fraktionsbeschluss vom 10.09.2012 » grüne stadt der zukunft für ...

10.09.2012 - Neben Beteiligung bei Bauprojekten und strategischen Plänen ... Schon heute sind entsprechende strategische Pläne, integrierte Stadt- oder.
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FRAKTIONSBESCHLUSS VOM 10.09.2012 » GRÜNE STADT DER ZUKUNFT FÜR LEBENSWERTE STÄDTE 2050 werden weltweit über zwei Drittel der Menschen in Städten leben. In Deutschland sind es heute schon drei von vier. Grün, zukunftsstark und gestaltet mit den Kräften und zum Wohle aller, das ist unsere Vision von lebenswerten Städten. Grüne Stadtpolitik heißt: schonend mit den Ressourcen umgehen und Energie sparen, die Innenstädte beleben und Wohnen bezahlbar halten, gute öffentliche Institutionen und grüne Räume für alle schaffen, Flächen schützen und nachhaltige Mobilität gestalten – das begreifen wir als politische Kernaufgaben. Wir wollen die Kommunen darin stärken, diese Herausforderungen gut geplant und mit einer schlüssigen Strategie anzugehen. Dabei setzen wir auf Bürgerbeteiligung und auf transparente Planungen von Anfang an. Grüne Stadtpolitik verbindet verschiedene Politikfelder und strebt integrierte Lösungen an. Sozial-, Bildungs- Wohnungs-, Verkehrs- und Arbeitsmarktpolitik sind für die lebenswerte Stadt ebenso wichtig wie eine erfolgreiche Wirtschafts- oder Energiepolitik. Deswegen wollen wir die Innovationsprogramme der Städtebauförderung für lebendige Innenstädte und öffentliche Räume, für Stadtumbau im demografischen Wandel, für soziale Stadtentwicklung und für Baukultur stärken und diese Strategie auf Energieeffizienz und Klimaschutz erweitern. Neue Stadttechnologien und unsere Tradition der behutsamen Stadterneuerung sind Grundlagen für die anstehende energetische Modernisierung. So entstehen Arbeitsplätze und so sichern wir bezahlbaren Wohnraum. Um die Kommunen angesichts knapper Kassen zu stärken, setzen wir uns im Bundestag für eine kommunale Finanzreform ein. Die Grüne Stadt der Zukunft ist eine vitale, aktive Stadt. So könnte sie aussehen ...

1. DIE GRÜNE STADT DER ZUKUNFT – EINE VISION Kommunikativ gestaltete öffentliche Räume laden zum Verweilen und zur Teilhabe ein. Hier fühlt sich Mensch wohl, hier leben Toleranz und sozialer Zusammenhalt auf. Die BürgerInnen sind nicht nur BewohnerInnen, sondern vor allem GestalterInnen ihrer Stadt. Die Grüne Zukunftsstadt ist inklusiv. Sozialräumliche Inklusion ist eines der Leitbilder, die den Strukturwandel vorangebracht haben. Bunte Stadtquartiere sind entstanden, in denen sich junge Menschen, Familien mit Kindern und alte Menschen gut aufgehoben fühlen. Nachbarschaftliche und familiäre Netzwerke sind etwas Alltägliches. Altersgerechte und barrierefreie Wohnungen gibt es in ausreichender Zahl. Das Zusammenleben von Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen und Migrationsgeschichten ist kein Nebeneinander sondern ein Miteinander. Die Schulen und Bildungseinrichtungen bilden die Grundlagen und zentralen Orte dafür. Sie sind zu Orten der lebendigen Demokratie geworden. Der konstruktive Umgang mit Vielfalt belebt die Beteiligungskultur und die Wirtschaft, ausgezeichnete Ideen haben Patente und Arbeitsplätze gebracht. Die lebenswerte Stadt hat das Vertrauen in die eigene und in die gemeinsame Tatkraft der Menschen gestärkt. Die Grüne Stadt der Zukunft ist keine Betonstadt. Ob als Spielplatz für die Kleinen oder als Ruhebereich für die Großen, Grünflächen sind keine Mangelware. Es ist eine nachhaltige Stadt, die verantwortungsvoll mit den begrenzten Ressourcen umgeht. Es ist eine Stadt im Einklang mit der Natur und ihren BewohnerInnen. Niedrigenergiehäuser mit Solarzellen auf den Dächern oder Passivhäuser

