Der Haifisch, der hat Zähne - FOUCHARD FILIPPI COMMUNICATIONS

09.05.2012 - Humor, sogenannt schlechter Geschmack und barocker Überfluss regieren. Auch die Tiere in. Formaldehyd sind ja Sisyphusarbeiten, sich dem.
137KB Größe 1 Downloads 31 Ansichten
FEUILLETON

Mittwoch, 9. Mai 2012 ! Nr. 107

49

Neuö Zürcör Zäitung EIN ORT DES FREIEN GEISTES

JAPANS MYTHEN – MYTHOS JAPAN

HOFFNUNG UND ZUKUNFTSÄNGSTE

FORSCHUNG UND TECHNIK

Proteste in Tschechien gegen ein neues Hochschulgesetz

Eine Aufsatzsammlung von Claude Levi-Strauss ´

Simbabwes Künstler erobern sich neue Räume

Siedler auf Zypern hatten vor 11000 Jahren schon Haustiere

Feuilleton, Seite 50

Feuilleton, Seite 51

Feuilleton, Seite 53

Seite 59

Emblematisch – in mehr als einer Hinsicht: Damien Hirsts «The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living» von 1991.

DAMIEN HIRST AND SCIENCE LTD. / PRUDENCE CUMING ASSOCIATES

Der Haifisch, der hat Zähne Damien Hirsts Retrospektive in der Londoner Tate Modern Damien Hirsts Ruhm ist ungebrochen, und immer noch scheidet er die Geister. Eine klug eingerichtete Retrospektive in London macht sich zum Fürsprecher seiner Kunst – und kann das Thema Geld doch nicht unter den Teppich kehren. Marion Löhndorf Damien Hirst hört es nicht gern, wenn immer zuerst von seinem Geld die Rede ist und dann erst von der Kunst. «Wenn die Leute in Zukunft einmal aufhören, über das Geld zu reden, dann wird meine Kunst immer noch da sein. Das war immer das Ziel», sagt er bei einem Gespräch in London. Der Schöpfer des Tigerhais im mit Formaldehyd gefüllten Tank, dessen Titel auf Deutsch «Die physische Unmöglichkeit des Todes in der Vorstellung eines Lebenden» lauten würde, wirkt selbst ein bisschen wie ein satter Hai, gut gelaunt, aber wachsam. Er hat Grund zur Zufriedenheit: «Ich bin jemand, der seinen Traum verwirklichen konnte.» Ausserdem gilt er als wohlhabendster Künstler der Gegenwart. Die in seiner Person untrennbare Verbindung von Künstler- und Unternehmertum bestätigt Chris Dercon, Direktor der Tate Modern, im Vorwort zu einer umfassenden Retrospektive, mit der seine Institution Hirsts Werk nun museal nobilitiert.

Fokus auf die Kunst Nachdem die Schocks über seine chemisch konservierten und verwesenden Tierkadaver endlich verdaut waren, musste sich Hirst, der selbst nie mit grossmäuligen Ansagen sparte, in den letzten Jahren Wiederholung und künstlerische Stagnation vorwerfen lassen, ebenso wie seinen Wandel zum Hofkünstler der Magnaten dieser Welt; auch die Authentizität seiner von Assistenten gefertigten Kunst wurde befragt. Da kommt eine Retrospektive mit dem ordnenden und rühmenden Charakter solcher Unternehmungen gerade zur rechten Zeit. Die Ausstellung schickt sich laut Dercon an, den Fokus auf Hirsts Kunst und nicht auf seine Marketingstrategien zu richten – mit einigem, aber nicht vollständigem Erfolg. Etwas mehr als siebzig Arbeiten werden in der Tate gezeigt. Der Künstler selbst hatte sich die

Retrospektive umfangreicher vorgestellt, aber in der Tate riet man zu einer konziseren, schlankeren Variante. Das tat der Schau, die sich auf Schlüsselwerke konzentriert, ausgesprochen gut. Beim Spaziergang durch die Werkgeschichte glänzen das goldene Kalb und das Einhorn in Formaldehyd durch Abwesenheit. Die selbstgefertigten Gemälde, die Hirst 2009 in der Wallace Collection ausstellte, fehlen glücklicherweise ebenfalls, auch wenn der Ausflug ins stilistische Francis-BaconTerritorium und in die nächste Nähe alter Meister ein einigermassen kühnes Unternehmen war. An Frechheit, Schock- und Innovationslust, aber auch an Mut zum Scheitern hat es Damien Hirst nie gefehlt, und damit katapultierte er Ende der achtziger Jahre sich selbst und die englische Kunstszene gleich mit auf die internationale Landkarte. Auch diese Schau beginnt selbstbewusst. Im ersten Raum, der Werke aus Hirsts Studentenzeit enthält, ist vieles schon im Kern da, was später eine Hochglanzpolitur erhielt: so zum Beispiel seine Punktbilder, die Spot-Paintings, in denen er Seurat spasseshalber unter die Lupe zu nehmen scheint. 1986 von eigener Hand gemalt, waren die Punkte noch lange nicht so präzise umrissen wie ihre in folgenden Jahren quasi massenproduzierten und von Assistentenhand hergestellten Verwandten. Eine Schwarz-Weiss-Foto von 1991 zeigt den sechzehnjährigen Hirst lachend neben dem Kopf eines dicken, stirnrunzelnden Toten, «With Dead Head» heisst das Werk. Es enthält die Faszination des Makabren, ein Faible für die Provokation und einen aggressiven Unterton. Neben manchem anderen weht auch eine Ahnung von Märtyrerlegenden, Reliquienkult – und naturgemäss Blasphemie – durch die Ausstellungsräume der Tate. Hirst wurde katholisch erzogen und findet bis heute die «Stories» seines Kinderglaubens, den er mit zwölf Jahren verlor, «grossartig». Vor allem aber lässt der Künstler seine Liebe zur Arbeit seiner Kollegen aller Jahrhunderte immer wieder anklingen. Er zitiert, beruft sich, amüsiert sich und will übertreffen. Die in Formaldehyd schwebenden Schafe (wie «Away from the Flock», 1994) und Kühe («Mother and Child Divided», 2007) scheinen geradewegs aus dem Arsenal des Surrealismus oder aus einem Bunuel-Film ˜ in Hirsts Werk gewandert zu sein. Er selbst bekennt seine Liebe zu Sol LeWitt, Dan Flavin, Donald Judd, Bruce Nauman, Bridget Riley, Fran-

cis Bacon, eine Reihe, die kein Ende findet. Andererseits muss man kein Kunsthistoriker sein, um zu sehen, worum es ihm geht. Er ist kein Künstler, der weihevolle Distanz zum Publikum herstellt, der sich in Pop-Musik (er kooperierte mit verschiedenen Musikern), Business und als Restaurantmitbesitzer immer wieder unters Volk mischt und das Vulgäre nicht scheut. Sicher liegt darin ein Teil seiner Anziehungskraft, ebenso wie in den grossen Gesten, für die er so gern mit Chuzpe ausholt. Das Unscheinbare, Abgelegene ist seine Sache nicht. Angeregt wird er, so sagt er, durch «universale Auslöser», die jeder versteht – Schmetterlinge zum Beispiel: «Jeder liebt Schmetterlinge. Helle Farben sind glücklich, dunkle Farben traurig.» Der Tod ist ein Auslöser, den ebenfalls jeder versteht, auch wenn er in unserer Gesellschaft ignoriert werde. «Man kann kein Leben ohne Tod haben. Wir alle werden sterben. Der Tod macht das Leben aufregend.» Der Tod, das grösste Thema von allen, ist naturgemäss sein Lieblingssujet. Sein Meisterwerk «A Thousand Years» (1990) mit verwesendem Kuhschädel und brütenden Fliegen, die mit toten Fliegen beklebten Scheiben («Black Sun», 2004) belegen es ja. Auch wenn er sagt, dass letztlich alle Kunst vom Tod handelt, so ist es doch bei ihm prononcierter vorhanden als bei anderen und nie ohne Witz: Der eingelegte Hai zum Beispiel könnte tödlich zubeissen, wenn er nicht selbst tot wäre.

Kontrolle und Kontrollverlust Aber auch eine nahe Verwandte seines Lieblingsthemas, die Krankheit, ist in Hirsts Kunst gern in Anspielungen zu Gast: in Vitrinen voller Tabletten und Pillenschachteln, denen er in einem Fall die teilweise etwas abgekürzten Titel des Sex-PistolsAlbums «Never Mind the Bollocks» gab und in denen er seine Punk-Einflüsse offenlegte, in Glasschränken mit chirurgischen Werkzeugen, in anatomischen Skulpturen (wie «The Anatomy of an Angel», 2008, oder «Hymn», 1999–2005). Mit diesen Wunderkammern des Horrors zeigt er scheinbar einfache, aber eindrucksvolle Sinnbilder der Vergänglichkeit. Seinen Vanitas-Meditationen setzt er die medizinischen Instrumente entgegen, die Schmerz und Tod in Schach halten sollen und denen schon die Vergeblichkeit dieser Versuche eingeschrieben ist. Kontrolle und ultimativer Kontrollverlust sind die

Pole, zwischen denen sich seine Kunst bewegt; die Angst vor dem Tod und das Lachen darüber, das eigentlich ein Pfeifen im Wald ist. Schwarzer Humor, sogenannt schlechter Geschmack und barocker Überfluss regieren. Auch die Tiere in Formaldehyd sind ja Sisyphusarbeiten, sich dem Tod entgegenzustemmen, die Auflösung gewissermassen durch Mumifizierung zu vermeiden – wobei dieses Unternehmen im Fall des ersten Hirstschen Tigerhais, der sich bereits in seinem Gefäss zersetzte und ausgetauscht werden musste, scheiterte. Seine diamantbesetzten Platinschädel, von denen ein Exemplar («For the Love of God») in der Tate so kostbar ausgeleuchtet und von schwarzem Samt umgeben ist wie bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in der White Cube Gallery 2007, sind Hirsts spektakulärste Memento mori. «Was ist das Maximum (an Geld), das ich dem Tod entgegenschleudern kann?», fragte er sich, als er den ersten Schädel plante und damit auch listig den eigenen Wohlstand thematisierte. 8601 lupenreine Diamanten auf Platin ersparen auch dem reichen Mann sein Ende nicht. Der teure Totenkopf ist sein Lieblingsstück in der Ausstellung: «Weil er so grandios in diesem grossen Raum aussieht und weil er so klein ist.» Die letzte Station ist der Geschenkeshop, der so geräumig ist wie ein Raum der Ausstellung selbst und der das Thema Geld ganz hoch hängt: Übergross prangt der Verkaufshinweis an der Wand. Möglicherweise kein Zufall, vielleicht wohlfeile Selbstironie, sicher aber werden sich die Objekte mit den Totenkopf-, Schmetterlings- und PunktEmblemen der Marke Hirst bestens verkaufen. Und so kommt die Schau, die sich doch nur der Kunst widmen wollte und dies auch überzeugend tut, am Ende doch wieder aufs Geschäft zurück. Heute haftet Hirst das Image dessen an, der für Geld seine (Künstler-)Seele verkaufte und nicht zögern würde, für einen guten Preis die eigene Ehefrau in Formaldehyd einzulegen. Ihm ist es ziemlich egal. Dass das bizarr schön Arrangierte dieser Ausstellung mit ihren Goldtapeten und den Arrangements von Kadavern, Tabletten, Diamanten und Zigarettenstummeln auch dekorativ genannt werden kann, ärgert ihn dann aber doch etwas: «What you see is what you get – Jeder bekommt, was er sieht.» Sprich: Was er verdient. Damien Hirst. Tate Modern, London. Bis 9. September 2012. Katalog £ 25.–.