Projektives Bewusstsein

8. Inhaltsverzeichnis. 5.2. Reduktionistische Unentschiedenheit: Ambivalenz zwischen Immanenz und Instantiierung . . . . . . . . . . . . . . 131. 5.3. Reductio ad ...
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Patrick Grüneberg

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Projektives Bewusstsein Grüneberg · Projektives Bewusstsein

Bewusstsein ist nicht ohne Grund eines der grundlegenden Themen philosophischer Forschung: Es bildet den Kristallisa­ tionspunkt, in dem sich die intime Sphäre unserer Persönlichkeit im Schnittfeld mit radikal Anderem artikuliert. Dabei kommt dem subjektiven Bezug auf eine objektive Wirklichkeit, sprich auf uns selbst wie auf unsere natürliche und soziale Umgebung, eine zentrale Funktion zu. Aufgrund seiner Selbstverständlichkeit wird dieser Ausgriff auf die Wirklichkeit jedoch in repräsentatio­ nalistischen Ansätzen, die einen Großteil aktueller Bewusstseins­ theorie ausmachen, häufig unhinterfragt vorausgesetzt. Dieses Buch entwickelt demgegenüber einen relationalen Erklärungs­ ansatz, der diese Selbstverständlichkeit unserer Selbst- und Welt­ bezüge in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. In kritischer Auseinandersetzung mit Th. Metzingers Selbstmodelltheorie und im Rekurs auf J.G. Fichtes späte Wissenschaftslehre entsteht so die Konzeption eines projektiven Bewusstseins. Der damit einhergehende Fokus auf die Entstehung objektiver Wirklichkeit im Bewusstsein erlaubt es, den subjektiven Charakter unseres Bewusstseins besser verständlich zu machen.

Th. Metzingers Selbstmodelltheorie und J. G. Fichtes Wissenschaftslehre

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Grüneberg · Projektives Bewusstsein

Patrick Grüneberg

Projektives Bewusstsein Th. Metzingers Selbstmodelltheorie und J. G. Fichtes Wissenschaftslehre

mentis MÜNSTER

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort Eingangszitate: J. G. Fichte: Wissenschaftslehre 1811. GA II, 12, S. 143. ¯ ¯ ogenz ¯ ¯ Zen Essays by Dogen. ¯ Dogen Kigen: »The Nature of Things«, in: (Hg.) Cleary, T.: Shob o. Honolulu 1986, S. 38.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. D 83

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem ∞ ISO 9706 und alterungsbeständigem Papier

© 2013 mentis Verlag GmbH Eisenbahnstraße 11, 48143 Münster, Germany www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Einbandgestaltung: Anne Nitsche, Dülmen (www.junit-netzwerk.de) Lektorat: Eva Schneider (Berlin) Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-89785-834-3

»statt den Bildern der Dinge, Bestimmungen des Wissens« J. G. Fichte, Wissenschaftslehre 1811

»In the nature of things there [. . .] is only eating breakfast, eating lunch, having a snack.« ¯ ¯ ogenz ¯ Dogen Kigen, Shob o¯

Inhaltsverzeichnis

I 1 1.1 1.2 2 2.1 2.2 II 3 4 4.1

4.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3

5 5.1

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewusstseinstheoretisches Unbehagen . . . . . . . . . . . . . . . . Vermögenstheoretische Neubestimmung . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der Untersuchung und methodische Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 15 22

Der naturalistische Ansatz der Selbstmodelltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Objektivation oder das Maß der Reduktion . . . . . . . . . . . . Naturalistische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Naturalistische Ambivalenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das reduktive Theoriedesign: SMT, Philosophie und der Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodischer Naturalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuronal instantiiertes Bewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . Naturalistischer Repräsentationalismus: Immanenz und Instantiierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mentale Repräsentationen und Modelle . . . . . . . . . . . . . . . Bewusstsein durch subsymbolische Metarepräsentation . . Das repräsentationale Weltverhältnis: die Struktur mentaler Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Die biologische Funktion mentaler Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inneres Erleben: Simulation und Präsentation . . . . . . . . . . Der Mechanismus der Bewusstwerdung: metarepräsentationale Modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . Metarepräsentationales Bewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . Subsymbolische Metarepräsentation als Eigenschaftsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phänomenale Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Struktur und Funktion des mentalen Selbstmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konfligierende Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epistemische Immanenz und neuronale Instantiierung . . .

