Neun Tage Fiesta, acht Tage Stierlauf, sieben Nächte

Hose spannt im Schritt, sein Hohlkreuz verleiht ihm Grazie. Applaus, Gewinke mit weißen Taschentüchern, Bravo-Rufe und hie und da ein „„Olé!““, begleitet von ...
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Neun Tage Fiesta, acht Tage Stierlauf, sieben Nächte schlaflos, sechs Stiere täglich –– das ist das Fest des heiligen San Fermin, das wohl brachialste aller Volksfeste Europas. Feiern, Laufen und Sterben in Pamplona.

Foto: Christopher Glanzl Text: Markus Schauta und Matthias Hütter

̭Der sechste Tod Der Degen steckt nach dem zweiten Anlauf in seiner gebirgigen, blutüberströmten Flanke. Er scharrt, er läuft, er hechelt. Er steht, er strauchelt, er fällt. Genickstoß, Aufzucken, Tod. Der purpur funkelnde Matador mit den strahlend weißen Grinsezähnen zieht durch das Rund der Arena. Seine enge Hose spannt im Schritt, sein Hohlkreuz verleiht ihm Grazie. Applaus, Gewinke mit weißen Taschentüchern, Bravo-Rufe und hie und da ein „„Olé!““, begleitet von Strohhüten, Seidenschals und ledernen Sangria-Schläuchen, die ihm entgegen segeln. Seine Gehilfen heben die Gegenstände auf, reichen sie weiter und der oberste Zeremonienmeister schießt sie, von Handküssen begleitet, zurück in die Ränge. Den roten Inhalt der Lederschläuche spritzt er sich zuvor mit wohldosiertem, strammem Strahl in den dürstenden Rachen. Der nächste Stier springt zwei Mal über die innerste Bande und wird dafür von den berittenen Lanzenstechern drei statt der üblichen zwei Mal gespießt. Am Ende siegt immer der Mann mit dem Degen: der sechste Bulle, der erste Degenstoß bis zum Anschlag, kurzer Gnadenstoß ins Genick. Aus. Der sechste Tod des Nachmittags.

̭BIM, BIM, BIM

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Die Julisonne knallt erbarmungslos auf den Sandplatz, um den sich wogende Tribünen erheben. So hoch, dass über der letzten Sitzreihe nur ein wolkenloses Blau zu sehen ist. Unten in der Arena steht der gefeierte Matador an der roten Barrera und gibt ein Interview vor laufender Kamera. Drei Maultiere schleifen den toten Stier aus der Arena. BIM, BIM, BIM – die Glöckchen am Geschirr der Tiere klingen im Takt ihrer Schritte. Die Areneros verwischen die Spuren des Kampfes, die sich tief in den Sand eingegraben haben. Torro hatte keine Chance. Aber das hat auch niemand behauptet. Der Züchter nicht, der bis zu 25.000 Euro für einen andalusischen Kampfstier kassiert. Der Veranstalter nicht, der die Einnahmen dem Altenheim von Pamplona zuführt. Und auch der Matador nicht, der in den großen Arenen von Madrid und Sevilla bis zu 50.000 Euro für einen Auftritt bekommt. Torro wurde aufgezogen, um in der Arena von Pamplona vor 20.000 Zuschauern zu sterben.

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̭Funk Soul Brother: Fiesta!

