Ingrid Sonnleitner Im Fokus der Adelheid H. Kriminalroman

günstig erstanden, eine Verlassenschaft, keiner der Erben wollte einziehen, ... nete sie diesmal mühelos. Den Tischler würde sie dennoch anrufen, würde.
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Ingrid Sonnleitner

Im Fokus der Adelheid H. Kriminalroman freie edition © 2011 AAVAA Verlag UG (haftungsbeschränkt) Quickborner Str. 78 – 80, 13439 Berlin Alle Rechte vorbehalten www.aavaa-verlag.de 1. Auflage 2011

eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Umschlaggestaltung: Ingrid Sonnleitner Printed in Germany ISBN 978-3-86254-834-7

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Dieser Roman wurde bewusst so belassen, wie ihn die Autorin geschaffen hat, und spiegelt deren originale Ausdruckskraft und Fantasie wider. Alle Personen und Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Prolog Sie trat kräftig in die Pedale. Wollte es hinter sich bringen, wollte, nein musste es heute be-enden. Tyrannisch blies ihr der eisige Nordwind ins Gesicht. Sie drückte ihren Filzhut fester auf den Kopf, atmete schwer durch den Wollschal. Dennoch, sie nahm den Wind, die Kälte kaum war, schwitzte sogar unter ihrem Anorak. Schwitzte vor Anstrengung oder war es doch Angst, schwitzte vor Angst, er könnte es sich noch anders überlegen. Spürte den Schweiß, spürte, wie er sich zu kleinen Bächlein sammelte, die Schläfen hinunter rann, um dann im Schal zu versiegen. Nur noch ein paar Meter, da gleich hinter der Kurve, da lag es, das aufgelassene Sägewerk.

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14 Uhr 32

„Frische Eier, Kartoffeln, Bauernwürstel, Mehlspeisen, frische Eier, Kartoffeln, ... “ Die aufdringliche Stimme aus dem Lautsprecher eines vorbeifahrenden Autos riss Adelheid aus dem Schlaf. Sie musste kurz eingenickt sein in ihrem Ohrensessel, den sie vor Jahren, als ihr seliger Josef noch lebte, auf dem Flohmarkt erstanden hatte. Es war Adelheids Lieblingsplatz, vor der Terrassentür, wo auch ihr POWERSEEKER 60 aufgebaut war. Ein Leben ohne Teleskop konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen, brachte es doch Abwechslung in ihr reizloses Dasein. Wie jedes Mal, wenn sie das Objektiv vom Deckel befreite, wenn sie ihr linkes Auge zusammenkniff, mit dem rechten durch das Teleskop blickte und ihre Umgebung fokussierte, hoffte sie, dass ein eventuell eintretendes Kuriosum ihr Leben aus der geordneten Bahn werfen würde. Geordnet ja, schon Jahrzehnte lang als Bibliothe5

karin in der Gemeindebücherei und jetzt erst recht in der Pension. Dreimal in der Woche zu ihrem Josef auf den Friedhof, einmal die Woche ins Pflegeheim nach Oberwart, Hospizbetreuung und dann auch noch der Osteoporoseverein. Das alles verlangte nach Ordnung, wie der Sternenhimmel auch. Adelheid warf einen Blick durch ihr POWERSEEKER. „Ah, der Karl mit seinem fahrenden Bauernladen“, murmelte sie vor sich hin. War doch heute Donnerstag. Jeden Donnerstag kam der Karl von seinem entlegenen Bauernhof in die kleine Ortschaft, um den Leuten seine Bioprodukte anzubieten. Das mit dem BIO, das hatte der Karl richtig erkannt, und weil BIO immer gleich mit Grün und Natur verbunden wurde, war dem Karl sein Kleinbus wiesengrün und das „ALLES BIO AUS KARLS BIOBAUERNLADEN“ protzte in riesigen Lettern in einem satten Tannengrün mit schwarzer Umrandung auf dem Fahrzeug. Die beiden Grün gemeinsam waren eine farbli6

che Symphonie für das Auge, verlockend, naturrein, ködernd. Und so liebten alle seine Produkte. Auch die Adelheid verzehrte sie mit Genuss, besonders die Mehlspeisen, die Hilda, Karls Frau, zubereitete. Deftig, meist gefüllt mit Rahm, fettreichem Topfen oder Schlagoberscremen, aber weil BIO, auch irgendwie gesund. Adelheid versuchte aufzustehen. Zu lange war sie in ihrem Ohrensessel verweilt, viel zu lange. Mit einer Anstrengung, die ihr den Schweiß auf die Stirn trieb, versuchte sie ihren massigen Körper aus dem Fauteuil zu stemmen. Eine Operation des rechten Knies und zwanzig Kilo weniger, sagte Frühmann, ihr langjähriger Hausarzt, würden wieder so was Ähnliches wie Normalität in ihren Alltag bringen. Abnehmen, der hatte leicht reden! Die einzige Abwechslung in ihrer Ordnung, außer dem Blick durchs Teleskop, war kulinarischen Ursprungs und deshalb wollte sie sich jetzt eine noch ofenwarme Topfengolatsche und ein 7

