Auswirkung der Angst anorektischer Patientinnen - Deutsche Digitale ...

HAWIK III. Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder- dritte Auflage. HT. Serotonin. ICD ...... Inventory. Palo Alto, Calif. Consulting Psychologists Press (1970).
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Universitätsklinikum Ulm Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. J.M. Fegert

„Zur Auswirkung der Angst anorektischer Patientinnen auf die allgemeine Befindlichkeit“

Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin - Dr. med.der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm

Franziska Persch Neu-Ulm 2008

Amtierender Dekan: Prof. Dr. Klaus Michael Debatin 1. Berichterstatter: Prof. Dr. Jörg Michael Fegert 2. Berichterstatter: Prof. Dr. Jörn von Wietersheim Tag der Promotion: 18.06.2009

Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Seite 1.

2.

Einführung

1

1.1 Anorexia nervosa

1

1.2 Angststörungen

8

1.3 Anorexia nervosa und Angst: Stand der Forschung

11

1.4 Die allgemeine Befindlichkeit: Stand der Forschung

12

1.5 Ziele der Studie

14

1.6 Hypothesen und Fragestellungen

14

Material und Methoden

16

2.1 Stichprobe

16

2.2 Untersuchungsinstrumente

19

2.2.1 Basisdiagnostik

19

2.2.1.1 CBCL/YSR

21

2.2.1.2 Junior Temperament und Charakter Inventar (JTCI)

22

2.2.1.3 Eating Disorder Inventory-2 (EDI-2)

23

2.2.1.4 Anorexie-Angst-Skala (AAS)

26

2.2.1.5 State-Trait-Angstinventar (STAI)

26

2.2.1.6 Sozialphobie- und Angstinventar für Kinder (SPAIK)

27

2.2.1.7 Toronto-Alexithymie-Skala-26 (TAS-26)

28

2.2.1.8 Leyton-Zwangssyndrom-Fragebogen/Kinderversion

29

2.2.2 Verlaufsdiagnostik

31

2.3 Untersuchungsgang

32

2.4 Statistische Auswertung

33

2.5 Ethik

33

3.

4.

Ergebnisse

34

3.1 Auswertung der psychopathologischen Veränderungen

34

3.2 Korrelationen

46

3.3 Befindlichkeit und Gewichtsangst

48

Diskussion

67

4.1 Psychopathologische Veränderungen

68

4.1.1 Psychische Auffälligkeiten

68

4.1.2 Ängste

69

4.1.3 Persönlichkeitsmerkmale

73

4.1.4 Psychopathologie der Essstörung

75

4.1.5 Zwanghaftigkeit

78

4.1.6 Alexithymie

78

4.2 Befindlichkeit und Gewichtsangst

80

5.

Zusammenfassung

88

6.

Literaturverzeichnis

90

7.

Anhang Tabelle 33: Diagnostische Kriterien ICD-10-GM (2008)

108

Tabelle 34: Diagnostische Kriterien DSM-IV-TR (2003)

108

Anorexia Angst Skala

109

Gewichtsangstrating

109

Fragebogen zur Befindlichkeit

110

Junior Temperament und Charakter Inventar (JTCI)

113

Danksagung

117

Abkürzungsverzeichnis AD

Aufenthaltsdauer

AN

Anorexia nervosa

A.N.

Atypische Neuroleptika

AAS

Anorexie-Angst-Skala

BD

Beobachtungsdauer

BMI

Body mass index

BMI-A

BMI bei Aufnahme in kg/m²

BMI-E

BMI bei Entlassung in kg/m²

CBCL

Child Behavior Checklist

DF

Freiheitsgrad

DSM-IV-TR

Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders –IVText revision

EDI

Eating Disorder Inventory

F00-F99

Psychische und Verhaltensstörungen im ICD-10

GA

Gewichtsangst

h

Stunde(n)

HAWIK III

Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder- dritte Auflage

HT

Serotonin

ICD

International Classification of Diseases

IQ

Intelligenz Quotient

JTCI

Junior Temperament und Charakter Inventar

M

Mittelwert

p

statistische Signifikanz

SAS

Statistical Analysis System

SD

Standardabweichung

SPAI-C

Social Phobia and Anxiety Inventory for Children

SPAIK

Sozialphobie- und Angstinventar für Kinder

SSRI

Selektiver Serotonin Reuptake Inhibitor

StA

Stationäre Aufnahme(n)

STAI

Das State-Trait-Angstinventar

TAS

Toronto-Alexithymie-Skala

U

Ulm

W

Weissenau

WHO

World Health Organisation

WPW

Wolf-Parkinson-White

YSR

Fragebogen für Jugendliche

ZfP

Zentrum für Psychiatrie

Einführung 1. Einführung Diese Arbeit widmet sich dem Zusammenhang der Angst anorektischer Patientinnen und deren Befindlichkeit. 1.1 Anorexia nervosa Definition und Symptome Die Anorexia nervosa (Magersucht; abgekürzt durch AN) ist eine Störung des Essverhaltens mit hohem Chronifizierungsrisiko. Sie tritt überwiegend bei jungen Frauen während der Adoleszenz (erstmals) auf. Hauptmerkmal dieses nicht organisch

bedingten

Störungsbildes

ist

eine

selbst

herbeigeführte

Gewichtsabnahme, die durch die Vermeidung hochkalorischer Speisen erreicht wird. Als sog. gegensteuernde Maßnahmen, welche einer Gewichtszunahme entgegenwirken sollen, können der Einsatz von Substanzen wie z.B. Laxantien, Diuretika oder Schilddrüsenhormone oder selbstinduziertes Erbrechen genannt werden. Darüber hinaus spielt die motorische Hyperaktivität bei vielen AnorexiePatienten eine große Rolle (Klein et al. 2004). Die Patienten1 beschäftigen sich ständig gedanklich mit Gewicht und Kalorien. Außerdem leiden sie unter einer verzerrten Wahrnehmung der eigenen Körperproportionen, der sogenannten Körperschemastörung. Hierdurch kommt es zu einem gestörten Essverhalten, das in der Folge oft zu einem extremen Untergewicht führt. Zur Symptomatik bei weiblichen Patientinnen zählt weiterhin das Ausbleiben der Regelblutung (primäre oder sekundäre Amenorrhoe) als Ausdruck einer gestörten hormonellen Regulation (Hoffmann et al. 2004, von Uexküll et al. 2002). Die zur Diagnosestellung

nötigen

Kriterien

der

ICD-10

(internationale

statistische

Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) (Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information 2008) sind im Anhang in Tabelle 33, die des DSM-IV-TR (diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen) in Tabelle 34 aufgeführt. Ergänzend ist hinzuzufügen, dass es sich bei der atypischen AN (F50.1) um ein Störungsbild handelt, welches die Kriterien der Anorexia nervosa nur unvollständig erfüllt. Das bedeutet, dass 1

Bei gemischten Patientengruppen (männliche und weibliche Patienten) wird zur Vereinheitlichung der männliche Plural benutzt.

