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an, die mit dem, was Sir Karl Popper die Welt 3 nannte, eine völlig neue ... Dagegen bietet sich eine zeitgemäße Wissensorganisation mit Hilfe eines semiotischen ...... dernisiert hatte, aber man verfolgte das entsprechende Ziel mit der dritten.
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Zwischen Informationsflut und Wissenswachstum

Walther Umstätter

Zwischen Informationsflut und Wissenswachstum Bibliotheken als Bildungsund Machtfaktor der modernen Gesellschaft

Berlin 2009 Simon Verlag für Bibliothekswissen

ISBN 978-3-940862-13-6 Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie Layout & Satz: Grzegorz Duda

Copyright © 2009 Simon Verlag für Bibliothekswissen, Berlin

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Gesamtherstellung: Simon Verlag für Bibliothekswissen Riehlstrasse 13 10057 Berlin Deutschland www.simon-bw.de

Druck und buchbinderische Verarbeitung: ART-DRUK, Szczecin

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . ................................................................................................. 9 Einleitung.............................................................................................. 10 Sapere Aude .......................................................................................... 12 Semiotischer Thesaurus ........................................................................ 13 Mathematik, das semiotische Netzwerk . ............................................. 15 Revolutionen ........................................................................................ 27 Man sollte die Online-Revolution nicht unterschätzen ...................... 32 Man lernt trotz Vergesslichkeit im Leben dazu ................................... 35 Giganten ............................................................................................... 48 Geistige Elite ......................................................................................... 55 Negentropie .......................................................................................... 58 Ortega Hypothese . ............................................................................... 61 Uncitedness 4 ....................................................................................... 62 Der Heurekaeffekt . ............................................................................... 63 Determinismus ..................................................................................... 66 Freier Wille ........................................................................................... 68 Traum ................................................................................................... 71 Die Kultivierung von Schönheit .......................................................... 72 Interdisziplinarität . .............................................................................. 75 Glauben und Wissen ............................................................................ 75 Theodizee ............................................................................................. 80 Biographien .......................................................................................... 81 Redundanztheorie ................................................................................ 81 Biologisches Lernen . ............................................................................ 83 Studienabbrüche . ................................................................................. 85 

Fernstudium ......................................................................................... 86 Professorale Didaktik ............................................................................ 87 Didaktische Reduktion ......................................................................... 88 Inneres Modell ..................................................................................... 91 Evaluationen ........................................................................................ 92 Vom Unterbewussten zum Bewussten ................................................. 95 Edutainment . ....................................................................................... 96 Wissenswachstum ................................................................................ 97 Wissen, ein katalytischer Vorgang ....................................................... 98 Fehldiagnosen ...................................................................................... 99 Umwelt bedingtes Lernen .................................................................. 102 Das Pädagogische Perzeptionsparadox .............................................. 104 Das Anakoluthische Informationsdilemma ....................................... 106 Vier Ebenen des Verstehens ............................................................... 112 Leistung .............................................................................................. 113 Innovation . ........................................................................................ 116 Hunger ................................................................................................ 119 Amüsement ........................................................................................ 120 Schlangestehen . ................................................................................. 122 Wissenschaftsgesellschaft . ................................................................. 123 Ehrlichkeit .......................................................................................... 124 Ideale .................................................................................................. 125 Beginn ................................................................................................ 127 Stufen menschlicher Intelligenz ........................................................ 128 Objektivität . ....................................................................................... 130 Kindliche Unwissenheit ..................................................................... 130 Flucht . ................................................................................................ 135 Sorglose Kindheit ............................................................................... 137 Menschenwürde und Würdigung der Schöpfung . ............................ 139 Herdenschutzhunde ........................................................................... 141



Machiavellismus ................................................................................. 144 Kinderbücher ...................................................................................... 146 Theater . .............................................................................................. 150 Opern . ................................................................................................ 153 Der Witz . ............................................................................................ 154 Schund . .............................................................................................. 155 Homecomputer .................................................................................. 158 Paperwork Reduction Act ................................................................... 162 Studienführerkonzept ........................................................................ 162 Semantik ............................................................................................. 167 Wissen ................................................................................................ 168 Bewusstsein ........................................................................................ 171 Die Macht des Wissens ....................................................................... 171 Wissen ist ebenso messbar wie Information ...................................... 172 Wissensorganisation und Katalogisierung ......................................... 174 Wissensorganisation als klassifikatorisches Ergebnis . ....................... 175 Kladistik .............................................................................................. 178 Teleologie . .......................................................................................... 179 Die 68er .............................................................................................. 180 Kreuzverhör ........................................................................................ 183 Zivilcourage ........................................................................................ 185 Beobachtungen . ................................................................................. 204 Modellierung des publizierten Weltwissens . ..................................... 206 Sehbegabungen .................................................................................. 210 Schlafwandler ..................................................................................... 211 Kohlendioxid . .................................................................................... 213 Kultur . ................................................................................................ 216 Denken ............................................................................................... 220 Künstliche Intelligenz ........................................................................ 226 Controlling der Wissenschaft . ........................................................... 228



Roboter ............................................................................................... 228 Teach Them to Read, and Let ‘Em Rip! .............................................. 230 Logik und Wissenschaft ..................................................................... 232 Reflexe und Intelligenz . ..................................................................... 234 Der Beginn des Bibliothekswesens im alten Rom .............................. 237 Recht und Schrift . .............................................................................. 240 Bibliothekarinnen und Bibliothekare ................................................ 245 Bibliothek und Großmacht ................................................................ 246 Bibliothekswissenschaft in Deutschland ........................................... 247 Institut für Bibliothekswissenschaft . ................................................. 249 Bildung ............................................................................................... 255 Wissenschaft als Selbstreinigungsprozess .......................................... 257 Vier Evolutionstheorien ..................................................................... 258 Was ist Leben? .................................................................................... 261 Die DNS als Informationsspeicher ..................................................... 262 Altruismus .......................................................................................... 268 Die Erkenntnisbereiche der Wissenschaft . ........................................ 269 Dynamik des Bibliothekswesens ........................................................ 275 Digitale Bibliothek . ............................................................................ 281 Big Science .......................................................................................... 290 Bibliotheksetats .................................................................................. 293 IuD-Politik .......................................................................................... 294 Ltd. BDir. Dr. Margarete Rehm ........................................................... 299 Chemiedokumentation ...................................................................... 307 Selbstorganisation .............................................................................. 309 Schluss ................................................................................................ 311 Literatur .............................................................................................. 313 Index.................................................................................................... 322



Vorwort

Wissenschaftler lieben Anakoluthen, Paradoxa, Oxymorone oder sonstige Widersprüche, wie die des „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, die bei genauer Betrachtung keine sind. Sie freuen sich, wenn sie solche finden und diese dann zu lösen vermögen, weil sie damit ihre Existenzberechtigung deutlich machen können. So lange sie nur das wissen, was Laien auch wissen, erkennt sie ja niemand als Wissenschaftler. Am deutlichsten war dies in der Geschichte zu sehen, als angehende „Wissenschaftler“ noch in Funktionen von Auguren, Hellsehern, Magiern, Sterndeutern oder Zauberern auftraten, um spektakuläre Entwicklungen oder Revolutionen vorherzusagen. Der vorliegende Rückblick auf eine Reihe wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Umbrüche, insbesondere die der Online-Revolution im Bibliotheks- und Informationswesen und im Wandel von der Informationsgesellschaft zur Wissenschaftsgesellschaft, mit dem gleichzeitigen Wechsel von der klassischen zur Digitalen Bibliothek, enthält daher auch eine Reihe scheinbarer Paradoxa und ungewöhnlicher Erkenntnisse, die die geneigten Leser aber beim genaueren Hinsehen als logische und selbstverständliche Erkenntnisse hoffentlich nachvollziehen können. Dieses genaue Hinsehen hat sehr viel mit Wissen zu tun, denn nicht zufällig entstammt unser Wort Wissen etymologisch vom lateinischen videre = sehen. Es erfordert im allgemeinen Zeit und Konzentration, die sich aber erfahrungsgemäß bei wirklichem Wissenserwerb lohnt. Nun hat Wissen die merkwürdige Eigenschaft, seine Relevanz geradezu sprunghaft zu ändern. Es kann heute noch überlebenswichtig sein, was schon morgen zur Bedeutungslosigkeit abgesunken ist. So lernten wir in der Schule noch die Sütterlinschrift, die Benutzung von Logarithmentafeln und Rechenschiebern, oder auch dass die „Tropfenform“ die aerodynamisch beste sei, weil sich der Wassertropfen der Luftströmung optimal anpasse. Die meisten Generationskonflikte beruhen auf dieser Tatsache, dass neues Wissen altes revolutionär verdrängt.  

Umstätter, W: Die evolutionsstrategische Entstehung von Wissen. (1992)



Wa l t h e r U m s t ä t t e r

Trotzdem kündigen sich viele Ereignisse in der Wissenschaft schrittweise an, da jede Wissenschaft dem grundsätzlich gleichen Prinzip folgt. Zunächst werden in einer narrativen Phase Beobachtungen, Daten, Erkenntnisse, Fakten etc. erfasst und beschrieben, dann werden sie durch Klassifizierung konstruktivistisch unterschiedlich systematisiert, um sie letztendlich in der analytischen Phase auf ihre Kausalität hin analysieren zu können. Diese Entwicklung war insbesondere in der Biologie sehr schön zu sehen, weil dort über Jahrhunderte hinweg immer mehr Lebewesen schriftlich erfasst werden mussten, bis sie Linné systematisierte und Darwin eine Begründung für die sich darin abzeichnende Evolution fand. Die Genetik, die Molekularbiologie und insbesondere die Informationstheorie haben dann die Kausalkette bis zur „Biogenetischen Evolutionsstrategie“ immer weiter schließen können. Auch die Bibliothekswissenschaft ist sehr lange über den narrativen Bereich dieser Entwicklung nicht hinaus gekommen, ebenso wie die Biologie, konnte sie erst durch die Informationstheorie in der Mitte des letzten Jahrhunderts, den entscheidenden Schritt in Richtung einer analytischen Wissenschaft tun. Das Kapitel „Mathematik, das semiotische Netzwerk“ ist als Beispiel gedacht, dass der geneigte Leser, der sich für diese spezielle Thematik nicht interessiert, überspringen kann. Das Beispiel wurde aber gewählt, weil es in dieser Form vergleichsweise einfach gehalten werden konnte. Man muss auch kein Physiker sein, um Zusammenhänge dieser Art zu begreifen.

