Die Wahlverwandtschaften

Titelabbildung: Johann Wolfgang von Goethe. Druck und .... modernstes1, aber auch problematischstes Werk Goethes. .... und Katharina Elisabeth, geb. Tex-.
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Königs Erläuterungen und Materialien Band 298

Erläuterungen zu

Johann Wolfgang von Goethe

Die Wahlverwandtschaften von Rüdiger Bernhardt

Über den Autor dieser Erläuterung: Prof. Dr. sc. phil. Rüdiger Bernhardt lehrte neuere und neueste deutsche sowie skandinavische Literatur an Universitäten des Inund Auslandes. Er veröffentlichte u. a. Monografien zu Henrik Ibsen, Gerhart Hauptmann, August Strindberg, gab die Werke Ibsens, Peter Hilles, Hermann Conradis und anderer sowie zahlreiche Schulbücher heraus. Seit 1994 ist er Vorsitzender der GerhartHauptmann-Stiftung Kloster auf Hiddensee.

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4. Auflage 2009 ISBN 978-3-8044-1786-1 © 2003 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Titelabbildung: Johann Wolfgang von Goethe Druck und Weiterverarbeitung: Tiskárna Akcent, Vimperk

2

Inhalt Vorwort ............................................................... 1. 1.1 1.2 1.3

Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk ................................................. Biografie ................................................................ Zeitgeschichtlicher Hintergrund ............................. Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken ........................................

5

7 7 15 20

2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7

Textanalyse und -interpretation ........................ Entstehung und Quellen ........................................ Inhaltsangabe ........................................................ Aufbau .................................................................. Personenkonstellation und Charakteristiken .......... Sprache und Stil ..................................................... Sachliche und sprachliche Erläuterungen ............... Interpretationsansätze ...........................................

22 22 28 49 59 69 93 98

3.

Themen und Aufgaben ....................................... 103

4.

Rezeptionsgeschichte .......................................... 106

5.

Materialien .......................................................... 116 Literatur .............................................................. 122

3

4

Vorwort

Vorwort Der Roman – Goethes dritter – entstand 1808/09, galt und gilt als modernstes1, aber auch problematischstes Werk Goethes. Er wurde von Zeitgenossen wie Achim von Arnim als ein „Abgesang des 18. Jahrhunderts“2 gesehen. Der Roman war umstritten; gleichzeitig wurde er fasziniert zur Kenntnis genommen, schien er doch ein anstößiges Beispiel des alten und meist Göttern vorbehaltenen Motivs des Partnertauschs zu bieten. 1786 wurde Mozarts Die Hochzeit des Figaro, eine Buffo-Oper, aufgeführt, in der ein scheinbarer Partnertausch zum Sinnbild einer zerbrechenden aristokratischen Ära – wenige Jahre vor der Französischen Revolution – wurde. Beaumarchais’ Stück Die Hochzeit des Figaro (1784), das als Vorlage diente, fand Goethes Zustimmung, weil die Verwechslung „zu edlen Zwecken mit persönlicher Gefahr“ verbunden und „ästhetisch und moralisch betrachtet, für das Theater von größtem Wert“ sei.3 – Als der Roman 1809 erschien, war er den einen „ein Schatz von Weisheit, ein wahres Lebensbuch“4, den anderen „über alle Begriffe langweilig“5. Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer bezeichnete den Roman „als etwas Singuläres“ und „eine existenzielle Schöpfung“6 in Goethes umfangreicher Dichtung. Daran hatte die Herkunft des Titels aus den Naturwissenschaften (aus der Chemie des 18. Jhds) und die Anwendung naturwissenschaftlicher Gesetze auf menschliche Beziehungen Anteil; es wurde unter naturwissenschaftlichen Voraussetzungen mit Menschen experimentiert. Der Roman steht am Anfang einer Reihe großer Romane der Weltliteratur, in denen die Ehe 1 2 3 4 5 6

Dass Goethes Roman in die Zukunft weist und unmittelbar mit heutigen Diskursen korrespondiert, ist die These Susanne Konrads: Goethes ‚Wahlverwandtschaften’ und das Dilemma des Logozentrismus. Heidelberg 1995; http://www.mypage.bluewin.ch/ueli.raz/Rezensionen/konrad.htm (gesehen Jan. 03). Geerdts 1972, S. 218. Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. In: BA (= Berliner Ausgabe) 13, S. 311. Johann Friedrich Freiherr Cotta von Cottendorf an Charlotte Schiller am 20. Oktober 1809. In: Bode, Bd. 2, S. 438. Wilhelm Grimm an seinen Bruder Jakob am 28. Oktober 1809. In: Bode, Bd. 2, S. 438. Mayer, S. 121.

