Interkulturelle Probleme von Deutschen in Mexiko: Eine Studie

Mexiko lebenden Deutschen ebenso erlebt und dies – wenn dem so ist – df .... Verhalten der beteiligten Personen zur Wirksamkeit kommen (Breitenbach 1975).
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Sara Müller

Interkulturelle Probleme von Deutschen in Mexiko Eine Studie

disserta Verlag

Müller, Sara: Interkulturelle Probleme von Deutschen in Mexiko: Eine Studie, Hamburg, disserta Verlag, 2015 Buch-ISBN: 978-3-95425-250-3 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95425-251-0 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2015 Covermotiv: © laurine45 – Fotolia.com

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Gliederung Gliederung................................................................................................................................. 7 1 Einleitung ............................................................................................................................ 9 2 Forschungsstand und Methodik ...................................................................................... 11 2.1 Forschungsstand........................................................................................................... 11 2.2 Methodik ...................................................................................................................... 13 3 Definitionen und Grundlagen .......................................................................................... 14 3.1 Interkulturalität – Was ist Kultur? ............................................................................... 14 3.1.1

Nationalkulturen ................................................................................................. 18

3.1.2

Weitere grundlegende Begriffe .......................................................................... 20

3.2 Kulturelle Merkmale versus Stereotypisierung ........................................................... 21 3.2.1

Unterscheidung zwischen Stereotypisierung und kultureller Kategorisierung .. 22

3.2.2

Entstehung von Stereotypen ............................................................................... 23

3.2.3

Umgang mit Stereotypen .................................................................................... 25

3.3 Wissenschaftliche Ansätze: Kulturstandards und -dimensionen und Kommunikationsmodelle ............................................................................................. 28 3.3.1

Kulturdimensionen ............................................................................................. 29

3.3.2

Kulturstandards................................................................................................... 34

3.3.3

Kommunikationsmodelle – Friedemann Schulz von Thun interkulturell .......... 36

3.4 Kulturtiefe .................................................................................................................... 38 3.4.1

Begründung der Wahl der Faktoren ................................................................... 39

3.4.2

Berechnung der Kulturtiefe ................................................................................ 41

4 Aufbau und Herangehensweise der Untersuchung ....................................................... 47 4.1 Aufbau und Erläuterung des Fragebogens ................................................................... 47 4.2 Aufbau und Idee der Gruppendiskussionen ................................................................. 53 4.3 Herangehensweise an die Auswertung ........................................................................ 54 4.4 Grenzen der Untersuchung .......................................................................................... 56 5 Auswertung und Analyse ................................................................................................. 60 5.1 Auswertung des Fragebogens und der Gruppendiskussionen ..................................... 60 5.1.1

Soziografische Daten .......................................................................................... 60

5.1.2

Selbst- und Fremdbild (Frage 9 und 10)............................................................. 63

5.1.3

Gefallen und Missfallen (Frage 11 bis 13) ......................................................... 66

5.1.4

Gesprächsverhalten (Frage 14 – 17) ................................................................... 83

5.1.5

Unpünktlichkeit (Frage 18 – 22) ........................................................................ 85

5.1.6

Körperkontakt (Frage 22 – 26) ........................................................................... 88

5.1.7

Organisation (Frage 27 – 28) .............................................................................. 90

5.1.8

Kulturelle Umstellung und Anpassung (Frage 29) ............................................. 93

5.1.9

Indirektheit (Frage 30 – 32) ................................................................................ 96

5.1.10 Kulturschock..................................................................................................... 101 5.1.11 Selbstveränderung (Frage 40 und 41).............................................................. 105 5.1.12 Vermissen an Deutschland und Mexiko (Frage 42) ......................................... 105 5.1.13 Hierarchisch geordnete Merkmale, die an der mexikanischen Kultur gefallen bzw. missfallen ................................................................................................. 107 5.1.14 Feedback zur Umfrage ..................................................................................... 108 5.2 Vergleichende Auswertung nach Kulturtiefenkategorien.......................................... 109 6 Zusammenfassung der Ergebnisse ................................................................................ 126 Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 131

1 Einleitung „Das Leben in einer fremden Kultur gestaltet sich oft genauso wie das Spielen eines Spiels, dessen Regeln man nicht kennt.“ (Kumbier et al., 2009: 73)

