Eröffnung Buchtage Berlin Berlin, 21. Juni 2012 - Börsenverein des

21.06.2012 - Meine verehrten Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie herzlich zu den Buchtagen Berlin 2012. „Neue Zeiten, neue Seiten – Innovationen für die Buchbranche“ lautet in diesem Jahr das Thema. Fast könnte man meinen, wir hätten mit seherischen Fähigkeiten die ...
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Eröffnung Buchtage Berlin Berlin, 21. Juni 2012 Begrüßung von Prof. Dr. Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels - Es gilt das gesprochene Wort -

Meine verehrten Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie herzlich zu den Buchtagen Berlin 2012. „Neue Zeiten, neue Seiten – Innovationen für die Buchbranche“ lautet in diesem Jahr das Thema. Fast könnte man meinen, wir hätten mit seherischen Fähigkeiten die Buchtage 2012 unter diesen Titel gestellt. Das betrifft nicht die Veränderungsprozesse in unserer Branche; denn der Anbruch „neuer Zeiten“ beschäftigt uns bereits geraume Zeit. Was ungewiss ist, ist der Ausgang dieser Veränderungsprozesse. Wie reagiert die Buchbranche auf die Veränderungsprozesse? Was sind die Herausforderungen, denen wir mit „Innovationen“, also mit neuen Antworten begegnen müssen? Das betrifft vor allem die neue Diskussion in unserer Gesellschaft, die seit spätestens zwei Monaten im Gang ist, die neue Zeiten und neue Seiten erahnen lässt und uns vieles abfordern wird, der wir aber auch, wenn wir besonnen agieren, selbst die richtige Richtung und Gestalt geben können. Herausfordernd im wörtlichen Sinn ist die Auseinandersetzung um das Urheberrecht, die sich seit einiger Zeit im Netz entwickelt hat. Geführt von einer schwer greifbaren Netz-Community hat sie erhebliche Suggestionskraft entfaltet und einen damit verbundenen Machtanspruch artikuliert. Suggeriert wurde die Auffassung, das Urheberrecht sei passé, gehöre einer vergangenen Zeit an, weshalb es modern sei, gegen das Urheberrecht zu sein. Suggeriert wurde, dass dies nahezu alle so sehen. Und der Machtanspruch artikulierte sich in einem Aufruf, der binnen 24 Stunden die Bundesregierung von einem bis dato einvernehmlichen und zumindest in der Intention sinnvollen Vorhaben, nämlich Mindeststandards zum Schutz des geistigen Eigentums eher außerhalb der Grenzen Europas zu gewährleisten, abbrachte. Vielleicht brauchte es diesen Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Jedenfalls fühlten sich alle bis ins Mark getroffen, die buchstäblich und zuallererst von dem leben, was wir geistiges Eigentum nennen. Mit dem Wutausbruch von Sven Regner, der dann folgenden Aktion der Drehbuch- und Kriminalautoren und schließlich mit dem Aufruf von Autoren in der „Zeit“ vom 10. Mai