sind Standard. Klimaschutz und Energieeffizienz sind selbstverständlicher Bestandteil einer modernen urbanen Lebensweise. Die räumliche Nähe ist ein wichtiger Faktor in der regenerativen Zukunftsstadt. Autofahrten, die früher Wohnung, Arbeitsplatz, Einkaufs- und Freizeitaktivitäten getrennt haben, entfallen. Die Innenstädte sind wiederbelebt, attraktiv, dicht und grün. Viele Flächen, Fassaden und Dächer sind als Lebensraum für essbare und wilde Pflanzen in großer Artenvielfalt erschlossen, von den BürgerInnen wertgeschätzt und gepflegt. Es haben sich lebendige Stadtquartiere entwickelt, mit einer Mischung aus Unternehmen, Arbeiten, Wohnen und Leben. Preiswerter Wohnraum ist auch in mittleren und guten Lagen ausreichend vorhanden. Alles ist per Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Kurze Wege senken den Stressfaktor und erhöhen die Lebensqualität. Die Grüne Stadt übernimmt nicht nur Verantwortung für ein inklusives Leben in ihren Grenzen, sondern sie erkennt auch ihre Bedeutung für die globale Entwicklung an und nimmt ihre Vorbildfunktion im Bereich der internationalen Fairness wahr. Sie erfüllt die Grundprinzipien der „Fairen Kommune“ und darüber hinaus auch die Anforderungen einer „fairen kommunalen Beschaffung“, die dazu beiträgt, weltweit soziale und ökologische Standards zu fördern. Sie ist sich ihrer Verantwortung gegenüber „Fremden“ bewusst, die in der Stadt nicht lange fremd bleiben dürfen. Sie trägt zur Integration von Kriegsflüchtlingen, Asylbewerbern und anderen Migranten bei und wehrt sich aktiv gegen fremdenfeindliche und rechtslastige Agitation Inklusiv, nachhaltig, lebendig und lebenswert, so sieht die Grüne Zukunftsstadt aus. Soweit die Vision. Und so wollen wir sie umsetzen …

2. LEITSÄTZE GRÜNER STADTENTWICKLUNGSPOLITIK LEITSATZ 1 Stadtentwicklung kann nicht nur auf dem Reißbrett stattfinden. Die Umgestaltung unserer Städte gehört in die Hände derjenigen, die dort leben. Bund, Länder und Kommunen müssen gemeinsam mit den BürgerInnen an Lösungen arbeiten. Die grüne Stadt der Zukunft lebt von der Bürgerbeteiligung. Voraussetzung für jede Bürgerbeteiligung sind Transparenz und Informationsrechte in Bund, Ländern und Gemeinden. Wir finden, dass hier noch erheblicher Handlungsbedarf besteht. •

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Deswegen wollen wir Räume und Gelegenheiten dafür schaffen, Aufgaben und Konflikte aktiv anzugehen und zu lösen. Besonders wichtig: Beteiligung muss zu einem Zeitpunkt ansetzten, an dem es noch wirkliche Planungsalternativen gibt. Die in den Förderprogrammen „Städtebauförderung“ und „Soziale Stadt“ vorgesehene aktivierende Beteiligungskultur wollen wir weiter ausbauen und bewerben. Neben Beteiligung bei Bauprojekten und strategischen Plänen gehört zur Bürgerbeteiligung auch die Alltagskultur. Neue Ansätze wie städtisches Gärtnern oder die gemeinsame Gestaltung öffentlicher Räume wollen wir unterstützen. Beteiligen kann sich nur, wer weiß was los ist. Deswegen muss das Recht auf Information ausgeweitet werden. Wir fordern ein Informationszugangsgrundrecht im Grundgesetz, die Reform des Informationszugangsrechts auf Bundesebene und Informationsfreiheitsgesetze in den Bundesländern.

