Ausdruck einer organischen Erkrankung oder funktionell bedingt?

Functional disorders of the gastrointestinal tract: cost effectiveness review. Best Practice & Research Clinical Gastroenterology 2013; 27: 913-31. Baharak B et al ...
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Dyspepsie

Ausdruck einer organischen Erkrankung oder funktionell bedingt? 20 bis 40% der Bevölkerung geben an, an einem dyspeptischen Symptom zu leiden. Eine gründliche Abklärung ist notwendig, um andere Beschwerden auszuschliessen, so dass eine Prävalenz der funktionellen Dyspepsie von ca. 10% real vorliegt. Die Dyspepsie selbst kann organisch oder funktionell bedingt sein. Folgender Artikel beschäftigt sich mit der Klinik, Diagnose und den Therapiemöglichkeiten dieser Erkrankung.

Definition und Epidemiologie Der Begriff Dyspepsie beschreibt einen im Oberbauch lokalisierten Symptomkomplex mit Beschwerden wie Schmerz, Brennen, Druck,

TAB. 1

Definition und Differentialdiagnose der funktionellen Dyspepsie

Definition

Differentialdiagnose

Eines oder mehrere der folgenden Symptome

Ulkuskrankheit

– Epigastrischer Schmerz

Gastroösophageale Refluxerkrankung

– Epigastrisches Brennen

Krebserkrankung des oberen Gastrointestinaltraktes (Ösophagus, Magen, Pankreas, Gallenwege)

– Frühes Sättigungsgefühl

Lymphom

– Unangenehmes Völlegefühl, vor allem postprandial

Infektion, entzündliche Erkrankung im oberen Gastrointestinaltrakt

Und

Intoleranz, Allergie für Nahrungsmittel

– Kein Hinweis auf eine orga- Metabolische Erkrankung (Hyperparathynische Krankheit, welche die reoidismus etc.) Symptome erklären kann Symptomdauer

Zöliakie

– Kriterien müssen für minBenigne Erkrankung Gallenwege, destens 3 Monate erfüllt sein Pankreas Und

Angina intestinalis

– Beginn der Symptome vor mindestens 6 Monaten

Nebenwirkung von Medikamenten

Langenthal

Sättigungs- und Völlegefühl, Übelkeit, Aufstossen und Blähungen. Diese Symptome können Ausdruck einer organischen Erkrankung oder funktionell bedingt sein. Basierend auf den vorherrschenden Symptomen unterscheidet die aktuell gültige Rom-III-Klassifikation bei der funktionellen Dyspepsie (FD) das postprandiale Beschwerdesyndrom (Völlegefühl, vorzeitige Sättigung, Aufgeblähtsein, Übelkeit) vom epigastrischen Schmerzsyndrom (epigastrisches Brennen und epigastrische Schmerzen), wobei Überlappungen durchaus vorkommen. Wie für alle funktionellen gastrointestinalen Erkrankungen müssen auch für die Diagnose der FD passende Symptome innerhalb der letzten 3 Monate vorliegen, der Beschwerdebeginn mindestens 6 Monate zurückliegen und strukturelle oder biochemische Ursachen ausgeschlossen sein. Dyspeptische Symptome werden von 20 bis 40% der Bevölkerung angegeben und rund ein Drittel hiervon sucht den Arzt auf. Werden die Rom-III-Kriterien berücksichtigt und Refluxbeschwerden abgegrenzt, dann liegt die Prävalenz der FD bei knapp 10%. Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer. Bei Patienten, die sich erstmals in ärztliche Behandlung begeben, kann in 30 bis 50% eine organische Erkrankung als Ursache dyspeptischer Beschwerden gefunden werden, und zwar in abnehmender Häufigkeit die gastroösophageale Refluxerkrankung (15–25%), peptische Ulzera (5–15%), verschiedene Ursachen (5–10%), jedoch nur selten Malignome (1–2%) (Tab. 1). Zu beachten gilt es, dass dyspeptische Beschwerden auch eine extraintestinale Genese haben können (kardial, muskuloskelettal etc.). Die Wahrscheinlichkeit, dass eine FD vorliegt, nimmt mit zunehmendem Alter ab. Es gibt derzeit keinen positiven Testnachweis; die FD ist also eine Ausschlussdiagnose. Sinnvoll ist es daher, bei Patienten mit dyspeptischen Symptomen zu unterscheiden, ob abgeklärt wurde oder nicht („uninvestigated dyspepsia“).

