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Tabelle 5: Gründungsdokumente und ihre hybride Räume. 99. Tabelle 6: Moderne und Postmoderne Eigenschaften der Gründungsdokumente. 105. Tabelle 7: ...
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Hochschulschrif ten zur Nachhaltigkeit

Michaela Hölz

Der Globetrotter Sustainable Development Auf den Spuren eines Leitbilds mit der Luhmannschen Systemtheorie als Landkarte

Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden, reduzieren, kompensieren – nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag. Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt. Mehr Informationen finden Sie unter www.oekom.de

Das vorliegende Buch ist die Veröffentlichung einer geringfu ̈gig geku ̈rzten und leicht ̈ uberarbeiteten Dissertation, die Michaela Hölz mit dem Titel »Zuru ̈ck in die Zukunft. Der Globetrotter Sustainable Development. Eine Reise in die Postmoderne mit der Luhmannschen Systemtheorie als Landkarte« im Fru ̈hjahr 2012 am Institut fu ̈r Politische Wissenschaft an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg erfolgreich verteidigt hat.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2012 oekom, München oekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH Waltherstrasse 29, 80337 München

Umschlagabbildung: Fotolia [M] Produktion und redaktionelle Betreuung: Volker Eidems Korrektorat: die Autorin Druck: Digital Print Group, Nürnberg Dieses Buch wurde auf 100%igem Recyclingpapier gedruckt. FSC (Forest Stewardship Council) ist eine nichtstaatliche, gemeinnützige Organisation, die sich für eine ökologische und sozialverantwortliche Nutzung der Wälder unserer Erde einsetzt.

Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-86581-406-7 e-ISBN 978-3-86581-538-5

Michaela Hölz

Der Globetrotter Sustainable Development Auf den Spuren eines Leitbilds mit der Luhmannschen Systemtheorie als Landkarte

Meinen Eltern

Danksagung Viele Missverständnisse entstehen dadurch, dass ein Dank nicht ausgesprochen, sondern nur empfunden wird. Ernst R. Hauschka Dieses Missverständnis zu umgehen, möchte ich den Menschen danken, die mich bei dieser Arbeit unterstützt haben. Allem voran möchte ich mich bei meinem Doktorvater Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Klaus von Beyme bedanken. Er hat mir freien Lauf gelassen und mich in meinem Projekt Doktorarbeit bestärkt. Sein Wissen sowie seine Freude an Lehre und Forschung haben mich immer wieder von neuem aufblicken lassen. Seit meiner Magistra-Zeit war mir sein Feedback eine wichtige Orientierung. Orientierung gab mir auch unser Kolloquium - und dies jeden Montag im laufenden Semester. Die Themen in dieser wissenschaftlichen Brennzelle können unterschiedlicher nicht sein; aber genau das hat es mir ermöglicht, mein Thema so anzugehen, wie ich es angegangen bin. Nach jedem Kolloquium geht es mit der versammelten Frau- und Mannschaft zum Griechen in die Heidelberger Altstadt. Auch dies war mir eine wichtige Stütze. Der Austausch, die konstruktiven Gespräche und nicht zuletzt der Zuspruch meiner lieben Kommilitoninnen und Kommilitonen haben mich diese Arbeit mit Freude schreiben lassen. Ihnen allen möchte ich einen Dank aussprechen. Ich werde unserem Kolloquium und unserem Griechen weiterhin wohlgesonnen bleiben und wenn es mir die Zeit ermöglicht, immer wieder dabei sein. Auch möchte ich mich bei meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Michael Haus bedanken, der mir mit seinem konstruktiven, an manchen Stellen durchaus kritischen Feedback geholfen hat, diese Arbeit für die Veröffentlichung feinzuschleifen. Danken möchte ich auch meinen zahlreichen Korrekturleserinnen und Korrekturlesern. Vor allem sind hier Dr. Stefan Wurster, Dr. Rafael Bauschke, Dr. Max-Otto Bachmann, Dr. Stefanie Helmbrecht, Tobias Wojtanowski, Janina Myrczik, Kristina Manz und Danyal Bayaz anzusprechen. Meinem Vater gebührt hier besonderer Raum. Nicht nur, weil er die gesamte Arbeit Korrektur gelesen hat. Sondern vor allem auch, weil sein nationales wie internationales Sustainability-Engagement mich seit meiner Jugend dazu bewogen hat, Sustainable Development verstehen zu wollen. Meinem Bruder danke ich für die graphische Unterstützung. Dr. André Reichel gilt es ebenfalls besonders zu erwähnen. Auch er war mir ein toller Korrekturleser. Aber vor allem war er mir in unzähligen Facebook-Threads ein treuer und kluger Ansprechpartner. Aber nicht nur das! Er war derjenige, der mich überhaupt dazu inspiriert hat, den Luhmannschen Weg zu wählen. Eine solche Arbeit entwickelt sich aber nicht nur vor dem Rechner, mit Büchern auf Konferenzen und in Seminaren. Sondern sie entwickelt sich auch in all dem, was darum geschieht. Aus diesem Grunde möchte ich mich bei meinen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern bedanken, die mir das Leben neben der Diss versüßt und lebenswert gemacht haben. Ihr seid hier natürlich an vorderster Front angesprochen. Last but not least möchte ich mich bei meinen Eltern bedanken, die meine gesamten Berg- und Talfahrten so verständnisvoll mitgemacht haben. Ohne Euch hätte ich das schlicht und ergreifend nicht geschafft. Danke. Michaela Johanna Hölz, Heidelberg, 12. August 2012

