Schwarze Vögel ziehen übers Land

Printed in Germany. AAVAA print+design. Taschenbuch: ISBN 978-3-8459-1115-1. Großdruck: .... Ein warmer, wind- stiller Tag, die Landschaft eine Symphonie.
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Ulrike Lessner

Schwarze Vögel ziehen übers Land Thriller

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© 2014 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2014 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: The Witches´Sabbath, 1797-98, Francisco Jose de Goya y Lucientes,/ Museo Lazaro Galdiano, Madrid/Bridgeman. Printed in Germany

AAVAA print+design Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck:

ISBN 978-3-8459-1115-1 ISBN 978-3-8459-1116-8 ISBN 978-3-8459-1117-5 ISBN 978-3-8459-1118-2 Mini-Buch ohne ISBN

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Die schneeweißen Kappen der Marmorberge leuchten über der italienischen Stadt Carrara in den Sonnenstrahlen. An der Küste tobt das Leben; durch die Dörfer, in denen einst die Steinbrucharbeiter wohnten, streicht nur noch der Wind. In einem dieser Orte sitzen zwei Männer an einem Holztisch vor einer Hütte. Eine wild wuchernde Glyzinie wirft unsteten Schatten auf ihre braunen Kutten. Einer von ihnen wedelt mit einem Stück Pappe. Er ist mager, seine Haare hängen in fettigen Strähnen um das von Aknepusteln übersäte Kindergesicht. Er raucht mit halb geschlossenen Augen. Die Hand, in der er die Zigarette hält, zittert. Als ihm die Kippe die über den Fingerspitzen gewölbten Nägel verkohlt, drückt er die Zigarette aus, schnippt sie unter den Tisch auf leere Flaschen und Büchsen. Er ergreift einen Tetrapack, füllt Rotwein 4

in einen Plastikbecher. In einem Zug leert er den Becher. Sein Adamsapfel hüpft. Er stellt den Becher ab, wischt mit dem Handrücken über den Mund, zündet die nächste Zigarette an, raucht, schließt erneut die Augen, wedelt weiter. Ein Helikopter knattert über das Dorf, die Macchia brennt. Seit Wochen hat es nicht geregnet, die Toskana duckt sich unter brütender Hitze. Der Alte neben dem Kindergesicht blickt auf, verfolgt, wie der Hubschrauber in die Rauchwolken taucht, das Löschwasser ablässt, kehrtmacht. Er sieht dem Flieger nach, bis er verschwunden ist, wirft sich die weißen Zöpfe, zu denen er sein Haar geflochten hat, über die Schulter, nimmt eine leere Suppendose. Mit Hilfe der Dose versucht er, das Ungeziefer zu fangen, welches sich auf der Plastiktischdecke über Brotkrumen und Käseresten tummelt. Als er eines erwischt, spießt er es auf eine Gabel, entzündet ein Streichholz und versengt dem Insekt die Flügel.

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»Wo ist Dankwart?«, lallt das Kindergesicht. Der Alte deutet stumm mit dem Daumen hinter sich, fährt fort, die Insekten zu jagen. Klapp, klapp, klapp, eintönig begleitet das Geräusch der Büchse den Donner eines nahenden Gewitters. Die Tür der Hütte geht auf, ein Mann erscheint. Seine Züge sind bis zur Unkenntlichkeit von Brandnarben entstellt. Nur die Augen blinzeln unversehrt durch das starre Narbengeflecht. Eine Gewitterböe fegt die Plastikbecher vom Tisch. Der Narbige nickt. »Kommt, es ist so weit.« Die Mönche folgen ihm. Sie marschieren zu einer Kirche, als es losgeht. Das Unwetter entlädt sich. In Kürze verwandelt der Regen die enge Gasse in einen Sturzbach, der die Beine der Männer bis zu den Knien umspült. Mühsam kämpfen sie sich voran. Auf dem Friedhof unterhalb der Kirche öffnet der Mann mit den Narben die Tür des Beinhauses. Ein Geruch nach Fäkalien und Urin schlägt den Mönchen entgegen, mit angehaltenem 6

Atem treten sie ein, kommen mit einer länglichen Last auf den Schultern zurück. Gemeinsam schleppen sie diese in die Kirche. Nachdem sie das Kirchentor verschlossen haben, betätigt der Alte mit den Zöpfen hinter einem Altarstein einen Hebel. Eine Öffnung kommt zum Vorschein, durch die eine Leiter abwärts in einen Keller führt. Im Licht einer Fackel hieven die Männer das Paket die Eisenleiter hinab, der Stein schiebt sich über den Durchstieg. Das Unwetter erreicht seinen Höhepunkt. Blitze und Donnerschlag lassen das Gemäuer vibrieren, Regen flutet durch das löchrige Wellblechdach des alten Gotteshauses, sammelt sich in Pfützen hinter dem Altar. Als sich das Kirchtor nach Stunden wieder öffnet, verblasst am lilafarbenen Himmel der Mond. Feuchtheißer Dunst dampft aus den Ruinen. Ohne die Last stapfen die Mönche zu ihrem Unterschlupf. Der Alte und das Kindergesicht lassen sich auf ihr Lager fallen. Der Narbige steigt eine Treppe hinunter. Er schließt eine 7