Vorwort

5

Vorwort problematisiert und im Zusammenhang mit der kritisch betrachteten gesellschaftlichen Entwicklung gesehen wurde: Dazu gehören Gustave Flauberts Madame Bovary (1857, dt. 1860), Lew N. Tolstois Anna Karenina (1875/77, dt. 1885)7, Theodor Fontanes Effi Briest (1894) und – am vorläufigen Ende der Reihe – Günter Grass’ Die Blechtrommel (1959). Er stellt auch „eine einzigartige Synthese von Literatur und Naturwissenschaft dar“.8 Die vorliegenden Erläuterungen ersetzen die unterschiedlichen und oft verwirrenden Interpretationen durch den Blick auf den Text und geben eine einfache Basis für das Verständnis. Der Leser der Wahlverwandtschaften muss sich auf Ansprüche an geistige Voraussetzungen, faktografisches Wissen und vielfältig erworbene Informationen einstellen. Er erlebt dann eine großartige Sammlung menschlicher Schicksale, die geheimnisvoll miteinander verbunden sind. Er gewinnt Einblick in Zeit-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte und erreicht die systematische Erweiterung des kulturhistorischen Wissens, das immer stärker zur Bewältigung medialer Prozesse benötigt wird. Das Wissen um die Geschichte naturwissenschaftlicher Entdeckungen der Neuzeit, Einblick und Verständnis für die europäische Zivilisationsgeschichte und ihre Bedrohungen werden vergrößert und erweitert. Zitiert wird nach Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Ein Roman. Nachwort von Benedikt Jeßing. Stuttgart: Reclam (zuerst 1956: Mit einem Nachwort von Ernst Beutler), 2002 (Universal-Bibliothek Nr. 7835). Zitatnachweise aus diesem der Erläuterung zu Grunde gelegten Werk schließen direkt an das jeweilige Zitat an. Die erste Zahl gibt dabei die Seite an, die zweite die Druckzeile. 7

8

6

Thomas Mann schrieb zu dieser Beziehung ironisch: „Neben dem Liebespaar Eduard und Charlotte in den Wahlverwandtschaften wirken Wronski und Anna Karenina wie ein schöner starker Hengst und eine edle Stute...“. In: Thomas Mann: Goethe und Tolstoi (1925). In: ders.: Adel des Geistes. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag 1965, S. 193. Vgl. Georg Schwedt: Goethe als Chemiker; Jeremy Adler: Eine fast magische Anziehungskraft. Vgl. http://www.springer.de/chem-de/books/goethe/seite15.htm (gesehen Jan. 03). Vorwort

1.1 Biografie

1.

Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

1.1 Biografie Alter

Jahr

Ort

Ereignis

1749

Frankfurt a. M.

1750

Frankfurt a. M.

1753

Frankfurt a. M.

1759 –1763

Frankfurt a. M.

Johann Wolfgang Goethe wird am 28. August als Sohn des Kaiserlichen Rates Dr. jur. Johann Kaspar Goethe, Sohn eines Schneiders, und Katharina Elisabeth, geb. Textor, Tochter des Schultheißen, in Frankfurt am Main, im Haus „Zu den drei Leiern“ am Großen Hirschgraben geboren. Die Familie ist wohlhabend; der Reichtum stammt vom Großvater. 1 Schwester Cornelia Friderike Christiana Goethe geboren. 4 Die Großmutter Goethe schenkt den Kindern zu Weihnachten ein Puppentheater, das von großer Bedeutung für Goethe wird und auch in seine Werke eingeht. Während der französischen Beset- 10–14 zung Frankfurts besucht Goethe das französische Theater und hat erste Berührungen mit der Welt der Schauspieler.

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

7

1.1 Biografie

8

Alter

Jahr

Ort

Ereignis

1765 –1768

Leipzig

1766

Leipzig

1768

Frankfurt a. M.

1770 –Aug. 1771

Straßburg

Goethe studiert die Rechte, hört 16–19 Vorlesungen zur Literatur, lernt Gellert und Gottsched, der 1734 Racines Iphigenie übersetzt hatte, kennen. Freundschaft mit Ernst Wolfgang Behrisch (Prinzenerzieher und Hofrat in Dessau) und Liebe zu Käthchen Schönkopf, der Tochter eines Zinngießers. Eröffnung des neuen festen 17 Theaterbaus mit Johann Elias Schlegels Hermann, unter den Zuschauern Goethe. Goethe kommt nach einem Blut- 19 sturz krank nach Hause. Er liest Wieland, Shakespeare, Klopstock u. a. April: setzt sein Rechts- 20–21 studium fort, schließt es als Lizenziat der Rechte ab, was ihm ermöglicht, als Advokat zugelassen zu werden. Er lernt Herder und Dichter des Sturm und Drang (Jung-Stilling, Heinrich Leopold Wagner, Jakob Michael Reinhold Lenz) kennen. Im Straßburger Kreis werden ihm Pindar, Homer, die

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

1.1 Biografie

Jahr

Ort

1770

Sesenheim

1771

Frankfurt a. M. Frankfurt a. M.

1772

Wetzlar

1772

Frankfurt a. M.