INHALTSÜBERSICHT

KAPITEL 1 Einleitung: Der rote Faden………….............…………….......................…..………...........13 KAPITEL 2 Eine gemeinsame Sichtweise entwickeln...............................................…............................20 KAPITEL 3 Diagnostische Chronik: Ein Portfolio für Sustainable Development...…...........................47 KAPITEL 4 Tradiertes Ideengut: Die semantische Entfaltung von Sustainable Development.............74 KAPITEL 5 Aus der tradierten Idee wird das Leitbild Sustainable Development...............................106 KAPITEL 6 Der Blick nach Deutschland: Das Ringen um Sustainable Development.........................145 KAPITEL 7 Conclusio: Der Blick zurück nach vorn..............................................................................191 KAPITEL 8 Literatur…………….……………………………………………...................................….196

AUSFÜHRLICHES INHALTSVERZEICHNIS ABBILDUNGSVEREZICHENIS

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TABELLENVERZEICHNIS

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FORMALIEN UND WODING

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1 EINLEITUNG: DER ROTE FADEN 1.1 Aufbau der Arbeit: Ein Blick in das Fahrtenbuch

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1.2 Aufbau der Arbeit: Landkarten für die Reise

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2 EINE GEMEINSAME SICHTWEISE ENTWICKELN 2.1 Reflexive Selbstverortung: Die Brille als Standort

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2.2 Historie der Systemtheorie und ihre Umsetzung in der Politikwissenschaft

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2.2.1 Das kybernetische Erbe: Kommunikation im Mittelpunkt 2.2.2 Das Erbe der Allgemeinen Systemtheorie: Universalität im Mittelpunkt 2.2.3 Das Erbe beider Ansätze: Veränderte Blickrichtungen

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2.3 Grundlagen schaffen: Der systemtheoretische Blick auf Politik

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2.3.1 System-Umwelt Differenz 2.3.2 Komplexität als Grundbegriff 2.3.3 Fünf unterscheidbare Eigenschaften eines jeden Systems 2.3.4 Lern- und Entwicklungsfähigkeit von Systemen

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3 DIAGNOSTISCHE CHRONIK: EIN PORTFOLIO FÜR SUSTAINABLE DEVELOPMENT 3.1 Moderne und Postmoderne: Klassifikation als Chance

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3.2 Klassifikation der Moderne: Eindeutigkeit der Welt

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3.2.1 Eindeutigkeit im Fortschrittsglauben: Modernisierung ohne Natur 3.2.2 Eindeutigkeit in der Steuerungstheorie: Staat als zentraler Akteur 3.2.3 Eindeutigkeit in der Selbsterfüllung: Der Schmetterlingseffekt und seine Folgen

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3.3 Klassifikation der Postmoderne: Uneindeutigkeit der Welt

