Die Burka soll das Individuelle töten

Für Kacem El Ghazzali (23) sind Frauen die ersten Opfer von islamischen ... ihnen eine moralische Schuld an ih- ... vor allem zu bloggen beginnt, bekom-.
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Thema. Kommentar

Stossende Ungerechtigkeit Von Beni Gafner

Da hat der Basler SVP-Nationalrat Sebastian Frehner mit seinem Postulat an den Bundesrat einen gesellschaftlich wunden Punkt getroffen: Frauen sollen nach einer Scheidung früher als bisher arbeiten gehen müssen und so für den eigenen Lebensunterhalt selbst aufkommen. Das Bezahlen von Unterhaltsbeiträgen für die Ex soll damit für Väter zur Ausnahme bei Härtefällen werden, in denen eine Frau arbeitsunfähig ist. Frehners Forderung ist im Zuge der Gleichberechtigung und des allgemein guten Bildungsstandes moderner Mütter konsequent. Die Ursache, weshalb Frehners Vorstoss auf viel Beachtung stösst, ist aber eine andere. Nicht nur emotional und rechtlich, auch finanziell sind oft die Männer nach einer Scheidung die Verlierer. Per Gerichts­ beschluss werden sie zu Zahlvätern. Wegen eines antiquierten Frauenbildes von Gesetzgeber und Richtern liegen die Rechte bei der Frau. Wer weniger zu verlieren hat, gewinnt – wer die Obhut über die Kinder bekommt, profitiert. Das ist in 85 Prozent der Fälle die Frau. Vor dem Scheidungsrichter mutieren so selbst starke Frauen zum Heimchen am Herd, das ohne Beitrag an die persönliche Existenz nicht überlebensfähig ist. In der Praxis gilt: Eine Frau darf arbeiten, wenn sie will. Der Mann aber muss Geld verdienen, um Unterstützungsbeiträge zu zahlen.

Juristisch gelten Kinder als Kreuz und Kostenfaktor und nicht als Bereicherung. Kommt er seiner Unterhaltspflicht nicht nach, landet er schnell im Gefängnis. Bis zum zehnten Altersjahr des jüngsten Kindes muss eine Mutter nach Ansicht der Bundesrichter nicht arbeiten, selbst wenn sie ihre Kinder fremd betreuen lässt. Der Mann kann im Namen des Kindeswohls ohne Weiteres auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum gedrückt werden. Zu diesem Kindeswohl gehören nach heutiger, stossender Praxis nicht nur unbestrittene Alimente für den Nachwuchs, sondern oft hohe Unterhaltsbeiträge an die Ex-Frau. Wenn eine berufstätige Mutter während einer Trennung ihre Arbeit reduziert und somit weniger verdient, muss der Mann in der Regel einfach mehr bezahlen. Umgekehrt gilt das nicht. Will sich ein Vater ein oder zwei Tage pro Woche den Kindern widmen, sagt der Richter: «Geh arbeiten, du musst das Geld bringen!» Juristisch gelten Kinder als Kreuz und Kostenfaktor und nicht als Bereicherung für den, der sie aufziehen darf. Frehners Vorstoss kommt zum rich­ tigen Zeitpunkt. Anfang 2014 will Bundesrätin Simonetta Sommaruga ihren Vorschlag für ein revidiertes Unterhaltsrecht präsentieren. Dieser soll es ermöglichen, Väter bis unters Existenzminimum zu drücken. Es besteht also dringender politischer Handlungsbedarf. [email protected]  Seite 4

 | Dienstag, 1. Oktober 2013 | Seite 2

«Die Burka soll das Individuelle töten»

Für Kacem El Ghazzali (23) sind Frauen die ersten Opfer von islamischen Fundamentalisten Von Pauline Pfirter und Mischa Hauswirth Zürich. Herr Ghazzali, Sie befürworten ein schweizweites Burkaverbot. Warum? Kacem El Ghazzali: In der Schweiz

sollte man endlich verstehen, dass gegen die Burka zu sein nicht bedeutet, gegen Muslime zu sein. Es gibt viele Muslime, die stellen sich auf den Standpunkt, dass die Burka nicht zu ihrer Kultur gehört und deshalb in der Schweiz nichts verloren hat. Die ­Burka zu tolerieren unterläuft zudem a­ llen Integrationsbestrebungen.

Das verstehen wir nicht ganz.

Wer die Burkamentalität hat, will sich nicht integrieren, er will einfach nur von den ökonomischen Vorteilen dieses Landes profitieren. Sagen Sie mir doch bitte, wie Sie eine Frau integrieren wollen, deren Gesicht niemand sehen darf, zum Beispiel in einem Büro oder in einer Bar? Wenn man kein Gesicht sieht, weiss man nie, ob unter der Burka eine Frau, ein Mann oder ein Geist ist.

