In der Spirale

nicht musste, und Evelyn, Denise und Jessica mussten sich nach dieser Nachricht erst kurz sammeln. Evelyn war die erste, die mit einer fast grimmigen Miene ...
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Adam Fischer

In der Spirale Roman

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ISBN 978-3-944223-39-1 ISBN 978-3-944223-40-7 ISBN 978-3-944223-41-4 Großdruck und Mini-Buch ohne ISBN

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Macht ist die Säure, die Humanität und Moral aus einem Menschen ätzt.

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Winter Das neue Jahr begann mit einem Trauerfall, dem Tod von Davids Tante Elisabeth. Er musste zugeben, dass er sich nicht mehr besonders gut an sie erinnern konnte, da der Kontakt zu ihr immer mehr eingeschlafen war, nachdem sein Vater seine zweite Frau Evelyn geheiratet hatte. Dennoch nahm ihn die Nachricht mit, als er sie von seinem Vater hörte. Gern hätte er mit ihm darüber gesprochen, doch wie so oft war sein Vater kurz angebunden und mit seiner Arbeit beschäftigt. Wahrscheinlich wieder irgendein wichtiger Wirtschaftsrechtsfall, der keinen Aufschub duldete. Das war immer wichtiger als seine Familie. Oder zumindest wichtiger als sein Sohn, wie David den Gedanken bitter ergänzte, bevor er in sein Zimmer ging. Er war gerade von der Schule nach Hause gekommen, und es schneite zu stark, um wieder hinauszugehen, also verbrachte er den Nachmittag 5

allein an seinem Rechner. Erst zum Abendessen verließ er sein Zimmer wieder. Dort, am großen Esstisch im Wohnzimmer, verkündete sein Vater die Nachricht auch allen anderen Mitgliedern der Familie. „Ich habe heute die traurige Nachricht bekommen, dass meine Schwester Elisabeth vor zwei Tagen bei einem Unfall verstorben ist. Nicht nur, dass wir am Wochenende zur Beerdigung nach Potsdam fahren müssen – es kommt auch eine deutliche Veränderung auf uns zu. Ihre einzige Tochter Iris hat mich gefragt, ob sie zu uns ziehen kann, bis sie mit der Schule fertig ist, und ich habe selbstverständlich zugestimmt. Wir haben hier ja Platz genug.‚ Am Tisch herrschte zunächst Schweigen. David hatte nichts Sinnvolles zu sagen und sprach bei Tisch ohnehin nie viel, wenn er nicht musste, und Evelyn, Denise und Jessica mussten sich nach dieser Nachricht erst kurz sammeln. Evelyn war die erste, die mit einer fast grimmigen Miene das Wort ergriff. 6

„Ulrich, müssen wir da wirklich hinfahren? Ich meine, wir kannten deine Schwester ja kaum, und ich glaube, wir würden da nicht wirklich hinpassen. Außerdem habe ich mit Denise und Jessica am Wochenende schon Pläne, die ich nicht ändern kann. Wäre es nicht besser, wenn du mit deinem Sohn allein fährst?‚ Ihr Mann sah sie verständnislos an und schien nachzudenken, wie er antworten sollte. Für David hingegen war das Desinteresse seiner Stiefmutter keine Überraschung, und auch die Spitze, ihn nicht beim Namen zu nennen, sondern wie immer die Unterscheidung von seinem Sohn und ihren Töchtern zu betonen, war er gewöhnt. Auch die Antwort, die sein Vater Evelyn schließlich gab, war für ihn nichts Neues. „Nun gut, wenn du da nicht kannst, kann man das nicht ändern, auch wenn es schade ist. Aber dann fahre ich eben nur mit David.‚ „Schön‚, strahlte seine Frau ihn mit einem Mal an. Das war ihr übliche Belohnung für 7