̭Bum Bum Bullshit

Zuhaitza nennt sich der Schuppen: die Musik – Ohrensausen; die Preise – irre; die Kellnerin – nicht von dieser Welt. „„Tres cañas por favor!““, sage ich, nein, brülle ich über den Tresen, wo sich hinter einer schwarzen Haarsträhne Lippen zu einem schneeweißen Lächeln schwingen. Ich schiebe meinen weißen Hut aus der Stirn und lächle zurück, grinse. Grinse schief, meine Augen gerötet, der Blick flackernd, wie mir der Wandspiegel zeigt. Schulter an Schulter mit den beiden anderen Zombies lehne ich am Tresen vor dem Zapfhahn, aus dem ununterbrochen Bier fließt. Seit wie vielen Stunden surfen wir auf dieser Welle, die sich Fiesta nennt? Wann hab ich das letzte Mal geschlafen? Egal. Im schummrigen Licht, hinter Schwaden von Zigarettenqualm springen und schwanken Figuren zu Funk Soul Brother. Rundherum sitzen, stehen, lehnen 40 oder mehr Helden des Fiesta-Marathons, die fest entschlossen sind, sich an diesem Wasserloch den ultimativen Rausch abzuholen. „„Ein unfairer Wettkampf““, schreit mir Christopher, der Fotograf entgegen. „„Die Corrida? Kein Wettkampf, sondern Ritual, Schauspiel: Der Tod des Stieres.““ – „„Tierquälerei!““– „„Relativ““, denke ich mir. „„Vier Jahre auf der Weide, bevor der Stier in der Arena stirbt.““ – „„Macht’’s auch nicht besser, weil ...““ „„Doce euros!““, höre ich und bekomme drei überschäumende Gläser hingeknallt. Ich schnapp mir eines und schieß es über die feucht-glitschige Theke Richtung Fotografen. Es gleitet, kippt nicht und er greift’’s – erstaunlich! Aus den Boxen heult eine Sirene, immer höher, bis sie bricht und der Bass einsetzt: Right About Now, The Funk Soul Brother, Check It Out Now …… Der Hexenkessel kocht über.

„„Schau niemals zurück!““, brüllt er mir ins Ohr. „„Warum?““, brüll ich in seins zurück. „„Die Gefahr ist dann nämlich, dass man stolpert – über einen Vorläufer oder sonstiges herumliegendes Zeug!““, schreit der besorgte ältere Spanier gegen die Lautsprecher an. „„Und wenn du fällst: Hände über den Kopf und ruhig halten!““, und er zeigt mir, wie man sich die Hände über den Kopf hält. Selbst ist er nie mitgelaufen, er schaut sich das lieber im Fernsehen an. Anders der junge Spanier neben ihm, er läuft jährlich beim Encierro mit. „„Ich muss sogar““, erklärt er stolz, er sei Pamplonese und sein Vater erwarte das von ihm. Zurück bei Markus und unserem Fotografen wartet meine winzige Caña. Die beiden streiten. Gestikulieren wild. Ich versteh quasi gar nichts. Hie und da ein Wort. Der Rest ist Lärm. Fat Boy Slim dröhnt Funk Soul Brother. Volle Kanone. Fiesta! „„Schlachthöfe““, hör ich, während ich mir einen winzigen Bocadillo in den Mund schiebe. „„Heuchelei““, das nächste Wort, das aus dem lärmenden Äther geschossen kommt. „„Relativismus““ – „„Moral““ – „„Ethik““, schallt es manchmal auf, dann wieder „„Toros de Guisando““ – „„römische Tierhatz““ – „„Tradition““ ... Und ich weiß, unser Fotograf bekommt jetzt die historisch-kritische Einführung. Ich mach mich aus dem Staub und tu’’s den andern gleich: rein in die tobende, weiß gekleidete Menge. Abshaken! Nach gefühlten vier Stunden wieder an die Bar. „„Mythologie““, hebt Markus an, „„Zeugungskraft““ und „„Fruchtbarkeit““ ... Das ist das Stichwort, denk ich mir: Right about now ... „„Alles Bullshit!““, und in Richtung Kellnerin: „„Tres cañas por favor!““

̭Stierhoden

̭Einparken

Ammoniak-Gestank verätzt mir die Nasenschleimhaut. Durch diese Gasse muss die Pisse eines ganzen Volkes geronnen sein. Die Hitze des Tages hängt immer noch zwischen den Hauswänden und vermengt sich mit dem Gestank und dem Schweiß zu einem Miasma, das sich auf die Haut legt, in die Lunge kriecht und die Haare verklebt. Vielleicht klebt auch nur der Sangria, der aus Fenstern geschüttet wird. Der Fotograf umklammert einen zerfledderten Zettel, auf dem zwei behaarte Hoden gezeichnet sind, darunter steht „„Criadillas““ – Stierhoden. „„Haben sie hier nicht auf der Speisekarte.““ Ich hole Bier.

