Es zischt und faucht im Alpenland

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© Neue Zürcher Zeitung; 07.05.2011; AusgabenNr. 106; Seite 17 Schweiz (il)

Es zischt und faucht im Alpenland Der kantonale Naturbeauftragte Rudolf Wyss weiss genau, wo sich die kriechenden Reptilien im Berner Oberland versteckt halten (dfu)

Wer mit offenen Augen in den Bergen wandert, sieht Schlangen vor allem frühmorgens, wenn sie sich an den Sonnenstrahlen wärmen. Ein Besuch im Berner Oberland zeigt, dass es je nach Gegend nur so von Schlangen wimmelt – vor allem von giftigen. Daniel Fuchs Viel zu früh ist er da in diesem Jahr: Der Frühling hat den Schnee selbst im Berner Oberland weit ins Hochgebirge zurückgedrängt. Dort, wo klirrende Kälte und eine dicke Schneeschicht die Natur in einem normalen Winter fest im Griff haben, ist mit dem überdurchschnittlich warmen Frühling Leben zurückgekehrt – und mit ihm kriechen Schlangen an die wärmenden Sonnenstrahlen. Die Reptilien benötigen viel Wärme, um auf Touren zu kommen. Frühmorgens hat Rudolf Wyss die Fotografin und den Reporter in Spiez abgeholt. Der Spiezer ist Gebietsbetreuer für das Berner Oberland in der Abteilung Naturförderung des Kantons Bern. Nach einer Fahrt durch das malerische Simmental ist die Gruppe an ihrem Ziel angelangt: einer Alp auf über 1000 Metern über Meer – «Aspisvipern-Gebiet», wie Wyss sagt. Die genauen geografischen Koordinaten will Wyss als Geheimnis gehütet wissen: Die Schlangen sollen schliesslich nicht verbotenerweise in Terrarien von Sammlern landen. Ob der Aussicht, den giftigen Tieren zu begegnen, mischt sich Nervosität in die Vorfreude der beiden Reporter. Aus Leidenschaft Die Alp könnte sich auch sonst wo in der Schweiz befinden, denn auf den ersten Blick ist nichts besonders daran. An drei Seiten verliert sie sich. Zuerst in bewaldeten Flanken, danach im unwegsamen Geröll und Fels. Da und dort ein Lawinenzug. Doch die letzten Lawinen sind längst unten, der letzte Schnee der hohen Temperaturen wegen seit Wochen geschmolzen. Wo die Alp flacher wird, liegt bewirtschaftete Zone: Trockenmauern strukturieren und unterteilen die Wiesen. Dazwischen Geröllhaufen. Büsche und einzelne Baumgruppen machen deutlich, dass der Wald die Alp bald zurückerobern könnte – wäre da nicht der Mensch, der sein Vieh auf den Matten weidet. Noch sind die Kühe nicht da, auf der Alp herrscht Stille. «Solche Gebiete sind idealer Lebensraum für die Schlangen», erklärt Wyss. Sie überwinterten in vor Frost geschützten Erdlöchern oder Höhlen unter einer dicken Schneeschicht, beispielsweise in Geröllhaufen, aber auch Häuserruinen. Früher, als die Abteilung für Naturförderung noch Naturschutzinspektorat hiess, war Wyss mit polizeilichen Aufgaben betraut. Es galt, den durch das Natur- und Heimatschutzgesetz geregelten Artenschutz zu vollziehen und fehlbare Wanderer und Ausflügler auf ihr http://www.smd.ch/SmdDocuments/?aktion=protectedDocumentsD…D+Search+V7&an=JM20110507000318897&view=XHTML&newLocale=de

