Republik Moldau unterzeichnet ... - Hanns-Seidel-Stiftung

30.06.2014 - DCFTA (Deep Comprehensive Free Trading Area, etwa: Vertiefte und umfassende. Freihandelszone). Mit diesem Abkommen, so Leanca, habe ...
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POLITISCHER HINTERGRUNDBERICHT Projektland:

Republik Moldau

Datum:

30. Juni 2014

Republik Moldau unterzeichnet Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union Am 27. Juni 2014 unterzeichnete der Premierminister der Republik Moldau, Juri Leanca, in Brüssel das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union. Dieses Abkommen besteht aus dem sogenannten politischen Teil sowie dem wirtschaftlichen Teil zum DCFTA (Deep Comprehensive Free Trading Area, etwa: Vertiefte und umfassende Freihandelszone). Mit diesem Abkommen, so Leanca, habe Moldau eine endgültige Entscheidung zu Gunsten der europäischen Union getroffen.1 Die Assoziierungsvereinbarung stärkt die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen der Republik Moldau zu den 28 EU-Ländern. Im wirtschaftlichen Teil sind engere Kontakte unter anderem für die Bereiche Handel und Energie vorgesehen, die der moldauischen Wirtschaft den Zugang zum EU-Markt mit 500 Millionen Verbrauchern sichern. Allerdings müssen die Hoffnungen auf ein kurzfristiges „Wirtschaftswunder“ in der Republik Moldau gedämpft werden: Auch nach der Unterzeichnung wird sich die Republik Moldau mittelfristig noch mit massiven strukturellen Problemen in der Landwirtschaft konfrontiert sehen. Der Zugang zum europäischen Markt garantiert noch keine Absatzchancen, gerade auf dem gesättigten europäischen Agrarmarkt. Die Nähe zum europäischen Markt wird aber mittelfristig wirtschaftliche Modernisierungsprozesse fördern, die es der Republik Moldau erlauben werden, sowohl ihre Weine am europäischen Markt zu platzieren, als auch mit weiteren Produkten und Gütern konkurrenzfähig zu sein. In wirtschaftlicher Hinsicht stehen der Republik Moldau ohnehin alle Möglichkeiten offen: Das Assoziierungsabkommens enthält keinerlei Ausschlussklauseln, selbst der Abschluss von Freihandelsvereinbarungen mit der russisch dominierten „Eurasischen Zollunion“ wäre möglich, da deren Mitglieder (Russland, Weißrussland und Kasachstan) auch Mitglieder der Welthandelsgesellschaft WHO sind. Im Vordergrund steht für die Republik Moldau derzeit eindeutig die politische Signalwirkung: Nach der Einführung des visafreien Reiseverkehrs in die EU im Frühjahr 2014 hat die Republik Moldau mit der Unterzeichnung des Assozierungsabkommens ein 1

