Universitätsklinikum Ulm Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. J.M. Fegert
„Zur Auswirkung der Angst anorektischer Patientinnen auf die allgemeine Befindlichkeit“
Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin - Dr. med.der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm
Franziska Persch Neu-Ulm 2008
Amtierender Dekan: Prof. Dr. Klaus Michael Debatin 1. Berichterstatter: Prof. Dr. Jörg Michael Fegert 2. Berichterstatter: Prof. Dr. Jörn von Wietersheim Tag der Promotion: 18.06.2009
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Seite 1.
2.
Einführung
1
1.1 Anorexia nervosa
1
1.2 Angststörungen
8
1.3 Anorexia nervosa und Angst: Stand der Forschung
11
1.4 Die allgemeine Befindlichkeit: Stand der Forschung
12
1.5 Ziele der Studie
14
1.6 Hypothesen und Fragestellungen
14
Material und Methoden
16
2.1 Stichprobe
16
2.2 Untersuchungsinstrumente
19
2.2.1 Basisdiagnostik
19
2.2.1.1 CBCL/YSR
21
2.2.1.2 Junior Temperament und Charakter Inventar (JTCI)
22
2.2.1.3 Eating Disorder Inventory-2 (EDI-2)
23
2.2.1.4 Anorexie-Angst-Skala (AAS)
26
2.2.1.5 State-Trait-Angstinventar (STAI)
26
2.2.1.6 Sozialphobie- und Angstinventar für Kinder (SPAIK)
27
2.2.1.7 Toronto-Alexithymie-Skala-26 (TAS-26)
28
2.2.1.8 Leyton-Zwangssyndrom-Fragebogen/Kinderversion
29
2.2.2 Verlaufsdiagnostik
31
2.3 Untersuchungsgang
32
2.4 Statistische Auswertung
33
2.5 Ethik
33
3.
4.
Ergebnisse
34
3.1 Auswertung der psychopathologischen Veränderungen
34
3.2 Korrelationen
46
3.3 Befindlichkeit und Gewichtsangst
48
Diskussion
67
4.1 Psychopathologische Veränderungen
68
4.1.1 Psychische Auffälligkeiten
68
4.1.2 Ängste
69
4.1.3 Persönlichkeitsmerkmale
73
4.1.4 Psychopathologie der Essstörung
75
4.1.5 Zwanghaftigkeit
78
4.1.6 Alexithymie
78
4.2 Befindlichkeit und Gewichtsangst
80
5.
Zusammenfassung
88
6.
Literaturverzeichnis
90
7.
Anhang Tabelle 33: Diagnostische Kriterien ICD-10-GM (2008)
108
Tabelle 34: Diagnostische Kriterien DSM-IV-TR (2003)
108
Anorexia Angst Skala
109
Gewichtsangstrating
109
Fragebogen zur Befindlichkeit
110
Junior Temperament und Charakter Inventar (JTCI)
113
Danksagung
117
Abkürzungsverzeichnis AD
Aufenthaltsdauer
AN
Anorexia nervosa
A.N.
Atypische Neuroleptika
AAS
Anorexie-Angst-Skala
BD
Beobachtungsdauer
BMI
Body mass index
BMI-A
BMI bei Aufnahme in kg/m²
BMI-E
BMI bei Entlassung in kg/m²
CBCL
Child Behavior Checklist
DF
Freiheitsgrad
DSM-IV-TR
Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders –IVText revision
EDI
Eating Disorder Inventory
F00-F99
Psychische und Verhaltensstörungen im ICD-10
GA
Gewichtsangst
h
Stunde(n)
HAWIK III
Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder- dritte Auflage
HT
Serotonin
ICD
International Classification of Diseases
IQ
Intelligenz Quotient
JTCI
Junior Temperament und Charakter Inventar
M
Mittelwert
p
statistische Signifikanz
SAS
Statistical Analysis System
SD
Standardabweichung
SPAI-C
Social Phobia and Anxiety Inventory for Children
SPAIK
Sozialphobie- und Angstinventar für Kinder
SSRI
Selektiver Serotonin Reuptake Inhibitor
StA
Stationäre Aufnahme(n)
STAI
Das State-Trait-Angstinventar
TAS
Toronto-Alexithymie-Skala
U
Ulm
W
Weissenau
WHO
World Health Organisation
WPW
Wolf-Parkinson-White
YSR
Fragebogen für Jugendliche
ZfP
Zentrum für Psychiatrie
Einführung 1. Einführung Diese Arbeit widmet sich dem Zusammenhang der Angst anorektischer Patientinnen und deren Befindlichkeit. 1.1 Anorexia nervosa Definition und Symptome Die Anorexia nervosa (Magersucht; abgekürzt durch AN) ist eine Störung des Essverhaltens mit hohem Chronifizierungsrisiko. Sie tritt überwiegend bei jungen Frauen während der Adoleszenz (erstmals) auf. Hauptmerkmal dieses nicht organisch
bedingten
Störungsbildes
ist
eine
selbst
herbeigeführte
Gewichtsabnahme, die durch die Vermeidung hochkalorischer Speisen erreicht wird. Als sog. gegensteuernde Maßnahmen, welche einer Gewichtszunahme entgegenwirken sollen, können der Einsatz von Substanzen wie z.B. Laxantien, Diuretika oder Schilddrüsenhormone oder selbstinduziertes Erbrechen genannt werden. Darüber hinaus spielt die motorische Hyperaktivität bei vielen AnorexiePatienten eine große Rolle (Klein et al. 2004). Die Patienten1 beschäftigen sich ständig gedanklich mit Gewicht und Kalorien. Außerdem leiden sie unter einer verzerrten Wahrnehmung der eigenen Körperproportionen, der sogenannten Körperschemastörung. Hierdurch kommt es zu einem gestörten Essverhalten, das in der Folge oft zu einem extremen Untergewicht führt. Zur Symptomatik bei weiblichen Patientinnen zählt weiterhin das Ausbleiben der Regelblutung (primäre oder sekundäre Amenorrhoe) als Ausdruck einer gestörten hormonellen Regulation (Hoffmann et al. 2004, von Uexküll et al. 2002). Die zur Diagnosestellung
nötigen
Kriterien
der
ICD-10
(internationale
statistische
Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) (Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information 2008) sind im Anhang in Tabelle 33, die des DSM-IV-TR (diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen) in Tabelle 34 aufgeführt. Ergänzend ist hinzuzufügen, dass es sich bei der atypischen AN (F50.1) um ein Störungsbild handelt, welches die Kriterien der Anorexia nervosa nur unvollständig erfüllt. Das bedeutet, dass 1
Bei gemischten Patientengruppen (männliche und weibliche Patienten) wird zur Vereinheitlichung der männliche Plural benutzt.