31 41 41 42 46 49 50 55 61 62 74 74 83 89 92 92 100 108 113 122 123

8

5.2 5.3 III 6 6.1 6.2 7 7.1 7.2 7.2.1 7.2.2 7.3 7.4 7.5 7.6 8 8.1 8.2 8.3

Inhaltsverzeichnis

Reduktionistische Unentschiedenheit: Ambivalenz zwischen Immanenz und Instantiierung . . . . . . . . . . . . . . Reductio ad absurdum metarepräsentationalen Bewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

131 135

Von der Repräsentation zur Projektion: Generierung immanenter Objektivität . . . . . . . . . . . . Das Problem immanenter Objektivität . . . . . . . . . . . . . . . Nur ein Objekt ist kein Objekt oder der fehlende Zusammenhang zwischen Daten und Informationen . . . . . Differenz und Bezug als Voraussetzungen von Bewusstheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Projektives Bewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historischer Ausgangspunkt: die idealrealistische Grundanlage im Werk Fichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relationalität und immanente Objektivität . . . . . . . . . . . . Der reale Bezugspunkt des Bewusstseins . . . . . . . . . . . . . . Der Zusammenhang von Wirklichkeit und Bewusstsein . . Die Projektion als Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Disjunktion zur subjektiven und objektiven Sphäre . . . . . Disjunktion durch Projektion: die Als-Funktion . . . . . . . . Zusammenfassung: bewusstseinstheoretischer Relationismus und subjektive Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . Schematische Objektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Integration im Reflex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prototypisches Bewusstsein einer Etwasheit . . . . . . . . . . . Bestimmungen empirischer Objekte und projektive Datenverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

222

Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellentexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237 237 237

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255 255 258

143 144 144 154 160 162 173 173 180 187 193 196 203 207 210 216

Vorwort

Die vorliegende Arbeit stellt die überarbeitete Fassung meiner Dissertation in der Philosophie dar, die im April 2012 von der Fakultät I – Geisteswissenschaften der Technischen Universität Berlin angenommen wurde. Bedanken möchte ich mich bei den Betreuern meiner Arbeit, Günter Abel und Christoph Asmuth. Ihre uneingeschränkte Bereitschaft, diese Untersuchung zu betreuen und zu fördern, kann ich nicht hoch genug schätzen. Detlev Pätzold (Rijksuniversiteit Groningen) hat mir bereits während des Studiums die grundlegende Relevanz der klassischen deutschen Philosophie, insbesondere der Philosophie Kants verdeutlicht. Ihm gebührt mein Dank, mich ebenso auf J. G. Fichte aufmerksam gemacht und mir den Weg in dessen Denken geebnet zu haben. Besonders hilfreich war auch das vielschichtige Arbeitsumfeld an der Technischen Universität Berlin. Einen integralen Bestandteil meiner Forschungen bildete die tiefgehende Textarbeit in der Fichte-Arbeitsgruppe unter Leitung von Christoph Asmuth, um die hermetischen Texte Fichtes hinsichtlich ihrer argumentativen und systematischen Relevanz aufzuschließen. Diese systematische und gegenwartsbezogene Interpretation klassischer deutscher Philosophie fand ihre Fortsetzung und Erweiterung in der Arbeit des apriori-Netzwerkes. Auf zahlreichen Veranstaltungen inner- und außerhalb des Netzwerks hatte ich die dankenswerte Möglichkeit, meine Überlegungen zu diskutieren. Die dort erhaltenen Anregungen und Kritikpunkte habe ich, soweit dies möglich war, berücksichtigt. Darüber hinaus boten mir das Umfeld an der Technischen Universität Berlin und die Einbettung meiner Forschung in das Innovationszentrum Wissensforschung Kontakt zu verwandten Diskursen anderer Disziplinen. So möchte ich mich auch bei Prof. Bernd Mahr aus der theoretischen Informatik für seine Bereitschaft bedanken, sich auf grundlegende philosophische Überlegungen in Sachen Subjektivität einzulassen. Dr. Stefan Lang danke ich für hilfreiche Kommentare zu früheren Versionen des Textes, ebenso Eva Schneider für ein ausführliches Lektorat. Die Berliner Graduiertenförderung hat meine Arbeit an der Dissertation dankenswerterweise durch ein Stipendium unterstützt. Ferner gilt mein Dank dem Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort für seine großzügige finanzielle Unterstützung, die die Drucklegung ermöglichte. Michael Kienecker gebührt mein Dank für die Aufnahme dieser Arbeit in das Programm des mentis Verlages sowie Ulrich Grabowsky für

