Sandra Rehschuh

sucht und gejagt und dafür Kopfgeld kassiert. Schöne, ihr Vorgesetzter, hatte einmal angedeu- tet, dass die Regierungen ihre Auftraggeber wa- ren. Aber sie ...
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Sandra Rehschuh

Das Brennen der Dämmerung Roman freie edition © 2011 AAVAA Verlag UG (haftungsbeschränkt) Quickborner Str. 78 – 80, 13439 Berlin Alle Rechte vorbehalten www.aavaa-verlag.de 1. Auflage 2011 eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Umschlaggestaltung: Sandra Rehschuh Printed in Germany ISBN 978-3-86254-769-2

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Dieser Roman wurde bewusst so belassen, wie ihn die Autorin geschaffen hat, und spiegelt deren originale Ausdruckskraft und Fantasie wider. Alle Personen und Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Für meine Eltern

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Prolog

Ein halbes Jahr zuvor … Seit Stunden waren die Restaurants und Cafés am Neumarkt zugesperrt. Dichter Nebel zog von der Elbe in die Straßen und tauchte die Altstadt in ein geheimnisvolles Licht. Wenige Laternen brannten zu dieser Zeit noch; Stille beherrschte die Stadt. Eine Nacht, um für sich zu sein, um nachzudenken, über das Vergangene und das Kommende. Die Augustusstraße, nicht breiter als eine Gasse, und dennoch eine Attraktion für Touristen, war wie leergefegt. Liebevoll fuhr Franziska die Fugen der Sandsteinmauer nach, auf der, in für sie unerreichbarer Höhe, der Fürstenzug thronte. Verirrte Lichtstrahlen spiegelten sich auf den bemalten Kacheln aus Meißener Porzellan. Vierundneunzig Männer zählte Franziska im Vorbeigehen und verließ die Straße in Richtung der Brühlschen Terrasse.

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Sie stieg die Stufen der Freitreppe hinauf. Zu beiden Seiten bildeten Bäume eine Allee, an dessen Ende sich ein Plateau befand. Dort ließ sie sich auf den Rand des Delphinbrunnens nieder, hörte dem Plätschern des Wassers zu und schloss die Augen. Der Stein unter ihr war noch warm vom Tag und schenkte das Gefühl von Geborgenheit. Bis jetzt war es ein ruhiger Abend und inständig hoffte sie, dass es so bleiben würde. Ein Auto fuhr am Terrassenufer entlang, ein Dampfer störte mit seinem Tuten die Ruhe. Wenige Wolken verdeckten den sternenklaren Himmel. Eine einzige Nacht Frieden. Nicht kämpfen müssen. Ein gewöhnlicher Mensch sein. Franziska wusste, dass es nicht ihre Bestimmung war. Sie war anders. Zu oft hatte sie die Schattenwesen berührt, als dass dieses spurlos an ihrem Herzen vorbei gegangen wäre. Ein Funken der Dunkelheit hatte sich auch in ihr eingenistet und einen Abgrund in ihrer Seele geöffnet, der es ihr ermöglichte, zu töten. Unzählige Male hatte Franziska versucht, sich dagegen zu wehren. Das Abschlachten nicht länger mitzumachen. Doch 6

sie war dazu gezwungen. Hätte sie es nicht getan, so wären es die Vampire gewesen, die sie zur Strecke gebracht hätten. Immer war es Notwehr und trotzdem machte es ihr auf Weise Spaß. Das Gefühl, wenn die Klinge durch das Fleisch schnitt, dem letzten röchelnd Atemzug des Monstrums zu hören, bis auch dieser verklang. Tränen rannen ihr heiß die Wangen herab, Nebel hüllte sie ein. Sie hatte gemordet und würde es erneut tun. Wie lange konnte sie mit diesem Wissen leben, ohne ihre Menschlichkeit zu verlieren? Ein schriller Schrei durchbrach den Trübsinn, bohrte sich wie ein Pfeil in ihr Innerstes. Dem Ruf folgte ein neuer, der von den Häusern widerhallte. Franziska sprang auf, hob den Kopf in den Wind und versuchte die Bestie zu wittern. Ein erbärmlicher Gestank nach Fäulnis wehte ihr entgegen. Ob es Einbildung war oder ein Instinkt, entwickelt in den Jahren des Jagens, hatte keine Relevanz. Zu glauben, sie riechen zu können, bedeutete ein Stück mehr wie diese Vampire zu sein. 7