ihn, wenn sie ihren Willen bekam, und sie setzte sofort nach: „Und darüber, dass ihre Tochter hier einzieht, müssen wir auch noch mal reden. So einfach geht das nicht. Und überhaupt – was ist denn mit ihrem Vater?‚ Wieder zögerte Ulrich vor seiner Antwort. Auf David wirkte es fast so, als müsse er für die kommenden Worte Kraft sammeln und sie vor sich selbst rechtfertigen. Was er schließlich sagte, bestätigte seinen Verdacht. „Ihr Vater ist schon vor ein paar Jahren verstorben und sie damit jetzt eine Vollwaise. Ich denke nicht, dass an ihrem Einzug hier noch etwas zu ändern ist. Irgendwo muss sie schließlich hin, und sie hat mich darum gebeten, zu uns kommen zu können.‚ „Aber wo genau soll sie denn wohnen?‚, fragte sie und klang schon wieder ein wenig zickig. „Wir räumen eines der Gästezimmer um.‚ „Das ginge natürlich, aber wäre es nicht besser für alle, wenn sie in Potsdam bliebe?‚ 8

„Evelyn, sie meinte, dass sie gerade dort lieber nicht bleiben wolle, und das kann ich gut verstehen. Ich wüsste auch nicht, was dagegen spräche, wenn sie bei uns wohnt, und wir alle werden sie behandeln wie ein normales Mitglied der Familie. Oder habt ihr alle ein Problem damit?‚ David konnte sich an Iris nur als ein lebhaftes kleines Mädchen erinnern. Seit über zehn Jahren hatte er sie nicht mehr gesehen oder konnte sich zumindest nicht mehr daran erinnern, ihr danach noch einmal bei einer Familienfeier begegnet zu sein. Seine Erinnerungen waren die an ein freundliches Mädchen, und er wusste nicht, was er dagegen haben sollte, wenn sie zu ihnen zöge, besonders unter diesen Umständen. Das sagte er auch, und erstaunlicherweise stimmten ihm Denise und Jessica zu. Auch sie hatten keine Einwände gegen den Einzug ihrer Stiefcousine, obwohl David angenommen hatte, sie stellten sich ohne groß nachzudenken auf die Seite ihrer Mutter. Vielleicht nahmen sie an, in ihr eine 9

weitere Verbündete gegen ihn zu finden. Warum Evelyn etwas dagegen hatte, konnte David nicht verstehen, und er nahm an, dass sie sich einfach nur dagegen wehrte, weil sie es konnte und durch den Einzug von Iris vielleicht ihre sorgfältig aufgebaute Kontrolle über den Haushalt untergraben werden konnte. Eine neue Person bedeutete eine unberechenbare Veränderung. Das konnte ihr nicht recht sein. Aber sie erkannte, woher der Wind wehte und stellte ihren Widerstand bald ein. Wahrscheinlich würde sie ein paar Tage schmollen und Ulrich ihre Unzufriedenheit spüren lassen, doch das war David herzlich egal. Um ihre Streitigkeiten kümmerte er sich schon lange nicht mehr, und er würde davon ohnehin nicht viel mitbekommen. Ihn ärgerte etwas ganz anderes. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann sich sein Vater das letzte Mal gegen seine Stiefmutter bei irgendeiner Angelegenheit durchgesetzt hatte und schon gar nicht bei einer, die von irgendeiner Bedeutung gewesen wäre. Am allerwenigsten bei 10

einer, die David betraf. Nicht, dass er es in letzter Zeit um ein Eingreifen zu seinen Gunsten gebeten hatte. Er wusste schon seit langer Zeit, dass es keinen Sinn hatte, darauf zu hoffen, und dass sein Vater nicht für ihn da war. Nicht, wenn es um seine Stiefmutter und ihre Töchter ging. Aber offensichtlich konnte Ulrich sich ihr gegenüber doch noch durchsetzen, wenn er es wirklich wollte und ihm die Sache, um die es ging, wichtig war. Sein Sohn war ihm nur eben nicht wichtig, egal, worum es ging. Bei dieser Angelegenheit aber war er groß darin, an sie zu appellieren. Aber es ging ja auch nicht um seinen Sohn, sondern darum, welchen Eindruck es wohl nach außen machen würde, wenn er sich nicht um seine Nichte kümmerte. Der Eindruck war ihm immer wichtiger gewesen als alles andere, und damit gelang es ihm schließlich auch, Evelyn zu überzeugen. Diese Gedanken verfolgten David den Rest des Abendessens, und entsprechend wenig sagte er in seinem weiteren Verlauf. Auch 11

