Karl Wilhelm Britz

gut, aber die armen Kerle bei Verdun und Arras werden allerhand mitmachen müssen. ..... und was für Leute wohnen noch bei uns im Hause“ Auch junge Mädchen oder junge Witwen ohne Kinder, in ...... Küste Afrika mit Mont Tessa sichtbar.
47MB Größe 5 Downloads 305 Ansichten
Der 1. Weltkrieg 1914: Die europäischen Staaten beherrschten die Erde. Fremde Kontinente wurden versklavt und zu Kolonien gemacht. Die großen Nationen lagen in heftigem Streit darüber, wem welches Stück Land gehören möge. So hatten sich zwei Bündnisse entwickelt, um einander im Fall eines großen Krieges beizustehen: Die "Mitelmächte", also Deutschland und Österreich-Ungarn auf der einen Seite, die "Entente Cordiale", also Frankreich, Russland und Großbritannien auf der anderen Seite.

28.06.1914:Die Ermordung des Thronfolgers von Österreich-Ungarn und seiner Frau in Sarajevo war Auslöser des Krieges. 28.07.1914: Österreich forderte Vergeltung von Serbien und Russland als Schutzmacht der Serben stand diesen zur Seite und erklärte Serbien den Krieg. 01.08.1914: Die komplizierten Bündnisverhältnisse führten dazu, dass jede Nation der Ansicht war, dem Verbündeten Beistand leisten zu müssen. Deutschland erklärte Rußland den Krieg. 03.08.1914: Deutschland erklärte Frankreich den Krieg und marschierte in Belgien ein. 04.08.1914: England erklärte Deutschland den Krieg.

14.05.1915: Ich wurde (als Ersatz Rekrut) zum Militär eingezogen, nachdem ich bis dahin als Postgehilfe bei dem Postamt Köln 1 beschäftigt war. Auf Anfrage meines Vaters beim Bezirkskommando wurde ihm als mein Garnisonsort Rodenkirchen angegeben. Daraufhin bin ich im Cut und steifem Hut mit einer Tüte Kirschen als Proviant bewaffnet zum Bezirkskommando in der Vorgebirgsstraße gewandert in dem festen Glauben, am Abend wieder bei meinen Eltern zu sein. Leider war das ein großer Irrtum, da ich statt nach Rodenkirchen nach Trier in die Hornkaserne zu den 29ern (Rekruten Depot des 2. Ersatz Bataillon I R 29) kam. Auf dem Marsch durch Köln nach dem Bahnhof Köln-Deutz hatte ich zufällig meinen Vater getroffen, der mir noch 20 M in die Finger drücken konnte, da ich sonst meine militärische Laufbahn ohne Pfennig Geld in der Tasche begonnen hätte. Aus dem Militärpass: Körpergröße 1,71 m, Stiefelmaß 26, besondere militärische Ausbildung: mit Gewehr 98, vereidigt, Gasmaske 2, Führung gut, Strafen keine. Tagebuch, Trier, 16.5.1915: In famoser Stimmung gestern hier angelangt. Haben uns die 6stündige Bahnfahrt durch Singen und Vorträge gewürzt. Heute haben wir unsere „Paradesachen“ zum Teil bekommen. Wenn Ihr mich so sähet, fielet Ihr auf den Rücken.— In der Korporalschaft ist auch ein Postgehilfe Josef Weber aus Brühl. Meine Anschrift lautet: W B Inf.Reg 29 Abt Dinerowitz, 3. Korporalschaft, Trier. Zunächst hatten wir nur Koppel und Mütze empfangen, so daß ich im Cut mit Koppel und Krätzchen (Mützchen) exerzieren mußte. Tagebuch, Trier, 18.05.1915: Heute haben wir auch den Affen (Tornister) und sogar einen Schutzmannshelm von der Kammer bekommen. Jeden Tag wird trotz des schlechten Wetters fleißig exerziert. Morgens 5 Uhr müssen wir aus den Federn, waschen, anziehen, Stube fegen, Betten machen, putzen usw. Dann haben wir Unterricht, Freiübungen und dergleichen bis 11:30 Uhr. Anschließend ist bis 3 Uhr Mittagspause mit Bettruhe. Von 3 Uhr bis 7 Uhr ist dann der gleiche Betrieb wie am Morgen. Um 9 Uhr liegt alles in der Klappe. Tagebuch, Trier, 28.05.1915: Auf meinem Namenstag gehen wir heute Nachmittag spazieren, allerdings mit Gewehr und Zubehör, um an den Ufern der Mosel nicht etwas zu saufen, sondern Freiübungen zu machen. Hoffentlich feiern wir den nächsten Namenstag aber wieder bei Mutter. Vor einigen Tagen habe ich die Beschießung eines feindlichen Fliegers beobachten können. – Wenn ich zur Kompagnie komme, wird mein blaues Röckchen gegen das moderne graue umgetauscht. Am Sonntag sind wir schon um 4 Uhr aufgestanden und haben unseren Pferdestall bis zur Decke fein säuberlich gefegt, als Strafe dafür, daß 2 Kerle über den Zapfenstreich ausgeblieben waren

Die Unterkunft in der Hornkaserne war sehr schlecht. Wir lagen zu 200 Mann in dem Pferdestall der Maschinengewehrkompagnie, der mit Spinden und den bekannten Militärbetten behelfsmäßig als Unterkunftsraum hergerichtet worden war. Die erste Zeit meines Kommislebens ist mir recht schwer gefallen, war doch der Unterschied zwischen dem Militär und Zivilleben etwas arg kraß. Dazu kam, daß man mich zuerst als Muttersöhnchen leicht veräppeln und beklauen konnte. Auch mein Unteroffizier war mir nicht sehr wohl gesinnt, mußte er doch durch Schneidigkeit seinen Posten in der Heimat nach Möglichkeit zu halten suchen. Unser Exerzierplatz war der gefürchtete Grüneberg, durch dessen Sandwüste wir manches liebe Mal gejagt wurden. Als besonders bitter empfand ich zuerst, daß ich zur Strafe die Brocken und die Stube meines Unteroffiziers reinigen mußte, wenn ich militärisch aufgefallen war. Und das kam ziemlich oft vor! Meine Stimmung wurde besser, als mich meine Eltern für mehrere Tage besucht hatten. Da haben wir in der „Mosella“ manche gemütliche Stunde zusammen verlebt. Meine Mutter hatte mich zunächst gar nicht erkannt und war über meine uralten und geflickten Sachen entsetzt. 06.06.1915: Vater Bühnemann im ev. Krankenhaus in Sülz gestorben. Tagebuch, Trier, 10.06.1915: Endlich wieder allein! Leider! Es geht das Gerücht, daß wir ausrückten oder nach Elsenborn kämen. Postkarte an Adele Jöbges, 14.06.1915: Liebes Adelchen, für Dein liebes Paketchen vielen Dank. Wie geht’s Dir. Höre von Mutter, daß Du Dich ins Unglück stützen willst. Viele Grüße Willy.

Tagebuch, Trier, 18.06.1915: Zu Mutters Namenstag habe ich beim Schießen ein 10 und zwei 12 geschossen. Der zweitbeste Schütze der ganzen Abteilung! Der Beste hatte einen Ring mehr. 01.07.1915: Umzug von Petersbergstr. 8 nach Luxemburger Str. 60 I, weil meine Mutter wieder in die Herz Jesu Pfarre zurück wollte. Tagebuch, Trier, 04.07.1915: Sitze jetzt schon wieder 2 Tage auf der Lauer, um auszurücken. Unsere feldgraue Ausrüstung haben wir bereits vollzählig und warten nur auf den Abmarschbefehl. Tagebuch, Trier, 06.07.1915: Endlich Dienstag 8:30 Uhr ausgerückt. Der Abmarsch aus Trier war trotz der 4 Mann „Knüppelschesmusik“ ziemlich sang- und klanglos erfolgt. Die Trierer waren niemals besonders gut auf das Militär zu sprechen und nahmen an unserem Abmarsch zu unserer Kränkung wenig Anteil. Die wenig freundliche Stimmung der Bevölkerung ist wohl darauf zurückzuführen, daß in Friedenszeiten schon viel Militär in Trier lag. Galt es doch für ein „anständiges“ Mädchen als verpönt, mit Soldaten zu verkehren.

Die Fahrt dauerte bis zum 08.07.1915 und ging über Luxemburg, Longwy, Charleville, Hirson, Laon nach Crepy en Valois, wo wir in einer Zuckerfabrik untergebracht wurden. Hier im Rekruten Depot des VIII A. K. sollten wir zunächst weiter ausgebildet werden. Tagebuch, Crepy, 14.07.1915: Heute habe ich die erste Sendung aus Deutschland erhalten. Ich ziehe gleich auf Kasernenwache. In Crepy haben noch einige Franzosen und Engländer gesteckt, die von der Bevölkerung versteckt gehalten worden sind. Dafür muß der Ort jetzt 50.000 M Strafe zahlen. – Hier merkt man kaum, daß man sich in Feindesland befindet, obgleich die Front nicht sehr weit ist. Die Leute sind ziemlich zurückhaltend, trotzdem habe ich bereits mit Hilfe von Bonbons die Freundschaft von 2 kleinen Franzosenmädchen gewonnen. – Mittwoch sollen wir nach La Fere verlegt werden. Die Einjährigen wurden in Crepy bevorzugt und machten einen besonderen Unterführungskursus mit. Tagebuch, Crepy, 25.07.1915: Wir haben es jetzt jeden Tag besser. Die „Herrn Einjährigen“ fallen zwar bei jeder Gelegenheit auf, aber das war schon in Friedenszeiten so. Zeitweise werden wir als Korporalschaftsführer eingesetzt. – Der Christian Weiler, den ich schon in Trier kennengelernt habe, ist ein lieber netter Kerl und mein besonderer Freund. Unsere Sachen teilen wir beide redlich. Tagebuch, Crepy, 13.08.1915: Abends war Portionsempfang: Brot, Marmelade, Wurst und Büchsenfleisch. Dann gabs Post: 1 Paket von Euch mit Käse, 1 Dose Bonbons von Alfons Bollig (Vetter), 1 Paket von Tante Schwarz mit Käse 1 Paket von Johanna Scheins mit Printen und Pralinen, 1 Zehnpfundpaket von Ado (Bamberger, Tochter von Maria Schwartz, geb. Knott) mit Printen, Wurst, Bouillonwürfel und Konserven. Ich war einfach platt, aber mein Bauch nach einer halben Stunde nicht mehr. Zum Schluß gabs auch noch 10 M von Euch! Während wir zuerst als „Einjährige“ angeredet wurden, hießen wir später „Zugführer- oder Offiziersaspirant“. Diese Bezeichnung hatte ziemlich viele falsche Hoffnungen erweckt, denn 1915 ging es mit der Beförderung nicht mehr so schnell. – Die Umgebung von Crepy ist sehr waldreich. Auf schnurgeraden Straßen hatten wir manchen Kilometer teils singend, teils schwitzend und fluchend zurückgelegt. Meistens kamen wir auf unseren Märschen durch Couvron, Vivaise, Aulonois, Besny, Bucy, St Nicolas, St Gobain, Foudrain. In Foudrain war Hans Weber (Vetter) als Proviantamtsinspektor, ohne daß ich es wußte. Durch Briefe hatte er meinen Aufenthaltsort erfahren. Tagebuch, Crepy, 20.08.1915: Als ich gestern vom Marsch zurückkam, steht beim Leutnant – Jean Weber (s.o.). Da hättet Ihr mal einen Inspek-tor sehen können! Ein Facon, wie Herr Werheit. Ja, ja, der anstrengende Dienst beim Militär! Tagebuch, Crepy, 25.08.1915: Nächste Woche rückt ein Teil der Kompagnie aus. Die Einjährigen bleiben noch in Crepy. Leider verlieren wir auch unseren guten Leutnant, der sich freiwillig ins Feld gemeldet hat. Weiler kommt ebenfalls fort. Ich hatte mich ebenfalls freiwillig gemeldet, soll jedoch bis Ende des Kursus hier bleiben.

Tagebuch, Crepy, 29.08.1915: Dieser Tage hatten wir in Couvron Besichtigung. Meine Adresse: Zugführeraspirant W B Rekruten Abt. des mobilen VIII A. K. 9. Übungskomp. I R 65 15. JD, 1. Armee. Tagebuch, Crepy 01.09.1915: Meine Kameraden sind nun alle fort. Mir ist der Abschied schwer geworden. Von den 37 Einjährigen sind nur 4 für den eigentlichen Offizierskursus hier geblieben. Wenn wir nun auch den schönen Titel „Offiziersaspirant“ haben, so ist es doch noch weit bis zum Leutnant!

30.09.1915: Kusine Adele Joebges heirate August Sieben. Tagebuch, Montecouve Ferme, 01.10.1915: Unsere Abteilung mit Kursus und allem drum und dran ist aufgehoben. Nachmittags um 3 Uhr wußten wir noch nichts, um 5 Uhr stand schon alles fix und fertig zum Abmarsch bereit. Wir liegen in einem alten Gutshof hinter der Front, aber noch im Bereich der schweren Artillerie. Wahrscheinlich komme ich ins III. Batl. der 65er. Unsere Bezeichnung als Aspirant ist geblieben. Wir gehen von hier aus schanzen (Befestigungsanlage bauen). Abends ist 7:45 Uhr Abmarsch bis 10 Uhr, dann wird in den Reservestellungen gearbeitet bis 3 Uhr morgens und um 5 Uhr sind wir dann wieder hier. Vielleicht kommen wir nach 3 bis 4 Wochen nach Crepy zurück. Tagebuch, Valpriez Ferme, 09.10.1915: Wir liegen jetzt einige Kilometer näher an Soissons und bleiben hier 14 Tage zum schanzen. Als Bett haben wir eine Liegestatt im Heu. Die Flöhe sind abgeschafft, dafür laufen einem aber nachts Ratten übers Gesicht. Ehe wir ins „Bett“ klettern, müssen wir eine 5 m hohe Leiter hinauf.

Wenn wir uns dann oben nach der Liegestatt durchtasten – es ist nämlich stockdüster dort – schreit schon mal einer auf, den man auf den Bauch getreten hat. Ich habe ein Pöstchen als Telefonist, d.h. ich brauche nur die Meldungen und Befehle zwischen Bataillon und Kompagnie telefonisch weiterzugeben. Gestern war alles alarmbereit, da der Franzmann bei Soissons angreifen sollte. Wir sind jedoch nicht eingesetzt worden. „Sicherem Vernehmen nach“ sollen wir am 25.10. nach Rußland kommen.

Tagebuch, Crepy, 16.10.1915: Bin nach 5 Tage schanzen bei Pany bei Soissons wieder in Crepy gelandet. Habe von den Rothosen nichts gesehen, da wir nur nachts vorne waren. Wir hatten durch Granatsplitter 2 Verwundete. Bin jetzt bei der 2. Komp und habe als Kompagnieführer einen Postassistenten.

Soissons Soissons

Tagebuch, Crepy, 22.10.1915: Der neueste Latrinenbefehl besagt, daß wir wieder verladen würden, aber nicht nach Rußland, sondern nach dem von hier 10 km entfernten La Fere. – Alfons Schwarz hat mir als Feldpostpäckchen – Lokuspapier geschickt! Mal sehen, wie ich Gutes mit Bösem vergelte.

Tagebuch, La Fere, 25.10.1915: Gestern Nachmittag sind wir hier gelandet. Habe mir bei dem Fußmarsch ordentlich die Füße durchgelaufen. Ihr könnt wieder schmieren kommen, wie in Trier! – Wir sind in einem früheren Schloß untergebracht, das im Jahre 1661 erbaut wurde, wie man aus einer Tafel ersehen kann. Habe mit einem Philologen ein kleines Zimmer, in dem früher jedenfalls der Diener gehaust hat. Eine alte Truhe dient als Tisch und Schrank. Anschließend an das Schloß ist ein wundervoller, großer Park, durch den die Oise fließt. La Fere ist ein ähnliches Städtchen, wie Brühl. Unser Kursus wird hier fortgesetzt. Tagebuch, La Fere, 28.10.1915: Gestern bin ich umgezogen und bin nun Straßenbauer, Latrinenfeger, Schreiner, kurz Mädchen für Alles, nämlich Pionier geworden. Wir Aspiranten machen bei den Pionieren einen Kursus von 14 Tagen mit. Morgens 7:30 Uhr bis 11:30 Uhr ist praktischer Pionierdienst. Dann wird gegessen, und das nicht zu knapp! Von 2:15 Uhr bis 3:30 Uhr ist Exerzieren, anschließend Unterricht über Handgranaten, Brückenbau, Sprengungen und dergleichen. Um 6:15 Uhr wird gesungen, dann ist Postempfang, Parole und Ausgang ins Städtchen. In unserer Kneipe verkehrt auch der Kölner Schauspieler Salomon, dem ich vorgestellt worden bin. Der sorgt hier für die nötige Unterhaltung, ist aber im übrigen ein ganz gemeiner Gemeiner.

La Fere, 1915: Ein postalisches Trio

Tagebuch, La Fere, 02.11.1915: Bin heute abend von 7 Uhr bis morgen abend um 7 Uhr Wachhabender am Munitionsdepot – Bei den Pionieren ist’s fein. Tagebuch, La Fere, 07.11.1915: Der Kursus bei den Pionieren ist leider zu Ende. Heute morgen hatten wir noch Üben mit scharfen Handgranaten und Minen. Das sind doch verflucht gemeine Dinger. Dann sind wir wieder zur alten Abteilung zurück. Tagebuch, La Fere, 07.11.1915: Bei der letzten Besichtigung habe ich eine Kompagnie geführt, wegen meines guten Kommandos! Unser Hauptmann ist ein so netter, lustiger Mann, daß man in ihm gar nicht einen Aktiven vermuten sollte. Unser Leutnant Best stammt von der Wasserkante und ist auch ein ganz netter Herr. Was der Hauptmann für ein prima Kerl ist, geht aus Folgendem hervor: Dieser Tage hatten wir Geländeübung und ich stellte einen Meldeläufer vor. Wie ich nun mit irgendeiner Meldung absause, kommt mein Hauptmann mir nachgeritten und ruft mir zu: „Sie sind erschossen.“ Er wollte sehen, ob mir jemand meine schriftliche Meldung abnehmen würde, da ich ja „gefallen“ war. Ich habe mich nun zunächst mal ins Gras fallen lassen und den Toten markiert. Unterdessen stürmte die Abteilung und auch mein Hauptmann munter weiter gegen den bösen Feind. Um mich und meine Meldung hat sich kein Mensch mehr gekümmert. Da ich laut Befehl tot war, bin ich natürlich liegen geblieben und habe gemütlich gepennt, während die übrigen Kameraden sich abhetzen durften. Auf einmal steht mein Hauptmann wieder hoch zu Roß vor mir. Der hatte mich vergessen und brüllte mich an (das kann er nämlich auch!!): 13.11.1915 La Fere

„Was machen Sie denn hier?“, worauf ich ihm prompt und stramm meldete: „Ich bin laut Befehl tot, Herr Hauptmann.“ „Dann will ich mal den lieben Gott machen und Dich wieder erwecken, Du Lausbub!“ Da konntet Ihr mal sehen, wie ein Toter unter Anleitung eines Hauptmanns laufen kann! Abends haben wir noch viel über den Vorfall gelacht und geulkt.

