Angelika B

Angelika Bruhn, Rostock/Bargeshagen 2012. Titelbild: Sybille ... Vertrieb: BS-Verlag-Rostock Angelika Bruhn .... Geburtstag meiner Autorin in Berlin, die.
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Angelika Bruhn Katinka Platt

Angelika Bruhn

Katinka Platt

MV Taschenbuch

© Angelika Bruhn, Rostock/Bargeshagen 2012 Titelbild: Sybille Liebenow, Oldenburg 2010 Vertrieb: BS-Verlag-Rostock Angelika Bruhn www.bs-verlag-rostock.de Herstellung: Buchfabrik Halle ISBN 978-3-86785-200-5

Für Hannes, der seit 15 Jahren so lieb und treu an meiner Seite ist, mich von Herzen liebt, zeitlich fordert und beruflich fördert, für alles sorgt, was uns gut tut, alles abwendet, was gefährlich werden könnte, und immer da ist, wenn es um Haus, Hof, Garten und Arbeit geht. Mit ihm möchte ich zusammen alt werden, aber auch gern dafür sorgen, dass die Ruhepausen etwas länger werden. (aus meiner Rede zum 60.)

Mein Nest Auf gar keinen Fall will ich meine Ehe gefährden und Hannes schlecht machen, auch wenn ich ihn manchmal in diesem Buch sehr drastisch darstellen werde. Niemals würde ich mein eigenes Nest beschmutzen, nein wirklich nicht. Hannes sitzt nämlich gerade ein paar Stunden im Zug und erfreut sich an meinem Manuskriptentwurf. Dachte ich, da kommt eine E-Mail mit folgendem Text: „... macht mich fast wahnsinnig! Was für eine Arbeit von mir – Du wirst es kaum glauben, wie viel Änderungen, Verbesserungen, Streichungen, Ergänzungen durch mich bisher schon erforderlich wurden! Willst Du das wirklich?“ Ich hab ihm aber gleich zurückgemailt: „Lass das man alles so, es kommen ja noch viele liebe schöne Sachen über Dich, die das scheinbar Böse wieder außer Kraft setzen. Außerdem will ich ja auch kein Bilderbuch schreiben. Heute gehört das einfach dazu, die tägliche Auseinandersetzung mit dem Partner und den Problemchen. Bei unserer Arbeit sowieso. Da musste ich dann hier und da mal maßlos übertreiben, denn sonst denken alle rosarot.“ Auf jeden Fall: Er raucht nicht, er trinkt nicht, er wäscht die Wäsche, bezieht die Betten, er kauft ein, er kümmert sich um alles, schlägt mich nicht, liebt seine Frau, nur die eine, wirklich. So einen lieben und fürsorglichen ordentlichen Mann wie ihn würde ich bestimmt nicht wieder finden. Da hat er schon recht. Er drückt mich, er küsst mich, ist lieb und zuvorkommend zu allen Leuten. 7

Alle mögen sie ihn, ob als Rechtsanwalt und Strafverteidiger, als Chefredakteur unserer Dorfzeitung, den Conventer Boten, als Opa, Schwager und Schwiegersohn, als Freund und Helfer und was weiß ich noch alles. Bei Armins jährlichen Sommerfesten bedient er immer alle Damen mit Eis, Kaffee, Kuchen und rennt wie ein Kellner von einer zur anderen, dass sie schon zu mir sagen: „Nichts gegen gutes Personal.“ Also wirklich, das muss ich hier noch mal klarstellen. Nicht dass einer denkt, wie kann die das mit so einem aushalten? Das geht doch gar nicht, all die Sätze mit dem Ausrufezeichen und dann die Wortwahl, das hält doch kein Mensch auf die Dauer aus! Ich ja. „Das braucht sie“, würde er jetzt sagen, mich in den Arm nehmen und stolz auf mich sein. Bei uns ist es eben nie langweilig. „Danke Hannes für die Druckfreigabe!! Deine Anregungen sind hier und da ja ganz brauchbar, Deine Anmerkungen und Ergänzungen aber so umfangreich und die Sätze so ellenlang und kompliziert, und dann zwischendurch das komplizierte Juristendeutsch, die heb ich dann auf für später! Danke für die Mühe und die kostbare Zeit!“ Er wollte auch den Namen vom meinem Opa nicht haben, Hannes findet er blöd. Egal, damit muss er nun leben. Oma Platt hat ja auch Katinka zu mir gesagt.