1
Einführung entweder nicht sämtliche Kernsymptome vorhanden sind oder aber das Störungsbild nur in abgeschwächter Form vorliegt. Die DSM-IV-TR-Kriterien (American Psychiatric Association 2003) unterscheiden zwischen dem restriktiven Typ (Gewicht wird ausschließlich durch Hungern reduziert) und dem Purging-Typ. Letzterer ist gekennzeichnet durch eine absichtliche Reduktion der Nahrungsaufnahme, durch eine Beschränkung auf kalorienarme Nahrungsmittel, durch phasenhaftes oder regelmäßiges Erbrechen, durch Einnahme von Laxanzien und/oder Diuretika und durch motorische Überaktivität. Epidemiologie Während des vergangenen Jahrhunderts wuchs die Inzidenz der AN insbesondere in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen bis in die 70er Jahre an (Hoek 2006, Hoek u. van Hoeken 2003). Aktuellen Erhebungen zufolge liegt die Inzidenz zwischen 34,6 pro 100000 (10- bis 19-jährige Mädchen und Frauen) (Currin et al. 2005) und 270 pro 100000 (finnische Zwillinge zwischen 15 und 19 Jahren) (Keski-Rahkonen et al. 2007). Weitere Daten hierzu, welche in Studien in den USA und in den Niederlanden gewonnen wurden, liegen zwischen den beiden genannten Werten (Bulik et al. 2006, van Son et al. 2006). Die durchschnittliche Lebenszeitprävalenz bei jungen Frauen wird zwischen 0,3% und 2,2% geschätzt (Bulik et al. 2006, Hoek 2006, Hoek u. van Hoeken 2003, Keski-Rahkonen et al. 2007, The McKnight Investigators 2003, Wittchen et al. 1998). Das Verhältnis weiblicher Patientinnen zu männlichen Patienten beträgt 12 zu 1 (Currin et al. 2005). Die AN beginnt häufig in der frühen Adoleszenz und zeigt jeweils einen Erkrankungsgipfel bei 14 und 18 Jahren (Herpertz-Dahlmann 2002). Weitere Autoren siedeln diese Altersgipfel bei 15 bzw. 19 Jahren an (Bulik et al. 2005, Lucas et al. 1991). Ätiologie Bei der Entstehung der AN muss von einem multifaktoriellen Geschehen ausgegangen werden, in welchem genetische (Klump et al. 2004), biologische, psychologische, soziale und kulturelle Faktoren zusammen spielen (Connan et al. 2
Einführung 2003). Es wird vermutet, dass frühe Lebenserfahrungen zusammen mit genetischen Faktoren zu einer negativen Beeinflussung der Neuroplastizität und einer
Dysregulation
der
Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse
führen
(Connan et al. 2003). Auf neurobiologischer Ebene scheint vor allem dem serotonergen System besondere Bedeutung zuzukommen. Studienergebnissen zufolge ist bei Patienten mit AN die Aktivität der 5-HT1A-Rezeptoren erhöht, die der 5-HT2A-Rezeptoren vermindert. Es wird angenommen, dass diese 5-HTRezeptoren sowohl Einfluss auf die Persönlichkeit als auch auf das Temperament, z.B. die Tendenz zur Schadensvermeidung, haben. Außerdem spielen sie nicht nur bei psychiatrischen Symptomen wie Zwanghaftigkeit, Angst und Depression, sondern auch bei physiologischen Vorgängen wie z.B. dem Hungergefühl eine Rolle (Kaye et al. 2005b, Kaye et al. 2005c). Es zeigt sich auch eine Wirkung auf die Stimmung und die Impulskontrolle (Kaye et al. 2005a). Die Dysregulation des serotonergen Systems scheint auch im Falle einer Heilung der Essstörung noch vorhanden zu sein (Bailer et al. 2004, Bailer et al. 2007, Kaye et al. 2005a, Kaye et al. 2005b). Eine sichere, vor allem antidepressive Wirkung von SSRI´s (selective serotonin reuptake inhibitors) bei AN-Patienten konnte auch im Hinblick auf eine Rückfallprophylaxe bisher nicht bestätigt werden (Holtkamp et al. 2005a). Sozialer Druck durch Familie, Freunde und dem unmittelbaren Umfeld kann ebenfalls zur Entstehung einer Essstörung beitragen. Die Medien und der soziokulturelle Einfluss fördern das gestörte Essverhalten unter anderem durch ein extremes
Schlankheitsideal
für
Frauen.
Auch
Kommentare
aus
dem
Freundeskreis über das Aussehen und das Gewicht haben Einfluss auf das Selbstbewusstsein der Patienten und deren Einstellung zum Essen (Meyer u. Waller 2001). Hinsichtlich der Ätiologie muss auch der kulturelle Aspekt mit einbezogen
werden.
Dies
zeigt
u.a.
eine
Studie,
die
japanische
und
nordamerikanische essgestörte Patienten vergleicht (Pike u. Mizushima 2005). Eine umfangreiche angloamerikanische Studie belegte ein häufigeres Vorkommen einer AN unter weißen Frauen (1,5%) im Vergleich zu afroamerikanischen (keine der Probandinnen) (Striegel-Moore et al. 2003). Dies unterstreicht den soziokulturellen Einfluss auf die Erkrankung.
