Intermedialität am Beispiel von Moderato Cantabile ... AWS

Strandpromenaden, die Dialoge im Café und die voyeur-Perspektive beim Leser die. Vorstellung an etwas `Filmisches´ zu evozieren.3 Aber mehr noch: Die Rolle des. Rezipienten wird auf vollkommen neue Weise definiert. Wie durch eine `Kamera´ nimmt er das Geschehen war. Auch bei Hiroshima mon amour (1959) ist ...
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Carmen Dreisen

Intermedialität am Beispiel von

Moderato cantabile & Hiroshima mon amour

Diplomica Verlag

Carmen Dreisen Intermedialität am Beispiel von Moderato cantabile & Hiroshima mon amour ISBN: 978-3-8428-0093-9 Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010

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Inhaltsverzeichnis Seite I. Einleitung……………………………………………………………………………1 Teil A: Entwicklung einer Methodik der Analyse intermedialer Bezüge I. Intermedialität vs. filmische Schreibweise…………………………………………. 4 1. Nachweisbarkeit der filmischen Schreibweise aus diachroner Perspektive... 5 1.1 Sergej M. Eisenstein: Affinitäten zwischen Film und Literatur?................. 5 1.2 Filmische Schreibweise: die Geschichte intermedialer Verflechtungen….. 9 2. Diachrone Ausführungen zur Intermedialität………………………………. 17 3. Das Problem der Historizität……………………………………………….. 19 4. Synchrone Verortung der Termini…………………………………………..20 5. Differenzkriterien für Literatur und Film…..………………………………. 21 II. Neuansätze zur Methodik der intermedialen Bezüge……………………………… 25 1. Art, Ort und Intensität der intermedialen Bezüge…………………………...29 2. Funktionen intermedialer Bezüge…………………………………………... 39 Teil B: Textanalyse der Durasschen Werke I. Analyse der intermedialen Bezüge bei Moderato cantabile………………………... 40 1. Roman vs. Film: die Nouveaux Romanciers……………………………….. 41 2. Bezugsarten & Ort bei Moderato cantabile………………………………… 44 3. Intensität der intermedialen Bezüge bei Moderato cantabile………………. 59 4. Fazit………………………………………………………………………… 63 II. Intermediale Bezugnahmen bei Hiroshima mon amour…………………………… 65 1. Art & Ort…………………………………………………………………… 65 2. Intensität……………………………………………………………………. 77 3. Fazit………………………………………………………………………… 82 III. Ausblick…………………………………………………………………………... 83 IV. Anhang……………………………………………………………………………. 87 V. Literaturverzeichnis……………………………………………………………….. 89

1

I. Einleitung Als 1958/1959 die Durasschen Werke Moderato cantabile und Hiroshima mon amour erscheinen ist die Rezeption gespalten.1 Die Werke sind alles andere als Erzählungen im traditionellen Sinne.2 Neben der Reduktion der Handlung und der recht sparsamen Darstellung der Umwelt, scheinen insbesondere bei Moderato cantabile (1958) die Strandpromenaden, die Dialoge im Café und die voyeur-Perspektive beim Leser die Vorstellung an etwas `Filmisches´ zu evozieren.3 Aber mehr noch: Die Rolle des Rezipienten wird auf vollkommen neue Weise definiert. Wie durch eine `Kamera´ nimmt er das Geschehen war. Auch bei Hiroshima mon amour (1959) ist dem Leser eine besondere Rolle zugedacht. Es ist an ihm die parallelen Handlungsstränge, die sich sowohl in der Gegenwart als auch in der Vergangenheit situieren, zu interpretieren und in einen entsprechenden Zusammenhang zu setzen. Dabei setzt sich Marguerite Duras ernsthaft mit dem Medium Film, insbesondere mit dem Dokumentarfilm, auseinander. Eine Auseinandersetzung, bei welcher die Frage, inwiefern eine mimetisch-authentische Dokumentation des Geschehens tatsächlich erreicht werden kann, zentral ist. Im Laufe des Buches wird hierbei die Möglichkeit des Festhaltens des Geschehens, hier in Form eines internationalen Friedenfilms, der die fatalen Folgen des Atombombenabwurfes veranschaulicht, durch die Thematisierung des Vergessens unterminiert. Ein Vergessen, das sich als Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung sowohl in das Bewusstsein der japanischen Bevölkerung eingraviert aber auch an anderer Stelle: In dem Kopf einer Frau, die sich entgegen aller Vernunft während der Besatzungszeit des Zweiten Weltkrieges in einen deutschen Soldaten verliebt. Sowohl die zum Scheitern verurteilte Beziehung als auch die Folgen des Massendesasters in Hiroshima werden 1

Vgl. Talpin, Jean-Marc: „La fonction psychique du lecteur dans la poétique durassienne“, S. 119.