Einleitung Wissen ist in den letzten Jahren zu einem Modewort mit so unterschiedlichen und schillernden Bedeutungen geworden, dass das Wort kaum noch zu einer seriösen Betrachtung taugt. Andererseits ist es aber gerade deshalb um so wichtiger, definitorisch zwischen Information, Wissen, Bildung, Bewusstsein, Erkenntnis etc. sprachlich fundiert zu differenzieren. Nun heißt es in Goethes Faust so richtig: „Mit Worten läßt sich trefflich streiten“, und dabei wird leicht übersehen, dass der Schüler, bei dem Mephistopheles sich damit über so manche Wissenschaftler lustig macht, sehr berechtigt feststellt: 10

Einleitung

Schüler: „Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein.“ Mephistopheles: Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen; Denn eben wo Begriffe fehlen, Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Der Unterschied zwischen Begriff und Wort ist einfach. Ob ich eine physikalische Kraft Force, F, Kraft oder K nenne, ist völlig beliebig. Die Begrifflichkeit, das heißt, das was ich darunter verstehe und welche Bedeutung ich diesem Wort in dieser Welt zuordne, ist keinesfalls gleichgültig. Im Gegenteil, die Physik hat darüber sehr lange, fundiert und auf wissenschaftlichem Niveau diskutiert, um wirklich darüber kommunizieren und Probleme gemeinsam lösen zu können. Dabei sollte man allerdings auch nicht unterschätzen, dass unser Wissen in den termini technici immer mehr Worte mit immer genaueren Bedeutungsinhalten belegt, so dass der Beliebigkeit der Wortwahl zunehmend engere Grenzen gesetzt sind. Über Begriffe kann man nur sinnvoll streiten, wenn sie klar definiert sind. Das ist das eigentliche Prinzip der Wissenschaft, und der Grund, warum beispielsweise die Bibliotheks- und Informationswissenschaft seit langer Zeit zwischen Begriff und Benennung möglichst sauber unterscheidet. Das Phänomen der Wissenschaft war dabei, dass Menschen mit solchen klaren Begrifflichkeiten, wenn sie logisch nachdachten, zu den selben Resultaten kamen, und sie damit Vorhersagen machen konnten, die in der realen Welt nachprüfbar der Wahrheit entsprachen. Diese Fähigkeit der Wissenschaft, über weite Bereiche die Zukunft vorhersagen zu können (soweit sie wissenschaftlich vorhersagbar ist), hat ihr in den letzten Jahrhunderten ein immer größeres Renommee eingebracht, so dass verantwortungsbewusste Politiker kaum noch Entscheidungen treffen, ohne wissenschaftliche Beratergremien vorher gehört zu haben. Die Vorgänger unserer heutigen Wissenschaft, die Astrologen, Auguren, Seher, Propheten, Weissager etc. waren anfangs nicht immer so erfolgreich. Es gelang aber immer öfter, beispielsweise bei astronomischen Fragen, Naturgesetze über Jahrtausende hinweg zu verfolgen, und es können heute bekanntlich auch Katastrophen wie Flugzeugabstürze durch ein gutes Ingenieurwesen inzwischen auf sehr geringe Fehlerraten reduziert werden. Trotzdem sind auch Wissenschaftler nicht in der Lage irrationale Entscheidungen (zum Beispiel die mancher Politiker, Börsianer oder Juristen) vorherzusagen. Überall dort, wo Menschen Abläufe beeinflussen können, 11

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sind Vorhersagen schon deshalb schwierig, weil damit auch freie, zufällige oder beliebige Entscheidungen wirksam werden. Hinzu kommt, dass es beispielsweise in der Marktwirtschaft oft gerade das Ziel solcher Entscheidungen ist, ein bestimmtes Wissen oder die Unwissenheit anderer auszunutzen. So lässt sich problemlos belegen, wie die Verlage vor dem Einstieg in die digitalen Medien 1986 gewarnt haben. Pergamon kaufte dann SDC (System Development Corporation) und veräußerte diese 1988 weiter an Maxwell. Danach machte das Wort von K.G. Saur die Runde, dass die Verleger keine Papierhändler seien, will sagen, auch elektronische Dokumente vermarkten können. Dieser Markt lebt förmlich von Irreführungen, irrationalen Entscheidungen und Geheimhaltung, aus denen Gewinne zu ziehen sind.

Sapere Aude Sapere Aude, war im Sinne Immanuel Kants der Wahlspruch der Aufklärung. Habe den Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, es diente damit der geistigen Verbreitung des Wortes von Horaz (Episteln I, 2, 40). Ist es aber wirklich ein Wagnis wissen zu wollen, oder ist der Mensch nicht viel mehr dazu verurteilt, vom Baume der Erkenntnis zu essen? Wissen bedeutet für den Menschen die Verantwortung für sein Tun zu übernehmen. In Schillers Glocke hieß das: Das ist‘s ja, was den Menschen zieret, Und dazu ward ihm der Verstand, Daß er im innern Herzen spüret, Was er erschafft mit seiner Hand. Friedrich Schiller war ja nicht nur 1783 in Mannheim Bibliothekar, er hatte seine Dissertation auch ganz im Sinne des Darwinismus über das Thema „Versuch über den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen.“ verfasst, und er war auch Professor für Geschichte. In seiner Dichtung griff er immer wiederkehrend den Mut zur Gedankenfreiheit, im Sinne der Aufklärung, auf. Im Wilhelm Tell hat er dabei zwei historisch wichtige Erkenntnisse gegenübergestellt: „Verbunden werden auch die Schwachen mächtig.“ und „Der Starke ist am mächtigsten allein.“, und im Don Carlos klingt es beim Kniefall des Marquis de Posa vor dem König noch eindringlicher „Geben Sie Gedankenfreiheit!“ 12

Semiotischer Thesaurus

Dabei gibt es zwei verschiedene Formen, Wissen zu wagen. Die eine, bei der Gedankenfreiheit sich selbst gegenüber, und die andere der Gesellschaft gegenüber. Letzte erfordert insbesondere dann viel Mut, wenn sich ideologisch agierende Gruppen mit allen ihren Möglichkeiten gegen die Wahrheit zur Wehr setzen. Wie stark sich aber auch manche Wissenschaftler fürchten, einen wirklich neuen Gedanken oder eine neue Theorie zu entwickeln, wurde mir erst bewusst, als ich für Hunderte von angehenden und etablierten Wissenschaftlern über Jahre hinweg Tausende von Online-Recherchen durchführte. Viele waren sich der Gefahr bewusst, dass man leicht einem Denkfehler unterliegen, und sich so bei der Konkurrenz der Fachkollegen ebenso leicht der Lächerlichkeit preisgeben kann. Mein Auftrag, für sie entsprechende Fachliteratur zu recherchieren, war darum oft nichts anderes, als die Absicherung, keinen fundamentalen Fehler zu machen. Etliche von ihnen kamen aus lauter Vorsicht, über die Bestätigung der Ergebnisse Anderer, wissenschaftlich kaum hinaus. Auf der anderen Seite finden wir, wie man im Internet leicht überprüfen kann, zu viele Menschen, die sich für unerkannt große Wissenschaftler halten, und die abenteuerlichsten Ideen und Ideologien in die Welt setzen. Sie haben zwar oft den Mut sich ihres Verstandes zu bedienen, bemerken aber meist nicht, dass sie diesen Mut nur aus Mangel an Wissen besitzen. Das Internet und die Möglichkeit online zu recherchieren, hat unser Gedächtnis und unsere Fähigkeit, Wissen gezielt ad hoc zu akquirieren und zu vergleichen, fundamental erweitert. So wächst in der Informationsgesellschaft eine neue Generation heran, die mit dem, was Sir Karl Popper die Welt 3 nannte, eine völlig neue Selbstverständlichkeit verbindet. Die Welt 3, als das publizierte Wissen der Menschheit, wird immer umfassender verfügbar, für den, der es informationskompetent sucht.

