Karl Plepelits Denn die Zeit ist nahe Frauen im Urchristentum ...

Götter, warum habt ihr mich verlassen? Ein elender ... Gott, von allen Göttern verlassen, sitze ich hier in .... züglich dessen Rat, mich dorthin zu einer Kur zu.
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Karl Plepelits

Denn die Zeit ist nahe Frauen im Urchristentum Historischer Roman freie edition © 2011 AAVAA Verlag UG (haftungsbeschränkt) Quickborner Str. 78 – 80, 13439 Berlin Alle Rechte vorbehalten www.aavaa-verlag.de 1. Auflage 2011 eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Umschlaggestaltung: Fotostudio Helmut Reisinger, Kapfenberg Printed in Germany ISBN 978-3-86254-311-3

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Dieser Roman wurde bewusst so belassen, wie ihn der Autor geschaffen hat, und spiegelt dessen originale Ausdruckskraft und Fantasie wider. Alle Personen und Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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1 O Gott, warum hast du mich verlassen? O ihr Götter, warum habt ihr mich verlassen? Ein elender Wurm, ein lebender Leichnam, von Gott, von allen Göttern verlassen, sitze ich hier in Einsamkeit, in Modergeruch, in ewiger Finsternis und trauere meinem verlorenen Leben, meinem verlorenen Glück, meiner verlorenen Liebe nach. Die Liebe selbst, sie ist mir fremd geworden. Und darum bin ich, ein angeblich Lebender, in Wahrheit tot. Leben. Was bedeutet leben im tiefsten Sinn des Wortes? Nicht einfach noch nicht gestorben sein oder gar dahinvegetieren nach Art der Würmer oder Gänseblümchen. Es bedeutet lieben und geliebt werden, nicht nur so, wie es diese neue Religion, das Christentum, lehrt, sondern auch, wie Eros will und wie Platon es begründet: Jeder von uns ist die Hälfte eines Menschen, weil wir von Zeus in zwei Hälften zerschnitten worden sind, weil aus einem zwei geworden sind. Daher sehnt sich ein jeder nach seiner anderen Hälfte. Sobald man ihr begegnet, sind die beiden vor Liebe und Vertrautheit 6

und Verlangen auf wunderbare Weise regelrecht von Sinnen und wollen auch für kurze Zeit sozusagen nicht mehr voneinander lassen, sondern würden am liebsten zusammenwachsen, sodass sie aus zweien eins werden und, wenn sie sterben, auch dort im Hades nicht zwei, sondern nur eins sind. Dafür ist eben das der Grund, dass dies unsere ursprüngliche Natur war und wir ganz waren. Und das Verlangen nach dem Ganzen heißt Liebe. Und welche Art von Liebe predigt Jesus von Nazareth, der Gründer des Christentums? Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand. Dies ist das größte und erste Gebot. Ein zweites, ebenso groß: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Er verheißt seinen Gläubigen ewiges Glück im Reich Gottes, lehrt jedoch zugleich Folgendes: Es gibt Eunuchen, die aus dem Mutterleib so geboren worden sind, und es gibt Eunuchen, die von den Menschen zu Eunuchen gemacht worden sind, und es gibt Eunuchen, die um des Himmelreiches willen sich selbst zu Eunuchen gemacht haben. Wer es fassen kann, der fasse es. 7

Oh, es ist nicht schwer zu fassen: So gewinnt der Mensch ewiges Leben und ewiges Glück im Reich Gottes. Nur wird jenes Glück mit bitterstem Unglück im ohnedies so kurzen irdischen Leben erkauft. Ich kann es nämlich bezeugen. Wie sprach Jesus, ehe er das Haupt neigte und seinen Geist aufgab? Es ist vollbracht. Ja, es ist vollbracht. Ein elender Wurm, ein lebender Leichnam, von Gott, von allen Göttern verlassen, sitze ich hier in Einsamkeit, in Modergeruch, in ewiger Finsternis, und trauere meinem verlorenen Leben, meinem verlorenen Glück, meiner verlorenen Liebe nach. Aufrecht hält mich allein die Erinnerung an eine bessere Zeit, als ich lebte, als ich glücklich war, als ich liebte und geliebt wurde. Und damit mich die Erinnerung daran auch weiterhin aufrecht hält, will ich diesem Papyrus die Geschichte meines Lebens anvertrauen. Mein Schreibrohr soll die süße Erinnerung festhalten und mir so einigen Trost in meinem Elend verschaffen. Denn stärker als der Tod ist die Liebe.