3
Einführung Psychiatrische Comorbidität Die AN weist ein hohes Maß psychiatrischer comorbider Störungen auf. Hierzu zählen die Angst, die Depression, der Zwang, der Substanzmissbrauch und die Persönlichkeitsstörungen. Zwillingsstudien heben insbesondere den Zusammenhang zwischen Essstörung, Angst und Depression hervor (Keel et al. 2005). Auf die Angststörungen wird in einem separaten Kapitel eingegangen. Depressive Symptome bzw. Störungen können im Falle einer AN prämorbid, comorbid und im Langzeitverlauf auftreten. Meist geht die Depression der Essstörung voraus (Wildman et al. 2004). Depressive Verstimmungen sind aber auch typische Begleitsymptome der AN im akuten Krankheitszustand. Essgestörte Patienten zeigen häufig im Rahmen der Gewichtsabnahme eine gedrückte Stimmungslage und sind leicht irritierbar. Sie haben ein niedriges Selbstwertgefühl und klagen über Schuldgefühle und Hoffnungslosigkeit. Nicht selten lassen sich auch
vitale
Symptome
wie
Schlaflosigkeit
und
Konzentrationsstörungen
nachweisen (Herpertz-Dahlmann 2003). Das Zusammentreffen von Depression und Angst spielt bei einem Suizidversuch häufig eine Rolle. In einer Verlaufstudie, die sich über 3, 7 bzw. 10 Jahren erstreckte, konnte dargelegt werden, dass die Depression sich parallel zur
Essstörung besserte, aber trotzdem noch
ausgeprägter war als bei einer Normstichprobe (Holtkamp et al. 2005b). Bei 5% bis 17% der AN-Patienten ließ sich in einer Untersuchung noch nach 21 Jahren eine Depression nachweisen (Lowe et al. 2001). Literaturangaben zufolge liegen im Hinblick auf die comorbide depressive Symptomatik keine signifikanten Unterschiede zwischen erwachsenen und jugendlichen essgestörten Patienten vor (Zonnevylle-Bender et al. 2004). Im Falle zusätzlich zur AN bestehender Zwangssymptome werden am häufigsten Essrituale, Ordnungs- und Säuberungszwänge, Perfektionismus und Unheilsbefürchtungen festgestellt. Perfektionismus und zwanghafte Züge verbunden mit dem Bedürfnis nach Exaktheit und Symmetrie sind nicht nur prämorbid, sondern häufig auch noch im Anschluss der Essstörung vorhanden (Kaye et al. 2005b). Der Perfektionismus stellt einen gesicherten Risikofaktor bei der Entstehung einer AN dar (Bulik et al. 2003). Weiterhin werden in perfektionistischen Tendenzen psychopathologische Faktoren gesehen, die die Essstörungssymptomatik mit aufrecht
erhalten
und
entscheidend
zur
Therapieresistenz
beitragen 4
Einführung (Fairburn
et
al.
2003).
Eine
Studie
zur
Lebenszeitprävalenz
der
Zwangserkrankung beschreibt ein Vorkommen von 68% bei Patienten mit restriktiver AN sowie bei 79,1% der Patienten mit atypischer AN (Halmi et al. 2003). Verschiedene Studien berichten über eine bestehende Komorbidität von Zwangserkrankungen und Essstörungen (Godart et al. 2000, Kaye et al. 2004, Lilenfeld et al. 1998, Milos et al. 2002, Speranza et al. 2001, Thornton u. Russell 1997). Diese können prämorbid auftreten (Thornton u. Russell 1997) und auch im Langzeitverlauf noch überwiegend unverändert vorliegen (Holtkamp et al. 2005b). In einer Verlaufsstudie (Untersuchung nach 21 Jahren) zeigten 4% bis 6% der Probanden (21% teilweise genesen, 10% zeigten noch alle Kriterien einer Anorexia nervosa) die Kriterien einer Zwangserkrankung (Lowe et al. 2001). Die vielfach beobachtete (nicht nur motorische) Hyperaktivität anorektischer Patienten kann
zwanghaften
Charakter
annehmen
und
parallel
zu
vorhandenen
Angstsymptomen sowie vermehrten Essensreduktion zunehmen (Holtkamp et al. 2004).
Nicht
selten
findet
sich
bei
AN-Patienten
die
Tendenz
zu
selbstverletzendem Verhalten. Vor allem bei Erkrankten mit einer starken Körperschemastörung und negativen Gefühlen ihrem Körper gegenüber ist das diesbezügliche Risiko erhöht (Stein et al. 2003). In zahlreichen Studien wurde zu einer Essstörung eine zusätzliche
Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, wobei
diese vor allem im Zusammenhang mit einer Bulimia nervosa oder einer Anorexie mit bulimischer Komponente auftreten. Hier werden am häufigsten die Eigenschaften zwanghaft, abhängig und vermeidend, gefolgt von antisozial, narzisstisch, schizoid und paranoid genannt. Auch ein Substanzmissbrauch kann als Komorbidität bei Essstörungen auftreten (Woodside u. Staab 2006). In verschiedenen Studien konnte ein überdurchschnittliches Vorkommen einer Alkoholabhängigkeit bei Essstörungen nachgewiesen werden (Bulik et al. 2004, Thompson-Brenner et al. 2007). In einer kanadischen Untersuchung mit weiblichen
adoleszenten
Symptomatik,
17
mit
Essgestörten
(63
Probanden
Purging-Symptomatik)
und
mit
einer
restriktiver gleichaltrigen
Normstichprobe zeigte, dass adoleszente Patienten mit restriktiven Symptomen nicht so häufig Alkohol trinken wie Gleichaltrige, dennoch enthalten sie sich - im Gegensatz zu ihrem sonst asketischen Verhalten - nicht völlig. Die Probandinnen mit
einer
Purging-Symptomatik
tranken
ähnlich
häufig
Alkohol
wie
die
Normstichprobe dies tat (Stock et al. 2002). Die Lebenszeitprävalenz der 5
Einführung Alkoholabhängigkeit und des Alkoholmissbrauchs beträgt bei restriktiver Anorexia nervosa 17% (Bulik et al. 2004). Nur wenige Daten gibt es über einen sicherlich vorhandenen Missbrauch von rezeptpflichtigen Medikamenten bei Patienten mit Essstörungen, wie z.B. Benzodiazepine oder andere Drogen (Woodside u. Staab 2006).