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3.3.1 Uneindeutigkeit als Unsicherheit: Orientierungsprobleme werden sichtbar 3.3.2 Uneindeutigkeit als Struktur: Vom Sinn und Unsinn 3.3.3 Uneindeutigkeit als Zeit: Hyperdynamische Zukünfte in Gegenwarten 3.3.4 Uneindeutigkeit als nichtintendierte Nebenfolge: Die veränderte Naturrezeption 3.3.5 Uneindeutigkeit als funktionale Differenzierung: Nationale Identitäten unter Druck 3.3.6 Uneindeutigkeit als Diskurs: Von der Machtanalyse zur Netzwerkanalyse

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3.4 Von der Idee zum Leitbild: Vom Diskurs zur Orientierung

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3.4.1 Aus Orientierungslosigkeit kann Orientierung entstehen 3.4.2 Zwischen ungewisser und wünschenwerter Zukunft 3.4.3 Eine Allegorie zum Schluss

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4 TRADIERTES IDEENGUT: SEMANTISCHE ENTFALTUNG VON SUSTAINABLE DEVELOPMENT 4.1 Die Gründungsdokumente von Sustainable Development als kanonisierte Texte 4.1.1 Erste Stimme des Kanons: Meadows-Bericht von 1972 4.1.2 Zweite Stimme des Kanons: Stockholmer-Deklaration von 1972 4.1.3 Dritte Stimme des Kanons: Bukarester-Dokument von 1974 4.1.4 Vierte Stimme des Kanons: Brandt Bericht von 1980 4.1.5 Fünfte Stimme des Kanons: Brundtland-Bericht von 1987

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4.2 Sustainable Development als hybrider Begriff: Die vernetzte Postmoderne kommt zum Ausdruck

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4.2.1 Kleiner hybrider Raum: Statischer Zugang 4.2.2 Größer werdender hybrider Raum: Dynamischer Zugang 4.2.3 Die DNA-Sequenz von Sustainable Development 4.2.4 Graphische und Tabellarische Darstellung der DNA-Sequenz von Sustainable Development

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  5 AUS DER TRADIERTEN IDEE WIRD DAS LEITBILD SUSTAINABLE DEVELOPMENT 5.1 Die Rio-Konferenz 1992: Festschreibung des Leitbildes Sustainable Development 5.1.1 Inhalt der Rio-Konferenz: Rio Deklaration und Agenda 21 5.1.2 Prozess der Rio-Konferenz: Modernes oder Postmodernes Kalkül? 5.1.3 Die Zeit nach Rio: Postmoderne Umsetzung 5.2 Auswertende Beobachtung des Lelitbildes Sustainable Development 5.2.1 Das Leitbild und seine epigentische Wandlung 5.2.2 Das Leitbild und seine neue Orthodoxie 5.2.3 Das Leitbild und der Staat 5.2.4 Das Leitbild als Leitbild

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6 DER BLICK NACH DEUTSCHLAND: DAS RINGEN UM SUSTAINABLE DEVELOPMENT 6.1 Übersetzungs-wirr-war von Sustainable Development 6.2 Der Blick zurück: Die Einführung des Leitbildes Sustainable Development 6.2.1 Berichte, die bewegten und bewegen 6.2.2 Von der Querschnittsaufgabe Umweltpolitik zur Querschnittsaufgabe Nachhaltigkeit 6.3 Der Blick ins Jetzt: Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität 6.3.1 Neoklassik oder moderner Fortschrittsglaube: Kuznet-Kurve-Position 6.3.2 Ökologische Ökonomie oder postmoderner Zweifel: Wachstumskritische Position 6.3.3 Der Wunsch nach Vermittlung: Zwischen Tanker und Segelschiff 6.4 Der Blick nach vorn: Öko Soziale Marktwirtschaft ist in Zukunft das führende Leitbild

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7 CONCLUSIO: DER BLICK ZURÜCK NACH VORN 7.1 Die Reise von Sustainable Development in Retrospektive

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7.2 Die Reise von Sustainable Development in Neospektive