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Ach, eine von den befreiten Ostfrauen? Der erste Novembertag 2010 ist um und ich habe heute nichts geschafft. Im Internet recherchiert nach einer Firma, über deren Geschäftsbeziehungen mit meinem Büroservice ich nächste Woche als Zeugin in einer Strafsache vor dem Landgericht in Bremen antreten soll. Gefunden habe ich nichts, erinnern kann ich mich an gar nichts, und was ich dazu sagen soll, weiß ich auch nicht. Das ist bestimmt schon zehn Jahre her. Hannes sein „Bleib doch ganz ruhig“, hat auch nicht geholfen. Es war schon ein Wagnis, vor 20 Jahren das Gewerbe Bürodienstleistungen angemeldet zu haben. Heute weiß ich vieles mehr, bin um etliche Erfahrungen reicher, die Jahre hinterlassen Spuren! Doch von dieser Firma keine … Es waren in der Summe wohl auch an die tausend Kunden! Gleich muss ich in die Sitzung des Redaktionsteams unserer Dorfzeitung – letzte Korrekturen für die nächste Ausgabe. Wie immer sind noch Fehler in den Beiträgen, die meine geschulten Augen sofort erblicken. Da können sie sich schon auf mich verlassen! Noch schnell Schwiegermutter anrufen, damit ich Hannes Frage nicht wieder abschlägig beantworten muss. Er kümmert sich ja auch um meine Mutter. Besetzt! Hier liegt noch alles auf dem Schreibtisch, Buchbestellungen, Manuskripte … Ich hatte heute absolut keine Lust. Auch wegen Hannes. Als Karlheinz anrief, wohin wir Silvester nach Polen fahren könnten, hab ich mit ihm ein schönes kleines Hotel ausgesucht, Brigitte ist auch dafür. 9

Hannes hatte noch keine Zeit, sich unseren Vorschlag anzusehen, er hat wie immer den Kopf voll, arbeitet, hat kein Ohr für so was. Freuen kann ich mich noch gar nicht. Meine Schwester ist zu Besuch, hat Fenster geputzt bei Oma, ist mit ihr mit dem Rolli an der frischen Luft gewesen, abends haben wir zusammengesessen, geplaudert über Oma, über mein Enkelkind, mein Kind und über den 100. Geburtstag meiner Autorin in Berlin, die noch Auto fährt und drei Zigaretten täglich raucht. Als ich Elfriede Brüning kennengelernt habe, war sie 94 Jahre alt. Heute ist sie mein Vorbild, mit 94 noch ein Auto lenken und rauchen, das möchte ich auch … Das Telefon ist frei … Schwiegermutter in Bonn geht es gut, erstaunlich, wie gut sie drauf ist mit ihren 85 Jahren. Als ich ihr das erste Mal die Hand drückte, fragte sie ihren Sohn: „Ach, eine von den befreiten Ostfrauen?“ Ich hab es ihr längst verziehen!

Kauf dir doch diesen Hut Befreit fühlte ich mich damals schon, nicht vom Osten, aber von Einsamkeit, dem Kummer über den Verlust meiner zweiten Ehe und von ein paar Sorgen, die ich damals so hatte. Vor allem Angst, wie es weitergeht, ob ich es auch allein schaffe … Ich stand in Verantwortung, hatte niemanden, auch keinen zum Kuscheln, meine Tochter war nach dem Abi für ein Jahr als au pair in England und um meine Mutter kümmerte ich mich einmal die Woche und eroberte mit ihr die neuen Einkaufszentren. „Kauf dir doch diesen Hut“, sagte sie einmal, als ich es doch nicht lassen konnte, mal meine Traurigkeit zu zeigen. Und das genau war es. 10

Dieser Hut, der mir wirklich stand, die 17 kg weniger, ein neues Outfit – das alles wandelte mich plötzlich wieder in die Frau, die mit Optimismus ihr Ziel verfolgte. Heiratsanzeige, Kopf freimachen und los! Die Zeit war reif, überreif … Hatte ich doch das letzte halbe Jahr nur noch hinvegetiert zwischen Arbeit, unendlich viel Arbeit, Tränen, Kummer, Rotwein und wunderschönen Erinnerungen an die letzten zehn Jahre. Dieses Glück war nicht mehr zurückzuholen. Heute sage ich „wendebedingt“ und weiß, damit stehe ich nicht allein. Also – nächster Versuch. Einen neuen Mann suchen, auf gar keinen Fall allein durchs Leben gehen wie meine Mutter, die sich mit 44 von unserem Vater getrennt hat, weil er das Trinken nicht lassen konnte. Sie trug damals die Verantwortung für unsere kranke Oma und für zwei Mädchen im Pubertätsalter und sich dann niemals mehr mit dem Gedanken an einen Mann. Das mit dem trinkenden Mann hab ich auch schon lange hinter mir. Das habe ich schneller geregelt als sie. Meine dreijährige Tochter suchte ganz verbissen nach einem neuen Papa, wobei die Mommie das Ruder bald in die Hand nehmen musste. Ich arbeitete an der Seefahrtsschule und hatte mit Bewerbungen, Zulassungen, Absolventenvermittlung zu tun – kurzum mit vielen Studenten, die alle so mein Jahrgang waren. Wer wusste da schon, dass ich für den IHS-Fasching nur eine einzige Karte für mich ganz allein gekauft hatte? Das ging unter in dem Trubel. Nach Hause gegangen bin ich mit Uwe und einem richtigen Papa für mein Kind. Als wir heirateten, adoptierte er meine Tochter. 11