In: Vircondelet, Alain (Hrsg.): Marguerite Duras. Rencontres de Cerisy. Paris: Ecriture 1994, S. 117142. 2 3

Vgl. Adler, Laure, Marguerite Duras, S. 357-388. Im Folgenden werden filmische Fachtermini und die filmische Schreibweise in einfache

Anführungszeichen gesetzt. Hiermit soll auf den oxymoronischen Charakter der filmischen Schreibweise und auf den metaphorischen Charakter der Verwendung filmischer Fachtermini im literarischen Ausgangsmedium verwiesen werden. Die Termini der Intermedialität stützen sich auf Irina Rajewsky und werden aufgrund des Zitatcharakters ebenfalls dementsprechend markiert. Fremdsprachige Begriffe werden kursiv gesetzt.

2 dabei konsequent durch entsprechende Rückblenden in Verbindung gebracht. Aber diese Rückblenden schöpfen nicht die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten aus. Sie werden vielmehr präsentisch dargestellt. Eine besonders für den Film typische Darstellungsweise.4 Tatsächlich scheint der Film beziehungsweise das Filmische Marguerite Duras essentiell zu beeinflussen: Während sie zunächst zwanzig Jahre ausschließlich schreibt, beginnt sie 1966 mit La musica ihr erstes kinematographisches Debüt.5 Das aus der Zusammenarbeit mit Regisseur Alain Resnais entstandene Drehbuch Hiroshima mon amour kann somit als Vorstufe hierzu betrachtet werden, und Franz-Josef Albersmeier bezeichnet es nicht zu Unrecht als „Scharnier zwischen Schreibtisch und Filmstudio.“6 Seit 1966 bleibt die Türe dann geöffnet und der perpetuelle Wechsel zwischen den Ausdrucksformen Film und Literatur scheint vollzogen.7 Die Wort-Bild-Wirkung des Films als Massenansprechmittel hat sie für sich gewonnen. Dies erklärt auch das konstante Erproben der hybriden Gattungsform des ciné-roman.8 Ein literarischfilmisches Mischgenre, das durchweg als offen bezeichnet wird und welches unter anderem auch Alain Robbe-Grillet zugeordnet wird.9 In ihm findet sich die Bewegung eines `Kameraauges´, welches stets nur einen Ausschnitt aus der sie umgebenden Wirklichkeit zeigt.10 Die hiermit einhergehende Rezeptionslenkung manifestiert sich in einem regard der entsprechend beobachtenden Instanz. Die Auseinandersetzung mit einem solchen genre bâtard wurde sowohl seitens der Literaturwissenschaftler als auch seitens der Cineasten aufgrund des Spannungsfeldes der beiden medienspezifisch differenzierten und zugleich miteinander konkurrierenden Ausdrucksformen Zusammenhang

zunächst von

umgangen.11

Termini

wie

etwa

Abwechselnd der

wurden

`filmischen´

in

diesem

beziehungsweise

`kinematographischen Schreibweise´ aber auch der `intermedialen Bezüge´ Gebrauch 4

Vgl. Tschilschke, Christian von, Roman und Film, S. 109.

5

Vgl. Adler, Laure, Marguerite Duras, S. 433, Albersmeier, Franz-Josef, Theater, Film und Literatur

in Frankreich, S. 163. 6

Albersmeier, Franz-Josef, Theater, Film und Literatur in Frankreich, S. 163.

7

Vgl. ebd., S. 164.

8

Vgl. Tschilschke, Christian von, Roman und Film, S. 44.

9

Vgl. Albersmeier, Franz-Josef, Theater, Film und Literatur in Frankreich, S. 100.

10

Vgl. ebd., S. 164.

11

Vgl. ebd., S. 100 f.