1

Einführung entweder nicht sämtliche Kernsymptome vorhanden sind oder aber das Störungsbild nur in abgeschwächter Form vorliegt. Die DSM-IV-TR-Kriterien (American Psychiatric Association 2003) unterscheiden zwischen dem restriktiven Typ (Gewicht wird ausschließlich durch Hungern reduziert) und dem Purging-Typ. Letzterer ist gekennzeichnet durch eine absichtliche Reduktion der Nahrungsaufnahme, durch eine Beschränkung auf kalorienarme Nahrungsmittel, durch phasenhaftes oder regelmäßiges Erbrechen, durch Einnahme von Laxanzien und/oder Diuretika und durch motorische Überaktivität. Epidemiologie Während des vergangenen Jahrhunderts wuchs die Inzidenz der AN insbesondere in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen bis in die 70er Jahre an (Hoek 2006, Hoek u. van Hoeken 2003). Aktuellen Erhebungen zufolge liegt die Inzidenz zwischen 34,6 pro 100000 (10- bis 19-jährige Mädchen und Frauen) (Currin et al. 2005) und 270 pro 100000 (finnische Zwillinge zwischen 15 und 19 Jahren) (Keski-Rahkonen et al. 2007). Weitere Daten hierzu, welche in Studien in den USA und in den Niederlanden gewonnen wurden, liegen zwischen den beiden genannten Werten (Bulik et al. 2006, van Son et al. 2006). Die durchschnittliche Lebenszeitprävalenz bei jungen Frauen wird zwischen 0,3% und 2,2% geschätzt (Bulik et al. 2006, Hoek 2006, Hoek u. van Hoeken 2003, Keski-Rahkonen et al. 2007, The McKnight Investigators 2003, Wittchen et al. 1998). Das Verhältnis weiblicher Patientinnen zu männlichen Patienten beträgt 12 zu 1 (Currin et al. 2005). Die AN beginnt häufig in der frühen Adoleszenz und zeigt jeweils einen Erkrankungsgipfel bei 14 und 18 Jahren (Herpertz-Dahlmann 2002). Weitere Autoren siedeln diese Altersgipfel bei 15 bzw. 19 Jahren an (Bulik et al. 2005, Lucas et al. 1991). Ätiologie Bei der Entstehung der AN muss von einem multifaktoriellen Geschehen ausgegangen werden, in welchem genetische (Klump et al. 2004), biologische, psychologische, soziale und kulturelle Faktoren zusammen spielen (Connan et al. 2

Einführung 2003). Es wird vermutet, dass frühe Lebenserfahrungen zusammen mit genetischen Faktoren zu einer negativen Beeinflussung der Neuroplastizität und einer

Dysregulation

der

Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse

führen

(Connan et al. 2003). Auf neurobiologischer Ebene scheint vor allem dem serotonergen System besondere Bedeutung zuzukommen. Studienergebnissen zufolge ist bei Patienten mit AN die Aktivität der 5-HT1A-Rezeptoren erhöht, die der 5-HT2A-Rezeptoren vermindert. Es wird angenommen, dass diese 5-HTRezeptoren sowohl Einfluss auf die Persönlichkeit als auch auf das Temperament, z.B. die Tendenz zur Schadensvermeidung, haben. Außerdem spielen sie nicht nur bei psychiatrischen Symptomen wie Zwanghaftigkeit, Angst und Depression, sondern auch bei physiologischen Vorgängen wie z.B. dem Hungergefühl eine Rolle (Kaye et al. 2005b, Kaye et al. 2005c). Es zeigt sich auch eine Wirkung auf die Stimmung und die Impulskontrolle (Kaye et al. 2005a). Die Dysregulation des serotonergen Systems scheint auch im Falle einer Heilung der Essstörung noch vorhanden zu sein (Bailer et al. 2004, Bailer et al. 2007, Kaye et al. 2005a, Kaye et al. 2005b). Eine sichere, vor allem antidepressive Wirkung von SSRI´s (selective serotonin reuptake inhibitors) bei AN-Patienten konnte auch im Hinblick auf eine Rückfallprophylaxe bisher nicht bestätigt werden (Holtkamp et al. 2005a). Sozialer Druck durch Familie, Freunde und dem unmittelbaren Umfeld kann ebenfalls zur Entstehung einer Essstörung beitragen. Die Medien und der soziokulturelle Einfluss fördern das gestörte Essverhalten unter anderem durch ein extremes

Schlankheitsideal

für

Frauen.

Auch

Kommentare

aus

dem

Freundeskreis über das Aussehen und das Gewicht haben Einfluss auf das Selbstbewusstsein der Patienten und deren Einstellung zum Essen (Meyer u. Waller 2001). Hinsichtlich der Ätiologie muss auch der kulturelle Aspekt mit einbezogen

werden.

Dies

zeigt

u.a.

eine

Studie,

die

japanische

und

nordamerikanische essgestörte Patienten vergleicht (Pike u. Mizushima 2005). Eine umfangreiche angloamerikanische Studie belegte ein häufigeres Vorkommen einer AN unter weißen Frauen (1,5%) im Vergleich zu afroamerikanischen (keine der Probandinnen) (Striegel-Moore et al. 2003). Dies unterstreicht den soziokulturellen Einfluss auf die Erkrankung.