Bei
zwanghaften
bzw.
perfektionistischen
Patienten
scheint
ein
Substanzmissbrauch eher unwahrscheinlich. Im Gegensatz dazu kann bei einem risikoreichen, impulsiven oder selbstverletzenden Verhalten (meist Patienten mit bulimischer oder Purging-Symptomatik) das Risiko erhöht sein, regelmäßig Alkohol oder weitere Substanzen zu konsumieren (Thompson-Brenner et al. 2007). Verlauf und Prognose Die Einschätzung des Heilungsverlaufes erfolgt in Anlehnung an die so genannten „General outcome“-Kriterien (Morgan u. Russell 1975). Diese orientieren sich zunächst ausschließlich an den Hauptmerkmalen der körperlichen Restitution (BMI, Zyklustätigkeit) (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1: Heilungserfolg nach Morgan und Russell (1975) BMI: Body mass index
Gut
BMI zwischen 17,5 und 26 kg/m². Keine Zyklusschwankungen und keine Gewichtsschwankungen
Mittel
BMI26, Zyklusschwankungen, Amenorrhoe oder Gewichtsschwankungen
Schlecht
BMI129: 8%
(klinischer Eindruck)
Hohe Intelligenz IQ: 115–129: 24% Durchschnittliche Intelligenz: IQ: 85-114: 68%
Schule
Gymnasium: 68% Realschule: 24% Hauptschule: 4% Berufschule: 4%
Leibliche Eltern
Beide lebend: 92% Vater gestorben: 8%
Beziehungsstatus Eltern
Leben zusammen: 72% Getrennt/geschieden: 20% Durch Tod getrennt: 8%
Psychiatrische Erkrankungen in
Nein: 52%
der Familie *
Ja: 40% Unbekannt: 8%
Stellung in der Kinderreihe
Ältestes Kind: 44% Jüngstes Kind: 28% Mittleres Kind: 16% Einzelkind: 12%
2.2 Untersuchungsinstrumente
2.2.1 Basisdiagnostik Die eingesetzten Untersuchungsverfahren dienten der differentialdiagnostischen Abgrenzung und der Erfassung der Essstörungs- und Angstsymptomatik. Die in Tabelle 1 dargestellte Basisdiagnostik wurde zu Beginn des stationären Aufenthalts einmalig erhoben und ausgewertet.
19
Material und Methoden Tabelle 4: Basisdiagnostik
Untersuchungsmittel
Zielsymptomatik
Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder -
Intelligenz
dritte Auflage (HAWIK-III) (Tewes et al. 1999) Fragebogen für Jugendliche: Youth Self Report
Allgemeine Psychopathologie
(YSR/11-18) und Fragebogen für Eltern: Child Behavior Checklist 4-18 (CBCL/4-18) (Achenbach 1991, Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist 1993) Deutsche Version des Junior Temperament und
Temperamentseigenschaften
Charakter Inventars (JTCI 12-18) (Goth et al. 2004, Schmeck et al. 1995) Eating Disorder Inventory-2 (EDI2)
Essstörung-Psychopathologie
(Thiel et al. 1997) Anorexie-Angst-Skala (AAS)
Fragebogen zur
(Schulze u. Keller, Publikation in Vorbereitung)
gewichtsassoziierten Angst
Das State-Trait-Angstinventar
Eigenschaftsangst und
(STAI X1, STAI X2) (Laux et al. 1981)
Zustandsangst
Sozialphobie- und Angstinventar für Kinder
Soziale Ängste, soziale
(SPAIK) (Melfsen et al. 1999)
Phobie
Toronto-Alexithymie-Skala-26 (TAS-26)
Identifikation von Gefühlen,
(Kupfer et al. 2001)
körperlichen Vorgängen; Fähigkeit, Emotionen zu zeigen
Leyton-Zwangssyndrom-Fragebogen/
Zwangsgedanken und –
Kinderversion (Steinhausen 2002b)
Symptome
Im Anhang befinden sich die Anorexia Angst Skala (AAS), das Junior Temperament und Charakter Inventar (JTCI), der Fragebogen zur Befindlichkeit und der Bogen zum täglich zweimaligen Rating der Gewichtsangst.
20
Material und Methoden 2.2.1.1 Child Behavior Checklist (CBCL/4-18)/Youth Self Report (YSR/11-18): Erfassung kindlicher Psychopathologie Die Fremdbeurteilungsskala Child Behavior Checklist (CBCL/4-18) und die daraus abgeleitete Achenbach
Selbstbeurteilungsskala 1991
dienen
der
Youth
Self
Report
differenzierten
(YSR/11-18)
Erfassung
von
kindlicher
Psychopathologie. Sie werden in der klinischen Praxis als etablierte und valide Screeninginstrumente verwendet. Mit Hilfe des CBCL (4-18 Jahre) bzw. YSR (1118 Jahre) werden Kompetenzen und psychische Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen erfragt. Während sich der erste Teil des Fragebogens mit den sozialen und schulischen Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen befasst, beschäftigt
sich
der
zweite
Teil
mit
möglichen
Verhaltensauffälligkeiten,
emotionalen Problemen und körperlichen Beschwerden. Der Beurteilungszeitraum erstreckt sich jeweils auf die letzten sechs Monate. Die Skalierung ist unterteilt in 0="nicht zutreffend", 1="etwas oder manchmal zutreffend" und 2="genau oder häufig zutreffend". Durch Faktorenanalysen erster und zweiter Ordnung wurden 85 Items zu acht Skalen und zwei Breitbandskalen zusammengefasst (Achenbach, 1991). Die Items dieser Skalen sowie die übrigen 33 in der Faktorenanalyse nicht zuordenbaren Items bilden gemeinsam den Total-Score (120 Items), der ein Schweregradsmaß für die psychische Auffälligkeit der erfassten Probanden liefert. Breitbandskalen: a. Internalisierungs-Score b. Externalisierungs-Score Syndromskalen: a. Sozialer Rückzug; Körperliche Beschwerden; Angst/Depression b. Soziale Probleme; Schizoid/zwanghaft; Aufmerksamkeitsstörung c. Dissoziales Verhalten; Aggressives Verhalten
21
Material und Methoden 2.2.1.2 Junior Temperament und Charakter Inventar (JTCI) Aus dem an Erwachsenen entwickelten und überprüften Temperament and Character Inventory (TCI) (Cloninger et al. 1994) wurde in einer Arbeitsgruppe um Joan Luby und Dragan Svrakic (St. Louis, USA) eine Selbstbeurteilungsversion für Kinder mittleren Alters entwickelt (Luby et al. 1999), das Junior Temperament and Character Inventory (JTCI). In dieser Arbeit wurde die deutsche Adaptation (Goth et al. 2004, Schmeck et al. 1995) verwendet: (JTCI/12-18). Der Fragebogen besteht aus 84 Unterpunkten, wobei die sieben Skalen im Einzelnen eingehen auf: 1. Neugierverhalten
(14
Items):
Explorative
Erregbarkeit,
Impulsivität,
Extravaganz, Regellosigkeit 2. Schadensvermeidung (14 Items): Angst vor Ungewissem, Zukunftssorgen, Schüchternheit, Ermüdbarkeit 3. Belohnungsabhängigkeit
(10
Items):
Empfindsamkeit,
Bindung,