Was halten Sie vom Argument, dass das Burkatragen zum Recht auf freie Reli­ gionsausübung gehört?

Auf der einen Seite Toleranz einfordern, diese dann aber den eigenen Frauen nicht gewähren – diese Haltung ist für mich unverständlich. Wer setzt sich denn für die unschuldigen Frauen ein, die unter einer Burka oder einer Niqab leben müssen? Als Verfechter der Menschenrechte und Freidenker stelle ich mich ganz klar dagegen, dass diese Leute unter dem Etikett Religionsfreiheit Frauen und Kinder unterdrücken, demütigen und erniedrigen dürfen. Es ist ein Recht der Mädchen aus islamischen Familien, beispielsweise am Schwimmunterricht teilzunehmen. Wer diese fundamentalistischen Eltern verteidigt, tritt die Rechte eines Kindes auf Bildung und Teil dieser Gesellschaft zu werden mit Füssen.

Welches Symbol sehen Sie hinter der Burka und der Niqab?

Sie soll das Individuelle einer Frau töten. In einer offenen, demokratischen Gesellschaft gehört das Gesicht zur Identität. Wenn ein Mann oder eine Familie ihre Frauen und Töchter nur nach draussen lassen, wenn sie nicht erkennbar sind, so wird ihnen das Recht auf Individualität genommen. Dann sind diese Menschen nichts ­anderes als Steine auf der Strasse. Es ist eine entsetzliche Diskriminierung, und ich verstehe niemanden, der das Tragen dieser Umhänge mit dem ­Slogan «Recht für Minderheiten» verteidigt. Denn diesen Gruppen geht es nur darum, die eigene fanatische Sicht des Islams über die Frauen zum Ausdruck zu bringen.

Was ist das für eine Sicht?

Der Mann will den anderen Frauen ohne Burka und Niqab zeigen, schaut her, sie ist rein, ihr alle lebt unrein, um nicht zu sagen besudelt, und seid so würdelos wie – entschuldigen Sie den Ausdruck – Huren.

Sie halten also nichts vom Argument, Frauen würden eine Burka aus der per­ sönlichen Überzeugung heraus tragen?

«Einzige Katastrophe.» Kacem El Ghazzali bloggt von der Schweiz aus gegen Unterdrückung in islamischen Ländern.  Foto K. Maros

druck wird geschickt von islamischen Extremisten ins Spiel gebracht, um Kritiker zu diskreditieren.

Wie gross erachten Sie die Gefahr, dass in der Schweiz die Scharia eingeführt wird?

Das sind Extremisten. Immer, wenn es um Fragen des Islams geht, sehe ich die reden und vor der Kamera ihre Sicht darlegen. Aber haben Sie denen mal genau zugehört? Auch wenn sie nicht direkt zur Gewalt gegen Frauen oder gegen Nicht-Islamgläubige aufrufen, so fordern sie doch eine sehr strikte Interpretation der Koranverse und dass jeder Muslim nach diesen Versen leben muss. Wenn wir nun den Islam als Ganzes betrachten, ist genau eine solche Interpretation eine einzige Katastrophe.

Sie werfen der Schweizer Politik vor, die Probleme zu verharmlosen. Warum?

Der Islamische Zentralrat der Schweiz sieht das anders, er wirft der Schweiz ständig übertriebene Angst vor.

Das tun sie bestimmt nicht. Wir können nicht ein Symbol tolerieren, das zuallererst gegen Frauen ist, das Frauen zu einem Ding herabstuft und ihnen eine moralische Schuld an ihrem Aussehen gibt. Wie muss sich ein Mädchen fühlen, wenn ihm ständig vermittelt wird, dass sein Körper gefährlich ist und es ihn deshalb verstecken muss? Ich habe den Eindruck, die Schweizer Gesellschaft will mit sich über ihre freiheitlichen Errungenschaften verhandeln lassen. Das sollte sie aber nicht tun. Wir reden hier nicht über lokale oder regionale Trachten, sondern über ein Kleidungsstück, das der fundamentalistische Islam fordert.

«Unter dem Etikett Religionsfreiheit dürfen Frauen und Mädchen diskriminiert werden.»

Auch mir wird Islamophobie vorgeworfen, wenn Sie das tröstet. Wir sollten uns aber vor Augen halten, dass nicht alle Muslime von einer Islamphobie sprechen, so wie nicht alle Frauen im Islam ein Kopftuch oder eine Burka tragen. Der Phobieaus-

Aber muss man diese Kräfte wirklich so ernst nehmen?