Semiotischer Thesaurus Bibliothekarisch betrachtet hat die Aufklärung mit den Enzyklopädisten einen mutigen Schritt getan. Sie hat nicht nur der Erkenntnis Francis Bacons von 1620, dass richtig zu wissen bedeutet, durch Gründe zu wissen, zu einer  

Schwarz, I. und Umstätter, W: Die vernachlässigten Aspekte des Thesaurus. (1999)

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allgemeinen Akzeptanz verholfen, sie hat auch mit René Descartes Wissen als Erkenntnis der Wahrheit aus ihren ersten Ursachen definiert. Die Enzyklopädisten verstanden unter einer Enzyklopädie ein umfassendes Bildungsinstrument und ein auf Vernunft gegründetes Kompendium, in dem das gesamte Wissen ihrer Zeit zusammengetragen werden sollte. Berühmt wurde die Enzyklopädie von Denis Diderot und seinen Mitstreitern, wie Jean Le Rond D’Alembert, Condillac, Helvetius, Montesquieu, Rousseau, Voltaire und anderen, die in der Gesellschaft der Gelehrten (société de gens de lettres) zwischen 1751 und 1780 in 35 Bänden ihr Wissen zusammentrugen. Die Enzyklopädisten haben bei der Gliederung des Werks auf der Lehre Francis Bacons aufgebaut. Die Beteiligung vieler Autoren am Aufbau einer neuen Lehrmeinung war somit die geglückte geistige Revolution der Aufklärung hin zur Wissenschaft, und damit war sie in gewisser Hinsicht auch der Beginn der Wissenschaftsgesellschaft. Die im Prinzip falsche Bezeichnung Wissensgesellschaft suggeriert, dass wir, wie in der Informationsgesellschaft, ein Überangebot an Information beziehungsweise Wissen haben. Das Gegenteil ist aber der Fall. Gerade weil diese Gesellschaft ihren Mangel an Wissen immer deutlicher spürt, setzt sie immer mehr Wissenschaftler zur Lösung ihrer Probleme ein. Sie lebt immer stärker von der Wissenschaft. Erstaunlicherweise ist dieser Grundgedanke der Enzyklopädisten, mit der Dokumentation des damals vorhandenen Wissens, am Beginn des letzten Jahrhunderts nicht dahin weiter entwickelt worden, dass alle, bis dahin vorwiegend alphabetisch aufgelisteten Begriffe, auch in einen hierarchisch vernetzten Thesaurus semiotisch eingebracht wurden. Auch wenn Ranganathan in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ansatzweise durchaus darüber nachgedacht hatte, das Wissen der Welt in seiner Kolonklassifikation zu erfassen, so waren seine Überlegungen auf die Erschließung von Literatur fokussiert.

 

Umstätter, W: Die Rolle der Digitalen Bibliothek in der modernen Wissenschaft.

(2000)  

Semiotik ist die Lehre von den Zeichen und ihren Bedeutungen. Sie beinhaltet die

Semantik, Syntaktik und Pragmatik, wobei nicht selten Semantik anstelle von Semiotik synonym verwendet wird, was leicht irreführend sein kann.  

Umstätter, W. und Wagner-Döbler, R: Einführung in die Katalogkunde. S. 116. (2005)

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Mathematik, das semiotische Netzwerk

Dagegen bietet sich eine zeitgemäße Wissensorganisation mit Hilfe eines semiotischen Thesaurus, auf der Basis von SGML (Standard Generalized Markup Language) beziehungsweise XML (eXtended Markup Language) seit über einem Jahrzehnt an, bei der Begriffe definiert, verlinkt, vernetzt oder auch in ein mathematisches Gleichungssystem gebracht werden können. Auch wenn es vermutlich richtig ist, was Stephen Hawking feststellte: „Jede mathematische Formel in einem Buch halbiert die Verkaufszahl dieses Buches.“, so ist Mathematik zur Unterstützung logischer Folgerungen nicht selten unverzichtbar. Ardenne und Reball fanden, dass Platon, L. Da Vinci, G. Galilei, I. Kant, K. Marx, F. Engels, D. Hilbert und A. Einstein immer wieder darauf hingewiesen haben, wie unverzichtbar die Rolle der Mathematik in den Naturwissenschaften ist. Andererseits sollte man nicht verkennen, in wie viel Büchern und anderen Publikationen mathematische Gleichungen wohl nur dazu dienen, diesen einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben.

Mathematik, das semiotische Netzwerk Im Zusammenhang mit der Idee eines semiotischen Thesaurus ist es bemerkenswert, dass das Netz mathematischer Gleichungen, wie wir es beispielsweise aus der Physik kennen, im Prinzip eine Relationierung von Begriffen darstellt. So betrachtet ist Mathematik aus dokumentarischer Sicht  

Wenn Roger Bacon die Mathematik als die porta et clavis scientiarium bezeichnete, so

drückte er damit eine Ansicht aus, die vor und nach ihm viele Philosophen und Wissenschaftler, wie Archimedes, Augustinus, Galilei und andere teilten, weil die Logik der Mathematik erfahrungsgemäß auch die Logik der Wissenschaft insgesamt trägt, was nicht unbedingt selbstverständlich ist. Ardenne. M. v. und Reball, S. haben (1969) das zum Anlass genommen, um zu belegen, wie oft es in der Wissenschaft vorkommt, dass die gleiche Erkenntnis immer wieder neu publiziert wird.  

„Die gebräuchlichste Taktik besteht darin, sich einer wissenschaftlichen (oder pseu-

dowissenschaftlichen) Terminologie zu bedienen, ohne sich übermäßig darum zu kümmern, was die Wörter eigentlich bedeuten.“ S. 20 Sokal, A. und Bricmont, J.: Eleganter Unsinn (1999). Im selben Buch S. 206 wird Bertrand Russel mit den Worten zitiert: „Bergsons Arbeiten enthalten zahlreiche Hinweise auf Mathematik und Naturwissenschaft, die seiner Philosophie in den Augen eines unbefangenen Lesers unter Umständen ein besonderes Gewicht geben.“  

Umstätter, W.: Wissensorganisation mit Hilfe des semiotischen Thesaurus. (2000)

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eine thesaurusartige Vernetzung von Begriffen, die oft mit bestimmten Symbolen anstatt Benennungen arbeiten. Über die Kausalität ist dabei in den meisten Fällen noch nichts gesagt. Wir sprechen daher korrekterweise oft von mathematischer Beschreibung und nicht von mathematischer Begründung. Das lässt sich sehr schön bei der Frage des Zeitbegriffs erkennen. Zeit ist eine Veränderung in der Welt, die wir beispielsweise mit einem möglichst konstant arbeitenden Pendel messen. Sie kann per definitionem nie negativ werden, weil alles, was geschieht immer Zeit verbraucht, aber nie erzeugen kann. Auch wenn wir ein Geschehen filmen und diesen Film zurücklaufen lassen, so dass alle darauf festgehaltenen Ereignisse rückläufig sind, gewinnen wir keine Zeit. Nun können beispielsweise die mit hoher Genauigkeit ablaufenden Atomuhren unter bestimmten physikalischen Randbedingungen verlangsamt laufen, so wie auch chemische Vorgänge bei niedrigen Temperaturen verlangsamt ablaufen, das ist aber weniger ein Zeichen einer verlangsamten Zeit, als vielmehr verlangsamter Abläufe, denn die Zeit wird definitionsgemäß weiterhin möglichst so gemessen, dass sie von solchen Einflüssen unbehelligt bleibt, was zum sogenannten Zwillingsproblem der Physik führte. Die Erkenntnis Einsteins, dass es unter bestimmten Bedingungen eigentlich keine Gleichzeitigkeit gibt, ist ja nur darum so erstaunlich, weil unsere Erfahrung zeigt, dass wir eine solche Gleichzeitigkeit bei unseren Uhrenvergleichen täglich erleben. Erst bei Geschwindigkeiten von etlichen tausend Kilometern pro Sekunde, treten Anomalien auf, die jeden Physiker erfreuen, weil sie die Laien so herrlich verwundern, beziehungsweise irritieren. Daraus ergibt sich ein Raum-zeitliches- Kontinuum, das allerdings erst in seinen Ansätzen verstanden ist. Es ist also eigentlich erstaunlicher, dass es in dieser Welt Gleichzeitigkeit in so hohem Maße gibt, wie wir sie als Menschen täglich beobachten, als die Erkenntnis, dass dieser Gleichzeitigkeit Grenzen gesetzt sind. Wenn wir beispielsweise im Juni 1971 eine Supernova in den Jagdhunden unseres Firmaments beobachten konnten,10 so war das für uns „gleich 

Schon in meiner Kindheit kannte ich den unveröffentlichten Reim meines Va-

ters: „Wandel ist der Sinn der Zeit und ewig nur Vergänglichkeit.“ Die Tiefe dieser scheinbar trivialen Erkenntnis wurde mir erst sehr langsam im Laufe meines Lebens bewusst. 10 

Kaler, J.B.: Sterne und ihre Spektren. Astronomische Signale aus Licht. S. 345;

Spektrum Verl. Heidelberg. (1994)