Abhängigkeit 4. Beharrungsvermögen (8 Items) 5. Selbstlenkungsfähigkeit (14 Items): Verantwortlichkeit, Zielbewusstsein, Einfallsreichtum, Selbstakzeptanz, Selbstkongruenz 6. Kooperativität (14 Items): Soziale Akzeptanz, Einfühlungsvermögen, Hilfsbereitschaft, Mitleid, Gewissen 7. Selbsttranszendenz
(10
Items):
Selbstvergessenheit,
Transpersonale
Identifikation, spirituelle Akzeptanz Den Antworten „Ja“, „eher Ja“, „eher Nein“, „Nein“ werden Werte zwischen 0 und 3 zugeordnet. Zur Auswertung kann anschließend jedes Item einer der oben genannten Subskalen zugeordnet werden. Die erhobenen Daten wurden mit den Präferenzwerten für Stichproben von ANPatientinnen (Hueg et
al. 2006) und einer Normstichprobe (Goth 2001)
verglichen. Die Vergleichsgruppe (Hueg et al. 2006) bestand aus n=29 Patientinnen mit restriktiver AN im Alter zwischen 12-18 (Durchschnittsalter M=14,7; SD=1,4). Die Normstichprobe von Goth (2001) bestand aus weiblichen Probanden im Alter von 12-18 Jahren. 22
Material und Methoden 2.2.1.3 Eating Disorder Inventory-2 (EDI-2) Der EDI-2 (Garner et al. 1983, 1984, 1991) ist ein Selbstbeurteilungsinstrument, dessen Anwendungsgebiet in der Beschreibung der essstörungsspezifischen Psychopathologie liegt. Darüber hinaus gibt es aber auch eine mehrdimensionale Erfassung der für Anorexia und Bulimia nervosa relevanten psychologischen Variablen. In dieser Studie wurde die deutsche Übersetzung des EDI-2 (Thiel et al. 1997) verwendet. Der Patient beantwortet die Items auf einer sechsstufigen Skala. Die Antwortalternativen lauten: „immer“, „normalerweise“, „oft“, „manchmal“, „selten“ und „nie“. Diesen Antworten werden Werte zwischen 1 und 6 zugeordnet. Zur Auswertung kann anschließend jedes Item einer der unten genannten Subskalen zugeordnet werden. Es lassen sich keine kritischen Grenzen als Cut-Off-Werte berechnen, die zeigen würden, ab welcher Ausprägung die Testergebnisse als pathologisch gelten könnten. Der EDI-2 (Thiel et al. 1997) unterscheidet sich von der Ursprungsfassung von Thiel u. Paul (1988), dem EDI, durch die Erweiterung um drei neue Skalen. In der deutschsprachigen Version wird zwischen der Kurzform und der Langform unterschieden: Kurzform: Die Kurzform beinhaltet die ersten acht Skalen mit insgesamt 64 Items der ursprünglichen Fassung des EDI. Langform: Die Langform beinhaltet alle 11 Skalen mit allen 91 Items des EDI-2. Die Kurzform ist eine Alternative, wenn aus inhaltlichen oder ökonomischen Gründen die ersten acht Skalen ausreichen. Da die drei neuen Skalen, die die Langform von der Kurzform unterscheiden, nur zur einer vergleichsweise geringeren Verbesserung des EDI-2 geführt haben, wird ihr Nutzen für den klinischen Alltag und die Therapieforschung kritisch gesehen (Eberenz u. Gleaves 1994, Rathner et al. 1997, Thiel et al. 1997). Aus Gründen der internationalen Vergleichbarkeit wird in dieser Arbeit mit den ersten acht Skalen (EDI) des EDI-2 gerechnet. Verglichen wurden die Ergebnisse mit den Daten der Normstichprobe von Thiel und Paul (1988), welche 183 Frauen umfasste mit einem Durchschnittsalter von 23,8 Jahren. 23
Material und Methoden Die 11 Skalen des EDI-2: 1. Skala SS: „Schlankheitsstreben“ Diese Skala setzt sich aus sieben Items zusammen. Die Fragen betreffen die starke Beschäftigung mit Diäten, die gedankliche Fixierung auf Gewicht und die Angst vor einer Gewichtzunahme. 2. Skala B: „Bulimie“ In dieser Skala mit sieben Items wird die Tendenz gemessen, sich auf gedanklicher
als
auch
auf
Handlungsebene
mit
unkontrollierbaren
Heißhungeranfällen zu beschäftigen. Das Vorhandensein von Heißhungeranfällen dient zur Diagnosestellung der Bulimia nervosa und differenziert bei der Anorexia nervosa den bulimischen vom restriktiven Subtypus. 3. Skala UK: „Unzufriedenheit mit dem Körper“ Anhand von neun Items wird die Unzufriedenheit mit der allgemeinen körperlichen Gestalt und mit der Größe der Körperteile, die besonders für Menschen mit Essstörungen von größter Bedeutungen sind (d.h. Bauch, Hüften, Oberschenkel, Po), gemessen. 4. Skala I: „Ineffektivität“ Mittels zehn Items wird das Gefühl von genereller Unzulänglichkeit, Unsicherheit, Wertlosigkeit, Leere und mangelnder Kontrolle über das eigene Leben erfasst. 5. Skala P: „Perfektionismus“ Sechs Items beschreiben das Streben nach persönlicher Bestleistung. Die Patienten glauben, dass diese überragenden Leistungen auch von Eltern, Lehrern und anderen Menschen erwartet werden. 6. Skala M: „Misstrauen“ Diese Skala mit sieben Items misst das generelle Gefühl von Distanzierung und Abneigung hinsichtlich enger Beziehungen. Darüber hinaus wird der Widerstand gemessen, sich mit Gedanken und Gefühlen gegenüber anderen auseinander zu setzen. 24
Material und Methoden 7. Skala IW: „Interozeptive Wahrnehmung“ Zehn Items messen die Unsicherheit und Besorgnis bezüglich der Wahrnehmung und richtigen Einschätzung von gefühlsmäßigen Zuständen und die Unsicherheit bei der Identifikation von Hunger und Sättigung. 8. Skala AE: „Angst vor dem Erwachsenwerden“ Mittels acht Items wird der Wunsch erfasst, sich angesichts der überfordernden Ansprüche des Erwachsenwerdens in die Sicherheit der Kindheit zurückzuziehen. 9. Skala A: „Askese“ Diese Skala setzt sich aus acht Items zusammen, die das Ausmaß von Tugendhaftigkeit messen. Dies soll durch das Streben nach geistigen Idealen wie Selbstdisziplin, Selbstverleugnung, Selbstbeherrschung, Selbstaufopferung und die Kontrolle körperlicher Bedürfnisse erreicht werden. 10. Skala IR: „Impulsregulation” Mittels
11
Items
wird
die
Tendenz
zu
impulsivem
Handeln,
Stimmungsschwankungen, Alkoholmissbrauch, Rücksichtslosigkeit, Feindlichkeit, Destruktivität in interpersonellen Beziehungen und Selbstdestruktivität gemessen. 11. Skala SU: „Soziale Unsicherheit” Acht Items messen die Einstellung, dass soziale Beziehungen Anspannung erzeugen, dass sie unsicher, enttäuschend, nicht lohnenswert und generell von geringer Qualität sind.