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Vorwort

die freundliche Zusammenarbeit während der Erstellung der Druckvorlage. Schließlich bedanke ich mich bei Petra Grüneberg für die langjährige Unterstützung meiner Studien und nicht zuletzt bei Chinone Noriko für ihren geduldvollen Rückhalt. Turin, September 2013

Einleitung

Bewusstsein ist nicht ohne Grund eines der grundlegenden Themen philosophischer Forschung: Im Bewusstsein konstituiert sich unser Selbst- und Weltverhältnis, dem zufolge wir uns auf die Welt und uns selbst beziehen können. Wir agieren ausgehend von unserer subjektiven Perspektive, die auf unserer Konstitution als biologische Lebewesen, unseren Bedürfnissen, Vorlieben und Interessen, unserem sozialen Kontext, im Ganzen auf unserer individuellen Erfahrungswelt beruht. Ganz selbstverständlich finden wir uns als Personen, als Individuen vor. Unser Denken sowie unser Handeln vollziehen sich ausgehend von dieser individuellen und persönlichen Perspektive, die für uns als Individuen irreduzibel ist. Zugleich beziehen wir uns auf eine natürliche und gesellschaftliche Wirklichkeit, die das subjektive Selbstund Weltverhältnis prägt und sich insofern durch einen objektiven Charakter auszeichnet. Diese theoretische Auszeichnung von Bewusstsein zielt auf einen selbstverständlichen und daher subtilen Aspekt von Bewusstsein ab, der allzu schnell übersehen werden kann. In jeder Art von Wahrnehmung und in unseren Handlungen sind wir durch den Teil unserer Umgebung bestimmt, auf den wir unsere Aufmerksamkeit richten. So wie dies jetzt während der Lektüre dieser Zeilen das vorliegende Buch ist. Selbiges gilt für Gedanken und Gefühle, gemeinhin alle mentalen Vorkommnisse, die sich einerseits durch einen Aspekt von Gegebenheit auszeichnen und auf die wir uns andererseits aktiv beziehen, über die wir verfügen können. Selbst im Falle eines rein fiktiven Gedankens, einer Spekulation hantieren wir ein geistiges Objekt, das uns innerlich gegeben ist, so dass wir es manipulieren, niederschreiben oder verwerfen können. Der Gedankenstrom, hervorgerufen durch die gegenwärtige Lektüre, mag begleitet sein von zustimmenden oder ablehnenden Gefühlen, vom Gedanken an eine Mahlzeit oder die Hoffnung auf eine Benennung des Themas dieser Untersuchung. In jedem dieser Fälle verfügen wir subjektiv über eine gegebene und folglich objektive Bestimmung unseres Bewusstseins. Damit sind wir auch bereits beim Thema dieser Arbeit angelangt. Es geht um diese ganz selbstverständliche Gegebenheit einer inneren wie äußeren Welt, diese auf die wir uns eigenständig beziehen können, auf die wir aber ebenso verwiesen sind. Es ist dieser vertraute Aspekt unseres Bewusstseins, der sich in einem Spannungsfeld aus subjektiver Verfügbarkeit und objektiver Bestimmtheit bewegt. Sowohl im Denken wie im Handeln überziehen wir die Welt mit unseren subjektiven Einstellungen, die Welt ist uns eine