Pathophysiologie Gastroparese Funktionelle Erkrankung des Ösophagus, Darmes, biliären Systems Extraintestinale Erkrankung

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PD Dr. med. Kaspar Truninger

Die komplexe Pathogenese der FD ist nicht vollständig verstanden. Postuliert werden Störungen der gastroduodenalen Motilität und Wahrnehmung. Dokumentierte Störungen bei der FD umfassen verzögerte oder beschleunigte Magenentleerung, abnorme postprandiale gastrale Akkomodation, veränderte myoelektrische Aktivität, viszerale Hypersensitivität sowie eine Dysregulation des 05 _ 2014 _ der informierte arzt

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neuroenteralen Nervensystem und der zentralen Verarbeitung. Als auslösende Faktoren der viszeralen Hypersensitivität und der alterierten intestinalen Motilität werden eine genetische Prädisposition und postentzündliche Veränderungen diskutiert. Auch intraluminale Veränderungen sind relevant, auch wenn der Stellenwert (primär, sekundär) der alterierten intestinalen Mikrobiota nicht abschliessend geklärt ist. Wie das Reizdarm-Syndrom kann sich die FD nach stattgehabtem gastrointestinalem Infekt entwickeln, die Bedeutung von Helicobacter pylori (Hp) hinsichtlich Symptomentwicklung wird aber kontrovers diskutiert. Nahrungsmittel und die psychische Verfassung können den Verlauf einer FD beeinflussen.

Klinik Die FD verläuft oft chronisch, wobei die Intensität der Symptomatik fluktuierend ist. Das Vorliegen von Alarmsymptomen wie Fieber, Gewichtsverlust, Dysphagie, Odynophagie und postprandiales Erbrechen sprechen gegen eine FD. Die klinische Untersuchung ist bei dieser meist unauffällig, gelegentlich finden sich ein epigastrischer Druckschmerz und ein meteoristisches Abdomen.

werden. Die Kosteneffektivität des Vorgehens ohne umgehende Gastroskopie wird unterschiedlich bewertet, hingegen haben mehrere Studien gezeigt, dass die Patientenzufriedenheit bei der Strategie mit initialer Gastroskopie am höchsten ist. Die abdominale Sonographie wird, da nicht invasiv und kostengünstig, häufig eingesetzt, bringt aber ohne zusätzliche Symptome oder pathologische Laborbefunde nur selten einen diagnostischen Gewinn. Schwierig kann die Abgrenzung bei Patienten mit dem Leitsymptom Sodbrennen und/oder Aufstossen sein, wenn sich in der Gastroskopie keine Refluxösophagitis zeigt und das klinische Ansprechen auf die adäquate Therapie mit PPI unbefriedigend ist. Im Einzelfall kann in einer solchen Situation mittels 24h-Impedanz-pH-Metrie zwischen einer nicht-erosiven gastroösophagealen Refluxerkrankung (NERD), einem hypersensitiven Ösophagus und der funktionellen Symptomatik differenziert werden. Über eine weiterführende apparative Diagnostik muss individuell entschieden werden in Abhängigkeit der Symptomatik und Laborwerte. Der Verlauf der FD ist chronisch, wiederholte diagnostische Untersuchungen sollen aber vermieden werden.

