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rallele zwischen dem Haus und dem Museum allerdings ba- .... Installationsansicht / Installation view “This Way out of England” Raven Row, London 2017. P h o.
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Installations­ansicht / Installation view “Hütti” MINI/GoetheInstitut Curatorial Residencies ­ Ludlow 38, New York 2017

Photo: Yair Oelbaum

ESSAY

ARTCHITECTURE WAS SIND DIE AUSSTELLUNGSRÄUME DER ZUKUNFT? HYBRIDE MUSEUMSBAUTEN, WOHNRÄUME, DIE DER TRANSPARENTEN UND KOMMERZIALISIERTEN WELT TROTZEN, ODER DAS GEWEBE DER STADT? ALESSANDRO BAVA ÜBER DIE NEUENTDECKTE BEDEUTUNG DER ARCHITEKTUR UND DEN WUNSCH NACH DEM ECHTEN ERLEBNIS.

WHAT ARE THE EXHIBITION SPACES OF THE FUTURE? HYBRID MUSEUM BUILDINGS, DOMESTIC SPACES THAT DEFY OUR TRANSPARENT, COMMERCIALISED WORLD, OR THE URBAN FABRIC ITSELF? ALESSANDRO BAVA ON THE REDISCOVERED RELEVANCE OF ARCHITECTURE AND THE DESIRE FOR REAL EXPERIENCE.

DIGITAL TECHNOLOGIES ARE SLOWLY COLONISING AND RECORDING PHYSICAL SPACE

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Im Universum des 21. Jahrhunderts gewinnt die Architektur langsam wieder an Bedeutung, zumindest theoretisch. Nach Jahrzehnten der Dematerialisierung geht es wieder um die kostbare und unbestreitbare Tatsache ihrer Gegenständlichkeit. In einer warenförmigen Welt, in der man auf alles zugreifen kann, ist die Einzigartigkeit etwas zu erleben ein enormer Wert. Die neuentdeckte Bedeutung von Architektur als strukturgebender Rahmen für Erlebnisse lässt sich leicht durch ihre Fähigkeit erklären, dreidimensionalen Raum formen und definieren zu können. Was offensichtlich auch der nächste Schritt der Digitalisierung ist. Hatten sich digitale Technologien bisher ihr eigenes immaterielles Reich geschaffen (auch wenn Materialisten gerne daran erinnern, dass das Internet durch die Verbrennung von Kohle läuft), so koloni-

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Architecture is slowly finding a new relevance in the cosmos of the twenty-first century, at least in theory. After a couple of decades of dematerialization, the precious and irreducible fact of architecture’s physical presence is back on the agenda. In a world where everything seems accessible, the specificity and uniqueness of experience has gained tremendous currency in the realm of commodities. The newfound relevance of architecture as a means of administering experience is easily explained through

sieren und erfassen sie heute allmählich den physischen Raum. Das geschieht entweder aktiv, indem früher nicht verfügbare Daten mithilfe räumlicher Koordinaten gesammelt werden (Vorlieben und Gewohnheiten werden mit einer bisher nicht dagewesenen räumlichen Präzision aufgezeichnet), oder passiv, da sie den Wunsch nach konkreten und unwiederholbaren Erlebnissen in uns wecken, die Quelle für materielle und immaterielle Geschichten, Erinnerungen, ortsbezogene Erzählungen und Träger endloser Möglichkeiten individueller Erfüllung sind. Diese neue Bedeutung des Architektonischen spielt auch für Kunstausstellungen eine immer größere Rolle. Sie beschäftigen sich schon seit längerer Zeit mit dem von digitalen Technologien vereinnahmten und neu definierten Raum. In

its role as a technology for containing and determining tridimensional space at a time when this is clearly the next frontier of digitisation. If digital technologies have created their own intangible universe (notwithstanding the materialists pointing out that “the internet runs on burnt coal”), they are now slowly colonising and recording physical space. They are doing this in two ways: actively, by harvesting previously unattainable data via its spatial coordinates (e.g., by capturing preferences and habits with an unprecedent-

Installationsansicht / Installation view “Tobias Madison. NO; NO;

ed degree of spatial precision), but also passively, by fostering a craving for specific, unique and unrepeatable experience: providing a rich context of material and immaterial histories, memories and site-specific narratives; and serving as a carrier of endless possibilities for individual fruition. This newfound relevance of architecture is manifesting itself embryonically as the emerging context of art exhibitions, which have already integrated a lot of the changes happening to space as it’s being redefined and ap-