3 gemacht. Nicht umsonst erscheinen sie in dem eben genannten Spannungsfeld als schillernde Begriffe. Eine Tatsache, die mit Umberto Ecos Gleichsetzung der `Intermedialität´ als termine ombrellone in den 90er Jahren ihren Höhepunkt findet.12 Denn in den 90er Jahren löst der Begriff der `Intermedialität´ den Terminus der `filmischen´ beziehungsweise `kinematographischen Schreibweise´ mehr und mehr ab.13 In

der

wissenschaftlich-öffentlichen

Diskussion

der

Autoren-,

Film-

und

Kulturtheoretiker um das Medium Film wird bei der Auseinandersetzung mit dem Begriff der `Intermedialität´ gemeinhin auf das Konzept der Intertextualität rekurriert.14 Doch ermöglicht diese Bezugnahme eine Klärung des Begriffes? Entgegen des Konzeptes der Intertextualität werden unter dem Terminus der `Intermedialität´ die Auseinandersetzung

mit

einer

Vielzahl

heterogener

Phänomene

subsumiert.

Phänomene, in welchen „[…] sich mediale Ausdrucksformen und Gattungen aufeinander zu bewegen, sich mischen, gegenseitig durchdringen und aufeinander Bezug nehmen, […].“15 Die zwei Forschungsstränge, die sich hierbei hauptsächlich mit dem Phänomen der `Intermedialität´ auseinandersetzen, betreffen einerseits den Bereich der `Komparatistik´ und andererseits die Traditionslinie `Film und Literatur´ beziehungsweise die `Medienwissenschaften´.16 Im Folgenden wird innerhalb des ersten Teils der Schwerpunkt auf den zweiten Forschungsstrang gesetzt. Im Unterschied zu Christian von Tschilschkes Studie zur `filmischen Schreibweise´, gilt es jedoch auch literarische Bezüge auf andere Medien als den Film zu berücksichtigen.17 Allen voran geht also eine literaturzentrierte Perspektive. Eine Perspektive, die sich mit dem, was gemeinhin als `Intermedialität´ bezeichnet wird, auseinandersetzt. Dabei werden insbesondere der Terminus der `intermedialen Bezugnahme´ und die sich hieraus ergebende `filmische Schreibweise´ zu beleuchten sein. Angrenzende Subkategorien wie etwa die von Irina Rajewsky vorgeschlagenen

Kategorien

der

`Medienkombination´

beziehungsweise

des

`Medienwechsels´ werden dabei als Teilbereich der `Intermedialität´ lediglich 12

Vgl. Eco, Umberto, Apocalittici e integrati, S. 24.

13

Vgl. Rajewsky, Irina O., Intermedialität, S. 8 f.

14

Vgl. ebd., S. 6-8.

15

Ebd., S. 1.

16

Vgl. ebd., S. 8.

17

Vgl. Tschilschke, Christian von:

Roman und Film. Filmisches Schreiben im französischen

Roman der Postavantgarde. Tübingen: Gunter Narr 2000.

4 angeschnitten.18 Eine diachrone als auch synchrone Verortung der Termini `filmische Schreibweise´ und `Intermedialität´ erlaubt schließlich eine kritische Würdigung einzelner Ansätze der Tschilschkeschen Methodik der Filmanalyse und der Theorie der `intermedialen Bezüge´ von Irina Rajewsky. Zugleich vermag sie auch die Aufmerksamkeit auf essentielle Punkte zu lenken und hierauf aufbauend eine eigene Theorie der `intermedialen Bezüge´ zu entwickeln. Eine Theorie, die schließlich im Rahmen des zweiten Teils exemplarisch auf die Durasschen Werke Moderato cantabile und Hiroshima mon amour anzuwenden sein wird.

