Essay Hauke Prigge

Doch nach reiflichen. Überlegungen ... wäre, den Ansprüchen eines komplexen Essays mit seinen et- lichen Nuancen ... seien sie auch noch soeinfach“ und „unvollendet“. Stellen wir uns ... und Schlüsselqualifikationen aufgewandt und wenn neben ... verfügt, die nach etwas giert, was ich als „Liebe“ bezeichnen möchte.
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Thema: Brain Food, Gehirndoping, Neuro-Enhancement – Wer oder was zwingt uns zur Perfektion?

Hauke Prigge Eichenschule Scheeßel Schüler

2. Platz

College

Perfekt, perfekter, am perfektesten

von Hauke Prigge

Behandlung von Krankheiten entwickelt wurden. Laut einem Bericht des Deutschlandfunks aus dem Jahr 2008 greift schon etwa ein Fünftel aller Wissenschaftler regelmäßig zu Ritalin, einem Medikament gegen das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, um die Konzentration zu steigern und auch bereits bei Studenten und Schülern stehen Arzneien gegen Parkinson oder Alzheimer als Viagra für das Gehirn hoch im Kurs.

Warum wir versuchen, besser als andere zu sein. Um meinem Anspruch der absoluten Perfektion gerecht zu werden, hatte ich mir ursprünglich vorgenommen, diesen Essay komplett im Perfekt zu schreiben. Doch nach reiflichen Überlegungen zum Thema befand ich, dass ein Aufsatz in vollendeter Gegenwart zwar durchaus schnörkellos und gradlinig wäre, den Ansprüchen eines komplexen Essays mit seinen etlichen Nuancen und Finessen jedoch nicht Genüge täte, weswegen wohl oder übel auch andere Tempi herhalten müssen, seien sie auch noch so „einfach“ und „unvollendet“.

Es funktioniert nun jedoch nicht, einfach in letzter Instanz die nach stetigem Fortschritt und beständiger Wohlstandsmehrung strebende Gesellschaft zu verteufeln, denn die Gesellschaft ist nichts anderes als die Summe ihrer Individuen und somit nicht die Ursache für ihre Ausprägungen. Unweigerlich muss man also zu dem Schluss gelangen, dass die Ursachen für die Leistungsgesellschaft in der Natur des einzelnen Individuums liegen müssen. Ich möchte an dieser Stelle zunächst deutlich zwischen einem „gesunden“ und einem pathologischen Ehrgeiz unterscheiden, wobei es selbstredend schwer ist, die Grenzen genau abzustecken. Es steht jedoch außer Frage, dass viele Menschen „etwas erreichen“ wollen, ohne für sich den Anspruch auf Perfektion und Unfehlbarkeit zu erheben. Dieser sich noch im rechten Maß befindliche Ehrgeiz, der alles andere als schadet, wurzelt in meinen Augen in den Sekundärtrieben des Menschen, dem Streben nach Sicherheit (vor allem finanzieller Natur) und sozialer Anerkennung, und geht mit einem starken „Ich“ der betreffenden Person einher. Sie weiß, dass Perfektion nicht zu erreichen ist und kann mit ihren Schwächen und Fehlern umgehen.

Stellen wir uns nun vor, der Essay sei das Leben an sich: Bei den etwa 20- bis 40-Jährigen, der „Generation Lebenslauf“, hat sich eine Mentalität des „Das-Leben-im-PerfektSchreiben“ eingebürgert, die eng mit dem Credo verknüpft ist, menschliche Wollmilchsäue hervorzubringen. Um den Anforderungen einer modernen Gesellschaft gerecht zu werden, deren Selbstverständnis schon lange von einem olympischen Motto („Dabei sein ist alles“) zum anderen („Höher, schneller, weiter“) gewechselt ist, muss der Mensch seine Zeit perfekt gestalten. Neben einer allumfassenden Bildung, die in Turbo-Abi und Bologna-Studium geradezu eingetrichtert wird, darf aber auch eine der Effizienz des Systems dienliche, möglichst ausgeprägte Spezialisierung nicht zu kurz kommen. Die Zeit, die frühere Generationen noch als den „heiligen Feierabend“ titulierten, wird zum Intensivieren der Soft-Skills und Schlüsselqualifikationen aufgewandt und wenn neben Rhetorik-Seminar, Management-Coaching und BusinessEnglish-Kursus noch ein wenig Zeit bleibt, werden hastig die Laufschuhe geschnürt, da ein leistungsfähiger Geist bekanntlich in einem leistungsfähigen Körper haust.

