Schwierige Krisenbewältigung


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Ausland

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Mittwoch, 22. Juni 2011  ·  Nr. 49

Schwierige Krisenbewältigung Auf Europas Märkte für Wohnimmobilien kommen weitere Belastungen zu – Deutschland profitiert von günstigen Rahmenbedingungen

Arbeitslosigkeit drückt Die Märkte in Frankreich und Grossbritannien, die beide 2010 nach zwei Krisenjahren eine spürbare Erholung durch­ liefen und vom bestehenden Wohnungsmangel gerade in den Grossstädten profitierten, kühlen sich Experten zufolge in diesem Jahr wieder ab. Die Sparpolitik ­diverser Euroländer mit all ihren Konsequenzen für potenzielle Käufer und die wohl weiter steigenden Zinsen im Euroland setzen die Märkte für Wohnimmobilien generell unter Druck, schreibt S&P.

schlossen, die im Zusammenspiel mit den niedrigen Zinsen und dem herrschenden Mangel an Wohnimmobilien den Markt stützten. Die damit ausgelöste Erholung begünstigte eine Rückkehr der realen Preise auf ein hohes Niveau. Europas Wohnungsmärkte schlitterten aus unterschiedlichen Positionen in die Krise, und die Aussichten divergieren weiterhin substanziell. Spanien etwa baute in der heissesten Phase des Immobilienbooms um 2006 und 2007 mehr als 700 000 Eigenheime pro Jahr und damit mehr als Deutschland, Italien und Frankreich zusammen. Dem grossen Leerbestand, der auf 700 000 bis 1 Mio. Objekte beziffert wird, steht in diesen Krisenzeiten mit ­hoher Arbeitslosigkeit und Kreditklemme kaum Nachfrage gegenüber. Die Preise, die zwischen 2000 und 2008 um durchschnittlich 150% gestiegen waren, gelten als künstlich hoch gehalten und erschweren eine Erholung zusätzlich.

Wohnbaukredite 40

Jährliche Veränderung in %

Immense Altlasten

30

20

10

0

–10

–20 2004

n Irland n Spanien

2005

­ ltlasten aus dem Immobilienboom für A spanische Banken und Sparkassen und damit für die gesamte Volkswirtschaft haben. Nicht nur müssen die Finanzinstitute nach der Pleite vieler Immobilienentwickler mit weiter steigenden Kreditausfällen unter den Privathaushalten rechnen. «Wenn die Verkaufszahlen nicht wieder anziehen, werden Banken und Sparkassen weitere Verluste erleiden», meinen die Analysten von Nomura. Eine solche Entwicklung könnte die Krise in Spanien noch beschleunigen: Im Stile von Irland, das für immense Verluste seiner Banken aufkam und daraufhin Notkredite vom EU-Rettungsschirm beantragen musste, ist eine einschneidende Sanierung im Bereich der Sparkassen nicht auszuschliessen. Irland hat nach Meinung der Analysten von S&P seine Preisblase mit einem Abschlag von 33% mittlerweile zwar korrigiert. Gleichwohl steht das Land nicht besser da als andere Krisenländer: Die gesamtwirtschaftliche Situation und der hohe Leerbestand lassen keinen Raum für eine baldige Erholung.

Einer Studie der EU-Kommission (Oktober 2010) zufolge war Spanien dasjenige Land in Europa, dessen Immobilien trotz des Preiseinbruchs um 18% die massivste Überteuerung erfahren hatten – und zwar um 17% gegenüber einem Durchschnitt von 3% in den Ländern der Eurozone. Spaniens Bauminister José Blanco pries kürzlich auf einer Tour quer durch Europa spanische Feriendomizile und beteuerte, das Land befinde sich in der «Endphase der Preiskorrektur». Doch nach Meinung diverser Experten müssen die Wohn­ immobilien um weitere 30% oder gar noch mehr fallen, nachdem sie sich zwischen 2000 und 2008 je nach Lage ver­ doppelt bis verdreifacht haben. «Spanien steht eine ausgedehnte Korrektur bevor», konstatiert S&P, ohne eine Grössenordnung zu nennen. Das japanische Finanzinstitut Nomura sagt für die nächsten zwei Jahre einen Preisrutsch von 15% voraus, was sich jedoch gemessen an dem zu Boomzeiten erreichten Niveau eher bescheiden ausnimmt.

