der Sitzungen des Eintragungsausschusses und zur Bewertung der Ausbildungsnachweise notwendig war. Die Landesregierung hatte ihren Sitz in Magdeburg genommen und deshalb war unser Büro (zwei Zimmer in einer Wohnung, die früher vom Kulturbund genutzt wurden und zum Glück einen Telefonanschluss hatten) auch der Sitzungsort für die Treffen der Gründungsausschüsse. So fiel mir auch die Organisation der Treffen zu, später die Mitwirkung bei der Vorbereitung der ersten Wahl der Vertreterversammlung und des Vorstandes, der erste Haushaltsplan wurde aufgestellt, die Fortbildungsbetreuung abgesichert. Auch das Wettbewerbswesen startete damals. Hat es ähnliche Verfahren auch in der DDR gegeben?

Gemeinsame Vorstandssitzung erinnert an Kammergründung Die Vorstände aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt treffen sich am 7. April 2016 in Hannover zu einer gemeinsamen Vorstandssitzung. Bereits Anfang der 1990er-Jahre hatte es zwei gemeinsame Sitzungen in Magdeburg und Hannover gegeben, an die nun angeknüpft wird. Ziel ist nicht nur der Blick zurück, es sollen auch gemeinsame Projekte erörtert und die Kammerzusammenarbeit intensiviert werden.

Niebergall: Wettbewerbe gab es durchaus. Für den Wiederaufbau von Stadtzentren nach dem 2. Weltkrieg gab es zahlreiche Wettbewerbe, aber auch in den 1980er-Jahren, als durch den politisch und ökonomisch erzwungenen Flächenabriss in den Altstädten Lösungen für „innenstadtverträgliche“ Neubauten gesucht wurden. Auch herausragende Gebäude, wie etwa Stadthallen und Konzerthäuser oder wichtige öffentliche Einrichtungen und Freiräume waren Gegenstand von Wettbewerben, die aber natürlich nicht zwischen Einzelbüros, sondern vor allem den Planungsabteilungen der Baubetriebe und den Büros der Bezirks- und Stadtarchitekten ausgetragen wurden. Wie beurteilen Sie die Situation der Baukultur in Ihrem Bundesland damals und heute? Niebergall: Anfang der 1990er-Jahre wurde auf Teufel komm raus gebaut, manches davon zwangsläufig auch städtebaulich fragwürdig, wie etwa große Einfamilienhaussiedlungen und Einkaufszentren auf der grünen Wiese oder seelenlose Bürokomplexe in den Innenstädten, um einen vermeintlichen oder tatsächlichen Bedarf schnell befriedigen zu können. Heute stehen glücklicherweise langlebige Qualität und ein behutsames Weiterbauen der historisch gewachsenen Stadt im Vordergrund. Gestiegene Wohnbedürfnisse, der Trend zurück in die Stadt zwingen zu differenzierten Angeboten und führen zu höherem Qualitätsbewusstsein auch in der Altbausanierung. Das

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alles trägt zu mehr Baukultur bei. Die gewaltigen Anstrengungen zur Rettung der ruinösen Städte in den Anfangsjahren und zum Wiederaufbau einer desolaten technischen und sozialen Infrastruktur mit viel staatlicher Förderung will ich damit aber keineswegs schlechtreden. Die Kammern aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt verbindet seit 25 Jahren eine enge Freundschaft, die in einer gemeinsamen Vorstandssitzung im April zum Ausdruck kommt. Wo sehen Sie für die Zukunft gemeinsame Projekte? Niebergall: Immer mehr staatliche Aufgaben werden auf die Kammern verlagert, neue Aufgaben kommen hinzu, wie etwa Listenführungen für Spezialgebiete oder Anforderungen, die sich aus europäischen Richtlinien ergeben. Die Themen sind häufig so komplex, dass wir längst zu der Überzeugung gekommen sind, dies nur noch in einem engen Verbund aller Kammern, den

