Nach dem Lesen von JOCHEN PRAEFCKE: ICH STOTTERE. AUS ...

Kaffee also: Jochen Praefcke ist klar, eindeutig, strukturiert. Man merkt ... Angst, der Vorstellung zurücktritt und die schlichte Wirklichkeit anschaut. Die Anzahl ...
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Nach dem Lesen von JOCHEN PRAEFCKE: ICH STOTTERE. AUS DEM GEFÜHLSLEBEN EINES STOTTERERS Ein tolles Titelfoto: Eine riesige Staumauer. Welch ein Symbol für das Phänomen des Stotterns. Das Buch versucht sie einzureißen. Was ihm durchaus gelingt. Ganz pragmatisch kommt es daher. Jochen Praefcke schreibt umgangssprachlich, ohne viel literarische Ornamentik, ohne Subtext, doppelten Boden. Da schreibt kein Schriftsteller, sondern ein Mann der Alltagssprache. Als säße er gegenüber am Tisch. Freilich nicht in der Kneipe. Er hat kein benebelndes Bier vor sich, sondern eher eine Kaffeetasse in der Hand. Genauer gesagt einen Milchkaffee. Wenn er sich denn getraut hat, dieses phonetisch so widerspenstige Wort bei der Bestellung zu sagen. Ansonsten tut es auch, das ist einfacher, ein Cappuccino. Man solle nicht ausweichen, schreibt er, aber manchmal sei Schummeln schon erlaubt. Kaffee also: Jochen Praefcke ist klar, eindeutig, strukturiert. Man merkt ihm den Betriebswirt, den Vortragsredner, den Vermittler komplexer Sachverhalte an. Manchmal hätte ich mir schon mehr plastisches Erzählen gewünscht, zum Beispiel eine viel ausführlichere Schilderung seiner wirklich phantastischen Religionslehrerin. Aber das wäre der falsche Anspruch. Ganz klar: Es lohnt sich, das Buch zu lesen. Bis zum Ende! Der erste Teil berichtet eher von all den schwierigen Erlebnissen, wie sie jeder Stotternde zu Genüge kennt. Doch ab Seite 60 nimmt das Buch richtig Fahrt auf. Genau an der Stelle, wo der Logopäde fragt, was sein Patient dem Stottern wohl POSITIVES abgewinnen könne - und ihn damit vollkommen verblüfft. Er lernt: Das Stottern ist ein gigantischer Tiger, der sich bei näherer Betrachtung als eine harmlos schnurrende Hauskatze entpuppt. Sofern man von der Angst, der Vorstellung zurücktritt und die schlichte Wirklichkeit anschaut. Die Anzahl der Reaktionen auf sein Stottern, die eindeutig bösartig negativ waren, erscheinen Jochen Praefcke, auf seine rund 40 Jahre Lebenszeit verteilt, verschwindend gering. Schlimm war vor allem das Ausmalen, WIE andere Menschen reagieren KÖNNTEN. Für den Autor ist die Zeit der großen Scham vorbei. Er hat viel geschafft. Dabei spielt er aber keinesfalls den Helden, sondern ist absolut ehrlich. Man wünscht ihm viele Leser, die er auf seine Reise mitnehmen kann. Warum der Name Jochen Praefcke aber auf dem Titel so klein? Und auf dem Buchrücken erst gar nicht vorhanden? Der Weg aus dem Versteck ist doch weit... Bescheidenheit? Falsch. Ich finde, Großbuchstaben wären durchaus angemessen gewesen. Gerd Riese

Gerd Riese, geboren 1950 in Essen, lebt und arbeitet in Witten, Nordrhein-Westfalen. Er ist Autor mehrerer Bücher zum Thema Stottern, die beim Demosthenes-Verlag der Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe e.V. erschienen sind („Mein Weg. Biografische Gespräche mit stotternden Menschen“, 2016, und „King George, Chagall, die Monroe und wir. Erzählungen aus dem Leben stotternder Menschen“, 2012). Für seinen Gedichtband „Das Licht am frühen Morgen (Grupello-Verlag, Düsseldorf) erhielt er 2006 den ersten Preis der Rauner-Stiftung.