H”, Kunsthalle Zürich 2013

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Photo: Stefan Altenburger

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Photo: Rafael Hernandez

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vielen Projekten jüngerer Künstler erkennt man ein Bewusstsein für den spezifischen, räumlichen und kulturellen Kontext, vielleicht auch als Reaktion auf die frühe Post-InternetBewegung, die in der Freiheit ortloser Bildverbreitung schwelgte. Heute dagegen bewegen sich viele Künstler auf dem schmalen Grat, ihrem Publikum ein einmaliges Erlebnis bieten zu wollen, das nicht in einem einzigen ikonischen Bild festgehalten werden kann, und gleichzeitig gegenüber der „Erlebnisökonomie“ kritisch-distanziert zu bleiben. Hier bietet Architektur als Medium für narrative und räumliche Konzepte, in dem immer auch soziale und historische Zusammenhänge mitschwingen, Widerstand gegenüber der Kommodifizierung der Kunst. Sie kann der Banalität einer warenzentrierten Kunstwelt und dem immer verbreiteteren

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propriated by digital technologies. Many recent exhibitions by younger artists have in common the acknowledgment of their specific physical and cultural setting, perhaps also as a reaction to the early days of post-internet art, which revelled in the freedom offered by placeless image dissemination. Artists are now, instead, walking the problematic line of wanting to give their audience a one-off experience that cannot be captured in a single iconic image while also maintaining a criticality towards the so-

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Verkauf von Kunst über Abbildungen im Internet etwas entgegensetzen. Ich denke an Ausstellungen wie Lena Henkes „Available Light“ im Kunstverein Braunschweig (2016/17), wo sich persönliche Erinnerungen und Kulturgeschichte in einem Environment mit unterschiedlichen Lichtsituationen und skulpturalen Elementen verbinden, und das sich auf Frank Gehrys Zusammenarbeit mit der Tänzerin Lucinda Childs bezieht. Oder an „Hütti“ (2017), die von den Künstlern Veit Laurent Kurz und Ben Schumacher bei Ludlow 38 in New York kuratierte Ausstellung, wo sich der materielle und intellektuelle Kontext einer Gruppenausstellung in einer Alpenhütte aus bemalter Pappe verkörperte. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte Tobias Madison bei der Carnegie International und am

called experience economy. Here, architecture offers a mode of resistance to art’s commodification, functioning as a device that can absorb narrative and spatial ideas, and even imply community and history, to counter the banality of a commodity-based art world and the increasingly established practice of buying art from jpegs. I’m thinking of exhibitions like Lena Henke’s “Available Light” (2016) at Kunstverein Braunschweig, in which personal memories and cultural history are conflated in an environ-

ment shaped by different lighting techniques and sculptural elements referencing Frank Gehry’s work with the dancer Lucinda Childs; or “Hütti”, curated by artists Veit Laurent Kurz and Ben Schumacher at Ludlow 38 in New York, for which they built a material and intellectual context for a group show as an alpine hut made of painted cardboard. A similar approach is offered by Tobias Madison’s 2013 exhibitions at Carnegie International and the Kunsthalle Zurich, where he and his collaborators tried to

Installationsansicht / Installation view “John Knight. A work in situ”, 2016, REDCAT, Los Angeles 2016

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Kunsthaus Zürich (beide 2013), wo er und seine Kollaborateure versuchten, die physischen Gegebenheiten des Ausstellungsraumes durch Sound und Wasser zu transzendieren, sowie durch ein Eventprogramm außerhalb der Institution. Eine Archäologie dieses neuen Raumverständnisses bietet die Arbeit des US-amerikanischen Künstlers John Knight und zeigt uns auch einen Blick auf mögliche Entwicklungen in der Zukunft. Seit den frühen 1970ern benutzt Knight architektonische Gegeben- und Besonderheiten für eine Kritik an der scheinbaren Neutralität des Ausstellungsraums. Wenn der White Cube tot ist, dann fiel er Knight zum Opfer, bevor er überhaupt existierte. In seiner Ausstellung bei REDCAT in Los Angeles 2016 versetzte er den Raum der Institution – die ehemalige Tiefgarage der Walt Disney Concert Hall – nur