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Bekenntnis zur Wertefamilie des Europäischen Raumes abgelegt, das die Transformationsphase des Landes seit der Unabhängigkeit 1991 weitgehend konsolidiert. Beziehungen zu Russland 20 Jahre nach der Unabhängigkeit von der ehemaligen Sowjetunion hat die Republik Moldau wirtschaftliche Kontakte nach Russland auch wenn beide keine gemeinsame Grenze haben: Moldau ist von Rumänien im Westen und der Ukraine im Osten umschlossen. Der Handel mit der Russischen Föderation macht ca. 12 % des moldauischen Außenhandels aus. Ein möglicherweise politisch motiviertes Importverbot für moldauischen Wein nach Russland traf die moldauische Wirtschaft empfindlich. Die Republik Moldau ist in starkem Maße abhängig von russischen Energielieferungen. Mehrere hunderttausend Moldauer arbeiten in der Russischen Föderation, denn die Republik Moldau hat den Vorteil, sowohl mit der EU, als auch mit der Russischen Föderation den visafreien Reiseverkehr aufrechtzuerhalten. Problem Transnistrien Schon vor der Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepublik Moldau (1991) kam es zu Auseinandersetzungen mit der Region Transnistrien. Diese Region erklärte sich 1990 unabhängig, da man sich nicht zu Moldau zugehörig fühlte und sich nicht an dem Weg nach Europa beteiligen wollte, den Moldau schon damals einzuschlagen versuchte, sondern der untergegangenen Sowjetunion – oder der Russischen Föderation als deren Nachkommen – die Treue hielt. 1992 eskalierte die Situation und führte zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Russische Truppen wurden nach Transnistrien eingeflogen, beendeten die Kämpfe – und zogen nicht wieder ab. Transnistrien bildet seitdem ein de-facto-Regime, das die moldauischen Gebiete östlich des Dnister umfasst und nur durch russische Unterstützung überlebensfähig ist. Die Regierung in Tiraspol duldet die 14. Armee der Streitkräfte der Russischen Föderation auf ihrem Territorium. Wichtigstes Vertragsdokument zwischen beiden Seiten ist ein Waffenstillstandsabkommen, aber konstruktive politische Lösungen des Problems sind bislang nicht in Sicht. Beide Konfliktparteien haben sich inzwischen mit dem Status quo weitgehend arrangiert, in Transnistrien ist ein − russisch subventionierter − Wohlstand spürbar. Das Regime in Transnistrien ist völkerrechtlich nicht anerkannt, auch nicht durch die Russische Föderation. Die Moldauer Seite betrachtet Transnistrien weiterhin als Moldauer Staatsgebiet, seine Bewohner als Moldauer Staatsbürger – und stellt beispielsweise entsprechende Pässe aus. Allerdings wird das Freihandelsabkommen mit der EU den derzeitigen Status Quo in Frage stellen. Das Freihandelsabkommen bezieht für eine Übergangsphase bis Ende 2015 Transnistrien mit ein. Ab 2016 wird sich Transnistrien aber entscheiden müssen, ob es ebenfalls dem Freihandelsabkommen mit Europa beitritt – und damit möglicherweise viele Vorteile der derzeitigen massiven russischen Unterstützung verliert – oder sich mit einer EUZollaußengrenze konfrontiert sieht, die von moldauer Seite kontrolliert und geschützt werden müsste. Politische Lage in der Republik Moldau – kein Weg zurück? Die Republik Moldau hat indirekt von der Krise in der Ukraine profitiert, sowohl die Einführung des visafreien Reiseverkehrs in die EU im Frühjahr 2014 als auch die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens kamen früher zu Stande, als ursprünglich geplant. Die politischer Elite in Chisinau, aber auch weite Teile der politisch interessierten Bevölkerung verstehen diese Zeichen: Europa reicht Moldau die Hand auch als Geste der Unterstützung gegen die russischen Versuche, mit Drohungen und Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Moldau_30. Juni 2014