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großen und den kleinen, leisten zu können. Beide Kammern verfügen z. B. über eine hohe, sich ergänzende Kompetenz, um bei der Eintragung von nicht-konsekutiven Studiengängen oder bei der Beurteilung ausländischer Bildungsabschlüsse bundesweit Hilfestellung leisten zu können. Auch bei den erwähnten Listenführungen wäre eine Verwaltungszusammenarbeit sinnvoll. Und schließlich: Trotz des erheblichen Größenunterschiedes ist die Mitgliedschaft beider Kammern ähnlich strukturiert. Niedersachsen und Sachsen-Anhalt sind Flächenländer. Dies führt zu gemeinsamen Interessenlagen, etwa bei der Förderung kleiner Büroeinheiten oder bei der Entwicklung von Strategien zur Förderung von Baukultur in ländlich geprägten Regionen. Heise: Die Zusammenarbeit und auch der Austausch erfolgt heute bundesweit über die BAK in den verschiedensten Gremien. Alle Kammern haben u. a. bedingt durch die Umsetzung Europäischer Regelungen die-

selben Themenstellungen zu bewältigen. Schön ist, dass wir – also die Kammern Sachsen-Anhalt und die Architektenkammer Niedersachsen – in der BAK fast immer mit dem gleichen Ziel gemeinsam an einem Strang ziehen. Ich hoffe, dass das auch in der Vorstandssitzung sichtbar wird. Die Gemeinsamkeiten in Themen und Zielen herauszustellen, ist doch ein gutes Signal. Und ich denke, die Sitzung und die sich anschließende Ausstellungseröffnung sind auch noch einmal ein guter Anlass, Dank zu sagen für die Hilfe beim Legen des guten Fundaments, auf dem unsere Kammer heute steht. Und inzwischen haben Architekten der ersten Stunde aus Sachsen-Anhalt ja auch Verantwortung innerhalb der BAK übernommen Interview: Lars Menz

„Interessanteste Phase meiner 30 Jahre für die Kammer“ Vor 25 Jahren wurde mit niedersächsischer Hilfe die Architektenkammer Sachsen-Anhalt gegründet. Erinnerungen von Eike Schlömilch, damals Syndikus der Architektenkammer Niedersachsen Eike Schlömilch erinnert sich: 25 Jahre ist es her, dass er als damaliger Sydikus der Architektenkammer Niedersachsen zum Telefonhörer griff und den Magdeburger Stadtarchitekten Hans-Peter Kirsch in der Leitung hatte. „Stadtarchitekt, das ist vielleicht vergleichbar mit den heutigen Stadtbauräten“, sagt Schlömilch, der selbst in Halle geboren wurde und mit seiner Familie 1953 in den Westen flüchtete. „Es gab daher gleich eine Verbundenheit und den Wunsch, beim Aufbau der Architektenkammer Sachsen-Anhalt zu helfen.“ Schlömilch und sein Kollege Neumann machen sich umgehend auf den Weg nach Magdeburg, führen erste Gespräche, berichten über das Niedersächsische Architektengesetz. Wichtigster Ansprechpartner wird Manfred Sommer, als Vertreter des Stadtar-

chitekten tätig im Stadtplanungsamt in Halle. Erste Sitzungen in Halle und Magdeburg werden abgehalten. Damals war noch nicht entschieden, welche der beiden Städte Landeshauptstadt werden würde. Oft auch mit dabei der damalige Vizepräsident und spätere Präsident der Architektenkammer Niedersachsen, Peter Stahrenberg. Zu den Sitzungen kommen vor allem junge Architekten, oft politisch organisiert im Forum und bereit zum Start in die neue Zeit. Deutlich wurde, so Schlömilch, dass die Sprache die gleiche war, aber die Begriffe andere. „Was ist ein freier Beruf? Das war niemandem klar.“ Schlömilch, Rechtsanwalt Jürgen Becker (Justiziar der Berliner Kammer) und zwei Vertreter aus dem Bauministerium der DDR schrieben in der Folgezeit ein neues Archi-

tektengesetz für Ostdeutschland. „Der Entwurf ging sogar über das damalige Architektengesetz in Niedersachsen hinaus, es beinhaltete bereits die Stadtplaner und auch die angestellten und beamteten Kolleginnen und Kollegen.“ Nach verschiedenen Anhörungen – auch mit Vertretern aus verschiedenen SED-Bezirken - und Monaten intensiver Arbeit ließ Schlömilch schließlich die fertigen Papiere in der Kammer in Hannover kopieren und übergab den Gesetzesvorschlag der DDR-Volkskammer. Die verabschiedete als eine ihrer letzten Amtshandlungen das Gesetz, auf dessen Grundlage nun Gründungsausschüsse in den Ländern und so auch in Sachsen-Anhalt eingerichtet werden konnten. Nach und nach führen die Länder Länderarchitektengesetze ein. „Sachsen-Anhalt aber ließ sich damit fast zwanzig