Die Tanner Identität

Teil 1. „Alles, was das Böse braucht, um zu triumphieren ist, dass die guten Menschen nichts tun”. — Edmund Burke, amerikanischer Philosoph,. 1729-1797 — ...
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Eduard Meisel Stefan Geymayer

Die Tanner Identität Basierend auf der wahren Geschichte eines Holocaust-Überlebenden

Real-Thriller

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© 2014 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2014 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Fotolia, Printed in Germany

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ISBN 978-3-8459-0276-0 ISBN 978-3-8459-0277-7 ISBN 978-3-8459-0278-4 ISBN 978-3-8459-0279-1 Mini-Buch ohne ISBN

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Gewidmet LEO KUHN

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HINTERGRUND. 1994 hat Eduard Meisel ein Interview mit Leo Kuhn geführt, der das KZ Mauthausen im 2. Weltkrieg überlebte. Er entkam dadurch, dass er eine falsche Identität annahm. Der offizielle Leo Kuhn starb somit im KZ Mauthausen, während der richtige Leo Kuhn unter einem anderen Namen in ein Nebenlager verlegt wurde. Nach dem 2. Weltkrieg bekam Leo Kuhn seine wahre Identität durch ein Gericht wieder zugesprochen. Der Richter nahm den Wechsel seines Namens als überlebensnotwendig an, wodurch er für diesen Dokumentenbetrug im KZ Mauthausen freigesprochen wurde. Leo Kuhn starb 2004 und war u.a. Träger des goldenen Ehrenzeichens der Republik Österreich.

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Teil 1 „Alles, was das Böse braucht, um zu triumphieren ist, dass die guten Menschen nichts tun”. — Edmund Burke, amerikanischer Philosoph, 1729-1797 —

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Wien, 1932

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Im Hallenbad Erst sah es noch wie ein Spiel aus. Harmloses Geplänkel; halbwüchsige Buben, die im Schwimmbassin des orientalisch anmutenden kleinen Wiener Hallenbades ihre Kräfte maßen. Spritzen, schubsen, tauchen. Jugendlicher Übermut eben. Die übrigen Badegäste tolerierten das Herumtollen. Man wusste, es handelte sich um eine Schulklasse des Beethoven-Gymnasiums; wohlerzogene Buben, züchtig in Badetrikots gekleidet, die mittwochs ihren Schwimmunterricht hier absolvierten. In den letzten Wochen, seit die neue Büffetkraft da war, hatte das Treiben manchmal etwas überhandgenommen. Der Herr Lehrer war der jungen Dame wohl gesonnen und verbrachte die meiste Zeit der Schwimmstunde am Büfett der Badeanstalt. Kein Wunder, dass bei so wenig Aufsicht mitunter das Temperament mit seinen Jungen im Wasser durchging ... 8

Diesmal hatten sie den etwas dicklichen Josef zum Spielball ihrer Launen auserkoren. Günther Schedl, ein großer, kräftiger Bub, spritzte gewaltige Wassermassen in seine Richtung. Josef antwortete mit mühseligem Gepaddel. Die übrigen Buben teilten sich in zwei Gruppen. Gruppe eins umringte Josef und feuerte Günther an, der seine Hände wie Schaufeln eines immer schneller werdenden Schaufelraddampfers rotieren ließ. Gruppe zwei bildete einen äußeren Ring und unterstützte Josef mit Rufen und Ratschlägen. Leo zählte Günther und Josef zu seinen Freunden und war zunächst unschlüssig, auf wessen Seite er sich schlagen sollte. Als er Josefs verzweifeltes, fast mädchenhaftes Wehren sah, entschied er sich für den Schwächeren. Es war ein Kampf David gegen Goliath. Günther brauchte seine Unterstützung nicht. Einige übermütige Jungen versuchten nun lachend, Josef unter die Wasseroberfläche zu drücken. Prustend floh er an den Rand des 9

Schwimmbassins. Als er die Leiter erreicht hatte und die Stufen hoch kletterte, wurde er zurückgeschubst und schlug rücklings auf. In seinem braun-weiß gestreiften Badetrikot, mit Armen und Beinen rudernd und den Bauch nach oben aufgebäumt, zappelte er hilflos wie ein Käfer. „Josef, du schaffst es!”, rief Leo, ohne genau zu wissen, wie sein Freund sich aus der misslichen Lage befreien sollte. Körperertüchtigung und sportlicher Wettkampf waren nicht Josefs Sache; er war nicht nur etwas beleibt, sondern auch klein für seine zwölf Jahre. Jetzt nahm sich Günther wieder seiner an, packte ihn am Haarschopf und stieß ihn unter Wasser. Als er wieder auftauchte, malträtierten ihn die anderen Jungen mit Boxhieben. Wieder hinunter. Herauf. Fußtritte. Wieder hinunter. Kurzes Auftauchen. Ein Stoß vor die Brust. Hinunter. Hinunter. Hinunter. „Der Judenbub verdient es nicht anders!”, rief Günther.