3

Einführung Psychiatrische Comorbidität Die AN weist ein hohes Maß psychiatrischer comorbider Störungen auf. Hierzu zählen die Angst, die Depression, der Zwang, der Substanzmissbrauch und die Persönlichkeitsstörungen. Zwillingsstudien heben insbesondere den Zusammenhang zwischen Essstörung, Angst und Depression hervor (Keel et al. 2005). Auf die Angststörungen wird in einem separaten Kapitel eingegangen. Depressive Symptome bzw. Störungen können im Falle einer AN prämorbid, comorbid und im Langzeitverlauf auftreten. Meist geht die Depression der Essstörung voraus (Wildman et al. 2004). Depressive Verstimmungen sind aber auch typische Begleitsymptome der AN im akuten Krankheitszustand. Essgestörte Patienten zeigen häufig im Rahmen der Gewichtsabnahme eine gedrückte Stimmungslage und sind leicht irritierbar. Sie haben ein niedriges Selbstwertgefühl und klagen über Schuldgefühle und Hoffnungslosigkeit. Nicht selten lassen sich auch

vitale

Symptome

wie

Schlaflosigkeit

und

Konzentrationsstörungen

nachweisen (Herpertz-Dahlmann 2003). Das Zusammentreffen von Depression und Angst spielt bei einem Suizidversuch häufig eine Rolle. In einer Verlaufstudie, die sich über 3, 7 bzw. 10 Jahren erstreckte, konnte dargelegt werden, dass die Depression sich parallel zur

Essstörung besserte, aber trotzdem noch

ausgeprägter war als bei einer Normstichprobe (Holtkamp et al. 2005b). Bei 5% bis 17% der AN-Patienten ließ sich in einer Untersuchung noch nach 21 Jahren eine Depression nachweisen (Lowe et al. 2001). Literaturangaben zufolge liegen im Hinblick auf die comorbide depressive Symptomatik keine signifikanten Unterschiede zwischen erwachsenen und jugendlichen essgestörten Patienten vor (Zonnevylle-Bender et al. 2004). Im Falle zusätzlich zur AN bestehender Zwangssymptome werden am häufigsten Essrituale, Ordnungs- und Säuberungszwänge, Perfektionismus und Unheilsbefürchtungen festgestellt. Perfektionismus und zwanghafte Züge verbunden mit dem Bedürfnis nach Exaktheit und Symmetrie sind nicht nur prämorbid, sondern häufig auch noch im Anschluss der Essstörung vorhanden (Kaye et al. 2005b). Der Perfektionismus stellt einen gesicherten Risikofaktor bei der Entstehung einer AN dar (Bulik et al. 2003). Weiterhin werden in perfektionistischen Tendenzen psychopathologische Faktoren gesehen, die die Essstörungssymptomatik mit aufrecht

erhalten

und

entscheidend

zur

Therapieresistenz

beitragen 4

Einführung (Fairburn

et

al.

2003).

Eine

Studie

zur

Lebenszeitprävalenz

der

Zwangserkrankung beschreibt ein Vorkommen von 68% bei Patienten mit restriktiver AN sowie bei 79,1% der Patienten mit atypischer AN (Halmi et al. 2003). Verschiedene Studien berichten über eine bestehende Komorbidität von Zwangserkrankungen und Essstörungen (Godart et al. 2000, Kaye et al. 2004, Lilenfeld et al. 1998, Milos et al. 2002, Speranza et al. 2001, Thornton u. Russell 1997). Diese können prämorbid auftreten (Thornton u. Russell 1997) und auch im Langzeitverlauf noch überwiegend unverändert vorliegen (Holtkamp et al. 2005b). In einer Verlaufsstudie (Untersuchung nach 21 Jahren) zeigten 4% bis 6% der Probanden (21% teilweise genesen, 10% zeigten noch alle Kriterien einer Anorexia nervosa) die Kriterien einer Zwangserkrankung (Lowe et al. 2001). Die vielfach beobachtete (nicht nur motorische) Hyperaktivität anorektischer Patienten kann

zwanghaften

Charakter

annehmen

und

parallel

zu

vorhandenen

Angstsymptomen sowie vermehrten Essensreduktion zunehmen (Holtkamp et al. 2004).

Nicht

selten

findet

sich

bei

AN-Patienten

die

Tendenz

zu

selbstverletzendem Verhalten. Vor allem bei Erkrankten mit einer starken Körperschemastörung und negativen Gefühlen ihrem Körper gegenüber ist das diesbezügliche Risiko erhöht (Stein et al. 2003). In zahlreichen Studien wurde zu einer Essstörung eine zusätzliche

Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, wobei

diese vor allem im Zusammenhang mit einer Bulimia nervosa oder einer Anorexie mit bulimischer Komponente auftreten. Hier werden am häufigsten die Eigenschaften zwanghaft, abhängig und vermeidend, gefolgt von antisozial, narzisstisch, schizoid und paranoid genannt. Auch ein Substanzmissbrauch kann als Komorbidität bei Essstörungen auftreten (Woodside u. Staab 2006). In verschiedenen Studien konnte ein überdurchschnittliches Vorkommen einer Alkoholabhängigkeit bei Essstörungen nachgewiesen werden (Bulik et al. 2004, Thompson-Brenner et al. 2007). In einer kanadischen Untersuchung mit weiblichen

adoleszenten

Symptomatik,

17

mit

Essgestörten

(63

Probanden

Purging-Symptomatik)

und

mit

einer

restriktiver gleichaltrigen

Normstichprobe zeigte, dass adoleszente Patienten mit restriktiven Symptomen nicht so häufig Alkohol trinken wie Gleichaltrige, dennoch enthalten sie sich - im Gegensatz zu ihrem sonst asketischen Verhalten - nicht völlig. Die Probandinnen mit

einer

Purging-Symptomatik

tranken

ähnlich

häufig

Alkohol

wie

die

Normstichprobe dies tat (Stock et al. 2002). Die Lebenszeitprävalenz der 5

Einführung Alkoholabhängigkeit und des Alkoholmissbrauchs beträgt bei restriktiver Anorexia nervosa 17% (Bulik et al. 2004). Nur wenige Daten gibt es über einen sicherlich vorhandenen Missbrauch von rezeptpflichtigen Medikamenten bei Patienten mit Essstörungen, wie z.B. Benzodiazepine oder andere Drogen (Woodside u. Staab 2006).