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explode the physical contingencies of the gallery by using sound or water, along with a program of social events outside of the institution. The work of the artist John Knight already provides an archaeology of this new understanding of space and can also give an insight in its possible future developments. Since the early 70s Knight has used the contingencies and specificities of architecture as a material to construct a critique of the supposed neutrality of spaces to exhibit art. If the white cube is dead,

über Typografie und Beschilderung wieder in seinen „alten“ Zustand und bewahrte gleichzeitig die Anmutung des Raumes als traditionellen White Cube. Eine solche Entkleidung und Bloßlegung des Ausstellungsraumes kann hilfreich sein, will man über das sich verändernde Verhältnis zwischen der Kunst und ihrem Kontext nachdenken. Aber auch der Kontext selbst verändert sich. War der archetypische Raum der Moderne der Industrieraum, ein Ort der Produktion und des politischen Kampfes, ist die wahrscheinlich produktivste räumliche Metapher heute das Heim, die heikelste Stelle der zeitgenössischen Produktion und Reproduktion, ein Raum, der (wie unwahrscheinlich das auch klingen mag) gegenwärtig stärker als jeder öffentliche Raum ein Ort des Konflikts und der Bedeutungsproduktion ist. Das Heim wie es heute

Knight killed it before it existed; in his recent exhibition at REDCAT, an art institution that occupies the original underground parking area of the Walt Disney Concert Hall in downtown Los Angeles, Knight “restored” the space using only the graphics and signage of a car park, while maintaining the ambiguity of the space as a traditional white cube. Such an undressing and exposing of exhibition spaces is instrumental in rethinking the shifting relationship between art and its context. But the

context itself is changing, too: if the spatial archetype of modernism was the industrial loft, a place of production and political struggle, today’s most generative spatial metaphor seems to be the home, the soft spot of contemporary production and reproduction, a space that, however unlikely it sounds, has come to represent a site of conflict and meaning-production more than any public space. Indeed, the home as it’s understood today has to do with the biopolitical production of identities and the trans-

Lucy Dodd, B.O.V., 2016. Installationsansicht / Installation view “Open Plan: Lucy Dodd” Whitney Museum, New York

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Photo: Bill Orcutt. Courtesy David Lewis Gallery, New York

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Courtesy OMA

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verstanden werden muss, hat ebensoviel mit der biopolitischen Herstellung von Identität und der Weitergabe kultureller Werte, also sozialer Reproduktion, zu tun wie mit wirklicher Produktion. Das Heim erfährt auch eine historische Neubestimmung als paradigmatischer Privatraum, der letzte Rückzugsort in einer immer transparenteren Welt. Schon 1929 entwarf Le Corbusier das Modell für sein bahnbrechendes Mundaneum, ein „Weltmuseum“, das als „Proto-Internet“-Experiment gilt und aus Wohnhausplanungen wie der Villa Savoye heraus entstand. Damals war die Parallele zwischen dem Haus und dem Museum allerdings banal: Kunst existierte schon lange vor allem in Wohnumgebungen. Seine Planungen sind für einen bestimmten und sehr verbreiteten Ansatz Kunsträume zu entwerfen,

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mission of cultural values known as social reproduction as much as with actual production. The home is also going through a historical renegotiation of its essence as the paradigmatic private space, the last safe haven from an increasingly transparent world. Already in 1929, Le Corbusier was developing the model for his seminal Mundaneum project – a “world museum” that has been described as a “proto-internet” experiment – which grew out of his domestic projects like Villa Savoye. But back then the parallel be-

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immer noch interessant. Das Ideal eines kontinuierlichen, linearen, abstrakten Raumes, der nur von historischen Kräften und technischen Notwendigkeiten beherrscht wird, ist genau das, was Renzo Pianos Entwurf für das neue Whitney Museum in New York zugrunde liegt. Pianos Büro entwickelte eine funktionale, aber sterile Displaymaschine. Selbst die größten kuratorischen Anstrengungen (wie die Ausstellungsreihe „Open Plan“, für die der gesamte fünfte Stock des Museums – der größte säulenlose Innenraum New Yorks – als ein einziger, offener Ausstellungsraum diente) können nichts gegen ihre offensichtliche generische und klimatisierte Perfektion ausrichten. Wie das Whitney sind die meisten Institutionen längst vor der Entscheidung, was für einen Raum sie haben möchten,

tween the house and the museum was banal: art has long existed on house walls more than anywhere else. Nevertheless his designs for museums are interesting as vectors of a certain approach to designing art spaces that is still very much alive: his idea of a continuous linear abstract space, governed only by historical forces and technical needs, is exactly the same approach as that taken by Renzo Piano for the new Whitney Museum building in New York. There, Piano’s office produced a functional yet sterile ma-

chine to display art, and even the best curatorial efforts (e.g., the “Open Plan” exhibition series, for which the museum’s entire fifth floor, the largest column-free interior space in New York, was used as a single open gallery) cannot defeat the obvious fact of its generic and climatised perfection. Like the Whitney, most institutions are governed by the architecture of their bureaucracy before they can even imagine what type of space they might want. Rem Koolhaas’s museum projects exemplify how to deal with