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Mathematik, das semiotische Netzwerk

zeitig“ mit allem, was wir damals erlebten. Das Geschehen in der Spiralgalaxie M63 (NGC 5055) war aber bereits vor Millionen Jahren abgelaufen. Wir blicken also astronomisch in die Zeit weit zurück. Dagegen erscheinen uns in der biologischen Evolution die frühen Lebewesen, wie Bakterien, Blaualgen oder Einzeller noch als Zeitgenossen. Darum beliebte ein Professor bei uns im Studium gern festzuhalten, eine kleine Fliege ist keine junge Fliege und ein heutiges Bakterium ist kein altes Bakterium. Ein besonders interessantes Zeitphänomen stellt allerdings das Wissen dar. Durch unser Wissen können wir aufgrund vorhandener Informationen schon bestimmte Informationen voraussehen, bevor sie von uns empfangen werden. Wir sprechen daher notwendigerweise auch von einer a priori Redundanz. Das hat unter anderem den Vorzug, dass wir Menschen Gesetze erlassen können, die schon alle denkbaren Verstöße dagegen vorwegnehmen und sie vorausschauend verbieten. So betrachtet ist es interessant zu analysieren, ob es auch physikalische Naturgesetze gibt, die so teleologisch angelegt sind, dass wir den Eindruck haben, sie würden ihrer Zeit vorauseilen. In der Biologie sind wir daran gewöhnt, dass Lebewesen aufgrund ihres Wissens teleologisch reagieren. Sie warten nicht bis sie gefressen werden, sondern sehen die Gefahr schon voraus und flüchten meist rechtzeitig. Sie können dies tun, weil sie ererbtes Wissen haben. Es ist aber durchaus denkbar, dass es auch physikalische Kräfte gibt, die zu stabilen Gleichgewichten führen, wie wir sie beispielsweise bei den Planeten- oder den Elektronenbahnen beobachten, deren Stabilität wir bisher aber lediglich ansatzweise verstehen, so wie das Titus-Bode-Gesetz oder die Feinstrukturkonstante α. Dies ist ein interessanter Aspekt bei der Äquivalenz von schwerer und träger Masse, die Einstein so betont hat, oder auch beim Bohrradius, der in so bestechender Weise mit der de Broglie Wellenlänge und der Elektronenmasse korrespondiert. Da korrespondierende Schwingungen im Prinzip immer Rückkopplungsmechanismen sind, können sie stabil, gedämpft oder resonant sein, und sich auch zu Resonanzkatastrophen aufschaukeln. Wenn solche Rückkopplungsmechanismen stabil sein sollen, müssen ihre Gesetze entsprechend „vorausschauend“ sein. Das ist aber keinesfalls antropomorph, geschweige im Sinne eines primitiven „intelligent design“ gemeint. Es wäre unzweifelhaft nur als Metapher zu verstehen, wenn wir sagen würden, dass ein Elektron oder ein Photon „weiß“ oder „fühlt“, wann es 17

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eine zu hohe oder zu niedrige Frequenz oder einen bestimmten Spin hat, und sich entsprechend adaptiv verhält. Tatsache scheint aber zu sein, dass sich elektromagnetische Wellen oder verschränkte Photonen in manchen Situationen so verhalten, als „wüssten“ sie dies. Dass die Physik immer wieder über eine denkbare Zeitumkehr diskutiert, liegt also nicht zuletzt daran, dass die mathematischen Gleichungen, in denen die Zeit t positiv vorkommt, es natürlich zulassen, t auch mit negativem Vorzeichen einzusetzen. Welche Folgen das hat, lässt sich dann leicht prüfen. Für die Beziehung Meter m pro Sekunde s = Geschwindigkeit v eines Körpers, führt eine negative Zeit beispielsweise dazu, dass m negativ wird (-s * v = -m). Das heißt, dass sich der betrachtete Körper wieder zurück bewegt, wie wir es bei einem zurücklaufenden Film beobachten. Dass aber viele Ereignisse in dieser Welt nicht umkehrbar sind, und nicht antikausal verlaufen können, wissen wir unter anderem aus der klassischen Entropie heraus. Diffundierende Moleküle bewegen sich statistisch immer auseinander und nie in Richtung ihrer Ausgangskonzentration. Ein Stein, der herabfällt, steigt auch nicht wieder auf, wenn wir mit negativer Zeit rechnen. Hier kann die Mathematik also auch leicht in die Irre führen. Das gleiche gilt ebenso für statistische Relationen, wenn es beispielsweise vor einigen Jahrzehnten eine Korrelation zwischen dem Rückgang an Geburten und dem der Störche in einer Region Deutschlands gab, so bedeutete dies nicht, dass die Kinder vom Klapperstorch gebracht werden. Es ist also klar, nicht jede mathematische Relation muss einen sinnvollen Bezug zum Naturgeschehen haben.11 Wenn wir beispielsweise die Bedeutung eines Begriffs wie Energie E betrachten, so ist dieser in der Gleichung E = m * c2 eindeutig mit der Konstante c2 (dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum), als auch mit der Masse m direkt proportional verbunden. Gleiches gilt für

11 

Albert Einstein hatte daher Recht als er schrieb: „Die Mathematik handelt aus-

schließlich von den Beziehungen der Begriffe zueinander ohne Rücksicht auf deren Bezug zur Erfahrung.“ Wie weit dieser Bezug besteht, muss bei jeder Hypothese im Einzelnen nachgeprüft werden.

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Mathematik, das semiotische Netzwerk

E = h * f. Wobei auch hier die Energie mit der Konstanten h (Planksches Wirkungsquantum) und der Frequenz elektromagnetischer Wellen f, direkt proportional verknüpft ist. Wenn Max Planck dazu sagte, „Es gibt keine Materie, sondern nur ein Gewebe von Energien, dem durch intelligenten Geist Form gegeben wird“, so machte er damit deutlich, dass die Vielzahl von Energieformen wie chemische, elektromagnetische, kinetische, mechanische, potentielle oder auch thermische Energie, bis hin zu dem, was wir als Masse bezeichnen, in einem schwingenden, rotierenden Wechselspiel stehen. Energie ist aber auch Kraft f (force) mal Weg l (length), beziehungsweise Masse m mal Beschleunigung a (acceleration) mal Weg l. E = f * l = m *a * l. Für die Gravitation kann man entsprechend E = G * m2/r schreiben, wobei diese Energie gleichbedeutend ist mit der Gravitationskonstanten G, multipliziert mit den sich anziehenden Massen m1 mal m2 (bei gleich großen Massen m2), geteilt durch den Abstand r (radius). Wenn wir nun die Energien G * m2/r und m * c2 gleichsetzen, G * m2/r = m * c2 erhalten wir für das Verhältnis c2/G = m/r = 1,347 1027 [kg/m] eine Konstante, die bei den Stoney Einheiten mS/lS = 1,85921 10-9/1,38068 10-36 = 1,347 1027 und bei den reduzierten Planck Einheiten mPl/lPl = 2,177 10-8/1,616 10-35 = 1,347 1027 beträgt.12 Für die Zeit ergibt sich bei Stoney dann bezüglich lS/tS = c beziehungsweise lS/c = tS = 4,6048 10-45

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Umstätter, W: Die fundamentale Bedeutung der Informations- und Wissensmessung.

(2006) http://www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/infopub/textbook/planckunits06a.pdf

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und bei Planck lPl/c = tPl = 5,3905 10-44. Unter dieser Betrachtung sind die sogenannten Naturkonstanten c, G, h nichts anderes als Umrechnungsfaktoren in unserem anthropozentrischen Maßsystem MKS (Meter, Kilogramm, Sekunde). Sie entfallen, wenn wir c = G = ℏ = 1 setzen und damit zu den natural units beziehungsweise Planckschen Einheiten gelangen. Dass auch die Boltzmannsche Konstante nichts anderes ist, als der Umrechnungsfaktor von Joul in Kelvin (1,380658 10-23 [J/K]) ist offensichtlich. Es hat sich als vorteilhaft erwiesen bei den reduzierten Planck-Einheiten die sogenannte Dirac Konstante ℏ auf 1, und damit h = 2π zu setzen, da ℏ definitionsgemäß h/2π ist. Bei den Stoney Einheiten ergibt sich dagegen für ℏ = 1/α = 1/0,0072974 = 137,035999. Insofern sind die Stoney Einheiten grundsätzlich um α1/2 kleiner als die Planck-Einheiten. Diese sogenannte Sommerfeldsche Feinstrukturkonstante α ergibt sich somit nicht als Artefakt unseres MKS-Systems, sondern ist eine dimensionslose Zahl, von der Richard Feinman vermutete, dass sie der Kreiszahl π oder der Eulerschen Zahl e ähnelt, deren genauere Bedeutung wir allerdings noch nicht so gut kennen. Hier können wir beispielsweise durch ein thesaurusartiges Beziehungsgeflecht etlicher Gleichungen einiges über ihre Bedeutung erfahren. So ist unter anderem

α = e02/(4 π ℏ c ε0), wobei e0 die Elementarladung (1,6022 10-19 [C]) und

α= α= α= α= α=

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ε0 die elektrische Feldkonstante oder Permittivität des Vakuums (8,85 10-12 [F/m]) ist. Wenn ℏ, c und ε0 im Rahmen der natural units eins sind, ist e0 = α1/2. mp rp c/ℏ. Protonenmasse mal Protonenradius mal Lichtgeschwindigkeit geteilt durch Dirac-Konstante. (mp/mPl )*(rp/lPl) ist in Planck-Einheiten das Produkt aus Protonenmasse und Protonenradius. (me/mPl )*(re/lPl) ist in Planck-Einheiten das Produkt aus Elektronenmasse und Elektronenradius. ve/c, das Verhältnis aus Geschwindigkeit des Elektrons im Wasserstoffatom zur Lichtgeschwindigkeit. 2CRyd λdB, das Produkt aus doppelter Rydbergkonstante (1,097 107 [m-1]) und de Broglie Wellenlänge (3,32 10-10).

