Mein wundervolles Spastik-Buch - Buch.de

Was ist eigentlich Spastik? Und ein Spitzfuß? Vorwort. Pes equinus oder der Spitzfuß. Das ist die Strafe
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Karin Gottheil

Mein wundervolles Spastik-Buch Erfahrungsbericht

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© 2016 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2016 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Karin Gottheil Entstanden mit Unterstützung von Annette Piechutta, Autorin und Ghostwriterin, www.ghostwriterin.com Printed in Germany Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck

ISBN 978-3-8459-1960-7 ISBN 978-3-8459-1961-4 ISBN 978-3-8459-1962-1 ISBN 978-3-8459-1963-8 Mini-Buch ohne ISBN

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Für alle Menschen, die mich nicht als Behinderte, sondern immer als Karin gesehen haben.

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Was wir zu lernen haben, ist so schwer und doch so einfach und klar: Es ist normal, verschieden zu sein. Richard von Weizsäcker (1920-2015), ehemaliger Bundespräsident

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Inhaltsverzeichnis Was ist eigentlich Spastik? Und ein Spitzfuß? Vorwort Pes equinus oder der Spitzfuß Das ist die Strafe < Gefängnis ohne Gitter Das wirkliche Leben Nur nicht über mich nachdenken Alles Sch< Entschuldigung: großer Mist Das können Sie bei uns nicht machen < Das hatte mich bisher noch niemand gefragt Eine zweite Chance Mit Existieren beschäftigt So geht’s dir gut Vegan Soll das denn immer so weitergehen? Die nehm‘ ich nicht mehr Das Leben ist knallbunt Kimba Ein anderer Blick auf die Welt 6

Meine Behinderung heute Was ich noch sagen will Hier finden Spastiker Hilfe Literatur- und Quellenverzeichnis

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Was ist eigentlich Spastik? Die Spastik bzw. Spastizität ist keine Krankheit. Sie ist ein Symptom. Als Ursache für eine spastische Lähmung gilt eine Schädigung der für die Bewegung zuständigen Bereiche des zentralen Nervensystems (ZNS), also des Gehirns und Rückenmarks. Von Pyramidenbahn und Motoneuron will ich erst gar nicht reden, viel zu kompliziert. Obwohl < das extrapyramidal-motorische System sollte ich hier doch erwähnen. Denn dieser „unbewusste Teil‚ des Nervensystems schickt regelmäßig beruhigende Impulse an den Muskel, um den Spannungszustand der Muskulatur und Eigenreflexe zu regulieren. Fehlen diese, kommt es zur Verkrampfung. Die Begriffe Spastik bzw. Spastizität leiten sich vom griechischen Wort σπασμός (spasmos, „Krampf‚; latinisiert Spasmus, dt. Plural Spasmen) ab. Es beschreibt eine „in typischer Weise erhöhte Eigenspannung der Skelett8

muskulatur‚. Die Variationen sind vielfältig, angefangen von kaum wahrzunehmenden körperlichen Schädigungen bis hin zu schwersten Behinderungen. Oft sind Sprechund Schluckmuskulatur beeinträchtigt, was zu Sprachstörungen, beschwertem Schlucken und einer undeutlichen Aussprache führt. Auch die Bewegung der Augen kann betroffen sein. Sie werden nicht entsprechend koordiniert und es kommt zu Doppelbildern, was heißt, der Betroffene schielt. In Deutschland leiden etwa 250.000 Menschen an einer Spastik. Ich bin eine davon. Wie es dazu kam? Es muss bereits im Mutterleib geschehen sein. Wahrscheinlich durch eine Unterversorgung. Möglich wäre auch eine Infektionskrankheit meiner Mutter, davon weiß ich allerdings nichts. Meist passiert die Unterversorgung während des Geburtsvorgangs. Das Gehirn wird plötzlich nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff 9

und Glucose versorgt und es kommt zu einem Hirninfarkt.

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Und ein Spitzfuß? Ein Spitzfuß ist eine Fehlstellung des Fußes, der an seinem Fersenhochstand zu erkennen ist. Ein Spezialist würde sagen, es handelt sich um eine Kontraktur. Die Ferse deutet durch ständige Beugung des Fußes Richtung Fußsohle, und der Fuß kann den Boden ausschließlich mit dem Fußballen berühren. Es gibt angeborene und erworbene Spitzfüße mit zahlreichen Ursachen. In meinem Fall lag es wohl an einer neurologischen Störung bzw. meiner Spastik.