paar Grammelpogatschen beim Karl holen. Adelheid hantelte sich den Esstisch entlang zur Kommode, wo sie dankbar den vergoldeten Löwenkopf des Gehstockes, ein Geschenk ihres Josef zum fünfundzwanzigsten Hochzeitstag, ergriff. Tauschte im Vorzimmer Hausschlapfen gegen festes Schuhwerk und schlurfte zur schweren Eichentür, die wieder einmal klemmte und erst nach dem dritten Versuch den Weg nach draußen freigab. Zu spät! Denn gerade als Adelheid um die Hausecke bog, verschwand der grüne Kleinbus in einer Rechtskurve. „Mist, verdammter Mist!“, murmelte Adelheid. „Vielleicht sollte ich wirklich abnehmen, vielleicht auch mein Knie operieren lassen!“ Wütend auf ihre Körpermasse, wütend auf ihre Beine, aber auch wütend auf den Karl, dass er nicht auf sie gewartet hatte, ging sie zurück in ihr Haus, stolperte dabei über den Käfig ihres Hansi, der erschrocken aus seinem Laufrad sprang und 8

unter den Holzspänen verschwand. „Ach ja Hansi, beinahe hätte ich dich vergessen. Du kriegst ja auch noch ein Fresschen.“ Adelheid führte wieder einmal Selbstgespräche, denn seit ihr Josef nicht mehr da war, hatte sie niemanden, nur ihren Hamster, dem sie ihre Gedanken mitteilen konnte.

Einen großen Bekanntenkreis hatten die Horvaths nie gehabt. Er, der Josef vielleicht, war er doch Jäger, aber sie, die Adelheid, nein, so eine richtige Freundin hatte sie nie, nur ihre Schwester, die Loni. Gegrüßt haben die Leute sie schon, auch die Kinder, war sie doch die Bibliothekarin. Ein bisschen geplaudert haben sie mit ihr, gefragt, wie es ihr geht und dass das Wetter heute wieder nicht so schön wäre, viel zu kalt für diese Jahreszeit. Gegrüßt ja, aber eingeladen zu sich nach Hause auf einen Kaffee, nein, nie. War sie doch keine Hiesige, war sie doch immer die Fremde geblieben. Vor etlichen Jahren hatte ihr Josef das Haus 9

günstig erstanden, eine Verlassenschaft, keiner der Erben wollte einziehen, seitdem lebte man in diesem kleinen Ort. Adelheid füllte den Fressnapf mit Körne*rn, tauschte das Wasser und streute frische Sägespäne ein. „Hansi, Hansiburli, jetzt kannst wieder aus deinem Versteck herauskommen, dein Fresschen ist aufgetischt.“ Danach brühte sie sich in der Küche ihren Nachmittagskaffee auf und ging zurück zu ihrer Aussichtswarte. Die Vorstellung, nur Kaffee ohne die geliebte Mehlspeise zu sich nehmen zu müssen, behagte Adelheid nicht besonders. Nach diesem kräfteraubenden Ausgang zur Hausecke hatte sie sich eine Rast verdient. Wollte sich ein bisschen in der Gegend umschauen! Schauen, ob am Schlossparkplatz schon wieder ein Bus voller Touristen eingetroffen war. Früher hatte sie sich immer geärgert über die aufdringlich lärm-enden Menschenmassen, aber 10

heute, heute würde es Abwechslung in ihre Kaffeejause bringen, für mindestens eine halbe Stunde. Adelheid klappte ihr linkes Augenlid zu, blickte mit dem rechten durch das Teleskop, fokussierte ihre Umgebung. Kein Bus! Schade! Vielleicht würde sie lesen, was Aufregendes, Zynisches, Endgültiges, weiterlesen in der APOTHEKERIN. Aber vorher noch einen allerletzten Blick, den würde sie sich noch gönnen, dann das Buch zur Hand nehmen, lesen und möglicherweise auch noch ein kleines Nickerchen machen. Das mit dem Lesen, das machte sie halt immer so müde. Das mit dem Nickerchen, das hatte den Josef auch gestört. Nicht das Nickerchen an sich, nein, das hätte er noch hingenommen, wäre das mit dem Schnarchen nicht hinzugekommen. Manchmal so laut, dass sie davon selbst aufschreckte, munter wurde. Adelheid schwenkte das Teleskop entlang der 11

