Nachhaltige Entwicklung als Gestaltungsherausfor- derung in

Umwelt, Wirtschaft und Soziales mittlerweile auch in Kulturpolitik und Kul- ... wechsel. Es sieht die Re-Organisation ökonomischer Prozesse als geschlossene .... Paech, Nico (2005): Nachhaltigkeit zwischen ökologischer Konsistenz und.
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Nachhaltigkeit: Themen & Hintergründe

DR. CORINNA VOSSE arbeitet freiberuflich als

Nachhaltige Entwicklung als Gestaltungsherausforderung in Kulturbetrieben

Dozentin, Beraterin und Kulturmanagerin. Studium

Ein Beitrag von Corinna Vosse, Berlin

der Kunstwissenschaft und

Der Begriff Nachhaltigkeit ist neben seiner Verankerung in den Bereichen

der Betriebswirtschaftslehre. 5 Jahre tätig in den USA. Promotion am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt Universität Berlin. Seither erforscht sie Akteurstrukturen, Handlungsstrategien und Politik-

Umwelt, Wirtschaft und Soziales mittlerweile auch in Kulturpolitik und Kulturmanagement eine wiederholt auftauchende Referenzgröße. Verstanden wird er hier häufig als Ausrichtung eines Kulturbetriebes auf die Überwindung von Ressourcenknappheit, als Sicherung des dauerhaften Erhaltes der betreffenden Einrichtung - soziologisch gesehen, ist dies implizites Ziel jeder Organisation. An dem gesellschaftlichen Problemfeld, auf das der Begriff ursprünglich verweist, gehen diese Fassungen vorbei. Weitergehende Überlegungen, die Deutungs- und Kommunikationskräfte von Kunst und Kultur für die Gestaltung nachhaltiger Entwicklung zu mobilisieren, tauchen in diesem Diskurs eher sporadisch und als untergeordneter Aspekt auf.1 Zunächst ist zu klären, was mit dem Begriff Nachhaltigkeit gemeint ist. Eine verbreitete und auch für diesen Zusammenhang nutzbare Definition be-

prozesse in der Kulturpolitik. Ein zweiter Schwerpunkt liegt im Forschungsfeld 'Sustainable Consumption and Production'. Sie stellt ihre Arbeit auf Tagungen und in Publikationen

schreibt Nachhaltigkeit in Anlehnung an den Brundtland-Bericht als Zustand, in dem menschliche Bedürfnisse der Gegenwart so gedeckt werden, dass dadurch zukünftige Generationen nicht in der Befriedigung ihrer Bedürfnisse eingeschränkt werden.2 Nachhaltigkeit bezeichnet also eine bestimmte Zustandsqualität gesellschaftlicher Systeme, nachhaltige Entwicklung sind demnach die Schritte dorthin. Es bedarf keines besonderen Wissens, um zu erkennen, dass wir von einem solchen Zustand einer zeitnahen Regenerationsfähigkeit der irdischen Systeme weit entfernt sind. Nicht von ungefähr hat das Thema alle Politikfelder erfasst, der Handlungsbedarf ist groß - allerdings liegen vielfach keine Konzepte für die Verankerung von Nachhaltigkeitsprinzipi-

vor, berät städtische Ver-

en und für die Wirkungsmessung vor. Sie fehlen auch im Kulturbereich.

waltungen und lehrt an

Was kann die genannte Definition von Nachhaltiger Entwicklung als Gestal-

verschiedenen gesell-

tung von dauerhaft tragfähigen gesellschaftlichen Funktionssystemen nun

schaftswissenschaftlichen

für Kulturbetriebe und Kulturmanager bedeuten? Und wie verhält sich dieses Handlungsfeld zu den sonstigen Aufgabenstellungen des Kulturmanage-

Instituten.

ments? Handelt es sich hierbei nicht ohnehin um eine kulturelle Herausforderung, da neben der Ebene der technischen Systeme auch Einstellungen und habitualisierte Verhaltensweisen angesprochen sind? Im Folgenden wird

Kontakt: [email protected]

1

Föhl 2011, 13f.