Das (Ein)Leben in einer neuen Kultur bringt oft Irritationen, Verwirrungen und Missverständnisse mit sich. Die „Spielregeln“ der anderen Kultur sind gar nicht oder nur teilweise bekannt. Daher werden automatisch bekannte, eigenkulturelle Spielregeln, also eigenkulturelle Verhaltens- und Erklärungsmuster, angewandt, die jedoch häufig nicht mit denen der Fremdkultur übereinstimmen. Dadurch kommt es zu unangenehmen Verwirrungen und Missverständnissen bis hin zu Abwertungen und Negativstereotypisierungen. Dieses Phänomen ist umso stärker, je mehr sich die Kulturen voneinander unterscheiden. Die deutsche und die mexikanische Kultur sind in Vielem sehr verschieden. In ländervergleichenden Untersuchungen, wie sie zum Beispiel von den Kulturforschern Geert Hofstede oder Fons Trompenaars durchgeführt wurden, stehen sie sich oft kontrastierend gegenüber. Trotz der kulturellen Unterschiede zieht es immer mehr Deutsche zum Studieren, Leben und/ oder Arbeiten nach Mexiko. Schätzungen des Auswärtigen Amtes zufolge sind derzeit 15.000 Deutsche in Mexiko ansässig, neben 75.000 Deutschstämmigen (vgl.: Auswärtiges Amt: Länderinformationen: Mexiko. Stand: Januar 2013). Viele deutsche Universitäten bieten Auslandssemester in Mexiko an, unter anderem die Technische Universität Dortmund, die Technische Universität Berlin, die Hochschule Esslingen und die Technische Universität Dresden. Ziel dieser Studie ist es, interkulturelle Probleme von Deutschen in Mexiko und deren Umgang mit diesen aufzuzeigen. Außerdem soll das Konzept „Kulturtiefe“ vorgestellt und auf seine Gültigkeit bzw. Geltungsbreite untersucht werden. Dieses nimmt Unterschiede im Auftreten von und im Umgang mit interkulturellen Problemen in Abhängigkeit von dem Aufenthaltsgrund des/der Deutschen, der Aufenthaltsdauer, dem Spanischniveau und sozialen Kontakten zu Mexikanern an. Diese vier Faktoren summiert und unterschiedlich gewertet sollen Aufschluss darüber geben, inwieweit die (in diesem Fall: deutsche) Person in die (hier:) mexikanische Kultur integriert ist. Die Summe dieser vier Faktoren wird Kulturtiefe genannt. Eine ausführliche Definition und Erläuterung erfolgt im Kapitel 3.4 und 3.5. 9

In dieser Untersuchung soll es nicht darum gehen, typisch deutsche oder typisch mexikanische Eigenschaften aufzuzeigen. Vorurteile und Stereotype werden durchaus eine Rolle spielen, sie sollen aber weder widerlegt noch untermauert werden. Sie sollen lediglich als Ausdruck von möglichen interkulturellen Problemen behandelt werden. Es werden nicht alle interkulturellen Probleme vollständig erfasst und untersucht – sowieso ein unmögliches Vorhaben –, sondern einige ausgewählte, häufig auftretende Probleme werden darauf analysiert, wann sie unter welchen Umständen auftauchen. Ein Methodenmix soll einen differenzierten und vielseitigen Zugang zum Thema ermöglichen. Das folgende Kapitel 2 gibt einen kurzen Überblick über den gegenwärtigen Forschungsstand sowie das methodische Vorgehen in dieser Untersuchung. Das Kapitel 3 legt die Grundlagen für diese Untersuchung. Hierzu werden in Kapitel 3.1 grundlegende Begriffe definiert und ihre Verwendung innerhalb dieser Studie erläutert. Das Kapitel 3.2 befasst sich mit Stereotypisierung und der Abgrenzung von Stereotypen zu wissenschaftlich sinnvollen und notwendigen Kategorisierungen. Im Unterkapitel 3.3 werden für diese Arbeit wesentliche wissenschaftliche Ansätze vorgestellt, deren Modelle und Konzepte Grundlage für die Erstellung des Fragebogens waren und auch zur Analyse und Auswertung herangezogen werden. Ausführlich wird in Kapitel 3.4 der in dieser Arbeit definierte Begriff der Kulturtiefe sowie dessen rechnerische Darstellung erläutert. Der Aufbau des Fragebogens und der Gruppendiskussionen sowie die Herangehensweise an die Auswertung werden in Kapitel 4 erläutert. Außerdem sollen an dieser Stelle Probleme und Grenzen der Untersuchung erläutert und die von den Teilnehmern an der Umfrage geübte Kritik diskutiert werden. In Kapitel 5 werden die gewonnenen Daten schließlich vorgestellt und ausgewertet sowie die Ergebnisse nach Kulturtiefenkategorien verglichen. Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse in Kapitel 6 zusammengefasst.