Zum wiederholten Male erklang das Gebrüll, getragen und zerstreut vom Nebel. Sekunden stand Franziska unschlüssig da. Wenn sie sich nicht bald entschied, würde ein Mensch sterben. Ihre Entscheidung stand schon längst fest, gestand sie sich ein. Ohne weiter nachzudenken, wählte sie die Richtung zum Neumarkt, die Münzgasse hinauf. Sie vertraute auf ihre Eingebung. Noch bevor das Opfer die Lippen zu einem neuerlichen Laut des Schreckens öffnen konnte, war sie dort und packte den Angreifer im Nacken. Überrascht von dem unerwarteten Widerstand ließ er von seiner Beute ab. »Lauf!«, schrie sie dem Fremden zu, dessen Hals mit einem dünnen Rinnsaal Blut bedeckt war. Erstarrt stand er da, rührte sich nicht. »Du schon wieder!«, fauchte ihr Gegner. Die Stimme riss den Unbekannten aus seiner Lethargie. Ohne sich umzudrehen, rannte er davon. Er stürzte über einen unsauber eingesetzten Pflasterstein und kroch auf allen Vieren in die Dunkelheit und verschmolz mit dieser. 8

Ein weiteres Leben, das sie gerettet hatte. Franziska lächelte und wandte sich der Bestie zu. »Ja, ich bin es. Was wolltest du von ihm?« Hartnäckig klammerte sie sich um seinen Hals, während ihr Gewicht auf seinem breiten Rücken lastete. Wie ein geschundenes Tier bewegte er sich unter ihr, schaffte es nicht, Franziska abzuwerfen. »Wir brauchen jeden, den wir bekommen können, um unser Ziel zu erreichen. Und jetzt lass ab von mir, Jägerin, oder du wirst es bitter bereuen.« »Ständig diese leeren Versprechen.« Sie verstärkte den Griff um seine Gurgel. »Sowohl du als auch deine Organisation, ihr wisst nicht, was ihr anrichtet. Mehr Schaden denn Nutzen.« Mit einer Schlange vergleichbar wandte er sich. Nur mit Mühe konnte sich Franziska an ihm halten. Er war stärker, als die Vampire, gegen die sie bisher gekämpft hatte. Deutlich waren seine Muskeln unter dem T–Shirt zu erkennen. Sehnige Hände an Armen, die breiter als ihre eigenen Oberschenkel waren, packten nach ihr. Franzis9

kas Fingernägel bohrten sich in seinen Stiernacken. Sie musste diese Rangelei zum Abschluss bringen, bevor er ihr Ende besiegelte. »Meine Organisation und ich, wir befreien die Erde von Ungeheuern wie dir.« »Wir sind keine Ungeheuer.« Er bäumte sich auf. »Ihr seid die Monster. Du verstehst nicht das Mindeste. Töte mich und du wirst niemals erfahren, warum Maik gestorben ist. Und woran die gesamte Menschheit zugrunde geht. Ich wollte ihn retten, würde auch dich retten, Franziska Maschke. Aber du hast deine Chance verspielt. Wenn du und dein Team weitermachen, wird es das Ende dieser Welt sein.« Woher kannte er ihren Namen? Wie konnte es sein, dass er von ihrem Bruder wusste? Niemand, außer sie selbst und Schöne verfügten über Kenntnisse zu dem, was mit Maik geschehen war. Was war an seinen Worten dran? Er war einer von diesen schrecklichen Biestern, vor denen sich die Menschen in Filmen und Büchern gruselten. Ein Schattenwesen, dessen Existenz einem kleinen, ausgewählten Kreis bekannt 10

war. Die Leute, die Franziskas Organisation angehörten, kämpften seit hunderten Jahren gegen alles Unmenschliche. Sie hielten Vampire und andere Wesen ab, wie ein Heuschreckenschwarm über die Menschheit herzufallen, und sie zu vernichten. Seitdem Maik in einen Blutsauger verwandelt worden war, hatte Franziska nach den Tätern gesucht und gejagt und dafür Kopfgeld kassiert. Schöne, ihr Vorgesetzter, hatte einmal angedeutet, dass die Regierungen ihre Auftraggeber waren. Aber sie stellte keine Fragen, solange sie davon leben konnte. Zum ersten Mal in ihrer Karriere als Jägerin nagte der Zweifel an ihr. War sie in Wahrheit besser als Vampire? Sie tötete wie er, um zu Überleben. Darüber hinaus war sie gierig nach dem Blut, das wie Teer aus den Adern dieser Unmenschen lief. Ein befriedigender Anblick. Sie leckte sich über die Lippen und ekelt sich zugleich vor sich selbst. »Ich hätte dich zu einer der unseren gemacht. Macht und Unsterblichkeit wären dein Lohn gewesen.« 11