2

Vgl. Hauff 1987, 46.

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… Gestaltungsherausforderung in Kulturbetrieben vertreten, dass die Ausrichtung eines Kulturbetriebes an Nachhaltigkeitsprinzipien in letzter Konsequenz einen systemischen Wandel beinhaltet, der alle Unternehmensbereiche und Schnittstellen einbezieht und der als Querschnittsaufgabe zu gestalten ist. Grundsätzlich können drei Zugänge ausgewiesen werden, um die definierte nachhaltige Ausrichtung im Sinne langfristiger ökologischer und sozialer Tragfähigkeit anzusteuern: Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Das Konzept der Effizienz sieht vor, auf der Basis graduellen technologischen Fortschritts eine Minimierung von Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung zu erreichen, also eine schrittweise Dematerialisierung anzustreben. Mehrere Probleme sind mit diesem populären Programm verbunden - populär, weil es keinen systemischen Wandel voraussetzt. Problematisch ist es, weil mittlerweile nichts mehr dafür spricht, dass technologische Verbesserungen im benötigten Umfang in nächster Zukunft erreicht werden können, weil auch Öko-Innovationen im bestehenden ökonomischen System in Skalenerträge überführt werden und weil technisch erreichbare Effizienzsteigerungen durch den so genannten Rebound-Effekt aufgezehrt werden - die Inanspruchnahme steigt im Zuge der technologischen Verbesserung.3 Das Konzept der Konsistenz basiert auf einem technologischen Paradigmenwechsel. Es sieht die Re-Organisation ökonomischer Prozesse als geschlossene Kreisläufe vor, eine Orientierung von menschlichen Produktionsweisen an ökologischen Wachstumsprozessen, so dass Verbrauche, Abfälle und umweltschädigende Emissionen entfielen. Praktische Ansätze werden beispielsweise unter dem Label cradle2cradle umgesetzt, jedoch ist derzeit kaum vorstellbar, wie unser gesamtes Versorgungssystem auch nur annähernd auf so grundlegende Weise umgestaltet werden kann. Auffallend an diesem Ansatz ist, dass er ein umso aggressiveres Wachstumsversprechen artikuliert und ausdrücklich gegen „Verzicht- und Schuldbotschaften der Ökos“ in Stellung geht.4 Im Unterschied zu den beiden erstgenannten Modellen, die am Wachstumsparadigma festhalten bzw. dieses nicht in Frage stellen, wirft das Prinzip der Suffizienz die Frage auf, nicht nur in welcher Weise, sondern wie viel Umsetzung von Ressourcen vonnöten ist. Suffizienz kann definiert werde als Wirtschaftsweise, die langfristige Systemstabilität mittels Mengenbegrenzung anstrebt. Die Operationalisierung dieses Konzepts setzt beim Konsumhandeln an und kann vereinfacht gesagt als Reduzierung und als Substitution erfolgen.5 Letztere Konzeption von Suffizienz wird auch Bedarfssubstitution genannt und ist nicht zuletzt ein Angebot, den Suffizienzgedanken vor der Folie des hegemonialen Systems von Produktion und Konsum überhaupt artikulierbar zu machen. Voraussetzung dafür ist, neben Wissen über den

3

Hansen / Schrader 2001, 19f.

4

Braungart / McDonough 1999, 22.

5

Vgl. Paech 2005, 67.