Bei

zwanghaften

bzw.

perfektionistischen

Patienten

scheint

ein

Substanzmissbrauch eher unwahrscheinlich. Im Gegensatz dazu kann bei einem risikoreichen, impulsiven oder selbstverletzenden Verhalten (meist Patienten mit bulimischer oder Purging-Symptomatik) das Risiko erhöht sein, regelmäßig Alkohol oder weitere Substanzen zu konsumieren (Thompson-Brenner et al. 2007). Verlauf und Prognose Die Einschätzung des Heilungsverlaufes erfolgt in Anlehnung an die so genannten „General outcome“-Kriterien (Morgan u. Russell 1975). Diese orientieren sich zunächst ausschließlich an den Hauptmerkmalen der körperlichen Restitution (BMI, Zyklustätigkeit) (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Heilungserfolg nach Morgan und Russell (1975) BMI: Body mass index

Gut

BMI zwischen 17,5 und 26 kg/m². Keine Zyklusschwankungen und keine Gewichtsschwankungen

Mittel

BMI26, Zyklusschwankungen, Amenorrhoe oder Gewichtsschwankungen

Schlecht

BMI129: 8%

(klinischer Eindruck)

Hohe Intelligenz IQ: 115–129: 24% Durchschnittliche Intelligenz: IQ: 85-114: 68%

Schule

Gymnasium: 68% Realschule: 24% Hauptschule: 4% Berufschule: 4%

Leibliche Eltern

Beide lebend: 92% Vater gestorben: 8%

Beziehungsstatus Eltern

Leben zusammen: 72% Getrennt/geschieden: 20% Durch Tod getrennt: 8%

Psychiatrische Erkrankungen in

Nein: 52%

der Familie *

Ja: 40% Unbekannt: 8%

Stellung in der Kinderreihe

Ältestes Kind: 44% Jüngstes Kind: 28% Mittleres Kind: 16% Einzelkind: 12%

2.2 Untersuchungsinstrumente

2.2.1 Basisdiagnostik Die eingesetzten Untersuchungsverfahren dienten der differentialdiagnostischen Abgrenzung und der Erfassung der Essstörungs- und Angstsymptomatik. Die in Tabelle 1 dargestellte Basisdiagnostik wurde zu Beginn des stationären Aufenthalts einmalig erhoben und ausgewertet.

19

Material und Methoden Tabelle 4: Basisdiagnostik

Untersuchungsmittel

Zielsymptomatik

Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder -

Intelligenz

dritte Auflage (HAWIK-III) (Tewes et al. 1999) Fragebogen für Jugendliche: Youth Self Report

Allgemeine Psychopathologie

(YSR/11-18) und Fragebogen für Eltern: Child Behavior Checklist 4-18 (CBCL/4-18) (Achenbach 1991, Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist 1993) Deutsche Version des Junior Temperament und

Temperamentseigenschaften

Charakter Inventars (JTCI 12-18) (Goth et al. 2004, Schmeck et al. 1995) Eating Disorder Inventory-2 (EDI2)

Essstörung-Psychopathologie

(Thiel et al. 1997) Anorexie-Angst-Skala (AAS)

Fragebogen zur

(Schulze u. Keller, Publikation in Vorbereitung)

gewichtsassoziierten Angst

Das State-Trait-Angstinventar

Eigenschaftsangst und

(STAI X1, STAI X2) (Laux et al. 1981)

Zustandsangst

Sozialphobie- und Angstinventar für Kinder

Soziale Ängste, soziale

(SPAIK) (Melfsen et al. 1999)

Phobie

Toronto-Alexithymie-Skala-26 (TAS-26)

Identifikation von Gefühlen,

(Kupfer et al. 2001)

körperlichen Vorgängen; Fähigkeit, Emotionen zu zeigen

Leyton-Zwangssyndrom-Fragebogen/

Zwangsgedanken und –

Kinderversion (Steinhausen 2002b)

Symptome

Im Anhang befinden sich die Anorexia Angst Skala (AAS), das Junior Temperament und Charakter Inventar (JTCI), der Fragebogen zur Befindlichkeit und der Bogen zum täglich zweimaligen Rating der Gewichtsangst.

20

Material und Methoden 2.2.1.1 Child Behavior Checklist (CBCL/4-18)/Youth Self Report (YSR/11-18): Erfassung kindlicher Psychopathologie Die Fremdbeurteilungsskala Child Behavior Checklist (CBCL/4-18) und die daraus abgeleitete Achenbach

Selbstbeurteilungsskala 1991

dienen

der

Youth

Self

Report

differenzierten

(YSR/11-18)

Erfassung

von

kindlicher

Psychopathologie. Sie werden in der klinischen Praxis als etablierte und valide Screeninginstrumente verwendet. Mit Hilfe des CBCL (4-18 Jahre) bzw. YSR (1118 Jahre) werden Kompetenzen und psychische Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen erfragt. Während sich der erste Teil des Fragebogens mit den sozialen und schulischen Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen befasst, beschäftigt

sich

der

zweite

Teil

mit

möglichen

Verhaltensauffälligkeiten,

emotionalen Problemen und körperlichen Beschwerden. Der Beurteilungszeitraum erstreckt sich jeweils auf die letzten sechs Monate. Die Skalierung ist unterteilt in 0="nicht zutreffend", 1="etwas oder manchmal zutreffend" und 2="genau oder häufig zutreffend". Durch Faktorenanalysen erster und zweiter Ordnung wurden 85 Items zu acht Skalen und zwei Breitbandskalen zusammengefasst (Achenbach, 1991). Die Items dieser Skalen sowie die übrigen 33 in der Faktorenanalyse nicht zuordenbaren Items bilden gemeinsam den Total-Score (120 Items), der ein Schweregradsmaß für die psychische Auffälligkeit der erfassten Probanden liefert. Breitbandskalen: a. Internalisierungs-Score b. Externalisierungs-Score Syndromskalen: a. Sozialer Rückzug; Körperliche Beschwerden; Angst/Depression b. Soziale Probleme; Schizoid/zwanghaft; Aufmerksamkeitsstörung c. Dissoziales Verhalten; Aggressives Verhalten

21

Material und Methoden 2.2.1.2 Junior Temperament und Charakter Inventar (JTCI) Aus dem an Erwachsenen entwickelten und überprüften Temperament and Character Inventory (TCI) (Cloninger et al. 1994) wurde in einer Arbeitsgruppe um Joan Luby und Dragan Svrakic (St. Louis, USA) eine Selbstbeurteilungsversion für Kinder mittleren Alters entwickelt (Luby et al. 1999), das Junior Temperament and Character Inventory (JTCI). In dieser Arbeit wurde die deutsche Adaptation (Goth et al. 2004, Schmeck et al. 1995) verwendet: (JTCI/12-18). Der Fragebogen besteht aus 84 Unterpunkten, wobei die sieben Skalen im Einzelnen eingehen auf: 1. Neugierverhalten

