Vom Gärtnern in der Stadt

findet bei Konzernen wie Monsanto oder Syngenta statt, die dabei sind, die weltweite Kontrolle über das Saatgut und die Vielfalt der. Nutzpflanzen zu erlangen ...
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Vom Gärtnern in der Stadt Die neue Landlust zwischen Beton und Asphalt

oekom

Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden, reduzieren, kompensieren – nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag. Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt. Mehr Informationen finden Sie unter: www.oekom.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage, 2012 © 2012 oekom, München oekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH Waltherstraße 29, 80337 München Layout und Satz: Carsten Abelbeck, Konzept & Design, und Ines Swoboda, oekom verlag Umschlaggestaltung: www.buero-jorge-schmidt.de Umschlagabbildung: © plainpicture/Scott Barrow Korrektur: Silvia Stammen Druck: fgb. freiburger graphische betriebe Dieses Buch wurde auf FSC-zertifiziertem Papier gedruckt. FSC (Forest Stewardship Council) ist eine nichtstaatliche, gemeinnützige Organisation, die sich für eine ökologische und sozialverantwortliche Nutzung der Wälder unserer Erde einsetzt. Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-86581-183-7 e-ISBN 978-3-86581-633-7 Printed in Germany

Martin Rasper

Vom Gärtnern in der Stadt Die neue Landlust zwischen Beton und Asphalt

Inhalt

Prolog

Sun Dogs Irrtum

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Kapitel 1

Das soll ein Garten sein? 20 Warum es plötzlich so viele neuartige Gärten gibt und warum wir die auch brauchen – Was einen Garten überhaupt ausmacht – Und warum sogar das sich gerade ändert

Kapitel 2

Unterm Pflaster liegt das Beet 54 Warum unsere Städte produktiver werden müssen und wie das gehen kann – Warum auch die Stadt

eine Art Biotop ist – Und welche Rolle in Zukunft das Umland spielen könnte

Kapitel 3

Der politische Garten 100 Warum in einer vernetzten Welt Gärtnern politisches Handeln bedeutet – Warum man sich dessen bewusst sein sollte – Und was das mit der Freiheit des Saatguts zu tun hat

Kapitel 4

Den Garten verstehen 148 Der Garten als Ökosystem, der Boden als Grundlage und wie man damit richtig umgeht – Warum das auch für urbane Gärtner gilt – Und warum diese Sichtweise auch ein Modell für die Gesellschaft sein könnte

Ausblick

Ideen für die grüne Stadt 177 Urbane Gartenprojekte in Deutschland 196 Kommentierte Literaturliste 201 Dank 205

Praxistipps & Hintergründe Was sind das alles für Gärten? Was sind Selbsterntegärten? Stiftung Interkultur Kurse machen, Praktika machen Lob der Felsenbirne Wie komme ich an einen Garten? Ein Hochbeet anlegen Bienen halten Kann man dem Boden trauen? Kartoffeln im Kübel Tipps für den Balkon Drei Rezepte Schadstoffe im Stadtgemüse Zehn Fragen zum Guerillagärtnern Die Geschichte vom Korbiniansapfel Saatgut gewinnen Saatgut kaufen oder tauschen? Aus dem Manifest zur Zukunft des Saatguts Was sind samenfeste Sorten, was sind F1-Hybriden? Artenvielfalt fördern Lob der Ringelblume Kräuterbeet Einfache Regeln zur Mischkultur Kein Garten ohne Kompost Umgraben oder nicht? Was ist Permakultur? Zehn Thesen zur Zukunft der Stadt und des Gärtnerns

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Prolog Sun Dogs Irrtum Ein Gespenst geht um in Europa, ein fröhliches buntes Gespenst mit Dreck unter den Fingernägeln: der Neue Gärtner. Aufgetaucht aus dem Nichts, hat er in kürzester Zeit die Städte erobert. Die Illustrierten überschlagen sich mit Geschichten über coole GuerillaGärtner und urbane Gemüsezüchter, Designer entwerfen futuristische Hängebeete und Gartengeräte aus Recyclingmaterial. Gärtnern ist hip, ist »der neue Rock’n Roll«, wenn nicht gar, wie aus London zu hören war, »der neue Sex«. Die Musikzeitschrift Spex nennt die Gründer des Berliner Prinzessinnengartens »Bauern von Kreuzberg« und zeigt einen der beiden auf einem historisierenden Schwarz-Weiß-Foto mit Zigarette im Mundwinkel und Tweedmütze auf dem Kopf, wie er lässig mit der Brause die Hochbeete wässert, eine skurrile Mischung aus James Dean und Henry David Thoreau. Was ist da passiert? Urbanes Gärtnern ist doch ein Widerspruch in sich, sollte man meinen. Waren die Städte nicht immer ein Synonym für Naturferne – oder jedenfalls für eine Lebensweise, in der ganz andere Koordinaten zählten? Steingewordene Geschichte, geballtes Leben, Kino, Kneipe, Kultur, einerseits. Aber auch Verkehrschaos, Menschenmassen und Gewalt, schlechte Luft; für diesen Teil des Großstadtbildes stand »Die Unwirtlichkeit unserer Städte«, Alexander Mitscherlichs Abrechnung mit dem naiv-bornierten Aufbruchsgeist der Wirtschaftswunderzeit. Anfang der neunziger Jahre lebte ich eine Zeitlang in einer Aussteigerkommune im Regenwald von Costa Rica. Wir bauten Ananas und Bananen an, pflegten Brotfrucht-, Mango- und Kakaobäume, backten unsere Brotfladen am offenen Feuer und liefen einmal die Woche ins acht Kilometer entfernte Städtchen, um Reis, Öl und die