Ereignis englische Dichtung, voran Shakespeare, Ossian und Oliver Goldsmith, nahe gebracht. Herder weist ihn auf Hamann und die Volkspoesie hin. Er begeistert sich für das Straßburger Münster. Besuche bei Friederike Brion. Er verliebt sich in die Pfarrerstochter von Sesenheim, am 7. August ohne Erklärung Abschied. 14. August: Rückkehr nach Hause. 14. Oktober: Goethe und Freunde feiern mit „großem Pomp“ Shakespeares Namenstag; er hält seine Rede Zum Schäkespears Tag. Mai: Praktikant am Reichskammergericht; verliebt sich in Charlotte Buff. Der Selbstmord des Studienkollegen Jerusalem (30. Oktober 1772) geht in den Roman Die Leiden des jungen Werther ein. Ende der juristischen Tätigkeit Goethes. Seine juristischen Examina waren wichtig für die Tätigkeit in Weimar. Rückkehr nach Hause.

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

Alter

21 22

22

23

23

9

1.1 Biografie

Jahr

Ort

Ereignis

1774

Frankfurt a. M.

1775

Frankfurt a. M.

1775

Schweiz Frankfurt/ Weimar

1776

Weimar

Knebel vermittelt Goethes Bekanntschaft mit dem Erbprinzen Karl August von Weimar; Klopstock besucht Goethe. Nach dem Erscheinen des Romans Die Leiden des jungen Werther wird Goethe berühmt. Liebe und Verlobung mit Lili Schönemann, brieflich sich äußernde Liebe zur Gräfin Auguste von Stolberg, die er nie sehen wird. Erste Reise in die Schweiz. Abreise am 30. 10., nachdem Karl August am 3. 9. die Regierung angetreten hat, Ankunft am 7. 11. 11. Juni: Geheimer Legationsrat mit Sitz und Stimme im Geheimen Conseil und 1200 Taler Gehalt im Jahr, tritt am 25. Juni in den Staatsdienst. Liebe zu Charlotte von Stein. Aufgaben bei Hofe, lädt Herder nach Weimar ein. Die Herders kommen. Harzreise, Reise nach Berlin. 5. September: Goethe wird zum Geheimen Rat ernannt. Zweite Reise. Naturwissenschaftliche Studien.

1777/78 Harz, Berlin 1779 Weimar

1781

10

Schweiz Weimar

Alter 25

26

26

26

28 30 30 32

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

1.1 Biografie

Jahr

Ort

Ereignis

1782

Weimar

1784

Weimar

1785 1786

Karlsbad Weimar

1786

Karlsbad

Er wird geadelt, zu seinen bisherigen Aufgaben kommt die Leitung der Finanzkammer hinzu. Goethes Vater stirbt. Goethe entdeckt den Zwischenkieferknochen beim Menschen. Goethe besucht erstmals ein Kurbad. Verlagsvertrag über eine achtbändige Werkausgabe Goethe’s Schriften mit dem Verleger Göschen. Sommer in Karlsbad. Heimlich flieht er von dort nach Italien. Er kommt am 29. Oktober in Rom an. Als „Maler Philipp Möller (Filippo Miller) aus Leipzig“ trägt er sich in die Bevölkerungsliste ein. Er wohnt bei dem Maler Tischbein und muss mit bescheidenen Verhältnissen vorlieb nehmen. Rückkehr. Er lernt Christiane Vulpius kennen, verliebt sich in sie und lebt von nun an zum Entsetzen des Weimarer Adels mit ihr zusammen. Sohn August geboren, stirbt 1830 in Rom und wird dort beerdigt. März bis Juni die zweite Italienreise. Nach

Italien Rom

1788

Weimar

1789

Weimar

1790

Italien

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

Alter 33

35 36 37

37

39

40

11

1.1 Biografie

Jahr

12

Alter

Ort

Ereignis

Schlesien

in der Begleitung Karl Augusts, der 41 als General in Preußens Diensten steht, zu preußischen Truppenmanövern. 1791–1817 Direktor des Hofthe- 42 aters, Materialsammlung zur Farbenlehre. Feldzug. Teilnahme an der Bela- 43–44 gerung von Mainz. Beginn der Freundschaft und des 45 Briefwechsels mit Schiller. 48 Dritte Reise. Dezember: Schiller siedelt von 50 Jena nach Weimar über. 9. Mai: Tod Schillers. Freundschaft 55 mit Zelter. Schlacht bei Jena und Auerstedt: 57 Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation geht unter; die preußisch-sächsische Armee wird geschlagen. Die Franzosen plündern Weimar, Goethes Haus bleibt dank des Einsatzes von Christiane verschont. Allerdings bedrohen ihn französische Marodeure, die von Christiane und einem im Haus befindlichen Flüchtling hinausgejagt werden. Am 19. Oktober lässt sich Goethe mit Christiane trauen.

1791

Weimar

1792 –1793 1794

Frankreich

1797 1799

Schweiz Weimar

1805

Weimar

1806

Jena

Weimar, Jena

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk