Leseprobe Nonn Abschiedsbrief


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Unverkäufliche Leseprobe des Engelsdorfer Verlags Patrick Sandro Nonn Abschiedsbrief an die Liebe Taschenbuch, 230 Seiten € 12,90 ISBN-10: 3867035598 ISBN-13: 978-3867035590

Prolog Stephanie, schwerster Stein auf meinem Herzen, Edelstein, mein leuchtender Stern. Ich werde dich niemals vergessen. Das schwöre ich. Zu wertvoll und kostbar war für mich unsere gemeinsame Zeit. Vieles ändert sich im Laufe der Jahre, aber meine Erinnerungen an dich sind festgefroren und gleichzeitig eingebrannt in meinem Gedächtnis zu dem Zeitpunkt, als ich dich endgültig verloren habe. Verloren durch mein eigenes fahrlässiges Verhalten. Ich könnte mich beißen! Nichts war unnötiger als der letzte große Krach zwischen uns. Leider gibt es keine Macht im Himmel und auf der Erde, die diesen Tag ungeschehen machen könnte. Emotion Nummer eins, landauf, landab auch Liebe genannt, schert sich nicht darum, ob jemand leidet, und ihre kleine Schwester Einsamkeit reibt sich genüsslich die Hände, da sie glaubt, ihre herrschsüchtige Schwester würde mal wieder jemanden in ihr Bett treiben. Die beiden sind ja so gerissen! Sie beuten dich aus, wo sie nur die geringste Möglichkeit dazu wittern. Es reicht ihnen nicht, dich in die Knie zu zwingen. Nein du musst auch noch bluten! Selbst wenn es nur Herzblut ist, reicht ihnen vollkommen. Hauptsache sie wissen, das man leidet. Das ist es was sie wollen. Von niemandem sonst hätte ich den Sadismus so gut, so genau lernen können, wie von den beiden ungleichen Schwestern. Stephanie, du bist der Pfeil, der mein Herz durchbohrt. Wie gerne würde ich im smaragdblauen Ozean deiner Augen ertrinken und dir die Tränen wegküssen, die ich verschuldet habe. Mehr kann ich nicht tun. Selbst dazu hatte ich keine Chance. Keine Chance für mich, keine Chance für uns, und jetzt ist es zu spät. Nichts wird jemals wieder so sein, wie es war. Auch wenn ich selber will, dass es so ist, schmerzt es mich doch. Nichts daran zu ändern. Es bleibt nichts, als die Gegebenheiten hinzunehmen, wie sie sind. Dies ist also, was ich niemals für möglich gehalten habe, weil ich dich liebe. Dies ist der große Abschied. Ich habe mich entschieden, einen Schlussstrich unter unsere verquere Beziehung zu ziehen, und du sollst wissen, warum. Meine Liebe hat dich nie interessiert. Jedenfalls nicht genug, als dass du sie in dein Herz hättest lassen können. Ich will dir wenigstens aus meiner Sicht schreiben, was passiert ist. Du sollst es erfahren. Vielleicht komme ich so an den tiefsten Grund deiner Persönlichkeit, an dein Herz. Wenn ich dir schreibe fällt es mir leichter zu erzählen, was mein Herzchen im Bezug auf dich bluten lässt. Durch dich habe ich meine schriftstellerische Ader entdeckt. Ich bin durch dich, was ich bin. Gleichzeitig hoffe ich, Emotion Nummer eins loszuwerden. Sie soll keine Möglichkeit mehr bei mir bekommen, ihre niederträchtigen Tricks anzuwenden, dich mich haben glauben und hoffen lassen, für nichts und wieder nichts. Alles was sie tut, um Hoffnung, die längst hätte tot und begraben sein müssen, künstlich am Leben zu erhalten, ihre Beharrlichkeit, auf Godot zu warten und dich im glühenden Fieber schmoren zu lassen, ohne Aussicht auf Erlösung. Nicht mehr mit mir! Denn zu Erlösung braucht man in so einem Fall einen anderen Menschen, jemanden der das Gefühl, jemanden, der Emotion Nummer eins, erwidert. Einen Menschen, der dich so liebt, wie du ihn. Und das ist mir bis heute noch nicht passiert. Ich hegte Gefühle für jemanden, diese wurden nicht erwidert. Sie liebte mich, ich sie jedoch nicht. Und umgekehrt und immer so fort. Wirklich, ich habe dieses Glück. Wie soll man da an ein großartiges und gleichzeitig unfassbares Phänomen wie die Liebe glauben? Ich werde mich von ihr verabschieden, der Liebe. Emotion Nummer eins. Ich verabschiede mich aus dem Leben des Mädchens, der Teenagerin, der jungen Frau, die für mich das Einund Alles in der Welt darstellte. Ich sage Lebewohl, zu dem schönsten Traum, den ich je träumte. Für mich ist es an der Zeit, aufzuwachen und mich zu erlösen. Nein, vielmehr ist es notwendig, dass ich mich aus einem Käfig befreie, den ich mir selbst gebaut habe. Dreizehn Jahre durfte ich nicht mehr als dein bester Kumpel sein. Jetzt wird es Zeit, dass du das Nichts ohne mich kennen lernst.

Ich habe in den vergangenen Monaten oft an dich denken müssen, ob ich wollte oder nicht. Ich habe viele Briefe an dich geschrieben und nicht einen abgeschickt. Vielleicht, weil ich mich davor gefürchtet habe, eine Antwort von dir zu erhalten. Möglicherweise war für mich die Zeit, die Funkstille zu unterbrechen, noch nicht gekommen. Das hole ich mit diesem Buch nach. Ich hatte erwartet, dass du dich nicht melden würdest. Findest du nicht auch, das ist ein eindeutiges Zeichen dafür, welchen Stellenwert ich in deinem Leben hatte? Obwohl ich nicht vorhabe, dich wieder zu sehen, sollst du doch auch meinen Standpunkt und meine Gefühlswelt kennen lernen. Was immer ich dir gesagt habe, hat dich nicht erreicht. Es ist vielleicht eindringlicher, wenn du es schwarz auf weiß vor dir hast, dir meine Stimme in deinen Gedanken in Erinnerung rufst, ohne mich sehen zu müssen. Erinnerung und Vergangenheit sind starke Mächte in unserem Leben. Meine Erinnerungen an dich ließen das Motto „Ein Mensch ohne Vergangenheit ist ein Mensch ohne Zukunft“ zu einem Grundpfeiler meiner Persönlichkeit werden. Wie in so vielen anderen Punkten, habe ich mit meinem Glauben an eine Wiederkehr der Vergangenheit maßlos übertrieben. Gegenwart und Zukunft haben mich längst überholt. Und heute bin ich zeitlos. Was bleibt sind leuchtende Gedanken. Zeitlos wie dein Gesicht, das ich trotz allen Leugnens immer wieder vor mir sehe. Ich hoffe, dir gefällt die Geschichte. Dieses Buch ist der glutrote Sonnenuntergang unserer Beziehung. Wenn die Sonne unter dem Meer versunken ist, das Abendrot langsam der Dämmerung weicht und schließlich in die Nacht übergeht, wird sie vorbei und Vergangenheit sein. So wie du es dir immer gewünscht hast.

Wie alles begann Ich weiß es noch haargenau, wie alles begann. Und ich erinnere mich sehr genau an den Augenblick, als ich dich zum ersten Mal sah. Es war der erste Tag und die erste Stunde in der neuen Schule, noch vor Unterrichtsbeginn, und wir waren beide zehn Jahre jung. Das Sonnenlicht der Morgenstunden ließ dein Haar golden strahlen und der Wind spielte mit ihm. Ich war mir sicher, dass der Wind, der kühl durch den Schulhof strich, genau so verliebt in dich war wie ich. Er war mir sogar schon einen Schritt voraus, er durfte dein Haar streicheln. Die Morgensonne sah blass aus neben deinem atemberaubenden Lächeln. In dem Moment, als die Zeit stehen geblieben zu sein schien, brach sich ein Gedanke, mächtig wie ein Feuersturm, seine Bahn durch mein liebestrunkenes Gehirn. Er donnerte durch meinen Geist wie ein göttlicher Befehl. Er jagte mir durch Mark und Bein, während ich sprachlos und gefesselt von deiner Schönheit wie festgewachsen dastand: Das ist die Frau, mit der du dein Leben teilen möchtest. Mit dieser Frau möchtest du alt werden. Ohne sie wird dein Leben nichts wert sein. Ohne sie wird dein Leben niemals perfekt. Ich habe wirklich gedacht: Diese Frau. Lieber Gott, tagtäglich möchte ich sie in meiner Nähe haben. Bitte mach, dass wir in derselben Klasse sind. Der Pausengong ertönte, meine Spannung wuchs. Der Schulhof leerte sich, unsere Parallelklasse wurde von ihrer Lehrerin abgeholt, und du warst immer noch da. Möglicherweise war meine Bitte erhört worden. Aber wer konnte das sagen, solange wir nicht gemeinsam in einer Klasse waren? Schließlich kam auch unser Lehrer, wir drängelten uns in den Klassenraum direkt rechts hinter dem Eingang und ich ergatterte einen Platz ganz in deiner Nähe. Ein Außenseiter in der Hufeisenform, in der die Bänke angeordnet waren, aber immerhin in deiner Nähe, und das allein zählte. Mein Leben war fürs erste gerettet. Die erste Stunde ging dahin, und ich nutzte diese Zeit sehr sinnvoll. Ich prägte mir dein Gesicht ein. Ich ließ deine Schönheit in mein Gedächtnis einbrennen. Ich schuf dir, meiner Göttin, einen Tempel in meinem Geist. Einen Ort, wo ich dich wieder finden konnte, egal was die Wogen der Zeit, ihre Fluten und Stürme, auch mit uns vorhaben mochten. Noch gab es kein uns, noch wusste ich nicht einmal deinen Namen. Aber ich sorgte schon einmal vor und baute dir diesen Tempel. Die ersten neunzig Minuten vergingen wie ein Wimpernschlag, und in der ersten Pause erfuhr ich deinen Namen von einem echt sympathischen Typ aus unserer Klasse, deinem Cousin Matthias. Er wurde recht bald mein bester Freund, und obwohl wir lange nichts mehr voneinander gehört haben, mein bester Freund wird er wohl immer bleiben. Er sagte mir wie du heißt. Als sich dein Name mit dem bewundernswerten, sonnenumglänzten, anmutigen und strahlend schönen Bild von dir verband, war die Gedankenkomposition vollendet. Eine jubilierende, tönende Symphonie. Aus dem Gedankenbild wurde ein lebendiger Mensch, aus dem schlichten Tempel ein Palast. So unerreichbar du an jenem taufrischen Vormittag für mich warst, um so näher war ich dir in meinem Herzen und in meiner Seele: Stephanie. Kann es sein? War das der Anfang vom Ende? Hat es jemals angefangen? Wann war es vorbei? Gibt es das Vorbei, wenn die Urgewalt einer brennenden Liebe die treibende Kraft im Spiel ist? Ja und Nein, denke ich. Ich weiß nicht mehr, wie es mir gelungen ist, in deine Nähe zu gelangen. Vielleicht waren es die endlosen Runden im Schulpark, die ich mit deinem Cousin gemeinsam um eure Mädchenclique gedreht habe und immer wieder auffällig zufällig an euch, an dir vorbeikam. Wir hatten nur die Möglichkeit euch auf die Nerven zu gehen. Dir. Um dich ging es mir. Also drehte ich meine Bahnen, wie ein nutzloser, toter Satellit im Orbit. Ich kannte dich kaum, aber dieses Gedicht entstand während einer Umrundung:

Kometen in der Umlaufbahn Die haben keinen Halt Die tauchen auf Und schwirren ab Und man vergisst sie bald So wirst auch du mich irgendwann In dunkle Nacht verdrängen Ich werd’ jedoch mein Leben lang Auf ewig an dir hängen Erst viel später sollte sich herausstellen, wie richtig ich damit lag. Glücklicherweise hatte ich mir damals schon angewöhnt, gute Einfälle aufzuschreiben. Irgendwann und irgendwie haben wir uns kameradschaftlich zusammengefunden. Haben gemerkt, dass wir dieselbe Sprache sprechen. Lernten, uns zu unterhalten, lernten uns kennen. Fanden Themen über Themen und jede Menge Gesprächsstoff. Und ich war in deiner Nähe. Meinem brennenden Herzen war das jedoch ein bisschen zu wenig. Deine beste Freundin, die ich schon seit dem Kindergarten kannte, brachte mir, als ich sie fragte, schonungslos bei, dass du keinen Freund haben wolltest. Das glaubte ich ihr. Eine ganze Zeit lang war das die Wahrheit. Manchmal sieht man die Wahrheit. Mann kann sie mit bloßem Auge erkennen. Sie hat härtere Konturen als die Lügen, die einen umschleichen. An diese Wahrheit glaubte ich. Ich glaubte sie und wurde das, als was du mich in deinem Leben haben wolltest. Nicht ganz ein Freund, aber dein bester Kumpel. Es wurde zu einem geflügelten Wort zwischen uns. Teuflisch. Ich habe gelernt, es zu hassen: Bester Kumpel. Jedenfalls habe ich diese Wahrheit dermaßen verinnerlicht, dass meine Wachsamkeit mit jedem Tag, den ich als dein bester Kumpel an deiner Seite genießen durfte, abnahm, und weniger wurde, und ich der Wachsamkeit müde, bis sie endlich einschlief. Du wolltest keinen Freund, predigte Nadine. Wahrheit, Gesetz, Amen. Die Tage an deiner Seite formierten sich, wie die Zeit es tut, seit der Mensch denkt. Tage, Monate, Jahre. Vier Jahre vergingen. Der letzte Funke Wachsamkeit in mir lauerte noch immer auf deine Erweckung, auf das Ende deines kindlichen Dornröschenschlafs, als Silke mich mit der Frage, ob ich mit ihr gehen wollte, überbracht von ihrer Freundin, in ihren Bann zog. Es war eine kurze und recht glückliche Episode in meinem Leben, aber leider fiel sie mit dem Zeitpunkt deines Aufwachens zusammen. Die viel schrecklichere Wahrheit, nämlich, dass ich, versunken in Silkes rehbraune Augen, eng umschlungen im Schulpark spazierend, diene aufflammende Liebe zu mir und deine glühende Eifersucht nicht bemerkte, lasse ich nur selten an mich heran. Wenig später war meine kurzfristige Romanze mit Silke beendet, denn sie war in jugendlicher Liebe zu unserem Klassenkameraden Sascha entbrannt, der sie ab diesem Zeitpunkt wohl nie wieder als Flachbrett verspottete. Der letzte Donnerschlag dieser Episode traf mich mit der Nachricht, dass meine beiden besten Freunde, Matthias und du, die Schule verlassen würden um den Realschulabschluss nachzuholen. Ich blieb noch ein halbes Jahr und starrte auf deinen leeren Platz, ohne auch nur eine Silbe über deine Gefühle erfahren zu haben. Meine Liebe zu dir war jedoch zurückgekehrt, auf den Platz in meinem Herzen, der ihr rechtmäßig zustand. Bald darauf sollte ich erfahren, wie sich glühende Eifersucht anfühlt. Stärker noch als bei den ersten bösen, für dich tödlich endenden Seiten, die ich im fünften Schuljahr über dich schrieb. Die Gelegenheit dazu bot sich dir bei der Party an deinem vierzehnten Geburtstag. Unsere erste Party.

Du hattest einen Freund. Euch verliebt knutschend im Zentrum der Tanzfläche zu sehen, war die erste glühende Nadel, die sich durch den Mittelpunkt meines Lebens bohrte. In unseren Telefongesprächen war dieser Kerl zwar schon des Öfteren schwärmerisch von dir erwähnt worden, hier jedoch war Schluss mit träumen und verdrängen für mein phantasiebegabtes Gehirn. Das war erst der Anfang der Realität. Der zweite Nadelstich, vom Gefühl her genau so köstlich wie der erste, war, zu sehen, mit welcher raffinierten Weiblichkeit, die jetzt ihm galt und auf die ich so lange vergeblich gelauert hatte, du es vermochtest, die anderen Mädels, die sich um den langhaarigen Schönling scharten, zu vertreiben. Mit einer simplen und unmissverständlichen Geste. Du setztest dich auf seinen Schoß. Was glaubst du, sah ich in diesem Moment vor meinem geistigen Auge? Stich Nummer drei und vier, die mit der Geschwindigkeit von Maschinengewehrprojektilen aufeinander folgten, waren die Erkenntnis, dass du zu einer jungen Frau herangereift warst, während ich ein kleiner träumender Junge geblieben war. Viertens, hatte ich dich verloren. Chance vertan, verloren, aus und vorbei. Das Mädchen im Gedächtnispalast, immer noch zehn Jahre alt, erstarrte. Die edlen, hohen Fensterscheiben im Palast zerbrachen. Die Musik, die laute, dröhnende Musik, zu der das Mädchen eben noch eng umschlungen mit diesem Fremdkörper getanzt hatte, erstarb jäh. Genau wie meine Hoffnung, die dem Wissen um eine grausame Tatsache wich: Ich bin ein Clown. Ich bin niemals wirklich jung gewesen. Anstatt meinen Weg zu gehen, habe ich mit Clownereien versucht, dazuzugehören und bin doch in die wortlose Stille abgedriftet. Habe meine Gefühle verborgen und versteckt, weil die Allgemeinheit unserer Klasse Liebe für etwas lächerliches hielt. Habe versucht Leichtigkeit zu spielen, anstatt sie im entscheidenden Moment zu leben. Spielte mit und kam doch nie an die Leistung des Oberclowns unserer Klasse heran. Aber die Chance zur Leichtigkeit liegt jetzt, da mich auf deiner Party die Realität auffrisst schon sechs Monate zurück. Eigentlich war es meine Wut, durch die ich alles verspielt habe. Ich sehe diesen Alptraum wieder vor mir: Der Kunstunterricht zwang mich, der ich sowieso kaum Luft durch die Nase bekomme, für fünfundvierzig Minuten unter eine Gipsmaske. Diese war ich grade erst wieder losgeworden, schwer schnaufend, wie ein Walross, fast am Ersticken, als eben jene Verräter, allen voran ausgerechnet du, die mich verlassen hatte, ihre alten Klassenkameraden besuchen kamen. Deine Frisur war neu, deine Haare entsetzlich kurz und eigentlich hattet ihr vier, vor allem aber du, in dieser Klasse nichts mehr verloren. So etwas in der Art muss ich gesagt haben. Ich wollte dich kränken und beleidigen, denn du hattest mich verlassen. Als ich mit dir fertig war und der fröhliche Glanz aus deinen Augen verschwunden, ging ich vor die Tür. Es dauerte keine Minute und Matthias folgte mir. Er zuckte hilflos die Schultern und sagte nur zwei Sätze, die ich niemals vergessen werde: „Gerade eben hättest du sie für dich gewinnen können. Du hättest bloß etwas Nettes über ihre Frisur zu sagen brauchen.“ Dann ließ er mich, verdattert, verdutzt, mit dem schalen Gefühl kalter, verrauchter, sinnloser Wut im Bauch, im Flur zurück und ging wieder in die Klasse. Wie ich an jenem Tag in meinen Bus nach Hause gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Jetzt stehe ich hier, auf deiner Party und wundere mich darüber, das ich deine Hand auf meinem Arm spüre, deine Stimme höre, die mich fragt, ob alles in Ordnung sei, obwohl ich dich gerade eben erst eingefroren habe. Die Alptraumblase zerplatzt. Die scheußliche Realität, mit der grässlichen Stille, nach dem widerwärtigen musikalischen Lärm und der Ausgeburt der Hölle an deiner Hand, hat mich wieder. „Ja klar.“, sage ich und versuche ein Grinsen. Dieser Knilch, dein Freund konnte ja nichts dafür. Du hattest mich verraten. Mich, immer noch unwissend, dass ich deine Liebe nicht gesehen habe. Diese Party musste gesprengt werden. Schon allein wegen deinem freudestrahlenden, wunderschönen Gesicht. Als ihr wieder auf der Tanzfläche wart, sagte ich

Matthias, ich würde nach Hause gehen. Vereinbart war, dass mein Vater mich um Mitternacht abholen käme. Ich wusste, das würde eine Suchaktion auslösen, wenn ich mich jetzt schon aus dem Staub machte. Aber ich war zu verletzt, zu wütend, zu eifersüchtig, um noch länger im selben Haus mit dir und ihm zu bleiben. In deinem Heimatort kannte ich mich gut genug aus, um vor den Suchtrupps ein paar Haken zu schlagen. Schließlich hatten wir uns in unserer Freizeit oft getroffen. Letzten Endes erwischten sie mich doch und ich durfte den Rest des Abends auf deiner Party verbringen. Partys und Discostimmung liebe ich noch heute. Als ich in dieser Nacht endlich wieder daheim war, verfluchte ich ein Mädchen, (Silke) das nichts für meine Blindheit konnte und verfluchte mich selbst und dich, weil du mich verlassen hattest. Ich durfte dich nicht lieben und so lernte ich eine neue, gefährliche Art, Emotion Nummer eins, die Liebe, zu bekämpfen. Ich entdeckte den Hass, der Hass entdeckte mich. Er schmeichelte mir, er flüsterte mir alles das, was ich schon seit dem fünften Schuljahr hören wollte ins Ohr. Er sagte, dass du sterben müsstest, damit ich meine Freiheit wiedererlangen konnte, und ich schrieb seitenweise auf, was er mir sagte. Wir trafen uns einige wenige Male nach deinem Schulwechsel. Meine Liebe und unsere Freundschaft waren stärker als der Hass, wenn ich nur in deiner Nähe sein durfte. Ich habe dir für deinen Geschmack viel zu oft gesagt, dass ich dich liebe. Und dann war auch für mich die Zeit in der Hauptschule, die mir meine Vorliebe für Mathematik eingebrockt hatte zu Ende. Den ersten Zweijahres-Bruch in unserer freundschaftlichen Liebesbeziehung besiegelte dann unsere Abschlussfeier, bei der auch ihr vier Ehemaligen, und natürlich dein Freund, dessen Name ich vergessen habe, mit dabei ward. Über euch zwei, als inniglich verliebtes Paar, habe ich mich verständlicher Weise so gefreut, das ich erst Mal tüchtig einen gesoffen habe. Als mein Verstand leicht und meine Zunge schwer geworden war, muss mir etwas passiert sein, an das ich allerdings heutzutage nur glaube, mich erinnern zu können. Ich glaube, ich habe deinen Freund angefleht, das er mir dich für eine einzige Liebesnacht, nur um dich zu entjungfern, überlässt. Schließlich hatte ich die älteren Rechte. Vom Rest des Abends ist nichts übrig in meinen grauen Zellen. Auch weiß ich nicht, ob es wahr ist. Sicher ist nur, dass ich mich zwei Jahre lang nicht getraut habe, dich anzurufen. Als ich endlich wieder etwas Mut zusammengekratzt hatte, es war in den Weihnachtsfeiertagen des Jahres 1992, und du meine Entschuldigung annahmst, war die Welt wieder in Ordnung. Du warst eine bildschöne junge Frau, ich ein kleiner verträumter Junge, der unbedingt an die Unsterblichkeit der Liebe glauben wollte.