Evelyn schwieg, wie er es erwartet hatte, und so blieb es an Denise und Jessica, ein wenig mit seinem Vater über die zu erwartenden Veränderungen zu sprechen. Das Platzproblem war in der Tat einfach zu lösen. Das Haus war groß genug und hatte mehrere Gästezimmer, die allesamt so gut wie nie benutzt wurden; es war also kein Problem, eines davon für Iris herzurichten. Einzig ihr Umzug musste organisiert werden, aber viel konnte es kaum zu transportieren geben. So würde es also bald eine weitere Frau unter dem Dach der Familie geben, und David fragte sich, auf welcher Seite sie wohl stehen würde, gab sich aber keinen großen Illusionen hin. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich auf die seine schlagen würde, war verschwindend gering, bestenfalls konnte er auf ihre Neutralität hoffen. Denise und vor allem Jessica würden schon bald versuchen, sie gegen ihn einzunehmen, das war ihm klar, aber mit ein wenig Glück würde es ihnen vielleicht nicht gelingen. Das blieb abzuwarten. Er konnte nichts 12

anderes tun, als das Beste zu hoffen. Aber selbst wenn es anders kommen sollte – wie viel schlimmer konnte das Leben in diesem Haus schon werden? Die Zeit bis zum Abitur würde er jetzt auch noch überstehen, egal als was für ein Mensch sich Iris entpuppte, und dann würde er schnell in eine andere Stadt zum Studium verschwinden, bevor sie ihn noch einmal triezen konnten, auch wenn er sich dann auf eigene Faust würde durchschlagen müssen, ohne die finanzielle Unterstützung, die er jetzt immerhin hatte. Aber alles war besser, als weiter hier leben zu müssen. Auf der Fahrt zu Tante Elisabeths Beerdigung in Potsdam musste David doch mit seinem Vater darüber sprechen, warum sie nur zu zweit fuhren. Ursprünglich hatte er das nicht gewollt und vorgehabt, einfach darüber zu schweigen, doch als sie dann im Auto saßen und sich irgendwie miteinander beschäftigen mussten, konnte er nicht verhindern, dass sich diese Frage in seine Gedanken 13

drängte. So hörte er sich irgendwann seinen Vater fragen, ob er sich nicht auch darüber ärgere, dass seine Frau und ihre beiden Töchter sie nicht begleiteten. Die Antwort, die er bekam, entsprach in etwa dem, was er hätte erwarten sollen. „Nun gut, ‚ meinte Ulrich, „sie kannten meine Schwester ja wirklich kaum, und wenn sie schon Pläne hatten, kann man das schon verstehen, dass sie vielleicht nicht so begeistert waren, alles über den Haufen zu werfen für die Beerdigung. Natürlich ist es schade, aber machen wir kein Drama daraus.‚ „Glaubst du wirklich, dass sie irgendwas vorhaben?‚ „Ganz bestimmt. Einfach so nicht mitkommen würden sie doch nicht.‚ David war sich nicht sicher, ob sein Vater selbst glaubte, was er sagte. Das war er nie, besonders, wenn es um seine Stiefmutter und ihre Töchter ging. Als erfolgreicher Anwalt und Notar war sein Vater darin geübt, sich zu verstellen, und trotzdem ärgerte es David 14

immer wieder, wie unkritisch er in diesen Dingen war. „Hätten sie dafür ihre Pläne nicht einmal ändern können? Es ist immerhin die Beerdigung deiner Schwester!‚ „Weißt du, so sind sie eben, das habe ich dir doch schon oft gesagt. Da kann man nichts machen, und sich drüber zu ärgern, wird nichts daran ändern. Außerdem wäre es bestimmt nicht besonders angenehm für uns und alle anderen Gäste gewesen, hätten wir sie dabeigehabt und sie hätten schlechte Laune.‚ Da musste David seinem Vater recht geben, aber es änderte nichts an seiner Meinung. Eine weitere Diskussion lohnte sich trotzdem nicht. Ulrich hatte beschlossen, es hinzunehmen, und nichts, was David sagte, würde etwas daran ändern. So war es immer: Sein Vater sah, was er sehen wollte, ignorierte alles andere und war keinen Argumenten zugänglich. David war immer wieder erstaunt, wie gut es ihm gelang, sein Verhalten in der Familie und 15