dieses Jahres wurden die Parameter der Diskussion mit einem Mal verändert. Vieles stellt sich seitdem neu geordnet und erkennbar differenzierter dar. Ein erstes und wichtigstes: Es waren die sehr differenzierten Beiträge der Autoren, die allen mit größter Deutlichkeit demonstrierten, dass die Buchkultur jenseits aller wirtschaftlicher Erwägungen eine geistige Potenz ist und eine normativ gestaltende Kraft in unserer Gesellschaft darstellt. Das Wertbewusstsein, das hier zum Ausdruck kam, prägt das Selbstverständnis unserer ganzen Branche zutiefst und begründet, warum wir wert- und selbstbewusst für uns in Anspruch nehmen müssen, besondere Rahmenbedingungen zur Entfaltung und Erfüllung unserer Aufgabe zu brauchen. Ein zweites und nicht weniger wichtiges : Es war Thomas Hettche, der in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 31. Mai 20121 – wohlbemerkt als Autor - dieses Selbstverständnis unserer Branche, und zwar laut und eindringlich formulierte: „Die aktuelle Debatte“ – so kritisierte er – „reduziert nicht nur das Buch auf ein begrenztes Behältnis, das verzichtbar geworden ist, sie ist auch blind gegenüber der Komplexität des ‚Gesamtsystems Literatur‘. Der Schriftsteller, dessen Kernkompetenz eben nicht Vermittlung und Vermarktung, sondern die Herstellung besagter Flaschenpost ist, die wir in unserer Imagination entkorken, war und ist in diesem System gehalten von etwas anderem als einer Distributionsstruktur. Verleger, Literaturkritiker, Buchhändler agierten nicht primär als Gatekeeper, sondern als Vermittler von etwas, das im Kern nicht erklärlich ist. Nicht durch Klappentexte, nicht durch Literaturkritiken. Das dumme Wort von den Verwertern geht an dieser Wirklichkeit vorbei. Auf das Wissen der Autoren um die Kunst dieser Vermittlung bezog sich der Aufruf der Urheber.“ Mit aller Deutlichkeit ist hier klargestellt, dass wir, unsere Branche, unverzichtbare Teile eines schöpferischen und kulturelle Ergebnisse entfaltenden Prozesses sind. Auch die Gegner des Urheberrechts haben sich im Internet artikuliert: „Wir scheißen auf euch, Scheiß Urheberrecht, Scheiß Gesetze“. Anonymous bläst zur Jagd auf die Autoren und das darf man ruhig wörtlich nehmen. Mit kriegerischem Vokabular (Mailbomben) glaubt diese Gruppe, sich außerhalb jeglicher Gesetze stellen und auf das Grundgesetz anspruchsvoller Kultur - nämlich Toleranz - pfeifen zu können. Fast ist man geneigt zu sagen: Gut, dass die Fronten so deutlich werden. Denn damit wird der Blick frei auf das Diskussionsfeld. Die Spreu trennt sich vom Weizen. Denn auf einmal wird mächtig zurück gerudert. Selbst die Piraten stehen plötzlich zum Urheberrecht. Zu welchem, das bleibt allerdings unklar. Nicht schweigen dürfen wir dazu, dass in der Diskussion Teilnehmer aufgetreten sind, denen es nicht um Freiheit, Wissensvermittlung für alle und Demokratie geht, sondern um die Durchsetzung von Ansprüchen - alles kostenlos und sofort! - unter Inkaufnahme von Gewalt, Bedrohung und empfindlichen Persönlichkeitsverletzungen. Die Selbstbloßstellung der Gegner des Urheberrechts ist jedoch kein Grund für uns, nun selbstversichert und zufrieden zur Tagesordnung übergehen. Die Diskussion um das Urheberrecht ist damit nicht abgeschlossen, sondern sie ist allererst eröffnet. Jetzt ist es an uns, Klarheit zu schaffen. Wir müssen uns kritisch fragen, ob wir dem hohen Anspruch entsprechen, Teil eines schöpferischen Prozesses zu sein, oder ob es nicht doch für ein modernes Urheberrecht im Internetzeitalter Veränderungsbedarf gibt.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.05.2012, Thomas Hettche, „Wahre Literatur ist rücksichtslos“, S. 31