(14

Items):

Explorative

Erregbarkeit,

Impulsivität,

Extravaganz, Regellosigkeit 2. Schadensvermeidung (14 Items): Angst vor Ungewissem, Zukunftssorgen, Schüchternheit, Ermüdbarkeit 3. Belohnungsabhängigkeit

(10

Items):

Empfindsamkeit,

Bindung,

Abhängigkeit 4. Beharrungsvermögen (8 Items) 5. Selbstlenkungsfähigkeit (14 Items): Verantwortlichkeit, Zielbewusstsein, Einfallsreichtum, Selbstakzeptanz, Selbstkongruenz 6. Kooperativität (14 Items): Soziale Akzeptanz, Einfühlungsvermögen, Hilfsbereitschaft, Mitleid, Gewissen 7. Selbsttranszendenz

(10

Items):

Selbstvergessenheit,

Transpersonale

Identifikation, spirituelle Akzeptanz Den Antworten „Ja“, „eher Ja“, „eher Nein“, „Nein“ werden Werte zwischen 0 und 3 zugeordnet. Zur Auswertung kann anschließend jedes Item einer der oben genannten Subskalen zugeordnet werden. Die erhobenen Daten wurden mit den Präferenzwerten für Stichproben von ANPatientinnen (Hueg et

al. 2006) und einer Normstichprobe (Goth 2001)

verglichen. Die Vergleichsgruppe (Hueg et al. 2006) bestand aus n=29 Patientinnen mit restriktiver AN im Alter zwischen 12-18 (Durchschnittsalter M=14,7; SD=1,4). Die Normstichprobe von Goth (2001) bestand aus weiblichen Probanden im Alter von 12-18 Jahren. 22

Material und Methoden 2.2.1.3 Eating Disorder Inventory-2 (EDI-2) Der EDI-2 (Garner et al. 1983, 1984, 1991) ist ein Selbstbeurteilungsinstrument, dessen Anwendungsgebiet in der Beschreibung der essstörungsspezifischen Psychopathologie liegt. Darüber hinaus gibt es aber auch eine mehrdimensionale Erfassung der für Anorexia und Bulimia nervosa relevanten psychologischen Variablen. In dieser Studie wurde die deutsche Übersetzung des EDI-2 (Thiel et al. 1997) verwendet. Der Patient beantwortet die Items auf einer sechsstufigen Skala. Die Antwortalternativen lauten: „immer“, „normalerweise“, „oft“, „manchmal“, „selten“ und „nie“. Diesen Antworten werden Werte zwischen 1 und 6 zugeordnet. Zur Auswertung kann anschließend jedes Item einer der unten genannten Subskalen zugeordnet werden. Es lassen sich keine kritischen Grenzen als Cut-Off-Werte berechnen, die zeigen würden, ab welcher Ausprägung die Testergebnisse als pathologisch gelten könnten. Der EDI-2 (Thiel et al. 1997) unterscheidet sich von der Ursprungsfassung von Thiel u. Paul (1988), dem EDI, durch die Erweiterung um drei neue Skalen. In der deutschsprachigen Version wird zwischen der Kurzform und der Langform unterschieden: Kurzform: Die Kurzform beinhaltet die ersten acht Skalen mit insgesamt 64 Items der ursprünglichen Fassung des EDI. Langform: Die Langform beinhaltet alle 11 Skalen mit allen 91 Items des EDI-2. Die Kurzform ist eine Alternative, wenn aus inhaltlichen oder ökonomischen Gründen die ersten acht Skalen ausreichen. Da die drei neuen Skalen, die die Langform von der Kurzform unterscheiden, nur zur einer vergleichsweise geringeren Verbesserung des EDI-2 geführt haben, wird ihr Nutzen für den klinischen Alltag und die Therapieforschung kritisch gesehen (Eberenz u. Gleaves 1994, Rathner et al. 1997, Thiel et al. 1997). Aus Gründen der internationalen Vergleichbarkeit wird in dieser Arbeit mit den ersten acht Skalen (EDI) des EDI-2 gerechnet. Verglichen wurden die Ergebnisse mit den Daten der Normstichprobe von Thiel und Paul (1988), welche 183 Frauen umfasste mit einem Durchschnittsalter von 23,8 Jahren. 23

Material und Methoden Die 11 Skalen des EDI-2: 1. Skala SS: „Schlankheitsstreben“ Diese Skala setzt sich aus sieben Items zusammen. Die Fragen betreffen die starke Beschäftigung mit Diäten, die gedankliche Fixierung auf Gewicht und die Angst vor einer Gewichtzunahme. 2. Skala B: „Bulimie“ In dieser Skala mit sieben Items wird die Tendenz gemessen, sich auf gedanklicher

als

auch

auf

Handlungsebene

mit

unkontrollierbaren

Heißhungeranfällen zu beschäftigen. Das Vorhandensein von Heißhungeranfällen dient zur Diagnosestellung der Bulimia nervosa und differenziert bei der Anorexia nervosa den bulimischen vom restriktiven Subtypus. 3. Skala UK: „Unzufriedenheit mit dem Körper“ Anhand von neun Items wird die Unzufriedenheit mit der allgemeinen körperlichen Gestalt und mit der Größe der Körperteile, die besonders für Menschen mit Essstörungen von größter Bedeutungen sind (d.h. Bauch, Hüften, Oberschenkel, Po), gemessen. 4. Skala I: „Ineffektivität“ Mittels zehn Items wird das Gefühl von genereller Unzulänglichkeit, Unsicherheit, Wertlosigkeit, Leere und mangelnder Kontrolle über das eigene Leben erfasst. 5. Skala P: „Perfektionismus“ Sechs Items beschreiben das Streben nach persönlicher Bestleistung. Die Patienten glauben, dass diese überragenden Leistungen auch von Eltern, Lehrern und anderen Menschen erwartet werden. 6. Skala M: „Misstrauen“ Diese Skala mit sieben Items misst das generelle Gefühl von Distanzierung und Abneigung hinsichtlich enger Beziehungen. Darüber hinaus wird der Widerstand gemessen, sich mit Gedanken und Gefühlen gegenüber anderen auseinander zu setzen. 24

