Kirchenkampf in der Ukraine

24.10.2015 - „Im Krieg in der Ostukraine kämpft ein ... Umsturz in Kiew 2014: Orthodoxe Priester stellen sich zwischen Demonstranten und Polizisten, sie ...
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MAGAZIN 3

SAM ST A G, 24 . OK T OBER 20 15

Umsturz in Kiew 2014: Orthodoxe Priester stellen sich zwischen Demonstranten und Polizisten, sie flehen: Keine Gewalt! – Doch die Anhänger der Maidan-Revolution haben rund 100 Todesopfer zu beklagen. Die Jungen in der Ukraine zählen sich zur „Maidan-Generation“. Tausende Tote forderte der Konflikt in der Ostukraine. BILDER: SN/AP/SERGEI GRITS, MÜ(3)

Kirchenkampf in der Ukraine Gespaltene Orthodoxe. In der Maidan-Revolution waren sich die Kirchen noch einig. Danach aber trennten sich die Wege. HELMUT L. MÜLLER

Mustafa Najem gab das Startsignal. Der ukrainische Journalist afghanischer Herkunft rief über Facebook Studenten auf, sich auf dem Maidan in Kiew zu versammeln. Aus dem Protest gegen die Sicherheitskräfte, die friedliche Demonstranten verprügelt hatten, wurde schließlich eine Volkserhebung gegen das korrupte Regime eines mit Moskau verbündeten Autokraten. Sie gilt längst als ein Stück europäische Revolutionsgeschichte, obschon die russische Propaganda den Umsturz in der Ukraine als „Staatsstreich“ zu diskreditieren suchte. Auch das orthodoxe Michaelskloster hat eine Rolle gespielt bei der Maidan-Revolution. In dem blau-weißen Komplex mit den goldenen Kuppeln sind verletzte Demonstranten medizinisch behandelt worden. Eine Ausstellung im Glockenturm bringt dem Besucher die Ereignisse von 2013/14 näher. Alle Kirchen in der Ukraine hätten in diesen turbulenten Tagen zusammengewirkt, um Gewalt zu verhindern, heißt es heute in Kiew. Seit der bewaffnete Kon-

flikt im Osten der Ukraine Millionen Menschen entwurzelt hat, setzen sich die verschiedenen Kirchen vereint auch für die Binnenflüchtlinge ein. Meinungsumfragen zeigen, dass die Bürger das größte Vertrauen in die Armee und in die Kirche haben. Zwar bietet ein Rat der religiösen Gemeinschaften den Kirchen in der Ukraine die Möglichkeit für einen regelmäßigen Dialog. Doch die kirchenpolitische Situation im Land ist deswegen kompliziert, weil sich die Orthodoxen in drei verschiedene Zweige aufgeteilt haben, die miteinander konkurrieren. Für die ukrainische orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats betont Metropolit Antonij: „Unsere Kirche ist die Kirche des Volkes, nicht des Staates.“ Aber er beklagt zugleich, dass in den Massenmedien dieser Kirche das Negativschild „fünfte Kolonne“ angeheftet werde; dass sie damit als „Gegenkraft“ in der neuen Ukraine etikettiert werde. Dies kommt aber nicht ganz von ungefähr. Denn sobald sie politisches Terrain

betritt, neigt diese Kirche dazu, Auffassungen Moskaus zu unterstützen. Zum Beispiel, wenn der Metropolit feststellt: „Im Krieg in der Ostukraine kämpft ein Teil des Volkes gegen den anderen.“ Die Rede von einem „Bürgerkrieg“ aber entspricht eindeutig der Lesart der russischen Führung. Das stößt auf entschiedenen Widerspruch bei der ukrainischen orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats. Erzbischof Hilarion konstatiert, das größte Problem der Orthodoxen liege darin, dass sie gepalten seien. „Wir sind die wahre ukrainische Kirche“, betont er. „Die Moskauer Kirche aber nimmt immer wieder prorussische Positionen ein. Wir nennen den Krieg in der Ostukraine eine russische Aggression. Die Moskauer Kirche aber schweigt dazu oder unterstützt sogar den Separatismus.“ Hilarion berichtet, dass Priester der Moskauer Kirche es abgelehnt hätten, bei dem Konflikt im Osten getötete ukrainische Soldaten zu bestatten – „ein Schock“ für viele Gläubige. Im vorigen Jahr seien

90 Gemeinden, erklärt der Erzbischof, von der Moskauer zur Kiewer Kirche übergegangen. „Dieser Prozess wird sicherlich weitergehen.“ Auch das Oberhaupt der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, die in der Sowjetzeit im Untergrund gegen das kommunistische Regime gekämpft hat, äußert sich kritisch zum Verhalten der mit Moskau assoziierten Orthodoxen. Swjatoslaw Schewtschuk erklärt, die enge Verbindung dieser Kirche mit dem Präsidenten Viktor Janukowitsch habe verhindert, dass sich dessen Regime rechtzeitig der aufbegehrenden Zivilgesellschaft geöffnet habe. Nach der Maidan-Revolution aber stünden alle Kirchen unter strenger Beobachtung der ukrainischen Gesellschaft: „Wir sind ein freies Land, und wir haben das Recht auf freie Religionsausübung.“ Der Erzbischof fordert im Konflikt mit Russland weltweite Solidarität mit der Ukraine. Alle hehren Erklärungen über die europäischen Werte stünden jetzt auf dem Prüfstand, sagt er.