LEITSATZ 2 Verwaltungshandeln und die Vergabe von Fördermitteln über Politikfelder hinweg müssen besser koordiniert werden. Mit einem räumlich integrierten Ansatz der Stadtentwicklung kann zum Beispiel die energetische Stadterneuerung in Quartieren mit akutem Sanierungsbedarf punktgenau gesteuert und auf die lokalen Eigentümer- und Nutzergruppen zugeschnitten werden. Ideen und Wissen fließen ein, Interessenskonflikte können zum Besten aller Beteiligten gelöst werden. 09/2012 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | FRAKTIONSBESCHLUSS VOM 10.09.2012 » GRÜNE STADT DER ZUKUNFT FÜR LEBENSWERTE STÄDTE | 2





Schon heute sind entsprechende strategische Pläne, integrierte Stadt- oder Quartiersentwicklungskonzepte in Städtebauprogrammen wie Stadtumbau und Soziale Stadt rechtlich vorgeschrieben. Diese Pläne wollen wir weiterentwickeln und verbreiten. Für die Bauleitplanung kann es von Vorteil sein, wenn die Kommune vorab klärt, welche Freiflächen für die Kühlung der Stadtviertel, Artenvielfalt oder Erholung unbedingt frei bleiben müssen. So können andere Grundstücksflächen effektiver genutzt werden.

LEITSATZ 3 Die grüne Stadt der Zukunft ist krisenfest. Kernaspekte krisenfester, sogenannter resilienter Städte sind flexible, dezentrale Versorgungs- und Wirtschaftsstrukturen. In Erweiterung des Nachhaltigkeitsbegriffs wollen wir Städte so entwickeln, dass sie auf Klimawandel und extreme Wetterereignisse, gefährdete Infrastrukturen und steigende Energiepreise vorbereitet sind. • • • •

Wir setzen auf die ökologisch-soziale Modernisierung, indem Städte energie- und ressourcensparend gestaltet werden, um unabhängig von fossilen Importen zu werden; indem Netze dezentral angelegt werden und damit weniger störanfällig als ein zentrales Kraftwerk sind; indem Versorgung und Austausch von Waren und Diensten stärker regionalisiert werden anstatt vom reinen Welthandel abhängig zu sein; indem wir die Beteiligungskultur stärken und Bildungseinrichtungen lokal und regional vernetzen.

LEITSATZ 4 Finanzielle Förderungen müssen verstärkt räumlich ausgerichtet werden. Nur so können lokale Schwierigkeiten auch vor Ort gezielt angegangen und überbordende bürokratische Anforderungen vermieden werden. Die Städtebauförderung macht es vor. •





Wir wollen die Städtebauförderung kurzfristig auf 610 Millionen Euro steigern, perspektivisch auf 700 Millionen Euro jährlich. Darüber hinaus wollen wir die Teilhabe der Städte an der Städtebauförderung unabhängig von der Haushaltssituation vor Ort sicherstellen. Denn gerade für finanzschwache Kommunen sind die Förderprogramme häufig die einzige Möglichkeit Investitionen durchzuführen. Insgesamt müssen öffentliche Mittel stärker lösungsbezogen nach Größe der Herausforderung und weniger nach Himmelsrichtungen eingesetzt werden. Wirklich effizient eingesetzt ist das Geld erst dann, wenn auch die Mittel anderer Ressorts, die originäre räumlich auftretende Belange betreffen an räumliche Förderschwerpunkte gekoppelt werden. Städte müssen handlungsfähig sein. D.h. die kommunalen Finanzen müssen auf eine solide Basis gestellt werden, in dem auf weitere Steuersenkungen verzichtet und stattdessen die Finanzkraft der Kommunen verbessert wird. Am härtesten trifft die kommunale Finanzkrise die notleidenden Städte und Gemeinden. Förderprogramme müssen deren Bedarfe berücksichtigen. Wir fordern dringend eine kommunale Finanzreform, die ihren Namen verdient. Bei den Verhandlungen für die nächste Förderperiode der EU-Strukturpolitik setzen wir uns für eine starke städtische Dimension im Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und eine Ausrichtung des Europäischen Sozialfonds auch auf städtische Problemgebiete ein.