Tagebuch, La Fere, 28.11.1915: Der Zugführerkursus ist heute zu Ende gegangen. Bald werden wir auf die Regimenter verteilt. Wir konnten uns eins aussuchen, da ich jedoch keine besonderen Wünsche hatte, habe ich es der Abteilung überlassen, wohin man mich stecken wird. Urlaub gibt’s nicht. Zuletzt haben wir noch einen Kameraden begraben, der bei einer Sprengung verunglückt war.

Tagebuch, La Fere, 01.12.1915: Als Geburtstagsgeschenk erhielt ich heute den Befehl, mich mit noch einem Kameraden bei den 161ern zu melden. Tagebuch,Sinceny Basse, 03.12.1915: Bin gestern abend 8:30 Uhr glücklich, aber totmüde hier bei der 5. Kompagnie (5/161) gelandet. Morgens um 7 Uhr ging die Reise los. Zunächst mit der Bahn bis Chauny, dann zu Fuß bis Coucy le Chateau, weiter zum Regiments- und Bataillonsstab in Margival und dann den ganzen Weg zurück zur Kompagnie, die ganz in der Nähe unseres Abmarschpunktes in Ruhe liegt. Um hierhin zu kommen, sind wir stark 35 km mit Affen usw. im Kreis herummarschiert. Den Rest des Weges haben wir in schwarzer Dunkelheit auf unbekannten, grundlosen Wegen bei strömendem Regen zurückgelegt. Dafür haben wir’s heute aber gut, denn der Dienst fällt wegen schlechten Wetters aus! Und das bei den Preußen!!! Jetzt bin ich Musketier und nicht mehr Aspirant. Der Divisionsstab lag in Coucy le Chateau, der Regimentsstab der 161er in einem Jagdhaus bei Margival, der Batallionsstab in Margival selbst. Ruhestellung des Regiments war Sinceny Basse, später Bassoles, das Reservebatallion lag in Ternier-Sorny, während das 3. Batallion links von der Straße Coucy le Chateau - Soissons in Stellung lag. Margival, Reg. Stab.

Tagebuch, Sorny, 07.12.1915: Nachts halten bei mir die Läuse Regimentsparade ab. – Die Urlauber erzählen so schaurige Geschichten von daheim, daß man gar keine Lust verspürt, in Urlaub zu fahren. Ist denn tatsächlich bei Euch alles knapp? Wir leben hier herrlich und in Freuden. Wenn wir kein Brennholz haben, fällen wir einfach in der Nähe einen Baum. Kartoffeln gibt es noch massig in den von den Einwohnern verlassenen Häusern, man muß nur die richtige Nase dafür haben. Kaffe wird an unserer Küche stibitzt, nur an Gewürz fehlt es. Butter kann man kaufen und Brot haben wir reichlich. Die Quartiere sind einigermaßen. Gerüchteweise wollen wir mal wieder nach Rußland kommen. Brief, Sorny, 09.12.1915: Meine lieben Eltern und Dittchen, unsere Leute mit einem ganzen Paket Post beglückt. Von Euch was dabei No 76, 77, 79, 80, 82, 84, 85 und der Brief von Dittchen. Danke vielmals. Mir geht’s immer noch gleich gut und bin immer gleich munter und fidel. Daß Ihr aber den Kopf hängen laßt, ist nicht recht von Euch! Und da nennt Tante Maria meine verehrte Mama eine „Heldenmutti“. Warum seid Ihr denn auf einmal so kopfhängerisch? Daß Heinrich im Graben sitzt, ist doch weiter nicht betrübend. Wieviel Tausende weilen im Graben, und es passiert noch lange nicht jedem ein Malheur. Und was nützt denn wirklich das Jammern. Man macht nur sich und anderen das Herz unnötig schwer. Habe hier noch keinen angetroffen, der nicht guten Mutes wäre. Alle sind gleich fidel, und ist mal einer etwas trüb gesinnt, so sorgen die Kameraden schon für Abhilfe. Genau so sollt ihr es auch machen. Von weitem sieht sich die Sache auch gefährlicher an, wie `s in Wirklichkeit ist. Unser Regiment hat z.B. während den 10 Tagen, die es im Graben war, keinen Toten und keinen Verwundeten gehabt! Warum sollte dasselbe nicht auch beim 4. Regiment der Fall sein. Sobald man draußen ist, glaubt man, es wäre unmöglich, daß einem was passieren könnte. Wir leben wie im tiefstem Frieden. Wir kochen, lesen, lachen und singen genau so, als wären wir wohlbehalten bei Muttern. Mein Taschengeld ist leider noch nicht angekommen. Hatte zum Abschied in La Fere noch mal gut gelebt. Spargel mit Schinken. Grog und ein Fläschchen Wein! Und dabei ist alles futsch gegangen. Welchen Erfolg der Eilbrief hatte, siehe Anlage! Die geschickten Zigarren bekommen wir als Portionen vom Regiment. Was die 30 Pf anbelangt, so behalte ich sie nicht im Kopf, aber in der Tasche! Ist das Gesuch schon beantwortet? Meine Weihnachtswünsche habe ich Euch ja schon geschrieben. Muß aber die Sehnsucht nach Kerzen besonders betonen. Für heute habe ich wohl genug erzählt. Schließe also mit vielen herzinnigen Grüßen und Küssen. Euer Willy Die Schrift ist so saumäßig wegen der schlechten Beleuchtung.

Tagebuch, Sorny, 19.12.1915: Mit dem Ausflug nach Rußland ist es nichts. Es ist zum Kotzen langweilig, Dienst haben wir nicht, draußen regnet es in Strömen und in der Bude ödet man die vier Wände an. Morgen werde ich einem Arbeitskommando zugeteilt, das Bäume fällt, schreinert und zimmert. Die fertigen Sachen werden dann nachts von uns in Stellung gebracht.

Soissons

20.12.1915 – 25.12.1915: Ich war zum ersten Mal in Stellung. Rechts von uns lagen die 25er. Die Unterstände waren in den Kellern des ziemlich zerschossenen Vauxrot. Ich lag in dem Keller einer schönen Villa, unmittelbar an der Chaussee und der zerstörten Destillerie. Die Stellung lief vor und durch den Ort, die Küche lag hinter einem kleinen Hügel, durch den ein Stollen getrieben war, so daß man unterirdisch aus der Stellung zur Küche gelangen konnte. Tagebuch, Bassoles, 26.12.1915: Am 25.12. wurden wir abends 8 Uhr abgelöst, um ungefähr 30 km bis hierhin zu laufen. Es war stockdunkel und der Regen goß nur so. Da war das Marschieren bei den aufgeweichten und schlechten Straßen kein Vergnügen. Wir hatten vorne noch unsere Weihnachtspost erhalten, die wir nun wieder den weiten Weg zurückschleppen konnten. Auch das erhöhte nicht die Vergnügen des Nachtmarsches. Nächstes Weihnachten ist hoffentlich noch gemütlicher! – Heute hatten wir Bescherung, wirklich fein. Kuchen, Printen, Nüsse, Wurst, Schreibpapier, Rauchwaren, Wäsche und allerhand Kleinkram. Eine große Scheune war als Festsaal ausgeschmückt. Sogar einen geputzten und brennenden Baum hatten wir. Nach Liedervorträgen unseres Chores und der Rede des protestantischen Pfarrers gabs noch Bier, Wein und Grog. Tagebuch, Sorny, 06.01.1916: Wir bleiben immer je 10 Tage in Stellung, Ruhe und Reserve. In den letzten 10 Tagen hatten wir nur 1 Toten und 3 Verwundete. Rechts und links von uns ist es unruhiger, hauptsächlich wird dort mit Minen geschossen. Wir liegen jedoch ungefähr 500 m vom Franzmann ab, das ist zuweit für Minen. Dafür bekommen wir etwas mehr Artillerie. Tagebuch, Sorny, 16.01.1916: Diese Nacht geht es wieder in den Graben bis zum 25.01. Tagebuch, Stellung Vauxrot, 22.01.1916: Selbst in Stellung können wir uns Sachen aus der Kantine mitbringen lassen. Wahrscheinlich bleiben wir dieses Mal etwas länger in Stellung, weil man befürchtet, daß die Franzosen zu Kaisersgeburtstag Biesterei machen. Das tun die Brüder nämlich mit Vorliebe an Festtagen. Bis jetzt (12 Uhr nachts) sind sie noch brav. Tagebuch, Stellung Vauxrot, 30.01.1916: Zu Kaisersgeburtstag haben wir noch nachträglich reichlich Katun bekommen. Es ist aber nichts passiert. – Mit Läusen bin ich bis zu 44 am Tage gekommen. Massenmord! – Den Willi Kuhn kenne ich noch von der Volksschule her. Mit dem habe ich zusammen vom Lehrer Henseler Hiebe gekriegt. Wer hätte da gedacht, daß wir uns mal im Schützengraben wiedersehen würden!

Tagebuch, Sorny, 01.02.1916: Am 30.01. haben wir unsere Stellung verlassen. Die Ruhestellung ist fortgefallen, weil wir den Regimentsabschnitt des Nachbarregiments links mitbesetzen müssen. Wir bleiben hier 10 Tage in Reserve. Als nachträgliches Kaisergeburtstagsfestessen gab es für die Gruppe 5 Flaschen Wein, 4 Kochgeschirre Bier und 9 Paar Würstchen. – Heute habe ich zum ersten mal nach 4 Monaten warm baden können. Wenn ich mal nach Hause komme, falle ich Euch zuerst um den Hals und dann in die Badebütt! Jetzt haben wir hier sogar auch ein Kino, in dem Regimentsmusik, die auch hier im Quartier liegt, spielt. Zweimal in der Woche ist Programmwechsel.

Tagebuch, Sorny, 09.02.1916: Wie gefallen Euch die beiden Bilder? Da keine Kantine ist, holen wir unsere Sachen bei der Kantine in Margival. Gestern sind wir schanzen gewesen, sonst werden wir in Reserve nicht viel belästigt.

Tagebuch, Stellung rechts vom Bahndamm bei Crouy, 18.02.1916: Bin seit 12.02. in Stellung und jetzt etwas weiter nach links gerutscht und liege mit 4 Kameraden in einem richtigen Unterstand. Es fehlt nicht an Komfort, wohl aber an Platz. Seit kurzem bin ich Handlager bei der Küche. Wenn ich nichts zu tun habe, strolche ich den ganzen Tag in der Gegend herum. Mein normales Arbeitspensum sieht folgendermaßen aus: 8 Uhr antreten bei der Küche, Wasserholen und Holz klein machen für das Mittagessen, Kartoffelschälen usw. Um 11 Uhr ist gewaltiges Knochen absuchen, an dem auch ich mich fleißig beteilige. Auf 12:30 Uhr ist das Diner festgesetzt. Um 1:30 Uhr wird wieder bei der Küche angetreten, um Wasser für den Kaffe zu holen und ähnliche Küchenarbeiten. Nach der Dunkelheit werden in Crouy an der Bagage Lebensmittel empfangen. Bei diesem Empfang geht auch schon mal ein Stück Fleisch oder sonst etwas „Verkimmelbares“ verloren, merkwürdigerweise immer dann, wenn gerade einer aus meiner Gruppe in der Nähe ist. Noch merkwürdiger ist es, daß, wenn ich nach des Tages Mühen und Lasten in meinen Palast zurückkomme, ein teil des Verlorenen gebraten und zurechtgemacht auf dem Tisch steht! – Der Pieck aus Brühl, den Ihr auch in Trier kennengelernt habt, ist gefallen. Tagebuch, Stellung Bahndamm, 28.02.1916: Heute ist es im Unterstand recht gemütlich. Soviel Betrieb bei Verdun zu sein scheint, so wenig merkt man hier vom Krieg. Mir geht’s sehr gut. Lieber wäre ich natürlich schon bei Euch, aber wer hier draußen wird seine Lieben nicht vermissen? Mit meinen Kameraden verstehe ich mich sehr gut, besonders Kuhn ist ein lieber, netter Kölscher Junge. Er kommt mich oft besuchen.

Tagebuch, Sorny, 05.03.1916: Bin wieder in Sorny und habe meinen Posten in der Küche gekündigt. Kuhn ist seit einigen Tagen bei einer Übungskompagnie, die hier in der Neuville sur Margival liegt, wohin wir auch mal zur Kirche gehen, wenn wir in Reserve liegen. Der Regimentsabschnitt wurde noch weiter nach links ausgedehnt. Unsere Kompagnie lag vom Bahndamm links bis unmittelbar an der Aisne. Auf der Mitte des Bahndamms war ein Postenloch, in das man von unten herauf durch einen Durchlaß hineinkletterte. Durch diesen Durchlaß floß sonst ein Bach, dessen Bett hauptsächlich als Graben ausgebaut war. In diesem Loch habe ich manche Stunde Posten gestanden. Am linken Flügel des Kompagnieabschnitts war auf einer hohen Pappel eine Kanzel als Beobachtungsstand angebracht. Auch auf diesen Baum bin ich oft als Posten hinaufgeklettert. Ferner wurde nachts ein Horchposten unmittelbar an der Aisne besetzt, den man durch einen Durchlaß im Drahtverhau erreichte. Hier war es am gefährlichsten, weil man leicht von feindlichen Patrouillen abgeschnappt werden konnte, aber wiederum auch am schönsten, da man dort nicht viele Vorgesetzte traf. Wir standen immer 2 Mann Posten, mit Ausnahme auf der Pappel, die nur ein kleines Brett als Sitzplatz hatte, auf dem sich 1 Mann gerade aufhalten konnte. Der Zugführer, ein früherer etatmäßiger Spieß und jetziger Offizierstellvertreter, mit Spitznamen „Husch-Husch“, hauste in einem Zigeunerwagen im Busch hinter der Pappel. Dieser Busch war stark versumpft, da sich der abgeleitete Bach hier verlief. Die ganze Stellung war, gegen die späterer Einsatzstellen gesehen, ein Idyll. Noch eine lustige Geschichte: In der Crouy Stellung erhielten wir zuerst die Gasmasken, deren Gebrauch fleißig Tag und Nacht geübt wurde. Nun hatten wir einen Leutnant Wolff (ich habe ihn nach dem Krieg in Hermülheim als Sekretär auf dem Bürgermeisteramt getroffen), der uns öfters nachts, wenn er Grabendienst hatte und besoffen war (dies war sein normaler Zustand) alarmierte. Er hatte dann einen Riesenspaß, wenn wir halb noch im Schlaf mit der Gasmaske vor dem Gesicht als halbblinde Hühner durch den Graben zu unserem Schützenplatz torkelten. Als uns dies nun doch zu toll wurde, haben wir einmal den Nachts beim Unterstand des Leutnants Gasalarm geschlagen. Als Alarmglocken dienten allgemein Blechbüchsen und andere Metallgegenstände, die am Eingang eines jeden Unterstandes hingen. Vorher hatten wir aber unmittelbar vor dem Ausgang des Unterstandes eine große Tonne in die Erde eingelassen, die wir aus der Latrine gefüllt hatten. Als nun der Leutnant auf unseren Alarm hin herausstürzte, – es konnte sich ja auch um einen Ernstfall handeln – fiel er wunschgemäß bis an die Brust in die Tonne. Da haben wir aber gelacht. Es ist nie herausgekommen, wer die Täter waren, obgleich wir zur Strafe nächtelang die Straße hinter der Stellung mit Besen und Spaten reinigen mußten. Als uns auch das zu toll wurde, haben die Posten im Graben während wir die Straße fegten, Handgranaten geworfen, wie verrückt geschossen und überhaupt einen möglichst großen Krach gemacht, worauf unsere Artillerie im Glauben, der Feind greife an, den Radau noch durch Sperrfeuer vergrößerte. Die Sache hat viel Staub aufgewirbelt und wurde von der Division untersucht. Über das Ergebnis haben wir nichts gehört, nun kam der Leutnant Wolff auf einmal nicht mehr zur Kompagnie und das Straßenkehren hörte auch plötzlich auf. Kurz darauf wurde auch der Kompagnieführer versetzt.