Entwurfsmodell der LACMA-Erweiterung von OMA / OMA’s model of the LACMA extension, Los Angeles 2012

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APTART ORGANISIERTE 1982–1984 AUSSERHALB DER „OFFIZIELLEN“ SOWJETISCHEN KUNST AUSSTELLUNGEN IN KÜNSTLERWOHNUNGEN

der Architektur ihrer Bürokratie unterworfen. Rem Koolhaas’ Museumsprojekte sind ein Beispiel dafür, wie man mit der erdrückenden Macht der Bürokratie umgehen kann. In den 1990er und 2000ern präsentierte sein Büro OMA eine Reihe von Museumsentwürfen, die den Raum fast zur Gänze aus der Entwurfsgleichung gestrichen hatten, oder besser, erreichten eine räumliche Spezifität nur und genau durch programmatische Erfindungen, also indem Änderungen an der Ausschreibung oder Aufgabenstellung des Gebäudes gemacht wurden. Diese typisch postmoderne Herangehensweise kann als Selbstkritik der Kunstinstitution verstanden werden: In dem unrealisierten Entwurf für den Anbau des LACMA versuchte Koolhaas die „Geschichte der Künste als ein einziges und simultanes Narrativ, das Momente zeitlicher

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the overwhelming power of bureaucracy over architecture. In the 90s and 00s, his studio OMA proposed a series of designs for museums that almost entirely give up space from the design equation, or, better, achieve spatial specificity only and strictly through what architects would call programmatic invention – i.e., making changes to the building’s brief or program. This typically postmodern approach can be understood as institutional self-critique: in the (cancelled)

Koinzidenz, Autonomie, Beeinflussung und Konvergenz zeigt“ zu inszenieren, ein Übermaß an Kritik, die schon kuratorisch war, bevor sie räumlich wurde. Der Entwurf erwies sich am Ende als architektonisch zu komplex und gleichzeitig zu schwach, um wirklich gebaut zu werden. Einige Ideen des LACMA-Projekts flossen allerdings in OMAs Entwurf für die Fondazione Prada in Mailand ein, zumindest in der ursprünglichen Version, wo in einigen Räumen die sonst nicht sichtbaren Lagerbestände ausgestellt worden wären, in Anordnungen eines Roboter-Archivisten. Als der Entwurf 2008 präsentiert wurde, fand ich ihn ziemlich radikal und sprach den Direktor der Stiftung, Germano Celant, in der Pressekonferenz darauf an: Käme die Architektur dem Kurator zuvor und würde ihn durch ein Hirn aus

project for the LACMA extension, for example, Koolhaas tried to organise “the history of the arts [...] as a single and simultaneous narrative showing moments of chronological coincidence, autonomy, influence and convergence” – suggesting an excess of critique that was already curatorial before it was spatial. It ultimately proved architecturally both too complex and too weak to actually get built. Some ideas from the LACMA project were, however, brought over to OMA’s design for the Fondazione

Prada in Milan, at least in its initial version, where some of the exhibition spaces were going to publicly display its normally invisible storage holdings in arrangements determined by a robotic archivist. When it was presented in 2008 I found this quite radical and confronted the foundation’s director Germano Celant about it at the press conference: was architecture pre-empting the role of the curator, substituting it with an algorithmic brain? Of course Celant was very offended and protested that he had

APT ART: Vadim Zakharov vor seinen Arbeiten und denen von SZ, TOTART, Natalia Abalakova, Nikita Alekseev und George ­K iesewalter / Vadim Zakharov among his works and by SZ, TOTART, Natalia Abalakova, Nikita Alekseev, and George Kiesewalter