25
Material und Methoden 2.2.1.4 Anorexie-Angst-Skala (AAS) Die Kurzform des Fragebogens zur gewichtsassoziierten Angst (Schulze u. Keller, Publikation in Vorbereitung) besteht aus acht Fragen. Die Bewertung der Items umfasst eine siebenstufige Skala (1=ganz schwach bis 7=ganz stark). Die Stichprobe bestand aus einer Feldstichprobe mit Schülerinnen (n=361, 12-18 Jahre) und einer bisher vergleichsweise kleinen klinischen Stichprobe mit Anorexia nervosa Patientinnen (n=26, 10-18 Jahre). Der Gesamtmittelwert (Standardabweichung: SD) der klinischen Stichprobe betrug M=33,46 (SD=15,48), derjenige der Feldstichprobe M=25,60 (SD=12,38). Die Anorexie-Angst Skala ist im Anhang angefügt. Die Daten beider Stichproben wurden mit den Ergebnissen dieser Stichprobe verglichen. 2.2.1.5 State-Trait-Angstinventar (STAI) Der STAI ist die deutsche Version (Laux et al. 1981) des von Spielberger et al. (1970) entwickelten „State-Trait-Anxiety-Inventory“. Der Test besteht aus zwei Skalen (X1 und X2) mit jeweils 20 Items und dient zur Erfassung von Angst als Zustand (State-Angst) und Angst als Eigenschaft (TraitAngst). Die State-Angstskala hat vier Ausprägungen (1-4 Punkte): „überhaupt nicht“, „ein wenig“, „ziemlich“ und „sehr“. Der höchste Wert der Gesamtskala ist 80 und der niedrigste 20. Ein hoher Wert bedeutet eine hohe State-Angst. Bei der Trait-Angst-Skala sind es ebenfalls 20 Items mit vier Ausprägungen (1-4 Punkte): „fast nie“, „manchmal“, „oft“ und „fast immer“. Auch hier wird ein Gesamtwert von 20 bis 80 ermittelt. Ein hoher Wert spricht für eine hohe Trait-Angst. Aufgrund der Momentaufnahme der State-Fragen kann kein Vergleich mit einer Normstichprobe gemacht werden. Spielberger et al. (1972) definieren die Zustandsangst als einen emotionalen Zustand, der gekennzeichnet ist durch Anspannung, Besorgtheit, Nervosität, innere Unruhe und Furcht vor zukünftigen Ereignissen sowie durch eine erhöhte Aktivität des autonomen Nervensystems. Angst als vorübergehender emotionaler Zustand variiert in der Intensität bedingt durch Zeit und Situationen. Angst
als
Eigenschaft
bezieht
sich
demgegenüber
auf
relativ
stabile
interindividuelle Differenzen in der Neigung, Situationen als bedrohlich zu 26
Material und Methoden bewerten und hierauf mit einem Anstieg der Zustandsangst zu reagieren (Spielberger et al. 1972). Die Eichstichprobe im Jahr 1977 umfasste 2385 Personen. Die instrumentelle Reliabilität beider Skalen wird als sehr befriedigend beurteilt. Die Ergebnisse der Trait-Angst des STAI dieser Stichprobe wurden mit den Daten jüngsten Normstichprobe (Altersbereich 15-29 Jahre) verglichen. Die Normstichprobe von Laux et al (1981) umfasste 342 Probandinnen. 2.2.1.6 Sozialphobie- und Angstinventar für Kinder (SPAIK) Das SPAIK ist die deutsche Version (Melfsen et al. 1999) des „Social Phobia and Anxiety Inventory for Children“ (SPAI-C) (Beidel et al. 1995, 1996, 1998). Der SPAI-C wurde zur Diagnostik der Sozialphobie bei Kindern und Jugendlichen ab acht Jahren entwickelt. Mit 26 Items erfasst der Fragebogen Kognitionen, somatische Symptome und Vermeidungs- und Fluchtverhalten für verschiedene Situationen, die Adoleszente mit Sozialphobie oft als angstauslösend empfinden. Sechzehn dieser Items verlangen mehrfache Antworten. So fordern einige der Items von den Probanden, je nach Grad der Vertrautheit mit den Personen zu differenzieren (Jungen und Mädchen, die ich kenne; Jungen und Mädchen, die ich nicht kenne; Erwachsene). Dadurch lässt sich am Auswertungsbogen ablesen, ob sich die Ängste nur auf Erwachsene oder auch auf Gleichaltrige beziehen und ob ihr Bekanntheitsgrad für das Ausmaß der Angst von Bedeutung ist. Als Antwortalternativen werden für alle Items die Kategorien „nie oder selten“ (=0); „manchmal“ (=1) und „meistens oder immer“ (=2) vorgegeben. Die Summe der einzelnen Items ergibt einen Gesamtwert, der zwischen 0 und 52 Punkten
liegt.