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3. ZENTRALE HERAUSFORDERUNGEN - GRÜNE KONZEPTE 3.1 DAS „KRAFTWERK STADT“

KLIMA Rund Dreiviertel aller klimaschädlichen CO2-Emissionen gehen direkt oder indirekt aus dem urbanen Raum hervor. Um die globale Erwärmung auf ein gerade noch beherrschbares Maß zu begrenzen, muss der Energiebedarf der StädterInnen und der Infrastruktur sinken sowie die Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts fast gänzlich auf Null gebracht werden. Die Städte müssen ihre Strom- und Wärmeversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energien umstellen, Energie einsparen und effizienter nutzen und neue, emissionsfreie Mobilitätskonzepte entwickeln. RESSOURCEN Fehlplanungen werden zu einer gewaltigen Hypothek. Denn die langlebigen Infrastrukturen, die wir heute errichten, bestimmen den Energiemix, die Energiekosten und das Emissionsniveau für Jahrzehnte. Sparsame Stadtstrukturen, kurze Wege und energetisch modernisierte Wohngebäude schützen Städte und ihre BewohnerInnen vor energiepreisbedingter Armut, bringen Arbeitsplätze und stärken die Binnennachfrage. Die Verknappung endlicher Rohstoffe wird in den nächsten Jahrzehnten die städtischen Strukturen grundlegend verändern. Kluge KämmererInnen und BürgerInnen setzten auf den Umbau zur „Post-Oil-City“ (deutsch: Nach dem-Erdöl-Stadt). Dazu zählt auch, die im städtischen Raum anfallenden Wertstoffe effizienter zu nutzen. Die Städte werden so von Ressourcenverbrauchern zu Rohstoffminen. FLÄCHE Fläche ist ein knappes Gut. Der Flächenverbrauch in Deutschland ist mit rund 500 Quadratmetern pro Minute viel zu hoch. Viele Städte bevorzugen immer noch vermeintlich leicht zu entwickelnde Neubaugebiete am Stadtrand gegenüber der Reaktivierung von Brachflächen in bestehenden Siedlungen. Langfristige Folgekosten für den Erhalt der neuen Baugebiete, für Verkehrswege und Leitungen bleiben oft unberücksichtigt. Durch zunehmende Siedlungs- und Verkehrsfläche gehen die lebenswichtigen ökologischen Funktionen der Böden verloren. Zusammenhängende Lebensräume von Pflanzen und Tieren werden zerschnitten, und die Artenvielfalt nimmt ab. Grüne Konzepte Für Klima- und Ressourcenschutz im urbanen Raum sehen wir ein ganzheitliches Konzept vor: mit einer Neuausrichtung von Baurecht, Mietrecht, Ordnungsrecht und entsprechender Förderung. Grüne Stadtentwicklung achtet auf kurze Wege, um Energie und Infrastrukturkosten zu sparen. Mobilität in der Stadt richten wir nicht länger einseitig an den Erfordernissen des Autoverkehrs aus. In den Fokus rücken wir stattdessen eine vernetzte Mobilität, die die Kombination unterschiedlicher Fortbewegung ermöglicht. Dazu wollen wir den Umweltverbund ausbauen. Lebenswerte Städte setzen in sensiblen Bereichen auf angepasste Geschwindigkeiten. Tempo 30 wollen wir als Regelgeschwindigkeit etablieren, neue Konzepte wie Shared Space vermehrt zur Anwendung bringen. Das Elektroauto sehen wir als Chance, unsere Städte leiser und emissionsfrei zu machen. Seit einigen Jahren nimmt der Fahrradverkehr in unseren Städten wieder deutlich zu. Diese erfreuliche Entwicklung wollen wir mit gezielten Investitionen in das Radverkehrsnetz und den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)weiter unterstützen. 09/2012 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | FRAKTIONSBESCHLUSS VOM 10.09.2012 » GRÜNE STADT DER ZUKUNFT FÜR LEBENSWERTE STÄDTE | 4