Tagebuch, Stellung Crouy, 18.03.1916: Jetzt ist es draußen so schön, daß man es im Unterstand nicht mehr aushalten kann. Bin heute mal über die Höhen hinter unserer Stellung (Chemin de dame) geturnt, von denen aus man einen groß-artigen Ausblick auf das Aisnetal und Soissons hat. Um diese Höhen ist früher heftig gekämpft worden, und ich habe noch manchen Toten gesehen, den das Artilleriefeuer wieder ausgebuddelt hat. In einem Graben kamen die Beine aus der Grabenwand heraus, die man beiseite drücken mußte, wenn man vorbei wollte. Brief Nr. 61, 19.03.1916: Liebe Eltern, gerade vom Posten zurückgekommen, will ich auch gleich Euch besuchen. Woher kam denn Adelchens große Sehnsucht nach Euch? Und geht denn Adele noch im-mer zur Spinnerei trotzdem es verheiratet ist? Ist es auch noch von August so entzückt, wie vorher? – Was hat Vater denn schon wieder in Brühl gemacht? Doch nicht “eingekauft“. Haben Bolligs nichts von mit gesagt? Bin lange ohne Nachricht vom Markt. – Dann habe ich auch wieder Wünsche, Vater kann also mal an seinen „Goldschatz“ gehen und was für sein „Söhnchen“ latzen. Zunächst waren die Ziga-retten so tipp topp, daß sie nach mehr schmecken. Hier sind nur noch 1 Pfennigzigaretten zu kaufen, und als „Offizier Aspirant“ kann ich mir eine so feine Sorte unmöglich leisten. Als zweites wünsche ich mir ein möglichst glattes Hemd, je weniger Falten drin sind, desto besser. Der dritte Wunsch ist mit entfallen, vielleicht komme ich nachher wieder drauf. Hat Vater mein Album jetzt ganz in Ordnung ge-bracht? Werde nächstens wieder revidieren kommen, denn jetzt soll’s wie-der Urlaub geben, Aller-dings wird der Krieg noch lange dauern müssen, ehe ich mal beurlaubt werde. Leider wird bei der Ur-laubserteilung nur die Zeit berücksichtigt, die man in der Kompagnie gewesen ist. – Daß ich während meiner ganzen Dienstzeit noch keine Stunde Urlaub gehabt habe, kommt also nicht in Betracht. Möc-hte doch zugerne mein liebes Mütterchen und den guten Papps mal wiedersehen. Ihr mich jedenfalls nicht, gelt? Nun, wenn mal der Frieden wieder da ist, bleiben wir immer zusammen und dann soll das Geburtstagspäckchen, „dann sollt Ihr im Sessel ruh`n und ich werd` die Arbeit tun“ in Erfüllung gehen. Für heute herzlichst. Lebt wohl Euer Willy Tagebuch, Stellung Crouy, 25.03.1916: Augenblicklich ist es in unserer Sommerfrische wenig gemütlich. Regen, Regen und dann mal etwas Regen. Die Langeweile und das Ungeziefer sind die schlimmsten Übel des Krieges, wenigstens hier. Wenn mal wieder die „Küsse von Mund zu Mund“ gehen, wird auch wieder eine bessere Zeit kommen. – Feine Kerle sind wir hier im Graben geworden: Morgens 9 Uhr muß der Anzug in Ordnung, die Stiefel gewichst und der Graben gefegt sein. Von jeder Gruppe hat ein Mann „Stubendienst“, der für Essen- und Kaffeholen und Sauberkeit in den Unterständen sorgen muß.

Tagebuch, Stellung Crouy, 04.04.1916: Wir hatten hohen Besuch im Graben: Generalmajor von Minkwitz, ein sehr netter leutseliger Herr. Postkarte Nr. 78, 06.04.1916: Liebe Eltern, würde Mutters Wunsch mal eine humoristische Karte von mir zu bekommen, gerne erfüllen, aber leider weiß ich wirklich nichts Ulkiges zu erzählen. Der versprochene Brief folgt erst morgen, denn erstens war kein Papier unten zu haben und zweitens habe ich die ersten Tage in Ruhestellung soviel zu tun, daß ich zu langen Briefen keine Zeit und Sammlung habe. Bis morgen also herzinnige Grüße und Küsse, Euer Willy.

Brief Nr. 82, Sorny, 09.04.1916: Meine lieben Eltern, nun ist die „große Wäsche“ glücklich vorüber, die Sachen sind geflickt und gereinigt, da habe ich denn jetzt Zeit und Gelegenheit, ein wenig mit Euch zu plaudern. Mir geht’s immer noch sehr gut. Wie sollte man sich bei dem herrlichen Frühlingswetter, bei Kinovorstellung und Musik auch nicht mollig fühlen. Um mein Wohlbefinden noch zu vergrößern, wird Euer Launemittel recht wirksam sein. Dem lieben Papps danke ich recht herzlich für seine „Anstrengungen“. Wie steht’s mit Euch? Hat Dittchen (Marianne Brach) von Heinrich wieder Nachricht bekommen? Wann geht denn eigentlich das Aachener Lisbethchen zur Kommunion? Mutter darf diese Einladung aber nicht mit einer Absage beantworten, Du kannst dann direkt zwei Fliegen mit einem Schlag treffen, warten doch auch Schwartz auf Deinen Besuch, liebe Mutter. Hat Frau Werheit Euch besucht? Sie schickte mir gestern ein Paketchen, in dem sie mir mitteilte, daß sie Euch in den ersten Tagen mal aufsuchen wolle. Auf meine Briefschaften an Krings, eine Karte und einen Brief, habe ich bisher noch keine Antwort erhalten. In Brühl scheint`s jetzt auch bald loszugehen, dann ist von der ganzen Gesellschaft Carl Cremers, Bühnemann, Witzheller, Aenne, Elly Lenhsen, Martha Liesenberg und meine Wenigkeit nichts mehr in Coeln zu finden. Wann werden wie wohl alle wieder so gemütlich zusammenkommen, wie am 14. Mai! Hoffe, daß dies recht bald sein wird und daß Euch dann ... in seine Arme schließen kann. Euer Willy Bei dem vielen Ungeziefer hatte ich mich unvorsichtiger-weise blutig gekratzt. In die offenen Stellen war Dreck hereingekommen und schon hatte ich die schönsten Geschwüre, hauptsächlich an den Beinen, so daß ich am 16.04.1916 zur Behandlung in die Regimentsrevierstube kam, die in Neuville sur Margival eingerichtet war. Tagebuch, Neuville sur Margival, 18.04.1916: Im Revier ist es ganz fein. Um 7 Uhr wird geweckt, anschließend Waschen und Kaffetrinken. Dann „entbinde“ ich mich, eine langweilige Arbeit, weil die Binden alle wieder fein säuberlich aufgewickelt werden müssen. Danach werden die Beine geschrubbt und gewartet, bis der Oberarzt kommt. Nach der Besichtigung ist es bald Zeit zum Essen. Hieran anschließend wird bis 3 Uhr gepennt, um 4 Uhr Kaffe geholt und um 9 Uhr liegt alles in süßer Ruh. Habe den PAss Klobach als Führer der 9. Kompagnie getroffen. Dieser Tage war auch der Kardinal aus Köln in Coucy le Chateau.

Tagebuch, Neuville sur Margival, 24.04.1916: Gestern habe ich großartig gelebt: Morgens Kaffe mit Marmeladenbrot, mittags Reis mit Büchsenfleisch, nachmittags Kaffe mit Brot, Käse, Blutwurst, Marmelade, 2 Rollmöpse und nachher Bier und Zigaretten! Lebt Ihr auch so gut? Der Arzt ist mit der Heilung sehr zufrieden. Schmerzen habe ich nur dann, wenn der Eiter ausgepreßt wird, aber auch das ist nicht so schlimm. Der Oberarzt ist nach Trier zurück, dafür haben wir einen Stabsarzt bekommen. Wir haben jetzt 2 Vergnügungslokale: das Kino und die Regimentsrevierstube! Wenn der neue Doktor beim Behandeln der „Schwerkranken“ „Bauch schwätzt“ haben wir das reinste Lachkabinett! Zuerst wußten wir gar nicht, woher die unmilitärischen und boshaften Bemerkungen herkamen, wenn der Doktor untersuchte, bis sich herausstellte, daß der Doktor Bauchredner ist. Tagebuch, Neuville sur Margival, 28.04.1916: Ich warte immer noch im Revier auf meine Entlassung. Der Stabsarzt will mich jedoch nicht eher herauslassen, bis alle Wunden verheilt sind. Bei dem schönen Wetter sitzen wir den ganzen Tag in der Sonne und dösen. Nur zu den Mahlzeiten erscheinen wir mit militärischer Pünktlichkeit! Dies ist mal ne feine Sommerfrische! Tagebuch, Neuville sur Margival, 30.04.1916: Am Montag geht’s wieder für ein paar Tage in den Graben. Schade, es war so schön hier. In Neuville ist auch die Kirche in der Professor Liebermann mich ohne mein Wissen gezeichnet hat. Zu der Zeit war ich noch rüstiger Krieger und nicht soooo schwer krank! Tagebuch, Stellung Crouy, 03.05.1916: Gestern nachmittag war ich Punkt 6 Uhr wieder im Graben. Wir haben jetzt eine wunderbare Gartenanlage in unserem Abschnitt. Meine Geschwüre sind vollständig verheilt. Während meines Aufenthaltes im Revier hatten wir einen neuen Kompagnieführer bekommen, einen Generalhauptmann. Ein ganz netter Herr, nur furchtbar kommissisch. Wer sein Gewehr vor dem Unterstand stehen ließ oder vergaß, seine Handgranaten vom Postenstand mitzunehmen, bekam bestimmt 3 Tage Mittelarrest, der in Margival abgebrummt wurde. Auch sonst machte er arg in Krieg, so daß die Franzmänner am 03.05.1916 mal zeigten, daß sie auch noch Artillerie hatten und uns stundenlang befunkten. Das war mein erstes größeres Artilleriefeuer, das ich bekam. Nachts sollten wir die am Tage eingeschossenen Gräben wieder aufbauen. Ich stand gerade Posten in dem vorgeschobenen Horchloch, als die Franzmänner uns nochmals mit Artillerie stark beschossen. Die Halunken hatten richtig vermutet, daß wir jetzt an der Instandsetzung der Gräben arbeiten würden. Da hats zum erstenmal eine Reihe Tote und Verwundete gegeben. Tagebuch, Stellung Crouy, 05.05.1916: Vorgestern habt Ihr mir aber gut den Daumen gehalten, denn trotz der Knallerei der Franzosen, bin ich wohlauf. Aber die Nacht vom 3. zum 4. Mai werde ich so schnell nicht vergessen.

Tagebuch, Sorny, 07.05.1916: Bin wieder in Reserve. Die im französischen Feuerüberfall Gefallenen haben wir gestern begraben. – Habe auch einen Brühler namens Zillikens vom Markt getroffen. Tagebuch, Sorny, 12.05.1916: Heute hatten wir Bataillonsübung, diesen Nachmittag müssen wir für das kommende Bataillonsfest arbeiten. Morgen früh um 6 Uhr ist Unterricht für die Zugführer- und Offizieraspiranten. Tagebuch, Sorny, 16.05.1916: Gestern hatten wir unser Bataillonsfest. Trotz des schlechten Wetters haben wir in Margival großen Betrieb gehabt. 100 m Laufen, Hindernisrennen und Staffettenlauf. Dann Schauturnen, Sacklaufen und Fußballspiel. Dazu Regimentsmusik, Mundharmonika und Quetschenbüggel. In einem Theaterstück tanzte eine unrichtige Dame mit einem richtigen Husarenleutnant, worüber der Ehemann eine fürchterliche Szene machte. Totgelacht haben wir uns. Postkarte, 22.05.1916: Ich stehe unten rechts bei den 4 und 5 Mann, die unten stehen, gefunden? Natürlich ist auch diese Karte fürs Album bestimmt. Morgen folgt eine zweite Aufnahme vom Bataillonsfest. Ich bin zwar nicht mit auf dem Bildchen, aber gelungen ist’s doch! Euer Paket mit Butter ist gut angekommen. Danke schön. An die zukünftige Schwiegertochter (Mutter scheint ja damit einverstanden zu sein) viele Grüße. Tagebuch, Stellung Crouy, 23.05.1916: Riesig langweilig ist es. Ab und zu mal schanzen, sonst Postenstehen. Die halbe Zeit liege ich im Bach, der durch unsere Stellung fließt und bade. Kamerad Robert aus Brühl auch dieser Tage gefallen. Tagebuch, Sorny, 07.06.1916: Morgen geht’s nach Anicy zur Badeanstalt und Entlausung. Tagebuch, Stellung Crouy, 26.06.1916: Seit meinem letzten Brief habe ich schon dreimal meine Wohnung gewechselt: von Reserve in den Graben, von dort zweimal umgezogen und bin jetzt glücklich Telefonist und Melde“reiter“. Tagsüber schlage ich mein Telefon im Freien auf, nachts verschwinde ich damit im Heldenkeller. Wir sind zu dritt. Beim letzten Marsch habe ich bald abgebaut. Ihr solltet aber auch mal sehen, was ein moderner Sandhase alles mitschleppt: Stiefel, Hose, Waffenrock, Koppel mit Patronentaschen, Seitengewehr, Schanzzeug, Brotbeutel, Feldflasche, Gasschutzmaske und 150 Patronen. Dann kommt noch der Schrank, unsere „Aap“, in dem Schnürschuhe, Wäsche, Brot, Liebensgabenpaketchen usw. sind. Außerdem schleppt jede Gruppe noch eine Karbidlampe mit Zubehör, die abwechselnd getragen wird. Das Ganze krönt ein Stahlhelm von 2 Pfund. Wenn wir so in Urlaub kämen, liefen einem die Hunde nach.

Tagebuch, Stellung Crouy, 08.07.1916: Habe hier einen großartigen Garten entdeckt, der noch picke packe voll Obst ist. Hätte ich genügend Zucker, könnte ich fein für Euch einmachen. Ihr tut immer so, als müßte ich alles entbehren, dabei habt Ihr doch selbst Mangel an allem Möglichen. – Kuhn ist jetzt im Bataillonsbackes als Knudel tätig. Von morgen ab gibt’s für jeden Mann täglich 1 Brödchen – Postgehilfe Brandenburg ist auch gefallen. – Unter Postenstehen versteht man folgendes: Tag und Nacht stehen von jeder Gruppe einige Mann in dem der Gruppe zugewiesenen Ab-schnitt der Stellung in voller Kriegsbe-malung und passen auf den Franzmann auf, daß er keine Dummheiten macht und vielleicht mit Gas stinkt. Bei schönem Wetter und am Tage ist das keine unangenehme Sache. Nachts ist es schon etwas anderes. Erstens muß man meistens aus dem besten Schlaf heraus, dann wird auch die Grabenbesatzung verdoppelt, so daß man nur 2 Stunden, statt 4 Stunden Ruhe hat. Man wackelt nach im Halbdusel auf seinen Posten, nachdem der Grabenunteroffizier geweckt hat, und läßt sich von den alten Posten sagen, daß es nichts Neues gäbe. Dann guckt man 2 Stunden lang in die Gegend nach dem bösen Feind, raucht wohl auch mal in der hohlen Hand eine Zigarette, was natürlich verboten ist, und wartet vor allem auf die Ablösung. Bei Regen, Schnee und Kälte ist das manchmal ein zweifelhaftes Vergnügen. In den Ruhepausen wird geschlafen oder Karten gespielt, Herzblättchen, Mauscheln usw. Meine Partner sind hauptsächlich ein Straßenbahnschaffner Fritz Stein aus der Otto Fischer Str., ein Schornsteinfeger Schlunz aus Neuss und ein Pferdeknecht aus der Huhnsgasse. Wir verstehen uns tadellos. Auf Posten wird auch schon mal was erzählt oder man denkt so an allerlei, z. B. an die lieben Eltern, die teure Schuhwichse, an Cousinen und Freunde, an Examen und Insektenpulver usw. Dabei darf man den Franzmann nicht vergessen, der einen mitunter sogar auf einem gewissen Ort noch nicht mal in Ruhe läßt. Bei uns sind vor kurzem auf der Latrine einige Kameraden durch Granaten den „Heldentod“ gestorben! – Jetzt bin ich gerade von dem „weniger schönen“ Postenstehen zurückgekommen. Es strömt draußen und ich bin klätschnass. Da werden zuerst mal die Stiefel ausgezogen und gegen Schnürschuhe gewechselt, trockene Wäsche angezogen und die nasse zum Trocknen aufgehängt. Dann wird das Gewehr gereinigt und, wenn noch Zeit ist, etwas gepennt. Wir habens hier noch gut, aber die armen Kerle bei Verdun und Arras werden allerhand mitmachen müssen. Tagebuch, Sorny, 13.07.1916: Sind wieder in Ruhe. Habe mir mal die Artilleriestellung angesehen. Ein Oberleutnant hat uns Aspiranten geführt. Die Artillerieoffiziere haben ein wunderbares Blockhaus im Walde. Direkt darunter ist ein betonierter Unterstand, in den vom „Gesellschaftszimmer“ aus eine Rutschbahn führt, damit man bei dicker Luft schnell verschwinden kann. Vom Beobachtungsstand aus hat man einen großartigen Ausblick auf Soissons und die Stellungen. Durch das Scherenfernrohr habe ich ganz deutlich die Franzosen herumlaufen sehen. Bin auch nochmal in den Gräben gewesen, um die im Januar 1915 so schlimm gekämpft worden ist. Jetzt noch liegen dort Helme, Tornister und Seitengewehre herum. Zahlreiche Gräber beweisen die hohen Verluste, die die Kämpfe gekostet haben. Unten in Bray ist ein kleiner Friedhof, wunderbar angelegt mit Grabsteinen und eingefaßt mit einem Birkenholzzaun. – In Ruhe haben wir folgendes zu tun: 7:45 Uhr Arbeitseinteilung, dann Wegebau, Erntearbeit, Scheibenbau usw. Der Rest der Kompagnie exerziert bis 12 Uhr. Um 2:15 Uhr wieder Arbeitseinteilung, Appell und Unterricht. Ich habe heute Mist auseinandergeworfen und Heu gewendet bis um 6 Uhr.