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2 Forschungsstand und Methodik 2.1 Forschungsstand Die mexikanische Kultur gerät immer stärker in den Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen. Viele Studenten schreiben in Mexiko ihre Abschlussarbeiten, zum Beispiel über die indigenen Sprachen in Mexiko wie die Hildesheimer Studentin Julia Verena Weske, die 2009/2010 ihre Magisterarbeit mit dem Titel „Eine Untersuchung der gegenwärtigen sprachpolitischen Situation urbanisierter indigener Sprechergruppen in Monterrey, Mexiko“ in Monterrey schrieb. Auch Jana Scheidemann, ehemalige Studentin der Universität Hildesheim, verfasste im Wintersemester 2007/2008 in Michoacan ihre Magisterarbeit über „Mexiko und seine Minderheitensprachen - Eine sprachpolitische Untersuchung am Beispiel des Purépecha im Bundesstaat Michoacan“. Einige beschäftigen sich auch mit interkulturellen Problemen, oft fixiert auf ein bestimmtes Themenfeld bzw. auf eine bestimmte Umgebung. So schrieb Kai Ina Wolff 2005 ihre Masterarbeit an der Universidad de las Américas Puebla mit dem Titel „Information for intercultural context and the importance of good design“ (vgl.: Wolff, 2005), welche unter diesem Aspekt die Website und sonstige Informationsbereitstellung der Universität für ausländische Studenten untersuchte. Umfangreiche Forschungen zu interkulturellen Problemen von Deutschen in Mexiko gibt es wenige. Der Guide Culture Shock! Mexico (Vgl.: Cramer, 1998) bietet bestückt mit vielen Anekdoten und historischen Fakten und Erzählungen einen Einblick in die mexikanische Kultur. Der US-amerikanische Autor Mark Cramer hat in Mexiko studiert und einige Reisen dorthin gemacht. Allgemeine Aussagen über kulturelle Merkmale macht er kaum und die wenigen kulturellen Eigenschaften, die er nennt, sind nicht wissenschaftlich hinterlegt, sondern basieren auf seinen persönlichen Erfahrungen. Der Ratgeber „Leben und Arbeiten in Mexiko“ (Vgl.: Müller, 2011) soll deutschen Einwanderern das Ankommen und Einleben in Mexiko erleichtern. Hierin werden praktische Tipps zum Leben in Mexiko gegeben wie „Wie eröffne ich ein Bankkonto?“ oder „Wie beantrage ich ein Visum?“ Außerdem bietet es einen Einblick in die mexikanische Kultur, um eventuellen kulturellen Verwirrungen und Problemen vorzubeugen. Vergleichbares ist unter anderem in dem Buch „Auswandern nach Mittelamerika“ (vgl.: Wolf, 2009) von Peter R. Wolf zu finden. Allerdings wird die Thematik viel allgemeiner behandelt, da dieses Werk acht Länder gleichzeitig abdeckt. Wissenschaftlich gut hinterlegt und ziemlich ausführlich ist