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geregelten Artenschutz zu vollziehen und fehlbare Wanderer und Ausflügler auf ihr Fehlverhalten aufmerksam zu machen, gar zu büssen. Wyss ist aber froh, dass er heute nicht mehr als Polizist auftreten muss. Seine Leidenschaft für die Schlangen blieb auch so erhalten – selbst nachdem er fünf Mal gebissen worden war. «Die Bisse waren zwar schmerzhaft. Vor allem die Niere spürte ich jeweils mehrere Tage, als sie das injizierte Gift im Körper abbaute», erzählt Wyss. Doch für einen gesunden Menschen sei das Gift der heimischen Schlangen in der Regel keine Gefahr. «Es sei denn, die gebissene Person zeigt eine allergische Reaktion», räumt der Schlangenexperte ein und empfiehlt, es ihm nicht gleichzutun und nach einem Biss doch besser einen Arzt aufzusuchen. Rudolf Wyss teilt seine Leidenschaft zwar mit seiner Familie, nicht aber mit seiner Hündin Arka, die alles andere als freudig hinter ihrem Herrchen hertrottet. Schlechte Erinnerungen: «Eine giftige Viper hat sie einst in die Schnauze gebissen», erklärt Wyss, als er sich auf die Suche nach den sagenumwobenen Reptilien macht. Wütende Aspisviper Skeptisch tun es die beiden Reporter dem Jagdhund gleich und folgen – mit Kamera und Schreibblock bewaffnet – Wyss. Etwas abenteuerlich mutet das Ganze schon an, sitzt ein durch einschlägig bekannte Abenteuerfilme vermittelter Schrecken vor dem Bösen in Tiergestalt doch beiden in den Knochen. Auf einen Selbstversuch mit Schlangenbiss verspürt niemand Lust. Doch das feste Schuhwerk lässt die Gemüter sich etwas beruhigen. Denn dickes Leder schützt vor den spitzen Zähnen, selbst wenn man unbeabsichtigt auf ein (zu) langsames Reptil träte. Aufmerksam sucht Rudolf Wyss das Gelände ab. Seine Begleiter stehen gebannt am Rande eines kleinen Geröllfelds. Plötzlich ist erbostes Zischen – man stelle sich einen fauchenden kleinen Drachen vor – zu vernehmen. Nur wenige Schritte entfernt fühlt sich ein Tier offensichtlich gestört. Wyss stülpt sich die dicken Schweisser-Handschuhe über. Sie sollen ihn vor Bissen schützen. Einige schnelle Handgriffe, und in seinen Händen windet sich das wütende Tier: eine kleine, schlanke, schwarze Aspisviper, die nervös züngelt. Der Anblick ist wunderschön und beängstigend zugleich. «Ein Schwärzling», triumphiert Wyss und streckt das Tier den erschrockenen Reportern entgegen, die vorsorglich zwei Schritte zurückweichen. Schwarze Tiere sind unter Aspisvipern häufig. Wyss kann aber nicht sagen, woran es liegt, dass eine Schlange sich schwarz verfärbt oder nicht. Er vermutet jedoch gewisse Vorteile seitens der Schwärzlinge: «Wegen ihrer dunklen Farbe dürften sie sich schneller aufwärmen als ihre helleren Artgenossen.» Nach und nach weicht die Angst der Faszination. Immer wieder schiesst die gespaltene Zunge zwischen den Kiefern hinaus. «Damit nimmt sie ihre Umgebung wahr», erklärt Wyss. Weil eine gespaltene Zunge eine grosse Oberfläche aufweist, schmecke sie, was in ihrer Umgebung geschehe. Behutsam legt der Naturschutzaufseher die Schlange ins Gras und stülpt seinen Hut über das Tier. «Damit sie sich etwas beruhigt», erklärt er. Der Hut habe ihm schon grosse Dienste erwiesen. Doch Freunde witzelten beim Anblick von Wyss' zunehmend schütterer werdender Haarpracht: «Das Schlangengift lässt dein Haar ausfallen.» Schön gemustert Als Wyss den Hut wegnimmt, beruhigt sich die Schlange etwas. Geniesst sie gar das Rampenlicht? Schnell sind ein paar Fotos geschossen. Doch noch immer verharrt sie in Angriffsstellung. Als Wyss die Schlange mit dem Hut provoziert, beisst sie blitzschnell zu. Zwei ungleich grosse, nasse Punkte lässt sie zurück: ihr Gift. Wyss erklärt: «Die Viper injiziert nicht mit beiden Zähnen die gleiche Menge Gift.» Sowieso sei nicht eine grosse Menge Gift zu http://www.smd.ch/SmdDocuments/?aktion=protectedDocumentsD…D+Search+V7&an=JM20110507000318897&view=XHTML&newLocale=de