Mathematik, das semiotische Netzwerk

α = λC/λdB, der Quotient aus Comptonwellenlänge (2,4263102175 10-12) und de Broglie Wellenlänge. α = re/rB), Elektronenradius durch Bohrradius. α2 = 2CRyd h/(me c), doppelte Rydbergkonstante, multipliziert mit dem Planckschen Wirkungsquantum, geteilt durch Elektronenmasse und Lichtgeschwindigkeit 3 α = 2π re 2CRyd, das Produkt aus Elektronenumfang und doppelter Rydbergkonstante. 2

Elektronen und Photonen verhalten sich demnach wie links- oder rechtsdrehende Helices, Spiralen oder Toroide, die pro Wellenlänge eine Umdrehung vollbringen. Das erklärt auch, warum der Michelson-Morley-Versuch negativ und der gegenläufige Sagnac-Versuch positiv verlief. Dabei ist das Verhältnis von Wellenlänge zum Umfang des Toroids bei einer Energie von E = h * f = 6,626 10-34 * 6,5797 1015 [Hz] = 4,35975 10-18 [J] gleich α, beziehungsweise α = re/λdB, Elektronenradius re geteilt durch die de Broglie Wellenlänge von 3,32 10-10 [m] = (2 π rB), und rB ist der Bohrradius von 5,292 10-11 [m]. Die gleiche Frequenz bei einem Photon mit Lichtgeschwindigkeit ergibt eine Wellenlänge von λH = 4,556 10-8 [m] = c/6,5797 1015 [Hz]. Ein solches Photon hat mit α * 4,556 10-8 = 3,32 10-10 [m] wiederum den Bohrumfang (de Broglie Wellenlänge λdB), und eine Masse mph = E/c2 = 4,851 10-35 [kg]. Diese Masse ist wiederum um α2 kleiner, als die des Elektrons, mit me = 9,11 10-31 [kg]. Es wäre dabei durchaus vorstellbar, dass die Trägheit eines Photons, die eindeutig mit der Rotation der Spirale zusammenhängt, in Richtung des Lichtstrahls Null ist, während sie senkrecht dazu, die mit mph = E/c2 berechnete Größe trägt. Der Zusammenhang von α = (me/mPl )*(re/lPl) = (mp/mPl)*(rp/lPl) macht damit deutlich, dass die Masse in Planck-Einheiten eine Funktion des Radius ist. Auf dem Hartree Energieniveau 4,35975 10-18 [J] beträgt sie für λdB/λH = α. Mit abnehmender Geschwindigkeit nimmt aber die Masse im Quadrat zu, so wie wir es beim Elektron (ve /c = α) beobachten. Das Massenverhältnis zwischen dem Elektron me und dem Energiequant gleicher Energie mp (als Photon) ist somit mp/me = α2. Alpha ist zunächst eine Konstante, die in engem Zusammenhang mit dem Energieniveau des Elektrons steht. Bei höheren Energien beziehungs21

Wa l t h e r U m s t ä t t e r

weise höheren Frequenzen und kürzeren Wellenlängen, wie beispielsweise bei der Comptonwellenlänge 2,426 10-12 [m] mit 1,236 1020 [Hz] gilt α = λC/λdB = 2,426 10-12/3,325 10-10. Bei einem konstanten Photonenumfang von λdB = 3,325 10-10 [m] nimmt aber das Verhältnis von λ/λdB proportional ab, wenn Photonen energiereicher und die Wellenlängen kürzer werden. Für die Energieniveaus: Energie [J] Frequenz [Hz] Wellenlänge [m] λ/λdB 4,359 10-18 = 6,5797 1015 = 4,55633 10-8 = 1/α (Hartree-Energie) 5,974 10-16 = 9,0165 1017 = 3,32492 10-10 = 1 8,187 10-14 = 1,2356 1020 = 2,42631 10-12 = α (Compton-Energie) gilt also eine Spiegelbildlichkeit von α zur Frequenz 9,0165 1017 [Hz]. Oder anders gesagt, herrscht im Universum eine Grundfrequenz von 6,58 1015 [Hz] vor, auf der sich die nächst höheren Energiestufen 6,58 1015/α [Hz] und 6,58 1015/α2 [Hz] (Comptonfrequenz des Elektrons) aufbauen. Die dazugehörige Wellenlänge 4,56 10-8 [m] entspricht 1/2CRyd, woraus deutlich wird, warum in mehreren Gleichungen zu α immer wieder die doppelte Rydbergkonstante auftaucht. Im Prinzip ist es also einfach, worum es bei α geht. Die Grundfrequenz von 6,58 1015 [Hz] hat beim Wasserstoffelektron mit c*α eine stark verlangsamte Geschwindigkeit, die zur de Broglie Wellenlänge führt und damit zu der Masse des Elektrons. Alle Elektronen in einem Atom müssen in ihren Frequenzen miteinander harmonisieren. Sie tun dies bekanntlich auf den verschiedenen Schalen mit unterschiedlichen Energiestufen und Frequenzen, bis sie so energiereich sind, dass sie dem Einfluss des Atomkerns entfliehen. Diese Erkenntnis eines atomar bevorzugten Frequenzbereiches im Universum ist deshalb so bemerkenswert, weil sie zeigt, dass die heute verbreitete Vorstellung eines Big Bang, die davon ausgeht, dass am Anfang die Entropie sehr klein und auf das Planck-Volumen von weniger als Zehn hoch minus Hundert Kubikmeter beschränkt war, sich nicht nur einfach, im Sinne Boltzmanns, gleichmäßig erhöht hat, sondern sich aufgrund der Zunahme an Atomen, Molekülen, Kristallen und die Vielfalt der Lebewesen ektropisch verteilte. Hier muss daher auch zwischen dem Entropiebegriff Boltzmanns und dem der Schwarzen Löcher im Sinne von Bekenstein und Hawking unterschieden werden. 22

Mathematik, das semiotische Netzwerk

Der Unterschied zwischen der Negentropie Schrödingers, bei der Energie aufgenommen und bei den Lebewesen, in einem Fließgleichgewicht, über die genetisch gespeicherte Information strukturbildend eingesetzt wird, und der Ektropie des Universums, liegt darin, dass dort schon die Schwingungsvorgänge allein strukturbildend sind. Eine weitere erwähnenswerte Konstante des Universums ist die Hubble-Konstante mit etwa 2,3 10-18 [Hz], die als Kehrwert mit der zeitlichen Ausdehnung des Universums korrespondiert. Dieses ist demnach 4,3 1017 Sekunden alt. In Plank-Einheiten ausgedrückt ist das Universum 8 1060 tPl alt und hat eine Ausdehnung von 2 mal 8 1060 Planck-Längen, wenn man davon ausgeht, dass es sich von einem Punkt her ausgebreitet hat. Geht man von der Planck-Zeit 5,4 10-44 und damit von einer Ausgangsfrequenz von 1,86 1043 [Hz] aus, und setzt diese ins Verhältnis zur Hubble-Konstante, so erhält man ebenfalls den Wert 8 1060. Das entsprechende gilt unter der Annahme, dass das Universum heute eine Masse von 1,7 1053 [kg] hat. Diese durch die Planck-Masse 2,177 10-8 geteilt, ergibt ebenfalls 8 1060. Also eine Massenzunahme des Universums um ~1061 Planck-Masse-Einheiten, in der entsprechenden Zeit. Wenn wir uns diese Masse in Form von Protonen denken, erhalten wir 1080 Protonenäquivalente, oder wenn die Hälfte Neutronen sind, 5 1079, Protonen-Neutronen-Paare im Universum. Betrachtet man das Verhältnis des Bohrradius zur Planck-Länge, so ist dieser um rB/lPl = 3,27 1024 größer. Den selben Wert erhält man, wenn man die Planck-Freuquenz 1,86 1043 [Hz] durch die Frequenz 9,0165 1017 [Hz] teilt. Darin zeigt sich ein energetisches Gefälle zwischen dem Big Bang und dem bereits erwähnten recht stabilen, bei Alpha angesiedelten Vorzugsfrequenzbereich. Merkwürdigerweise ist die Energie E = G * mPl2/rB für zwei Planck-Massen mPl, mit dem Abstand des Bohrradius rB, mit E = 5,974 10-16 [J] = 9,0165 1017 [Hz], der bereits oben erwähnten Energiestufe, zwischen Hartree und Compton Frequenz, gleich. Die Planck-Masse ist ein um das 2,39 1022 fache größere Masse, als die des Elektrons. Dies ist eine Koinzidenz, die sich rein rechnerisch ergibt. All das hat natürlich seine Parallele in der „Große-Zahlen-Hypothese“ Paul Diracs, bei der sich für das Verhältnis Radius des Universums rU zum Elektronenradius re der Wert re/rU = 4,6 1040 in der Größenordnung ähnlich ergibt, wie die Wurzel aus den bereits erwähnten 1080 Protonenäquivalenten. 23

Wa l t h e r U m s t ä t t e r

Dass die Gravitationskonstante G entsprechend G = c3*tU/mU = 2,6944 10 * 4,32043 1017 / 1,74464 1053 = 6,67243 10-11 so genau mit der gemessenen übereinstimmt, ist jedenfalls erstaunlich, und lässt ein konstantes G vermuten. Denn wenn man die Planck-Werte: 2,6944 1025 * 5,39049 10-44 / 2,17674 10-8 = 6,67243 10-11 einsetzt, erhält man exakt den selben Wert für G. Es wäre im prinzip auch erstaunlich, dass G variiert, wenn es ebenso wie c und ℏ eigentlich nur ein Umrechnungsfaktor des MKS-Systems in die natural units ist, wie oben erwähnt. Die vielfältige Vernetzung von α, soweit wir sie hier betrachten, hat nichts mit höherer Mathematik zu tun, sondern lediglich mit einfachen Rechenoperationen, wie sie schon in der Schule gelehrt werden, weil es ja um die Bedeutung einer einfachen Zahl geht. Insofern ist dies ein einfaches Beispiel für ein semiotisches Netz. Neben der Feinstrukturkonstante α taucht in diesem Zusammenhang eine weitere Konstante pPl auf, die in der theoretischen Physik bislang weitaus weniger Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie beträgt pPl = 6,5257 und wird auch als Planck-Moment beziehungsweise Planck-Impuls bezeichnet. Sie findet sich in den Beziehungen: 25