Tagebuch, Stellung Crouy, 28.07.1916: Mit der Beförderung ist es bei unserer Kompagnie faul, da wir zuwenig Abgang haben. Wir Telefo-nisten werden von den Kameraden vorn als „Etappenschweine“ bezeichnet. Eine Villa bewohnen wir ja gerade nicht, aber 3 Keller. Im ersten liegt der Kompagnieführer, im zweiten wohnen seine Herren Burschen und im dritten leben die „auch Herren“ Telefonisten. Wir haben sogar ein richtiges Bett, allerdings ohne Bezüge. Zwischen der Stellung und Sorny liegt in einem Wald ein Barackenlager, in dem auch Teile von unserem Regiment in Reserve liegen. Dort ist auch Kirchgang. Sogar eine Kegelbahn haben die Brüder dort. Bald werde ich wohl am Telefon überzählig sein. – Von Kamphoff habe ich nichts mehr gehört. Er war an der Somme. Hebt das beiliegende Bild gut auf, vielleicht interessiert sich die Nachwelt mal dafür, wie der Musketier Britz anno 1915 ausgesehen hat. Für alle Großen schwärmt man ja später! Tagebuch, Stellung Crouy, 02.08.1916: Gerade weihen die Franzmänner das dritte Kriegsjahr etwas verschämt laut ein. Sitze immer noch in meinem Telefonkeller. Leider ist der Urlaub auf unbestimmte Zeit gesperrt. Vom 08.08.1916 bis 27.08.1916 waren wir in der Champagne. Wir lagen zwischen Tahure und Somme Py. Reservestellung war ein langer Tunnel, der wie eine Kaserne ausgebaut war. Diesen langen Tunnel hatten die Franzmänner anfangs des Krieges dadurch gesprengt, daß sie von beiden Eingängen aus Lokomotiven mit Dynamit aufeinander fahren ließen. In der Mitte des Tunnels war ein riesiger Sprengtrichter. Die Champagne ist wenig bewohnt, furchtbar öde und riesig dreckig. Der ewige Kreideschlamm war nicht aus den Kleider herauszukriegen. Auch nicht das Ungeziefer! Eine miese Gegend. Tagebuch, Champagne, 10.08.1916: Liege in einem saumäßig dreckigen Nest, dessen Name ich noch nicht einmal kenne. Als Quartier haben wir einen Kuhstall, den wir zunächst noch ausmisten mußten. Kuhn ist auch in meiner Gruppe. Mit dem Besuch von Heinrich Brach in Bray ist es durch unseren Abmarsch nichts geworden. Tagebuch, Stellung vor Tahure, 23.08.1916: Habe den Christian Weiler getroffen, der gar nicht weit von mir in Stellung liegt. – Dieser Tage las ich in der Zeitung folgende Anzeige: Suche eine robuste, freche, rücksichtslose Person, die eine ältere Frau bei der Belagerung der Lebensmittelgeschäfte vertreten kann. War Mutter etwa die Auftraggeberin? Doch ein schlimmes Zeichen der Zeit, nicht wahr? Tagebuch, Ort unbekannt, Nähe Somme, 01.09.1916: Bin mal wieder in der Weltgeschichte herumgeflogen. Gerade wollte ich Gustav Witzheller in Vouziers besuchen, als wir verladen wurden. Bin z. Zt. in einem Flammenwerferkursus. Wir liegen in einem großen Dorf, in dem noch Zivilisten sind. Auch sind viele Flüchtlinge aus den beschossenen Gebieten hier. Eine elende Sache ist das.

Tagebuch, Ort unbekannt, Nähe Somme, 05.09.1916: Liege noch im gleichen Ort. Meine Adresse: Musketier B 185 Inf Div Reg 161 Sturmabt.d Tagebuch, Ort unbekannt, Nähe Somme, 06.09.1916: Liege jetzt in einem französischen Städtchen. Heute morgen waren wir schanzen. Habe ein schönes Quartier. Hier wird nicht geschossen, wenigstens nicht mit Artillerie und Gewehren! Wir bilden eine besondere Abteilung aus allen Regimentern der Division und sind, wie unsere Leutnant sagt, „alles ausgesuchte Leute“. Was unser Kriegerverein eigentlich soll, weiß ich noch nicht. Von den Sommekämpfen habe ich verhältnismäßig nur wenig Aufzeichnungen, da es dort vielfach an Sinn und Gelegenheit zum Schriftstellern fehlte. In all den umstrittenen Orten, wie Combles, Morval, Sailly, Longueval, Ginchy usw. bin ich mehrmals gewesen. Von Combles sind mir noch die großen Höhlen in denen wir gelegen haben, in Erinnerung. Den Hohlweg von Morval kann ich mir noch gut vorstellen mit seinen in die Böschung gegrabenen Löchern, in denen Lebende mit Toten und Verwundeten lagen. Den Sturm auf das Leuzewäldchen am 12.09.1916 vergesse ich nie. Als Sturmtrupp von 250 Mann mit 3 Offizieren sollten wir die Engländer aus dem Wäldchen herauswerfen, die in den Teil unserer Stellung eingedrungen waren, der durch das Wäldchen lief. Die Einbruchstelle war sowohl von den Deutschen als auch von den Engländern durch Barrikaden abgeriegelt. In dem unbesetzten Zwischenstück lagen zahlreiche tote Deutsche und Engländer. Eine Behelfsstellung war im Halbkreis um das Wäldchen angelegt, von der aus wir über Deckung vorstürmen sollten. Ich war auf dem linken Flügel angesetzt, hatte also die kürzeste Strecke bis zu den Engländern, da ich ungefähr parallel zu dem erwähnten unbesetzten Graben vorlaufen konnte. Nach kurzer Artillerievorbereitung sprangen wir auf die Deckung. Gleich zu Anfang verloren wir unsere 3 Offiziere. Trotzdem kam unser linker und rechter Flügel bis auf wenige Meter an die Engländer heran, während unsere Mitte infolge des weiteren Weges zurückblieb. Während des Vorlaufens hatten wir große Verluste durch Maschinen- und Gewehrfeuer. Vor der englischen Stellung sprangen die wenigen Mann, die noch in meiner Nähe waren, in die Granatlöcher und warfen von dort aus Handgranaten. Ich habe von dort einem flüchtenden englischen Maschinengewehr durch Handgranaten Verluste beigebracht. Ich lag allein in einem Granatloch, das voller Leichen war, die zum Teil schon in Verwesung übergegangen waren. Die waren Gefallene aus den früheren Kämpfen, die aus den Gräben über die Deckung geworfen waren, da die Gräben frei sein mußten und an ein Zurückschaffen oder Beerdigen der Toten nicht zu denken war. Nachdem wir unsere Handgranaten verworfen hatten, wurde es in meiner Nähe ruhiger. Unsere Mitte war überhaupt nicht bis an den englischen Graben heran gekommen und auch von den anderen sah ich nichts mehr. Unser Ansturm war restlos abgeschlagen. Die Engländer hatten jetzt Zeit, jeden einzelnen Deutschen, der noch vor ihrem Graben sichtbar wurde, einzeln aufs Korn zu nehmen und abzuschießen. Mehrmals habe ich versucht aus meinem Granatloch hochzukommen, mußte mich aber jedesmal mal wieder hinwerfen, weil ich sofort Gewehr- und Maschinengewehrfeuer bekam. Wielange ich in dem Trichter gelegen habe, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich nur noch, daß ich durch das unbesetzte Grabenstück zu unserer Barrikade zurückgelaufen bin. Dort fand ich noch 8 bis 10 Mann von unserem Sturmtrupp vor. Wir sind dann nochmals unter Führung eines Unteroffiziers und meines Korporalschaftsführers, des Gefreiten Schmitz aus Köln, über unsere Barrikade gesprungen und haben versucht, den Graben mit Handgranaten aufzurollen. Wieder kamen wir bis um die letzte Schulterwehr, also kurz bis vor die Engländer, wurden dann aber durch Maschinengewehr, das die Engländer in ihrer Barrikade aufgebaut hatten, bis auf Schmitz und mich niedergeschossen. Schmitz lief an erster Stelle, ich dahinter und reichte ihm abgezogenen Handgranaten an. Daß wir verschont blieben, ist ein Wunder. Wir beide haben dann noch den Unteroffizier, der durch den Hals geschossen war, hinter die Schulterwehr geschleppt. Während Schmitz versuchte, den Unteroffizier zu verbinden, habe ich vor der Schulterwehr nach dem Feinde gesichert. Nach wenigen Minuten war der Unteroffizier jedoch verblutet und Schmitz und ich sind dann zum drittenmal über die Toten in dem Grabenstück nach unserer Barrikade zurückgelaufen. In Etricourt fanden wir von unserem Sturmtrupp noch stark 30 Mann vor, die uns auch schon verloren gegeben hatten. Wir blieben der Rest der Kompagnie von 250 Mann.

Tagebuch, Etricourt, 13.09.1916: Bei dem furchtbaren Durcheinander ist es mir unmöglich, jeden Tag zu schreiben. Gestern wurden wir plötzlich alarmiert. Morgens hatten wir noch geübt und nachmittags an dem Ausbau eines Grabens gearbeitet. Wir sollten die Engländer, die in einen Teil unseres Grabens eingedrungen waren, wieder herauswerfen. Zweimal haben wir es versucht, beide Male mißlang die Sache. Vorne ist es furchtbar, viele Tote, starke Verluste auch an Verwundeten, kein warmes Essen, dauernd Artillerie usw. – Heute früh mußten die Bewohner das Dorf plötzlich räumen. Erst am Abend vorher war es ihnen angekündigt worden. Die Leute durften nur das Allernotwendigste mitnehmen. Das zurückgelassene Zeug wurde sofort von uns auf seine Brauchbarkeit hin untersucht. Ich prange jetzt in einem Hemd mit bleckem Hälschen! Leider erhalte ich gar keine Post von Euch. Tagebuch, Etricourt, 14.09.1916: Scheinbar haben wir uns bei dem Sturm so bewährt, daß man uns jetzt mit dergleichen Sachen verschonen will. In dieser Nacht haben wir uns trotz starken Artilleriefeuers ziemlich ungestört geschlafen. Der nicht in der Biesterei dringesteckt hat, kann sich unmöglich einen Begriff von dem Betrieb hier machen. Die Leute sollten mal so, wie sie aus Stellung kommen, auf der Hohestraße ausgestellt werden, dann vergingen den Modejecken die tollen Flausen. Wenn man bedenkt, wie dagegen manche Leute leben, bekommt man eine Stinkwut. – Eine Freude hat mir hier die Stellung aber doch gebracht. Auf meinem Rückweg aus der Stellung treffe ich in einem Unterstand, in den ich wegen Artilleriefeuer gesaust war, den Christian Weiler. Leider war die Zeit nicht zum Plaudern geeignet, so daß wir nur wenige Worte mit einander sprechen konnten. – Aus der Stellung geht man nicht in geschlossenen Verbänden, sondern jeder sieht zu, daß er nach der Ablösung möglichst bald und ungeschoren nach hinten kommt. Meistens bleiben immer ein paar Mann zusammen, um sich eventuell gegenseitig zu helfen. Alle Soldaten, die an der Somme gekämpft haben, verdienen wirklich einen Erholungsurlaub, denn alles, Offizier wie Mann, sieht schlimm aus, wenn er aus Stellung kommt. – Habt Ihr den Heeresbericht über unser Regiment gelesen? Oh, welche Lust, 161er zu sein! Tagebuch, Etricourt, 15.09.1916: Heute nachmittag habe ich einen Fliegerkampf aus unmittelbarere Nähe beobachtet. Wir standen auf dem Appellplatz als plötzlich 4 Engländer erschienen und Bomben warfen. Auf einmal saust ein Fokker zwischen die Bande, der die Engländer mit seinem MG tüchtig befeuerte. Drei Engländer hauten ab, während der vierte durch den Deutschen zu Boden gedrückt wurde. Die Fokker flog immer unter tüchtigem Feuern in Spiralen über dem Engländer, bis der steil zu Boden schoß und in unserer unmittelbaren Nähe landete. Alles rannte hin, obgleich der verwundete Engländer noch mit MG auf uns schoß. 2 Minuten später kam der deutsche Flieger im Auto angefahren. Es war Lt. Wintgens, der sein 16. Flug-zeug abgeschossen hatte. Da haben wir aber feste Hurra gebrüllt. Gestern stürzte weiter ab ein Flugzeug brennend ab. – Heute habe ich mal meine Kompagnie besucht, die 2 Stunden entfernt von hier liegt. Sie hat 140 Mann Verluste gehabt. Alle Offiziere und Feldwebel sind gefallen oder verwundet.

Tagebuch, Ort unbekannt, 21.09.1916: Bin nun glücklich mit heiler Haut der Somme entkommen. Liege jetzt 40 km hinter der Front in Ruhe wieder bei meiner Kompagnie. Von den 12 Mann, die z. Zt. von unserem Regiment zum Sturmtrupp gekommen sind, sind noch 4 Mann da, von der ganzen Kompagnie von 250 noch 33. – Von Kuhns Tod kann ich nur das sagen, was ich bei der Kompagnie gehört habe, weil ich zu der Zeit ja beim Sturmtrupp war. Er ist danach von einem Flieger, der nur 50 m über der Stellung flog, durch Kopfschuß mit MG gefallen. Er liegt noch vorn. – Nach unserem Sturm sind wir nicht als Sturmtrupp eingesetzt worden. Wir waren nur noch schanzen und Lebensmittel und Munition nach vorne bringen, wobei wir auch noch Verluste hatten. Eines Morgens, als ich gerade von vorne kam, treffe ich den Postgehilfen Graff aus Köln, mit dem ich zusammen auf dem TA war. Am 18.09. hieß es plötzlich feldmarschmäßig antreten und alles hoffte schon, der Sturmtrupp käme von der Somme fort. Statt dessen wurden wir auf das I. Bataillon, das gerade in Stellung ging, verteilt und gingen mit nach vorn. Kurz hinter der Artilleriestellung bekamen wir auf der Straße Sailly-Combles einen Volltreffer in die Kompagnie, die gerade wegen einer Stockung dicht zusammenstand. Im Nu spritzte alles auseinander. Ich sprang in einen Trichter eines schweren Schiffgeschützes. Neben mir lagen mehrere Verwundete und ein Kamerad, dem auch nichts passiert war. Unter den Verwundeten war auch der Kompagnieführer. Wir beiden Unverwundeten haben alle behelfsmäßig verbunden und dann in die Artilleriestellung geschleppt, von wo wir die Schwerverwundeten mit der Munitionskolonne nach Sailly schafften. Ich bin dann zur 5. Kompagnie gegangen und habe abends noch Lebensmittel in Stellung gebracht. Tagebuch, Stellung Crouy, 26.09.1916: So eine ruhige Stellung, wie hier gibt es nicht noch einmal. Die ganze Nacht und den ganzen Tag über ist kein einziger Artillerieschuß gefallen. Das ist wirklich eine Erholung, zumal, wenn man Aussicht auf 10 Tage Urlaub hat!! Kennt Ihr den Averdung aus Vochem? Er ist mit dem neuen Ersatz gekommen. Tagebuch, Stellung Crouy, 30.09.1916: Josef Weber aus Brühl war bei der 9. Kompagnie. Er liegt z. Zt. verwundet in Calcar. Tagebuch, Sorny, 03.10.1916: Augenblicklich liege ich wieder in Ruhe und habe ein Pöstchen oben als Meldereiter und Laufjunge. Brief, Crouy, 15.10.1916: Liebe Eltern, nachdem vor einigen Tagen die eisernen Kreuze an die übriggebliebenen Sommekrieger (ca. 28 von 40 Mann) verteilt worden sind, kam heute die Beförderung heraus. Von den alten Gefreiten sind eine Anzahl Unteroffiziere geworden u. a. 12 Mann zum überzähligen Gefreiten ernannt worden. – Gott sei Dank, daß die Verwendung von Tante Lilly nichts genutzt hat. Es wäre mir doch ein recht peinliches Gefühl gewesen, wenn ich, um die Knöpfe zu bekommen, andere Leute hätte in Anspruch nehmen müssen. Wenn ich einen passenden Grund gefunden hätte, würde ich die Verwendung überhaupt dankend abgelehnt haben. Etwas anderes aber schmerzt mich mehr und das ist, daß der Urlaub wieder für einige Tage gesperrt ist. Wenn man so kurz davorsteht und es kommt einem dann andauernd etwas dazwischen, so ist das doppelt ärgerlich. Über beiliegende Karte habe ich mich sehr gefreut, dat Barönchen ist wirklich ein lieber Kerl. Was ich seiner Zeit über die Verpflegung schrieb, ist wirklich wahr. Wir bekommen alles reichlich und gut. Die nächsten Tage werden wir wohl sogar in Saus und Braus leben. Denn unser Wetter, ein Junge vom Land, hat alles mögliche von daheim mitgebracht. Schnaps, Fleisch, Butter, Käse und weiß Gott, was für Eßwaren sonst noch. Alles wird brüderlichst geteilt. Aber wenn`s auch wirklich mal knapp werden solltet, braucht nicht zu fürchten, daß ich müssen werde. Denn ich bin fest überzeugt, daß die Heeresleitung bemüht ist ihr Bestes für uns zu tun. Wenn man aber manchmal die Kameraden bei andern die, die am besten Raten, hört, sollte man meinen, sie wären am verhungern oder stürben an Strapazen und Entbehrungen. Dann kann ich mich jedesmal schwarz ärgern. Na, im Urlaub wird`s an Gesprächsstoff nicht fehlen. Vaters Unverschämtheit, Verzeihung Päppchen, macht sich doch manchmal recht gut bezahlbar. Oh, diese Britze. Ich meine die hätten doch genug während des Krieges „gelitten“, so daß sie ??? ihren Verwandten doch richtig etwas zukommen lassen könnten. Ein Glück, daß wir sie nicht ernstlich nötig haben. – Soeben habe ich ein wunderbares Nachtkonzert und zwar musizieren die Telephonisten vorne in Stellung und ich sitze 1500 m davon fort und hör`s doch ganz genau. Wie das kommt? Nun ganz einfach, wofür haben wir denn das Telephon! Die schalten ihren Telephonkasten ein und hier hört sich das ganz an wie ein Phonograph . Ja so vertreibt man sich die einsamen Nachtstunden. Nun empfangt 1000de Grüße und Küsse von Eurem Willy.