Die schwarzen Gassenschluchten hinein. Alles gerammelt. Fiesta in Uniform. Weiß sind die Hosen, die Hemden, die T-Shirts. Rot sind die Schärpen, die Halstücher, die Nasen, die Augen, die Backen ... Rechts, links, rauf, runter. Überall diese Menschen. Wir auch. Es regnet Blut. Mal einparken. Ich schlafe. Wann schlafen die Bocadillos? Wo feiern eigentlich die Torros? Und: DER oder DAS Opferstier? – „„Iiiih, Stierkampf!““, schreit wer und beißt in sein anständig, sauber, privat und mit Bio-Siegel industriell, human gestorben wordenes Extrawurstsemmerl. Wenn die blaue Welt kotzen könnte …… Die gelbe Sau sticht mir ins Gesicht. Nebenan Pisswand. Weiter unten Scheißecke. Ein netter Rasen. Grüner Arsch ab sofort. Rot ist der Sangria, den die Fassaden in die Gassen speien.

Später holt jemand anderes Bier. Und dann einer, den ich nicht kenne. Irgendwann schrillen, gellen und dröhnen Pfeifen, Querpfeifen und Trommeln die Gasse herauf. Menschen drehen sich im Kreis, hüpfen und springen zu einem wilden Rhythmus. Am Gassenrand Kauernde erheben sich schwankend, wie an Fäden hochgezogen. Eine Wand exzessiven Seins rollt auf mich zu. „„Geht’’s los? Kommen die Stiere?““ Ich leg mich auf den Boden und rolle mich ein.

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̭Nada An einer Hausecke beziehen wir Stellung. Nikotin beruhigt die Nerven, nebenan puschen sich trinkende Amis mit Brachiallauten. Mehr als 50 Meter soll man sich nicht vornehmen, so der Rat einer Infobroschüre. Die sechs Stiere walzen mit sechs Meter pro Sekunde durch die engen Gassen. Ihr Ziel: die Arena. Ihr nahes Schicksal: öffentliche Hinrichtung. Doch jetzt: Stierlauf. Keine Zeit zum Nachdenken. Das Um und Auf jetzt und hier für uns: die Wahl des Ausstiegspunktes. Die einen sind sehr schmal, die anderen bestehen aus zwei Meter hohen Bretterwänden ohne Steigmöglichkeit, wieder andere sind die einzige Fluchtmöglichkeit auf einem 200-Meter-Abschnitt. Verpasst man den, ist man im Arsch. Unser Plan: Ausstieg in circa 30-40 Metern, dort wo die Stierlauf-Strecke eine 90-Grad-Kurve einschlägt. Gesteckt voll ist die Gasse; gequetscht voll. Vor lauter Körpern sehe ich meinen eigenen nicht mehr. Kann nicht. Sardinendose. Ich bewege meine Zehen, spüre sie. Sie sind noch da. Jetzt erst wird mir klar: Das wird nicht so laufen wie gedacht. Nichts von wegen: Ich seh die Gehörnten von Weitem kommen, schätz die Entfernung und ergreife rechtzeitig die Flucht. Sehen tut man hier nämlich genau gar nichts. Nada. Hier ist man Teil der Masse. Teil der Panik. Verlassen hier einen Einzigen der Wartenden die Nerven, bricht der Wahnsinn aus und das Gedränge wird zur flüchtenden Flut. Genau das passiert um zehn vor acht. Alle laufen los. Das nackte Grauen in den blassen Hangover-Gesichtern.