Teil A: Entwicklung einer Methodik der Analyse intermedialer Bezüge I. Intermedialität vs . filmische Schreibweise Die

Omnipräsenz

der

Termini

écriture

filmique

als

auch

der

écriture

cinématographique zeugen von der Tatsache, dass die `filmische Schreibweise´ auch in Frankreich noch lange nicht vom Intermedialitätsbegriff per se verdrängt worden ist. So begreift die postkoloniale Cineastin und Schriftstellerin Sarah Bouyain in einem Artikel zur écriture filmique und écriture littéraire den Begriff der `filmischen Schreibweise´ auf zweierlei Art und Weise. Sie sieht hierin einerseits das Verfassen eines Drehbuches beziehungsweise eines Plans für ein Filmprojekt, als auch die Herausforderung ihre Schreibweise an die filmische Kunst zu assimilieren.19 Woran aber lässt sich diese Assimilation der `filmischen Schreibweise´ an die filmische Kunst erkennen? Beziehungsweise ist dies aufgrund der spezifischen Mediendifferenz der beiden Manifestationsformen

überhaupt

möglich?

Nachfolgend

wird

die

Frage

der

Nachweisbarkeit der `filmischen Schreibweise´ und `Intermedialität´ auf Basis ihrer diachronen und synchronen Verortung zu beleuchten sein. Im Zuge der diachronen Betrachtung gilt es dabei insbesondere das Historizitätsproblem zu thematisieren. Die anschließende

Auseinandersetzung

mit

den

medialen

Differenzen

und

Gemeinsamkeiten zwischen Film und Literatur aus synchroner Perspektive schafft

18

Vgl. Rajewsky, Irina O., Intermedialität, S. 15-18.

19

Vgl. Bouyain, Sarah: „Ecriture filmique et écriture littéraire“, S. 139. In: Présence africaine: revue

culturelle du monde noir 57 (2004), S. 139-146.

5 zudem eine weitere Basis, welche die medienspezifische Textanalyse im zweiten Teil ermöglicht.

1. Nachweisbarkeit der filmischen Schreibweise aus diachroner Perspektive Als die Gebrüder Lumière im März 1895 ihr Aufnahmegerät fertigstellen, ahnt noch niemand, welche Auswirkungen die Einführung des Mediums Film auf die Literatur haben wird. Überhaupt findet der Film zu Beginn wenig Beachtung.20 Während er sich nach gut einem Jahrzehnt in Amerika durchsetzt, löst die Filmkunst vor allem zwischen 1909 und 1929 nach der Gründung der Filmgesellschaften Film d´Art und der S.C.A.G.L. eine lebhafte Debatte aus. Hierbei erscheint die Frage zentral, ob die Filmkunst der Literatur gleichgestellt ist oder nicht.21 Tatsächlich ist der Film zu diesem Zeitpunkt eine der wenigen Künste, die aus dem kapitalistischen Zeitalter hervorgegangen ist.22 Die Idee einer bürgerlichen Kunst trifft somit in Europa zunächst auf taube Ohren.23 Nach und nach kommt es jedoch zu einer Annäherung zwischen den Medien Film und Literatur, wobei letztere bewusst oder unbewusst immer häufiger filmische Elemente aufgreift. Die Entwicklung der `filmischen Schreibweise´ nimmt fortan ihren Lauf. 1.1 Sergej M. Eisenstein: Affinitäten zwischen Film und Literatur? Doch bereits vor der Geburtsstunde des Kinos meinen später vom Film beeinträchtigte Rezipienten in gewissen Werken eine `filmische Schreibweise´ zu erkennen: So veröffentlicht der sowjetische Regisseur Sergej M. Eisenstein 1942/44 den Aufsatz Dickens, Griffith und wir und begründet hiermit deren weitreichende Thematisierung. Aber auch zahlreiche neue Forschungsperspektiven bezüglich der `filmischen Schreibweise´ finden hierin ihren genuinen Ursprung.24

20 21

Vgl. Balázs, Béla, Der Film, S. 13. Vgl. Rajewsky, Irina O., Intermedialität, S. 30, Albersmeier, Franz-Josef, Theater, Film und

Literatur in Frankreich, S. 153. 22

Vgl. Paech, Joachim, Literatur und Film, S. 1, Schmidt, Johann N.: „Bildersprache: Über die

Problematik von Literaturverfilmungen“, S. 26. In: Weber, Alfred/ Friedl, Bettina (Hrsg.): Film und Literatur in Amerika. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1988, S. 21-44. 23

Vgl. Balázs, Béla, Der Film, S. 39, Albersmeier, Franz-Josef, Herausforderung des Films an die

französische Literatur, S. 19. 24

Vgl. Albersmeier, Franz-Josef, Herausforderung des Films an die französische Literatur, S. 19.