Brief, 17.10.1916: Liebe Eltern, nun lacht, bitte, nicht, ob meiner merkwürdigen Fragen. Aber, wenn man so nachts stundenlang vor sich hindösen muß, dann kommen einem die absonderlichsten Gedanken: Wieviele und was für Leute wohnen noch bei uns im Hause“ Auch junge Mädchen oder junge Witwen ohne Kinder, in die ich mich verlieben könnte? Und was für ein Sonntags-Kleid und –Hut trägt Mutter jetzt? Auch modern und halblang? Trägt Vater noch immer keinen „Kniff“ in der Hose? Ich muß selbst staunen, wofür man sich im Felde noch interessieren kann. Aber Langeweile haben, das sagt der Welt genug! Wie geht es Adelchen und Ob, ist Agnes noch immer nicht verheiratet. Ach ich hätte noch so viel zu fragen, aber dann würde die Welt die Bücher nicht fassen können, die zu schreiben wären, wie die Bibel sagt. Hat Vater sich mal nach dem Apparat umgesehen? Wißt Ihr, wonach ich auch noch Sehnung habe? Nach dem Klavier. Tatsächlich, hätte gar nicht geglaubt, daß man die Musik so lieb gewinnen könnte. Am meisten freue ich mich natürlich auf ein Wiedersehen mit Euch, das ist klar, aber auch alles, was mit Euch und meiner Jugend zusammenhängt möchte ich noch mal aufleben lassen. Wenn ich J. B., den ollen Kleiderschrank, wiedersehe, dann fällt mir gewiß wieder die Episode mit C. Büttejütt ein, wie wir 2 da durch das Dach purzelten. Puh, ich werde sentimental. Will da doch lieber aufhören sonst komme ich schließlich noch auf meine erste unglückliche Liebe und muß heulen und zum Weinen bin ich heute ganz und gar nicht aufgelegt, so sehr freut sich auf ein Wiedersehen Euer Willy. Tagebuch, Stellung Crouy, 22.10.1916: Unser Feldwebel ist ein sehr netter, gebildeter Herr. Er war früher Oberkellner im Excelcior Hotel in Köln, er spricht 4 Sprachen. Vom 29.10.1916 bis 11.11.1916 hatte ich meinen ersten Heimaturlaub. Tagebuch, Crouy, 12.11.1916 Nach 23stündiger Bahnfahrt bin ich wieder in unserer angestammten Heimat gelandet. Mein Regiment war jedoch nicht mehr in der alten Stellung, sondern seit dem 08.11.1916 wieder an der Somme eingesetzt. Mein Vater hatte dies schon während meines Urlaubs gewußt, ohne mir jedoch etwas davon zu sagen. Ich war Transportführer der Urlauber unseres Regiments und hatte, da ich von der Verlegung ja nichts wußte, die ganze Gesellschaft wieder nach Crouy gebracht. Zum Abschied war mein Vater zum ersten- und letzten Mal mit zum Bahnhof. Ihm wird’s wohl auch nicht wohl zu Mute gewesen sein, da er wußte, wohin ich wieder mußte. Nach meinen Aufzeichnungen haben wir am 12.11. in Laon, am 13.11. in Bussigny übernachtet. Am 14.11. sind wir über Villers Dubreux nach Aubenscheul marschiert. Am 15.11. Ankunft in Le Catelet Gouy, am 16.11. in St Emile übernachtet und am 17.11. haben wir in Sorel le Grand unsere 5. Kompagnie wiedergetroffen. Tagebuch, Laon, 13.11.1916: Nach manchen Irrfahrten bin ich in Laon gelandet. Während wir uns freuten, ist mein Regiment verlegt worden. Kein Mensch weiß, wohin. Muß nun zusehen, wo in Frankreich ich meine Kompagnie wiederfinde.

Tagebuch, Aubenscheul, 14.11.1916: Dauernd noch auf der Suche. Tagebuch, La Catelet Gouy, 15.11.1916: Da es bisher nicht gelungen ist, mein Regiment zu finden, sind wir immer noch unterwegs. Weiß der liebe Herrgott, wo wir landen. Tagebuch, Sorel le Grand, 17.11.1916: Heute morgen sind wir Urlauber nach den unmöglichsten Irrfahrten heil bei unserer Kompagnie gelandet. Ins Telefonzimmer bin ich nicht mehr gekommen. Dadurch, daß ich in Urlaub war, sind mir viele bösen Stunden erspart geblieben. Unser Bataillonsführer, Hauptmann Denk ist gefallen, der Kompagnieführer Darius verwundet. Am gleichen Tage gingen wir abends Munition und Lebensmittel nach vorn bringen. Die Stellung verlief jetzt durch SaillySaillyselles bis zum Saint Piere Vast Wald, von dem allerdings nur noch Baumstümpfe vorhanden waren. Einen Graben gabs überhaupt nicht, alles lag in Granatlöchern. Der Weg nach vorn war furchtbar. Alles verschlammt und voll Wasser. Wir gingen immer der früheren Feldbahn entlang, die völlig erschossen war, einer hinter dem anderen, immer besorgt, nur nicht den Anschluß an den Vordermann zu verlieren. Einer besonders üblen Stelle weiß ich mich noch zu erinnern, ein Hohlweg an der Straße Sailly-Mannancourt, den wir durchqueren mußten. Die Böschung war völlig zerwühlt und zertrampelt, da jeder in die Fußstapfen seines Vordermannes trat. Das Wasser lief einem dort oben in die Stiefel hinein. Einmal blieb mir ein Stiefel im Schlamm stecken und ich bin mit nur einem Stiefel zurückgelaufen. Wer vom „Wege“ abkam, oder verwundet in ein Granatloch fiel, ertrank unweigerlich, wenn ihm nicht die Kameraden halfen. Die Transportgänge waren mit Recht sehr wenig beliebt. Tagebuch, Bantouzelles, 21.11.1916: Bin im Lazarett, um mir eine neue Brille zu holen, da die alte irgendwo vorn liegt. Morgen geht es nach Etricourt zurück zur Kompagnie. Stimmung mau, habe noch zuviel Nachgeschmack vom Urlaub. Habe täglich abends Essen und Munition nach vorn gebracht. Stellung bei Sailly. Kein Graben, nur Löcher. Schrecklicher Matsch. Von 280 Mann noch 70 da. Tagebuch, Etricourt, Wieder Essentragen. Betrieb. Totmüde.

22.11.1916: Scheußlicher

Tagebuch, Etricourt, 23.11.1916: Ausgepennt und den ganzen Morgen gefuttert. Abends 11:30 Uhr vorderste Stellung besetzt. Tagebuch, Sailly, 24.11.1916: Liegen 20 m bis 30 m vom Franzosen ab, links von Sailly, rechts vom St. Piere Vastwald. Furchtbarer Betrieb hier. Schlamm, Morast, alles, was man anfaßt verdreckt. Liegen in einem großen Granatloch zu 9 Mann. Als Unter-stand Zeltbahn, dabei nichts wie Regen. Habe Rheuma und Reißen. Sehr, sehr un-behaglich. Abends mehrmals Feuerüberfall. Liege verhältnismäßig gegen Artillerie geschützt. Leiden dafür unter Minen, Hand- und Gewehrgranaten. Eben Nachbargruppe durch Volltreffer vernichtet. Alles tot oder verwundet. Tagebuch, Sailly, 25.11.1916: Patrouille durch Sailly-Sailleselles. Einen Verwundeten mitgebracht. Sonst Betrieb wie gestern. Tagebuch, Stellung Sailly, 26.11.1916: Morgens Lebensmitteltransport beschossen. Hauptmann der MG durch Kopfschuß gefallen. Stimmung noch gedrückter. Bin nicht mehr gern Soldat. Schreckliche Nacht. Krank. Morgens 5 Uhr ab-gelöst durch 8/28. Rückmarsch nach Etricourt mit Schlunz. Totmüde. Essen vorhanden, soviel man will. Tagebuch, Etricourt, 27.11.1916: Tagsüber Brocken gereinigt. Sollen abgelöst werden. Wollens hoffen. Tagebuch, Stellung Sailly, 28.11.1916: Gehen abends in Stellung. 8:45 Uhr sind wir wieder in den alten Löchern. Tagebuch, Stellung Sailly, 30.11.1916: Werden abends 12 Uhr wieder abgelöst und rücken nach Etricourt. Tagebuch, Etricourt, 02.12.1916: Heute bin ich 1 Jahr bei der Kompagnie. Zum Gefreiten und EK vorgeschlagen. Gegen 4 Uhr nachmittags Lebensmittel in 2. Riegelstellung gebracht. Tagsüber sieht man erst die vielen Toten, auch Pferde liegen dutzendweise herum. Tagebuch, Etricourt, 04.12.1916: Sollen heute endlich wegkommen. Zu guterletzt Gasüberfall auf Etricourt. Mit Ablösung auf morgen früh vertröstet. Jeden Abend Lebensmitteltransport. Tagebuch, Sorel le Grand, 05.12.1916: 2 Uhr Abmarsch von Etricourt. Hier übernachtet. Tagebuch, Sangecourt, 07.12.1916: 8:30 Uhr zum Bataillon wegen Knöpfe. Erste Stufe zum General erreicht! Abends Abfahrt nach Alost von hier aus. Tagebuch, Alost, 08.12.1916: Bin außer aller Gefahr. Augenblicklich hausen wir zur Erholung in einer größeren Stadt. Wir liegen in einer Fabrik, alles tip, top. Hier merkt man wirklich nichts vom Krieg. Es fehlt nichts, nur haben wir etwas Läuse zuviel! Kein Wunder, stecke ich doch 4 Wochen in derselben Wäsche! Dieses Mal war es an der Somme noch schlimmer, als beim ersten Mal. Hauptsächlich waren die körperlichen Anstrengungen größer. 5 Tage lang bei der Kälte im Regen und Dreck und Feuer liegen, ist wirklich kein Spaß. Gott sei Dank, daß es vorüber ist.

Tagebuch, Alost, 13.12.1916: Bin Armeeführer von 8 Mann! Brief, 14.12.1916: Meine lieben Eltern, heute abend muß ich auf meinen gerechten Abendschoppen verzichten und hübsch solid zu hause, d. h. im Pferdestall bleiben. Habe nämlich diese Nacht Wache, d. h. als Wachhabender. Posten ha-be ich nicht zu stehen. In den näch-sten Tagen fahre ich nach Brüssel, Gent oder Antwerpen zur Entlau-sung. Gleichzeitig werde ich mir dann auch mal die betreffende Stadt ansehen. Sonst ist hier noch alles in dem alten Geleise. – Was sagt Ihr zu dem Friedensangebot unseres Kaisers? Ich bin in Puncto Frieden ein rechter Pessimist geworden. Wenn ich mich aber doch getäuscht haben sollte, und aus der Sache etwas Ernstes würde, wäre es ja um so besser, und würde ich der letzte sein, der sich ärgern würde, wenn es Frieden gäbe, aber nur einen Frieden, der für uns auch annehmbar ist. Die ganzen Strapazen und alles, was drum und dran hängt, ist ja sicherlich nichts Angenehmes, aber sie sollen auch nicht umsonst gelitten worden sein. Auf Vaters Brief vom 3. zurückkommend, wie kannst Du Dir nur Sorge wegen der kleinen Verletzung am Fuße machen. Die hatte ich schon am 2. Tage vergessen. – Auch bei uns beginnt allmählich die Weihnachtszeit. Jeder durfte sich etwas wünschen zum Preise von 2,30 M! Ich habe eine Brieftasche gewählt. Dann bekommt jeder „Alte“ der Kompagnie von dem früheren Kompagnie Führer ein Paket. Außerdem gibt’s noch 1 Kilo Äpfel, Stollen und noch solche Kleinigkeiten. Auch soll ein Vergnügungskomitee gegründet werden. Wahrscheinlich werden wir Weihnachten noch in Aalst feiern können. Das wäre fein. – Beim Durchlesen von Mutters Briefen finde ich noch mancherlei, worauf ich noch die Antwort schuldig bin. Strümpfe brauche ich noch nicht. Werde mich schon melden, wenn mir etwas fehlt. – Du hast Recht, liebe Mutter, die Kinderjahre waren doch die allerschönsten. Auch heute möchte ich noch mit einem Käärchen von Peters für 18 M spielen, wenn man das als deutscher „Held und Krieger“ könnte. Eine so schöne Jugend, wie ich sie hatte, hat nicht manch einer gehabt. Und wem verdanke ich das? Nur Euch beiden. Gebe Gott, daß ich es Euch einmal lohnen kann. – Wohin habt Ihr denn das Zeug in Sicherheit gebracht? War schon jemand da? – Vater scheint ja den Betrieb von früher wieder aufzunehmen. ... Wieviel haben wir denn noch zu bekommen? – Dieses Mal haben wir zu 30 Mann weniger verloren, aber immer noch genug. – Euer Glückwunsch kam noch etwas zu früh. Die offizielle Ernennung ist noch nicht heraus. Doch sind mir die Knöpfe sicher. Jetzt geht’s mir gerade so wie Mutter am 10. Ich habe auch Kohldampf. Darum gute Nacht, liebe Eltern. Herzlichste Grüße und Küsse, Euer Willy. 15.12.1916: Das eiserne Kreuz 2. Klasse wurde mir verliehen. Tagebuch, Gistel, 21.12.1916: Leider ist aus der vorgesehenen Weihnachtsfeier in Alost nichts geworden, da wir am 19.12. plötzlich alarmiert wurden. Um 2 Uhr nachts gings mit der Bahn los und am anderen Morgen landeten wir gegen 8 Uhr in Gistel, einem kleinen Städtchen in der Nähe von Ostende. Von der Sommerfrische sind wir jetzt ins Bad gefahren. Was wir hier machen, ist noch unbekannt. Jedenfalls soll die Stellung ruhig sein. Meine Gruppe setzt sich aus folgenden Leuten zusammen: 2 Bauernjungen, 1 Fuhrmann, 1 Bankdirektor, 1 Dominikaner, 1Abiturient, 2 Maurer.

Tagebuch, Slype bei Ghistelles, 22.12.1916: Kaum ist man in ein schönes Quartier angekommen, so geht’s schon wieder weiter. Wir werden bald in Stellung kommen, jedoch ist es hier ganz ruhig. Tagebuch, Slype bei Ghistelles, 24.12.1916: Mit der Weihnachtsstimmung ist es nicht weit her, dafür müßte man doch zu hause sein und nicht in Flandern. Wir werden wohl nicht lange hier bleiben. Einstweilen gehen wir von morgens 7 Uhr bis 2 Uhr schanzen, d. h. wir bauen eine Stellung aus Beton über der Erde. In die Erde kann man keinen Spaten tief graben, weil alles sofort voll Wasser läuft. Der Wind und Regen ist ja auch kein Weihnachtswetter, aber den Mut lassen wir trotzdem nicht sinken.

Tagebuch, Slype bei Ghistelles, 24.12.1916: Gerade ist meine Beförderung zum etatmäßigen Gefreiten zum 23.12. herausgekommen. Jetzt gibt’s pro Dekade 1 M mehr! Da kann der Krieg noch lange dauern, wenn ich nun jeden Tag 63 Pfennig bekomme! Heute abend ist Bescherung durch die Kompagnie. Hoffentlich sind wir drei nächstes Jahr wieder zusammen. Tagebuch, Slype bei Ghistelles, 26.12.1916: War das Christkindchen bei Euch auch so reich, wie bei uns? Am 24.12. abends wurden wir gruppenweise zur Schreibstube befohlen. Um 10 Uhr war ich mit meinen 8 Mann als Letzte an der Reihe. Auf der Schreibstube hatte man einen Baum geschmückt und in unseren Kochgeschirren, die wir vorher abgegeben hatten, waren die für uns bestimmten Sachen untergebracht. Nach einer kleinen Ansprache des Feldwebels haben wir ein Lied gesungen und dann war Schluß. Wir sind für die jetzigen Verhältnisse reich beschenkt worden. Jeder Mann hatte einen famosen Stollen, eine Flasche Wein, Zigarren, Zigaretten empfangen. Ich hatte außerdem nach eine Tafel Schokolade, einige Gesellschaftsspiele und einen Zigarrenabschneider bekommen. Als besondere Weihnachtsvergünstigung sollen wir heute nach Ostende fahren, aber bei dem strömenden Regen verzichte ich, wenn ich auch dank Eurer Geldsendung dort wie ein Fürst leben könnte! Die Knöpfe konnte ich noch nicht annähen, weil man auf solche Beförderungen nicht eingerichtet ist und daher Gefreitenknöpfe nicht vorrätig sind! – Paul Scheins ist also auch schon Vize! Mir sind die Knöpfe lieber, die ich verdiene, als Achselstücke, die ich meinen guten Beziehungen verdanke. Morgen (27.) werden wir wahrscheinlich wieder verlegt, dieses Mal nach Ostende als Strandwache. Mit der Zeit bereise ich als Soldat noch die ganze Welt!

Tagebuch, Syselles, 28.12.1916: Mit Euren „Ewigen Juden“ habt Ihr recht. Gestern war ich mal wieder unterwegs. In Middelkerk bei Ostende habe ich mir am 27.12. mal die See angesehen. Von Schiffen war nicht viel zu sehen, nur am Horizont konnte man undeutlich den Rauch eines Dampfers und zwei Vorpostenboote erkennen. – Middelkerk ist ein schönes Städtchen oder richtiger gesagt, war mal eins. Denn jetzt sind die meisten am Strand gelegenen Hotels kurz und klein geschossen. In Slype empfing mich die Nachricht, daß ich nach Brügge und von dort nach Syselles fahren sollte, um an einen Unterführerkursus teilzunehmen. Erst Einjähriger- dann Offiziers- und nun Unteroffizierkursus! Der nächste wird wohl ein Musketierkursus sein! Tagebuch, Syselles, 29.12.1916: In dem von mir gesandten Weihnachtspaketchen war mein E K (Eisernes Kreuz) und die Urkunde. – Heute haben wir den ersten Dienst gemacht. Dann habe ich bei meinen Quartiersleuten auch mal gesehen, wie Spitzen mit der Hand geklöppelt werden. Das ist eine tolle Sache. Es sieht beinahe aus wie Klavierspielen. Die Frau bekommt für den Meter 48 centimes, dabei arbeitet sie an einem kleinen Stück schon 2 ½ Tage. Tagebuch, Syselles, 05.01.1917: Ich bin der einzige von dem zum Kursus kommandierten, der nicht aktiv gedient hat und der einzige, der erst vor kurzem befördert worden ist. Auch bin ich allein von der 5. Kompagnie hier. Wir machen alles wie die Rekruten, Stillstehen, Augenrollen, Zähneknirschen usw., nur macht hier die Sache mehr Spaß, als in Trier! Nach dem Mittagessen werde ich mal nach Brügge gehen und mich als Gefreiter und Ritter abnehmen lassen. Tagebuch, Syselles, 14.01.1917: Gestern war der ganze Kursus in Brügge. Wir haben uns die Stadt von vorn bis hinten angesehen. Augenblicklich führt unser Regimentskommandeur die Abteilung. Noch 10 Tage sollen wir hier bleiben, freue mich, wenn ich wieder bei meiner alten 5. bin, die zur Zeit Strandwache hat. Donnerstag haben wir Besichtigung durch Generalmajor v. Uttmann. Samstagnachmittags und Sonntags haben wir dienstfrei. Tagebuch, Syselles, 18.01.1917: Unser Kursus nähert sich dem Ende. Tagebuch, Middelkerk, 21.01.1917: Seit gestern bin ich wieder bei der Kompagnie. Wir gehen immer noch schanzen. 14.01.1917

Brief, Middlekerk, 23.01.1917: Lieber Papp, der Hauptteil dieses Briefes soll für Dich und Deinen Namenstag sein. Gebe Gott, daß Du ihn noch recht oft in Zufriedenheit und Gesundheit erlebst. Wenn der Krieg mal glücklich vorbei ist, hast Du ja auch alles, was ein Menschenskind begehren kann, ein braves Weib, ein herzig Kind! Das ist der Himmel auf der Erde! Dein nächster Namenstag wird aber ganz bestimmt zu dritt gefeiert. Mein Namenstagsgeschenk wird Mutter Dir feierlichst überreichen. Hoffentlich findet es Deinen Beifall. – Gestern bin ich nicht zum Schreiben gekommen. Morgens 4 Uhr war schon wecken und dann gings fort zum Schanzen in den Dünen. Es ist hier wirklich herrlich sogar jetzt im Winter. Wie schön muß es dann erst mal im Sommer sein. Es weht zwar ein recht frischer Wind, aber die Luft ist sehr gesund. Das merkt man an der Gewichtskarte und am – Hunger. Ich kann unglaublich viel verkimmeln. Gut, daß wir nicht 250 g Brot kriegen. Es tut einem wirklich weh, wenn man die schönen Villen und Hotels jetzt sieht. Es wäre manchen Leuten und Deutschland heilsam, wenn sie sich die Zerstörungen mal ansehen könnten, dann würden sie jedenfalls anders von den Soldaten sprechen. – Auf der Fahrt von Brügge nach hier habe ich mir auch nochmal Ostende angesehen. Es ist nur alles so furchtbar teuer dort, gerade, als steckte den Leuten noch die Badesaison im Kopfe. – Augenblicklich habe ich ein feines Quartier, ein 8stöckiges Hotel, durchschnittlich 2 und 2 Mann ein Zimmerchen, schöner Ofen, sauberer Strohsack, elektrisches Licht, hier hielte ich es noch aus. Ob`s zu Kaisersgeburtstag wieder Beförderungen gibt, weiß ich noch nicht. Jedenfalls aber ist es sehr unwahrscheinlich, daß ich die Moppen bekomme. – So, jetzt wünsche ich Euch noch recht viel Vergnügen zum Namenstage und bin mit vielen herzinnigen Grüßen Euer Willy.