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̭The Red Bull „„Wenn Sie stürzen, rollen Sie sich zusammen und bleiben Sie liegen!““, metallisch klingt die Stimme aus den Lautsprechern; Tipps für den bevorstehenden Irrsinn. 850 Meter sind es vom Gehege, wo die sechs Kampfstiere warten, bis in die Arena – Endpunkt des Encierros. Drei Minuten dauert der Stierlauf, vorausgesetzt es kommt zu keinen Komplikationen. „„Noch elf Minuten““, sagt Matthias, Dauerraucher, sponsored by Marlboro. Ich reiß mir einen Energydrink auf – Ergebnis eines vorausblickenden Moments, der mich irgendwann heute Früh ereilte. Der Typ im Muscle-Shirt neben mir schüttet sich Sangria aus einem Fünf-Liter-Kanister in den Mund. Ob ich auch einen Schluck wolle? Ich winke ab, mir ist übel. Teuer bezahlt sind die Plätze auf den schmalen Balkonen, die wie Schwalbennester über der Gasse hängen. Die es sich leisten wollten, stehen jetzt dort oben, beugen sich übers Geländer, um die Gasse besser einsehen zu können; schlürfen ihren Frühstückskaffee. Gelassen blicken sie der Action entgegen, die um Punkt acht hier losbrechen wird. Ich hier unten weiß, dass die noch vor mir liegenden 500 Meter bis in die Arena nicht zu schaffen sind, ohne irgendwann die Hörner im Rücken zu haben. Der nächste Exit ist 30 Meter entfernt. Dort muss ich raus, sonst wird’’s ungemütlich. Denn dahinter beginnt die 300 Meter lange Estafeta mit nur zwei Ausgängen – in diesen Korridor will ich nicht reingeraten. Wellen der Übelkeit erfassen mich in immer kürzeren Abständen. In einer spastischen Bewegung schlägt mir Matthias mein Red Bull aus der Hand. Der Zaubertrank, der mir hätte Flügel verleihen sollen, verrinnt zwischen den Pflastersteinen. Bleierne Müdigkeit. Ich schaffe es nicht, mich nach der Dose zu bücken, der nächste Exit erscheint mir unerreichbar. Wenn ich hinfalle, bleibe ich liegen, so oder so.

̭The perfect exit Gejohle und Klatschen gehen durch die Menge. Von den vollen Balkonen aufmunternde Zurufe. Plötzlich Polizei. Sie treibt uns die Straße weiter rauf. Widerstand, Stehenbleiben unmöglich. Man will offenbar den Menschenpfropfen an dieser Engstelle auflösen. Die Polizisten drängen uns vorbei am ausgewählten Exit, hinein in die lange, schmale Gasse, in der wir eben nicht zu stehen kommen wollten, weil die Ausstiegspunkte zu klein und mit rund 100 Metern viel zu weit auseinander liegen. Die grausame Vision hier: Man würde sich an die Wand drücken und die Stiere an sich vorbeilaufen lassen müssen. Scheiße! Zu riskant. Wenn da einer ausrutscht ... Angst. Da hetzen wir lieber die Straße runter, auf der Suche nach einem sichereren Startplatz. Zeit: fünf vor acht. Weiter. Hier gut? Nein! Weiter. Auch der zweite Exit-Punkt: zu riskant. Weiter! Hier ist’’s gut. Vor uns um die 100 Meter lang zu beiden Streckenseiten ein Zaun und somit reichlich Fluchtmöglichkeiten. Blick auf die Uhr: zwei vor acht.

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̭Warten Ein Mann im grünen Polo-Shirt mit langem, dünnem Stock sitzt auf einer der obersten Planken der Holzabsperrung. Wenn die Stiere da sind, wird er herunterspringen, mit ihnen laufen und sie antreiben. Der Stiertreiber kennt die Gefahren des Encierro aus jahrelanger Erfahrung - unaufhörlich wippt er mit den Beinen. Hinter den Holzbalken das Rot-Weiß-Rot eines Erste-Hilfe-Trupps. Eine Tragbahre haben sie mitgebracht. 8:00 Uhr! Verdammt, es geht los!

̭Vollgas Da! Ein Knall! In rund einer Minute kommt die Stierlawine. Erste Flüchtlinge. Der Blick nach hinten. Ruhe! Noch nicht! Immer mehr Läufer setzen sich in Bewegung. Ruhe! Geht noch! Immer mehr. Immer mehr. Dann: Tsunami! Verdammte Scheiße! Lauf um dein Leben! Es grollt, es poltert, es dröhnt, es bebt, es hämmert in mir, aus mir heraus, um mich herum, hinter mir und in mich hinein. Soll ich? Blick zurück? (Ich werd schon nicht zur Salzsäule erstarren.) Keine Stiere hinter mir! Oder doch? Etwas langsamer. Die Welle reißt mich mit. Jetzt raus? Nein! Geht noch. Keine Stiere! Oder doch? Vielleicht gleich hinter dem Typen? Die Leute werfen sich über die Barrikaden. Raus? Nein! Sprint! – Jetzt? Zu spät. Links und rechts Betonwände! Ein Tunnel. Licht am Ende. Vollgas! Der Eingang der Arena. Durch!

