Kant und Wilson

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Karl Vorländer Kant und der Gedanke des Völkerbundes Mit einem Anhang: Kant und Wilson

Celtis Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abruf bar.

Editorische Notiz: Das vorliegende E-Book folgt der Ausgabe: Karl Vorländer, Kant und der Gedanke des Völkerbundes. Mit einem Anhange: Kant und Wilson; erschienen im Verlag von Felix Meiner, Leipzig 1919. – Der Text ist neu gesetzt und typografisch modernisiert. Die Orthografie bleibt unverändert, nur offenkundige Fehler des Setzers sind korrigiert. Die Fußnoten wurden nicht seitenweise, sondern durchgehend nummeriert. Über die Seitenkonkordanz zur Ausgabe von 1919 wird in den eckigen Klammern informiert.

Alle Rechte vorbehalten © für diese Ausgabe 2015 Celtis Verlag, Berlin www.celtisverlag.de ISBN 978-3-944253-09-1

Inhalt:



Einleitung I. Kapitel II. Kapitel III. Kapitel IV. Kapitel: Kant und Wilson

S. S. S. S. S.

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Wie nach Schiller die schönsten Träume von Freiheit im Kerker geträumt werden, so hat sich gerade in den vom blutigen Kampfe aller gegen alle erfüllten letzten Jahren mit verdoppelter Sehnsucht aus allen Gemütern, die noch etwas von dem bewahrt haben, was den Menschen eigentlich zum Menschen macht, der Ruf nach einem endlichen Auf hören des sinnlosen Gemetzels, nach einem dauernden Frieden, nach Wiederversöhnung der entzweiten Nationen, nach einem zukünftigen Vö 1 k e r b u n d e losgerungen. Diesem Verlangen haben bereits im Jahre 1916 sogar die offiziellen Vertreter der Mächtigsten unter den Kriegführenden: Amerika, England, Deutschland Ausdruck gegeben. Nachdem der Präsident der damals noch neutralen Vereinigten Staaten im Mai genannten Jahres die Errichtung eines Völkerbundes zur Verbürgung des Weltfriedens vorgeschlagen, nachdem Lord Grey am 23. Oktober diesen Vorschlag mit Freuden begrüßt hatte, erklärte Herr von Bethmann-Hollweg am 9. November im Deutschen Reichstag: „Wenn bei und nach der Beendigung des Krieges seine entsetzlichen Verwüstungen an Gut und Blut der Welt erst zum vollen Bewußtsein kommen werden, dann wird durch

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die ganze Menschheit ein Schrei nach friedlichen Abmachungen und Verständigungen gehen, die, soweit es irgend in Menschenmacht liegt, die Wiederkehr einer so ungeheuerlichen Katastrophe verhüten. Dieser Schrei wird so stark und so berechtigt sein, daß er zu einem Ergebnis | führen muß.“ Deutschland aber werde nicht bloß jeden Versuch einer praktischen Lösung ehrlich prüfen, sondern „jederzeit bereit“ sein, „einem Völkerbunde beizutreten, ja, sich an die Spitze eines Völkerbundes zu stellen, der die Friedensstörer im Zaume hält“. Trotzdem ist die wahnwitzige Vergeudung von Gut und Blut noch zwei furchtbare Jahre weitergegangen. Welche Personen die Schuld daran getragen haben, sei hier nicht erörtert, das hat nachträglich auch wenig Wert. Sachlich war es auf jeden Fall, – und zwar unserer Meinung nach bei a l l e n beteiligten Nationen – der Sieg der hinter schönen, patriotischen Redewendungen nach außen sich verhüllenden nackten M a c h t - und G e w a l t politik über Vernunft, Menschlichkeit und Recht: einer Machtpolitik, die dann bei uns und unseren bisherigen Verbündeten am frühesten zusammenbrach. Und nicht eher ist eine Besserung zu erhoffen, ehe sich nicht alle Völker ohne Mißtrauen und Hintergedanken von solcher Politik losgesagt und auf den Standpunkt von R e c h t und G e r e c h t i g k e i t gestellt, beziehentlich ihre Regierungen zu diesem Standpunkte gezwungen haben. Das wird lange dauern, denn zu tief haben sich innerhalb der mehr als vier Kriegsjahre die Gefühle der Feindseligkeit und des Mißtrauens in den Gemütern eingefressen. Ob es überhaupt zu verwirklichen sein wird? Worauf wir trotz allem unsere Hoffnung bauen, wird am Schlusse unserer Erörterungen deutlich werden. Jedenfalls dürfen wir nicht auf andere warten. Wir Deutsche

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müssen – nicht deshalb, weil wir jetzt beinah wehrlos am Boden liegen, sondern um der Sache selbst willen – zeigen, daß wir, daß das deutsche Volk als Ganzes nicht weiter die Schuld tragen will an jener Macht- und Gewaltpolitik seiner früheren Beherrscher, daß | es ehrlich an einem zukünftigen Völkerbunde, der j e d e r Nation ihr freies Entwicklungsrecht läßt, mitzuarbeiten gewillt ist. Und wie das bei Jena niedergebrochene Preußen von 1806 nur dadurch wieder in die Höhe kam, daß es eine Erneuerung an Haupt und Gliedern unter der Mitarbeit seiner Besten vornahm, so müssen wir heute einen noch weit größeren, noch viel tiefer fundamentierten sittlichen und politischen Neubau aufführen als damals. Wir müssen, so paradox es den sich klug dünkenden „Real“ - Politikern auch scheinen möge, auch in der Po l i t i k zurück oder vielmehr vorwärts zu den Bahnen desjenigen, dem die deutsche P h i l o s o p h i e zu ihrem Heile in den letzten Jahrzehnten in weitem Maße gehuldigt hat: I m m a n u e l Ka n t s . Und wir wollen stolz darauf sein, daß auch in der Frage des

Völkerbundes und des „ewigen“ Friedens unter den Völkern gerade unser größter Philosoph den Philosophen aller anderen Völker vorangegangen ist. Welche Vorgänger hat er auf diesem Wege gehabt?

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I. Die frühesten Verkünder solcher Zukunftsgedanken sind wohl die israelitischen Propheten, zumal Jesaja und Sacharja, gewesen; wenn sie in nicht bloß religiöser, sondern auch politischer Begeisterung von der Zeit reden, in der die Völker „nicht mehr den Krieg lernen“, wo „der Wolf mit dem Lamme weiden“ wird. Im alten Hellas dagegen hält sich selbst Platos Idealstaat noch in den Grenzen nationaler Absonderung; und die erste tatsächliche Gründung eines „Umwohner“(Amphiktyonen) - Bundes mit gewissen schiedsgerichtlichen Einrichtungen umfaßt noch nicht einmal alle griechischen Stämme. Erst auf dem Boden von Alexanders Reich entspringt dann in dem Stifter der Stoa Zeno, der, an der Grenzscheide zweier Kulturen, der hellenischen und orientalischen, geboren, vielleicht selbst der Abstammung nach beiden Rassen angehörte, zum erstenmal der Gedanke eines We l t staats, der jedoch noch höchst verschwommen gedacht wird. Wie hätte es auch anders sein können? Blieb doch das Reich Alexanders und seiner Nachfolger auf Gewalt gegründet. Und ebenso einige Jahrhunderte später das noch ausgedehntere Imperium Romanum, wenngleich es, namentlich unter den Reformkaisern

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