Tagebuch, Ostende, 25.01.1917: Wieder in Ostende. Tagebuch, Rumbeke, 27.01.1917: Gestern ging es per Bahn weiter. Dieses Mal sind wir nicht an die Somme, sondern nach Rumbeke bei Roulers in Flandern verlegt worden. So ein feines Quartier habe ich während der ganzen Militärzeit noch nicht gehabt. Zu 2 Mann eine Stube mit weißbezogenen Betten, Tisch, Kommode usw. Dazu 2 junge Mädchen!!! Diese Nacht schläft Mutter wieder nicht vor Sorge und morgen wird sie predigen! Aber keine Sorge! Ostende

Tagebuch, Rumbeke, 28.01.1917: Leider scheinen die schönen Tage in Rumbeke nicht lange zu dauern. Mein Leutnant sagte mir heute, er würde mich zum Utffz gemacht haben, wenn ich nicht als Gefreiter noch so jung wäre. Tagebuch, Stellung Ypern, 31.01.1917: Bin jetzt im bombensicheren Unterstand „Zur Hundehütte“ einquartiert. Tagsüber wird gepennt und etwas Posten gestanden, nachts gehen wir arbeiten. Wir liegen in dem bekannten Ypernbogen unmittelbar vor Ypern. Bei dem jetzigen kalten Wetter ist der Graben trocken, aber bei Regenwetter soll hier allerhand los sein. Die ganze Stellung ist nicht wie sonst in die Erde, sondern zum größten Teil über der Erde aufgebaut. Unterstände sind aus Eisenbetonkästen, ein bißchen eng für 4 Mann, denn sie geben nur 1 m hohen, 1 2/3 m langen und 1 ½ m breiten Raum. Dafür sind sie aber ziemlich sicher. Was die Stellung kostet, könnt Ihr Euch denken, wenn ein einziger Unterstand 10.000 M kostet. Die feindliche Artillerie ist im allgemeinen hübsch brav, nur manchmal hat sie so ihre verrückten Tage. Tagebuch, Stellung Ypern, 05.02.1917: Bin immer noch hier. Nur die Kälte macht etwas zu schaffen. Nachts wird gestocht, daß die Wände krachen, während tagsüber wegen des Rauchs nicht geheizt werden darf. Aber immerhin besser kalt, als naß. – Wer hat mich denn in der Verbandszeitung als Offiziersstellvertreter angegeben? Hans Kamphoff aus Mülheim, der mit mir in La Fere war ist Leutnant. Tagebuch, Roulers, 12.02.1917: Bin wieder in Ruhe, leider nicht in meinem vorherigen Quartier, sondern in der als Kaserne eingerichteten Gasfabrik. In Stellung haben wir nur einen Toten und einige Verwundete gehabt. Während ich Unteroffizier vom Grabendienst war, hatte der Engländer durch einen schweren Brocken einen Betonkasten umgeschossen. Da haben wir tüchtig arbeiten müssen, um die eingeschlossenen Kameraden wieder auszubuddeln. Trotz der ziemlich heftigen Beschießung hatten wir nur geringe Verluste. Von hier fährt ein Bimmelbähnchen nach Ypern, das wir benutzen, wenn wir in Stellung gehen. Tagebuch, Gent, 17.02.1917: Heute bin ich zu einem Kursus nach Gent gedampft. Dieses Mal liege ich in einem großen Kloster, das als Kaserne großartig eingerichtet ist. Ich habe ganz unter dem Dachjuche eine feine Bude mit elektrischem Licht, Dampfheizung usw.!!! Dazu bin ich ganz neu ausgerüstet, so daß ich nunmehr ein wirklich feiner Pinkel bin. Meine Kompagnie rückt heute wieder in Stellung, während ich mich in der Etappe herumdrücke.Wir liegen zu 5 Mann im Zimmer, d. h. eigentlich 2 Mann und 3 Herrn! Jeder hat sein weißüberzogenen Strohsack, nur fehlt es noch an Sitzgelegenheit. Der Kursus ist ein Offizierskursus (Res. Offz. Asp. Lehrgang) und soll 3 Monate dauern. Dann wird wohl der schlimmste Rummel der Frühjahrsoffensive vorüber sein. Wir werden sogar mit „Herr“ angeredet! Von jeder Kompagnie der Flandernarmee sind Aspiranten hier, so daß wir zu ungefähr 300 Mann sind. Angeschlossen ist auch ein Unterführerkursus. Das Ganze leitet ein Major, während die einzelnen Abteilungen von Leutnants geführt werden. Unser Leutnant ist ein Hamburger Großkaufmann.

Tagebuch, Gent, 23.02.1917: Gestern hatte ich Stubendienst. Das ist hier mit allerhand Arbeit verbunden. Bis 11:45 Uhr haben wir exerziert, dann gegessen. Nachmittags war Unterricht. Im „Deutschen Bund“ habe ich ein feines Lokal ausfindig gemacht, das als unser Stammlokal bestimmt worden ist. Dort haben wir unsere erste Beratung abgehalten, deren Hauptergebnis ein allgemeiner Schwips war. Alle sind gleichberechtigt, ob Vize oder Muskot. Sogar einen Husarenleutnant haben wir bei uns, der bei uns Militär werden soll! Tagebuch, Gent, 25.02.1917: Gestern habe ich mir mal die Stadt gründlich angesehen. Ihr wißt ja, daß Gent eine alte, berühmte Stadt ist. Es gibt eine Unmenge sehenswerter Bauten aus früheren Zeiten. Auch die Gebäude der Weltausstellung sind zum Teil noch vorhanden. Für 5 Pfennig je Fahrt bin ich mit der Elektrischen kreuz und quer durch Gent gefahren. Im Soldatenheim gibt’s viel zu lesen. Dabei kann man Bier trinken und preiswert essen. Meistens kommen allerdings die Soldatenheime nur den Etappenhengsten (wie ich augenblicklich einer bin) zu Gute. In Gent ist ein großer Betrieb, die Dämlichkeiten laufen in Kostümen herum, die wahrscheinlich aus Stoffmangel sehr kurz ausgefallen sind. In der Hauptstraße ist ein Kafe neben dem anderen. Sachen sind hier in den Geschäften noch ausgestellt, die man in Deutschland nur noch vom Hörensagen kennt. Tagebuch, Gent, 01.03.1917: Die Stellung wird hier immer noch in alter Frische gehalten. Tagebuch, Gent, 02.03.1917: Der gestrige „Offizielle Abende“ ist großartig verlaufen. Gesänge, Vorträge, Reden usw. wechselten in bunter Reihe. Unterdessen wurde das Trinken natürlich nicht vergessen. Es wurde beschlossen, jeden Donnerstag einen solchen Abend zu veranstalten. Um 8 Uhr haben sich alle Aspiranten einzufinden. Zuspätkommen und Fehlen wird mit Geldstrafen belegt. Alle 10 Tage wird 1 M in die Vereinskasse gezahlt. Jeder wird hier angepflaumt, ob Offizier oder Gemeiner. Alle Berufe sind vertreten: Großgrundbesitzer als Vize, Dr. chem. als Muskot, Primaner als Unteroffizier, Posthengst als Gefreiter usw. Tagebuch, Gent, 05.03.1917: Vom 01.03. ab bin ich Unteroffizier! Macht wöchentlich 13,33 M Löhnung!! Habe mich natürlich auch schon photographieren lassen – In Antwerpen und Brüssel wars fein. Morgens 8 Uhr bin ich mit meinem Stubenkameraden Bosbach nach Brüssel gefahren. Dort hatten wir 2 Stunden Aufenthalt, den wir benutzten, um uns die Umgebung des Bahnhofs anzusehen. Um 10:30 Uhr sind wir nach Antwerpen weitergefahren. Auch dort haben wir uns tüchtig umgesehen. Antwerpen hat viel Ähnlichkeit mit Köln. Im Hafen bin ich auf einem großen Dampfer gewesen. Um 9 Uhr sind wir wieder über Brüssel nach Gent gefahren, wo wir um 3 Uhr nachts ankamen. Um 5:45 Uhr gings schon wieder raus. Die meisten Aspiranten der 185 I D sind auch in La Fere gewesen. Tagebuch, Gent, 07.03.1917: Die Tressen sind nachträglich noch schwer versoffen worden. Tagebuch, Gent, 20.03.1917: Wir sollten nach Beveloo, jedoch ist die Tour verschoben worden. Der Samstag ist hier genau so ungemütlich, wie daheim. Wir müssen unsere Bude schrubben, Betten beziehen und so andere Dienstmädchenarbeiten machen. Tagebuch, Gent, 26.03.1917: Als Sonntagsvergnügen war ich heute zum Promenadenkonzert, nachmittags im Kino und im Soldatenheim Abendessen mit anschließendem Bummel. Tagebuch, Gent, 29.03.1917: Es wird gemunkelt, daß unser Kursus vorzeitig aufgelöst würde, weil die Offiziere zu ihren Regimentern zurück müßten.

Tagebuch, Gent, 02.04.1917: Die in den letzten Kriegsberichten erwähnten Dörfer Margival, Neuville, Coucy le Chateau sind mir alle wohlbekannt. Ich hätte Lust, mich zu einem der dort liegenden Regimentern zu melden, wie es schon mehrere Kameraden getan haben. – Für Ostern wird Euch vielleicht ein guter Freund von mir besuchen kommen. Dienstag muß er aber wie-der hier sein. Meine Anschrift lautet: Feldrekrutendepot IX Res AK Offiziers Aspiranten Kursus. Der „Gute Freund von mir“ war ich selbst und war die Feiertage über in Urlaub daheim. Tagebuch, Gent, 10.04.1917: Glücklich heute morgen um 10 Uhr in Gent gelandet. Bis Herbesthal hatte ich einen schönen Sitzplatz. Bis Brüssel wars dann sehr besetzt. Von da ab konnte ich wieder schlafen. Tagebuch, Gent, 12.04.1917: Bevor es zum Regiment zurückgeht noch herzliche Grüße aus Gent. Tagebuch, Rumbeke, 13.04.1917: In der alten Heimat auf der Reise zum Regiment. Tagebuch, Douai, 15.04.1917: Gestern abend bin ich glücklich bei meinem Regiment eingetroffen. Zum Abschied hats in Gent noch viele Bierleichen gegeben. Um 5 Uhr morgens mußten wir antreten und dann gings mit Musik und Damenbegleitung zum Bahnhof. Unsere Abteilung fuhr bis Roulers. Von dort gings über Lille, wo wir im Hotel übernachteten, bis Douai. Wir liegen in einer Fabrik, aber nicht so schön untergebracht wie in Gent! Tagebuch, Fraismarais bei Douai, 16.04.1917: Sind nach hier verlegt worden, wo wir fleißig exerzieren. Meine Kompagnie hat während meiner Abwesenheit viel Ersatz bekommen. Das veränderte Leben und vor allem der nicht mehr gewöhnte Ton kommt mir noch etwas spanisch vor. Morgen sind es schon 8 Tage her, daß wir zusammen in Brühl waren. Tagebuch, Fraismarais bei Douai, 21.04.1917: Heute gehen wir in Stellung, dort soll es ziemlich ruhig sein. Mit der „ruhigen Stellung“ war es nicht weit her. Spielte sich doch bei Arras die „Frühjahrsschlacht“ ab. In Douai war riesiger Betrieb, der sehr an die Etappe hinter der Somme erinnerte.

Am 21.04.1917 gings von Fraimarais über Douai mit der Bahn bis Brebieres. Dort wurde Sturmgepäck gemacht und in die Bereitschaftsstellung vorgerückt. Dort blieben wir nur einen Tag, hatten aber durch Artillerie schon einige Verluste. Ich war als Vorkommando und habe das Bataillon in Stellung geführt. In der Nacht vom 22.04. zum 23.04. gings bis hinter die 1. Linie in einen Steinbruch (die sogenannte Ballonhöhe), wo wir als Reserve bleiben. Um 6 Uhr morgens begann der Engländer die ganze Gegend zu betrommeln, besonders die Reservestellungen. Auch wir bekamen unseren Teil mit und hatten ziemliche Verluste. Unter anderen fielen beim Sturm auf Roeux auch der Segschneider aus Eckdorf. Als das Feuer immer dichter wurde, sollten wir die 1. Linie verstärken. Bei dem Vorgehen habe ich dann mein Heimatschüßchen bekommen. Da ich auf der Höhe lag, die Stellung aber im Tal lag, konnte ich dem ganzen Kampf zuschauen. Laufen konnte ich nicht mehr und Unterstände gabs natürlich nicht. Der Engländer griff mit Infanterie, Kavalerie und Tanks mehrmals an und ich hatte eine Heidenangst, daß mich der Engländer noch schnappen könnte. Auf beiden Seiten hats schwere Verluste gegeben. Viele alte Kameraden sind gefallen. Nachts haben mich 2 Krankenträger bis nach Fresnes in den Sanitätsunterstand zurückgebracht, von dort trugen mich 4 Krankenträger in einer Zeltbahn nach Biache, von wo es mit einem Krankenwagen nach Brebieres zum Feldlazarett ging. In Brebieres gabs nochmals Zunder durch Langrohrgeschütze, so daß auch das Feldlazarett geräumt wurde. Ich kam mit dem Auto bis Douai, wo wir in einen Lazarettzug nach Lille verladen wurden. Tagebuch, Lille, 26.04.1917: Kriegslazarett Abt. 27 Laz 671 Dtsche Feldpost 403: Liege jetzt hier im Lazarett. Ich hoffe, daß es noch weiter nach Deutschland geht. Ich fühle mich sehr wohl und habe gar keine Schmerzen. Die Verpflegung ist gut, nette Schwestern sind auch hier, was will ich mehr. – Meine Verwundung rührt von einer Schrappnellkugel her, die mir am linken Oberschenkel hereingegangen und unterhalb des abwärtigen Teiles des Rückens dicht unter der Haut steckengeblieben ist. Die Kugel sitzt noch im Fleisch. Sitzen und gehen kann ich nur schlecht, aber es macht sich schon wieder. Tagebuch, Lazarettzug, 29.04.1917: Heute liege ich schon 48 Stunden im Lazarettzug. Augenblicklich sind wir auf dem Bahnhof in Bremen. Von hier geht’s weiter nach Hannover. Postkarte, Hannover, 01.05.1917: Liebe Eltern, endlich gelandet. Alles wohl. Besuch nicht nötig, weil ich doch mal nach komme. Morgen mehr. Euer Willy Tagebuch, Hannover, 01.05.1917: Ich war froh, daß ich nach 2 ½ Tag Bahnfahrt endlich wieder zur Ruhe kam. Der Empfang auf dem Hauptbahnhof Hannover war sehr nett und liebevoll. Wir wurden mit besonderen, verschlossenen Straßenbahnwagen nach Herrenhausen geschafft. Ich liege jetzt im Kristallpalast in Herrenhausen, Res. Laz 7 Saal 4 links.

Tagebuch, Hannover, 03.05.1917: Heute bin ich zum erstenmal an Krücken gelaufen. Meine Wunde ist bald schon ganz heil. Morgen werde ich den Sanitätsrat fragen, ob ich zeitweise aufstehen darf, bei dem schönen Wetter kann es doch kein Mensch im Bett aushalten. – Hier kann man erst mal recht sehen, was der Krieg für Wunden schlägt und mit welch blauem Auge ich davongekommen bin. Der Ausdruck ist nicht wörtlich zu verstehen, denn da, wo es mich erwischt hat, hat man keine Augen nicht einmal Hühneraugen.