ℏ/lPl = 6,5257 (ℏ beträgt damit das 6,5 fache der Planck-Länge) und mPl * c = 6,5257 (die Planck-Masse mPl beträgt das 6,5 fache von 1/c). Hier erscheint also ℏ als eine Länge und entsprechend 1/c beziehungsweise tPl/lPl als eine Trägheit, beziehungsweise Masse. Die Vermutung liegt nahe, dass die sich daraus ergebende Beziehung ℏ/lPl = mPl * c, bei einer Betrachtung der Dimensionen, ℏ als den Radius von h zu erkennen gibt. Die Folge ist, dass h mit seinen MKS-Dimensionen [kg m2/sec = m] nur zutrifft, wenn [kg = sec/m] gilt. Die Masse wird mit sec/m zum Raum-Zeit-Phänomen, und die Energie in E = m c2 zu c [m/sec]. Wenn man in der Gleichung E = h * f die Konstante h = 2π * ℏ so versteht, dass sie mit λdB = 3,325 10-10 [m] der Umfang eines Photons ist, denn ein solches Photon hat bei Lichtgeschwindigkeit die Länge 4,556 10-8 [m], einen Umfang von α * 4,556 10-8 = 3,32 10-10 [m] (Bohrumfang, beziehungsweise de Broglie Wellenlänge), dann ist seine Masse mph = E/c2 = 4,35975 10-18 [J]/9 1016 = 4,851 10-35 [kg]. Da h für alle Energien und Frequenzen gleich zu sein scheint, müssten dementsprechend alle Photonen den selben Durchmesser haben. 24

Mathematik, das semiotische Netzwerk

Die Beziehung mPl lPl/tPl = 6,5257 besagt, dass eine Planck-Masse mit der Lichtgeschwindigkeit c den Planck-Impuls von 6,5 [kg m/sec] hat. Auch für die de Broglie Beziehung p = h/λ, in der p der Impuls ist, ergibt sich auf der Ebene der Planck-Einheiten, also für λ = lPl, der Wert 2πℏ/lPl = 2π * 6,5257 = 41,00219. Nimmt man bei einer Energie von 4,36 10-18 [J], entsprechend der Gleichung E = mc2, die Masse m eines Photons mit 4,85 10-35 [kg] und den Radius r von an (Bohr Radius), und entsprechend für das Elektron 9,11 10-31 [kg] und einen Radius von und das Proton 1,67 10-27 [kg] und einen Radius von so ergibt sich für die Planck-Masse 2,18 10-08 [kg] ein Radius von

5,29 10-11 [m] 2,82 10-15 [m] 1,53 10-18 [m], 1,18 10-37 [m].

Das entspricht einem konstanten Verhältnis von m*r = 2,57 10-45, so dass sich beim „Planck-Radius“ ein theoretischer Wert von α*lPl = 1,18 10-37 ergibt. Erst für die Energie 5,97 10-16 [J] steigt dagegen der Radius auf eine ganze Planck-Länge. Es gilt also, je kleiner der Radius des Quants, desto größer die Masse und desto geringer die Geschwindigkeit. Bei der Energie eines Elektrons im Wasserstoffatom nimmt die Masse im Quadrat (α2) zu, die Geschwindigkeit um α ab, und damit wird die Wellenlänge bei gleichbleibender Frequenz ebenso um α verkürzt. Bei einem Photon mit 9,0165 1017 [Hz] ist also seine Wellenlänge so groß, wie sein Umfang. Das gleiche Verhältnis (Umfang durch Länge) beträgt bei 6,5797 1015 [Hz], wie bereits erwähnt, α. Wir haben aus der Vernetzung der Feinstrukturkonstante α also etliches über ihre Bedeutung erfahren. Nun hatte bereits Paul Dirac auf die Parallelität der Kräfte bei Fe = e2/(r2 4π ε0) (Elektrostatische Anziehungskraft; εo = 1,257 10-6) und FG = m2/(r2 1/G) (Massenanziehungskraft) hingewiesen, so dass es eigentlich FG = m2/(r2 4π Gε) bzw. � FG = m2/( r2 4π 1,19 109) heißen müsste. Setzt man Gε anstelle von G in die Gleichungen der reduzierten Planck-Einheiten ein, so dass c = Gε = ℏ = 1 werden, und ebenso ε0 = 1, dann erhalten wir entsprechend für Gε * µG * c2 = 1, die Gravitationspermeabilität µG = 9,33 10-27 einen um 1020 niedrigeren Wert als für µ0, die magnetische Permeabilität des Vakuums. 25

Wa l t h e r U m s t ä t t e r

Unter dieser Annahme, dass G, als Gε um 4π größer sein muss, ist die Planck-Länge lPl = ℏ/1,84 (und nicht ℏ/6,5), und des weiteren, mPl = 1,84/c (und nicht mPl = 6,5/c). Auch der Planck-Impuls verringert sich auf 1,84. Würde man G um 4*π*1,842 erhöhen, bekäme man sogar noch interessantere natural units mit Der Länge lU = 1,05457 10-34 (ℏ) (ℏGε/c3)1/2 Der Masse mU = 3,33564 10-9 (1/c) (ℏc/Gε)1/2 Der Zeit tU = 3,51767 10-43 (ℏGε/c5)1/2 Der Kraft fU = 2,84279 1042 (1/tU) Der Energie EU = 2,9979 108 (c) Der Impuls pU = 1 (mU*lU/tU) lU wäre gleich ℏ, mU gleich 1/c, EU gleich c, fU gleich 1/tU und pU gleich 1. Das hat sicher etwas bestechendes. Dass die Planck-Masse mit dem dazugehörigen Schwarzschild Radius rS = G mPl/c2, dabei nur unter der Annahme von Gε anstelle von G zu lU anstelle der Planck-Länge führt, ist selbstverständlich. Ob diese gedanklichen Konsequenzen korrekt sind, also wirkliches Wissen enthalten, zeigt sich natürlich erst dann, wenn sie für die Leser auch nachvollziehbar sind. Dass das im Einzelnen eine intensive Prüfung erfordert, ist selbstverständlich. Aber genau das ist der Unterschied zwischen Wissen und Information. Von Wissen können wir nur sprechen, wenn es nachprüfbar richtig ist. Ein zweites Beispiel für die Vernetzung von Begriffen durch mathematische Gleichungen, sei noch kurz angerissen, da die Informationstheorie von C. Shannon und W. Weaver, im Rückgriff auf Boltzmann, mit H (Eta, für die Entropie) symbolisiert, schwerer vorstellbar ist. Während Boltzmann in seiner Eta-Funktion mit Integralen infinitesimal vorgeht, hat Shannon mit der einfachen Gleichung H = - ∑ pi * ld pi eine klare Digitalisierung13 vorgenommen, wobei pi für die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Zeichens und ld pi für den Logarithmus dualis dieser Wahrscheinlichkeit (probability) steht. Die Informationstheorie setzt damit voraus, dass ein Sender und sein Empfänger die selbe Grundgesamtheit von Zeichen verwenden. So kann bei 28 Bit nur mit 256 und bei 216 mit 65.536 Zeichen kommuniziert werden. Bezogen auf den Big Bang, bedeutet dies, bei einer Entropieberechnung, dass 13 

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Ewert, G. und Umstätter, W.: Lehrbuch der Bibliotheksverwaltung. S. 6. (1997)

Revolutionen

über die Zeit des Universums von 8 1060 [tPl], eine Zunahme an Quanten, mit zu berücksichtigen ist. Zumal wir wissen, dass jedes Energiequant hoher Energie in zahlreiche Quanten geringerer Energie übergehen kann. Die Summe in Shannons Gleichung vergrößert sich bei erhöhter Wahrscheinlichkeit p, als auch bei erhöhter Zahl an Zeichen i. Bei den von Boltzmann betrachteten Entropiezusammenhängen blieb ein entsprechender Molekülzerfall unberücksichtigt, und entsprechend sind in Shannons Gleichung zum mittleren Informationsgehalt Zeichenzuwächse sozusagen definitorisch ausgeschlossen. Ebenso, wie sich in unserer Sprache die notwendige Redundanz pauschal bestimmen lässt (sie bedarf einer gewissen höhe, damit unsere zwischenmenschliche Kommunikation ausreichend zuverlässig ist), kann auch die Redundanz im Universum bestimmt werden. Dass dabei die Feinstrukturkonstante α eine wichtige Rolle spielt, zeigte das aufgeführte semiotische Netz. Viele Informationswissenschaftler schreckt schon das griechische ∑ (Sigma) in der Definition des mittleren Informationsgehaltes, das für die Summe der zwischen Sender und Empfänger austauschbaren Zeichen steht, ab, es ist aber doch sinnvoll und notwendig, dass sich mehr Informationsspezialisten mit der Bedeutung des mittleren Informationsgehaltes einer Nachricht, etwas eingehender beschäftigen. Am Rande sei daher vermerkt, dass es etliche Befürworter einer modernen Bibliotheks- und Informationswissenschaft irritiert hat, als wir im Lehrbuch der Bibliotheksverwaltung, in der Bearbeitung von 1997, erstmals diese Formel als Grundlage der Informationswissenschaft mit aufnahmen, obwohl es inzwischen als selbstverständlich angesehen werden kann, dass Bibliothekswissenschaft ein wesentlicher Teil der Informationswissenschaft ist. Genau genommen der Teil, der sich mit der publizierten Information der Menschheit befasst.