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„Beruflich in Mexiko – Trainingprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte“ (vgl.: Ferres et al., 2005) von Renate Ferres (u.a.). Hierin werden zum Beispiel die mexikanischen Kulturstandards einzeln aufgezählt und praktische Tipps und Tricks zur Vermeidung bzw. Verminderung des Kulturschocks und zu allgemeinen kulturellen Verhaltensweisen gegeben. Standardwerke wie Cultures and Organizations – Software of the Mind (2005) von Geert Hofstede oder Riding the Waves of Culture – Understanding Cultural Diversity in Business (1997) von Fons Trompenaars zeigen die Lage von Deutschland und Mexiko – unabhängig voneinander – in den Kulturdimensionen auf, woraus man auf gewisse Unterschiede zwischen beiden Kulturen schließen kann. In zwei der vier Kulturdimensionen von Geert Hofstede (in der fünften gibt es keine Angaben zu Mexiko) sind Deutschland und Mexiko fast am entgegengesetzten Ende der Polaritätsskala angesiedelt: Im Power Distance Index belegt Deutschland Rang 35, Mexiko hingegen Rang 81 (von 104) und im Individualism Index ist Deutschland auf Rang 67, Mexiko auf Rang 30 (von 91) (vgl.: Hofstede et al., 2005: 43f., 78f.). In der mexikanischen Kultur spielt demnach im Vergleich zur deutschen Hierarchie eine sehr viel größere Rolle (größere Machtdistanz), ebenso wie Gemeinschafts- und Familienleben (größerer Kollektivismus). Ob dies von den in Mexiko lebenden Deutschen ebenso erlebt und dies – wenn dem so ist – df als problematisch empfunden wird, wird sich im Verlaufe dieses Werkes zeigen. Auch nach Trompenaars Untersuchungen zu kulturellen Unterschieden in Wirtschaftsorganisationen zufolge gibt es starke Unterschiede zwischen der deutschen und der mexikanischen (Organisations-)Kultur, vor allem im Bereich Kollektivismus versus Individualismus (vgl.: Trompenaars et al., 1997: 51, 55). Demnach wird in Mexiko mehr Wert auf Kollektivität gelegt, während in Deutschland Individualität groß geschrieben wird. Interessant ist auch ein Unterschied in der Dimension „spezifisch versus diffus“, welche darstellt, wie bzw. ob Lebensbereiche (zum Beispiel: privat und beruflich) und die darin vorkommenden Personen voneinander getrennt werden (vgl.: a.a.O.: 81, 88). Trompenaars zufolge sind Mexikaner eher diffus, also vermischen das Private mit dem Beruflichen, während die in der deutschen Kultur beides eher getrennt wird. Die Dimensionen werden einzeln in Kapitel 3.3.1 vorgestellt. Außerdem existieren einige Werke über die Geschichte der deutschen Präsenz in Mexiko, so zum Beispiel Zu nahe der Sonne. Deutsche Schriftsteller im Exil in Mexiko von Marcus G. Patka (vgl.: Patka, 1999), welches die Einwanderung zahlreicher Deutscher nach Mexiko im Zuge der Judenverfolgung und deren Probleme mit dem Leben und der Eingewöhnung in Mexiko beschreibt. 12

Um den Rahmen dieser Studie nicht zu sprengen, wird die deutsch-mexikanische Geschichte hier keine Rolle spielen.

2.2 Methodik Grundlage dieser Studie sollen verschiedene qualitative und quantitative Untersuchungen bilden: Die wichtigste Quelle ist eine Onlineumfrage, die vom 24.11.2009 bis zum 26.05.2010 auf der Schweizer Plattform www.onlineumfragen.com durchgeführt wurde. Insgesamt beantworteten 238 Deutsche mindestens die ersten neun Fragen, was die Voraussetzung für eine sinnvolle Auswertung der Umfrage war. Die Ergebnisse wurden in zwei verschiedenen Gruppendiskussionen diskutiert: In der Diskussion, an der am 10. Dezember 2009 acht Deutsche teilnahmen, wurden auf Deutsch einige bis dahin vorliegende Ergebnisse der Onlineumfrage besprochen. Thema waren vor allem die offenen Fragen 11 und 12, welche sich damit beschäftigen, was den Umfrageteilnehmern an der mexikanischen Kultur ge- bzw. missfällt. Die zweite Gruppendiskussion fand eine Woche später statt. Hieran beteiligten sich zwei der Deutschen, die auch an der ersten Diskussion teilgenommen hatten, die Initiatorin der Diskussionen und zwei Mexikanerinnen. Thema der Diskussion waren wiederum die offenen Aussagen aus der Onlineumfrage sowie einige provokative Aussagen aus der vorangegangenen Diskussion. Die Analyse der Diskussionen fließt in die Auswertung des Fragebogens in Kapitel 5.1 ein. Den wissenschaftlichen Hintergrund sollen die bereits erwähnten Standardwerke von Hofstede und Trompenaars sowie eine sehr interessante, auf interkulturelle Kommunikation bezogene Bearbeitung der bekannten Modelle des Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun mit dem Titel „Interkulturelle Kommunikation: Methoden, Modelle, Beispiele“ (vgl.: Kumbier et al., 2009) bilden. Außerdem sollen unter anderem Werke wie „Perception & Identity in Intercultural Communication“ von Marshall R. Singer (vgl.: Singer, 1998), die drei Standardwerke von Edwart T. Hall (vgl.: Hall, 1976 mit: Hall, 1983 mit: Hall, 1990), „A Geography of Time – The Temporal Misadventures of a Social Psychologist or How Every Culture Keeps Time Just a Little Bit Differently“ von Robert Levine (Vgl.: Levine, 2006) und „Die Deutschen – Wir Deutschen: Fremdwahrnehmung und Selbstsicht im Berufsleben“ von Sylvia Schroll-Machl (Vgl.: Schroll-Machl, 2007) zur theoretischen Grundlage beitragen.