Normtabellen
ermöglichen
den
Vergleich
der
Ergebnisse
entsprechend der Altersgruppe und getrennt nach Jungen und Mädchen. Der Gesamtwert von 20 wird als auffällig bezeichnet und zur Unterscheidung von sozial ängstlichen und sozial nicht ängstlichen Kindern und Jugendlichen verwendet. Bei diesem Wert handelt es sich aber nicht um eine absolute Trennmarke. Die deutsche Version (SPAIK) wurde mit einer Normalstichprobe von 1197 Schülerinnen und Schüler im Altersbereich von 8-16 Jahren (SPAIK-Gesamtwert: M=12,51; SD=7,87) und einer klinischen Stichprobe von 145 psychiatrisch behandelter Kinder und Jugendliche im Altersbereich von 7-18 Jahren (SPAIK27
Material und Methoden Gesamtwert: M=16,52; SD=10,77) entwickelt bzw. validiert. Die Normwerte basieren auf dieser Normalstichprobe. Das SPAIK wird als reliables und valides Messinstrument beschrieben (Melfsen et al. 2001). 2.2.1.7 Toronto-Alexithymie-Skala-26 (TAS-26) Die TAS-26 (Kupfer et al. 2001) dient der Erfassung der subjektiven Einschätzung von spezifischen Dimensionen zur Alexithymie. Sie enthält drei Skalen mit 26 Items. Diese sind als Aussagen formuliert und müssen von den Probanden auf fünfstufigen Ratingskalen hinsichtlich ihres Zutreffens eingeschätzt werden. Die einzelnen Antwortalternativen bedeuten dabei 1=trifft gar nicht zu, 2=trifft eher nicht zu, 3=teils/teils, 4=trifft eher zu und 5=trifft völlig zu. Normwerte liegen für Probanden ab dem 14. Lebensjahr vor. In einer Studie (Zonnevylle-Bender et al. 2004) wurden keine signifikanten Unterschiede in der
Alexithymie
zwischen
erwachsenen
und
jugendlichen
essgestörten
Patientinnen gefunden. In Anlehnung an Taylor et al. (1997) wird vorgeschlagen, Probanden mit einem Gesamtwert von ≥54 als alexithym zu bezeichnen. Dieser Wert muss allerdings in klinischen Studien noch bestätigt werden. Die Ergebnisse dieser Stichprobe wurden mit denen der Normstichprobe von Taylor et al. (1997), welche 2047 Probanden einschloss, verglichen. Die Skalen des TAS-26: Skala 1: Schwierigkeiten bei der Identifikation von Gefühlen In dieser Skala geht es einerseits um die Schwierigkeit bei der Identifikation von Gefühlen, anderseits um die allgemeine Schwierigkeit der Identifikation von körperlichen Vorgängen. Hohe Werte in dieser Skala sprechen dafür, dass der Proband Schwierigkeiten hat, eigene Gefühle und deren physiologische Begleiterscheinungen in adäquater Weise wahrzunehmen. Skala 2: Schwierigkeiten bei der Beschreibung von Gefühlen Diese Skala erfasst Probleme der Probanden, Emotionen zu zeigen und zu beschreiben. Sie bezieht sich somit auf den Ausdruckscharakter von Emotionen und bezieht dabei den kommunikativen Aspekt von Emotionen mit ein. 28
Material und Methoden Hohe Werte in dieser Skala weisen darauf hin, dass die Kommunikation von Emotionen eingeschränkt ist oder im Extremfall ganz fehlt. Skala 3: Extern orientierter Denkstil Mit den Items dieser Skala wird versucht den automatisch-mechanischen Denkstil zu erfassen. Probanden mit hohen Werten auf dieser Skala geben somit an, sich nicht für analytisches Denken oder für eine Reflexion von Lösungswegen in problematischen Situationen zu interessieren. Gesamtskala: Alexithymie Neben diesen Einzelskalen kann eine Gesamtskala, bestehend aus sämtlichen Items der drei Einzelskalen, gebildet werden. Diese ergibt einen Globalwert für die Ausprägung einer Alexithymie. Insbesondere für die Unterteilung von Probanden in hoch- und niedrig alexithyme Untergruppen scheint die Gesamtskala am besten geeignet. 2.2.1.8 Leyton-Zwangssyndrom-Fragebogen/Kinderversion Die
deutsche
Fassung
der
Kinderversion
des
Leyton-Zwangssyndrom-
Fragebogen-Kinderversion wurde durch Herrn Prof. Dr. Dr. H.-C. Steinhausen entwickelt und in seinem Lehrbuch veröffentlicht (Steinhausen 2002b). Die selbst zu erstellenden 44 Karten beziehen sich auf Gedanken, Gewohnheiten und Gefühle. Im Einzelnen werden folgende Items abgefragt: 1-4
Gedanken
5-7
Kontrolle
8-11
Schmutz und Ansteckung
12-14
Gefährliche Objekte
15-21
Sauberkeit und Ordentlichkeit
22-25
Schularbeit
26-28
Ordnung und Routine
29-32
Wiederholung
33-35
Übergewissenhaftigkeit
36-37
Entschlusslosigkeit
38-39
Horten
40-41
Geiz
42-44
Magische Spiele
29
Material und Methoden Es gibt drei Durchgänge. Im ersten Durchgang soll der Patient mit „Ja“ oder „Nein“ antworten und die Karte auf den passenden Stapel legen. Im nächsten Durchgang, in dem der Widerstandswert gemessen wird, werden die Karten, die zuvor mit „Ja“ beantwortet worden sind, den folgenden Aussagen zugeordnet: 1. Vernünftig: Meine Gedanken und Angewohnheiten sind ganz vernünftig. 2. Gewohnheit: Dies ist mir eine Gewohnheit. Ich tue es, ohne darüber nachzudenken. 3. Nicht notwendig: Ich merke oft, dass ich das nicht tun muss, aber ich mache keinen richtigen Versuch damit aufzuhören. 4. Versuch damit aufzuhören: Ich weiß, dass dies nicht notwendig ist und dass ich es nicht tun muss, und ich versuche damit aufzuhören. 