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Nach Atem ringend kämpfte sich Josef wieder nach oben. „Bitte ...”, röchelte er. „Der bettelt noch darum”, lachte Günther, strich sein klatschnasses Haar zurück und warf sich über den Zappelnden. Leo bekam es mit der Angst zu tun. Er stellte sich vor, selbst an Josefs Stelle zu sein, unter dieser brodelnden Oberfläche, Leiber über sich, beim Auftauchen verzerrte Fratzen, die sich daran labten, wie er vor Angst fast von Sinnen war. Kein Atem, nur aufsteigende Blasen. Hände, die nach ihm griffen, ihn stießen. Niemand, der half, keine rettende Geste, keine Hoffnung auf ein glückliches Ende. Der Geräuschpegel des Schwimmbades, verzerrt, übermäßig laut beim Auftauchen; gedämpft und wie aus einer anderen Welt unter der Oberfläche. „Ju-den-bub, Ju-den-bub!”, kreischten die Jungen. Das war gewiss kein Spiel mehr. 11

Leo sah sich um. Die meisten seiner Mitschüler hatten sich auf Günthers Seite geschlagen und waren bei der Quälerei dabei; nur wenige hatten wie er Josef angefeuert und schwammen nun hilflos um die tobende Meute herum. „Herr Stangl!”, schrie Leo nach dem Lehrer, doch sein Ruf verhallte in dem Brausen, Johlen und Schreien. Leo konnte den Herrn Lehrer am Büfett sitzen sehen. Er kraulte so schnell es ging an den Beckenrand und zog sich hoch. Unbeholfen patschte er auf dem schlüpfrigen Mosaikboden mitten durch eine Gruppe weiblicher Badegäste hindurch, die kreischend und schimpfend auswichen. Kurz vorm Ziel rutschte er aus und landete zu Füßen des Lehrers. Dem glitt vor Schreck seine Zeitung aus der Hand und landete auf Leos nassem Trikot. Leo riss sie mit zitternden Händen von sich herunter. Er konnte nicht verhindern, dass die fett gedruckte Meldung auf der Titelseite ‚LINDBERG-BABY TOT AUFGEFUNDEN!’ 12

wen interessierte das jetzt??? - auf sein Trikot abfärbte und er die Zeitung als durchnässtes, zerknittertes Knäuel auf die Theke des Buffets legte. Während Leo unter den strengen Augen des Lehrers um Contenance rang, hatte dieser sich schon wieder gefangen. „Leo Tanner”, rief er. „Was ist denn das für ein Benehmen!” Dabei lächelte er in Richtung der Büffetkraft. Die Dame lächelte auch und beugte sich etwas nach vorn, dem Lehrer zu. Sie trug eine hochgeschlossene grüne Bluse, die eng anlag. „Kommen Sie schnell, Herr Stangl, die bringen den Josef um!”, rief Leo. „Na, na, so schlimm wird's nicht sein”, brummte der Lehrer, erhob sich seufzend und zupfte sein Badetrikot zurecht. Dann tätschelte er der Dame den runden weißen Arm, der auf der Theke lag. „Bis bald, meine Liebe”, sagte er. „Solche Lausbuben!” 13

Leo dauerte das Ganze zu lange. Er eilte zum Bassin zurück, sah die Wasserschlacht noch heftiger toben als vorhin. Die Wasseroberfläche des ovalen Schwimmbeckens war aufgewühlt, die meisten Badegäste hatten es verlassen; und mittendrin raufte das Knäuel wild gewordener Buben. Leo stürzte sich hinein, konnte zuerst in diesem Strudel nichts sehen. Doch dann erblickte er Josefs verzerrtes Gesicht. Ein Blutfaden lief ihm aus der Nase und wurde gleich vom Wasser fortgetragen. Günther prügelte hemmungslos auf ihn ein, sein Gesicht war zu einer hässlichen Fratze verzogen. Beim Versuch, näher an die beiden heranzuschwimmen, geriet Leo zwischen die Fronten. Er erntete Hiebe, schluckte Wasser. Wurde heruntergedrückt. Erlebte nun tatsächlich die Angst, in diesem Getümmel nicht mehr rechtzeitig auftauchen zu können. Strampelte panisch und kam schließlich direkt neben Günther wieder an die Oberfläche. Es gelang ihm, 14

sich an Günthers Schulter zu hängen. Er packte fest zu, grub seine Finger mit aller Kraft in das glitschige Fleisch. Der Rasende wandte sich um. Leo blickte einen Moment lang in seine blutunterlaufenen Augen und begriff: Günther war es egal, wer oder was da an seinem Arm hing, Freund oder Feind, das zählte nicht. Kampf und Sieg, das war alles, was zählte. Er sah Günther mit dem freien Arm ausholen. Die geballte Faust kam. Schmerz explodierte mitten in Leos Gesicht. Nun nahm er alles nur noch verschwommen wahr. Das schwankende Oval vor ihm musste Günthers Kopf sein, dorthin schickte er seine Fäuste, legte in die Hiebe alle Kraft, die er noch hatte. Ein schrilles Geräusch direkt neben ihm ließ ihn erschrocken innehalten. Er wischte über die Augen, blinzelte. Neben ihm tauchte Herr Stangl auf, hochrot im Gesicht. Im Mund hatte er seine Trillerpfeife, in die er aus Leibeskräften blies. 15