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3 Definitionen und Grundlagen 3.1 Interkulturalität – Was ist Kultur? Das Leben in einer fremden Kultur kann wie das Spielen eines Spiels sein, dessen Regeln man nicht kennt. Kultur bestimmt die Spielregeln für dieses Spiel. Hofstede beschreibt dies folgendermaßen: „Culture is the unwritten book with rules of the social game that is passed on to newcomers by its members, nesting itself in their minds.“ (Hofstede et al., 2005: 36) Mit „social game“ ist hier ein bestimmter Raum gemeint, „people who live or lived within the same social environment“ (a.a.O.: 3), innerhalb dessen gewisse einheitliche Spielregeln gelten. Diese umfassen zum Beispiel Regeln zum Grüßen, Essen, Gefühle zeigen, Körperabstand halten oder auch zur Sprache, Gestik, Mimik oder Kleidung. (vgl.: Hofstede et al., 2005: 3 mit Thomas et al. 2, 2003: 22) Der Psychologe Alexander Thomas nennt diese Spielregeln Orientierungssystem und benennt auch das „social game“ anders: „Kultur manifestiert sich immer in einem für eine Nation, Gesellschaft, Organisation oder Gruppe typischen Orientierungssystem.“ (Thomas et al. 2, 2003: 22). Auch Diplom-Psychologin Dagmar Kumbier definiert in ihrem auf den Modellen von Friedemann Schulz von Thun aufbauenden Werk „Interkulturelle Kommunikation“ Kultur als „identitätsstiftendes Orientierungsmodell“: „Es definiert Zugehörigkeit; es reguliert das Verhalten der Kulturmitglieder; und es strukturiert deren Wahrnehmung und Deutung der Umwelt – meist ohne dass es diesen bewusst ist.“ (Kumbier et al., 2009: 33). Kultur bestimmt Verhalten sowie Wahrnehmung und Interpretation der Umwelt, was meist unbewusst stattfindet. Sie umfasst mehr als nur Spielregeln zu bestimmten Verhaltensweisen. Kultur ist gewissermaßen eine Brille, durch die wir unsere Umwelt wahrnehmen. Sie bietet uns gleichzeitig einen Rahmen, in dem wir handeln können, sie steckt Handlungsgrenzen und -bedingungen ab (vgl.: Thomas et al. 2, 2003: 22). Kultur hilft uns, unsere Umwelt und unsere Mitmenschen richtig wahrzunehmen, ihr Handeln richtig zu interpretieren und dementsprechend richtig darauf zu reagieren. Mit richtig ist hier nicht universell korrekt gemeint, sondern den eigenkulturellen Regeln, die in der jeweils eigenen Gruppe gelten, gerecht. „Bei dem Versuch, Orientierung zu gewinnen, bietet das, was hier „Kultur“ genannt wird, eine wertvolle Hilfe, da sie es ermöglicht, den uns umgebenden Dingen, Personen, Gegenständen, aber auch Ereignisfolgen und komplexen Prozessabläufen sowie Verhaltenskonsequenzen Bedeutung und Sinn zu verleihen.“ (ebd.). Man könnte Kultur auch mit einem Filter 14