Tür auf, betritt einen Raum. Er macht die Tür zu. Dann greift er in die Tasche seiner Kutte. Er zieht eine Spritze hervor. In der Spritze ist Blut. In dem Augenblick, als ich auflegen wollte, nahm die Frau den Telefonhörer ab. Ein Sekundenbruchteil, verantwortlich für Tod und Verderben. Wenn Frau Gschwender nicht abgenommen hätte, wären wir nicht in die Oberpfalz gefahren, um uns ihr Haus anzusehen. Wir hätten die alte Mühle am Rothsee gekauft. Aber Frau Gschwender hatte abgenommen. Und so fuhren wir an diesem Sonntag nach Hofen. Das Wetter war herrlich. Ein warmer, windstiller Tag, die Landschaft eine Symphonie aus roten und gelben Blättern, die in der strahlenden Sonne vor einem atemberaubend blauen Herbsthimmel funkelten. Franz und ich stammten beide vom Land. Er kam aus der Eifel, ich war am Bodensee in einem Weingut aufgewachsen. In Düsseldorf hatten 8

wir uns in der Mensa der Universität kennengelernt und noch während des Studiums geheiratet. Franz war brennend ehrgeizig. Er wollte als Bänker Karriere machen, viel Geld verdienen, während ich die Kunstakademie besucht hatte. Aber trotz unterschiedlicher beruflicher Ziele träumten wir beide von einem Häuschen im Grünen mit Wäldern und Wiesen vor der Haustür. Vom Zwitschern der Vögel wollten wir geweckt werden und mit den Lauten der Stille einschlafen. Im Ballungsgebiet um Düsseldorf reihte sich nur eine Großstadt an die andere, die Suche nach einem solchen Objekt war aussichtslos geblieben. Aber dann war Franzens Bewerbung bei einer Bank in Nürnberg angenommen worden. Obwohl ich dafür meinen Job an der Akademie aufgeben musste, fiel mir der Abschied nicht schwer: Die Verwirklichung unseres Traums in der ländlich geprägten Umgebung Frankens rückte in greifbare Nähe. 9

Auf der Fahrt lockte eine Tafel vor einem Biergarten mit Schweinebraten und Bier vom Fass, wir wechselten einen Blick, lachten und erlagen der Versuchung. Eine Kellnerin im Dirndlkleid brachte zwei Humpen schäumendes Bier. Das Bier war eiskalt, frisch gezapft, es schmeckte wunderbar. Rusty, unser leicht übergewichtiger Golden Retriever, lag neben dem Tisch auf dem Rücken und ließ sich den Bauch von den Sonnenstrahlen wärmen. Um uns herum hockten im Schatten von Kastanienbäumen mit gelbem Herbstlaub Familien mit Kindern, Männer in Lederhosen vor Maßkrügen und ein junges Paar, das genüsslich hauchdünn geschnittenen Käse verspeiste. Ein Gefühl schnurrender Behaglichkeit durchströmte mich, als der knusprige Schweinebraten mit den Klößen aufgetischt wurde. Die Soße duftete verführerisch nach Kümmel, das Fleisch war zart und saftig, die Klöße locker, von Hand geformt.

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Bayrische Gemütlichkeit statt hektischen Großstadtlebens, was will man mehr, seufzte ich wohlig gesättigt nach dem üppigen Mahl. Franz wirkte ebenfalls wie ein Kater, der ein Sahneschälchen geleert hat. Schön habe sie es hier, ein herrliches Fleckchen Erde, schwärmte er, als die Wirtin mit der Rechnung kam. Sie lächelte geschmeichelt, worauf ich sie fragte, ob sie Hofen kannte, wo wir uns ein Haus ansehen wollten. Das Lächeln gefror auf ihren Lippen. »Hofen? Sehen Sie kein Fernsehen?« »Wie meinen Sie das?« Franz runzelte die Stirn, da klingelte sein Handy. Das Telefon am Ohr schlenderte er zum Auto. »Was kam denn im Fernsehen über Hofen?«, hakte ich nach. Die Frau antwortete nicht, fingerte nur fahrig an einer Strähne ihres weißen Haares, die sich aus dem Knoten in ihrem Nacken gelöst hatte. Ungeduldiges Hupen ertönte vom Parkplatz, Franz deutete auf seine Armbanduhr, er hasste es, sich zu verspäten. Ich sprang auf, stieß an einen leeren Biersei11