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8 LITERATUR

ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Landkarte 1. Unterschiedliche Zugänge sind möglich Abbildung 2: Landkarte 2. Induktive und deduktive Verschmelzungen Abbildung 3: Entwicklung als Prozess. Die zirkuläre Entwicklung Abbildung 4: Der Alternativen-Raum im Entwicklungsprozess Abbildung 5: Die Erde Abbildung 6: DNA-Sequenz von Sustainable Development Abbildung 7: Zwei Ebenen des Leitbildes Sustainable Development Abbildung 8: Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung Abbildung 9: Bundesdeutschen Institutionen und ihr Zusammenwirken

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TABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1: Möglichkeiten der Politisierung Tabelle 2: Moderne und Postmoderne auf einen Blick Tabelle 3: Stockholmer-Deklaration Tabelle 4: 22 Prinzipen des Brundtland-Berichts Tabelle 5: Gründungsdokumente und ihre hybride Räume Tabelle 6: Moderne und Postmoderne Eigenschaften der Gründungsdokumente Tabelle 7: Rio-Deklaration Tabelle 8: Agenda 21 – Inhaltsverzeichnis Tabelle 9: Das Leitbild Sustainable Development auf einen Blick Tabelle 10: Enquete-Kommissions-Chronik Tabelle 11: Auf einen Blick. Berichte und Studien Tabelle 12: Bundesdeutsche Ministerien und ihre Berichte

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FORMALIEN UND WORDING •

Weibliche Sprachform

Diese Arbeit verwendet die weibliche Sprachform (generisches Femininum), weil Sprache Macht ist und weil Sprache ein Instrument ist. Gerade dort wo mit Sprache umgegangen wird. Eine Arbeit, die sich nur aus Sprache bedingt, also nichts weiter hat, außer eben diese, sollte jene auch reflektieren. Sprache ist immer auch ein Spiegel der Gesellschaft - gerade dort, wo von Gesellschaft die Rede ist. Die Verwendung alternativer Sprachformen, wie etwa das generische Femininum, löst also im besten Falle Reflektionen aus - und dies nicht nur über den Sprachgebrauch, sondern auch über die Gesellschaftsverhältnisse. Und das wiederum scheint einer Wissenschaft der Politik durchaus angemessen zu sein. Wo sonst könnte genau diese Diktion, mit solch einer Intension, verwendet werden? Grundsätzlich geht die Autorin davon aus, dass der Gebrauch der männlichen Sprachform zu einer geringeren gedanklichen Einbeziehung von Frauen führt, ja, letzten Endes Frauen sogar ausschließt.1 Das heißt, dass Frauen (wenn sie nicht explizit erwähnt werden) oft nicht mitgedacht werden. Es geht also auch darum, Frauen in geschriebenen Texten als gleichberechtigte und gleichwertige mensch-

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Vgl. dazu Stahlberg/Sczesny 2001; Trömel-Plötz 1991 sowie Pusch 1984, 1990, 1999.

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liche Wesen erkennbar zu machen. Warum soll ein Kanzler genauso gut eine Kanzlerin sein, aber umgekehrt dies nicht der Fall? Spätestens seit der Philosophin Simone de Beauvoir (1908-1986) ist bekannt, dass der Mann der Eigentliche ist und die Frau das Andere (Beauvoir 2010). Ein essentieller Schritt, um aus der Anderen auch (!) eine Eigentliche zu machen, ist es, sie in der Sprache sichtbar werden zu lassen. Aus diesem Grunde verwendet die Autorin ausschließlich das generische Femininum. Damit sind in dieser Arbeit jedoch immer beide Geschlechter gemeint. •

Zitation und Hervorhebung

Wenn „…“ benutzt wird, dann wird zitiert. Wenn kursiv geschrieben ist, dann soll das der Hervorhebung und Betonung dienen, nicht aber als Zitat aufgefasst werden. Hier ist oftmals auch die Prägung neuer Begriffe und Zusammenhänge intendiert, wie beispielsweise Gründungdokumente, DNA-Sequenz oder epigenetische Wandlung. •

Aufbau der Kapitel

Jedes Kapitel wird mit einem Zitat eingeleitet und jedem Kapitel (außer Einleitung und Schluss) ist ein kursiv geschriebener Text vorweg gestellt. Dies soll der Leserin als komprimierte, ergebnishafte Darstellung dienen und die Intension des Kapitels verdeutlichen.

