Die Nischen wachsen

30.01.2017 - 24 Zoll, zwei Körbe, Doppelständer: KTM „Macina E-Shopper“. Lastenräder erwartet Riese & Müller-Ge- schäftsführer Heiko Müller kein Wachs ...
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Elektroräder

Die Nischen wachsen Der Umsatz mit E-Mountainbikes wächst dauerhaft und langsam. Kleine Elektrorad-Kategorien d ­ agegen legen sprunghaft zu. Ihre unmotorisierten Gegenstücke schrumpfen. Teils bis zur Bedeutungslosigkeit.

E-Falträder, E-Lastenräder und E-Kinderräder zählen zwar aktuell nicht zu den umsatzstärksten, aber ihnen gehört die Zukunft. Martin Tutschek, KTM

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nd die Lästermäuler hatten doch recht: Elektroräder sind ideal für alte Leute! Das sagen und hören zwar die Marketingleiter und die Kunden nicht so gerne, aber während der Anteil des Elektrorads am ganzen Fahrradmarkt langsam auf 15 % kriecht, explodiert er in zwei Nischen: Spezialräder für ältere und behinderte Kunden sowie Lastenräder. Der Spezialradhersteller Wulfhorst verkauft deutlich mehr Spezialdreiräder für Senioren und körperbehinderte Kunden als je zuvor, und zwar mit und ohne Motor. Geschäftsführerin Elke Teismann erklärt: „Der Anteil der motorisierten Räder am Spezialradverkauf ist deutlich gestiegen, von früher 50 auf jetzt 80 %.“

Spezialräder für Senioren und Behinderte: E-Anteile steigen Ähnliches berichtet HP Velotechnik: Der Anteil der Räder mit Elektromotor an der Gesamtproduktion wächst seit Jahren kontinuierlich und dürfte für 2016 recht genau bei 40  % liegen. Spitzenreiter ist das klar als Senioren- und Reharad positionierte „Scorpion plus 20“ mit 70 % E-Anteil. Die sportlichen Trikes liegen unter dem Schnitt, etwa der „Scorpion“ ohne Vorderradfederung mit etwa 20  % oder das Geländetrike „Scorpion fs 26 Enduro“ mit 40 % E-Anteil. Der geringere E-Anteil mag auch am Baukastensystem liegen: Man kann den Motor nachträglich ein- und

ausbauen. Außerdem ist die Zielgruppe recht breit – auch junge Menschen fahren Liegerad. Noch deutlicher hin zum Elektromotor scheint sich der Markt für Lastenräder zu entwickeln: Neue Marken wie der NicolaiAbleger Heisenberg oder der BranchenQuereinsteiger Sortimo (ein Spezialist für Lieferwagen-Sortiersysteme) bieten nur motorisierte Varianten an.

Elektrolastenräder: Absatz vervielfacht sich Der niederländische E-Lastenradhersteller Urban Arrow führt drei E-Modelle in Modularbauweise. Für unmotorisierte

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Foto: Hartje

Zwischen City- und Lastenrad: Transporträder

Lastenräder erwartet Riese & Müller-Geschäftsführer Heiko Müller kein Wachstum des Marktes mehr und bietet nur noch E-Lastenräder. Hierfür beschreibt er den Verkauf als „wirklich sehr, sehr gut“, man setze jährlich eine vierstellige Zahl ab. Müller erklärt zusätzlich: „Wir sehen den E-Lastenradbereich als den momentan größten Wachstumsbereich aller Fahrradkategorien. Nachdem wir im Jahr 2016 eine Verdopplung der Stückzahlen zu 2015 erreichen konnten, erwarten wir für dieses Jahr viermal größere Absatzzahlen als 2016.“ Auch die öffentliche Förderung von Lastenrädern beflügelt den Lastenradverkauf, so zahlt die Stadt München die steuergeldfinanzierte Kaufprämie von bis zu 2.000 Euro nicht mehr nur gewerblichen Nutzern, sondern jetzt auch zusätzlich Privatkäufern. Eine herstellerübergreifende Darstellung der Absatzzahlen existiert bislang nicht, da der Zweirad-IndustrieVerband (ZIV) immer noch alle Elektroräder, selbst E-Mountainbikes, in einer Kategorie erfasst.

Klar geantwortet haben dagegen die SAZLeser: Eine weitere Spezialisierung von Elektrorädern halten 86  % der etwa 400 antwortenden Händler nicht für nötig. Der niederländische Hersteller Cortina will dies anscheinend ändern: Transporträder mit und ohne Motor, mit Gepäckträger vorne und hinten sowie Zweibeinständer sind in Deutschland noch eher selten und könnten in der Großstadt so manche Nische erschließen. Cortina zielt damit auf junge Erwachsene, in denen sie einen der größten Wachstumsmärkte für Elektroräder sehen. Nach eigener Aussage widmen die Niederländer dem integrierten Design große Aufmerksamkeit. So ist zum Beispiel an den meisten Modellen fast nicht zu erkennen, dass es E-Bikes sind, da der Akkuträger dieselbe Farbe wie der übrige Rahmen hat und die Kabel integriert wurden. Viele Modelle basieren auf dem Design alter Transporträder. Ein ähnliches Konzept bietet KTM mit dem „Macina E-Shopper“ mit fest installierten Körben vorne und hinten und Zweibeinständer. Allerdings rollt der Österreicher wie ein Motorroller auf 24-Zoll-Laufrädern und Ballonreifen und erinnert mit dem massiven Monorohr des Tiefeinsteiger-Rahmens eher an einen Motorroller, als das filigranere Cortina auf der klassischen Hollandrad-Laufradgröße von 28 Zoll. Beide zielen auf die Nische zwischen Citybike und Lastenrad: Elektroräder für den Einkauf, den Kindertransport und den Weg durch die Stadt oder zur Uni, als Alternative zu Auto, Bus und Motorroller.