Grüne Stadtentwicklungspolitik senkt den Wärmeverbrauch drastisch durch energetische Gebäudeund Stadtteilsanierung. Urban Technologies und unsere lange Tradition der behutsamen Stadterneuerung müssen noch klarer auf die notwendige ökologische Modernisierung ausgerichtet werden. Gebäude- und Quartierssanierung schaffen Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze. Das Sanierungsrecht im Baugesetzbuch wollen wir für die energetische Stadtsanierung fit machen. . Sanierungsbedürftige Stadtquartiere sollen möglichst im Ganzen betrachtet und erneuert werden. Ein Energiebedarfsausweis für alle Wohngebäude zeigt an, wie hoch der Energiebedarf ist und welche Sanierungsmaßnahmen zu empfehlen sind. Das seit 2009 gültige Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EEWärmeG) weiten wir auf den Gebäudebestand aus. Zudem müssen Kommunen auch Neubauquartiere mit energetischen Anforderungen hinsichtlich Energieeinsparungen und Einsatz erneuerbarer Energien versehen können, damit zunehmend Null- und Plusenergiequartiere entstehen. Wir wollen das 1,5-Liter-Haus zum Standard für Neubauten machen. Von steigenden Energiekosten sind zuerst Geringverdienende und einkommensschwache Haushalte betroffen. Die Energiewende muss aber für alle bezahlbar sein. Um die Finanzierbarkeit der Gebäudesanierung zu sichern und eine schlüssige Effizienzstrategie zu etablieren, richten wir einen mit drei Milliarden Euro ausgestatteten Energiesparfonds ein, der die finanziellen Fördermaßnahmen für Energieeffizienz- und Energiesparmaßnahmen zusammenführt und ausbaut. Energetische Stadtsanierung und Energieberatung sind zwei wesentliche Fördergegenstände des Energiesparfonds. Darüber hinaus wollen wir auch die CO2-Gebäudesanierungsprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau langfristig in Höhe von 2 Mrd. Euro im ordentlichen Bundeshaushalt festschreiben und weiter auf zielgruppenspezifische Bedürfnisse ausrichten. Eine steuerliche Förderung wollen wir so ausgestalten, dass sie sozial ausgewogen ist und den Klimazielen gerecht wird. Damit schaffen wir einen zusätzlichen Sanierungsanreiz für EigentümerInnen und schützen MieterInnen. Um die zukünftige Rohstoffknappheit zu meistern, ist ein sparsamerer Umgang mit Rohstoffen nötig. Wir wollen den Verbrauch von Primärrohstoffen in Deutschland insgesamt drosseln. Um das Recycling zu stärken, ist die Erhöhung der Sammelquote von recyclingfähigen Materialien wichtig. Darüber hinaus sollen entsprechende Vorgaben schon bei der Produktgestaltung deren Langlebigkeit und Wiedernutzbarkeit erhöhen. Von einer Entsorgungsverpflichtung wollen wir zur Abfallvermeidung übergehen. Um die in den Städten anfallenden Rohstoffe besser zu nutzen, muss auch die Recyclingquote von Bau- und Abbrucharbeiten erhöht werden. Ein sparsamer Umgang mit Ressourcen betrifft auch den Umgang mit Boden und Freiflächen. Etwa im Falle der Konversion bundeseigener Liegenschaften. Die Vermarktung und das öffentliche Liegenschaftsmanagement der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben wollen wir neu ausrichten. Wir geben nachhaltigen Standortentwicklungen nach städtebaulichen und regionalwirtschaftlichen Kriterien den Vorzug gegenüber rein kommerziell orientierten. Denn was nützt zum Beispiel das zehnte Luxuswohngebiet, wenn preiswerter, generationengerechter Wohnraum fehlt? Um den Flächenverbrauch in Deutschland zu reduzieren müssen Innenverdichtung und der Erhalt von Brach- und Freiflächen abgewogen werden. Das wollen wir mit der Nachweispflicht für fehlende Flächenreserven im Innenbereich der Städte erreichen, sofern im Außenbereich geplant und gebaut werden soll. Dazu wollen wir umfassende Grün- und Brachflächenkataster einführen, damit die Gefahr von Nachverdichtung an der falschen Stelle eingedämmt wird. Bauen im Innenbereich soll im Vergleich zum Außenbereich insgesamt relativ günstiger werden, indem im Außenbereich zum Beispiel eine Flächenverbrauchsabgabe oder Flächenzertifikate, zugunsten von Flächenrecycling eingeführt werden. Wir brauchen dichte Stadtstrukturen, aber auch Freiräume und verbundene Grünzüge. Parks und Stadtgrün dienen der biologischen Vielfalt und dem Naturerleben und kühlen in Hitzeperioden. Urban

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gardening (deutsch: städtisches Gärtnern), die „essbare“ Stadt und von Bürgern gepflegtes Stadtgrün werden zunehmend Alltagskultur, Erholungs- und Begegnungsort - das unterstützen wir. 3.2 DEMOGRAFISCHE ENTWICKLUNG UND SOZIALER ZUSAMMENHALT