Es ist Zeit für eine Wende: Zum einen müssen wir unsere bisherige Position überprüfen. Zum andern müssen wir den jetzigen Zeitpunkt nutzen, um mit denen ins Gespräch zu kommen, die Veränderungsbedarf beim Urheberrecht in Hinblick auf die digitalen Zeiten sehen. Und das, meine verehrten Damen und Herren, müssen wir – ungeachtet der genannten Angriffe - ernst nehmen. Das Netz stellt ohne Zweifel eine neue Herausforderung für Kommunikation und kulturelle Entwicklung dar. Deshalb müssen wir akzeptieren, dass das Urheberrecht zumindest in bestimmten Bereichen hinter der neuen Lebenswirklichkeit und den Gesetzen der Internetkommunikation zurückbleibt. In bestimmten Bereichen, wie dem der sozialen Kommunikation im Netz, kann es die Entfaltung von Kreativität eher hindern, als fördern. Und genau das kann nicht in unserem Interesse sein. Als Kulturbranche sind wir aufgerufen, Rahmenbedingungen zu setzen, um damit die Voraussetzungen zu schaffen, die für Entfaltung, Stimulierung und Fortentwicklung der Kreativität nötig sind. Deshalb lade ich diejenigen ein, die sich ernsthaft um diese Fragen sorgen oder sich damit beschäftigen, uns gemeinsam auf den Weg zu machen, im Sinne von Schirrmachers Kommentar in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ „aus den Schützengräben“ herauszukommen und in den Dialog einzutreten, der notwendig ist, um die besten Lösungen zu finden. Der Schutz der schöpferischen Leistung ist die Voraussetzung dafür, dass sich Kultur nachhaltig entfalten kann. Autor sein ist ein Beruf. Und wer als Autor einen Partner oder eine Plattform haben will, der arbeitet mit einem Verlag zusammen, der das Kulturgut verfeinert, schleift, lektoriert und an den Leser bringt. Und wer das tut, hat Anteil an der Qualität und Verbreitung des Werks. Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff hat es in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“2 aufs Schönste beschrieben. Sie nennt als Beispiel Übersetzungen und beschreibt, wie mühevoll – und meistens ziemlich schlecht bezahlt - Übersetzungen sind und warum es notwendig ist, dass - ich zitiere - „diese Übersetzungen unbedingt begutachtet und lektoriert werden müssen, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Übersetzungen können eben nicht maschinell erstellt werden. Feingefühl und oft auch ein stupendes Wissen sind nötig, um einen anspruchsvollen Text in die eigene Sprache zu schmuggeln.“ „Wer bitte schön“, so fragt Sibylle Lewitscharoff, „soll die Arbeit dieser meist exzellent ausgebildeten Leute bezahlen, wenn die Verlage eingehen?“ Ähnlich sieht sie es für die Bücher der Wissenschaftsverlage. Als Leser kann man sich sicher sein, - ich zitiere - „dass man darin keinen groben Unfug antreffen wird, aber auch, dass kleine, beiherschleichende Fehlerchen bereinigt sind.“ Was Verlage leisten? Genau das! Für uns heißt das: Das Urheberrecht muss grundrechtlich geschützt bleiben. Es bildet die Existenzgrundlage derer, die ihre Arbeitskraft für eine immaterielle Leistung einsetzen und auf diese Weise wertvolle und unverzichtbare Beiträge zur Entwicklung unserer Gesellschaft erbringen. Es gibt einen Kern des Urheberrechts, der für uns unantastbar ist und der auch gegen Piraterie durchgesetzt werden muss. Wenn die Piratenpartei „das private direkte nicht-kommerzielle Filesharing“ entkriminalisiert sehen will, dann trifft das - mit Verlaub - genau diesen Kernbereich, der für uns nicht diskutabel ist. Würde dies zugelassen, wäre der gesamte Markt tot. Autoren blieben unter dem Strich ohne Lohn für ihre Arbeit. Dort aber, wo wir Potenzial sehen, um gerade im Netz mehr für unseren kulturellen Auftrag tun zu können, müssen wir auch bereit sein zu Korrekturen am Urheberrecht.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.05.2012, Sibylle Lewitscharoff, „Finger weg von den Büchern“, S. 25

Deshalb werden wir auf den Buchtagen darüber sprechen, ob wir auch im Interesse der Verlage und Buchhandlungen nicht die kreativen Möglichkeiten öffnen, die das Internet bietet, um es für die Kultur zu nutzen. Und wir werden darüber sprechen, welche Möglichkeiten das sein können. Bis zur Frankfurter Buchmesse 2012 wird der Börsenverein Grundlagen eines modernen Urheberrechts aus Sicht der Buchbranche erarbeiten. Wir laden alle Kritiker und Reformer, die sich konstruktiv Gedanken über das Urheberrecht machen, zum Gedankenaustausch und zur gemeinsamen Arbeit an einem Urheberrecht ein, dass die kulturelle Kommunikation im Netz nicht behindert, sondern anstößt. Ich freue mich auf einen solchen Dialog! Und um deutlich zu machen, wofür unsere Branche steht und welchen Werten sie sich verpflichtet weiß, lassen Sie mich zum Schuss auf den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zu sprechen kommen. Meine Damen und Herren, ich freue mich, Ihnen zur Eröffnung der Buchtage den Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels für das Jahr 2012 bekannt geben zu können. Der Stiftungsrat für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – und das wird in diesen Minuten öffentlich gemacht – hat entschieden, dass zum diesjährigen Friedenspreisträger der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu gewählt ist. In der Begründung heißt es: „Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahr 2012 an Liao Yiwu und ehrt damit den chinesischen Schriftsteller, der sprachmächtig und unerschrocken gegen Unterdrückung und Diktatur aufbegehrt und den Entrechteten seines Landes eine weithin hörbare Stimme verleiht. Liao Yiwu setzt in seinen Büchern und Gedichten den Menschen am Rand der chinesischen Gesellschaft ein aufrüttelndes literarisches Denkmal. Der Autor, der am eigenen Leib erfahren hat, was Gefängnis, Folter und Repression bedeuten, legt als unbeirrbarer Chronist und Beobachter Zeugnis ab für die Verstoßenen des modernen China.“ Verliehen wird der Friedenspreis in der Frankfurter Paulskirche zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, dem 14. Oktober. Ich darf jetzt, meine Damen und Herren, herzlich meinen Kollegen, den Verleger Michael Krüger, begrüßen. Ich freue mich, dass er in diesem Jahr zur Eröffnung der Buchtage 2012 spricht. Den Buchtagen Berlin 2012 wünsche ich einen guten und anregenden Verlauf. 21. Juni 2012 / GH