Revolutionen Die Welt hat im Laufe des letzten Jahrhunderts mehrere Revolutionen durchlaufen. An machen durfte ich, an manchen musste ich und an einigen versuchte ich teilzunehmen. Die meisten tangierten mich glücklicherweise nicht. Es waren wissenschaftliche, soziale, politische, pädagogische, moralische und nicht zuletzt militärische Revolutionen. 27

Wa l t h e r U m s t ä t t e r

Genau genommen ist das Wort Revolution irreführend, denn die meisten Revolutionen waren Umbrüche, wie sie für Paradigmenwechsel typisch sind, und weniger Entwicklungsumkehrungen, und sie hatten fast immer etwas mit dem Wissen oder Nichtwissen einer neu heranwachsenden Generation zu tun. So erinnere ich mich daran, wie erfahrene Dokumentare, als sie davon hörten, dass es mir möglich war, im Jahre 1976 allein an der „Online-Literaturdokumentation in der Universitätsbibliothek Ulm“ Eintausendzweihundert Recherchen für unsere Bibliotheksbenutzer durchzuführen, den Kopf schüttelten, weil sie dies damals nicht für möglich hielten. Auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation (DGD) kam ein alter erfahrener Dokumentar mit der Bemerkung auf mich zu, „Aber Sie sind doch auch meiner Ansicht, dass die Lochkarte noch ihre Bedeutung hat.“ Ich gab ihm natürlich recht, denn es gab nur vereinzelt Datenbanken, die damals schon online recherchierbar waren. Trotzdem war unverkennbar, dass hier ein Dokumentar, der sich berechtigt schon für sehr viel progressiver als die meisten Bibliothekare hielt, nicht mehr merkte, wie seine Ansichten auch schon wieder verstaubten. Dass die Literatur über Lochkartensysteme um 1900 ihre große Ausbreitung und in der Mitte des letzten Jahrhunderts bereites ihren Zenith überschritten hatte, war bibliometrisch schon damals leicht erkennbar. Melville Dewey, der in den USA 1886 die Spelling Reform Association gründete und dafür eintrat, das Amerikanische dem Englischen gegenüber zu profilieren, dieser amerikanisch denkende Bibliothekar fühlte sich damals zweifellos als Modernisierer seiner Zeit. Er und seinesgleichen waren Bibliothekare einer neuen Generation. Sie sahen mit der Entwicklung der Lochkarten eine neue Ära anbrechen und die Chance moderner zu sein als viele ihrer Zeitgenossen. Diejenigen, die heute die DDC (Dewey Decimal Classification) noch immer für modern halten, sollten diesen Zeithorizont nicht ganz außer Acht lassen.14 Heute kann man über vieles dieser Art lächeln, aber das waren und sind Generationskonflikte, die nicht selten eine erhebliche Tragik in sich bergen. Denn noch Mitte der achtziger Jahre gab es Bibliothekare, die sich im wahrsten Sinne des Wortes mit Händen und Füßen dagegen wehrten, ein Computer Terminal auf ihren Arbeitsplatz gestellt zu bekommen. Es bedeutete für sie, dass ein Teil ihrer jahrzehnte langen Katalogisierungserfahrungen 14 

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Umstätter, W.: DDC in Europa. (2008)

Revolutionen

plötzlich obsolet wurden und sie neue Aufgaben bewältigen mussten, denen sie wie Anfänger gegenüber standen, denn mit den Computern verdrängten auch die Regeln für die Alphabetische Katalogisierung die Preußischen Instruktionen. Teilnehmen durfte ich also an der Online-Revolution, deren Bedeutung bis heute weitgehend unterschätzt wird. Ich meine die Tatsache, dass wir mit dem Internet und seinen zahllosen kleinen und großen Datenbanken die Möglichkeit haben, vieles gezielt zu recherchieren, was früher nur über Bibliographien, Kataloge oder Nachschlagewerke in Bibliotheken suchbar war. Dass das Internet eine Revolution in der modernen Informationsgesellschaft darstellt, weiß zwar fast jedes Kind. Was aber weder pädagogisch noch informationslogistisch in den Köpfen vieler Politiker und anderer Entscheidungsträger klar erkannt wird, ist die fundamentale Veränderung der Wissensakquisition und Wissensorganisation in der modernen Gesellschaft. Vieles was Generationen vor uns auswendig lernen mussten, weil es noch kein retrievalfähiges erweitertes Gedächtnis gab, kann heute rascher denn je recherchiert werden. Insofern gibt es heute weitaus Wichtigeres, als die Namen von Hauptstädten, von Geschichtsdaten oder von Autoren auswendig zu lernen. Informationskompetenz ist das Schlagwort, mit dem wir die Fähigkeit verbinden, zu wissen, wie wir möglichst gezielt Informationen erhalten, die wir gerade brauchen. Nun ist es sicher nicht so, dass Kinder heute noch so viel auswendig lernen müssen, wie vor hundert Jahren. Aber das Grundprinzip in Prüfungen und Leistungsbewertungen wird noch weitgehend so tradiert, als hätte es keine Online-Revolution gegeben. „333 bei Issus Keilerei“ ist kein Wissen, sondern lediglich eine Information, und es ist auch nur für diejenigen informativ, die den Spruch noch nicht kannten. Für alle anderen ist es nur Redundanz. Die Zahl kann ebenso richtig wie falsch sein. Dass das Ereignis 333 vor Christi Geburt lag, erleichtert die Erkenntnis der historischen Zusammenhänge. Erst die Gründe für das Aufeinandertreffen der Truppen von Alexander dem Großen und Dareios III., ermöglichen es, aus Informationen Wissen zu organisieren. Insbesondere die realistische Einschätzung der damit verbundenen Ungewissheiten und Legendenbildungen zeigt die Begrenztheit unseres Wissens. Wenn es da heißt, die Griechen beziehungsweise Makedonen wollten sich für die Zerstörungen der Perser fast 170 Jahre davor rächen, dann weiß man, dass das das ist, was man nachträglich als Ausrede für einen Überfall nutzt, weil 29

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man sich zu diesem stark genug fühlt. Denn Alexander hatte damals die Taktik einer erstaunlich beweglichen „Makedonischen Phalanx“ unter der Nutzung verlängerter Lanzen (Sarissae) von seinem Vater übernommen, und einen solchen militärischen Vorteil konnte er als Feldherr nicht ungenutzt lassen, ohne daraus Gewinn zu ziehen. Seine Truppen waren mit verkleinerten Schilden verstärkt auf Angriff statt auf Verteidigung ausgerichtet. Viele Verbrechen, Kriege und Betrügereien sind nichts anderes als eine Idee, die dann zu der fixen Idee wird, aus ihr einen Vorteil ziehen zu können. Wenn dann die kontrollierende Wirkung der Bildung versagt, sind die Folgen meist absehbar und nicht selten desaströs. Ohne Zweifel findet man heute in zahlreichen elektronischen Dokumenten innerhalb weniger Minuten weit mehr zu Alexander dem Großen, als man früher in der Schule dazu lernen konnte. Man findet widersprüchliches, gut begründetes und durch die Recherche von Worten beziehungsweise Begriffen hochgradig vernetztes, auch hypertextartig verlinktes Wissen. Die Unterscheidung zwischen dem, was man als Präsenzwissen im Kopf haben muss, wovon man nur zu wissen braucht, wo es steht und wovon man wissen muss, wie man es findet, wird in Schulen und Ausbildungseinrichtungen nicht klar genug erkannt. Es ist der von vielen Bibliothekaren mit Recht beklagte Mangel an Informationskompetenz. Nicht jede Information, die wir im Internet finden, hat bekanntlich etwas mit Wissen zu tun. Hier gilt, was Clausewitz sehr richtig bemerkte: „Ein großer Teil der Nachrichten, die man im Kriege bekommt, ist widersprechend, ein noch größerer ist falsch und bei weitem der größte einer ziemlichen Ungewissheit unterworfen.“

Der Unterschied ist nur, dass es im Krieg meist um die Irreführung des Gegners geht, im Internet vorwiegend um Reklame. Viele dieser Nachrichten sind bekanntlich unsinnig, etliche fehlerhaft und teilweise sind sie schlicht irreführend, weil einzelne Personen, Interessengruppen oder auch ganze Ideologien ihr Gedankengut verbreiten möchten. Das ist nicht neu und gilt für die klassischen Informationsmedien wie Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Radiosendungen oder das Fernsehen ebenso. Es ist aber der große Vorteil des Wissens, dass man aus seiner Begründung heraus prüfen kann, was wahrscheinlich falsch beziehungsweise richtig ist. 30

Revolutionen

Clausewitz fährt in seinem Werk „Vom Kriege“ fort: „Furchtsamkeit der Menschen wird zur neuen Kraft der Lüge und Unwahrheit.“ Mit anderen Worten, auch im Internet entsteht ein großer Teil an Fragwürdigkeiten dadurch, dass Menschen versuchen, ihren Standpunkt zu erhärten, und damit aus der Furcht vor der Entdeckung eigener Fehler oder auch allgemeiner gesagt, aus Angst vor der Wahrheit, die gleichen Fehlinformationen immer wieder verbreiten. Man erinnere sich nur daran, wie viel Anstrengungen Propagandisten in der Geschichte schon auf sich nahmen, um ein heliozentrisches Weltsystem, die Darwinistische Evolutionstheorie, die Gleichberechtigung von Menschen oder auch die artgerechte beziehungsweise humane Behandlung von Tieren zu verhindern. Für gesellschaftliche und wissenschaftliche Revolutionäre gilt also immer das Gleiche. Sie fühlen sich herausgefordert, wenn das bereits bestehende System zunehmend Schwächen zeigt, die sie für ihre eigenen Interessen nutzen können. Die Montagsdemonstrationen und der Mauerfall in der ehemaligen DDR haben dies sehr schön bestätigt. Dass insbesondere diejenigen, die aus christlicher Überzeugung und auch die, die aus besonders tiefem Glauben an die kommunistische Idee den Mut fanden, gemeinsam eine Regierung zu stürzen, die den sogenannten „real existierenden Sozialismus“ zu vertreten hatte, sollte nicht vergessen werden. Viele der überzeugten deutschen Kommunisten fühlen sich bis heute von der DDR-Regierung betrogen, weil diese in ihren Augen den wahren Kommunismus verraten hat. Das Problem dabei ist, dass die modern vernetzten Computer die Gesellschaft immer stärker in Richtung einer Planwirtschaft, einer wissenschaftlich fundierten Gesellschaftsplanung führen werden, und damit auch zu einer Überwachung der Gesetze, so dass in absehbarer Zukunft eine neue Variante der alten kommunistischen Vorstellung entstehen wird. Insofern ist es auch eine Form der Wohlstandsphilosophie, dass damit der Glaube an eine erfolgreiche Verrechtlichungstendenz und eine Gerechtigkeit auf Erden durch verbesserte Überwachung möglich ist. Dass unser menschliches Wissen im allgemeinen viel zu gering ist, um wirklich gerecht zu urteilen, wird dabei auch oft übersehen. Im Prinzip wird damit der alte Glaube, Gott sähe alles und richte unfehlbar, durch eine möglichst lückenlose menschliche Überwachung ersetzt. 31