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… Gestaltungsherausforderung in Kulturbetrieben Umweltverbrauch einzelner Konsumpraktiken, die kulturelle Konstruiertheit von Bedarfen - im Unterschied zu Bedürfnissen - offen zu legen. Zurück zur praktischen Bedeutung für den Kulturbetrieb, der ja seinerseits im System von Produktion und Konsum verankert ist, aber gleichzeitig Spieler im Feld der Verhandlung von Bedeutungen ist. In einer Kulturorganisation können mindestens folgende vier Bereiche auf ihre nachhaltige Gestaltung hin geprüft und entsprechend entwickelt werden: Dies sind Beschaffung, Gebäude- und Veranstaltungstechnik, Publikumsverkehr und Programmdesign. Operative Phasen der Umsetzung können in einen Planungszirkel übertragen werden und setzen bei der Erhebung an. Auf die Unternehmensvorgänge von Industriebetrieben abgestellte Messinstrumente wie MIPS (Materialinput per Serviceeinheit) liefern Anregungen dafür, wie eine Schätzung des spezifischen Umweltverbrauchs z.B. pro Besucher geschehen kann.6 Alternativ kann der ökologische Fußabdruck des Kulturbetriebs annähernd bestimmt werden, hierzu wird der Umweltverbrauch des Unternehmens bei gegebenem Output in Flächenäquivalenten bestimmt.7 Im Rahmen einer ehrlichen Berichterstattung über Ergebnisse solcher Erhebungen können wie oben erwähnt Kunden direkt angesprochen, an der etappenweisen Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen beteiligt und so zu Partnern des Kulturbetriebs gemacht werden. Ebenso können neue Zielgruppen angesprochen und als Kunden und Partner gewonnen werden. Um im Anschluss an Erhebungen, Analyse, Zielformulierung und Berichterstattung die nachhaltige Ausrichtung des Unternehmens praktisch zu verbessern, können im nächsten Schritt produktbezogene und portfoliobezogene Strategien eingesetzt werden, je nachdem, wofür größere Potentiale identifiziert worden sind. Produktbezogene Strategien sind zum Beispiel die Ausrichtung der Beschaffungen auf regionale Anbieter oder die Nachfrage nach Gebrauchtwaren. Oftmals ist auch die (Rück)Verlagerung von Dienstleistungen ins Unternehmen nachhaltigkeitswirksam, u.a. weil flexibler auf Bedarfsschwankungen und lokale Ressourcenlage reagiert werden kann. Insbesondere im Bereich der Kundenkommunikation und des Marketings bieten sich vielfältige Formen der Dematerialisierung an - wobei hier Formen versteckten Umweltverbrauchs, insbesondere von Strom, zu berücksichtigen sind. Portfoliestrategien sind in der Regel von größerer strategischer Reichweite, sie reichen an die Fundamente des Kulturbetriebes und berühren Selbstverständnis und Image. Das Choice-Influencing setzt Marketing und Labelling ein, um Kunden für die ökologischen Implikationen ihrer Wahl zu sensibilisieren, sie zu informieren und so ihre Entscheidung zu Gunsten von ökologischeren Alternativen zu beeinflussen. Das Choice-Editing geht einen Schritt weiter und beinhaltet in Bezug auf einen Kulturbetrieb, Programmentscheidungen auch im Hinblick auf Nachhaltigkeitswirkungen zu treffen. 6

Als praktischen Einstieg z.B. Schmidt-Bleek 1997.

7

Als praktischen Einstieg z.B. Wackernagel / Byers 2010.