Auch in vielen deutschen Städten führt der demografische Wandel zu einer schrumpfenden und alternden Gesellschaft. Einwohnerschwund und Alterung der Gesellschaft bringen mancherorts zunehmenden Wohnungsleerstand mit sich. Einzelne Innenstädte werden ausgehöhlt und verlieren ihre Funktionen, während die Stadtränder verschwimmen. Das Wohnungsangebot entspricht nicht mehr dem Bedarf, der Nachfrage nach familiengerechten sowie barrierefreien und barrierearmen Wohnungen steht noch längst kein entsprechendes Angebot gegenüber. Die bestehenden Infrastruktursysteme passen oftmals nicht mehr zum Bedarf.. Das wird für viele bei der Nahversorgung besonders spürbar. Der demografische Wandel zeigt sich in Städten und Regionen in sehr unterschiedlicher Ausprägung; Schrumpfung und Wachstum liegen vielerorts dicht beieinander. Als Antwort brauchen wir regional und zeitlich angepasste Entwicklungsstrategien. Auch wenn wir es positiv sehen, dass immer mehr Menschen von den „Speckgürteln“ zurück in die Städte ziehen (Reurbanisierung), kann sich dieser Trend auch ungünstig auswirken, wenn durch den Anstieg von Mieten die ansässigen BewohnerInnen aus ihren Stadtteilen verdrängt werden. Durch Modernisierungen aller Art, für gehobene Ansprüche, aber auch für Klimaschutz und altersgerechten Umbau können angestammte Mieterinnen und Mieter infolge von Mietsteigerungen verdrängt werden. In den alten Bundesländern leben schon vier von fünf Menschen in Regionen, in denen die Neuvertragsmieten deutlich stärker als die Inflation stiegen. Die soziale Spaltung unserer Städte nimmt weiter zu. Durch Gentrifizierungs- und Verdrängungsprozesse verinseln benachteiligte Stadtteile insbesondere in Städten mit engem Wohnungsmarkt zunehmend. Die Menschen in den ärmeren Stadtteilen haben immer weniger Chancen über Quartiersgrenzen und soziale Schichten hinweg Erfahrungen zu machen und Kontakte aufzubauen. Schulsegregation verfestigt diese Trennung und ist selbst auch ein starker Motor für räumliche Trennung nach sozialen Kriterien, Aufstiegschancen schwinden. Grüne Konzepte In Städten, die durch Abwanderung Einwohner verlieren, wollen wir durch passende Infrastruktur die Lebensqualität sichern und die Innenstädte beleben. Die Raumplanung muss dafür ihr Zentrale-OrtePrinzip erneuern. Die Programme Stadtumbau Ost und West und die Städtebauförderung müssen bedarfsgerecht erhöht und planbar und verlässlich fortgeführt werden. Steigenden Wohnungsleerstand und den Verfall von Innenstädten und Stadtquartieren wollen wir vermeiden, dazu lenken wir Investitionen in die Innenstädte und städtebaulich nachhaltige Stadtviertel mit dem Ziel kompakter Städte, auch bei der energetischen Quartierssanierung. Überall muss Wohnraum mindestens altersgerecht, besser barrierefrei, umgebaut oder neu errichtet werden, denn der Bedarf ist riesig. Neben einer Informationskampagne wollen wir die öffentlichen Förderprogramme an altersgerechten bzw. barrierefreien Umbau koppeln, die Modernisierungsmieterhöhung darauf ausrichten und das KfW Programm „Altersgerecht Umbauen“ wieder mit Bundesmitteln ausstatten. Der Inklusionsgedanke muss generell das Fundament von Planungskonzepten bilden. Im Zuge dessen müssen auch Geschäfte, Praxen, öffentliche Eirichtungen, Einrichtungen des Bildungswesens und für Kultur, Sport und Freizeit sowie Angebote des Öffentlicherr Personenverkehrs stärker als bisher barrierefrei gestaltet werden.

