Florian Stollowsky Nachfragemacht im Lebensmittelhandel IGEL Verlag
Florian Stollowsky Nachfragemacht im Lebensmittelhandel 1.Auflage 2009 | ISBN: 978‐3‐86815‐350‐7 © IGEL Verlag GmbH , 2009. Alle Rechte vorbehalten.
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Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung
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2. Eckpunkte des deutschen Lebensmitteleinzelhandels
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3. Varianten von Nachfragemacht
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3.1. Die „Spiegelbildtheorie“ des Oligopols 3.2. Ein verhandlungstheoretisches Basismodell
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3.3. Kritik am Basismodell
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4. Quellen der Nachfragemacht 4.1. Das Umsatzvolumen eines Käufers
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4.1.1. Entstehung von Abbruchoptionen
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4.1.2. Interaktion zwischen Einkaufsvolumen und Produktionstechnologie
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4.2. Türsteher – Funktion
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4.3. Relative Abhängigkeit
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4.4. Handelsmarken
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5. Konsequenzen von Nachfragemacht
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5.1. Die Rolle der Vertragsgestaltung
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5.2. Zusammenspiel zwischen vertikalen und horizontalen Effekten
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5.3. Der Wasserbetteffekt
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5.4. Langfristige Auswirkungen auf das Produktangebot
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5.4.1. Effekte auf die Produktvielfalt
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5.4.2. Innovations- und Investitionsanreize
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6. Unsicherheit über die Ausbringungsmenge 6.1. Motivation
1
9
37 37
6.1.1. Der Milchmarkt in Großbritannien
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6.1.2. Der Milchmarkt in Deutschland
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6.2. Einführung in die Theorie
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6.2.1. Erwartete inkrementelle Durchschnittskosten
42
6.2.2. Modellannahmen und Determinanten des Einstandspreises
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6.3. Asymmetrische Nachfragemacht
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6.4. Veränderung der Marktstruktur
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6.5. Anreizeffekte im Hinblick auf die Produktionstechnologie
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6.6. Dynamischer Verhandlungsrhythmus
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7. Schlussbetrachtung
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Anhang Appendix A: Beweise
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Appendix B: Abbildungen
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Appendix C: Tabellen
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Appendix D: Fragebögen
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1. Beschreibung des Auswahlverfahrens
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2. Auswertung der Antworten
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Fragebogen 1
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Fragebogen 2
90
Literaturverzeichnis
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2
1. Einführung Einem gegenwartsnahen Appell des European Economic and Social Committee (2005) sei die erste Aufmerksamkeit gewidmet: „The buying power of the Large Multiples in the food market must continue to be a matter of concern for the competition authorities.“ Was veranlasst die EU-Institution zu diesem Aufruf und was ist mit „buying power“, bzw. Nachfragemacht überhaupt gemeint? Mit Nachfragemacht ist die Fähigkeit gemeint, dass relativ große oder aus anderen Gründen starke Käufer privilegierte Sonderkonditionen ohne Beachtung gerechtfertigter Mengenrabatte -
gegenüber ihren Lieferanten
aushandeln können. Innerhalb der Lebensmittel-Wertschöpfungskette lässt sich der Lebensmitteleinzelhandel als „Flaschenhals“ für den Absatz der Zulieferer betrachten.1 Wenigen großen Handelskonzernen steht eine Vielzahl von Produzenten gegenüber, und da die Wertschöpfungstiefe des Handels relativ gering ist, bestimmt sich die Profitabilität und Marktstellung eines Händlers erheblich über seine Einstandspreise.2 Verschärft wird die strukturell delikate Situation durch einen seit Jahren andauernden Konzentrationsanstieg im Lebensmitteleinzelhandel. In Deutschland werden mittlerweile rund 90% der Lebensmitteleinkäufe bei den Top 5 getätigt, 1980 betrug dieser Anteil noch 28%.3 Im europäischen Vergleich ist das deutsche Konzentrationsniveau nicht einmal besonders hoch. Insbesondere die skandinavischen Staaten weisen höhere Level auf, dagegen haben die südlicheren Staaten wie Griechenland, Italien oder Spanien ein niedrigeres Niveau.4 Der Wareneinkauf bündelt sich noch mehr als dieses Konzentrationsmaß es nahe legt, denn es ist sinnvoll zwischen Angebots- und Beschaffungsmärkten zu trennen. Nachfragebündelung entsteht zum Beispiel durch internationale Einkaufskooperationen, aber auch auf nationaler Ebene z.B. zwischen kleinen und einem großen Händler – beispielhaft sei hier das Bündnis zwischen EDEKA und Globus genannt. Das Bundeskartellamt differenziert zusätzlich zwischen den Beschaffungsmärkten für Herstellermarken und für Handelsmarken. Bei Handelsmarken konzentriert sich der 1 2 3 4
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Siehe Lademann (1988). Abb. 1 im Appendix B stellt den „Flaschenhals“ innerhalb der Wertschöpfungskette dar. Vgl. Bundeskartellamt Fall B 2 – 333/07, S. 103 ff. Vgl. Bundeskartellamt Fall B 2 – 333/07, S. 82 und Ernst & Young (2006). Siehe Oldenziel et al. (2006) S.50. Auch Großbritannien weist ein hohes Konzentrationsniveau auf. Das hat die Competition Commission dazu veranlasst die zweite große Marktanalyse innerhalb der letzten Jahre durchzuführen. Das Ergebnis wurde 2008 auf der Webseite der Behörde veröffentlicht.