E-Mountainbikes auch für Jugendliche Und Qwic, ebenfalls aus den Niederlanden, setzt auf „multimodulare Mobilität“, also besonders vielseitig einsetzbare Fahrräder wie Stadträder, die mit wenigen Handgriffen zum leichten Transportrad umgebaut werden können. Dass zwei Marken aus einer so eifrigen Fahrradnation diesen Weg gehen, könnte richtungsweisend sein. Auffällig ist auch das wachsende Angebot an Jugendlichen-Pedelecs. Gemeinsam haben sie die 24-Zoll-Laufräder und etwa 13 Zoll kleine Rahmen. Die Hersteller vermarkten sie an Kinder und Jugendliche ab etwa 1,40 Meter Körpergröße. Viele etablierte Hersteller wie Haibike, KTM und Bulls bieten diese an, aber auch reine Elektroradmarken wie Trenoli. Noch kleiner, aber für Erwachsene sind die Falt- und Kompakträder mit 20-ZollLaufrädern und Elektromotor. Das voll faltbare „Vektron“ von Tern (großes Bild) verkaufte sich laut Hartje gleich zum Marktstart besonders gut. Ähnlich kleine Kompakträder haben starre Rahmen und oft eine Faltlenksäule,

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etwa das Trenoli Patto. Etwas größer auf 24 Zoll und mit starrem Rahmen, Faltlenksäule und Faltpedalen bietet KTM das „Macina Compact“.

E-Mountainbikes mit stabilem Wachstum Und die „normalen“ Elektroräder? Entwickeln sich gut. Bosch erwartet langfristig, dass alle Elektroräder zusammen einen Marktanteil von über 30  % erreichen. In den Niederlanden und Belgien sei bereits jedes dritte neu verkaufte Rad elektrisch, so Tamara Winograd, Marketingleiterin von Bosch. Ähnliches berichtet Thomas Göbel, Pressesprecher bei Hartje: „Eine Stagnation dieser Entwicklung sehen wir noch nicht, auch deshalb haben wir überdurchschnittlich hoch nachgefragte Kategorien ebenfalls stark ausgebaut und die Modellbreite, beispielsweise Victorias ETrekkingräder, um 30 % ausgeweitet und unser Fachhandelskonzept für Elektroräder überarbeitet.“ BBF verzeichnet die größten Steigerungen im E-TrekkingbikeSegment und besetzt 2017 auch Nischensegmente mit E-Falträdern und E-Lastenrädern, letztere von Johnny Loco; die Niederländer bieten auch unmotorisierte, günstigere Lastenräder an. Starkes Wachstum bei absoluten (nicht relativen!) Verkaufszahlen bescheinigen viele Hersteller weiterhin dem E-Mountainbike. Tamara Winograd, die Marketingleiterin von Bosch, erklärt: „Was wir anhand unserer Verkäufe bestätigen können, ist der Trend zum E-Mountainbike: Bei den Akkus lag unser Lieferanteil vor drei Jahren bei 60  % Gepäckträgerakkus und 40  % Rahmenakkus, inzwischen hat sich dieses Verhältnis gedreht – wir liefern jetzt 60 % Akkus fürs Unterrohr und 40 % Gepäckträgerakkus. Das ist ein klares Indiz für mehr sportlichere E-Bike-Modelle auf dem Gesamtmarkt.“ Mit Conway erweitert Hartje auch dieses Sortiment um 30 % mehr Modelle. Und neue Marken ohne Mountainbike-Wurzeln wie Trenoli erkennen die Chancen des wachsenden Marktes und präsentieren EMountainbikes. Dieser Siegeszug nagt an den Absatzzahlen des motorlosen TourenMountainbikes. So sehr, dass der E-Mountainbike-Pionier Haibike die Produktion unmotorisierter Tourenfullys über 3.000 Euro seit dem Jahr 2017 ganz eingestellt hat. KTM sieht die Zukunft des E-Mountainbikes vor allem im Fully mit Plusreifen für mehr Traktion, Sicherheit und Komfort. Und obwohl KTM vor allem auf den Massenmarkt zielt, meint auch Marketingmitarbeiter Martin Tutschek: „E-Falträder, E-Lastenräder und E-Kinderräder zählen zwar aktuell nicht zu den umsatzstärksten, aber ihnen gehört die Zukunft.“ ●

ERFOLGSNISCHEN

24 Zoll, zwei Körbe, Doppelständer: KTM „Macina E-Shopper“.

24 Zoll und Jugendrahmen: Haibike „Sduro Hardfour 4.0“.

Hoher Sitz und 150 Kilo Zuladung: HP Velotechnik „Scorpion Plus 20“.

Die kurze von drei Varianten: ELastenrad Urban Arrow „Shorty“.

Tillman Lambert [email protected]

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