Perfektionisten hingegen, deren Ehrgeiz nicht mehr als gesund zu titulieren ist, da er im wahren Leben nicht erfüllt werden kann, sind mit ihrer eigenen Unzulänglichkeit unzufrieden und versuchen stets so gut wie möglich zu funktionieren. Sind Perfektionisten nun aber im Inneren ihres Wesens „Versager“, wie es der für seine polemische Zunge bekannte Oscar Wilde dereinst posaunte? Oder vielleicht sogar im Gegenteil so etwas wie Heilsbringer? Denn der Fortschritt, die Effizienz, der Wohlstand unserer Nation ist gewiss zu einem beträchtlichen

Seit einigen Jahren hat sich, ob des Dranges nach Perfektionierung seiner Selbst, gar ein neuer Markt herauskristallisiert: Die Zauberworte lauten „Brain-Doping“ und „Neuro-Enhancement“ und stehen für die Steigerung der geistigen Stärken durch pharmazeutische Produkte, die ursprünglich zur

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19. Jahrhunderts ein Analogon auf: „Der Ehrgeiz ist für die Seele, was der Hunger für den Leib ist.“ Nämlich ein sicherer Indikator dafür, dass ein Grundbedürfnis nicht hinlänglich befriedigt ist. Menschen mit starkem „Ich“ lieben sich selbst so wie sie sind und andere glauben daran, von einem Gott geliebt zu werden. Personen, bei denen beides nicht gewährleistet ist, sind jedoch verstärkt auf die Liebe, respektive ihrem Ersatz, der Anerkennung, von ihren Mitmenschen angewiesen. Individualpsychologisch betrachtet, sind Perfektionisten oft von einem mehr oder minder ausgeprägten Minderwertigkeitsgefühl befallen, als deren Kompensation sich der Anspruch auf eigene Perfektion einstellt.

Anteil jenen getriebenen Menschen geschuldet, die zwanghaft perfektionieren müssen. In seinem Buch „Die Perfektionierer“ beschreibt der Autor Klaus Werle das, was Perfektionisten antreibt, als „Statuspanik“. Auch ich bin der Meinung, dass jeder Mensch zu einem gewissen Maße Spielfigur im großen Status-Game ist und sich selbstredend behaupten möchte. Dieses Bestreben im Spiel des Lebens Erfolg zu haben, hat zwei Ursachen. Zunächst die Biologische: Auch wenn er sich ihr gerne gegenüberstellt und überlegen fühlt, ist der Mensch doch nur ein Teil der Natur und somit den Gesetzen der Evolution unterlegen. Es geht auch beim Menschen darum, seine Gene möglichst produktiv in den Genpool der Folgegeneration zu geben und dafür muss man sich gegenüber seinen Konkurrenten im Status-Kampf durchsetzen. Warum – wenn aber das unveränderliche Wesen unserer Art ursächlich ist – hat der Perfektionierungswahn dann gerade in den letzten Jahren immer mehr an Fahrt gewonnen und wird gewiss auch in Zukunft nicht zu bremsen sein, sofern kein Umdenken stattfindet? Nun, da der Status relativ ist, hat sich in unserer Gesellschaft ein selbstverstärkender Prozess etabliert: Wenn alle dem Anschein nach perfekt sind, muss man eben perfekter als perfekt scheinen. Das wiederum mündet in einem gegenseitigen Hochschaukeln der Menschen im Kampf um die besten Positionen und im Endeffekt in einer stetig wachsenden Optimierung des Systems und seiner einzelnen Zahnrädchen.

Sofern man Fortschritt goutiert, ist der Antrieb der Optimierer für die Menschheit positiv zu bewerten. Der einzelne Mensch wiederum, der nach einem erfüllten Leben strebt, bleibt in diesem schnellen, fortschrittlichen System oftmals auf der Strecke. Ein Mensch kann nur glücklich sein, wenn er seiner Natur entsprechend lebt. Menschen, die sich perfekt ins System eingliedern wollen, lassen sich aber funktionalisieren und entfremden sich von ihrer eigenen Natur. Sie arbeiten emsiger als die Bienen, gehen dabei aber in die Binsen. Sie sprinten den Weg des Lebens entlang ohne in ihrer Hast nach rechts oder links zu gucken, wobei es gerade abseits des Weges so viel zu erleben gibt: Man kann über die Wiesen tollen und an den Blumen schnuppern, der Musik des Windes lauschen und im Gras liegend die Wolken beobachten. Wenn das Herz mit Schönheit erfüllt ist, hat man es nicht mehr nötig perfekt zu sein und ich wage zu behaupten, dass der Schlüssel zum Glück eine gute Ausgewogenheit aus Arbeit (sei es im System oder an sich selbst) und Muße ist.

Die psychologisch-philosophische Erklärung für das StatusGame hängt jedoch damit zusammen, dass man den Menschen nicht allein nach dem Survival-of-the-fittest-Prinzip erklären kann, da er über Bewusstsein und vor allem eine Seele verfügt, die nach etwas giert, was ich als „Liebe“ bezeichnen möchte. Der Journalist Ludwig Börne stellte schon Anfang des

Pardon, eine möglichst perfekte Ausgewogenheit!

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