Material und Methoden 7. Skala IW: „Interozeptive Wahrnehmung“ Zehn Items messen die Unsicherheit und Besorgnis bezüglich der Wahrnehmung und richtigen Einschätzung von gefühlsmäßigen Zuständen und die Unsicherheit bei der Identifikation von Hunger und Sättigung. 8. Skala AE: „Angst vor dem Erwachsenwerden“ Mittels acht Items wird der Wunsch erfasst, sich angesichts der überfordernden Ansprüche des Erwachsenwerdens in die Sicherheit der Kindheit zurückzuziehen. 9. Skala A: „Askese“ Diese Skala setzt sich aus acht Items zusammen, die das Ausmaß von Tugendhaftigkeit messen. Dies soll durch das Streben nach geistigen Idealen wie Selbstdisziplin, Selbstverleugnung, Selbstbeherrschung, Selbstaufopferung und die Kontrolle körperlicher Bedürfnisse erreicht werden. 10. Skala IR: „Impulsregulation” Mittels

11

Items

wird

die

Tendenz

zu

impulsivem

Handeln,

Stimmungsschwankungen, Alkoholmissbrauch, Rücksichtslosigkeit, Feindlichkeit, Destruktivität in interpersonellen Beziehungen und Selbstdestruktivität gemessen. 11. Skala SU: „Soziale Unsicherheit” Acht Items messen die Einstellung, dass soziale Beziehungen Anspannung erzeugen, dass sie unsicher, enttäuschend, nicht lohnenswert und generell von geringer Qualität sind.

25

Material und Methoden 2.2.1.4 Anorexie-Angst-Skala (AAS) Die Kurzform des Fragebogens zur gewichtsassoziierten Angst (Schulze u. Keller, Publikation in Vorbereitung) besteht aus acht Fragen. Die Bewertung der Items umfasst eine siebenstufige Skala (1=ganz schwach bis 7=ganz stark). Die Stichprobe bestand aus einer Feldstichprobe mit Schülerinnen (n=361, 12-18 Jahre) und einer bisher vergleichsweise kleinen klinischen Stichprobe mit Anorexia nervosa Patientinnen (n=26, 10-18 Jahre). Der Gesamtmittelwert (Standardabweichung: SD) der klinischen Stichprobe betrug M=33,46 (SD=15,48), derjenige der Feldstichprobe M=25,60 (SD=12,38). Die Anorexie-Angst Skala ist im Anhang angefügt. Die Daten beider Stichproben wurden mit den Ergebnissen dieser Stichprobe verglichen. 2.2.1.5 State-Trait-Angstinventar (STAI) Der STAI ist die deutsche Version (Laux et al. 1981) des von Spielberger et al. (1970) entwickelten „State-Trait-Anxiety-Inventory“. Der Test besteht aus zwei Skalen (X1 und X2) mit jeweils 20 Items und dient zur Erfassung von Angst als Zustand (State-Angst) und Angst als Eigenschaft (TraitAngst). Die State-Angstskala hat vier Ausprägungen (1-4 Punkte): „überhaupt nicht“, „ein wenig“, „ziemlich“ und „sehr“. Der höchste Wert der Gesamtskala ist 80 und der niedrigste 20. Ein hoher Wert bedeutet eine hohe State-Angst. Bei der Trait-Angst-Skala sind es ebenfalls 20 Items mit vier Ausprägungen (1-4 Punkte): „fast nie“, „manchmal“, „oft“ und „fast immer“. Auch hier wird ein Gesamtwert von 20 bis 80 ermittelt. Ein hoher Wert spricht für eine hohe Trait-Angst. Aufgrund der Momentaufnahme der State-Fragen kann kein Vergleich mit einer Normstichprobe gemacht werden. Spielberger et al. (1972) definieren die Zustandsangst als einen emotionalen Zustand, der gekennzeichnet ist durch Anspannung, Besorgtheit, Nervosität, innere Unruhe und Furcht vor zukünftigen Ereignissen sowie durch eine erhöhte Aktivität des autonomen Nervensystems. Angst als vorübergehender emotionaler Zustand variiert in der Intensität bedingt durch Zeit und Situationen. Angst

als

Eigenschaft

bezieht

sich

demgegenüber

auf

relativ

stabile

interindividuelle Differenzen in der Neigung, Situationen als bedrohlich zu 26

Material und Methoden bewerten und hierauf mit einem Anstieg der Zustandsangst zu reagieren (Spielberger et al. 1972). Die Eichstichprobe im Jahr 1977 umfasste 2385 Personen. Die instrumentelle Reliabilität beider Skalen wird als sehr befriedigend beurteilt. Die Ergebnisse der Trait-Angst des STAI dieser Stichprobe wurden mit den Daten jüngsten Normstichprobe (Altersbereich 15-29 Jahre) verglichen. Die Normstichprobe von Laux et al (1981) umfasste 342 Probandinnen. 2.2.1.6 Sozialphobie- und Angstinventar für Kinder (SPAIK) Das SPAIK ist die deutsche Version (Melfsen et al. 1999) des „Social Phobia and Anxiety Inventory for Children“ (SPAI-C) (Beidel et al. 1995, 1996, 1998). Der SPAI-C wurde zur Diagnostik der Sozialphobie bei Kindern und Jugendlichen ab acht Jahren entwickelt. Mit 26 Items erfasst der Fragebogen Kognitionen, somatische Symptome und Vermeidungs- und Fluchtverhalten für verschiedene Situationen, die Adoleszente mit Sozialphobie oft als angstauslösend empfinden. Sechzehn dieser Items verlangen mehrfache Antworten. So fordern einige der Items von den Probanden, je nach Grad der Vertrautheit mit den Personen zu differenzieren (Jungen und Mädchen, die ich kenne; Jungen und Mädchen, die ich nicht kenne; Erwachsene). Dadurch lässt sich am Auswertungsbogen ablesen, ob sich die Ängste nur auf Erwachsene oder auch auf Gleichaltrige beziehen und ob ihr Bekanntheitsgrad für das Ausmaß der Angst von Bedeutung ist. Als Antwortalternativen werden für alle Items die Kategorien „nie oder selten“ (=0); „manchmal“ (=1) und „meistens oder immer“ (=2) vorgegeben. Die Summe der einzelnen Items ergibt einen Gesamtwert, der zwischen 0 und 52 Punkten

liegt.

