Schiffbruch in der Badewanne

08.06.2015 - Zum einen begehrt Silla Flavia, die Gattin seines Leibarztes Lepido. ... Gattin Metella fühlt sich nicht nur durch das ungebührliche Verhalten ...
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Online erschienen: www.omm.de , 08.06.15

Schiffbruch in der Badewanne Von Thomas Molke / Fotos von Anna Kolata (© Theater, Oper und Orchester GmbH Halle)

Händels Lucio Cornelio Silla gehört zu den auch von der Händel-Forschung eher vernachlässigten Werken. Zum einen ist eine Uraufführung zu Händels Lebzeiten nicht belegt. Vermutet wird, dass es eventuell nur eine Privataufführung für den Herzog von d'Aumont, einen französischen Sonderbotschafter Louis XIV. am Hofe von Königin Anne, gab und Händel deshalb einen Großteil der Musik für seine folgende Oper Amadigi di Gaula nutzte. Zum anderen kritisiert die HändelForschung das Werk als äußerst schwach, was einerseits das Libretto betrifft, das zu den kürzesten Texten gehört, die Händel für eine Oper vertont hat. Andererseits sind Händel-Experten der Meinung, das die Arien musikalisch nicht immer den Charakter der jeweiligen Figur treffen. Lange Zeit galt das Werk als verschollen. Erst zu Beginn der 90er Jahre wurde die Oper aus Fragmenten aus Händels Originalmanuskript, einer Dirigierpartitur und einem in Kalifornien gefundenen gedruckten Libretto rekonstruiert und 1993 konzertant in Halle im Rahmen der Händel-Festspiele präsentiert. Eine Aufführung in London mit anschließender CDEinspielung folgte. Nun ist das Werk in Halle erstmals szenisch zu erleben, und gemessen an der Begeisterung des Publikums für die Musik lässt sich die Kritik der Händel-Experten nicht unbedingt teilen. Die Oper handelt von Lucius Cornelius Sulla Felix (Silla), der als einer der grausamsten Tyrannen Roms aus der Spätphase der Republik gilt. Nachdem er sich 82 v. Chr. gegen seinen Widersacher Marius und dessen Anhänger im Bürgerkrieg durchgesetzt hatte, errichtete er für drei Jahre eine Willkürherrschaft in Rom und ließ zahlreiche Adelige hinrichten, bevor er sich 79 v. Chr. völlig überraschend ins Privatleben zurückzog. Die Oper setzt nun kurz vor 79 v. Chr. ein. Sillas Gesundheitszustand bereitet seinen Angehörigen große Sorgen. So lässt ihn seine uneingeschränkte Macht nahezu größenwahnsinnig werden. Im Traum erscheint ihm ein Gott, der ihn ermutigt, seine Wünsche mit Gewalt durchzusetzen. Zum einen begehrt Silla Flavia, die Gattin seines Leibarztes Lepido. Als diese sich ihm widersetzt und Lepido seine Frau verteidigt, lässt er diesen kurzerhand einsperren und befiehlt dessen Hinrichtung. Zum anderen hat er ein Auge auf sein Mündel Celia geworfen. Da er in dem Neffen seiner Gattin, Claudio, einen Widersacher um Celias Gunst sieht, will er ihn ebenfalls hinrichten lassen. Sillas Gattin Metella fühlt sich nicht nur durch das ungebührliche Verhalten ihres Gatten verletzt, sondern will auch ihren Neffen und Lepido retten und kann im Geheimen die Hinrichtung vereiteln. Einem Anschlag auf ihren Gatten will sie sich aber dennoch nicht anschließen. Wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes soll Silla sich nach Sizilien begeben. Doch das Schiff, mit dem er sich dorthin begeben will, erleidet Schiffbruch. Mit letzter Kraft kann er sich auf eine Klippe retten, wo Metella ihn mit einem Boot aufnimmt und nach Rom zurückbringt. Durch dieses Geschehen wird Silla geläutert, bittet seine Untergebenen um Verzeihung