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Photo: George Kiesewalter

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Photo: Mark Blower

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Algorithmen ersetzen? Celant fühlte sich natürlich angegriffen und protestierte, dass er seit seiner Anfangszeit als Vordenker der Arte Povera „mit Raum gearbeitet“ hätte. Ich war skeptisch. Erst mit der neuen Inszenierungsstrategie für das Stedelijk Museum, die in Kürze vorgestellt wird, gelingt OMA die Entwicklung einer wirklich originellen Raumidee, die zu einer neuen kuratorischen Sicht auf die permanente Sammlung führt (oder umgekehrt?). Die Raumgestaltung lässt die Besucher die Sammlung gleichzeitig auf zwei Weisen erfahren: chronologisch und rhizomatisch. Es ist die vielleicht erste situationistische, museografische Planung und eine genaue Umkehrung der räumlichen Klischees der Museumsgestaltung, dass aktuelle Kunst leere, säulenlose Räume brauche

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“worked with space” since his early days as the ideologist of arte povera, but I remained sceptical. It is only in the soon-to-be-unveiled new mise-enscène for the Stedelijk museum that OMA manages to produce a truly original spatial idea which engenders (or is engendered by?) a new curatorial vision for how to display the museum’s permanent collections. The spatial devices designed by OMA will enable viewers to experience the permanent collection in two simultaneous ways: chronologically and rhizo-

und alte Kunst lineare Abfolgen, Raumfluchten und gerade Wände. Hier wird diese Gleichung umgedreht, um der Unausgewogenheit zwischen Dauer- und Wechselausstellungen entgegenzuwirken. Doch wird ein grundsätzliches Überdenken des Museums über Kritik am und Umkehrung des Bestehenden hinausgehen müssen. In einem Essay auf e-flux las ich vor kurzem über APTART, eine Art Peer-to-Peer-vernetzteInstitution, die 1982–1984 in Moskau aktiv war und außerhalb der „offiziellen“ sowjetischen Kunst Ausstellungen in Künstlerwohnungen organisierte. Die Aneignung von Wohnräumen als Ort der freien Meinungsäußerung in einem Kontext, in dem man von Privatbereich eigentlich nicht sprechen konnte, ist eine sehr interessante Fallstudie, wie zukünf-

matically. It is possibly the first situationist museographic project, and a very poignant inversion of the spatial clichés of museum design: that new art needs empty columnless spaces, while old art needs linear sequences, enfilades, straight walls. Here this equation will be inverted to reposition the uneven balance between temporary and permanent exhibitions. But still, a fundamental rethinking of the museum will have to go beyond that, and break beyond the limit of just being a critique or an inversion

of what’s already there. In a recent essay on e-flux I learned about APTART, a sort of P2P networked institution that was active between 1982 and 1984 in Moscow, which ran as a series of exhibitions in artists’ apartments, outside the realm of Soviet “official art”. The reclaiming of domestic space as a site of freedom of expression in a context where the private domain was almost unspeakable makes a very interesting case study for how the institutions of the future can be built and modified in the face of the omniv-

Marc Camille Chaimowicz, Belated Opening, 2017. Installationsansicht / Installation view “This Way out of England” Raven Row, London 2017

ES IST MÖGLICH, SICH DIREKT, RÄUMLICH UND THEMATISCH INS GEWEBE DER STADT EINZUSCHALTEN

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orous commodification of the private today. This shift is at the core of attempts at re-describing the relationship between art and exhibition space for institutions without a permanent home like the Fondazione Trussardi under the curatorship of Massimiliano Gioni, which opens up architectural gems and special locations to the public in a way that feels somewhat paternalistic and bourgeois; or the “56 Artillery Lane” exhibition currently on view at Raven Row in London, which stages a series of events happening at

brav und gediegen blieb. Heute ist das grundlegende Problem von Ausstellungsräumen, den Drang nach Entkörperung (Öffnung zur Stadt hin, das Arbeiten mit Satelliten oder mit geschichtsträchtigen Räumen, auf die Künstler reagieren können, etc.) mit der Notwendigkeit in Einklang zu bringen, eine permanente Sammlung mit einer völlig anderen Funktion in Bezug auf kulturellem Gedächtnis, kollektiver Geschichte und öffentlicher Bildung zu beherbergen. Man kann sich fragen, ob vielleicht in Zukunft alle Sammlungen (privat oder öffentlich) an die Dynastien und Mächte zurückgehen sollten, die sie erworben haben, man den institutionellen Versuch, die nahe Vergangenheit zu historisieren ganz aufgibt und das kollektive Gedächtnis über direkte und gelebte Erfahrung bildet.