̭A-D-R-E-N-A-L-I-N Du hörst den dumpfen Knall der Rakete und weißt, dass der Corral mit den Stieren jetzt offen steht. Dein Mund ist ausgetrocknet. In weniger als zwei Minuten wird hier eine Horde Kampfstiere durch die Gasse donnern. Nur mühsam unterdrückst du den Fluchtreflex. Du stehst unter Strom. Aus den Augenwinkeln siehst du den Sani, der sich Gummihandschuhe überstreift. Der zweite Knall – Adrenalin schießt dir ins Blut, dein Herz rast. Die Bullen sind in der Gasse! Du weißt, dass du sie hörst, lange bevor du sie siehst. Aber wenn du sie hörst, sind sie schon sehr nahe. Viel zu nahe, als dass du mehr als 15 oder 20 Meter laufen könntest, bevor sie dich einholen. Du orientierst dich also am Verhalten des Menschenschwarms, dessen Teil du bist. Die ersten bahnen sich ihren Weg durch die Menge, rennen an dir vorbei. Dann kommen andere, die schon ziemlich schnell laufen, wieder andere schließen sich ihnen an. Und jetzt kommen die, die echt rennen, und Panik erfasst dich: Torros! Die Stiere sind da! Du sprintest los. Menschen stolpern, reißen andere mit. Geschrei, das Donnern der Hufe auf den Pflastersteinen – Scheiße, denkst du dir, scheiße, du hast die Stiere am Arsch!

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̭Waaaam! Durch! Rein! Wummm!!! Blendung. Eine tosende neue Welt. Der jubelnde Chor von 20.000: der lebende Horizont. Weiter! Renn! Rechts weg zur Bande! Anhalten. Umdrehen. Eins. Zwei. Drei. Nichts. Wo sind die Stiere? (Bin ich etwa zu früh losgelaufen?) Vier. Fünf. Sechs. Waaaam!!! Ein Ungetüm ergießt sich in das sandige Rund. Der weiße Schwarm weicht aus. Weitere 600-Kilogramm-Tiere stürmen herein. Gleich werden sie gegenüber ins Off gehetzt. Da! Die Ochsen. Endlich! Alle hinter Schloss und Riegel. Puh! Scheiße! Der Eingang wird verriegelt. Gefangen? Wo raus? Frenetischer Jubel. Wem gilt der? ... UNS!!! Uns Stierläufern! Uns Gladiatoren! Ich reiß die Arme in die Höhe. Alle reißen die Arme in die Höhe. Gejohle. Wir. Ja! Wir! Nächster Punkt am Unterhaltungsprogramm: AmateurStierkampf. Nacheinander treiben Jungbullen ihr Unwesen im Sand. Die Torros tanzen mit der Masse, die Masse tanzt um die Torros. Ich bin mittendrin, lme mit dem Handy. Der Bulle scharrt. Seine Hörner sind mit aufgepfropften Gummibällchen entschärft. Verwegene rennen vor seiner Nase rum, knien sich vor ihm nieder, posieren im Karate-KidStyle. Andere tapsen ihm auf die Flanke, auf den Hinterlauf, ziehen das gequälte Tier am Schwanz, springen, ja werfen sich über seinen Rücken – es gibt Buh-Rufe und Pffe.

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Vor dem Einlasstor ein Menschenhaufen. Sie knien und hocken sich hin, das Tor geht auf, der Jungstier schießt raus und springt mit einem eleganten Satz über das dreimetrige Menschenhindernis in die Arena. Beim nächsten Bullen dasselbe Schauspiel. Das Tor geht auf. Der Stier galoppiert durch den nsteren Schacht, prescht heraus, senkt sein Haupt und – fährt wie ein Rammbock in die Menschenbarrikade; fährt hinein in den Schädel eines hockenden Menschen, dass mich der dumpfe Knall trifft wie ein Faustschlag in die Magengrube; dreht durch, stochert den Gerammten auf, kämpft sich austretend und aufgabelnd durch die Fleischwand der Knienden, bearbeitet sein Opfer, als er die Barrikade bereits durchmäht hat, wirft es um sich, rennt in die weiße Flut, die aufgeschreckt auseinander fährt, und – aus. Der Mann bleibt regungslos im Sand liegen. Blut an seiner Stirn. Ich bin mir sicher: Er ist tot. Ich denk mir: die Rache der Torros …… Sofort wird der Körper auf einer Bahre aus der Arena getragen. Genug. Ich haue ab, spring über die Bande. Dahinter wird ein Verletzter in Weiß vorbei getragen. Er schreit wie am Spieß, hält sich sein Knie. Es ist voller Blut.