Therapiemöglichkeiten Wie viel Diagnostik zu welchem Zeitpunkt Die entscheidende Frage ist, zu welchem Zeitpunkt wie viel Diagnostik eingesetzt werden soll, um eine organische Ursache der Dyspepsie auszuschliessen und die Ausschlussdiagnose der FD zu erhärten. Mit der Anamnese werden Dauer, Intensität und Begleitsymptome erfasst, denn gehäuft bestehen bei der FD auch extraintestinale Symptome wie Kopf- und Gelenkschmerzen sowie Angststörungen und Depression. Zudem können bei einem erheblichen Anteil von Patienten mit FD gleichzeitig oder im Verlauf Symptome eines Reizdarm-Syndroms oder einer gastroduodenalen Refluxerkankung vorliegen. Die persönliche und Familienanamnese kann Hinweise für die erhöhte Prädisposition gastrointestinaler Krankheiten liefern (bakterielle Überwucherung, Krebserkrankung, Zöliakie, chronisch-entzündliche Darmerkankung etc.). Nahezu alle Medikamente können als Nebenwirkung dyspeptische Beschwerden verursachen, besonders zu beachten sind nichtsteroidale Antirheumatika, Cox 2 Inhibitoren, Antibiotika (Makrolide, Nitroimidazole), orale Eisenpräparate, Kalium Supplemente, orale Antidiabetika (Metformin, Acarbose), Alendronat etc. Bei Vorliegen von Alarmsymptomen muss ohne zeitliche Verzögerung eine ausführliche Diagnostik erfolgen. Grundsätzlich ist aber festzuhalten, dass gemäss Rom-III Kriterien nur bei Patienten mit unauffälliger Gastroskopie die Diagnose einer FD gestellt werden kann. Dennoch wird bei jüngeren Patienten ohne Alarmsymptome, ohne Prädisposition sowie unauffälligem Labor (Blutbild, CRP, Transaminasen, Kreatinin, Lipase) manchmal ein zeitlich begrenzter Therapieversuch erwogen. Dabei werden aus ökonomischen Gründen verschiedene Strategien empfohlen. Eine Helicobacter pylori (Hp) Infektion verursacht nur bei einer Minderheit dyspeptische Beschwerden, da aber einige Patienten von der Eradikation profitieren (NNT 1:8-14), kann bei einer Hp Prävalenz > 10%, wie es in europäischen Ländern der Fall ist, eine entsprechende Diagnostik (Atemtest, Antigen im Stuhl) und bei positivem Nachweis die Eradikation erfolgen. Bei negativem Hp Nachweis kann in dieser Population eine empirische Therapie mit einem Protonenpumpenhemmer (PPI) während 4 bis 8 Wochen durchgeführt der informierte arzt _ 05 _ 2014