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Wo Städte wachsen steigen die Mieten. Im Mietrecht und den flankierenden gesetzlichen Regelungen sowie bei der energetischen Sanierung setzen wir uns für ein Ausbremsen der Mietsteigerungen und gegen die Verdrängung einkommensschwacher Haushalte ein. Neben einer Förderpolitik, die das berücksichtigt, senken wir die Modernisierungsmieterhöhung auf neun Prozent und konzentrieren sie auf energetische Modernisierung sowie altersgerechten Umbau. Überschießende Neuvertragsmieten verhindern wir im Wirtschaftsstrafgesetzbuch sowie im Bürgerlichen Gesetzbuch, in Sanierungs- und Erhaltungsgebieten über das Baurecht. Die Kappungsgrenze senken wir ab. Wohnraum muss erhalten, statt zu Ferienwohnungen umgewandelt werden, Gewerbeflächen müssen leicht in Wohnraum umgewidmet werden können. Gegen Bildungssegregation setzen wir auf gute Bildungseinrichtungen für alle, die in Bildungslandschaften auf lokaler oder regionaler zum Wohle der Kinder, Jugendlichen und der MitarbeiterInnen vernetzt sind. So können Kinder und Jugendliche individuell gefördert werden und ihre Potenziale entfalten, statt an Übergängen zu scheitern oder zu verharren. Bund und Länder müssen das grundgesetzliche Kooperationsverbot im Bildungsbereich gemeinsam aufheben und eine neue Verantwortungspartnerschaft eingehen. Dann kann ein neues Ganztagsschulprogramm die Grundlage legen für ein flächendeckendes Angebot guter Ganztagsschulen. Öffentliche Schulen sollen Orte individueller Förderung und gesellschaftlicher Integration werden und insbesondere in sozialen Brennpunkten, zu hervorragenden Orten guten Lernens und Lebens werden. Zusätzlich stärken wir die Integrationsfunktion benachteiligter Quartiere und gestalten neue Aufstiegsmöglichkeiten mit dem Programm Soziale Stadt. 3.3 KNAPPE KASSEN – KOMMUNEN HANDLUNGSFÄHIG MACHEN

2011 hat sich die angespannte Finanzlage der Kommunen dank steigender Steuereinnahmen etwas gebessert. Das Jahresdefizit konnte um fast sechs Milliarden Euro auf nun 2,9 Milliarden Euro verringert werden. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Städte und Gemeinden gibt, die finanziell vor dem Ruin stehen. In der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 sind die Einnahmen der Kommunen dramatisch eingebrochen – viele haben sich bis heute nicht davon erholt. Der Schuldenberg der Kommunen betrug 2011 insgesamt fast 130 Milliarden Euro. Die steigenden Sozialausgaben sind eine Belastung für die kommunalen Haushalte. Am härtesten trifft die Krise die notleidenden Städte und Gemeinden in strukturschwachen Regionen, die oft gleichzeitig durch den demografischen Wandel größere Ausgaben haben. In diesen Kommunen tragen die Menschen die Last in Form hoher Gebühren, maroder Infrastruktur und durch den Verlust an Lebensqualität. Grüne Konzepte Es ist dringend erforderlich, dass wir unseren Städten und Gemeinden eine finanzielle Ausstattung mitgeben, die es ihnen ermöglicht die vielfachen Aufgaben zu bewältigen. Die wichtigste Maßnahme hierzu ist eine Gemeindefinanzreform, die eine aufgabengerechte Finanzausstattung der Kommunen im Grundgesetz sicherstellt. Dies wollen wir insbesondere durch eine grundgesetzlich garantierte Mindestfinanzausstattung, einen finanziellen Ausgleich für Mehrbelastungen durch neue Aufgaben erreichen Damit finanzschwache Kommunen ihre Einnahmen stabilisieren können, fordern wir dass die kommunalen Finanzen auf eine solide Basis gestellt werden, in dem auf weitere Steuersenkungen verzichtet und die Finanzkraft der Kommunen verbessert wird. Wie etwa durch die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer kommunalen Wirtschaftssteuer, eine am Vermögenswert orientierte Reform der Grundsteuer sowie eine weitere Entlastung bei den sozialen Pflichtleistungen der Kommunen. Um besonderen städtebaulichen Situationen gerecht zu werden, ist zudem eine solide finanzierte und langfristig angelegte Städtebauförderung notwendig. 09/2012 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | FRAKTIONSBESCHLUSS VOM 10.09.2012 » GRÜNE STADT DER ZUKUNFT FÜR LEBENSWERTE STÄDTE | 7