Postkarte, 06.05.1917: Liebe Mutter, mit vereinten Kräften bemühen sich zwei schreibfaule Britze Dir eine vollbeschriebene Karte zu senden. Vater wird Dir ja alles ausführlich erzählen. Den Rest der Karte überlasse ich als bescheidener Krieger dem lieben Papa. Herzlichste Grüße Dein Willy. Als ich heute vom opulenten Mittagsmahl zurückkam, hatte der Schwerkranke die 2 Pött Bier, die er für mich und sich bestellt hatte – ausgetrunken. Ich armer mußte daher verzichten. Herzlichen Gruß Carl. Tagebuch, Hannover, 09.05.1917: Ich danke Vater nochmals für den 1b Besuch. Allein schmeckt das Bier nicht halb so gut, als wenn ich das Bier für Vater mittrinken mußte. Das eklige Gummiröhrchen, durch das der Eiter aus meiner Wunde abfließen soll, macht mir viel zu schaffen. Hoffentlich wird es morgen entfernt. Tagebuch, Hannover, 14.05.1917: Den ganzen Sonntag über habe ich draußen im Bett gelegen, da ich noch nicht aufstehen darf. Abends war großer „Kunstabend“, mit Liedern und Musikvorträgen. – Vom Regiment habe ich nichts mehr gehört. Tagebuch, Hannover, 15.05.1917: Heute bin ich an Stöcken herumgelaufen, allmählich macht sich die Sache. Morgen werde ich geröntgt, da die Wunde noch eitert. Tagebuch, Hannover, 18.05.1917: Muß wieder einige Tage ins Bett, damit sich der Verband nicht verschiebt. Der Sanitätsrat kann sich nicht erklären, woher immer noch Eiter kommt. Tagebuch, Hannover, 22.05.1917: Meine Temperatur ist wieder normal, nur einmal hatte ich über 40 Grad. Da hat sich meine Stationsschwester und Schwester Lisbeth sehr gesorgt. Der Kuckuck mag wissen, was mit meiner Wunde los ist. Jetzt bin ich schon dreimal geröntgt, mal sehen, was der Professor sagt. Vielleicht ist der Knochen leicht angekratzt und hat sich ein Splitter festgesetzt. – Von den Kameraden in Gent ist einer Vize, ein Teil ist tot, u. a. auch der, der zu Ostern 150.000 M geerbt hatte. Tagebuch, Hannover, 28.05.1917: Zu Pfingsten und zu meinem Namenstage habt Ihr mir aber eine große Enttäuschung dadurch gemacht, daß Ihr nicht, wie versprochen, zu Besuch gekommen seid. Tagebuch, Hannover, 31.05.1917: Meine Wunde ist in der Nacht ganz zugegangen. Gestern sollte ich noch operiert werden, aber der Professor hält es jetzt nicht mehr für notwendig. Seitdem ich aufstehen konnte, aber noch in Lazarettbehandlung bleiben mußte, sollte ich, wie die anderen Kameraden in der Stadt arbeiten gehen. Die Arbeit war aber keinem gelegen und so wurde die „Arbeitsuche“ nach Möglichkeit ausgedehnt. Auch ich habe von dem Urlaub, der uns zum Zwecke der Arbeitsuche gegeben wurde, fleißig Gebrauch gemacht, jedoch weniger, um tatsächlich Arbeit zu finden, als mir mal einige gute Stunden zu machen. Im Lazarett war es auf die Dauer nämlich nicht schön. Die Verpflegung war auch da, wie ja allgemein, sehr knapp und nicht gut. Morgens gab es zwei dünne Scheiben Brot mit „Hindenburgbutter“, mittags einen „Schlag“ Essen, bei dem man selten einmal kapitulieren konnte, um 4 Uhr ein Brödchen mit einer Tasse Kaffe und abends wieder zwei Scheiben Brot. Ein Kamerad neben mir, der einen Fuß verloren hatte und dessen Krücken ich ab und zu benutzte, erhielt als Bauernjunge aus dem Hannöverschen reichlich Eßzuschuß, so daß er mir öfters sein Lazarettessen überließ, was immer dankend angenommen wurde.

Kurz vor meiner Entlassung aus dem Lazarett war ich nochmals 14 Tage in Urlaub. Ich brauche jedoch nicht mehr nach Hannover zurück, da ich inzwischen gesundgeschrieben worden war. 01.08.1917: Ich kam zum Ersatzbataillon der 161er in Düren. In der Kaserne hatte ich mit noch 2 anderen Unteroffizieren eine sehr schöne Stube. Da die beiden anderen vielfach abkommandiert waren und in der Nähe zu Hause waren, hatte ich reichliche Verpflegung. Wenn die beiden Kameraden nicht bis zu einer bestimmten Stunde zurück waren, habe ich deren Portionen mitverkimmelt. Hunger hatte ich nämlich immer! Morgens wurden die Mannschaften in der Verwundetenkompagnie für die Arbeiten eingeteilt. Der größte Teil ging in die Stadt arbeiten, ein Teil hatte unter einem Unteroffizier Kasernendienst und der Rest ging „exerzieren“. Dieses Exerzieren bestand hauptsächlich darin, daß, wie es öfters vorkam, 1 Offizierstellvertreter, 8 Vizefeldwebel, 12 Unteroffiziere und 8 Mann hinter die Kaserne zu Schießübungen ausrückten, die darin bestanden, daß die Mannschaften abwechselnd darauf aufpaßten, daß kein Unberufener die ganze Gesellschaft beim Schlafen erwischte!! Das war eine schöne Zeit. 20.08.1917: Ich wurde zur 2 Kompagnie versetzt und mußte Rekruten ausbilden, die wie vorher in Berlin als Begleitkommando geholt hatten. Auch hatte ich einmal einen Gefangenentransport nach Saarlouis. Ein junger Rekrut war aus dem Transport in Düren gesprungen, aber gleich wieder gefaßt worden. Als Begleitmann bekam ich einen jungen Rekruten aus Busendorf bei Saarlouis mit. Zufällig traf ich in Köln auf dem Hauptbahnhof meine Cousine Aenne, die bis Euskirchen mitfuhr. Von da ab habe ich bis Saarbrücken gepennt, wo mich mein „Gefangener“ wecken mußte! Nach Ablieferung des Häftlings in St. Avold bin ich mit dem Begleitmann ohne Urlaub nach Buden-dorf gefahren, wo ich bei dessen Eltern 2 Tage lang fein aufgehoben war. Mit einer ordentlichen Ladung Futterage wurde die Heimreise angetreten. Da ich mich mit meinem Feldwebel verkracht hatte, sollte ich am 13.09.1917 wieder ins Feld zu den 161ern. 12.09.1917: Abends wurde ich zum Bataillonsgeschäftszimmer bestellt, wo ich die freudige Nachricht empfing, daß ich zum Telegraphenbataillon 3 nach Koblenz versetzt worden sei. Beim Telegraphenbataillon habe ich zuerst als „gelernter Infanterist“ mit den im Exerzierdienst nur mangelhaft ausgebildeten Telegraphisten exerziert und Felddienstübungen gemacht. Vielfach hatten wir auch Wachtdienst bei den Nußbäumen an der Kartaus. Da war es natürlich Ehrensache, daß der Unteroffizier und seine Mann morgens mit einem gefüllten Beutel Nüsse zurückkamen! Mein Vater hat mich einmal auf einer solchen Streife begleitet und mit meinem Seitengewehr die Nüsse herabgeworfen, während ich auf einer Bank feste schlief! Überhaupt war es in Koblenz idyllisch. Besonders beim Reitunterricht, den die Chargisten besonders erhielten. Da haben wir oft Tränen gelacht! Mit noch einem Telegraphengehilfen, Fritz Fröhlich aus Köln, habe ich mich als Hugheser gemeldet. Hughesapparat ist ein Schnelltelegraph, dessen schwierige Bedienung einen besonderen Ausbildungskursus erfordert. Oktober 1917: Mit Fritz Fröhlich und noch 5 anderen Kameraden wurde ich nach Leipzig zur Ausbildung im Hughesdienst bei der dortigem Telegraphenamt versetzt. Fritz und ich haben zuerst mal ein paar Tage „ohne Tritt“ in Köln ver-lebt, wie wir das nebenbei schon öfters gemacht hatten. Wir fuhren bis Kalscheuren, wo keine militärische Bahn-hofssperre war und gingen von dort zu Fuß nach Köln. In Leipzig bewohnte ich mit Fröhlich eine „Privatbude“ bei einem Frl. Sandhopp in der Nordstraße.

Auch in Leipzig habe ich viele frohe Stunden trotz der sehr schlechten Verpflegung erlebt. 08.05.1918: Von Leipzig wurde ich zur Gardenachrichtenabteilung nach Berlin versetzt. Ich lag in der Treptowkaserne und machte bis zu meinem Ausrücken beim Hauptelegraphenamt Dienst.

05.07.1918: Es ging von Berlin nach Pirna und von dort in 6tägiger Eisenbahnfahrt über Wien, Budapest, Belgrad, Sofia, Adrianopel nach Konstantinopel, wo ich als „Durchreisender“ in der Infanteriekaserne in Pera untergebracht wurde. Ich sollte ursprünglich nicht in Konstantinopel bleiben, sondern irgendeine Telegraphenstation übernehmen. Einstweilen machte ich im Postministerium, in dem die deutsche Telegraphenstation untergebracht war, Apparatdienst. Die Dienststelle lag in Stambul, wohin wir immer über die „Große Pera“, die Treppenstraße und die große Brücke gingen. Vielfach benutzten wir auch die Seilbahn, die vom Hafen zu dem höher gelegenen Pera fuhr. Auch in Konstantinopel war es mit der Verpflegung sehr schlecht bestellt, es gab oft einen unbekannten, großen, miserabel schmeckenden Fisch und viel Hammelfleisch. Jahrelang habe ich kein Hammelfleisch riechen können, ohne mich zu ekeln. Am schönsten war das Baden in dem wunderbaren Wasser bei Haidar Paschar oder im Marmarameer.

24.07.1918: Mutter zur Erholung in Bremen bei Neheim.

Tagebuch, Cospoli, 16.09.1918: Die schöne Zeit des Badens scheint bald vorüber zu sein, denn es ist in den letzten Tagen recht stürmisch und ungemütlich. Heute nacht habe ich wieder langen Dienst. Ein über das andere Mal dürfen wir schon um 3 Uhr nach Hause, wenn aufgearbeitet ist. Von den Preussen bekomme ich jetzt monatlich 120 M, trotzdem ist das Geld immer knapp. Schade, daß ich so spät hierhin gekommen bin, früher muß es hier das reinste Schlaraffenleben gewesen sein. Tagebuch, Konstantinopel, 18.09.1918: Wenn Ihr den Brief in Händen habt, schwimme ich vielleicht schon in Richtung Batum. Am 25.09. sollen nämlich 1 Vize und einige Mann nach Batum in Marsch gesetzt werden. Meine Beförderung ist mir in Aussicht gestellt. Schwarz und Dross kommen nach Samsun. In Batum sollen noch viele Deutsche sein, jedoch liegt außer uns Telegraphisten kein deutsches Militär dort. Die Reise geht per Schiff und dauert 3 ½ Tag. Wir kriegen eine ganze Menge Zeug mit vom Feldbett bis zum Spüllappen. Die Samsuner bekommen außerdem noch Lebensmittel für ¼ Jahr mit. Wir werden wahrscheinlich Selbstverpfleger. – Vorgestern war ich in der Hagia Sofia. Ich hatte mir einen griechischen Führer für 5 M gemietet, der mir alles auf französisch erklärte. Auch in einer Grabkapelle von 2 berühmten Sultanen war ich.

Unter anderem wurde mir auch ein Koran gezeigt, der über 400 Jahre alt sein soll. Nachher bin ich durch die Bazare und das Kriegsministeriumviertel gegangen, das größtenteils abgebrannt ist. Was man da sieht, spottet jeder Beschreibung. Aus Blechdosen haben sich die Leute in und unter den Ruinen „Häuser“ gebaut, in denen wir daheim nicht einmal einen Lokus unterbringen würden. In diesen Buden hausen nun die Menschen mit der ganzen Familie. In eine habe ich einmal hineingeguckt. Es waren im ganzen 7 Personen, dabei war der Raum nicht einmal so groß, wie unser Badezimmer. Man muß allerdings in Betracht ziehen, daß die Leute keine Möbel haben, auch keinen Abort mit Wasserspülung. Solche Kleinigkeiten macht man gleich vor die Tür. Das hat das Gute, daß ein Unbefugter unmöglich nachts an die Bude herankann. –

In meinem Quartier ist es augenblicklich allerdings auch nicht sehr gemütlich. Es ist schon ziemlich kühl und wir haben keine Fenster. Außerdem sind auf dem Hofe 300 Gefangene in Zelten untergebracht, die alle unseren einen Lokus benutzen! Da gehe ich lieber ins Soldatenheim Aa machen! Außerdem hat man auf dem 1. Stock eine Hammelherde untergebracht, deren "„Flüssigkeiten“ durch die Decke kommt! Feine Bude hier! Ihr wolltet immer schon mal wissen, wie und wo wir baden. Also: Wir fahren mit der Bahn bis Stefano. Vom Bahnhof bis zum Meer sind nur ein paar Schritte. Dort ist das reinste Weltbad. Schönes, klares Wasser und ein feiner Strand. Morgens fahren wir nach dem Nachtdienst um 7:30 Uhr hinaus und mittags kommen die anderen, die keinen Nachtdienst hatten, dafür aber am Nachmittag dienstfrei sind, mit dem Essen nach. Abends geht es dann wieder in einem dunklen Eisenbahnabteil zurück. Unterwegs wird gesungen, daß die Wände wackeln. Die Bahnfahrt am Meer entlang ist wunderschön. Dazu die Aussicht auf die (vom weiten besehen) malerischen Vororte und die alte Stadtmauer, die vielen Türme und Minaretts. Rasend unfruchtbar ist die Gegend und auf allem liegt dicker Staub. Die Häuser sind größtenteils aus Holz und verkommen. Von weitem gesehen, sieht Konstantinopel wie eine mittelalterliche Stadt aus. Zu diesem Eindruck tragen sehr viel die zahlreichen Ruinen bei, die man in Konstantinopel sogar in den besten Viertel findet. Der Türke baut nämlich ein eingestürztes Gebäude erst nach 40 Jahren wieder auf wenn er es überhaupt tut. Bis dahin bleibt alles so liegen, wie es Allah hingeworfen hat. Am Bosporus sah ich einen wunderbaren Mamorpalast, der während des Aufstands 1912 zerstört wurde. Man hat alles so gelassen und wartet nur darauf, daß der Rest auch einfällt. Was auf diese Weise verkommt, ist einfach schändlich. Aber der Türke weiß es eben nicht anders. Tagebuch, Konstantinopel, 20.09.1918: Es ist jetzt bestimmt, daß ich die Station in Batum übernehme. Ich freue mich, daß ich mein eigener Herr werde und vor allem auf die Fahrt über das Schwarze Meer. Von den Leuten hier werden nicht viele übrigbleiben: 2 kommen nach Sofia, 4 liegen im Lazarett, 3 gehen mit mir, die anderen nach Aleppo, -- Tiefverschleiert gehen nur wenige Frauen, meistens nur ärmere. Die anderen sind „aufgeklärt“. Zudem wohnen in Konstantinopel sehr viele Ausländer, meistens Griechen, so daß der eigentliche Türke fast darunter verschwindet. – Dieser Tage war ich auch einmal in einem Derwischkloster. Das war ein Betrieb dort, wie in einer Jahrmarktsbude! Tagebuch, Konstantinopel, 25.09.1918: Eigentlich sollte heute mein Reisetag sein, aber durch irgendwelche Umstände hat sich meine Reise verschoben.

Tagebuch, Konstantinopel, 28.09.1918: Die für uns angeforderten Sachen sind da, mit dem nächsten Dampfer geht’s ab. Im Dienst ist es jetzt hoch interessant, man erfährt allerlei. Zunächst gibt es in Palästina schwere Keile, desgleichen in Bulgarien. Der bulgarische Ministerpräsident glaubt durch die militärische Lage zu einem Sonderfrieden mit den Engländern und Franzosen gezwungen zu sein. Ob mit oder ohne Zustimmung seiner Regierung ist noch unbekannt. – Unsere Reise soll jedenfalls bis zum Nordpol gehen, denn wir bekommen für ¼ Jahr 100 kg Benzin, 100 kg Petroleum, entsprechende Lebensmittel, dazu Tische, Bänke, Fahrzeuge und Pferde. Das scheint mir danach eine Einöde zu sein, wohin man uns verbannen will. Zunächst fahren wir bis Braila, werden dort umgeladen und dann geht’s weiter über Odessa nach Batum. – In letzter Zeit müssen wir im Nachtdienst tüchtig wurschteln, oft von 8 Uhr bis 8 Uhr ununterbrochen. Aber direkt spannend ist es jetzt am Apparat, so daß die Zeit im Nu verfliegt. Tagebuch, Konstantinopel, 04.10.1918: Unsere Batumsache scheint zu Wasser werden zu wollen. Alles war bereits verladen und am 6.10. sollte es losgehen. Da kommt die Schweinerei auf dem Balkan! In Konstontinopel ist es augenblicklich recht ungemütlich und bei dem Dienst kann das beste Pferd draufgehen. Tagebuch, Konstantinopel, 08.10.1918: Einstweilen geht kein Zug mehr, die Post wird mit Schiff nach Braila und von dort über Rumänien nach Deutsch-land geschafft. Von Euch bekomme ich gar nichts mehr. Heute im Nachtdienst ist eine ganz tolle Stim-mung in Anbetracht der Aussicht auf baldige Heim-kehr. Es ist ja sehr bedauerlich, daß wir haben anfangen müssen, aber einmal muß doch Schluß gemacht werden. Im Dienst erfährt man Sachen, von denen gewöhnliche Sterbliche keine Ahnung haben. In der Stadt gehen die tollsten Gerüchte herum. Wir machen noch nach wie vor auf dem TA des türkischen Ministeriums unseren Dienst. Tagebuch, Konstantinopel, ohne Datum: Ich schreibe Euch, weil ich denke, daß der Brief vielleicht trotz allem Durcheinander einmal in Eure Hände gelangt. Die Postverbindungen sind jetzt höchst mangelhaft. Alle Jubeljahre geht mal ein Dampfer und ob er Post mitnimmt, ist dann auch noch zweifelhaft. Ihr macht Euch meinethalben jedenfalls Sorgen, die jedoch wirklich nicht begründet sind. Hier in Cospoli ist immer noch kein Krieg. Nur eins macht mir Sorge, die politischen Verhältnisse. Jedenfalls werde ich nicht mehr schlau aus all den Verwicklungen. Es gehen hier die tollsten Sachen vor. Ich habe den Eindruck, daß die Friedenssache von Wilson nur eine neue Gaunerei ist. Leider darf ich brieflich nicht alles erzählen, was ich weiß. – Augenblicklich haben wir auf unserer Station ein feines Leben. Die großen Außenleitungen sind außer Betrieb, so daß wir nur noch den geringen Lokalverkehr haben. Ab und zu gehe ich mal zur Deutschen Militärmission hughesen. Wir sind nur noch zu 6 Mann. Gott sei Dank ist es noch schönes Wetter, daß wir noch baden gehen können, wenn auch unser Lieblingsplatz gesperrt ist.