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Einleitung

wirkliche, indem wir uns auf sie beziehen, sie uns im Denken und Handeln verfügbar machen. Wir können letztlich nicht anders, als uns auf eine natürliche, die sogenannte objektive Wirklichkeit subjektiv zu beziehen. Beide Momente – die objektive Verwiesenheit auf die Wirklichkeit als auch unser subjektives Verhältnis zu dieser Wirklichkeit – bleiben unhintergehbar. Dass wir insbesondere in den Wissenschaften von dieser subjektiven Verfügbarkeit abstrahieren und zu subjektunabhängigen (gesetzesartigen) Aussagen kommen bzw. solche aus mehr oder weniger guten Gründen postulieren, ändert nichts an der irreduziblen Subjektivität unseres Selbst- und Weltverhältnisses. Es zeugt vielmehr von der kognitiven Befähigung durch unsere Intelligenz, dass wir von den individuellen Eigenheiten unserer Selbst- und Weltverhältnisse abstrahieren können. Zugleich zeigt sich aber auch in dieser Fähigkeit die Interdependenz subjektiver und objektiver Momente im Bewusstsein, insofern auch jegliche wissenschaftliche Erkenntnis von einem spezifisch subjektiven Ausgriff auf die Wirklichkeit abhängt. Derlei Selbst- und Weltverhältnisse sind uns so sehr vertraut, dass wir uns aus unserer subjektiven Perspektive heraus ganz selbstverständlich auf eine gegebene Welt beziehen. Für eine philosophische Bewusstseinstheorie ergibt sich damit die wesentliche Aufgabenstellung, diese Selbstverständlichkeit in Frage zu stellen. Es muss erklärt werden, wie wir uns in der Subjektivität unseres individuellen Selbst- und Weltzugangs auf eine gegebene und intersubjektiv zugängliche, sprich objektive Wirklichkeit beziehen können. Gerade weil uns dieses Selbst- und Weltverhältnis so vertraut, ja scheinbar banal ist, verdient es besondere Aufmerksamkeit. In einem Verständnis, wie sich Wirklichkeit, ob diese nun unsere innere oder die äußere Welt ist, für uns konstituiert, liegt ein Schlüssel, tiefer in das menschliche Bewusstsein vorzudringen. Solange wir eine wissenschaftliche Durchdringung der Wirklichkeit einfordern, sollten wir uns dieser Wirklichkeit daher nicht nur als Objekt zuwenden, sondern ebenso die kognitive Konstruktion dieser Wirklichkeit im Bewusstsein nachvollziehen. Schließlich bildet Bewusstsein einen Kristallisationspunkt, in dem sich die intime Sphäre unserer Persönlichkeit, also unserer Erfahrungen, Fähigkeiten, Beziehungen, im Schnittfeld mit radikal Anderem, anderen Mitmenschen, einer kulturellen wie natürlichen Umgebung, artikuliert. Die konkreten Grenzen und Beziehungen zwischen unserer Persönlichkeit und der Welt verändern sich dabei ständig, wir verändern diese Grenzen durch unser Handeln und werden durch die Handlungen anderer, durch natürliche Prozesse verändert. Diese Dynamik erleben und gestalten wir durch unser Selbst- und Weltverhältnis, das somit von allgemeinem Interesse ist. Folglich tragen bewusstseinstheoretische Implikationen nicht nur philosophische Bedeutung, sondern erstrecken sich ebenso auf die Gebiete anderer Geisteswissenschaften sowie der Natur- und Ingenieurswissenschaften – generell überall dorthin, wo Beziehungen des Menschen zu

Einleitung

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sich selbst, zu seinen Mitmenschen oder seiner kulturell-technischen wie natürlichen Umgebung untersucht und gestaltet werden sollen. Dass wir also dazu imstande sind, uns auf eine objektive Wirklichkeit zu beziehen, sei unbezweifelt. Ebenso unbezweifelt bleibt die Voraussetzung einer natürlichen und sozialen Wirklichkeit, auf die wir verwiesen sind. Die wesentliche Frage lautet daher vielmehr, wie diese objektive Verwiesenheit möglich ist, wie sich im Bewusstsein das Spannungsfeld zwischen subjektiver Verfügbarkeit und objektiver Verwiesenheit konstituiert. Es ist damit das grundlegende bewusstseinstheoretische Problem immanenter Objektivität angesprochen, also die Frage, wie wir unsere Wirklichkeit kognitiv konstruieren. Denn selbst wenn – völlig unbestritten – davon ausgegangen wird, dass eine Wirklichkeit subjektunabhängig existiert und wir in eine soziale und natürliche Welt eingebettet sind, bleibt die letztlich auch existentielle Frage, wie diese Welt für uns eine Bedeutung haben kann. Ein Moment von Immanenz ergibt sich wiederum aus dem subjektiven Charakter unseres Bewusstseins. Wir können in unseren subjektiven Selbst- und Weltbezügen zwischen unserer individuellen Perspektive und einem objektiven Moment unterscheiden. Während sich ein jeder individuell auf die Wirklichkeit bezieht, teilen wir zugleich eine gemeinsame Wirklichkeit. Unsere Persönlichkeit konstituiert sich letztlich in diesem Wechselverhältnis, in dem wir uns immer zugleich von allem anderen unterscheiden und uns dadurch auf die Welt beziehen können. Dieses grundlegende und ureigene Phänomen unseres Bewusstseins verlangt nach einer Erklärung, also wie wir als kognitive Systeme ein solches bewusstes Selbst- und Weltverhältnis zu erzeugen imstande ist. Die vermögenstheoretische Konstruktion immanenter Objektivität impliziert, so die zentrale These dieser Untersuchung, projektives Bewusstsein. Ein kognitives System projiziert sich selbst auf die Welt und generiert dadurch den grundlegenden Unterschied zwischen sich und der Welt. Damit ist es dem System möglich, eigenständig eine gegebene Wirklichkeit zu identifizieren. Dieser Begriff eines projektiven Bewusstseins wird in einer kritischen Auseinandersetzung mit der repräsentationalistischen Selbstmodelltheorie (SMT) Thomas Metzingers 1 gewonnen. SMT stellt einen der gründlichsten Anläufe dar, das subjektive Welt- und Selbstverhältnis in einem kognitionswissenschaftlichen Rahmen zu erklären. Bewusstsein wird in Gestalt einer komplexen kognitiven Architektur repräsentationaler Modellierung beschrieben. Im Unterschied zu der repräsentationalistischen Annahme, dass ein kognitives System die Welt und sich selbst lediglich intern abbildet, wird im Begriff projektiven Bewusstseins der spezifische Eigenan1