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1 Einleitung: Der rote Faden Theorie und empirische Forschung sind zwei verschiedene Dinge; ihre Verschmelzung ist schwierig und verlangt Kreativität. Amitai Etzioni Der Begriff Sustainable Development hat im rasanten Tempo weltweit Karriere gemacht und ist gegenwärtig fester Bestandteil der politischen Tagesordnung.2 Mehr als das. Der Begriff scheint inflationär benutzt zu werden: -

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Auf großen Weltkonferenzen, in völkerrechtlichen Abkommen und in zahlreichen Koalitionsvereinbarungen von Bund und Ländern wurde der Begriff benutzt, ja sogar zum Leitbild stilisiert.3 Rückenwind gibt es auch von den Vereinten Nationen (UN). Die Jahre 2005 bis 2014 sind zur „UN Decade of Education for Sustainable Development“4 ausgerufen. Auch dadurch, dass alle Staaten sustainability reports anfertigen sollen, bleibt der Begriff auf der Agenda. Kein größeres Unternehmen kommt heute ohne einen eigenen Nachhaltigkeitsbericht aus. Die deutsche Bundesregierung hat seit 2001 einen Rat für Nachhaltige Entwicklung.

In dieser Situation wäre zu erwarten, dass der Begriff im gesellschaftlichen Diskurs geklärt ist und Einvernehmen dabei bestehe, was damit gemeint sei. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Der Politologe Jörg Tremmel konstatiert zu Recht, dass „(…) nichts beliebter sei, als das Reden und Schreiben über Nachhaltigkeit und gleichzeitig nichts so aussichtslos wie der Versuch den Begriff konsensfähig und allgemein verbindlich zu definieren“.5 Der Ökonom David W. Pearce spricht in diesem Kontext gar von einer „Galerie der Definitionen“.6 Diese Arbeit tritt nicht an, eine weitere Definition hinzuzufügen. Im Gegenteil. Es gilt Abstand von Definitionen zu gewinnen. Aus dieser Perspektive hat Sustainable Development weniger ein Umsetzungsproblem. Das Problem liegt tiefer. Das Problem liegt vor der eigentlichen Umsetzung. Damit ist die Intension dieser Arbeit deutlich: Die Arbeit will Sustainable Development sozialwissenschaftlich klären. Systematisieren und Klassifizieren heißen hier die zentralen Stichworte. Die Arbeit tritt an, das komplexe Feld von Sustainable Development theoretisch zu ordnen. Um dies jedoch tun zu können, muss eine Erforschung nach den Fundamenten von Sustainable Development erfolgen, die aus dem gesellschaftlichen Mechanismus entstanden sind, in dem sich Sustainable Development gerade bewegt. Die Stilisierung von Sustainable Development als „zivilisatorischer Entwurf“7 und „Leitidee“8 deutet darauf hin, dass die Gesellschaft als Ganzes (in Gegenwart und Zukunft) ge-

 2 Es wird vorerst das englische Original bemüht. Erst das Kapitel, das sich mit dem deutschen Kontext auseinandersetzt (Kapitel 6), leistet einen Übersetzungsdiskurs. 3 Diese Konferenzen, Abkommen etc. sind wesentlicher Teil der vorliegenden Arbeit und werden im Laufe der Arbeit ausführlich besprochen. 4 Das hat die UN Generalversammlung im Dezember 2002 mit der Resolution 57/257 beschlossen. 5 Tremmel 2003, S. 95. 6 Zitiert nach Luks 2002, S. 7. 7 Brandt-Bericht 1980, ist im Kapitel 4 besprochen. 8 Rio-Konferenz 1992, ist im Kapitel 5 besprochen.