»Niemals werde ich eine der euren«, brachte sie mühsam hervor. Ein Kloß hatte sich in ihrem Hals gebildet und ließ sich nicht herunterschlucken. »Schade. Du wärst eine Bereicherung für meine Rasse geworden. So nehme ich die Geheimnisse mit in mein Grab.« Sein heiseres Lachen erfüllte sie mit einer Mischung aus Trauer und Angst. Sie würde eines Tages wie er sein, wenn sie das Morden nicht aufgab und weiterhin Freude daran hatte. Franziska verscheuchte jedwede Gedanken diesbezüglich und zog einen silbernen Stift aus der Jackentasche. Der Vampir hatte seine Gegenwehr aufgegeben und stand regungslos unter ihr. »Tu es endlich!«, rief er, während Geifer aus seinen Mundwinkeln lief. Ein Tropfen seines Speichels landete auf ihrem Unterarm. Angewidert verzog sie das Gesicht und unterdrückte im letzten Augenblick den Impuls, die mit Blut durchzogene Sabber an ihrer Kleidung abzustreifen.

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Franziska betätigte einen unscheinbaren Knopf am oberen Ende des Stiftes. Eine Waffe aus geweihtem Silber. Erkennbar ausschließlich für jene, die von ihr wussten. Die Klinge fuhr geräuschlos hervor und spiegelte das Licht der Sterne. Franziska schloss die Augen. Ein reißendes Geräusch erklang, als sich die Schneide ihren Weg durch den Stoff suchte. Ein kurzer Widerstand, ab diesem Punkt ging es leichter. Zentimeter um Zentimeter bohrte sich das Edelmetall in die Brust des Schattenwesens. Ein kurzes Aufbäumen des Blutsaugers. Franziska umschlang seinen Oberkörper mit ihren Beinen, um nicht herunterzufallen. Kein Ton drang über seine Lippen, kein Seufzen. Er verschwand; löste sich in Nebel auf. Keine Asche, kein Staub, der zu Boden fiel, wie in den Filmen. Das Sterben eines Vampirs war unspektakulär. Sekundenlang hing Franziska erstarrt in der Luft und trotzte der Schwerkraft. Doch dann schien die Erdanziehungskraft ihre Regeln zu13

rückzugewinnen. Sie stürzte hinunter, fing den Sturz federnd ab und schürfte sich die Hände an den Pflastersteinen auf. »Verflucht«, flüsterte sie in die Dunkelheit hinein. Sie stand auf, schob das Silber zurück in die Jackentasche, klopfte sich den Schmutz von den Hosen und zog ein Tuch hervor, an dem sie das Blut von ihren Fingern wischte. Die Nacht neigte sich ihrem Ende. Die Sterne waren verblasst, der Himmel nicht mehr schwarz, sondern dunkelblau. *** Die Augen des Kellners waren gerötet, als er Franziska eine weitere Weinschorle brachte. Vor geraumer Zeit waren die anderen Gäste gegangen und die Stühle in der Cocktailbar am Rande der Stadt hatten ihre Plätze auf den Tischen gefunden. Draußen begann der Berufsverkehr zu rollen. Der Ober, ein paar Jahre jünger als sie, dem Aussehen nach erst mit der Schule fertig, tat ihr leid. Aber wie sollte sie ihm erklären, dass sie 14

heute Nacht nicht allein bleiben konnte? Dass sie vor wenigen Stunden einem Mann das Leben genommen hatte? Er war kein Mensch gewesen; nichtsdestotrotz klebte sein Blut an ihren Fingern. Damit war sie noch einen Schritt näher an dem Abgrund herangetreten, der das Ende ihrer Menschlichkeit darstellte. Ein Schmerz wie glühendes Eisen brannte in ihrer Brust. Fast konnte sie die silberne Waffe in ihrer Haut stecken fühlen und fürchtete sich vor dem Augenblick, in dem sie unterliegen würde. »Guten Abend. Ist hier frei?« Die Augenlider waren schwer geworden. Mit Anstrengung gelang es ihr, diese ein Stück zu heben. Ein Blick aus dem Winkel zeigte ihr, wie der Kellner, der zumindest einen Kopf größer als sie war, die Augen verdrehte. Hatte sie ein Anrecht darauf, ihn um eine schlaflose Nacht zu bringen? So wie er sie ansah, rechnete er sowieso damit und Franziska entschied, dass er am Tag schlafen konnte. Sie würde sich mit einem großzügigen

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