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einzige verfügbare Zeitung zu kaufen. Alle dort waren überzeugt, dass die überdrehte Zivilisation, aus der wir kamen, keine Zukunft haben würde. Statt dessen würde es künftig darum gehen, irgendwo auf dem Land sich selbst zu versorgen, möglichst wenig Energie und Rohstoffe zu verbrauchen und überhaupt mit der Welt sorgsam umzugehen. Wie aber würde die aussehen? Und was würde mit den Städten geschehen, aus denen die meisten von uns stammten? »Cities«, dozierte da ein rauschebärtiger, in der Wolle gefärbter kalifornischer Hippie, der sich Sun Dog nannte – »cities will just vanish«. Die Städte werden einfach verschwinden. Es war keine Meinung, sondern eine Feststellung. Diese Haltung war seinerzeit durchaus populär. Der amerikanische Historiker Mike Davis hatte gerade sein Traktat City of Fear veröffentlicht, in dem er wortreich den Untergang von Los Angeles an die Wand malte; und wie um ihn zu bestätigen, waren kurz darauf in der Stadt heftige Rassenunruhen ausgebrochen. Auch Sun Dog wusste, wovon er sprach, er stammte aus San Diego, er kannte den Smog und zwölfspurige Freeways und das Gefühl, mit leerem Tank in einer feindlichen Gegend zu stranden. »Die Städte werden an ihrer eigenen Scheiße ersticken«, prophezeite er, »an ihrem Müll, ihrem Verkehr, ihren Abgasen, ihrer Gewalt. Sie werden sich in einem logistischen, sozialen, infrastrukturellen Chaos einfach auflösen.« Und wann so? Irgendwann nach dem Jahr 2000. Das schien damals noch ziemlich weit weg zu sein. Es kam bekanntlich anders. Städte sind lebendiger als je zuvor. Seit dem Jahr 2008 lebt nach offizieller Schätzung der Vereinten Nationen mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten – erstmals

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›Die Städte werden verschwinden‹, sagte Sun Dog. Es war keine Meinung, sondern eine Feststellung.

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überhaupt in der Geschichte. Städte sind attraktiv, und sei es aus purer Not. Und so sehr sich Orte wie München oder Warschau von den wuchernden Megacities in Afrika und Asien unterscheiden, haben sie doch vieles gemeinsam: die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Stadt und Land. Eine Stadt hat gegenüber ihrer Umgebung einen vielfach erhöhten Energie- und Materialumsatz; sie ist Ausgangs- und Zielpunkt von Verkehrs-, Kommunikations- und Warenströmen. Sie bildet ein kleinräumiges Mosaik von Lebensstilen, Denkstilen, Baustilen, Flächennutzungsstilen; sie dient als Durchlauferhitzer für Ideen und als Beschleuniger von Biografien. Eine Stadt ist verdichtetes Leben. Derweil werden viele Städte, zumindest in den Industrieländern, immer lebenswerter. Die Unwirtlichkeit dagegen, die Mitscherlich beklagte, wandert zunehmend in die globalisierten Strukturen aus. Nicht von ungefähr fällt das Wachstum der Städte mit fortschreitender Globalisierung zusammen. Die Welt wird immer arbeitsteiliger, und vielen Weltgegenden sieht man das bereits an. Die andalusische Küste wurde in den vergangenen Jahren in ein einziges Plastikgewächshaus verwandelt, in dem billige Erdbeeren und Rosen, Tomaten und Gurken für den europäischen Markt produziert werden. Und in ganzen Landstrichen der USA, Brasiliens und Argentiniens wächst praktisch nichts mehr außer künstlich bewässerten, künstlich ernährten, künstlich gegen Schädlinge immunisierten Mais-, Kartoffel-, Soja- und Baumwollpflanzen. Die größten Konzerne machen Umsätze wie mittlere Länder; WalMart, Royal Dutch Shell und ExxonMobile setzen in guten Jahren jeder für sich mehr Geld um als Österreich oder Norwegen. Und eine geradezu dramatische Machtkonzentration