del. Das Glas rollte über den Tisch, plumpste auf den Rasen. Als ich mich bückte, um es aufzuheben, kniete die Frau neben mir nieder und flüsterte mir ins Ohr: »Was über Gewitter und Krähen. Aber es ist nicht nur das.« Sie zwinkerte aufgeregt. «Der Ort hat keinen guten Ruf. Ich an Ihrer Stelle tät mir da kein Haus kaufen.« Mit dem Bierglas in der Hand eilte sie in die Küche. Nachdenklich schlug ich die Wagentür zu. Während Franz eines dieser endlosen Gespräche führte, gespickt mit englischen Ausdrücken, in denen die Bänker sich verständigen, geisterten mir die Worte der Wirtin durch den Kopf. Ein Bericht über die Oberpfalz, ich erinnerte mich dunkel, kam aber nicht darauf, worum es genau gegangen war. Das Navi wies uns auf ein holpriges Sträßchen, das sich steil abfallend durch einen Fichtenwald wand. Die Wurzeln der mächtigen Bäume wölbten den mit Schlaglöchern übersäten Asphalt. Es war, als seien wir in Ostdeutschland kurz nach der Wende unterwegs, 12

als erobere hier die Natur Stück für Stück die Landschaft zurück. Auch das Tal, das wir hinter dem Wald durchquerten, wirkte wildromantisch. Ein Flüsschen mäanderte durch Feuchtwiesen, wo sich Wildenten tummelten, Graureiher auf Fischjagd waren, ein Storch durch Schilfgras und Rohrkolben stolzierte. Aber ich vermochte den Anblick nicht zu genießen, sondern zermarterte mir das Hirn. Eine Dokumentation über ein abgelegenes Dorf, in der Krähen eine Rolle gespielt hatten. Krähen ... Am Horizont ballten sich Gewitterwolken, Franz gab Gas. Und plötzlich fiel es mir ein. »Jetzt weiß ich es wieder! Da kam doch vor einiger Zeit eine Doku über mysteriöse Todesfälle in der Nähe der tschechischen Grenze. Nach Gewittern seien da grässlich verstümmelte Tote gefunden worden. Man vermutete, dass Krähen die so zugerichtet hatten. Genau erinnere ich mich nicht mehr. Weißt du noch, warum die Vögel im Verdacht standen, die Menschen umgebracht zu haben?« 13

»Ne Doku?«, gähnte Franz, »ich erinner mich bloß an die olle Klamotte von Hitchcock mit den Killervögeln, die neulich Nacht im ZDF lief. Ohne die Asia - Knabberbox wäre ich schon in den ersten zehn Minuten eingepennt. Die musst du mal wieder kaufen, könnte mich befressen an dem Zeug.« Franz war durch und durch praktisch veranlagt. Für ihn zählten nur Fakten, Euros und Dollars. Er fürchtete sich nur davor, dass der Dax oder der Dow Jones fiel, und konnte es gar nicht nachvollziehen, dass ich Angst bekam, wenn eine schwarze Katze vor mir die Straße überquerte oder ich Salz verschüttete. Wenn ich ihm gestanden hätte, dass mir dieser Fernsehbericht zu denken gab, hätte er sich ausgeschüttet vor Lachen. Als hinter einer Kurve ein gelbes Gebäude sichtbar wurde, das in einiger Entfernung zu einem Dörfchen auf einer Anhöhe lag, bremste er. Der Beschreibung nach handelte es sich um das zum Verkauf stehende Anwesen. Mit laufendem Motor blieb mein Mann mitten auf 14

der Straße stehen und angelte nach meiner Hand. »Das ist ja ne richtige Villa, Menschenskind, viel schöner als auf dem Foto!« Auch mir stockte der Atem. Das Herrenhaus inmitten dieser Bilderbuchlandschaft übertraf meine kühnsten Erwartungen. Es war nicht nur wesentlich preisgünstiger als die alte Mühle, mit der wir geliebäugelt hatten, sondern beeindruckte auch durch seine atemberaubende Lage. Der Weg zu der Villa führte kurvig an Hofen vorbei, bis er etwa einen Kilometer oberhalb der Ortschaft vor einem zweiflügeligen Tor aus Schmiedeeisen endete. Franz stellte den Wagen ab. Wir ließen Rusty im Auto zurück und folgten zu Fuß der Auffahrt. Mit riesigen Rhododendren am Wegrand wirkte diese herrschaftlich elegant. Aber als das Haus vor uns auftauchte, packte ich Franz erschrocken am Arm. »Siehst du? Da!« Auf einem Kastanienbaum neben dem Gebäude hockten massenweise - Krähen. Noch 15