vergleichen, der bestimmt, was wahrgenommen und wie es wahrgenommen und interpretiert wird. Kultur beeinflusst nicht nur die Sprache und das Denken, sondern auch was gesehen, gehört, geschmeckt, gefühlt und gerochen wird (vgl.: Singer, 1998: 3). Kultur bietet ein Orientierungssystem und einen Filter für die Wahrnehmung. Innerhalb der eigenen Kultur fühlt man sich wohl, weil die Regeln bekannt sind und angewendet werden können, ohne dass man sich dessen überhaupt bewusst ist. Kultur hat auch einen identitätsstiftenden Charakter: Als Zugehöriger einer Gruppe identifiziert man sich über bestimmte Eigenschaften der Gruppe wie Nationalität, Berufsstatus oder auch Alter und über gewisse mit dieser Gruppe verbundene Persönlichkeitseigenschaften (vgl.: Roth, 2004: 16). Kulturelle Merkmale zeigen sich in Normen, Werten, Einstellungen, Ritualen, Symbolen, Traditionen, Glaubenssystemen, in Sprache, Rechtssystemen, Organisationen, Einrichtungen und anderen Elementen, die die Angehörigen einer Gruppe gemein haben. Der Anthropologe Edward T. Hall geht sogar noch einen Schritt weiter: „there is not one aspect of human life that is not touched and altered by culture” (Hall, 1976: 16). Er behandelt Kultur in ihrer Ganzheit als Kommunikation (vgl.: Hall, 1990: 28). Kultur passiert überall dort, wo kommuniziert wird. Da man nicht nicht kommunizieren kann1, passiert demnach in allen zwischenmenschlichen Begegnungen Kultur. Kultur ist ein Gemeinschaftsphänomen und zudem universell (vgl.: Thomas et al. 2, 2003: 22 mit Hofstede 2005: 3). Sie ist nicht angeboren, sondern wird im Verlaufe des Sozialisationsprozesses ebenso selbstverständlich erlernt wie die eigene Muttersprache (vgl.: Hofstede, 2005: 4). Dennoch kann Kultur nicht erlernt bzw. gelehrt werden wie eine Sprache (vgl.: Hall, 1959: 25). Das liegt vor allem daran, dass sie uns zu großen Teilen nicht bewusst ist. Der bewusste Teil von Kultur betrifft zum Beispiel gewisse Benimmregeln oder Verbote. Der sehr viel größere, unbewusste Teil umfasst vor allem Werte, Normen und bestimmte kulturgeformte Denk- und Wahrnehmungsweisen. Da wir die kulturelle Prägung unserer Werte und Normen nicht wahrnehmen, halten wir sie für selbstverständlich, universell gültig und oft sogar anderen gegenüber überlegen (vgl.: Singer, 1998: 68). Diese Einstellung wird Ethnozentrismus genannt (vgl.: Roth, 2004: 12). Wir werden uns der kulturellen Behaftung unserer Einstellungen, Werte und Normen häufig erst dann bewusst, wenn wir mit fremdkulturellen konfrontiert werden, wenn also unsere kulturellen Vorstellungen verletzt werden (vgl.: Kumbier et al., 2009: 142).

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Vgl.: 1. Axiom von Paul Watzlawick zur Kommunikationstheorie

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Edward T. Hall stellt fest, dass Kultur vor allem für die in der Kultur Beheimateten schwer zugänglich ist: „Years of study have convinced me that the real job is not to understand foreign culture but to understand our own.” (Hall, 1959: 29). Hall macht außerdem darauf aufmerksam, dass alle kulturellen Facetten zusammenhängen: “you touch a culture in one place and everything else is affected.” (Hall, 1976: 16). Auch Alexander Thomas konstatiert, dass die größten Probleme beim Zusammentreffen zweier Kulturen dadurch entstehen, dass die Personen zu wenig über ihre eigenen kulturellen Merkmale und deren Auswirkungen auf ihr Handeln wissen (vgl.: Schroll-Machl, 2007: 11). Eine einheitliche Definition von Kultur gibt es nicht. Das liegt vor allem auch daran, dass der Begriff in den unterschiedlichsten Disziplinen gebraucht wird, unter anderem in der Literatur, der Kunst, Psychologie, Soziologie, Anthropologie und Geschichte. Als Arbeitsdefinition für diese Arbeit soll die folgende Zusammenfassung aus den oben genannten Definitionen von Kultur gelten: Kultur ist ein Gruppenphänomen, sie ist nicht angeboren, sondern wird im Sozialisationsprozess erlernt, sie ist uns nur zu einem kleinen Teil bewusst, sie bietet ein Orientierungssystem, sie stellt einen Filter für unsere Wahrnehmung dar und beeinflusst so unsere Interpretation der Umwelt, sie ist identitätsstiftend, sie stellt uns Handlungsbedingungen und –grenzen, sie zeigt sich in Kommunikation, sie beeinflusst alle Lebensbereiche und alle Kulturaspekte hängen als Ganzes zusammen. Kultur ist demnach etwas Allumfassendes, woraufhin Gunter Gebauer, deutscher Philosoph und Linguist, den Begriff Interkulturalität problematisch sieht: „„Interkulturell“ – dieses Wort verspricht einen Raum, eine Plattform zwischen den Kulturen. […] Einen vermittelnden, kulturfreien Platz, einen neutralen Ort zwischen den Kulturen kann es nicht geben, denn er wäre außerhalb jeglicher Kultur. Doch impliziert der Kulturbegriff, dass es nichts außerhalb von Kultur geben kann. Lehnt man die Vorstellung des „Inter“ jedoch ab, erscheint eine Vermittlung zwischen den Kulturen unmöglich zu sein. Offenkundig gibt es doch einen Austausch, eine Vermittlung, ein Hin und Her zwischen den Kulturen. Wir sind aber nie in einem Bereich des „Inter“, sondern immer in unserer eigenen Kultur, wie auch unsere Partner 16