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findet bei Konzernen wie Monsanto oder Syngenta statt, die dabei sind, die weltweite Kontrolle über das Saatgut und die Vielfalt der Nutzpflanzen zu erlangen, also über Ressourcen, die für die Menschheit lebenswichtig sind. Viele Menschen fühlen sich damit zunehmend unwohl: angesichts der Art und Weise, wie Ressourcen verbraucht und wie Lebensmittel produziert werden und angesichts der Tatsache, wie arbeitsteilig selbst der banale Alltag geworden ist. Man kann seinen Wecker nicht mehr reparieren, weil er nur noch aus einem Chip und ein paar verschweißten Plastikteilen besteht; die Warenströme rauschen an uns vorbei, dass uns Hören und Sehen vergeht, und wir machen uns automatisch schuldig, wenn wir ein billiges T-Shirt kaufen. Von diesem Unwohlsein handelt dieses Buch – und von einem Ansatz, es zu überwinden. Immer mehr Menschen fordern wieder eine Teilhabe an diesen Prozessen ein; nicht nur in den Städten, aber vor allem dort. Ihnen dämmert, dass die Monokulturen auf dem Acker und in den Industriehallen ein Gegenstück besitzen: in Form einer Leerstelle, die in unserem Alltag entstanden ist. Sie fühlen sich abgeschnitten vom Produktionskreislauf der Dinge, vor allem der Lebensmittel: vom Säen und Ernten, vom Vorsorgen und Selbermachen, von den meisten der jahrhundertelang eingeübten Kulturtechniken, die damit verbunden waren; abgeschnitten auch von der Beziehung zu dem Produzenten, der mit seiner Person noch für sein Produkt einsteht. Und weil viele Menschen so empfinden, passieren unterschiedliche Dinge. Am spektakulärsten sind vielleicht die urbanen Gartenprojekte wie der Prinzessinnengarten in Berlin, der viele Menschen

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inspiriert und zur Nachahmung angeregt hat. Weniger überraschend, aber viel weiter verbreitet sind die Selbsternteprojekte, die zur Zeit überall in Deutschland entstehen und in denen man ohne Vorkenntnisse eine Saison lang eigenes Gemüse ziehen kann. Anderswo pachten Menschen gemeinsam ein Stück Land vor der Stadt und bestellen es für den Eigenbedarf; andere beteiligen sich an Bauernhöfen, denen sie damit eine finanzielle Grundversorgung garantieren, und werden so zu Kunden, Investoren und Verbündeten zugleich. Und das erste Handelsunternehmen ermuntert bereits seine Kunden, das Gemüse selbst anzubauen, das es ihnen doch eigentlich verkaufen sollte – ein deutliches Zeichen dafür, dass die herkömmliche kaufmännische Logik an Grenzen gestoßen und dass es an der Zeit ist, neue Wege auszuprobieren. Bei alldem geht es nicht um ein Zurück zur Natur oder zur Steinzeit oder sonstwohin. Was ansteht, ist eine Neuorientierung und Neubewertung, ein neuer Zugang zu Wissen und Erfahrung. Die Auseinandersetzung mit den natürlichen Grundlagen unserer Existenz,

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Wo früher ein zugemülltes Parkdeck war, blühen heute die Internationalen Stadtteilgärten Hannover.

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Das urbane Gärtnern wird unsere Städte verändern, und nicht nur sie.

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vor allem auch damit, wie diese wirtschaftlich und gesellschaftlich organisiert werden, ist Ausdruck einer – durchaus politischen – Haltung. Gärtnern war immer eher konservativ; dass es nun auch subversive Aspekte bekommt, ist neu. Sicher: Der direkte Beitrag, den die Städte tatsächlich zur Versorgung mit Lebensmitteln leisten können, wird immer gering bleiben. Wer Selbstversorgung anstrebt, braucht Platz, der in unseren Städten in der Regel nicht vorhanden ist. Und gegen die Dimension, in der die Gentechnik- und Saatgutkonzerne ganze Landstriche besetzen, sind die zerstreuten Gärten ohnehin ein Klacks. Aber die Größenordnung ist nur ein Aspekt der Sache. Es geht um Bewusstseinsveränderung, es geht auch schlicht ums Tun. Ums Ausprobieren, ums Erfinden neuer Formen und Konzepte, auch um die Wiederentdeckung bewährter Methoden. Ich bin überzeugt, dass das urbane Gärtnern in den kommenden Jahren unsere Städte verändern wird, und nicht nur sie. Die Erfahrungen, die hier gemacht werden, die Kompetenzen, die erworben werden, die neuen Formen, die hier entstehen, werden zurückwirken aufs Land. Das Verhältnis zwischen Stadt und Land wird neu definiert, es wird vielfältiger, differenzierter. Stadt – Land, das ist nicht mehr unbedingt ein Gegensatz, es entwickelt sich zu einem Verhältnis der Ergänzung, der wechselseitigen Beziehungen. Von Sun Dog, dem Hippie aus dem Regenwald, hörte ich noch einmal zehn Jahre später – indirekt, per Mail, über einen Freund, der ihn besucht hatte. Er war wieder in Kalifornien gelandet, auf einer »Permakultur«-Farm (damals hörte ich das Wort zum ersten Mal) in Mendocino County, »mitten im Busch«, wie es hieß, also im Wald.

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Gärtnern ist hip: Robert Shaw im Berliner Prinzessinnengarten