Umsatz eines Herstellers meist auf 1 – 2 Abnehmer, bei Herstellermarken entspricht der Umsatzanteil, den ein Hersteller mit einem bestimmten Händler erzielt, oft dem absatzseitigen bundesweiten Marktanteil, den dieser Händler bei dem entsprechenden Produkt hält.5 Auf das zunehmende Ungleichgewicht zwischen Lieferanten und Einkäufern reagieren in den letzten Jahren sowohl der Gesetzgeber als auch die Wissenschaft. Die moderne Forschung begegnet der Herausforderung zum Beispiel, indem sie die Beziehungsstruktur zwischen
Handel
und
Zulieferern
zusehends
durch
verhandlungstheoretische
Modellierung darstellt.6 Die Legislative antwortet durch Modifizierung von Gesetzen. Etwa § 20 Abs. 3 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verbietet Firmen, von denen andere Firmen abhängig sind, letztere dazu zu veranlassen, ihnen ungerechtfertigte Vorteile zu gewähren. Diese Regelung wurde 2007 durch die „Preismissbrauchsnovelle“ verschärft. Seitdem ist es nicht mehr obligatorisch, dass es sich bei den abhängigen Firmen um relativ kleine und mittlere Firmen handelt, auch größeren abhängigen Firmen wird nun eine Schutzwürdigkeit gegenüber Nachfragern zugestanden. Die
Globalisierung
drückt
sich
im
Lebensmittelhandel
durch
internationale
Einkaufsallianzen, Auslandsexpansionen oder globale Beschaffungsstrategien aus. Die Auswirkungen aus der zunehmenden internationalen Verflechtung und der ansteigenden Marktkonzentration sind gegenwärtig - aufgrund der Aktualität der Entwicklungen - noch nicht abschließend prognostizierbar. Zu vermuten ist aber, dass die Dimension der Konsequenzen nicht bei einzelnen Regionen und nicht an der Schnittstelle zwischen Industrie und Handel verharrt. Vielmehr ist zu erwarten, dass die Konzentration und Neustrukturierung ausstrahlt, sowohl in Richtung Endverbraucher als auch in Richtung nationale und internationale Agrarmärkte.7 Der Umfang und die Aktualität der Thematik motivieren zu gründlichen Untersuchungen. In diesem Sinne setzt sich die vorliegende Arbeit allgemein mit dem Thema Nachfragemacht im Lebensmitteleinzelhandel auseinander und richtet dabei den Fokus im Speziellen auf den deutschen Lebensmitteleinzelhandel. Da die Arbeit einen theoretischen Blickwinkel einnimmt, sind einzelne Ergebnisse nicht 5 6 7
Siehe Fall B 2 – 333/07, S. 99. Für eine Einführung vgl. Inderst/Wey (2007). Siehe z.B. Wiggerthale (2008), Studie im Auftrag von Oxfam Deutschland e.V.
