Sachverständigenrat: Schwarz-Rot kontra Weise - Handelsblatt ...

06.02.2015 - Amtszeit von Christoph Schmidt aus, und immer noch hat er keine offizielle Bestätigung, dass sein Mandat erneuert wird. Was dem Chef des ...
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Sachverständigenrat: Schwarz-Rot kontra Weise Frankfurt, Düsseldorf, 6. Februar 2015 Norbert Häring, Axel Schrinner

Qua Gesetz besteht der Sachverständigenrat aus fünf „unabhängigen“ Experten, die über besondere ökonomische Kenntnisse verfügen. Wie störend er das findet, was die Wirtschaftsweisen mit ihrer Unabhängigkeit machen, lässt Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) deren Vorsitzenden gerade spüren. Ende des Monats läuft die fünfjährige Amtszeit von Christoph Schmidt aus, und immer noch hat er keine offizielle Bestätigung, dass sein Mandat erneuert wird. Was dem Chef des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung zugemutet wird, ist ungewöhnlich. Normalerweise ist eine Wiederernennung eine Formsache, die weit vor Amtsende erledigt und verkündet ist. Doch der Rat hat unter Schmidts Vorsitz mit seinen letzten beiden Gutachten die Bundesregierung und das federführende Wirtschaftsministerium unter SPD-Chef Gabriel sehr verärgert. Der Rat sei vom deutschen ordnungspolitischen Denken geprägt, schaue viel zu sehr durch die deutsche Brille und ignoriere die Nachfrageschwäche in weiten Teilen Europas, sagt ein Regierungsexperte. In der Ökonomenszene rechnet dennoch kaum jemand damit, dass der SPD-Minister Schmidt eine weitere Amtsperiode verweigern könnte - obwohl vielen in der Partei die überwiegend von FDP-Ministern gekrönten Weisen ein Dorn im Auge sind. Er werde sich nicht dem Vorwurf aussetzen, den Rat gefügig machen zu wollen, heißt es einhellig. Dass DGB-Chef Reiner Hoffmann in einem Zeitungskommentar im November die Regierung indirekt aufforderte, Schmidts Vertrag im Rat nicht zu verlängern, dürfte diesem letztlich eher geholfen als geschadet haben. Alle Beteiligten schweigen. „Kein neuer Sachstand“, lautet seit Wochen die knappe Botschaft aus dem Ministerium. Die Saat des Ärgers legte der Rat 2013, als er in die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD hinein eine Liste von zu ergreifenden Maßnahmen vorlegte. Zwar hält sich der Rat schon lange nicht mehr an seinen gesetzlichen Auftrag, der ihm verbietet, „Empfehlungen für bestimmte wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen auszusprechen“. Aber so offensichtlich wie 2013 hatte er sich selten über dieses Verbot hinweggesetzt. Vergangenen November dann legten die Weisen nach: Sie warfen der Regierung vor, in die falsche Richtung zu marschieren; auf Regulierung zu setzen, anstatt die Marktkräfte frei wirken zu lassen. Befürworter dieser Linie sehen in den erbosten Reaktionen aus der Regierung den Versuch, Kritiker aus der Wissenschaft mundtot zu machen. Allerdings haben die Wirtschaftsprofessoren der SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi genügend Vorlagen für deren Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit geliefert. Wie eine Analyse des Handelsblatts ergab, wurden wissenschaftliche Standards an vielen Stellen nicht eingehalten. Die Zweifel daran, ob das Modell des Sachverständigenrats aus dem Jahr 1963 noch zeitgemäß ist, nehmen zu. Es werden vor allem zwei Reformoptionen ernsthaft diskutiert. Eine ist die Umwandlung in einen Stab zur Beratung der Regierung nach dem US-Modell.

Eine weit bescheidenere Reformidee ist es, das Gewohnheitsrecht von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften abzuschaffen, je ein Mitglied des Rates zu benennen. „Die Berücksichtigung der Vorschläge von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften ist ein Beitrag zu einer ausgewogenen Besetzung und kritischen Diskussion innerhalb des Sachverständigenrates", heißt es dazu bei den Arbeitgebern. Und Verdi-Vorstand Norbert Reuter betont: „Der Mainstream der Ökonomen liegt klar auf Linie der Arbeitgeber." Im Rat habe nur das gewerkschaftsnahe Mitglied Nachfragethemen noch im Blick - tatsächlich tun sich die Gewerkschaften schwer, renommierte Ökonomen zu finden, die ihnen zusagen. So durfte sich jüngst Peter Bofinger über eine eher unübliche dritte Amtsperiode freuen. „Ohne unser Vorschlagsrecht würde die ideologische Einseitigkeit noch größer", sagt Verdi-Mann Reuter. Das gilt auch für den Kontrast zwischen dem Handeln des Gremiums und seinem rechtlichen Auftrag, „die Ursachen von Spannungen zwischen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und dem gesamtwirtschaftlichen Angebot" aufzuzeigen. Seit Jahrzehnten findet Nachfragepolitik beim Rat fast nur noch in Minderheitsgutachten Erwähnung. Es wäre an der Zeit, das Mandat des Rates dem anzupassen, was die Weisen tatsächlich tun, oder dem, was sie sinnvollerweise tun könnten. Oder die Regierung müsste verlangen, dass die Weisen sich an ihren gesetzlichen Auftrag halten. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass weiterhin nichts passiert und die Wirtschaftsweisen der Regierung weiter Jahr für Jahr ihr dickes Gutachten überreichen - und diese mit mehr oder weniger höflicher Nichtbeachtung reagiert.

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