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Ob diese allerdings letztendlich menschlich oder eher unmenschlich ist, darüber streiten nicht nur Datenschützer. Neben den Revolutionen, die aus der Schwäche oder Unwissenheit der existierenden Gesellschaftsstrukturen erwachsen, gibt es natürlich auch die der Innovation, ganz im Sinne Schumpeters kreativer Zerstörung.

Man sollte die Online-Revolution nicht unterschätzen Es begann für mich in der ersten sogenannten Online- Dokumentation in einer deutschen Bibliothek, und zwar in der Universitätsbibliothek in Ulm 1975. Diese Revolution war ursprünglich durch den Sputnikschock 1957 ausgelöst worden, und zwar dadurch, dass J.F. Kennedy als Antwort darauf, unter der Leitung von Alvin M. Weinberg, ein wissenschaftliches Beratungsgremium einsetzte, dass den USA 1963 empfahl, die vorhandenen Ressourcen der Wissenschaft besser zu nutzen. Die Gefahr unsinniger Doppelarbeit in der sog. Big Science stieg damals an, und verschlang unnütz Forschungsgelder. Man folgte zwar nicht dem Vorbild von VINITI15 in der Sowjetunion, die die Wissensversorgung ihrer Wissenschaftler bereits in den fünfziger Jahren modernisiert hatte, aber man verfolgte das entsprechende Ziel mit der dritten Computergeneration, die IBM damals gerade ausgerufen hatte. Im Prinzip war es typisch für die Big Science, dass schon H.G. Wells 1938 die Vorstellung eines „World Brain“ mit der Idee einer permanenten „World Encyclopedia“ vorweggenommen hatte, dass aber die Wissenschaft noch etwas Zeit brauchte, um dieser Vorstellung eines neuen Zeitgeistes nachzukommen. Es bedurfte erst der dritten Computergeneration mit ihren Transistoren und „Gedruckten Schaltungen“, dass sich Computer leichter und zahlreicher herstellen ließen, als dies bis dahin noch der Fall war. Damit war auch der Weg geebnet, dass man die Transistoren in Large Scale Integration (LSI), Very Large Scale Integration (VLSI), Ultra Large Scale Integration (ULSI) oder Giant Large Scale Integration (GLSI) immer stärker in die „Gedruckten Schaltungen“ mit integrierte, so dass die Massenproduktion leistungsfähiger Computern sich durchsetzte. Eigentlich hatte schon im Oktober 1958 der Amerikaner Jack St. Clair Kilby bei Texas Instruments die erste integrierte Schaltung hergestellt. Bis es aber zur Massenproduktion und zum Apple II (1977) beziehungsweise dem 15 

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Das Zentralinstitut für wissenschaftliche und technische Information in Moskau.

Man sollte die Online-Revolution nicht unterschätzen

legendären Apple IIe (1983) kam, also zur vierten Computergeneration, dauerte es noch über zwei Jahrzehnte. So war es mir auch erst dann, an der Fachhochschule für Bibliotheks- und Dokumentationswesen in Köln möglich, letzteres Gerät für die Schulung bei Online-Recherchen einzuführen. Dass es damals noch immer Fachleute gab, die auf den Durchbruch von BTX16 hofften, macht einige der deutschen Fehleinschätzungen in den Fachinformationsprogrammen verständlich. Eher die Ausnahme bildete da die Bibliothek der RWTH Aachen, die den Mut hatte, unserem Beispiel zu folgen, und den Apple IIe für Online-Recherchen in der Praxis einzusetzen.17 Interessant war daher, am Rande bemerkt, dass damals in den Bibliotheken noch sog. „dumme“ Terminals zum Einsatz kamen, und dass viele Kollegen aus der Praxis es sehr begrüßten, dass ich durch meine Berufung an die FHBD in Köln, die Online-Recherche in die Lehre neu einbrachte. Als sie aber sahen, dass mein Kollege Prof. Dr. Werner Reinert und ich, diese nicht wie sie, mit den inzwischen veralteten „dummen“ Terminals bewerkstelligten, sondern mit dem Apple IIe, dann mit Atari ST und Sinclair QL,18 da waren sie wieder enttäuscht, und hielten uns vor, nicht praxisnah genug zu sein. Um so wichtiger wurde daher ein Erfahrungsbericht, wie der von H. Jüngling. Danach setzten sich die sogenannten intelligenten Terminals durch, bei denen man Computer, wie den Apple IIe nahm, und die früheren dummen Terminals darauf emulierte. Die Praktiker erkannten aber dann bald auch, dass inzwischen nicht mehr die Lehre einen Nachholbedarf hatte, sondern von ihnen ein Umdenken erzwang. Typisch für die damalige Zeit war, dass man Computer kaum einsetzen konnte, wenn man nicht wenigstens kleine Programme selbst schrieb. Also unterrichteten wir auch ein paar Grundlagen in einer damals sogenannten höheren Programmiersprache. Das erregte in einer Sitzung einen Kollegen sehr, so dass er echauffiert ausrief, es reicht ja nicht, dass unsere Studierenden den Umgang mit Computern erlernen, es muss ja auch noch eine höhere Programmiersprache sein. Er wusste nicht, dass die höheren Pro16 

BTX stand für Bildschirmtext, und war eine Entwicklung, bei der man versucht

hatte, die Fernseher mit ihren Fernbedienungen als Monitore zur Nutzung von Großrechnern einzusetzen. Alle Menüs musste daher zunächst über die Tasten 0-9,# und * bedienbar sein. 17 

Jüngling, H.: Online-Literaturrecherchen mit einem Mikrocomputersystem. (1985)

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Quantum Leap – ein Quantensprung im Home Computer Bereich.

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Wa l t h e r U m s t ä t t e r

grammiersprachen damals nutzerfreundlicher wurden, im Gegensatz zu den weitaus schwierigeren Maschinencodes. Was hat diese Online-Revolution in den siebziger Jahren aber wirklich ausgelöst? Obwohl sie eigentlich nichts anderes war, als der Beginn der Digitalen Bibliothek, bei der man zunächst damit begann, Recherchen in Bibliographien off-line und später auch online anzubieten, das heißt im direkten Datenfernzugriff, revolutionierte sie die Informationslogistik der Welt. Man musste während der Ausbildung nicht mehr alles an Wissen in den Köpfen ansammeln, um es dann im Beruf je nach Bedarf aus dem Gedächtnis abzurufen, man konnte immer öfter all das Wissen, das einem ad hoc fehlte, gezielt in einer elektronischen Bibliothek per Retrieval selektieren. Dass diese Revolution erst in den kommenden Jahrzehnten in Schule, Berufs- und Hochschule das Denken von Lehrern und Auszubildenden noch weiter radikal umwälzen würde, wird schlagartig klar, wenn man sich deutlich macht, wie oft wir schon heute bei jeder Kleinigkeit das Internet bemühen, um anfallende Fragen zu beantworten. Trotzdem erkennt man in den Schulen noch viel zu wenig, dass Informationskompetenz in der Ausbildung von heute essentieller Bestandteil der Lehre sein muss. Dass also neben dem Präsenzwissen, das jeder Mensch permanent braucht, das „gewusst wo“, beziehungsweise „wie finde ich“ immer wichtiger wird. Dies zu vermitteln versucht die Bibliothekswissenschaft schon seit einigen Jahrzehnten bewusst zu machen. Die Informationstheorie war im letzen Jahrhundert ohne Zweifel die größte Revolution. Sie führte zur gesamten Computertechnologie, machte die Raketentechnik, Robotik und die Vielzahl von Automatisierungen möglich, die vorher in der Industriegesellschaft alle noch nicht denkbar waren. In ihrer Konsequenz hat das dazu geführt, dass in vielen Berufen eine Person das zu leisten vermochte, wozu vorher nicht selten zehn bis hundert mal mehr Personal benötigt wurde. So ernährt ein Landwirt heute in Deutschland etwa hundertvierzig Menschen. Fünfzig Jahre davor war es noch etwa ein Zehntel. Bei der Einführung der Online-Recherchen in Bibliotheken schätzte man, dass sich eine Handsuche in verschiedenen Bibliographien und Katalogen zu einem Thema, von etwa 24 Stunden, im Online-Retrieval, auf ein Zehntel verkürzt hatte. Das entsprach größenordnungsmäßig durchaus meiner Erfahrung, als ich 1976 bis 1982 durchschnittlich fünf Recherchen pro Tag für die Endnutzer meiner Bibliothek durchführte. 34