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Versprechen Moldau in seinem hegemonialen Umfeld zu halten. Europa kann auch normative Impulse für die gesellschaftliche und politische Entwicklung des Landes liefern. Weit verbreitet besteht in der Bevölkerung die Hoffnung, dass europäische Werte und Normen mäßigend auf Korruption und Nachlässigkeit in der moldauischen politischen und wirtschaftlichen Szene wirken können. Der moldauische Parlamentspräsident Igor Corman hatte bereits im Vorfeld der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zugesagt, alles in seiner Macht stehende zu unternehmen, damit die Ratifizierung im moldauischen Parlament noch vor der Sommerpause vollzogen werden kann. Die aktuelle Regierungsmehrheit im Parlament erlaubt die Ratifizierung, aber man geht davon aus, dass auch einzelne Parlamentarier der Opposition, besonders der Kommunistischen Partei Moldaus PCRM, die historische Bedeutung des Abkommens würdigen und ihm zustimmen könnten. Problematisch erscheint der derzeitige Wahlkampf in Moldau, in dem sich die Opposition des Themas durch Halbinformationen und Meinungsmache annimmt – weniger, um die Annäherung an Europa grundsätzlich in Frage zu stellen, als vielmehr um einen kurzfristigen politischen Gewinn im Wahlkampf zu erreichen. Hier gilt es, vor der Wahl am 30. November 2014 Aufklärungsarbeit zu leisten, damit die Bevölkerung auch zu diesem Thema eine qualifizierte Entscheidung bei der Wahl treffen kann. Auch Moldaus Nachbar Rumänien setzt positive Zeichen: In einer Sondersitzung des Parlamentes wurde die Gesetzesvorlage zur Ratifizierung des Assoziierungsabkommens nur wenige Stunden nach dessen Unterschrift in Brüssel verabschiedet – an einem Samstag zu Beginn der Ferienzeit. Das rumänische Parlament sieht es als seine ehrenvolle Aufgabe, als erstes EU-Mitglied den Reigen der 28 Ratifizierungen in den jeweiligen Parlamenten zu eröffnen. Projektarbeit der Hanns-Seidel-Stiftung Die Projektmaßnahmen der Stiftung unterstützen seit Jahren den gesellschaftlichen Transformationsprozess in der Republik Moldau und damit unmittelbar die EUAnnäherung. Zahlreiche Projektansätze und Interventionsebenen fördern die Rechtsstaatlichkeit sowie die Bekämpfung der Korruption. Vor allem aber sind verschiedene Bildungsangebote auf die junge Generation Moldaus ausgerichtet, der sowohl in ländlichen Gebieten als auch im wirtschaftlichen und politischen Zentrum Chisinau durch Seminare, Trainings und Sommerschulen Themen der politischen Partizipation in einem modernen demokratischen Staat nahegebracht und Perspektiven für die eigene Entwicklung in der Republik Moldau vermittelt werden. Gerade der Generation, die selbst nicht mehr die Sowjetzeit erlebt hat und in den Jahren der bisher vergeblichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Suche nach einer Identität des Landes aufgewachsen ist, kann die weitere Annäherung an Europa den Glauben an die Entwicklung des Landes zurückgeben. Auch die politischen Diskussionen und Debatten, organisiert durch die Partnerorganisation INFO-PRIM NEO, einer Nachrichtenagentur, die für freie Meinungsäußerung und ausgewogene Berichterstattung steht, fördern den offenen und kritischen Umgang mit Informationen und weltanschaulichen Gegensätzen. Die Hanns-Seidel-Stiftung ist auch in der sogenannten Sicherheitszone aktiv, einem Landstreifen entlang der Grenze zu Transnistrien, der von der moldauischen Regierung aufgrund zahlreicher ungeklärter Status- und Kompetenzfragen wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde. Falls es ab 2016 zu einer Zollgrenze zwischen der Republik Moldau und Transnistrien kommen sollte, würde sie hier verlaufen, die Sicherheiszone würde zum Zollgrenzbezirk. Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Moldau_30. Juni 2014

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Die politische Opposition nutzt derzeit die noch ungenügende Informationslage der Bevölkerung zu Umfang und Bedeutung des Assoziierungsabkommens. Gezielt gestreute Gerüchte wie etwa, dass in der europäischen Union nicht mehr privat Wein erzeugt werden dürfe oder in der Europäischen Union dürfe man nicht mehr dem orthodoxen Glauben angehören, treffen die moldauische Volksseele. Im Sommer 2014 wird die Stiftung zusammen mit dem Projektpartner IIDIS VIITORUL (Institute for Development and Social Initiatives) eine Informationskampagne zu diesen Themen durchführen.

Daniel Seiberling Der Autor ist Auslandsmitarbeiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Bukarest, Rumänien.

IMPRESSUM Erstellt: 30. Juni 2014 Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Copyright 2014 Lazarettstr. 33, 80636 München Vorsitzende: Prof. Ursula Männle, Staatsministerin a. D. Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf Verantwortlich: Dr. Susanne Luther, Leiterin des Instituts für Internationale Zusammenarbeit Tel. +49 (0)89 1258-0 | Fax -359 E-Mail: [email protected], www.hss.de

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