Unsere gemeinsame Zeit Wir hatten also Status Quo erreicht. Waffenstillstand. Du hattest obendrein deinen Freund, ich freundete mich mit der kleinen Schwester von Emotion Nummer eins an. Einsamkeit. Ma sweet solitude. Sie war treu und eine hinreißend scharfe Bettgefährtin. Das bemerkte ich recht schnell, obwohl ich erst Jahre später zum ersten Mal den Song „Ma solitude“ von Georges Moustaki hörte. Meine Französischlehrerin machte mich mit dieser fabelhaften, sensiblen musikalischen Betrachtung des Themas Einsamkeit bekannt. Ihr Unterricht in unserer gemischten Klasse artete zwar in eine Übervorteilung der Fortgeschrittenen aus, aber für die Bekanntschaft mit diesem Lied, werde ich ihr allzeit dankbar sein. Status Quo. Ich wechselte von der Hauptschule auf die Berufsfachschule für Wirtschaft und Verwaltung, lernte neue Leute kennen. Zwischendurch traf ich dich immer mal wieder. Jedes Mal wurde das Feuer neu angefacht. Jedes Mal ein bisschen mehr geschürt. Liebe. Ich versank in deinen Augen. Nachdem wir uns voneinander verabschiedeten, hasste ich dich leidenschaftlich. Feuer und Eis. So sehr ich auch versuchte zu leugnen, so sehr ich mich bemühte, deinen Platz in meinem Herzen an eine andere zu verschenken und deinen Palast einzureißen, ganz wie du es wolltest, du warst der zündende Funke, der mein Leben zu etwas Besonderem machte. Egal welches Mädchen ich umwarb, immer bekam ich jenes Wort mit den bleiernen Flügeln zu hören: Bester Kumpel. Vielleicht war ich das. Ein bester Kumpel. Das war es, was alle Mädels in mir sahen. Ein ganzes Universum an weitergehenden Möglichkeiten hätte ich zu bieten gehabt. Da war zum Beispiel Anja. Sie saß eine Bank hinter mir in der Klasse und sah einfach hinreißend aus. Sie hatte schulterlange, dunkle Haare, blaue Augen, war schlank und ungefähr so groß wie ich. Wir verstanden uns blendend vom ersten Tag an. Vorausschauender Weise hatte ich erahnt, oder befürchtet, dass sie einen Freund haben würde, und natürlich war es so. Kein Problem, sagte ich mir, den wirst du überleben. Und so geschah es. Ich überlebte ihn als… na du weißt schon. Ich jonglierte nun also mit mindestens zwei heißen Eisen auf einmal. Planlos und ohne Strategie. Wen von euch beiden sollte ich mehr lieben? Welcher den Vorzug geben, vor der anderen? Wer war so wichtig, dass eine maximale Investition an Gefühl vernünftig war? Ich glaubte ja nicht einmal an mich selbst. Wie soll man sich da Chancen ausrechnen? Einerseits gab es hier und jetzt Anja, neu und außerordentlich interessant. Andererseits wurde ich immer wieder von dir gefesselt. Ich habe mich gerne fesseln lassen, sooft wir uns trafen. Immer habe ich brav den besten Kumpel gespielt, wie du es wolltest. Habe schmerzhaft deine Umarmungen zur Begrüßung und zum Abschied genossen. Wusste nicht, ob ich sie genießen darf, wusste nicht ob ich deine Nähe genießen darf, dich zu spüren, die zarte Schönheit deiner Seele, die mich immer schon beeindruckt hat. Also tat ich es mit gemischten, zwiespältigen Gefühlen, oftmals linkisch und verkrampft, angespannt bis zum Bersten, musste ich meine wahren Empfindungen doch vor dir verbergen. Ich durfte ja nur bester Kumpel sein. Dies war dein Spiel und mein Schlachtfeld. Aber du kanntest und kennst mich viel zu gut, als dass dir meine innerliche Erstarrung, mein Kampf nicht aufgefallen wäre. Wir beide waren ein seltsames Gespann. In unserer freundschaftlichen Zuneigung durch so gut wie nichts zu erschüttern. Wir waren Seelenverwandte, wie ein einziger Gedanke, Blutsbrüder, jeder auf seiner Seite des Grand Canyon. Ich erinnere mich daran, wie es war, neben dir auf meiner oder deiner Couch zu sitzen, so nahe, dass ich deine Wärme fast spüren konnte. Du bist ein Stern. Der schönste Stern den ich kannte. Nur willst du das leider nicht sehen. Und deshalb bist du ein Traum. Du wirst dich niemals wirklich finden, wenn du nicht endlich jemandem glaubst, der an dich glaubt. Keine Angst, ich fange nicht schon wieder an zu predigen. Nein. Das habe ich lange genug und oft genug versucht. Vielmehr möchte ich dir erzählen, wie meine Welt mit dir aussah. Ich wage nicht zu spekulieren, wie sie ohne dich aussehen wird.