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nur „deutschlandspezifisch“, sondern grundsätzlich übertragbar auf andere Märkte. 8 Um einen deutschen Bezug herzustellen, stellt der Verfasser in Kapitel 2 die relevanten Eckpunkte des deutschen Marktes vor, in den daran anschließenden Kapiteln legt er an den entsprechenden Stellen Zwischenbemerkungen dar und in Kapitel 6 findet sich eine Fallstudie
zum
deutschen
Milchmarkt,
der
als
Musterbeispiel
für
einen
Handelsmarkenkontext dient. Um den Grad der eigenen Informiertheit zu erhöhen, hat der Verfasser zwei Fragebögen entworfen. Einen mit dem Schwerpunkt Milchmarkt und einen weiteren zur Vergleichbarkeit. Die Hauptauswertung ist im Kapitel 6.1.2. und die Beschreibung sowie eine Zusatzauswertung im Appendix D. Die Diplomarbeit ist wie folgt aufgebaut: in Kapitel 2 befindet sich eine Einführung in den relevanten Bereich des deutschen Marktes; Kapitel 3 stellt zwei Herangehensweisen an das Thema Nachfragemacht vor; Kapitel 4 führt in die Ursachen der Nachfragemacht ein; Kapitel 5 zeigt mögliche Effekte der Nachfragemacht und Kapitel 6 stellt ein speziell für den britischen Milchmarkt entwickeltes Modell vor und überprüft die Gültigkeit für den deutschen Markt.
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5
Darüber hinaus sind die Ergebnisse mitunter übertragbar auf weitere Einzelhandelsbranchen, in denen Nachfragemacht existiert. Vgl. z.B. den Geschäftsbericht der Adidas Group 2007, S. 109 („Kundenrisiken“).
2. Eckpunkte des deutschen Lebensmitteleinzelhandels Das deutsche Bruttoinlandsprodukt betrug 2006 rund 2.309,1 Milliarden €. Davon entfielen 128,5 Milliarden € und damit 5,6% auf den Lebensmitteleinzelhandel.9 Wie gesehen
erlebt
der
Lebensmitteleinzelhandel
einen
seit
Jahren
anhaltenden
Konzentrationsprozess. Welche Gründe hat das? Zum einen gab es in den letzten Jahrzehnten immer wieder technische Neuerungen, die größeren und finanziell potenteren Marktteilnehmern beim internen Wachsen Vorteile verschafft haben, etwa elektronische Regaletiketten, Self-Scanning oder seit Neuestem die RFID – Technik („Radio Frequency Identification“). Zum anderen erlebt der Handel seit 1986 aufgrund der Lockerung von Fusionsrestriktionen einen bis heute fortschreitenden Fusions- und Akquisitions-Boom. Beispiele sind die Übernahme von Allkauf 1998 durch die Metro oder aktuell die Übernahme von Plus durch EDEKA. Außerdem sind inhärente Markt-Mechanismen denkbar, die über eine Interaktion zwischen Angebots- und Nachfragemacht zu einem „natürlichen Oligopol“ führen.10 Die Top 5 des deutschen Lebensmitteleinzelhandels sind der Marktführer EDEKA, die Rewe-Group, die Schwarz-Gruppe, Aldi und Metro.11 Eine Besonderheit des deutschen Marktes
besteht
in
der genossenschaftlichen
Organisation
der
zwei
größten
Handelsketten, EDEKA und Rewe. Die Basis beider Unternehmen wird durch selbstständige Einzelhändler bzw. Genossenschaften gebildet. Der Einkauf und die strategische Ausrichtung wird überwiegend durch Regionalgesellschaften bzw. die Zentrale gesteuert. Eine weitere Besonderheit des deutschen Marktes ist der im internationalen Vergleich hohe Marktanteil der Discounter. Laut KPMG (2006) beträgt der Anteil mittlerweile 40% und für 2010 sagt die Studie 45% voraus; für Frankreich schätzt
das W&ABE-Institut
(2007)
einen
Discounteranteil
von
10,5%,
für
Großbritannien sogar nur 5,5%.12 Die Discounter erreichen ihre Preisführerschaft durch scharfe Kalkulation, Fokussierung auf ein begrenztes Sortiment von „schnelldrehenden“ Produkten, meist Eigenmarken, eine einfache Warenpräsentation und rationellen Service.13 9 10 11 12
Vgl. http://www.lebensmittelhandel-bvl.de/modules.php?name=Content&pa=showpage&pid=127&cid=23. Näheres hierzu in Kapitel 5.3. Vgl. Tab. 1 im Appendix C. Allerdings prognostiziert KPMG (2005) ein baldiges Ende des Discounter-Wachstums durch Neukundengewinnung. Die Begründung ist der bereits sehr hohe Kundenanteil, kombiniert mit einem niedrigen akquisitorischen Potential. 13 Für Erklärungsansätze warum Discounter speziell in Deutschland so erfolgreich sind, siehe Wortmann (2003).
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