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meint ist. Die Idee dahinter ist leicht ersichtlich: Bei Lösungen von Problemen sollen nicht gleichzeitig andere Probleme vergrößert werden, oder gar neue Probleme geschaffen werden (insbesondere für zukünftige Generationen). Damit will Sustainable Development die nichtintendierten Nebenfolgen (seien sie sozialer, ökologischer oder ökonomischer Natur) wenn schon nicht überwinden, so doch zumindest eindämmen. Die zentrale Herausforderung im Kontext von Sustainable Development besteht also darin, kontinuierlich gesellschaftliche Komplexität zu reflektieren, um dabei zumindest annähernd das Ganze zu erfassen. Wer mit dem Begriff Sustainable Development arbeitet, kann dementsprechend zumindest nicht im ersten Schritt am Auseinandernehmen von gesellschaftlichen Teil-Entwicklungen interessiert sein, die je nach Fokus eigene Wandlungsprozesse umfassen, mit jeweils eigenen Faktoren und Dynamiken. Sicherlich ist das Auseinandernehmen in Teil-Entwicklungen analytisch sinnvoll, besonders wenn mit dem Fokus einer stark formalisierten Wissenschaftsmethode gearbeitet wird.9 In diesem Falle kann zur Untersuchung auf einschlägige Wissenschaften zurückgegriffen werden, um zu begreifen, was sich dort wie entwickelt: Mal geht es um Regionalentwicklung, mal um Energieversorgung, ein anderes Mal um Technologieentwicklung oder Demokratieentwicklung. Die Frage ist, ob es Sustainable Development als Leitidee trifft, wenn sie in Teil-Entwicklungen auseinander genommen wird? Aus der vorliegenden Perspektive lautet die Antwort: Nein. Das Problem einer solchen Erkenntnis ist jedoch, alles auf einmal zu sehen, ist schlicht unmöglich. Einerseits bleibt die Auswahl von Elementen und Beziehungen immer selektiv. Andererseits treten sehr schnell komplexe Entwicklungsdynamiken auf, die nicht mehr vorhergesagt werden können, sobald Wechsel- und Rückwirkungen in Betracht gezogen werden.10 Trotz dieser Erkenntnis (oder vielleicht gerade deshalb) nimmt Sustainable Development die Herausforderung einer Gesamtschau an. Sustainable Development wird in dieser Arbeit folglich als ein Denkmodell der Einheit erarbeitet, das gesellschaftliche Teil-Entwicklung in Beziehung setzt. Die drängenden Fragen des 21. Jahrhunderts (gerade in Bezug auf Sustainable Development) können damit weder allein mit naturwissenschaftlichen, noch allein mit sozialwissenschaftlich erarbeiteten Lösungen beantwortet werden. Für eine Verständigung über Disziplingrenzen hinweg, benötigt es also Konzepte und Theorien, die in ihren Grundannahmen ähnlich sind, sowie auf vergleichbaren Weltdeutungen beruhen. Ansonsten bleibt die Arbeit über das gemeinsame Thema Sustainable Development ein Stückwerk verschiedener Disziplinen. Aus diesem Grunde muss eine Arbeit, die sich mit Sustainable Development auseinandersetzt, sich nicht nur einer Gesamtschau widmen, um dem zu untersuchenden Gegenstand gerecht zu werden. Sondern sie muss sich auch um ein Instrumentarium von Theorien und Konzepten bemühen, die über einzelne Disziplingrenzen hinweg, anschlussfähig sind. Es liegt also nahe, eine theoretische Brille aufzusetzen, die selbst den Anspruch einer „ganzheitlichen Orientierung“11 hat und damit eine gemeinsame Basis über Disziplingrenzen bereithält. Systemtheorien bieten eine solche Basis. Sie wurden nicht umsonst von dem Biologen Ludwig von Bertalanffy (19011971) „als Metatheorie für die Wissenschaften vorgeschlagen“.12 Nicht zuletzt ist es das Verdienst des Soziologen Niklas Luhmann (1927-1998), die Systemtheorie als ein übergeordnetes Ganzes aus den unterschiedlichsten Theoriesträngen konstruiert zu haben. Er hat sie so für die Sozialwissenschaften fruchtbar gemacht. Darüber hin-

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Vgl. dazu Voß 2008, S. 231. Vgl. dazu auch Voß 2008, S. 232. Czerwick 2011, S. 5. 12 Bertalanffy 1975. Zitiert nach Egner/Ratter 2008, S. 9f. 10 11

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