Wer den Islam kritisiert, wird leicht als islamophob bezeichnet. Halten Sie die Reaktion auf die Burka für übertrieben?

Wieso?

Weil diese Form des Islams zu Zuständen wie in Saudi-Arabien oder Afghanistan führt. Dort dürfen Frauen nicht Auto fahren, keinen Sport treiben und kein selbstbestimmtes Leben führen. Das ist genau die Lebensform, die der Islamische Zentralrat der Schweiz anstrebt, auch wenn seine Vertreter es bestreiten. Für mich ist es unverständlich, warum sich die Schweiz nicht mit aller Entschlossenheit dagegen wehrt, wie Saudi-Arabien zu werden.

Ja, ich nehme sie ernst. Sie sind gefährlich für die Demokratie, für die Freiheit, für das Gleichheitsprinzip, für das freie Denken und für die Toleranz.

Der Chef des Islamischen Zentralrates, Nicolas Blancho, hat sich noch nie klar gegen die Scharia gestellt. Kann er gar nicht. Diese Leute vertreten zurzeit das, wofür sie eine Mehrheit unter den Muslimen in der Schweiz findet. Im Moment ist die Scharia nicht mehrheitsfähig, aber was ist, wenn sich das ändert? Was ich an der Schweizer Politik nicht mag, ist, dass sie die Diskussion um

die Scharia scheut. Aber genau das ist nötig, sonst wird die Schweiz in zwanzig Jahren dort sein, wo England heute ist. In London und anderen Städten bestehen Burkaträgerinnen und ihre Männer vor Gericht da­rauf, dass Frauen nicht mehr ihr Gesicht zeigen müssen, weil sie das als unehrenhaft empfinden. An solchen Orten hat sich längst das Parallelrecht der Scharia eingenistet und die Leitkultur verliert an Einfluss. In der Schweiz gibt es das Recht auf Persönlichkeit, in England läuft es in die andere Richtung. Das sollte eine säkulare und aufgeklärte Gesellschaft nicht zulassen.

Blogger und Schriftsteller mit neuer Heimat Zürich. Wenn Kacem El Ghazzali über den Islam und die Burka zu reden oder vor allem zu bloggen beginnt, bekommen Fundamentalisten hochrote Köpfe und fühlen sich persönlich angegriffen. Aus seinem Zimmer heraus schreibt El Ghazzali mit spitzer Feder Sätze wie diese: «Kein Zweifel, die ersten Opfer von islamischen Gesetzen sind die Muslime. Jeden Tag werden die Freiheitsrechte von Millionen von Muslimen im Namen des Islams und den Gesetzen von Allah verletzt.»

Für säkularen Staat Der Marokkaner ist UNO-Botschafter für Menschenrechte und schreibt auf seinem Blog atheistica.com vor allem auf Englisch. Mit seinen Texten über Freiheit und Unterdrückung in arabischen Ländern erreicht er Tausende von Lesern – alleine seine Facebookseite hat über 20 000 Likes. Über El Ghazzali und seinen Blog berichteten schon diverse europäische Medien. Im arabischen Raum gebe es viele Atheisten und Leute, die sich ein Leben ohne religiöses Diktat wünschen, sagt El Ghazzali. Sein jüngst veröffentlichtes

Buch wurde in Ägypten von mehreren Buchhandlungen boykottiert. El Ghazzali versteht sich als Atheist und Freidenker und als Verfechter eines säkularen Rechtstaates. Mit 14 Jahren zog er mit seiner Familie von Libyen nach Marokko, wo ihn der Vater in eine Koranschule schickte. Heute sagt El Ghazzali dazu, dass er die Verse zwar verstanden habe, sie aber nie in seinem Herzen angekommen seien. Als er 17Jahre alt war, begann er, gegen den Islam und seine Unterdrückungs­ formen zu bloggen. Zuerst wurde er nur von Mitschülern gemieden, 2011 musste er Marokko verlassen, nachdem er bedroht wurden. Doch auch in der Schweiz bedrängten ihn Muslime, einige bedrohten ihn mittels Koranversen mit dem Tod. Zurzeit lebt El Ghazzali als Flüchtling im Grossraum Zürich – der genaue Ort muss wegen Angst vor ­Vergeltung durch islamische Fanatiker geheim bleiben. Der Kritik-Blogger lernt Deutsch, hat die Schweizer Verfassung gelesen und findet sie «grossartig» und lebt in einer Beziehung, die auf gegenseitigem Respekt und Akzeptanz beruht, wie er sagt. hws