Das Telegramm hatte ich in den Betrieb eingeschmuggelt, weil die Post zu unregelmäßig ging. Tagebuch, Konstantinopel, 30.10.1918: Vorgestern bekam ich um 11 Uhr den Befehl, als Gepäckkommando nach Odessa zu fahren und dort über Berlin nach Altstrelitz. Abfahrt 12 Uhr!!! Da hat einer geschafft, kann ich Euch sagen“ Wie ich zum Hafen komme, fährt überhaupt kein Schiff nach Odessa. Ich also wieder herauf mit Gepäck und allem Kram zur Schreibstube. Dort hatte der Leutnant inzwischen nach dem Hafen telefoniert und erfahren, daß doch ein Dampfer fährt. Ich also wieder herunter, um gerade noch zu sehen, wie der Dampfer abfährt! Jetzt soll ich mit dem Dampfer Jerusalem nach Odessa fahren und dort den Gepäckdampfer abwarten. Fort geht es auf alle Fälle. Auf dem Telegraphenamt machen wir nur noch aushilfsweise Dienst. 09.11.1918: Ausrufung der Republik, Abdankung des Kaisers. 11.11.1918: Waffenstillstand!

Tagebuch, Nikolajew, 11.11.1918: Am 02.11. habe ich noch bis 7 Uhr abends Dienst gemacht. Da hieß es auf einmal, morgen 6:30 Uhr steht die ganze Abteilung außer einem kleinen Nachkommando zum Abtransport bereit. Um 8 Uhr waren wir auf dem Schiff und um 11 Uhr gings dann los. Am Kai standen die „trauernden Hinterbliebenen“, eine Frau sprang sogar ins Wasser, wurde aber noch gerettet. Die beiden ersten Tage auf See waren wunderschön, warm und mollig, so daß ich nachts auf Deck schlief. In der 3. Nacht wurde es jedoch ordentlich kalt, da habe ich mich schleunigst in die unteren Räume verkrümelt. Vor Odessa blieben wir am 06.11. eine Nacht liegen, um einige Mann auszuladen. Daß ich auch zu den Armen gehörte, versteht sich. Da jedoch bei der stürmischen See kein Boot bis zu unserem Dampfer herankam, dampfte unser Kapitän weiter nach Nikolajew, wo wir am 09.11. in einer russischen Kaserne untergebracht wurden. Heute (11.11) sollten wir nach Strelitz mit der Bahn weiterfahren. Da wurde ein Vice und einige Mann bestimmt, sich zur Verstärkung der hiesigen Tel.- und Funkstation bei der zuständigen Dienststelle in Nikolajew zu melden. Der fragliche Vize, ein Kollege aus Straßburg, hat jedoch wie ein Kind geweint, weil er nach Hause wollte. Da bin ich mit ihm zu unserem Abteilungsleiter gegangen und habe mich freiwillig als Ersatz angeboten. Darauf hat mir der Abteilungsleiter versprochen, mich zum Vize zu machen und mir den Halbmond zu besorgen. Die anderen sind weg und ich hocke nun mit den Paar Männeken hier auf der Station im russischen Telegraphenamt. Zu tun haben wir nichts! In den nächsten Tagen sollen wir jedoch auf eine andere Station kommen, die in einem Mädchengymnasium ist. Lange bleiben wir nicht hier, wir sollen nur abwarten, bis die restlichen Asientruppen hier sind. Dann gehts mit der Bahn nach heim!!!!! Heute ist ja bereits der Waffenstillstand unterzeichnet worden.

Zuerst wohnte ich in der früheren Badeanstalt. Dann zogen wir „Türken“, wie wir von den Nikolajewer Kameraden genannt wurden, in ein Schulzimmer der protestantischen deutschen Schule. Tagebuch, Nikolajew (Mykolajiw), 27.11.1918: Ich möchte zu gerne mal bei Euch Mäuschen spielen, um zu sehen, wie es Euch geht. Zwischen Bonn und Köln sollen ja 800.000 Mann über den Rhein gehen. Da muß bei Euch ja allerhand los sein. Wir haben hier alles in Hülle und Fülle. Könnte ich Euch doch etwas mitgeben. Die in Konstantinopel zurückgebliebenen Kameraden sind immer noch dort. Denen wird es auch nicht zu rosig gehen. Von mir kann ich nur Gutes sagen. Wenn ich noch von Euch regelmäßig Nachricht bekäme, wäre ich direkt wunschlos. Wir bekommen pro Tag 8 m Löhnung. Ich fühle mich hier so wohl, daß ich es noch lange aushalten könnte, wenn nicht -- Wir wohnen zu 7 Mann bei dem protestantischen deutschen Pastor. Neben uns haust ein oller Pollak mit seiner besseren Hälfte. Der spielt bei uns Diener, während seine Frau für uns flickt und wäscht. Für Weihnachten sind wir schon beim Pastor und bei einer anderen deutschen Familie eingeladen. – Die Ukrainer sind nicht besonders entzückt von unserer Anwesenheit, während die Deutschen natürlich froh sind, daß sie in uns militärischen Schutz haben. Außer uns 7 Mann teilen noch 1 Katze, 1 großer und 5 kleine Hunde unsere Stube. Das ist manchmal ein Spektakel, als liefen gewisse Leute auf einem gewissen Gange Rollschuh!! Nikolajew ist eine schöne Stadt, mit nur großen, breiten Straßen. Vor allem herrscht hier etwas mehr Ordnung, als in Konstantinopel. Abends gehen wir öfters ins Kaffe, wo es guten Tee und Kaffe mit Milch und Zucker gibt. Vor allem gibt es ein wunderbares Gebäck! Im Sommer muß es hier wundervoll sein. Nun, so lange wird es wohl nicht mit uns dauern! Tagebuch, Nikolajew, 05.12.1918: Bin gerade von einer 5tägigen Tour nach Odessa zurück, wo ich 40.000 M für Löhnung geholt habe. In Odessa sind schon Franzosen und Engländer. Bei Euch sollen ja Amerikaner sein. Von Euch höre und sehe ich nichts mehr. Seit Konstantinopel habe ich keinerlei Nachricht mehr von Euch. Ich war noch einmal in Odessa, wo ich im Eisenbahndirektionsgebäude mit dem Major Kessler, einem sehr netten Herrn, und anderen Generalstaboffizieren mit den Franzosen in Konstantinopel telegraphisch verhandelte. In Odessa durfte man sich zu der Zeit schon nicht mehr als Deutscher sehen lassen, denn die Polni-schen Legionäre schossen jeden Deutschen nieder. – Auch in Nikolajew waren Franzosen, Engländer und Griechen. Wir haben noch gegen den Ataman Gregorieff gekämpft und gegen die Bolschiwiken einen Panzerzug behelfsmäßig aufgestellt. Gregorieff hatte durch Maueranschlag angekündigt, daß er jeden Deutschen, den er erwische, an den Laternen aufknüpfen werde. Die Bolschiwiken hatten sich erboten, uns mit der Bahn nach Hause zu befördern. Diejenigen Regimenter, die sich hierauf eingelassen haben, sind nie nach Deutschland gekommen. Die Entente (ein 1907 aus der Entente cordiale entstandenes Bündnis zwischen dem Vereinigten Königreich, Russland und Frankreich) hatte uns ebenfalls unsere Heimreise in Aussicht gestellt, wenn wir ihnen gegen die Bolschiwiken helfen würden. Von Nikolajew aus haben Züge bis nach Cerson gemacht und überall die Bolschiwiken aus den Städten für die Entente herausgeworfen. Der Engländer hat sein Versprechen auch gehalten und nach Besetzung der Ukrainischen Hafenstädten mit dem Abtransport der Deutschen aus Nikolajew begonnen.

30.01.1919: Ich war zu einer russischen Offiziersfamilie zu deren Schutz gezogen, wo ich sehr gut unterkam und als Familienmitglied behandelt wurde. Auf Heiligabend sollte ich noch mit Köhler und Lose nach Jekatarinoslaw reiten, weil die dortige Telegraphenstation keine Antwort mehr gab. Zu meinem Glück haben sich jedoch Köhler und Lose strikt geweigert, den Befehl auszuführen. Wenn wir wirklich abgeritten wären, würden wir niemals mehr Deutschland gesehen haben. Zuletzt waren wir noch zu ungefähr 3.000 Deutsche. Nikolajew ist mehrmals während meiner Anwesenheit von den Bolschiwiken beschossen worden. Schaden wurde jedoch nicht angerichtet. 14.03.1919: Wir wurden alarmiert. Die Ententetruppen hatten in Cerson und anderen Städten von den Bolschiwiken ordentlich Keile bekommen und waren auf ihren Dampfern und Kriegsschiffen nach Odessa geflohen. Da wurde auch für wenige Deutsche in Nikolajew die Lage unhaltbar und wir fuhren am 15.03.1919 abends mit einem gekaperten Dampfer nach Odessa. Da wir Odessa nicht mit Waffen betreten durften, haben wir alles Waffenähnliche ins Meer geworfen. Nachts 2:30 Uhr liefen wir den Hafen von Odessa an. Dort blieben wir einige Tage auf unserem Dampfer, um am 21.03.1919 auf den Dampfer Wellikorossia umgeladen zu werden. Am 22.03.1919 8 Uhr gings ab. Unterwegs hatten wir sehr starken Wellengang, so daß fast alle kotzten wie die Reiher. An Bord hatten wir auch einige deutschen Zivilisten mit ihren Frauen, die geflüchtet waren. Es werden wohl die einzigsten Auslands-Deutschen aus Rußland sein, die heil nach Deutschland gekommen sind. Am 24.03.1919 liefen wir abends in den Bosporus ein und gingen in der Bucht von Hawak vor Anker. Am nächsten Tage ging es morgens früh weiter bis Haidar Pascha, wo wir bis um 5 Uhr nachmittags blieben. Brief, Constantinopel, 26.03.1919: Liebe Eltern, endlich auf der Heimreise. Heute in Cospoli angekommen. Fahren nach Saloniki – Genua. Von dort mit der Bahn weiter. Alles in bestem Wohlergehen. Herzlichste Grüße Euer Willy.

Um 7 Uhr morgens bis 11 Uhr fuhren wir am 26.03.1919 durch die Dardanellen und kamen am 27.03.1919 um 4 Uhr nachmittags in Saloniki an

Auf der Reede von Saloniki blieben wir bis zum 30.03. lie-gen, fuhren dann ein Stück und wurden am gleichen Tage in Mikra interniert. Hier wur-den wir nochmals durch Schwarze (Franzosen) genau nach Waffen durchsucht.

Unsere Wut und Enttäuschung ist leicht zu erklären. Als Dolmetscher fungierte ein Deutscher Jude aus Berlin, der sich bei den Franzosen dadurch lieb Kind zu machen suchte, daß er uns regelrecht piesackte. Zum Dank dafür haben ihn die Franzosen, als wir später zur See heimfuhren, unserem Transport beigegeben. Er ist nicht mehr bis Emden gekommen!

Das Lager bestand aus einer riesigen Zeltstadt, in der die Internierten und Gefangenen nach den einzelnen Ländern getrennt waren. Wir hatten dort Deutsche, Österreicher, Bulgaren und Türken.

Das ganze Lager war mit einem doppelten Drahtgitter umgeben, zwischen denen die farbige Bewachung patrouillierte. Wir lagen zu 25 Mann in einem Zelt dicht gedrängt. Es war keine schöne Zeit.

Am 02.04.1919 erhielt unser Transportführer, Admiral Hopmann, von den Franzosen 3 Wochen Festung, weil er energisch gegen die unberechtigte Internierung protestiert hatte. Bei der Bekanntgabe des Urteils haben wir auf Admiral Hopmann ein dreifaches Hurrah ausgebracht, das so kräftig ausfiel, daß daraufhin die französische Wache alarmiert wurde. Überhaupt hatten die Franzosen vor uns schweren Schiss.

Einmal haben wir eine französische Wache entwaffnet und Waffen und die dazugehörigen Schwarzen auf dem französischen Wachtlokal ab-geliefert! Darauf mußten die Schwarzen tagelang mit schwerem Gepäck ununterbrochen um ein Zelt herum laufen und wurden nachts in einen kleinen Drahtkäfig eingesperrt.

In so einem Kasten habe ich auch eine Nacht gehockt, weil ich mich zuweit vom Lager entfernt hatte. Nachdem wir nämlich einen neuen französischen Hauptmann als Lagerkommandanten bekommen hatten,

wurden die Drahtgitter entfernt und wir durften uns im Umkreise von 2 km vom Lager entfernen.

Von da ab war die Gefangenschaft nicht mehr so schlimm. Wir haben den ganzen Tag Sport getrieben oder am Meer gefaulenzt.

14.05. 1919: Major Kessler fuhr zu Verhandlungen nach Konstantinopel, worauf am 03.06.1919 die ersten Dampfer Nebe und Constantin zum Abtransport einliefen.

Am 27.06.1919 wurden wir auf den Dampfer Reschid Pascha als letzte Deutsche verladen und fuhren am 28.06.1919 nachmittags 5:30 Uhr ab.

Tagebuch, 29.06.1919: 8 Uhr Skyros passiert. 6:15 Uhr Tzia passiert. 9 Uhr Milos passiert. Tagebuch 30.06.1919. 6 Uhr morgens Kreta passiert, Kurs Malta. Tagebuch 02.07.1919: 1:30 Uhr Malta passiert. 4:30 Uhr Pantelaria passiert. Tagebuch 03.07.1919: 1:45 Uhr Sardinien passiert. Tagebuch passiert.

04.07.1919:

Nachts

Algier

Tagebuch 05.07.1919: 7:30 Uhr Kap Tenis passiert. Tagebuch 07.07.1919: Morgens 10 Uhr Gibraltar angelaufen. Tagebuch 09.07.1919: Dampfer St Denis mit Martin Köhler läuft ein. Tagebuch 06.07.1919: Mittags Sierra Newada sichtbar. 6:20 Uhr Insel Alborian, Küste Afrika mit Mont Tessa sichtbar. Tagebuch Gibraltar.

10.07.1919:

Auslaufen

aus Tagebuch 11.07.1919: 9 Uhr Kap Vezent passiert. Tagebuch 12.07.1919: Höhe Lissabon. Tagebuch 13.07.1919: Schwere See in der Biskaja. Tagebuch 14.07.1919: Kap Finistere passiert. 2 Uhr Mitte des Golfs Biskaga erreicht. Tagebuch 15.07.1919: 2:30 Uhr Bret. Müssen wegen Kesselschaden nach England.

Tagebuch 16.07.1919: 10 Uhr engl. Küste. Star Point passiert. 1 Uhr Lotse von With an Bord. 9 Uhr Cowes vor Anker. Tagebuch 18.07.1919: 3:30 Uhr morgens dichter Nebel. Abfahrt erst 13 Uhr. Höhe Dover Minenfeld passiert. Tagebuch 19.07.1919: Höhe Rotterdam. 5 Uhr deutscher Lotse auf Höhe Neuschilling an Bord genommen. 21 Uhr begleitet uns deutsches Minenboot.

Die Fahrt durch das Mittelmeer und die Nordsee war herrlich. Merkwürdigerweise bin ich nie seekrank gewesen, während die meisten aus dem Kotzen nicht rauskamen. Der Reschid Pascha war behelfsmäßig mit Stellagen versehen, auf denen wir auf dem nackten Holz lagen. Auch hatten wir noch einige Zivilisten an Bord. Da war es uns – schadenfroh ist ja nun mal der Mensch – immer eine besondere Freude, wenn diese Zivilisten unseren Lokus benutzen mußten, der nur aus einem langen Balken bestand. Von Zeit zu Zeit wurden dann die „Ergebnisse der Sitzungen“ einfach mit einem Schlau über Bord gespült!! Am liebsten stand ich ganz vorn am Bug oder ganz hinten am Heck des Schiffes. Besonders in der Nacht war es dort unglaublich schön. Das Schiff fuhr mit türkischer Besatzung, die unterwegs streikte. Da haben Leute von der Göben gefahren und wir haben Kohlen getrimmt. Vor Gibraltar hatten wir Maschinenschaden und mußten außerdem nach Kohle fassen. Die Engländer haben uns bereitwilligst mit allem ausgeholfen. In der Biskaga hatten wir wieder Maschinenschaden. Wir fuhren jedoch nicht nach dem nahe liegenden Brest, sondern nach England, weil wir mit den Franzosen bisher schlechte Erfahrung gemacht hatten. Tagebuch 20.07.1919: 6 Uhr morgens Einfahrt in Emden. Empfang und Einkleidung. Brief, 21.07.1919: Meine lieben Eltern, endlich bin ich nun auch auf deut-schem Boden gelandet. Mein Befinden läßt nichts zu wünschen übrig. Hoffe auch Euch in bester Gesundheit anzutreffen. Vermutlich bleiben wir noch einige Tage zu Emden. Ich fahre dann mit dem Lose nach Leipzig. Lose ist schwer krank und ich habe ihm versprochen ihn heimzubringen. Bei nächster Gelegenheit mehr im Briefe. Allerherzlichste Grüße und Küsse Euer Willy. Der Empfang hier war mehr als überraschend lieb. Tagebuch 21.07.1919: Abschiedskneipe der Türken. Tagebuch 22.07.1919: Abfahrt mit Bahn ab Emden über Bremen, Ülzen, Stendal, Magdeburg nach Leipzig. Tagebuch 23.07.1919: 23 Uhr Ankunft in Leipzig. Lose in Lazarett gebracht. Wohnung in 4 Jahreszeiten. Tagebuch 07.08.1919: 13:53 Uhr Abfahrt nach Berlin. Tagebuch 08.08.1919: Abends weiter nach Strelitz. Tagebuch 09.08.1919: Empfang der Militärpapiere und Entlassung zum 05.08. infolge Demobilmachung ordnungsmäßig. 12:32 Uhr nach Berlin zurück. Tagebuch 11.08.1919: Nachts 3:42 Uhr Abfahrt von Berlin, morgens wieder daheim.

Von Emden aus bin ich nicht gleich nach Hause gefahren, weil ich dem an Malaria erkrankten Kameraden Lose versprochen hatte, ihn nach Leipzig zu bringen. Hier hatte ich viel Schwierigkeiten, ehe meine Entlassungspapiere in Ordnung waren. Noch auf der Fahrt von Berlin nach Köln wäre ich beinahe in Langenfeld von den Engländern festgenommen worden, weil ich keine Einreiseerlaubnis hatte. Nur dadurch, daß ich eine Absperrung übersprang und mich im Zuge versteckte entging ich einer nochmaligen Festnahme. Als ich nun endlich wieder glücklich daheim war, war die Freude bei den Eltern und mir groß, hatte ich doch seit Konstantinopel keinerlei Nachricht mehr von daheim bekommen, und war froh, meine Lieben noch gesund anzutreffen.