Normtabellen

ermöglichen

den

Vergleich

der

Ergebnisse

entsprechend der Altersgruppe und getrennt nach Jungen und Mädchen. Der Gesamtwert von 20 wird als auffällig bezeichnet und zur Unterscheidung von sozial ängstlichen und sozial nicht ängstlichen Kindern und Jugendlichen verwendet. Bei diesem Wert handelt es sich aber nicht um eine absolute Trennmarke. Die deutsche Version (SPAIK) wurde mit einer Normalstichprobe von 1197 Schülerinnen und Schüler im Altersbereich von 8-16 Jahren (SPAIK-Gesamtwert: M=12,51; SD=7,87) und einer klinischen Stichprobe von 145 psychiatrisch behandelter Kinder und Jugendliche im Altersbereich von 7-18 Jahren (SPAIK27

Material und Methoden Gesamtwert: M=16,52; SD=10,77) entwickelt bzw. validiert. Die Normwerte basieren auf dieser Normalstichprobe. Das SPAIK wird als reliables und valides Messinstrument beschrieben (Melfsen et al. 2001). 2.2.1.7 Toronto-Alexithymie-Skala-26 (TAS-26) Die TAS-26 (Kupfer et al. 2001) dient der Erfassung der subjektiven Einschätzung von spezifischen Dimensionen zur Alexithymie. Sie enthält drei Skalen mit 26 Items. Diese sind als Aussagen formuliert und müssen von den Probanden auf fünfstufigen Ratingskalen hinsichtlich ihres Zutreffens eingeschätzt werden. Die einzelnen Antwortalternativen bedeuten dabei 1=trifft gar nicht zu, 2=trifft eher nicht zu, 3=teils/teils, 4=trifft eher zu und 5=trifft völlig zu. Normwerte liegen für Probanden ab dem 14. Lebensjahr vor. In einer Studie (Zonnevylle-Bender et al. 2004) wurden keine signifikanten Unterschiede in der

Alexithymie

zwischen

erwachsenen

und

jugendlichen

essgestörten

Patientinnen gefunden. In Anlehnung an Taylor et al. (1997) wird vorgeschlagen, Probanden mit einem Gesamtwert von ≥54 als alexithym zu bezeichnen. Dieser Wert muss allerdings in klinischen Studien noch bestätigt werden. Die Ergebnisse dieser Stichprobe wurden mit denen der Normstichprobe von Taylor et al. (1997), welche 2047 Probanden einschloss, verglichen. Die Skalen des TAS-26: Skala 1: Schwierigkeiten bei der Identifikation von Gefühlen In dieser Skala geht es einerseits um die Schwierigkeit bei der Identifikation von Gefühlen, anderseits um die allgemeine Schwierigkeit der Identifikation von körperlichen Vorgängen. Hohe Werte in dieser Skala sprechen dafür, dass der Proband Schwierigkeiten hat, eigene Gefühle und deren physiologische Begleiterscheinungen in adäquater Weise wahrzunehmen. Skala 2: Schwierigkeiten bei der Beschreibung von Gefühlen Diese Skala erfasst Probleme der Probanden, Emotionen zu zeigen und zu beschreiben. Sie bezieht sich somit auf den Ausdruckscharakter von Emotionen und bezieht dabei den kommunikativen Aspekt von Emotionen mit ein. 28

Material und Methoden Hohe Werte in dieser Skala weisen darauf hin, dass die Kommunikation von Emotionen eingeschränkt ist oder im Extremfall ganz fehlt. Skala 3: Extern orientierter Denkstil Mit den Items dieser Skala wird versucht den automatisch-mechanischen Denkstil zu erfassen. Probanden mit hohen Werten auf dieser Skala geben somit an, sich nicht für analytisches Denken oder für eine Reflexion von Lösungswegen in problematischen Situationen zu interessieren. Gesamtskala: Alexithymie Neben diesen Einzelskalen kann eine Gesamtskala, bestehend aus sämtlichen Items der drei Einzelskalen, gebildet werden. Diese ergibt einen Globalwert für die Ausprägung einer Alexithymie. Insbesondere für die Unterteilung von Probanden in hoch- und niedrig alexithyme Untergruppen scheint die Gesamtskala am besten geeignet. 2.2.1.8 Leyton-Zwangssyndrom-Fragebogen/Kinderversion Die

deutsche

Fassung

der

Kinderversion

des

Leyton-Zwangssyndrom-

Fragebogen-Kinderversion wurde durch Herrn Prof. Dr. Dr. H.-C. Steinhausen entwickelt und in seinem Lehrbuch veröffentlicht (Steinhausen 2002b). Die selbst zu erstellenden 44 Karten beziehen sich auf Gedanken, Gewohnheiten und Gefühle. Im Einzelnen werden folgende Items abgefragt: 1-4