2006

2007

n Frankreich n Grossbritannien

2008

2009

2010

n Niederlande

Derweil häufen sich die Portefeuilles der Finanzinstitute unablässig mit einbehaltenen Immobilien zahlungsunfähiger Kunden. Doch auch die grössten Profis haben Schwierigkeiten, Objekte trotz grosszügiger Rabatte und einer Finan­ zierung zu 100% loszuwerden. Spaniens Grossbank Santander, einer der bedeutendsten Finanzkonzerne Europas, hat nach Presseinformationen eine OnlineAgentur verpflichtet, die unter ihren ­Abonnenten normalerweise Mode- und Elek­tronikartikel vertreibt, um die Hausverkäufe voranzutreiben. Je länger die Wirtschaftskrise im iberischen Königreich andauert, desto klarer wird die Dramatik, die die immensen

Hohe Arbeitslosigkeit 25 20 Finanz und Wirtschaft THOMSON REUTERS

D

ie fröhlichen Jahre von Geldschwemme und niedrigen Zinsen bildeten über das vergangene Jahrzehnt hinweg die Grundlage für einen fast schon weltweiten Boom von Wohn­ immobilien. Doch fast vier Jahre nach Ausbruch der internationalen Finanzund Wirtschaftskrise sowie einem deutlichen Preisrückgang in einigen Ländern präsentiert sich das Panorama auf den Wohnungsmärkten gerade in Europa nicht sehr ermutigend. Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) unterstreicht in einer Studie zu den europäischen Immobilienmärkten von Anfang Mai, dass lediglich in Deutschland, wo die Preise zwischen 2000 und 2008 praktisch unverändert geblieben sind, «beständige Marktkonditionen» bestehen würden. Die Analysten der DZ Bank teilen diese positive Einschätzung und prognostizieren in ihrer Studie von Anfang Mai für 2011 einen Preisanstieg von 3 bis 4%: «In Deutschland sind die Voraussetzungen für einen kräftigen Preiszuwachs dank des starken Wirtschaftswachstums, hoher Beschäftigung und eines niedrigen Zinsniveaus so günstig wie seit langem nicht mehr.»

Die Ratingagentur erwartet für Grossbritannien nach der kurzzeitigen Erholung von 2010 einen Trend mit einem Preisrückgang von 5% in diesem Jahr. Die DZ Bank siedelt die Korrektur mit 2 bis 3% ­etwas moderater an. Auf der Insel dämpfen nach Ansicht dieser Analysten die vergleichsweise hohe Arbeitslosigkeit, eine restriktivere Kreditvergabe und eine generell schwache Konjunktur die Nachfrage. Britische Eigentümer von Wohnimmobilien konnten seit Ausbruch der Krise aber immerhin kurzzeitig etwas aufatmen. Nach einem ersten Preissturz von 23% zogen die Preise 2010 zeitweise wieder an. Auch Frankreich muss sich nach der 2010 erlebten Erholung in den kommenden zwölf bis achtzehn Monaten wegen des drohenden Zinsanstiegs auf eine ­Abkühlung einstellen. Erste Anzeichen machten sich bereits Anfang 2011 bemerkbar. Die Regierung in Paris hatte 2008 eigentumsfördernde Massnahmen be-

Quelle: Zentralbanken, S&P / Grafik: FuW, si

Angelika Engler

15 10 5 0

n n n n

2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Spanien: Arbeitslosenquote in % Grossbritannien: Arbeitslosenquote in % Frankreich: Arbeitslosenquote in % Deutschland: Arbeitslosenquote in %

G-20-Agrargipfel sucht nach Wegen zur Lebensmittelsicherheit Nestlé-Chef warnt vor politischen Schnellschüssen – Sündenbock Terminmarkt – Mangelnde Investitionen verschärfen das Problem Ernst Herb,  Manila

Hunger ist keine Naturkatastrophe, sondern ein politisches Problem», betitelte die philippinische Tageszeitung Manila Bulletin einen Artikel über die weit verbreitete Unterernährung im bevölkerungsmässig zweitgrössten südostasiatischen Land. Im Zentrum der Politik wird der Nahrungsmittelmarkt auch am Mittwoch und Donnerstag am Treffen der Landwirtschaftsminister der zwanzig grössten Industrie- und Schwellenländer in Paris stehen. Am G-20-Gipfel sollen Lösungswege gefunden werden, wie künftig eine rasant wachsende Weltbevölkerung ernährt werden kann. Dabei besteht aber die Gefahr, dass durch staatliche Markteingriffe die bestehenden Probleme – im Gegenzug für eine kurzfristige politische Dividende – nicht gelöst, sondern mittelund langfristig verschärft werden. Dass diese Gefahr real ist, zeigt die Tatsache, dass der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der gegenwärtig den Vorsitz der G-20 einnimmt, den Rohstoffterminmarkt als den Hauptschuldigen für die in den vergangenen Monaten scharf gestiegenen Lebensmittelpreise ausfindig gemacht hat. «Es ist nicht akzeptierbar, dass es Hunger gibt, während gleichzeitig das Volumen auf dem von Spekulanten getriebenen globalen Lebensmittelmarkt 46-mal grösser ist als das tatsächliche Angebot», hielt er vor kurzem fest.