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erwarten, wenn eine Viper sich verteidige und einen Wanderer beisse. Denn sie wisse, dass es sich nicht um ein Opfer handle. «Sie beabsichtigt ja nicht, einen Menschen – wie eine Maus – zu verspeisen.» Langsam verzieht sich der Schwärzling. «Wir lassen sie nun ihren Schock verdauen», entscheidet Wyss und sucht das Gelände weiter ab. Nicht lange dauert es, und Wyss sichtet eine weitere Aspisviper. Ebenfalls schwarz, sonnt sie sich vor einem Stein und scheint sich nicht ob der Gäste zu stören, die sie auch in Ruhe lassen. Weiter oben noch einmal ein gleich aussehendes Tier: Die Schlange hat es noch nicht wirklich bis ans Sonnenlicht geschafft und ist entsprechend langsam. So langsam, dass nicht nur Wyss das Tier fast übersieht, sondern auch Arka, die sich dem Getier nähert. Nur wenige Zentimeter trennen sie von den giftigen Zähnen. Wahrscheinlich sind es Wyss' warnende Zurufe, die sie vor einer weiteren traumatischen Erfahrung bewahren. Ohne realisiert zu haben, welche Gefahr in unmittelbarer Nähe gelauert hat, lässt sie ab und macht sich davon. «Da, Schlingnattern!», ruft Wyss den Reportern zu. Er kann nur noch schildern, was er gesehen hat. Schnell haben sich die Tiere aus dem Staub gemacht. Vier ungiftige Schlingnattern seien beieinander gewesen. «Offensichtlich drei Männchen, die um ein Weibchen buhlten», sagt Wyss. Harmlose Wegelagerer Selbst ihr Gift schützt Kreuzottern und Aspisvipern nicht vor Feinden. Neben den Menschen müssen sie vor anderen Tieren auf der Hut sein. So stehen die kleinen Giftschlangen etwa auf dem Speiseplan von grösseren Nattern, Füchsen, Dachsen oder Raubvögeln. «Gegen den Angriff eines Adlers oder eines ähnlichen Greifvogels kann sich eine Schlange nicht wehren», erklärt Wyss. «Mit seinem festen Griff zermanscht ein Adler die Schlange, noch bevor sie überhaupt zum Biss ansetzen könnte.» Die Exkursion ist noch nicht zu Ende. Die Hoffnung, auch hell gemusterte Schlangen zu finden, treibt weiter an. Und tatsächlich: Gut getarnt und eingerollt liegt eine weitere Aspisviper im Gebüsch. Wyss erwischt sie, was ihr sehr missfällt. Doch ganz so wild wie die erste, schwarze stellt sich diese Viper nicht an. Wunderschön gemustert ist das Tier. Die dunklen Flecken prangen auf beigefarbener Schlangenhaut. «Sie hat sich frisch gehäutet», erklärt Wyss, weshalb sie so hübsch anzusehen sei. Zufrieden verlassen die Reporter die Alp. Waren das Zufallsfunde? «Nein», entgegnet Wyss, «es herrschten ideale Bedingungen, und im Frühling ist Paarungszeit: Da sind die Schlangen abgelenkt und lassen sich eher überraschen als in einer anderen Jahreszeit.» Im Hochsommer dagegen sei es schwieriger, auf Schlangen zu stossen. «Ist es zu heiss, so verstecken sich die Reptilien in kühlen Erdspalten.» Beim Abstieg zu Wyss' Auto kommt die Schar an der ersten Fundstelle vorbei. Erneutes Zischen: Der kleine «Drache» macht wiederum auf sich aufmerksam. Wyss lässt die Viper in Ruhe. Noch während sich das Reptil vom Schock erholt, überlassen die Besucher die Alp und ihre heimlichen Bewohner sich selbst. Bald werden Wanderer das Gebiet erkunden. Nur jene, die mit offenen Augen durchs Gelände gehen, werden – wenn sie Glück haben – die faszinierenden Tiere sehen. Fürchten müssen sie die Reptilien aber nicht. Auf Schlangensuche im Berner Oberland – der Naturförderer Rudolf Wyss mit seiner Hündin Arka.

Bilder Karin Hofer / NZZ http://www.smd.ch/SmdDocuments/?aktion=protectedDocumentsD…D+Search+V7&an=JM20110507000318897&view=XHTML&newLocale=de

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Giftige Aspisvipern mit unterschiedlicher Ausprägung: links ein sogenannter Schwärzling, rechts eine gemusterte Viper.

Heimliche Bergbewohner (dfu) dfu. · Generell lässt sich die Ausbreitung der beiden heimischen Giftschlangenarten so umschreiben: Während die Kreuzottern-Populationen die Nord- und Zentralalpen der östlichen Landeshälfte besiedeln, lassen sich Aspisvipern vorwiegend im Jura, im Tessin und in den westlichen Alpen finden. Die etwas kürzeren Kreuzottern (bis etwa 70 cm) sind in höheren Lagen als die längeren Vipern (bis etwa 80 cm) heimisch. In der Ostschweiz wurden, wenn auch selten, Kreuzottern bis gegen 2700 Meter über Meer gesichtet. Auch Aspisvipern besiedeln im Alpenraum durchaus Höhenlagen über 2000 Meter. Im Berner Oberland sind beide Schlangenarten heimisch. Sie teilen sich aber nie denselben Lebensraum, sondern schleichen einander aus dem Weg. Schweizer Giftschlangen sind anhand ihrer Pupillen von den harmlosen Nattern zu unterscheiden. Kreuzotter wie Aspisviper besitzen eine gespaltene Pupille, die ungiftigen Nattern dagegen eine runde. Wer einer Schlange begegnet, hat keinen Grund, in Panik auszubrechen, kann es sich doch um eine harmlose Natter handeln. Im Falle eines Bisses gilt: Ruhe bewahren und einen Arzt aufsuchen. Weitere Infos zu Reptilien: www.karch.ch

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