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2 Liebes Schreibrohr, wo beginnen wir? Wollen wir mit jenem Tag beginnen, an dem sich das Rad meines Schicksals in Bewegung setzte? Ja? Also gut. Ich saß in der Badewanne des Heilbades und wartete auf meinen Arzt. Vor der Wanne stand ein sichtlich nervöses Bürschchen, noch jünger als das Bürschchen in der Badewanne, und erklärte ohne auch nur den Ansatz eines Schmunzelns, er müsse meine unsterbliche Seele retten. Er könne nicht zulassen, dass ich, sollte ich plötzlich sterben, zu ewigem Feuer verdammt werde. Er werde mich daher jetzt untertauchen. Hätte er mir mehr Zeit gelassen, um den Sinn seiner Worte zu erfassen, jenes groteske Missverständnis, das uns bevorstand, hätte leicht vermieden werden können. So aber dachte ich, mein letztes Stündlein habe geschlagen. Noch dazu begann er ohne jeden Übergang Unverständliches zu murmeln mit einer Stimme, die an eine Beschwörung der Unterweltgottheiten denken lassen musste. In meiner Verwirrung verstand 9

ich nur „Satan“ und „jeder böse Geist“. Dann hörte ich ihn laut und deutlich deklamieren: „Ich tauche dich unter im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Und schon drückte er meinen Kopf unter Wasser. Todesangst überkam mich. In wilder Panik verschluckte ich mich, begann um mich zu schlagen. Kaum hatte ich den Kopf aus dem Wasser und mich freigehustet, stimmte ich ein wütendes Geheul an. Er versuchte mir den Mund zuzuhalten. Es entbrannte eine wilde Schlägerei. Er landete in der Badewanne. Nun tauchte ich ihn unter, wenn auch ohne fromme Beschwörungsformeln. Das Wasser in der Wanne färbte sich rot. Ich ließ ihn wieder los. Er stimmte ein wütendes Geheul an. Soll jetzt ich ihm den Mund zuhalten? Verdammt, von draußen sind schon aufgeregte Stimmen und eilige Schritte zu hören. Was soll ich tun? Nichts konnte ich mehr tun. Im nächsten Moment wurde die Tür aufgerissen. Mit allen Anzeichen der Bestürzung kamen Leute hereingestürzt.

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Und dann stand plötzlich wie ein rächender Engel mein Arzt vor uns.

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3 Aber, mein liebes Schreibrohr, hat sich denn das Rad meines Schicksals nicht schon ein wenig früher in Bewegung gesetzt, nämlich mit meiner schicksalhaften Reise von meiner Vaterstadt Ephesos nach Hierapolis, wo ich meiner anderen Hälfte begegnen sollte? Natürlich. So haben es die Schicksalsgöttinnen gefügt. Und warum begab ich mich auf diese Reise? Antwort: Der vielgerühmten Heilquellen von Hierapolis wegen. Und wer hat mich nach Hierapolis geschickt? Antwort: Die Schicksalsgöttinnen. Sie planten, im Heilbad von Hierapolis jene groteske Schlacht in der Badewanne zu inszenieren. Und: Didymos, mein bester Freund, Sohn reicher Eltern, die nie Bedenken hatten, das Füllhorn ihres Reichtums über ihn auszugießen. Und da, wie das Sprichwort sagt, Freunden alles gemeinsam ist, durfte ich am Inhalt dieses Füllhorns häufig mitnaschen.

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Meine Eltern hätten es sich niemals leisten können, mich zur ärztlichen Behandlung nach Hierapolis zu schicken. Didymos oder seine Eltern konnten es sich leisten. Sie ließen mich von einem Arzt untersuchen und befolgten unverzüglich dessen Rat, mich dorthin zu einer Kur zu schicken. Dass mir eine Kur gut tun würde, war ein zwar höchst bedauerliches, aber unbestreitbares Faktum. Mit meiner Gesundheit stand es schon seit geraumer Zeit nicht mehr zum Besten. Statt mit Didymos und meinen übrigen Schulkameraden am Unterricht im Gymnasion teilzunehmen, sah ich mich gezwungen, das Bett zu hüten. Und das bekümmerte Didymos nicht weniger als mich selbst. Denn meine Krankheit beraubte alle beide göttlicher Freuden. Zu zweit, in der Gemeinschaft, fällt den Menschen, zumal jungen, vieles leichter.