Die Lebensqualität der Patienten mit FD kann erheblich eingeschränkt sein. Basierend auf der unauffällig ausgefallenen Diagnostik sollen dem Patienten Ängste vor einer lebensbedrohlichen Erkrankung genommen und ihm in einem nachvollziehbaren Modell die Entstehung der Beschwerden, welche mit den derzeitigen Methoden nicht messbar sind, erklärt werden. Eine kausale Therapie gibt es nicht und anhaltende Beschwerdefreiheit ist nicht immer zu erreichen. Manchmal gelingt es, individuelle Triggerfaktoren, welche zu einer Zunahme der Beschwerden führen, mit einem Tagebuch zu identifizieren. Spezifische Ernährungsempfehlungen gibt es keine. Fettreiche Speisen und blähende Nahrungsmittel können aber zu einer Verschlechterung der Symptomatik führen. Gelegentlich kann eine Ernährungsberatung hinsichtlich FODMAP Unverträglichkeit (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole) und der noch ungenügend verstandenen Entität der sog. „non-celiac gluten sensitivity“ hilfreich sein. Wie bei anderen funktionellen gastrointestinalen Erkrankungen ist die Wirkung der derzeit verfügbaren Medikamente beschränkt und individuell verschieden. Die Plazeboansprechrate ist in vielen Studien beträchtlich (30–70%), der Verumeffekt hingegen beschränkt (10–20%). Führt die Einnahme eines PPI (40 mg tgl. für 4–8 Wochen, Einnahme 15–30 Min. vor der ersten Hauptmahlzeit) beim epigastrischen Schmerzsyndrom zu einem anhaltenden positiven Effekt, dann liegt wohl keine reine FD vor und am Beschwerdebild ist auch eine NERD mitbeteiligt. Ein nachgewiesener Effekt von Antazida besteht nicht, diese können aber für die Überbrückung eines potentiellen „Acid Rebound“ beim PPI Absetzversuch benutzt werden. Prokinetika können bei Patienten mit dominantem postprandialen Beschwerdesyndrom versucht werden unter Beachtung von Nebenwirkungen. Neue Prokinetika wurden in einigen Studien getestet, stehen bei uns derzeit aber noch nicht zur Verfügung. Der Nutzen trizyklischer Antidepressiva (bspw. Amitryptilin) beruht in der Hemmung peripherer Schmerzafferenzen und eingesetzt werden auch SSRI (bspw. Citalopram), auch wenn Studiendaten zu deren Nutzen bei der FD fehlen. Das pflanzliche Mehrfachextrakt STW 5 (Iberogast) hat einen dokumentierten Nutzen und kann bei gleichzeitig guter Verträglichkeit bei allen FD Pa21

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tienten während mindestens 6 Wochen frühzeitig eingesetzt werden. Weitere pflanzliche Therapieansätze beinhalten Pfefferminzöl (Colpermin), allenfalls kombiniert mit Kümmelöl (Enteroplant). Bei ausgewählten Patienten können auch Methoden der traditionellen chinesischen Medizin sowie Entspannungstherapien und psychotherapeutische Behandlungen sinnvoll sein. PD Dr. med. Kaspar Truninger Gastroenterologie Oberaargau Seilereistrasse 1, 4900 Langenthal [email protected]

B Interessenkonflikt: Der Autor hat keine Interessenkonflikte im

Feinle-Bisset C, Azpiroz F. Dietary and lifestyle factors in functional dyspepsia. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 2013; 10: 150-7 Quigley EM, Lacy BE. Overlap of functional dyspepsia and GERD – diagnostic and treatment implications. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 2013; 10: 175-86 Mapel DW. Functional disorders of the gastrointestinal tract: cost effectiveness review. Best Practice & Research Clinical Gastroenterology 2013; 27: 913-31 Baharak B et al. An update on current pharmacotherapy options for dyspepsia. Expert Opin Pharmacother 2013; 14: 1737-53

Take-Home Message ◆ Die funktionelle Dyspepsie (FD) kommt häufig vor und ist eine Ausschlussdiagnose

Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

◆ Eine Gastroskopie wird gemäss derzeit geltenden Kriterien für die Diagnose der FD gefordert, und zwar unabhängig vom Alter und Vorliegen von Alarmsymptomen

Weiterführende Literatur:

◆ Die adäquate Diagnostik und ein verständlich erklärtes Krankheitsmodell helfen vielen Patienten im Umgang mit der FD

Tack J, NJ Talley. Functional dyspepsia – symptoms, definitions and validity oft he Rome III criteria. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 2013; 10: 134-41 Camilleri M, Stanghellini V. Current management strategies and emerging treatments for functional dyspepsia. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 2013; 10: 187-94 Vanheel H, Farré R. Changes in gastrointestinal tract function and structure in functional dyspepsia. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 2013; 10: 142-9

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◆ Mit einer leichten, fettarmen Kost und der symptomorientierten, individuell angepassten medikamentösen Therapie, auch auf pflanzlicher Basis, kann eine Symptomlinderung erreicht werden

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