Sie wird leerer sein, sie wird schrumpfen, kleiner werden und blasser. Das sind die Tatsachen, die sich schon erkennen lassen. Ich weiß jedoch, dass es sein muss- Dein Kumpel zu sein schaffe ich einfach nicht. Dafür entsprichst du zu sehr meinen Vorstellungen von Schönheit. Ich weiß, du willst das nicht hören. Zum einen wirst du argumentieren, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Zweitens sage ich dir aber, kommt für mich der wichtigste Faktor im Begriff Schönheit aus Herz und Verstand. Drittens bin ich durchaus dazu fähig, ganz einfach nur still und leise zu bewundern, und das konnte bisher keiner von den Knilchen, die du näher als nahe an dich herangelassen hast. Diese Möchtegern-Machos sollen erst einmal lernen, wie man als Mann zum Verwöhnaroma wird. Keine Verwöhnaroma-Strategien, kein richtiger Macho. So ist das eben. Nun gab es da neuerdings Anja, die bereits lange Zeit einen festen Freund hatte. Jeder Mensch weiß, dass je länger so eine Beziehung dauert, desto größer die Wahrscheinlichkeit ist, das es zu einem Riesenkrach kommt, der sich in einen Knacks und einen nicht wieder zu kittenden Bruch verwandelt. Hier lagen die Trümpfe allesamt in meiner Hand. Denn um den Einsturz eines Kartenhauses mitzuerleben, braucht man nichts als Zeit. Die hatte ich. Alle Zeit der Welt sogar und überall auf dieser Welt gab es nette, gutaussehende Mädchen in meinem Alter. Das gestaltete die Wartezeit wesentlich angenehmer, konnte ich doch meine Sensoren in alle Richtungen auf mögliche Angriffsziele schalten. Dummerweise bin ich unterdessen außerordentlich vorsichtig, zurückhaltend und schüchtern geworden. Kein Wunder, wenn man genügend Pickel im Gesicht hat, um unverkleidet als Pizza zum Karneval zu gehen. Deshalb verschwendete ich die meiste Energie, die für solche Angriffe zur Verfügung stand in die sorgfältige Observierung und das Ausloten möglicher Chancen und Risiken. Was zum Angriff übrig blieb, waren Platzpatronen. Damit ist eindeutig klar, dass die Risiken, wieder einmal bester Kumpel sein zu dürfen, jedes mal eindeutig überwogen. Ich begab mich also immer nur ganz dezent auf Annäherungskurs. Ein galaktisches Swing-by-Manöver in Zeitlupe. Für galaktische Manöver hat auf diesem emsig rotierenden Brummkreisel niemand Zeit. Außerdem wird man auf diese Weise sowieso für den zahmen Bester-Kumpel-Trottel gehalten. Von Romantik haben Frauen halt keine Ahnung. Und Männer noch weniger. Deshalb ist sie vom Aussterben bedroht. Da ich mir bei Anja trotzdem noch ernsthafte Hoffnungen machte, genoss ich es besonders, mit ihr im Unterricht Briefchen zu schreiben, ihr meine Aufmerksamkeit zu widmen oder mich mit ihr zu treffen. Die Situation wie sonst auch: Mit mir kann man sich über alles Mögliche unterhalten, sogar über sexuelle Vorlieben, auch wenn ich für die Praxis nicht in Frage komme. Macht ja nichts, ich habe ja Zeit, viel mehr Zeit als ihr ahnt. Sofern ihr mich lasst, kann ich gerne charmant und witzig, geistreich und unterhaltsam sein, oh ja, ihr müsst mich nur aus der Reserve locken. Von mir aus kriegt mich keiner aus meinem Schneckenhaus. Da brauche ich das Signal echten Interesses. Ehrlich, wie ich bin, habe ich ihr wohl irgendwann etwas von meiner großen Liebe erzählt. Seit dem hielt sie mich erst recht für harmlos und ungefährlich. Na schön, soll sie doch. Ist ja nicht das erste Mal. Früher oder später wird sie schon merken, was sie an mir hat. Man muss lernen, auf so vielen Hochzeiten wie möglich zu tanzen. Oder auch auf Geburtstagspartys, wie zum Beispiel Katharinas. Diese wiederum ist Anjas beste Freundin, sitzt in derselben Bank und auch mit ihr verstehe ich mich gut. Eigentlich kann ich gar nicht tanzen. Ich hasse es zu tanzen, sich unter die anderen Gäste mischen und am Rand ein bisschen auffallen, das mache ich schon. Vielleicht finde ich Partys ja doch irgendwann ganz nett. Abgesehen davon, dass ich laute Musik nicht ausstehen kann. Dass ich mittlerweile eine richtige Clique habe, macht Geburtstagspartys regelrecht erträglich. Man schaut an den Leuten, die man gar nicht sehen möchte am Besten einfach vorbei. Schwierig ist das bloß dann, wenn die immer an dem Mädel herumhängen, das einen selbst am meisten interessiert. Nervt ungemein! Erstaunlich allerdings, auf was für Typen die Weiber hereinfallen. Anscheinend lässt sich diese Tatsache nicht ändern. Deprimierend, wirklich. Es ist nicht schön. Erst recht nicht, für den Fall, dass es sich um die Partys meiner besten

Freundinnen handelt. Wenn man sich so, privat trifft und keine Nervensäge von Freund dabei ist, kann man sich wenigstens voll und ganz dem Illusionismus hingeben und sich ausmalen, was passieren könnte. Man kann den ganzen Nachmittag und Abend von vornherein planen, Drehbücher über das, was sich ereignen soll, schreiben und dadurch für wesentlich mehr Sicherheit sorgen. Hier ist doch bloß Chaos. Zwar kenne ich mich mit Chaos aus, das meiner Gedankenwelt bekomme ich schließlich auch geordnet, nur ist es in dem Chaos hier schwierig als einzelnes Elementarteilchen aufzufallen. Wenn man nicht weiß, ob man auffallen will oder nicht. Ich hasse es, zu tanzen. Trotzdem habe ich mich von jemandem auf die Tanzfläche zerren lassen. Wie windet man sich da am Besten wieder heraus? Ist man so geschickt