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4 Ach, mein liebes Schreibrohr, ich fürchte, wir müssen noch viel weiter in die Vergangenheit zurückgehen. Genaugenommen begann sich das Schicksalsrad ja schon zu drehen, als ich gemeinsam mit Didymos jene göttlichen Freuden kennenlernte. Das war zwei Jahre früher, bald, nachdem wir die Schule unseres Lehrers Timon abgeschlossen hatten und ins Gymnasion eingetreten waren. Müßig und gelangweilt schlenderten wir gerade durch die Straßen von Ephesos, ich und Didymos. Da blieb er stehen, fasste mich am Arm, zeigte mit dem Kopf auf das Haus vor uns und sagte mit bedeutsamer Miene und geheimnisvoller Stimme: „Du, Hippias, weißt du, wer hier wohnt?“ Verwundert schüttelte ich den Kopf. „Perikleia.“ „Eine Tante von dir?“ Didymos lachte, als wäre meine Frage ein gelungener Scherz.

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„Keine Tante. Sondern unsere Gespielin (Hetäre), ich meine, unsere künftige Gespielin. Wollen wir sie besuchen?“ Und ernster werdend: „Du weißt, heute habe ich Geburtstag, bin fünfzehn geworden. Du wirst es in Kürze. Wir sind jetzt keine Kinder mehr, sollten also endlich aufhören, uns gegenseitig anzuspritzen oder ähnliche dumme Spielchen zu spielen, und anfangen, Gott Eros zu ehren. Am Geburtstag hat doch jeder einen Wunsch frei. Na, wirst du fragen, und was wünschst du dir? Hör zu. Mein Wunsch lautet: Ich will Gott Eros ehren. Ja, aber was hilft’s, wenn ich mich allein nicht traue? Und was folgt daraus? Dass du mir beistehen wirst. Perikleia soll uns beide in die Mysterien des Eros und der Aphrodite einweihen.“ Und ehe ich noch etwas erwidern konnte, bugsierte er mich zum Eingangstor. Zwar spürte ich nur allzu deutlich, wie seine Hand zitterte. Aber mit mir zusammen traute er sich, den Türklopfer zu betätigen, traute sich zu verlangen, dass man uns zu Perikleia führe, und traute sich, sie zu bitten, uns in die Mysterien des Eros einzuweihen.

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Perikleia war freundlich, verständnisvoll, zartfühlend. Mit Hilfe etlicher Becher Wein nahm sie uns Angst und Unsicherheit. Nach und nach entkleidete sie uns und auch sich selbst und bereitete uns göttliche, bisher ungeahnte Freuden, indem sie beide einweihte, zuerst (auf Didymos’ Wunsch und unter seinen Augen) mich, danach ihn selbst. Mich ließ er freilich nicht zuschauen. Trotzdem war ich ihm unendlich dankbar. Denn Perikleia hatte mich zum Mann gemacht. Ich fühlte mich wie ein Schmetterling, der soeben aus seiner Puppe geschlüpft ist. Vorher hatte ich, wie die Puppe eines Schmetterlings, geschlummert, vegetiert, geträumt. Nun war ich erwacht und sah die Welt mit den Augen eines Erwachsenen. Genauso empfand es Didymos.

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5 Von nun an spendete uns Perikleia diese göttlichen Freuden, so oft es möglich war, und bald hatte Didymos sogar den Mut, mich zuschauen zu lassen, während sie ihn beglückte. Aber zuletzt musste ich ihn zu meinem größten Bedauern enttäuschen. Eine rätselhafte Krankheit war über mich gekommen. Heilung war, so schien es, keine in Sicht. Und hier zeigte sich so richtig, was für ein fabelhafter Freund er war. Ein anderer hätte sich an seiner Stelle einen Ersatz für mich gesucht oder wäre vielleicht sogar über seinen Schatten gesprungen und allein zu Perikleia gegangen. Nicht so Didymos. Eines Morgens kam er an mein Krankenlager, gefolgt von seinem Milchbruder und Sklaven Epaphras und meinen aufgeregt gestikulierenden Eltern, und verkündete mit strahlender Miene, mit mir werde es bald wieder aufwärts gehen, denn er werde mich nach Hierapolis zu den von meinem Arzt empfohlenen Heilquellen bringen. Unter lebhafter Anteilnahme aller meiner 17