Vgl. Metzinger, T.: Subjekt und Selbstmodell. Die Perspektivität phänomenalen Bewußtseins vor dem Hintergrund einer naturalistischen Theorie mentaler Repräsentation. Paderborn 1999 sowie ders.: Being no one. The Self-model Theory of Subjectivity. Cambridge (Mass.) 2003.

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Einleitung

teil eines kognitiven Systems an der Generierung eines subjektiven Welt- und Selbstverhältnisses konstruiert. Projektives Bewusstsein erlaubt es somit, die subjektive Formung von Wirklichkeit durch Denken und im Handeln einzuholen. Folglich liegt der epistemische Zweck projektiven Bewusstseins auch nicht in einer möglichst akkuraten internen Repräsentation realweltlicher Prozesse oder Entitäten, sondern in der Projektion der systemeigenen Bedürfnisse, Erfahrungen und Konzepte auf die Welt. Die Welt konstituiert sich dann als objektive im Kontrast zu und in Beziehung auf das kognitive System. Damit impliziert projektives Bewusstsein ein genuin praktisches Welt- und Selbstverhältnis. Den zweiten Bezugspunkt der Konstruktion projektiven Bewusstseins bildet die späte Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes. 2 Im Rekurs auf diesen wissens- und bewusstseinstheoretischen Grundlegungsansatz kann vermögenstheoretisch gezeigt werden, wie in einer subjektiven Perspektive der Bezug auf realweltliche bzw. objektive Gehalte relational konstruiert werden kann. Die relationale Grundanlage projektiven Bewusstseins ermöglicht es, subjektive und objektive Bestimmungen des Bewusstseins aus einem wechselseitigen Begründungsverhältnis zu entwickeln: Die Welt konstituiert sich als objektive in der internen Modellierung, indem das kognitive System intern den grundlegenden Unterschied zwischen sich und der Welt erzeugt. Durch Projektion entsteht die Beziehung zwischen objektiver Verwiesenheit auf die Wirklichkeit und ihrer subjektiven Verfügbarkeit. Das Ziel dieser Untersuchung besteht schließlich darin, zunächst den epistemischen Grundbegriff immanenter Objektivität und damit eine der epistemischen Grundlagen projektiven Bewusstseins zu entwickeln. In Anbetracht der Komplexität menschlicher Selbst- und Weltverhältnisse handelt es sich dabei um ein formales Strukturmoment menschlichen Bewusstseins sowie den Ansatz zu einem projektiven Modell menschlichen Bewusstseins. Die weitergehende Formulierung eines umfassenden Konzeptes projektiven Bewusstseins, das analog zu SMT sämtliches menschliches Bewusstsein umfasst, muss somit zukünftigen Untersuchungen vorbehalten bleiben.

2

Vgl. Fichte, J. G.: »Wissenschaftslehre 1811«, in: (Hg.) Lauth, R. – Jacob, H.: Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. II, 12. Stuttgart-Bad Cannstatt 1999, S. 138–299 [GA II, 12].