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… Gestaltungsherausforderung in Kulturbetrieben Das Angebot an kulturellen (Vermittlungs)Leistungen und Produkten entspricht dann beispielsweise bestimmten Mindeststandards, die auf Basis von ausgewählten Nachhaltigkeitskriterien gesetzt worden sind. Deutlich geworden ist, dass es eine Bandbreite an betriebswirtschaftlichen und managerialen Zugängen und Instrumenten gibt, um, wie eingangs aufgeworfen, das gesellschaftliche Ziel Nachhaltigkeit erfolgversprechend in ein Kulturunternehmen zu integrieren. Angesichts der hier nur angerissenen Komplexität der Wirkungszusammenhänge nachhaltiger Entwicklung und im Lichte praktischer Erfahrung wird jedoch auch deutlich, dass die Handlungsspielräume innerhalb der bestehenden Systemlogik begrenzt sind und warum diese Strategie der Nachbesserung ohne systemischen Eingriff nur ein erster Schritt sein kann. Der Überblick über die verschiedenen theoretischen Konzeptionen zur Erreichung von Nachhaltigkeit hat bereits nahegelegt, dass an der Idee eines 'Wandels ohne Veränderung' zwar noch argumentativ festgehalten wird, die Sachlage jedoch auch Grundprämissen unserer Gesellschaftsorganisation als problembehaftet und damit veränderungsbedürftig erscheinen lässt. Insbesondere scheint es unausweichlich, dass neben technologiebasierten Umstellungen auch konsumbezogene Verhaltensänderungen erforderlich sind. Diese sind wiederum weitestgehend von den bestehenden Versorgungssystemen determiniert, so dass nachhaltige Entwicklung nur dann funktionieren kann, wenn sie hier ansetzt, an der gesellschaftlichen Organisation von Produktion, Allokation und Konsumption. Es stellt sich die Frage, ob es den strategisch Verantwortlichen in Kultureinrichtungen an Umsetzungswissen oder an Ressourcen fehlt - oder was es für einen anderen Grund gibt, warum es nicht auch Kulturinstitutionen sind, die Diskurs und Praxis eines anderen Wirtschaftens, als Ausgangsvoraussetzung nachhaltiger Entwicklung voranbringen. Bisher sind es eher 'Social Enterprise', die implizit und explizit daran arbeiten, diese Grundlagen umzugestalten - darunter finden sich nur vereinzelt Kulturbetriebe. Dabei kann man sich als Kulturmanagerin durchaus fragen, wie Dematerialisierung auf der Ebene von betrieblicher Produktion betrieben werden kann. Man kann auch danach streben, im oben beschriebenen Sinne konsistente Umsetzungstechnologien - nicht Techniken - im eigenen Betrieb zu entwickeln und zu implementieren. Und man kann gemäß dem Prinzip der abgeschwächten Suffizienz attraktive Substitute kreieren, die die Nachfrage nach Produkten mit hohem Umweltverbrauch ablösen helfen. So öffnet sich eine ganze Bandbreite an Schritten auf dem langen Weg, einen Kulturbetrieb an Prinzipien nachhaltiger Entwicklung auszurichten - und damit zu einem zukunftsfähigen Unternehmen zu machen.¶

L I T E R AT U R • Braungart, Michael / McDonough, William (1999): Die nächste industrielle rEvolution. In: Politische Ökologie Vol. 62, S. 18-22.

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… Gestaltungsherausforderung in Kulturbetrieben • Föhl, Patrick et.al. (2011) Nachhaltige Entwicklung in Kulturmanagement und Kulturpolitik - Eine Einführung. In: Föhl, Patrick et.al. (Hg.): Nachhaltige Entwicklung in Kulturmanagement und Kulturpolitik. Ausgewählte Grundlagen und strategische Perspektiven. S. 7-18. • Hansen, Ursula / Schrader, Ulf (2001): Nachhaltiger Konsum – Leerformel oder Leitprinzip? In: Hansen, Ursula / Schrader, Ulf (Hg.): Nachhaltiger Konsum. Forschung und Praxis im Dialog. Frankfurt / New York: Campus. S. 17–45. • Hauff, Volker (Hg.) (1987): Unsere gemeinsame Zukunft. Der Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. (Brundtland-Bericht). Greven: Eggenkamp. • Paech, Nico (2005): Nachhaltigkeit zwischen ökologischer Konsistenz und Dematerialisierung: Hat sich die Wachstumsfrage erledigt? In: Natur und Kultur. Vol 6/1, S. 52-72. • Schmidt-Bleek, Friedrich (1997): Wieviel Umwelt braucht der Mensch? Faktor 10 - das Maß für ökologisches Wirtschaften. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. • Wackernagel, Mathis / Byers, Bert (2010): Der Ecological Footprint: Die Welt neu vermessen. EVA Europäische Verlagsanstalt.

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