Selbst Oxfam, die marktkritische britische private Entwicklungsagentur, sieht in dem nur wenig regulierten Lebensmittelmarkt lediglich einen – und dabei nicht einmal den wichtigsten – Grund für den Anstieg der Preise von Weizen, Reis oder Zwiebeln. Die Nahrungsmittelexpertin Marita Wiggerthale zählt neben der ihrer Ansicht nach exzessiven Spekulation am Rohstoffmarkt den Klimawandel, Exportbeschränkungen und vor allem auch die Biospritpolitik westlicher Staaten zu den Gründen für die Preissprünge im Bereich der Lebensmittel. Die Folgen steigender Nahrungsmittelpreise spüren

vor allem Menschen in Entwicklungsländern wie Ägypten, den Philippinen und Peru, wo teilweise bis zu 80% der Einkommen für die Ernährung ausgegeben werden, weit stärker als Einwohner von reichen Industriestaaten. Das treibt in diesen Ländern dieser Tage nicht nur die Inflation, sondern sorgt auch für erhöhte politische Spannungen. Gerade was die staatlich subventionierte Umwandlung von Getreide, Korn oder Soja in Brennstoffe betrifft, erhält ­Oxfam Unterstützung von ungewohnter Seite. Paul Bulcke, Chef des Nahrungs­ mittelriesen Nestlé, sagt rundum, die gegenwertige Biospritpolitik sei «ein Ver-

brechen». Bulcke, der in den letzten Tagen anlässlich der hundertjährigen Präsenz von Nestlé auf den Philippinen Manila ­besuchte, warnt gleichzeitig vor einer zu grossen Regulierung des Rohstoffmarktes. Denn die anziehenden Preise am Terminmarkt reflektierten auch eine langfristig steigende Nachfrage. Angebot und Nachfrage sind am Nahrungsmittelmarkt teilweise aus dem Gleichgewicht gekommen. In den vergangenen Monaten ist das durch das zeitweise von Staaten wie Indien und Russland verhängte Ausfuhrverbot für gewisse Lebensmittel wie Weizen und Reis noch verstärkt worden. Anderseits haben die

von Industriestaaten in den letzten Jahrzehnten staatlich subventionierten Lebensmittelexporte dazu geführt, dass andernorts Lokalproduzenten einem unfairen Wettbewerb ausgesetzt waren, was da wiederum Investitionen gehemmt hat.

Verbesserungspotenzial

Unerwähnt lässt Sarkozy dabei, dass es die Notenbanken waren, die in den vergangenen Jahren massiv Liquidität geschaffen haben, die jetzt eine höhere Rendite sucht. Der französische Staatspräsident verschweigt auch, dass es massgeblich die von der Politik verursachte griechische Schuldenkrise ist, die weltweit zu einer Flucht in vermeintliche sichere Anlagen geführt hat. Dazu gehören neben dem Franken und asiatischen Währungen eben auch Rohstoffe.

Bild: dennis Sabangan/keystone

EmMa leiden am stärksten

Gemäss dem International Rice Institute in Manila könnte der Reisertrag durch eine bessere Logistikkette 20 bis 30% gesteigert werden.

Allerdings steuert die Welt nicht unweigerlich auf eine Hungerkatastrophe zu. Eine bessere Landwirtschaftspolitik in den ­Industrie- und in den Schwellenländern könnte gemäss Bulcke grosse Kräfte freisetzen. Diese Meinung teilt Samarendu Mohanty, Agrarökonom des auf den Philippinen ansässigen International Rice Research Institute (IRRI). Selbst ohne neue wissenschaftliche Durchbrüche könnte der Reisertrag in den grossen Schwellenländern durch eine bessere Logistikkette 20 bis 30% erhöht werden. Ähnlich sieht es auch bei anderen Lebensmittel aus. Schlechte Lagermöglichkeiten oder ineffiziente Mühlen zerstörten heute einen bedeutenden Teil der Ernten. Investitionen in eine bessere Infrastruktur könnten hier leicht Abhilfe schaffen. Mohanty ruft aber auch zu einer besseren Nahrungsmittelnutzung in den Industriestaaten auf. Dort werde bis zu ein Drittel der ­Nahrungsmittel zwischen dem Laden und dem Verzehr wegen Achtlosigkeit der Konsumenten verschwendet. Was Reis betrifft, das Grundnahrungsmittel in weiten Teilen Asiens, sieht er aber Verbesserungsmöglichkeiten durch einen besseren Wettbewerb auf dem gegenwärtig von drei Konzernen dominierten Saatgutmarkt. Patentgeschützte Sorten, die besonders hohen Ertrag brächten, seien für Landwirte in ärmeren Ländern wegen der bereits bestehenden Risiken kaum ­erschwinglich. Das vor allem auch, weil wegen des Klimawandels viele Regionen mit neuen Unwägbarkeiten zu kämpfen hätten. Mohanty glaubt, dass mit dem ­gemeinsamen Willen von Politik, Unternehmen, Bauern und Konsumenten eine «grüne Revolution» machbar sei.