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Vorwort Es war im Februar 2015. Ein Mitarbeiter der Familienbildungsstätte sprach mich an, sagte, dass sie ihren Erzählsalon wieder aufleben lassen, und fragte, ob ich mitmachen wolle. Ich wusste, dass der Erzählsalon eine Einrichtung war, damit Menschen ihre Geschichte vor Publikum erzählen können, ohne von den Zuhörern unterbrochen oder bewertet zu werden, und auch ohne Diskussion im Anschluss. Derjenige, der etwas erzählen möchte, kann erzählen, einfach so. „Um was geht es denn?‚, fragte ich und hatte bereits so ein Kribbeln im Bauch. Der Mann lächelte: „Der Tag, an dem sich mein Leben veränderte!‚ Wow, das war mein Thema. Lebte ich heute nicht völlig anders als noch vor wenigen Jahren? Dachte ich nicht anders, sah mein Umfeld mit anderen Augen? War ich nicht eine 12

völlig andere geworden? Ich überlegte nicht lange und sagte zu. Was so forsch klang, war es nicht. Nach meiner Zusage wurde mir erst bewusst, auf was ich mich da einlassen wollte, und mein Herz begann wild zu klopfen. Ich sollte vor wildfremden Menschen etwas von meinem Leben preisgeben. Wollte ich das wirklich? Konnte ich das? Und wenn ja, würde ich so vortragen können, dass es die Leute mitriss? Ich weiß nicht mehr, wie ich die Zeit bis dahin durchstand. Aber natürlich bereitete ich mich vor, gedanklich zumindest. Hätte ich mir Notizen gemacht und einen Zettel in Händen gehalten, hätte mich das womöglich irritiert und aus dem Konzept gebracht. Was ich danach erlebte, war wirklich toll. Zuhörer kamen auf mich zu. Sie fanden es mutig, wie ich mein Leben verändert hatte, lobten mich für meine Teilnahme und die Art und Weise meines Vortrags. Meine Heilpraktikerin für Psychotherapie grinste, als wir uns danach zur nächsten Sit13

zung trafen. „Na, hast ja ganz schön Erfolg gehabt mit deiner Geschichte. Willst du nicht mal Nägel mit Köpfen machen?‚ „Nägel mit Köpfen, wieso?‚ „Ja, warum schreibst du das nicht auf? Schreib ein Buch darüber!‚ Ich ignorierte erst mal ihren Vorschlag, doch sie nervte mich immer wieder, sagte: „Nun komm mal in die Pötte!‚ Irgendwann fand ich keine Ausrede mehr und beschäftigte mich näher mit der Idee. Ich konnte zwar gut erzählen, sah mich aber nicht in der Lage, es so aufzuschreiben, dass es einen Leser fesselte. Mir fehlte das Handwerk von < keine Ahnung. Jedenfalls das Fundament für einen packenden, längeren Text. Also ging ich ins Internet, googelte und suchte mir Hilfe. Ich fand jemanden. Und wenn Sie, lieber Leser, liebe Leserin, Lust haben zu erfahren, was wir gemeinsam niedergeschrieben haben, dann blättern Sie doch einfach diese und die nächsten Seiten um. 14

Pes equinus oder der Spitzfuß Hätte man mich, als ich etwa vier Jahre alt war, nach einer DIN-Norm bewertet, wäre ich mit Sicherheit durchgerasselt. Ich entsprach nicht der Norm. Meine linke Seite war defekt. Das wurde mir zum ersten Mal schmerzlich bewusst, als ich versuchte, mir für den Kindergarten die Schuhe zu binden. Es ging einfach nicht, ich bekam die Schleife nicht hin. Ich konnte weder die linke Hand bewegen noch das Beinchen anheben. Dazu war mein Fuß ein sogenannter Spitzfuß. Er steckte zwar in einem normalen Schuh, doch ich musste mit ihm auf Spitzen laufen. Meine große Schwester Susanna, elf Monate älter als ich, wunderte sich. „Mensch, du kannst das ja immer noch nicht?‚ Mir standen die Tränen in den Augen, so verbissen hatte ich geübt. Ich wollte unbedingt in den Kindergarten, und wenn das die 15