different times through day and night, aiming to contextualise the domestic past of the gallery “as a space for social, sexual and political agency”, but perhaps remaining too well behaved and tasteful at that. The fundamental problem of art spaces today is to negotiate the urge to disembodiment (opening up to the city, creating satellites, providing more interesting spaces with a history artists can react to, etc.) alongside the necessity of housing permanent collections that have an entirely different

function related to memory, collective history, public education and so on. One wonders if maybe in the future, all permanent collections (private or public) should return to the homes of the dynasties and powers who acquired them and give up altogether the institutions’ ambition of historicising the near-past, while collective memory should be built by direct and performed experience. Theatre visionary Reza Abdoh’s Father Was a Peculiar Man, a multimedia performance with a cast of more than

En Garde Arts, Father Was a Peculiar Man, Meatpacking District, New York 1990. Regie / Directed by Reza Abdoh

Aus dem Englischen von Christian Kobald

tige Institutionen vor dem Hintergrund einer allumfassenden Kommodifizierung des Privaten aufgebaut oder umgestaltet werden können. Das Verhältnis von Kunst und Ausstellungsraum neu zu formulieren versuchen auch Institutionen ohne festen Sitz, wie etwa die Fondazione Trussardi unter der Leitung von Massimiliano Gioni, die architektonische Juwelen und besondere Orte den Besuchern zugänglich macht, wenn auch etwas paternalistisch und spießig. Oder die Ausstellung „56 Artillery Lane“, die vor kurzem bei Raven Row in London lief, wo zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten Events stattfanden, die Raven Rows Vergangenheit als Wohnort, ein „Raum sozialen, sexuellen und politischen Handelns“, in den Ausstellungskontext bringen wollte, was aber aber auch zu

Courtesy En Garde Arts

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Photo: Tom Haartsen. © Constant / Fondation Constant, Bildrecht/Wien 2017

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Die Multimedia-Performance „Father Was a Peculiar Man“ des Theatervisionärs Reza Abdoh, die 1990 mit über fünfzig Mitwirkenden über vier Blöcke des New Yorker Meatpacking District hinweg stattfand, ist vielleicht ein Modell für eine solche Kunstinstitution der Zukunft. Abdoh gab den dramaturgischen Spannungsbogen zugunsten „eines emotionalen roten Fadens“ auf, „[der] sich bis zum Ende der Performance akkumulieren wird“, wobei er die historische Realität des damals noch peripheren und gefährlichen Viertels mit archetypischen Themen aus Dostojewskis „Brüder Karamasow“ verwob. Die Kraft dieses Werks, das in und mit Architektur performt wurde, beweist, dass es möglich ist, sich ins Gewebe der Stadt direkt, räumlich und thematisch einzuschalten und einen Ort für Kunst zu schaffen, der partizipatorisch, einzig50, set in four blocks of New York’s Meatpacking District in 1990, is maybe a model for this kind of future art institution. Abdoh eliminated a dramatic arc in favor of “an emotional through-line [which] will accumulate by the time the performance ends”, weaving the historical reality of the still marginalised and lawless neighbourhood where the work took place together with the archetypical themes of Dostoevsky’s Brothers Karamazov. The power of this work, performed through and with architec-

artig und demokratisch ist. Aber angesichts der Tatsache, dass wir wahrscheinlich in einer Simulation von Constants „New Babylon“ leben, in der Arbeit automatisiert und Kreativität allgegenwärtig ist, wird Kunst vielleicht ohnehin überflüssig werden. Alessandro Bava ist Künstler und Architekt. 2014 gründete er das Designstudio Bava and Sons und 2016 das Magazine Ecocore. Er lebt in London.

ture, shows that it is possible to engage the fabric of the city in a direct way that is as spatial as it is thematic, and to construct a space for art that is participatory, unrepeatable, and democratic. But given that we probably live in a simulation of Constant’s New Babylon, in which work is automated and creativity is omnipresent, maybe art will be altogether unnecessary.

Alessandro Bava is an artist and architect. In 2014 he founded the design practice Bava and Sons, in 2016 the zine Ecocore. He lives in London.



Constant, Ansicht von New Babylon Sektoren / View of New Babylonian Sectors, 1971 Wasserfarbe und Bleistift auf Fotomontage / watercolor and pencil on photomontage, 135 x 223 cm