5. Starker Versuch, damit aufzuhören: Was ich tue, kümmert mich sehr, und ich versuche sehr, damit aufzuhören. Im dritten Durchgang wird der Interferenzwert gemessen. Hier werden wieder die „Ja“- Karten dem jeweiligen Stapel zugeordnet: 1. Keine Beeinträchtigung: Meine Angewohnheit hält mich nicht von anderen Dingen ab, die ich tun will. 2. Leichte Beeinträchtigung: Meine Angewohnheit hält mich ein wenig auf oder nimmt etwas von meiner Zeit in Anspruch. 3. Mittlere Beeinträchtigung: Meine Angewohnheit hält mich von anderen Dingen ab und braucht viel von meiner Zeit. 4. Starke Beeinträchtigung: Meine Angewohnheit hält mich von vielen anderen Dingen ab und braucht sehr viel von meiner Zeit. Der Gesamt-Wert von Zwangssymptomen ergibt sich aus der Zahl der „Ja“Antworten. Die Skalenwerte für die Widerstandswerte betragen: Vernünftig=0; Gewohnheit=1; Nicht notwendig=1; Versuch, damit aufzuhören=2; Starker Versuch, damit aufzuhören=3. Die Skalengewichte für die Interferenzwerte: Keine Beeinträchtigung=0; Leichte Beeinträchtigung=1; Mittlere Beeinträchtigung=2; Starke Beeinträchtigung=3. Es liegen zu dieser Kinderversion (Steinhausen 2002b) keine Vergleichsdaten bzw. Cut-Off-Werte vor, deshalb wurden sie in dieser Studie mit den Daten aus der Veröffentlichung des Leyton Obsessional Inventory Child Version verglichen 30
Material und Methoden (Berg et al. 1986). Aus dieser Studie konnte ein Cut-Off-Wert von ca. 19 abgelesen werden. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit wurden mit denen der Studie von (Berg et al. 1986) verglichen. In dieser Studie waren die Probanden in drei Gruppen aufgeteilt. Davon litten 26 Jugendliche (M=14,3 Jahre) unter einer nach DSM III Kriterien diagnostizierten Zwangserkrankung. Als Kontrollgruppe dienten 14 Probanden (M=13,7 Jahre) mit einer anderen psychiatrischen Diagnose sowie 28 Jugendliche ohne Diagnose (M=13,7 Jahre).
2.2.2 Verlaufsdiagnostik
Tabelle 5: Verlaufsdiagnostik
Untersuchungsmittel
Zielsymptomatik
Fragebogen zur Befindlichkeit
Stimmungslage, wahrgenommene
(Keller et al. 2005)
Anspannung, Stationserleben und Behandlungszufriedenheit
Angstrating (Skala zwischen 1=gar
Ausmaß der subjektiv empfundenen
keine Angst und 100=maximale Angst)
Angst vor dem Zunehmen
2.2.2.1 Fragebogen zur Befindlichkeit Täglich wurden morgens 10 und abends 27 Fragen zur allgemeinen Befindlichkeit ausgefüllt. Angestrebt wurde eine Zeitdauer über 6-8 Wochen. Die Antwortmöglichkeiten reichen von 1=stimmt gar nicht bis zu 5=stimmt vollkommen. Bei den Fragen 26 und 27 war als Antwortkategorie zusätzlich eine 0 vorgesehen, falls keine Medikamente eingenommen wurden. Die ersten 10 Fragen stimmen morgens und abends überein. Diese Fragen gehen auf die momentane Gefühlslage der Patienten ein. So wird nach der Grundstimmung,
nach
innerer
Anspannung
und
weiteren
Aspekten
der
momentanen Stimmung gefragt.
31
Material und Methoden Die weiteren 17 Fragen im abendlichen Bogen beziehen sich eher auf das Stationsleben, die Behandlungszufriedenheit und den erlebten Tag. Die Fragebögen zur Befindlichkeit sind im Anhang angefügt. 2.2.2.2 Angstrating In Anlehnung an eine Pilotuntersuchung zur Angstdynamik anorektischer Patientinnen im stationären Behandlungsverlauf an der Universität Würzburg (Calame 2005) wurden die Patientinnen zweimal täglich gebeten, ihre aktuelle subjektive Gewichtsangst auf einem speziell dafür konzipierten Angstratingbogen mit einer Skala zwischen 0 (gar keine Angst) und 100 (maximale Angst) einzuschätzen. Dies sollte analog zum Ausfüllen der Befindlichkeitsfragebögen täglich einmal morgens und einmal abends - geschehen (Keller et al. 2003). 2.3 Untersuchungsgang Der Untersuchungszeitraum umfasste insgesamt 2 Jahre. Die Datenerhebung begann, nachdem sowohl die Patientinnen als auch die Eltern schriftlich ihr Einverständnis erklärt hatten. Die Patienten- und Elterninformation sowie Einverständniserklärung wurden im Vorfeld gemeinsam mit einer Beschreibung der geplanten Untersuchung der Ethikkommission der Universität Ulm vorgelegt. Die Probanden wurden nicht entlohnt und haben freiwillig teilgenommen. Der angestrebte individuelle Untersuchungszeitraum betrug 6 - 8 Wochen. Die kürzeren Datenerhebungen kamen durch Abbruch der Patientin - der ihnen jederzeit möglich war - oder durch Entlassung der Patientin zustande. Grundsätzlich gab es pro Tag zwei Befragungszeitpunkte, jeweils morgens und abends. Die Fragen sollten wenn möglich immer zur gleichen Zeit beantwortet werden. Wenn die Patienten das Wochenende oder einen therapeutischen Kurzurlaub bei Ihrer Familie verbrachten, wurden sie gebeten, die Fragebögen soweit wie möglich trotzdem auszufüllen und nur die Fragen zum Stationsalltag wegzulassen. Fragebögen waren den Patienten in einer ihnen persönlichen zugehörigen Mappe zugänglich und wurden von den Studienbetreuern alle 1-2 Wochen abgeholt und ausgewertet. Gleichzeitig konnten Patienten und Betreuer
32
Material und Methoden bestehende Probleme und Unklarheiten besprechen. Den Patienten wurde angeboten, die Auswertungen/Ergebnisse der Fragebögen erklärt zu bekommen. 2.4 Statistische Auswertung Für sämtliche statistischen Berechnungen wurde das Statistical Analysis System (SAS) 9.1. verwendet. Zur Anwendung kamen Standardmethoden wie die Berechnung
von
Mittelwerten,
Standardabweichungen
und
Pearson´schen
Korrelationskoeffizienten. Angegeben sind *p