wie ich: Gar nicht. Man macht sich lächerlich. Man beschließt, nie wieder auf eine Party zu gehen, obwohl man genau weiß, dass am nächsten Samstag die nächste Party ansteht. Natürlich geht man hin. Und so wie die Partys dahingehen, gehen die Jahre, die Jugend, das Leben. Die Zeit verrinnt, tagtäglich müsste man sich sagen: „Carpe diem“, nutze den Tag, mach etwas Besonderes aus deinem Leben, bevor deine Stunde schlägt, bevor du eins wirst mit dem Sand der Ewigkeit. Die Zeit mit dir, Stephanie, war immer etwas Besonderes. Sie war carpe diem. Erfüllter hätte ich nicht leben können. In meiner Galaxis warst du der hellste Stern und je seltener ich die Gelegenheit hatte, dich zu treffen, desto heller strahltest du in meinen Gedanken, desto leuchtender empfand ich deine Schönheit. Unsere Treffen waren wunderbar perfekt, solange ich mich an die unausgesprochene Regel „Sag mir nicht, dass du mich liebst und nicht dass ich deine Traumfrau bin“ hielt. Jede Verabredung habe ich vorausgeplant, regelrechte Drehbücher geschrieben, Szenerien entworfen, wie ich dich sanft auf meine Seite zerren konnte. Der Versuch, sie umzusetzen scheiterte jedes Mal kläglich daran, dass du dich nicht von mir beeinflussen ließest, dass du meine rhetorischen Raffinessen abschmettertest, nicht in meine Fallen tapptest, Anspielungen ignoriertest und meine zaghaften Versuche, zärtlich zu dir zu sein, nicht bemerktest. Zugegeben, ich war übervorsichtig. Ein Panther im Balanceakt zwischen heißem Blechdach und zu dünnem Eis. Ich hatte allen Grund dazu. Mir war bestens bekannt, was passierte, wenn ich mich zu weit aus dem Fenster lehnte. Ich wurde des Verrats an unserer Freundschaft angeklagt, für schuldig befunden und hingerichtet in einem Atemzug, weil du es nicht wahrhaben wolltest, dass ich niemals aufgehört habe, dich zu lieben. Natürlich habe ich es oft versucht, zu leugnen, mir auszureden, abzutöten, dich zu hassen. Und wenn du es von mir wissen wolltest, habe ich natürlich geschworen, dass sich die Erde nicht um die Sonne dreht, um deine Nähe genießen zu dürfen, und selbst daraus musstest du mir einen Strick drehen. In manchen Punkten wäre es gut gewesen, hättest du dein Schneckenhaus nicht verlassen. Ich weiß nicht, ob du dich außer um „Nein“ zu mir zu sagen, überhaupt vor seine Tür gewagt hast, denn mein Predigen nützte ja nichts. Gepredigt habe ich. Mit glühendem Herzen und Engelszungen habe ich an dein Selbstbewusstsein appelliert. Wer auch immer es dir ausgeredet hat, das Selbstbewusstsein, er oder sie hat ganze Arbeit geleistet. Warum konntest du nicht dieses eine Zugeständnis machen und einsehen, dass du meine Traumfrau bist? So schwer kann das doch nicht sein. Nur ein kleines bisschen Mut hättest du dafür aufbringen müssen. In anderen Dingen, beruflich zum Beispiel, warst du doch willensstark, selbstbewusst und zielstrebig. Dir war immer klar, was du wolltest. Genau so wie du dir ständig Männer ausgesucht hast, die dich schlecht behandeln. Schade, dass du dich nicht gerne auf Händen tragen, verwöhnen und vergöttern lässt. Den Job hätte ich gerne übernommen. Dein Wille wäre geschehen. Ein Wimpernschlag von dir, ein aufmunternder Blick. Du hättest mich mit einem Blick zum Schmelzen bringen können. So schmolz ich nur innerlich vor mich hin, und nur meine Hoffnung schmolz, bei dem Bemühen meine Liebesglut mit eisiger Kälte zu bekämpfen. Größtenteils zwecklos. Ohne Erfolg. Um dich zu vergessen, habe ich dich zu oft gesehen. Teilweise dein Verschulden. Es gab von deiner Seite aus, im Großen und Ganzen, ja nichts dagegen einzuwenden, mich zu treffen. Manchmal glaubte ich fast, es würde dir Spaß

machen, mich zu quälen. Oder ich ließ mich gerne quälen. Je nach dem. Eigentlich verfüge ich nicht über eine masochistische Ader. Aber wer weiß, was einen die Liebe alles erdulden lässt. Sie macht dich im Handumdrehen zahm und gefügig. Sie hilft einem alles zu ertragen. Auch das liegt in ihrer Natur. (Alte Weisheit aus der Bibel.) Sie betrügt, die Liebe. Denn die Zeit, in der man alles erträgt, könnte man sehr viel sinnvoller verbringen und Ausschau nach anderen Mädchen (Frauen) halten. Nein, man übt sich in Geduld und auch das völlig sinnlos. An carpe diem nicht zu denken. Zeit verstreicht unberührt von wichtigen Ereignissen. Der Augenblick an sich, das Wiedersehen ist das Einzige, was zählt. Ist es dann endlich soweit, ergeht man sich in rücksichtsvollem Small Talk oder Gesprächen, die durchaus Fundament und Tiefgang haben, hört sich Geschichten über das elende Fehlverhalten des Partners an und fasst es nicht, wie blind du bist. Du hast die Augen zugemacht und damit ist das uns betreffende Kapitel abgehakt. Ende, aus, vorbei. Wenn du dich gerne quälen lässt, bin ich doch genau der richtige. Durch dich habe ich den Sadismus, meinen Sadismus überhaupt erst kennen gelernt. Für den Fall, dass du von Zeit zu Zeit ein wenig Erniedrigung und Demütigung brauchst, kann ich auch dafür gerne sorgen. Der entscheidende Vorteil bei mir ist, dass ich dich aufrichtige verehre. Du erwartest mittlerweile ja nur noch, dass man dich tritt! Warum unternimmst du nichts dagegen? Lass mich doch dein Verwöhnaroma sein. Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie schön das ist, verwöhnt zu werden? Du kannst es nicht! Ich weiß nämlich, was du unter verwöhnt werden verstehst: Sich mit dem bisschen, das man geboten bekommt, zufrieden zu geben. Das ist aber nicht alles, was man als schöne Frau erwarten darf. Keine Diskussion jetzt! Stell dir vor, ich habe meine eigene Meinung über dein Aussehen. Ich finde dich wunderschön. Nur damit du dich darüber ärgern kannst, es noch mal von mir zu hören: Ich finde dich wunderschön! Obwohl ich dabei bin, mein Leben von deinem zu trennen, wird sich diese Meinung in meinen Gehirnwindungen halten, bis ich zu Asche zerfalle. Diese grausamste Tatsache, die sich wie ein widerhallendes Echo zwischen diese Gedanken drängt, ist: Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich. Was soll ich dagegen unternehmen? Jeden Tag sage ich mir: “Ich muss nichts von ihr hören, sie lebt ihr Leben, ich lebe meins.“ Irgendwie habe ich dabei das Gefühl, dass ich mich selbst belüge, zumindest, sofern es um meinen Teil der Geschichte geht. Von deinem Teil der Geschichte wage ich nicht zu träumen. Manchmal träume ich heimlich. Du erfährst zwar seit unserem letzten großen Krach nichts mehr davon, aber ich habe den Eindruck, die verrückte Idee, dass ich mich vor meinen Gefühlen schützen muss, bevor ich wieder in ihnen untergehe. Und ich ertrinke so gerne. Vor allem in deinen meeresblauen Augen. Letztendlich weiß ich, dass ich mich verstecke. Dass ich jeden Schlupfwinkel nutze, um meiner Liebe zu entgehen, dass ich nicht wieder den Hass in mir hochkochen lassen möchte, jetzt da es endlich so aussah, als ob er überwunden wäre. Wo endlich Ruhe und Frieden herrschte. Alles, alles, alles Trick siebzehn mit Selbstüberlistung. Ich weiß nicht mehr, was ich von meinen Emotionen halten soll. Was war das, was wir Freundschaft nannten? Wir haben Jahre unseres Lebens miteinander verbracht. Schaue ich heute drauf zurück, glaube ich fast, nie richtig etwas von dir gewusst zu haben. Du wusstest bestimmt viel von mir. Vielleicht hat mich die Faszination, die du ausübtest, daran gehindert, im richtigen Augenblick die richtigen Fragen zu stellen. Was ich wissen musste, hast du mir gesagt. Manchmal war das, was ich wusste schwer zu ertragen. Wenn du mir erzähltest, dass du beim Sex of vor Lust laut schreist, und mir klar wurde, das ich nie in der Position sein würde, das erleben zu dürfen. Wahrscheinlich habe ich deshalb keine Fragen gestellt. Ich schlage gerne leise Töne an. Je leiser man ist, desto lauter hört man die anderen schreien. Einige brüllen völlig sinnlos. Gut, wenn man mich genug ärgert, explodiere ich wie eine Atombombe. Aber ich gebe mir Mühe, es nicht zu tun. Ich weiß nämlich leider nur zu gut, wie sehr ich mich möglicherweise von meiner Wut mitreißen lasse, weil sie genau so stark

wie meine Liebe ist. Lasse ich es zu, dass ich vor Zorn explodiere, zerreist es mich. Ich werde zur tobenden Bestie. Das ist genau das, was ich alles nicht will. Du wirst jedoch nicht daran vorbeikommen, dass ich dir später noch mehr darüber erzähle. Erzählen muss. Du weißt sicher warum. Wie also liefen unsere Treffen ab? Sie waren der Schnittpunkt zwischen Himmel und Hölle auf Erden. Hier war das Zentrum in dem Glück und Verzweiflung, Hoffnung und Resignation, Vorfreude und bitterer Nachgeschmack geschmolzen und zu einem Gefühl festgebrannt wurden: Liebe. Hilflose, unerfüllte, brennende, zärtliche und unendlich verletzbare Liebe. Liebe, die du niemals begriffen hast. Ich habe leider auch nie verstanden, warum meine Liebe so unmöglich und unverzeihlich war. Ich dachte, Liebe und Zuneigung, eben jene unaussprechlichen, zärtlichen Gefühle würdest du kennen, vielleicht sogar wiederentdecken, wenn du dir nur meine Augen anschaust. Meine dicken Brillengläser schirmen wahrscheinlich zu viel von meinen Empfindungen ab, als das jemand sie sieht. Eine böse Idee, die ich habe und die mir zu treffend erscheint, als dass ich sie nicht erwähnen sollte ist, dass du zu sehr an der Oberfläche kratzt um meine tiefschürfenden Emotionen nachzuempfinden. Ich hoffe sehr, das ist nicht der Fall. Hoffnung ist eine andere Sache, die ich mir im Bezug auf meine Emotionalität abgewöhnt habe. Ich glaube an gar nichts mehr. Das ich noch mal der Liebe, der echten, wahren aufrichtigen und vom Gegenüber erwiderten Liebe begegne, nein, das halte ich mittlerweile für unmöglich. Senza una Donna. Das scheint mein Schicksal zu sein. Zum Teil fürchte ich mich nicht mehr davor. Der andere Teil, der andere Teil, reagiert auf diese Idee umso hysterischer. Also denke ich so wenig wie es geht darüber nach. Ich versuche einfach nach Ersatz Ausschau zu halten, nach einer Frau, die aufgrund ihres Charakters, ihrer Intelligenz und ihrer Schönheit, ein süßes Mädchen namens Stephanie aus meinem Herzen verdrängen könnte. Eine junge Frau, die die Erinnerung an dich unwichtig macht und sie möglicherweise sogar auslöscht. Eine Frau, ein Mädchen, das mich vergessen macht, so vergessend, dass ich nicht einmal mehr weiß, dass es dich gibt. Eine ebenbürtige Konkurrenz. Irgendwie scheint das wichtig zu sein, denn du willst es ja auch so. Du freust dich unheimlich, wenn ich jemanden finde, der meinen Sehsüchten entspricht. Du freust dich fast zu sehr. So sehr, dass ich immer misstrauisch werde, wenn ich andeute, das ich möglicherweise Ersatz für dich gefunden habe.