Schlossmauer hin zur Schlossstraße, hielt plötzlich ruckartig inne, schwenkte zurück, verfolgte sie mit ihrem POWERSEEKER. Da war sie wieder, wie schon die Tage zuvor auch. Adelheid blickte auf ihre Armbanduhr, 15 Uhr 03. Fast pünktlich auf die Minute fuhr sie die Schlossstraße entlang, saß hölzern auf ihrem Waffenrad,- das war alt, schwarz und schwer und dennoch durch den geschwungenen Eisenrahmen auf eine gewisse Weise graziös-, um dann genauso, wie der Karl, in dieser Rechtskurve zu verschwinden. „Eine seltsame Alte“, murmelte Adelheid vor sich hin. Ihr Kopf war mit einem Wollhut in zartem Rosa bedeckt und nur vereinzelt schoben sich blonde Löckchen unter der Hutkrempe hervor. Ein Schal in eben demselben Rosa verhüllte Mund und Nase. Fäustlinge so braun, so dick, so wetterfest, so haltbar, auch der himmelblaue Anorak und die Hose in Schwarz. Moonboots traten dauerhaft in die Pedale. 12

Sie scheint mollig zu sein und alt. Oder doch nicht? „Vielleicht ist die Frau hinter der Verkleidung gar nicht so alt, aber seltsam ist sie doch“, dachte die Adelheid. Sie schwenkt noch einmal ihr Fernrohr von links nach rechts - langsam, forschend, Zentimeter für Zentimeter, verharrt an jener besagten Kurve, hoffend, die Seltsame würde wiederkehren. Wiederkehrend war nur das Ding Dong an ihrer Eingangstür. Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr, dass es kurz vor halb vier war. „Herrgott, schon so spät? Heute ist ja Donnerstag!“ Der Vortrag im Osteoporoseverein, sie hatte ihn vergessen! „Das kann nur die Leitnerin sein. Bin gleich fertig“, schrie Adelheid in Richtung Eichentür. Mit einer Schnelligkeit, die selbst ihren Josef beeindruckt, aber auch befremdet hätte, schlüpfte sie in ihren Tigerfellmantel. Nein, kein echter, ein Imitat aus Ungarn, war sie doch auch Mitglied 13

der „Vier Pfoten“, stülpte ihren Hut, ebenfalls getigert, auf den Kopf, tauschte Schlapfen gegen festes Schuhwerk, schritt zur Eichentür und öffnete sie diesmal mühelos. Den Tischler würde sie dennoch anrufen, würde ihn bitten die Tür anzuschauen, war sie doch ziemlich eigenwillig manchmal. „Frau Adelheid, haben Sie vergessen? Wir sind schon spät dran, kommen S‘. Beeilung! Beeilung! Die Frau Krutzler müssen wir auch noch abholen.“ „Ich habe da heute wieder die seltsame Frau auf einem Fahrrad beob ... “, weiter kam Adelheid nicht, denn da zerrte sie die Leitnerin, ohne ihr Gehör zu schenken, zu ihrem Auto, drückte sie in den Sitz und fuhr, noch bevor Adelheid den Gurt um ihre Leibesfülle gelegt hatte, los. „Wissen S‘ eh, Frau Adelheid, essen, essen dürfen Sie nix in dem Auto und immer schauen, dass die Schuhe sauber sind. Mein Mann hat so einen Heikel auf das Auto.“ 14

Und nach einer Weile: „Na ja, wir haben den Wagen erst seit ein paar Tagen. Gebraucht gekauft, aber gepflegt, sehr gepflegt. Sie sehen es ja, Frau Adelheid. Die Sitze wie neu und das Armaturenbrett, das glänzt. Ja, seit mein Johannes im Landtag ist, muss er halt repräsentieren. Die Buben dürfen auch net mitfahren. Für die habe ich eh noch den alten Wagen, den Kombi. Spät sind wir dran, spät, hoffentlich ist die Krutzler schon fertig!“ Die Frau Krutzler wurde in der Zwischenzeit von der Mareike für eben jenen Vortrag fesch gemacht. Die Frau Krutzler brauchte die Mareike, war sie doch durch ihre Krankheit auf den Rollstuhl angewiesen. Brauchte sie seit damals, als sie den Schlaganfall hatte, brauchte sie für all die Kleinigkeiten um den Alltag zu bewältigen. Mareike war eine Nette, blondgelockt, kein ech15