̭Café Iruña Noch liegen die Tische des Café Iruña im Schatten. Doch über die Plaza Consistorial kriecht bereits die Sonne. Ich setze mich an einen der freien Tische. Die Übelkeit ist verflogen. Ich fühle mich frisch und klar im Kopf. Der Kellner bringt Kaffee. Die Plaza ist überzogen mit einem Schorf aus zerbrochenen Flaschen, zertretenen Plastikbechern und klebrigem Sangria, der bei jedem Schritt ein schmatzendes Geräusch erzeugt. Müllwägen mit rotierenden Bürsten kratzen den Dreck vom Pflaster. Wenn ihre schweren Reifen über Glas walzen, schlagen die Scherben wie Schrapnelle gegen den niedrigen Zaun, der die Tische des Iruña vom Platz trennt. Im zertrampelten, feuchten Gras des Grünstreifens schläft ein Betrunkener. Jemand zieht sich die Hosen runter, hockt sich mit nacktem Arsch auf das Gesicht des Schläfers und grinst blöd. Eine Kamera klickt – Gelächter. Matthias lässt sich in den Sessel neben mir fallen. „„Wie weit bist du gelaufen?““ – „„Ich hab jemand sterben gesehen““, sagt er, „„drüben in der Arena.““ Wir bestellen Bier. Die Morgensonne hat uns erreicht und mit einem Schlag ist es unerträglich heiß. Zwei Kellner schleppen Sonnenschirme herbei.

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̭Abgrund

̭Schwalbennest

„„Press only!““, der Wachmann verstellt uns den Zugang zum Pressezentrum. Sehen wir echt so abgefuckt aus? Was erwartest du denn? Teilnehmende Beobachtung! – Wenn deine Storys nicht gut genug sind, warst du nicht nahe genug dran! Rausch, Gestank, Blut und Tod, der ganze Scheißkram! Das zehrt an dir, das hinterlässt Spuren! Und wenn du lange in den Abgrund starrst, …… du weißt Bescheid?! Ich zieh eine Visitenkarte aus dem Hutband und streck sie dem Wachmann entgegen: „„über.morgen, the magazine.““

Wir haben uns einen Balkon in der Estafeta gemietet. Encierro von oben für 40 Euro pro Kopf. Frühstück und Stiertreiben live im TV inklusive. Die sechs Totgeweihten jagen vorbei in Richtung Schlachthaus. Unbeirrbar in der Mitte der schmalen Straße. Ohne Aggression und ohne Hast. Man müsste gar nicht fliehen. Einfach an die Seite stellen, warten und vorbei lassen. Lächerlich, die Angst. Die tun doch nichts. Im Fernsehen ein kurzer Bericht von Protesten gegen die „„grausame Stierhatz in Pamplona““. (Wo und wann bitte waren die?) Gezeigt wird eine gehörnte, halbnackte Aktivistin – einen schwarzen Pappkarton-Sarg auf den Rücken geschnallt. „„Dass in unserer heutigen modernen Zeit noch immer empndsame Tiere zur Unterhaltung einer grölenden Menschenmenge gequält und getötet werden, ist einfach abscheulich““, sagt sie ins Mikrofon. „„Barbarischer Wahnsinn das Ganze. EIGENTLICH gehört’’s verboten““, sag ich und nehm einen Schluck Kaffee. „„Ja, eh““, raunt Markus und beißt in seinen Bocadillo de jamón serrano con tomate. „„Gehn wir ins Iruña?““ – „„Klar, Café Iruña, so wie jeden Tag.““̩••

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