in ihrer Kultur verbleiben.“ (Merkens et al., 2004: 140). Wird Kultur als Bedingung für das gegenseitige Verstehen aufgefasst, führen bereits geringe Kulturunterschiede dazu, dass eine Verständigung nicht möglich ist. Da aber offensichtlich interkulturelle Kommunikation möglich ist, selbst wenn beiden Partnern die jeweils andere Kultur fremd ist, muss Kultur vom Verstehen getrennt werden (vgl.: a.a.O.: 142). Alexander Thomas spricht hierzu von der Bildung einer dritten Kultur zwischen beiden Kommunikationspartnern: „Beide Kulturmerkmale müssen in Verbindung mit der beginnenden Entwicklung einer neuen, durch die beginnende Kommunikation und Interaktion entstehende „dritte“ Kultur im Denken und Verhalten der beteiligten Personen zur Wirksamkeit kommen (Breitenbach 1975).“ (Thomas et al. 2, 2003: 44). Bestenfalls bestimmen dabei beide Kulturen teilweise zu unterschiedlichen Teilen, aber stets ausgewogen die Interaktion (vgl.: a.a.O.: 47). „Der Kulturbegriff bleibt offen, er wird nicht inhaltlich definiert; er entzieht sich allen juristischen und administrativen Regelungen. Von seiner Konzeption her ist es auch gar nicht möglich, ihn zu begrenzen, zu definieren, denn er ist ständig im Fluss; er ist in Geschichte getaucht.“ (Merkens et al., 2004: 146). Kultur beeinflusst uns, unser Handeln und unsere Wahrnehmung zwar in jeder Situation, sie macht uns aber nicht zu ihren Sklaven. Bei einem Zusammentreffen von Personen aus der gleichen oder aus unterschiedlichen Kulturen bestimmt Kultur nur zu einem Teil die Kommunikation. Hinzu kommen als weitere grundlegende Faktoren Situation und Persönlichkeit der Kommunikationsteilnehmer.2 Weiterhin haben Status, die gegenwärtige Aktivität, Ort und Erfahrung einen Einfluss auf die Wahrnehmung und auf die Kommunikation (vgl.: Hall, 1976: 100f.). Wichtig ist auch, dass jede Person verschiedene Kulturen in sich trägt: Die Nationalkultur ist dabei nur ein Faktor. Hinzu kommen Geschlechterunterschiede, Organisationskulturen, Altersgruppen etc. Für die Erklärung jeder (misslungenen) interkulturellen Kommunikation nach kulturellen Gründen zu suchen, ist nicht nur nicht sinnvoll, sondern kann zu falschen Schlussfolgerungen und somit vorschnellen Verallgemeinerungen oder auch zur Bildung von Stereotypen führen: „Die Gefahr einseitiger kultureller Erklärungsmuster liegt jedoch nicht nur darin, dass sie personale Konfliktursachen verdecken, sondern sie sind zudem dynamisch. Denn, werden kulturelle Fehlinterpretationen nicht überprüft und korrigiert, bieten sie sich als nunmehr bewährte Deutungsschlüssel auch für zukünftige Konflikte an.“ (Kumbier et al., 2009: 333). 2

Vgl.: Person-Situation-Kultur-Dreieck

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