und zieht sich ins Privatleben zurück. Alle jubeln über den neuen Frieden. Das Regie-Team um Stephen Lawless ändert das Libretto an einigen Stellen gewaltig ab, so dass man das Gefühl hat, dass hier teilweise eine ganz andere Geschichte erzählt wird. Zu Beginn der Oper sind die Truppen des gefallenen Marius auf dem Vormarsch und haben Silla mit seinen engsten Vertrauten inhaftiert. Videoprojektionen zeigen in einer Art Wochenschau aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst kriegerische Auseinandersetzungen, bevor auf Silla und seine Vertrauten übergeblendet wird, die als Gefangene des alten Regimes vorgestellt werden. Die Kostüme von Frank Philipp Schlößmann sind dabei sehr modern gehalten, und Silla steht damit auch optisch für zahlreiche Diktatoren der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit. Mit Koffern betreten die Protagonisten anschließend einen hohen Raum, in dem ein Projektor mit zahlreichen dunklen Ledersesseln steht. Welche Rolle hierbei Ulrich Burdack einnimmt, wird nicht ganz klar. Ist er Sillas Diener Scabro wie im Programmheft ausgewiesen oder überwacht er gewissermaßen als Il dio bereits zu Beginn die Gefangenen? Der Übergang vom Diener zum Gott, der Silla im Traum erscheint und ihm einflüstert, dass seine Macht göttlich legitimiert sei, ist jedenfalls fließend. Durch Einsatz der Drehbühne bewegt man sich nun von Szene zu Szene durch die unterschiedlichen Räume dieses Hauses, wobei das Bühnenbild von Schlößmann einen gewaltigen Eindruck hinterlässt. So gibt es neben der großen Eingangshalle einen Raum mit einem Cembalo, in dem Claudio Celia seine Liebe gesteht, ein Billardzimmer, in dem Silla zeigt, dass er auch im Spiel nicht die gebotenen Regeln befolgt und ein Schlafzimmer, in dem Silla versucht, Flavia und Celia gefügig zu machen. Über allen Räumen sieht man dann und wann in kurzen Videoeinspielungen Kriegsflugzeuge, was andeutet, dass außerhalb dieses Hauses die kriegerischen Auseinandersetzungen noch in vollem Gange sind. Eine besondere Bedeutung kommt dem Badezimmer zu. Silla bastelt ein Papierschiffchen, das er in der Wanne untergehen lässt, was wohl eine Anspielung auf den von ihm erlittenen Schiffbruch auf der Überfahrt nach Sizilien sein soll. Doch nun treten die anderen Protagonisten auf und versuchen, ihn in der Badewanne zu ertränken, während Metella bemüht ist, den Mord an ihrem Gatten zu verhindern. Als Silla leblos zu Boden sinkt, verlassen alle den Raum. Doch Silla erwacht, was beim Publikum ein Schmunzeln hervorruft, und bereut seine Fehler, was nach dieser Szene eigentlich völlig unlogisch bleibt. Und deshalb belässt Lawless es auch nicht bei dem lieto fine, sondern lässt Silla zum Schlusschor einen aufgetürmten Steinhaufen besteigen - sind das die Klippen, von denen Metella ihren Gatten gerettet hat? -, der sich unter hohen Bäumen mittlerweile in der Eingangshalle befindet, und Rache an den anderen Figuren nehmen, indem er einen nach dem anderen erschießt. Vor dem Mord an seiner Gattin fällt der Vorhang und zeigt in einer letzten Videoprojektion, wie eine Bombe abgeworfen wird, die das Haus vollkommen zerstört. Auch wenn sich diese inhaltlichen Umdeutungen sehr weit vom Libretto entfernen, kann man Lawless dennoch nicht den Vorwurf machen, keine stringente Geschichte zu erzählen. So wirkt die Handlung in seiner Inszenierung wesentlich plausibler und absolut nachvollziehbar. Das scheint auch das Publikum so zu sehen, da es für das Regieteam großen Applaus gibt. Mit regelrecht frenetischem

Applaus werden die Solisten und das Händelfestspielorchester bedacht, die an diesem Abend wirklich keine Wünsche offen lassen. Da ist zunächst Ulrich Burdack, der als Il dio nur einen sehr kleinen Gesangspart hat und ansonsten eher durch stumme Präsenz auf der Bühne glänzt. Mit profundem Bass setzt er in der Traumszene einen willkommenen Kontrast zu den ansonsten hohen Stimmen. Eva Bauchmüller begeistert als Celia mit jugendlich frischem Sopran und macht die Entwicklung vom naiven Mädchen, das ihren Vormund anhimmelt, zur vernünftigen Frau, die erkennt, dass Claudio ihre Liebe verdient, sehr glaubhaft. Antigone Papoulkas begeistert in der Hosenrolle des Claudio durch viriles Spiel und eine wunderbar weiche Mittellage, die die Jugendlichkeit des jungen Mannes unterstreicht. Großartig ist ihre Arie am Ende des ersten Aktes, wenn sie Celia am Cembalo ihre Liebe gesteht. Ines Lex begeistert als Flavia mit glockenklarem Sopran und intensivem Spiel. Ihr zur Seite steht mit Jeffrey Kim als Lepido ein Countertenor, dessen Höhen so strahlend und klar klingen, dass man hier von einem Ausnahmetalent sprechen kann. Besonders erwähnenswert ist die Entwicklung, die man allein in Halle vom Oberto in Alcina über Sigismondo in Arminio bis hin zum Lepido beobachten kann. Das bezaubernde Duett zwischen ihm und Lex, bevor Lepido von Silla abgeführt wird, geht unter die Haut. Großartig ist auch erneut Kammersängerin Romelia Lichtenstein, die als Sillas Ehefrau dramatische Akzente setzt und mit bewegendem Spiel die Zerrissenheit zwischen Liebe zu ihrem Gatten und Wut über dessen Treulosigkeit wunderbar zum Ausdruck bringt. Besonderen Eindruck hinterlässt ihre Arie am Ende des zweiten Aktes, wenn sie die Götter um Beistand bittet. Filippo Mineccia gibt optisch überzeugend den skrupellosen Tyrannen Silla und überzeugt stimmlich mit einem virilen Countertenor, der sich in den Läufen als absolut beweglich und flexibel erweist. Enrico Onofri gelingt mit dem Händelfestspielorchester Halle ein betörender Barockklang, so dass der relativ kurze Abend nur durch den lang anhaltenden Applaus ausgedehnt wird. FAZIT Stephen Lawless beweist in seiner Inszenierung, dass in dem angeblich so schwachen Libretto durchaus Potenzial steckt. Die musikalische Gestaltung des Abends bewegt sich auf absolutem Festspielniveau.