Gedanken

5-7

Kontrolle

8-11

Schmutz und Ansteckung

12-14

Gefährliche Objekte

15-21

Sauberkeit und Ordentlichkeit

22-25

Schularbeit

26-28

Ordnung und Routine

29-32

Wiederholung

33-35

Übergewissenhaftigkeit

36-37

Entschlusslosigkeit

38-39

Horten

40-41

Geiz

42-44

Magische Spiele

29

Material und Methoden Es gibt drei Durchgänge. Im ersten Durchgang soll der Patient mit „Ja“ oder „Nein“ antworten und die Karte auf den passenden Stapel legen. Im nächsten Durchgang, in dem der Widerstandswert gemessen wird, werden die Karten, die zuvor mit „Ja“ beantwortet worden sind, den folgenden Aussagen zugeordnet: 1. Vernünftig: Meine Gedanken und Angewohnheiten sind ganz vernünftig. 2. Gewohnheit: Dies ist mir eine Gewohnheit. Ich tue es, ohne darüber nachzudenken. 3. Nicht notwendig: Ich merke oft, dass ich das nicht tun muss, aber ich mache keinen richtigen Versuch damit aufzuhören. 4. Versuch damit aufzuhören: Ich weiß, dass dies nicht notwendig ist und dass ich es nicht tun muss, und ich versuche damit aufzuhören. 5. Starker Versuch, damit aufzuhören: Was ich tue, kümmert mich sehr, und ich versuche sehr, damit aufzuhören. Im dritten Durchgang wird der Interferenzwert gemessen. Hier werden wieder die „Ja“- Karten dem jeweiligen Stapel zugeordnet: 1. Keine Beeinträchtigung: Meine Angewohnheit hält mich nicht von anderen Dingen ab, die ich tun will. 2. Leichte Beeinträchtigung: Meine Angewohnheit hält mich ein wenig auf oder nimmt etwas von meiner Zeit in Anspruch. 3. Mittlere Beeinträchtigung: Meine Angewohnheit hält mich von anderen Dingen ab und braucht viel von meiner Zeit. 4. Starke Beeinträchtigung: Meine Angewohnheit hält mich von vielen anderen Dingen ab und braucht sehr viel von meiner Zeit. Der Gesamt-Wert von Zwangssymptomen ergibt sich aus der Zahl der „Ja“Antworten. Die Skalenwerte für die Widerstandswerte betragen: Vernünftig=0; Gewohnheit=1; Nicht notwendig=1; Versuch, damit aufzuhören=2; Starker Versuch, damit aufzuhören=3. Die Skalengewichte für die Interferenzwerte: Keine Beeinträchtigung=0; Leichte Beeinträchtigung=1; Mittlere Beeinträchtigung=2; Starke Beeinträchtigung=3. Es liegen zu dieser Kinderversion (Steinhausen 2002b) keine Vergleichsdaten bzw. Cut-Off-Werte vor, deshalb wurden sie in dieser Studie mit den Daten aus der Veröffentlichung des Leyton Obsessional Inventory Child Version verglichen 30

Material und Methoden (Berg et al. 1986). Aus dieser Studie konnte ein Cut-Off-Wert von ca. 19 abgelesen werden. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit wurden mit denen der Studie von (Berg et al. 1986) verglichen. In dieser Studie waren die Probanden in drei Gruppen aufgeteilt. Davon litten 26 Jugendliche (M=14,3 Jahre) unter einer nach DSM III Kriterien diagnostizierten Zwangserkrankung. Als Kontrollgruppe dienten 14 Probanden (M=13,7 Jahre) mit einer anderen psychiatrischen Diagnose sowie 28 Jugendliche ohne Diagnose (M=13,7 Jahre).

2.2.2 Verlaufsdiagnostik

Tabelle 5: Verlaufsdiagnostik

Untersuchungsmittel

Zielsymptomatik

Fragebogen zur Befindlichkeit

Stimmungslage, wahrgenommene

(Keller et al. 2005)

Anspannung, Stationserleben und Behandlungszufriedenheit

Angstrating (Skala zwischen 1=gar

Ausmaß der subjektiv empfundenen

keine Angst und 100=maximale Angst)

Angst vor dem Zunehmen

2.2.2.1 Fragebogen zur Befindlichkeit Täglich wurden morgens 10 und abends 27 Fragen zur allgemeinen Befindlichkeit ausgefüllt. Angestrebt wurde eine Zeitdauer über 6-8 Wochen. Die Antwortmöglichkeiten reichen von 1=stimmt gar nicht bis zu 5=stimmt vollkommen. Bei den Fragen 26 und 27 war als Antwortkategorie zusätzlich eine 0 vorgesehen, falls keine Medikamente eingenommen wurden. Die ersten 10 Fragen stimmen morgens und abends überein. Diese Fragen gehen auf die momentane Gefühlslage der Patienten ein. So wird nach der Grundstimmung,

nach

innerer

Anspannung

und

weiteren

Aspekten

der

momentanen Stimmung gefragt.

31

Material und Methoden Die weiteren 17 Fragen im abendlichen Bogen beziehen sich eher auf das Stationsleben, die Behandlungszufriedenheit und den erlebten Tag. Die Fragebögen zur Befindlichkeit sind im Anhang angefügt. 2.2.2.2 Angstrating In Anlehnung an eine Pilotuntersuchung zur Angstdynamik anorektischer Patientinnen im stationären Behandlungsverlauf an der Universität Würzburg (Calame 2005) wurden die Patientinnen zweimal täglich gebeten, ihre aktuelle subjektive Gewichtsangst auf einem speziell dafür konzipierten Angstratingbogen mit einer Skala zwischen 0 (gar keine Angst) und 100 (maximale Angst) einzuschätzen. Dies sollte analog zum Ausfüllen der Befindlichkeitsfragebögen täglich einmal morgens und einmal abends - geschehen (Keller et al. 2003). 2.3 Untersuchungsgang Der Untersuchungszeitraum umfasste insgesamt 2 Jahre. Die Datenerhebung begann, nachdem sowohl die Patientinnen als auch die Eltern schriftlich ihr Einverständnis erklärt hatten. Die Patienten- und Elterninformation sowie Einverständniserklärung wurden im Vorfeld gemeinsam mit einer Beschreibung der geplanten Untersuchung der Ethikkommission der Universität Ulm vorgelegt. Die Probanden wurden nicht entlohnt und haben freiwillig teilgenommen. Der angestrebte individuelle Untersuchungszeitraum betrug 6 - 8 Wochen. Die kürzeren Datenerhebungen kamen durch Abbruch der Patientin - der ihnen jederzeit möglich war - oder durch Entlassung der Patientin zustande. Grundsätzlich gab es pro Tag zwei Befragungszeitpunkte, jeweils morgens und abends. Die Fragen sollten wenn möglich immer zur gleichen Zeit beantwortet werden. Wenn die Patienten das Wochenende oder einen therapeutischen Kurzurlaub bei Ihrer Familie verbrachten, wurden sie gebeten, die Fragebögen soweit wie möglich trotzdem auszufüllen und nur die Fragen zum Stationsalltag wegzulassen. Fragebögen waren den Patienten in einer ihnen persönlichen zugehörigen Mappe zugänglich und wurden von den Studienbetreuern alle 1-2 Wochen abgeholt und ausgewertet. Gleichzeitig konnten Patienten und Betreuer

32

Material und Methoden bestehende Probleme und Unklarheiten besprechen. Den Patienten wurde angeboten, die Auswertungen/Ergebnisse der Fragebögen erklärt zu bekommen. 2.4 Statistische Auswertung Für sämtliche statistischen Berechnungen wurde das Statistical Analysis System (SAS) 9.1. verwendet. Zur Anwendung kamen Standardmethoden wie die Berechnung

von

Mittelwerten,

Standardabweichungen

und

Pearson´schen

Korrelationskoeffizienten. Angegeben sind *p